Frische Texte! Frische Texte!

> Sendung: Artarium am Sonntag, 25. Oktober – Frische Texte aus dem Salzburger Untergrund, dass es Mozart schwindlig und Gott seltsam warm ums Herz wird. Gibt es noch Gefühlsmenschen, die mit der Macht ihrer Worte gegen die widerlichen Umstände antrotzen? Die mit Sprachkunst ihr eigenes Selbst verteidigen – und nicht einem immer gefälliger werdenden Literaturmarkt hinterher hoppeln? Aber ja doch, auch und gerade in diesem zur Kunsthochburg aufgeblasenen Provinzflecken, wo sich Jedermann bereitwillig bückt, wenn der jährliche Umsatz zum Pudern kommt. Aber hier gibts jetzt die allerfrischesten Texte gegen altväterliche Zeremonialhierarchie, eventorientiertes Tourismusmarketing und nationalsozialistisch-katholische Jugenddepression. Die Wurzel allen Übens ist also die Lust an der eigenen Aussage. Im Namen des Lebens…

sophieSo sind wir denn auch besonders beglückt, mit Sophie Lustig eine der drei Autorinnen von Women at Work (Dienstag, 27. 10. um 19:30 Uhr im Literaturhaus Salzburg) bei uns zu Gästin zu haben. Zumal sie ihre eigens für diese Veranstaltung in Vorbereitung befindliche Textcollage “Jugend ohne Gott” vorstellen wird, was soviel heißt wie live performen! Kleiner Vorgeschmack gefällig?

Im Anfang war nicht das Wort, sondern der Lebenslauf. Gott hat sich zwischen den Zeilen zu verstecken – als codiertes Zeichen. Er ist nicht mehr da, und schon gar nicht, wenn man ihn gerade braucht. Er ist nicht mehr da. Er ist nicht mehr. Er ist nicht. Er ist.

Er ist in den Regentropfen, er ist in den Blättern, in den Bäumen. Er ist du und er ist ich. Und egal, ob wir ihn oder sie oder es Gott, Allah oder Hans-Peter nenen, will er nicht, dass wir unser Leben nach vorgegebenen Büchern oder Gesetzen leben, sondern erzählt uns über alles und nichts gleichzeitig.

unsere herzenMit nebenstehendem Denk-Satz aus “Jugend ohne Gott” möchte ich nun zu einem weiteren Projekt überleiten, welches unsere friedensbewegte Textschau nachhaltig befruchtet: Peer de Beer von Stoned Poets – Dichte Dichter hat einen Beitrag der Radiofabrik zu Aufgeblättert – Literatur aus der Gegend gestaltet, der am Nationalfeiertagsmontag, 26. Oktober österreichweit um 17 Uhr ausgestrahlt wird. Und darin kommen neben Lisa-Viktoria Niederberger, Marko Dinic und Peter.W. auch Chriss sowie ich selbst zu Wort – und somit eben zur Geltung – das ist für sich sprachlich ausdrückende Menschen eine soziale Grundnahrung. Um aber unserem Anspruch auf das Hörbarmachen von Schaffensprozessen in der Wortwerkstatt ebenfalls gerecht zu werden, wollen wir einen weiteren „Text in Produktion“ zu Gehör bringen, und zwar einen bislang noch nirgendwo vorgetragenen aus der Verbearbeitung von Christopher Schmalls Frohnleitner Schreibklausur-Aufzeichnungen mit dem Arbeitstitel “Dort”

Wie aber jetzt den Sack zubinden, allein die hier angerissenen Themen und Verweise zusammenführen, vielleicht unter einem Überbegriff wie Texte gegen das Monopol? Dann grab ich halt auch noch einen aus, der heißt Neues von Gott” und ist zum Lachen böse – schon beißt sich der Hund (endlich) in den Schwanz. Bitte. Danke!

 

Möblichkeit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Oktober – Wir begrüßen zwei (beileibe nicht nur) Graffiti-Künstler bei uns im Biotop und sprechen mit ihnen über ihre und überhaupt Kunst. Oder doch Kunnst? Anlass dafür ist die unlängst eröffnete Verkausausstellung ihrer eigens für Interior Design möblich im Rahmen eines Praktikums gestalteten – ähm, ja, doch, wirklich – Möbel. Worin die Gemeinsamkeit von Graffiti, Gebrauchskunst und Bildhauerei besteht, das wollen wir in diesem Gespräch ergründen. Was naheliegt, besuchen die beiden doch auch eine sehr spezielle Schule, nämlich die Fachschule für Kunsthandwerk und Design (Ausbildungszweig Bildhauerei) an der HTL-Hallein. Worin unterscheidet sich diese eigentlich von anderen Lehranstalten? Und was ist das Besondere am praktischen Arbeiten bei möblich? Für jemand, der Street-Art lebt?

MöblichkeitAbgesehen davon, kommt Kunst wirklich vom Können – oder muss sie schon vorher da sein? Ist da ein Unterschied zwischen Kunst und Selbsttherapie – oder hättens den gern? Wie entsteht ein guter Tag (Writer-Name) und warum ist es oft schwer, einen genialen Bandnamen, Buchtitel etc. zu (er)finden? Was kostet ein Kilo Kunst? Ungefähr. Diese und ähnliche Fragen können uns beschäftigen – doch schauen wir einmal, was uns da so anspringt oder über uns hereinbricht. Ein Thema, das uns wohl alle verbindet, ist die seltsame Vernageltheit einer gewissen Unterführung – oder die seltsame Vernageltheit derer, die sie zusperren ließen? Wir können zum Beispiel über Sinn und Unsinn von freien Malflächen oder überhaupt Kunstausübungszonen sprechen. Und uns überlegen, inwieweit Kunst einen Wert an sich besitzt, so ganz ohne Preis?

Zezao UndergroundsSchnitt. Wenden wir uns einem der untergrindigsten Wandmalkünstler zu, den die Street-Art-Kultur bis dato ausgespuckt hat, dem wunderlichen Autodidakten Zezão aus Brasilien, der seine öffentlichen Interventionen zur Selbst- sowie Sozialtherapie ausübt – und der mit seinen Bildern und Objekten inzwischen auch den Kunstmarkt belebt (Schirn-Video). Oder dem abgefahrensten Aktionskünstler, den das Salzburger Land nach wie vor stöhnend ertragen muss (und das geschieht ihm recht), dem mittlerweile 95-jährigen Anton Thuswaldner, der sich selbst „Maler und Landstreicher“ nennt, und der auch (in der Zeit des 2. Weltkriegs) die Bildhauerschule in Hallein besucht hat. Im Jahr 1991 möblierte er das Mozartdenkmal offiziell mit einer Pyramide aus Einkaufswagerln, was ihm jede Menge Kronenzeitungshetze und Gewaltandrohungen einbrachte…

De Leit homs olle glaubt
und schon is wieda soweit
Angst, Gewalt und Hass
san mehra wert wia Menschlichkeit
Jo so kannt ma oiwei weida doa
und es werd koan interessieren,
weil es regieren uns doch seit Ewigkeiten
Menschen ohne Hirn
Bledheit siegt – dumm fickt guat
Wer woas wos des beweist
I pfeif ma nu an Döner nei
und hoff, dass mi boid z’reißt

Um es auch noch mit Christoph Weiherer zu sagen…

 

Dicht & Doof

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. SeptemberIn Salzburg gab es noch nie eine deutschssprachige Punkband namens Thomas Bernhard. Und genau das ist einer der größten Fehler dieser Stadt. Denn während in Wien seit Jahrhunderten (von Nestroy bis Neuwirth) auch brutal selbstkritisches Liedgut zum guten wie zum schlechten Ton gehört, ergeht sich unser katholischer Kunstmarktflecken in der propagandistischen Beweihräucherung eigenen Schönscheins und Wichtigtums, dass einem so richtig schön schiach wird. Diese Stadt gehört schon längst nicht mehr uns. Im Musikvideo der zwei Wiener (!) Christoph & Lollo fehlen durchaus die Salzburger Örtlichkeiten im Abspann. Und das furchtbar süßliche (allerdings bitterböse) Grüß Gott Salzburg des Wieners (!) Ludwig Hirsch hat inzwischen auch schon 25 Jahre auf dem Buckel.

hombuchdandlungAuch aus Salzburg sind ja seit Thomas Bernhards „Friedhof der Wünsche und Phantasien“ kaum noch kritische Töne zu vernehmen. Stattdessen Hofberichterstattung von Festspielhelgas Fetzenspielen oder vom volksbrauchbesoffenen Trachtenanfall Rupertikirtag quer durch alle Medien – vor allem aus dem devotionalen Landesstudio des österreichischen Unfugs

Da müssen halt auch wir auf die Altwiener Tradition des gepflegten Protestsongs zurückgreifen und den Wolfgang-Ambros-Text von Hoiba Zwöfe aus dem Jahr 1976 nachträglich versalzburgern, um dem hier vorherrschenden Dultdunst aus Bier und Bratwurst (der hier alles niederquatschenden Geldkunst aus Gier und Staatswurst) etwas halbwegs Ketzerisches entgegen zu theatern. Und das hört sich dann so an:

Von ana Szene kann ma bei uns übahaupt ned sprech’n,
ollas dasauft im Stieglbier, es is zum Erbrech’n.
In dera Beziehung is‘ bei uns zum Scheiß’n
und es schaut ned so aus ois ob’s es irgendwann g’neiss’n.
Oba wozu wüst di aufreg’n, so is des hoid,
am Best’n is‘ du schaust dazua und wirst recht schnö oid.
Stöh da amoi vua, dass bei uns a Konzert is
wo’st fia de Koat’n nur sovü zoist, wos a wert is!
Des tät uns jo des ganze Image vaderb’n
weu Soizbuag is und bleibt…
de Stodt zum Sterb’n!

 

Howling Wuif Project

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. SeptemberZu Gast im Studio ist diesmal Wolfgang Maria Gran, und zwar als namensgebender Frontman der Bluesformation Howling Wuif Project, welche am Freitag, 25. 9. um 19:30 im Oval ihr brandneues Album “Gspusi mitn Teufl” darbieten wird, als Auftakt einer gröberen CD-Release-Tour. Wir haben es uns schon vorab angehört – und sprechen mit dem Wuif über allerlei Hintergründe, etwa die Entstehung von aufhorchenmachenden Dialektpassagen wie „Zündts mi on und rauchts mi, wonn i geh” oder “Des F konn wirklich nix dafia, dass es im Land so strachelt, und dass des F vom Faymann mit da weißen Fahne wachelt”. Letzteres Zitat stammt aus dem bereits veröffentlichten “Wenn die Effen kläffen”, einem bissigen Stück Strachsprachkritik in der Mundartblues-Tradition von Dr. Kurt Ostbahn & Co.

Howling Wuif GspusiDie allhier amtierenden Herren Blueswürdens des Howling Wuif Projects verfügen allesamt über bemerkenswerte Musikerfahrungund das hört man auch! Unter den Collaborations der Bandmitglieder finden sich so unterschiedliche Namen wie zum Beispiel: Willi Resetarits, Ray Charles, Göteborg Symphonie Orchester, Shakira, James Brown, Roger Chapman (um nur ein paar zu nennen) und – wie könnte es denn anders sein – der “Godfather des Austro-Blues“ Heli Deinboek. Der hat, wie man hört, wiederum einiges mit der Gründung des gegenwärtigen Wuifsrudels zu tun. Aber mindestens genauso interessant wie die musikalische Qualität der Mitwirkenden (vor allem für die nicht allzu eingefleischten Blues-Fans unter unseren Hörer_innen) dürfte die gesellschaftskritische Ausrichtung dieser Produktion sein. Hier wird der traditionelle Individualjammer eines an sich oft eher traditionslastig verhandelten Genres in den Spiegelwelten der uns umgebenden (familiären, medialen, politischen) Einwirkungen gebrochen, was sich speziell in der stilistischen Vielfältigkeit der Arrangements angenehm auswirkt. Schon Arno Gruen betonte ja, dass jedwede Therapie immer auch die Ursache des Leidens im sozialen Umfeld zu benennen habe. In diesem Sinne also – eine gute Katharsis!

 

Abie Nathan – The Voice of Peace

> Artarium vom Sonntag, 30. August – Das Double-Feature hier zum Nachhören:

Erster Teil: From somewhere in the Mediterranean (Playing the Peace-Ship today)

Zweiter Teil: Abie Nathan – The Voice of Peace (Feature-Collage – Ein Vermächtnis)

Ein Mann und sein Lebenswerk, heute fast nur noch Eingeweihten oder Zeitzeugen bekannt, erfahren hier eine längst überfällige Würdigung. Denn der israelische Radiopirat und Friedensaktivist Abie Nathan betrieb zwischen 1973 und 1993 von seinem Sendeschiff aus die coolste Musikstation im östlichen Mittelmeer. The Voice of Peace hatte zu Spitzenzeiten über 30 Millionen Hörer_innen und wurde so schnell zum Soundtrack einer ganzen Generation. Ganz nebenbei pflanzte ihr umtriebiger Gründer auch seine Friedensvisionen in deren Ohren – und Herzen. Dies alles wäre wohl auch uns weithin unentdeckt geblieben, wenn nicht Eric Friedler 2014 den Grimme-Publikumspreis der Marler Gruppe erhalten hätte, für seinen genialen Dokumentarfilm The Voice of Peace – Der Traum des Abie Nathan:

The Voice of PeaceDadurch fand das für den NDR produzierte eineinhalbstündige Portrait seinen Weg in die üblich verdächtigen Fernsehkanäle und gelangte so letzten Endes auch zu uns. „Ich hätte Abie gern persönlich kennengelernt und wäre am liebsten auch beim Radiosender mit dabei gewesen.“ erklärt Eric Friedler in dem sehenswerten Interview zur Entstehung seines Films mehr als nur einmal. Dem haben wir nichts hinzuzufügen – das unterschreiben wir sofort – mit unserem Herzblut! Also verwandeln wir uns in der ersten Stunde unserer Hommage an den versenkten Sender einer nicht totzukriegenden Botschaft zeitlos in zwei Voice-of-Peace-DJs und senden aus dem Dampfraum der Radiofabrik als wärs im Hochsommer vor Tel Aviv. Dabei wollen wir aber nicht mit der Musik von damals dem Geist jener verflossenen Zeit nachweinen, sondern uns mit Phantasie in die Situation versetzen, wir seien ungeachtet jedweder Realität wirklich auf dem Friedensschiff und spielten die Musik, die uns dazu einfällt. So entsteht eine Verbindung aus historischen Jingles und Songs mit ganz neuen thematischen Assoziationen rund um die eisernen Vorhänge in unserer Vorstellung. Und eine Atmosphäre von Zeitlosigkeit, die es uns ermöglicht, das Wesentliche an Abie Nathans Peace-Messages zu erspüren – von gestern – für heute – und morgen

Abie Nathan 1961In der zweiten Stunde stellen wir den Menschen hinter seinem Projekt vor – und wundern uns, weshalb dieser radikale Visionär einer friedlicheren Welt heute fast schon mit Vehemenz verdrängt und vergessen wird. Es ist mit Sicherheit der überragende Verdienst von Eric Friedlers Dokumentation, dass sie den Politpoeten, den Provokations- und Aktionskünstler Abie Nathan solchem Vergessen entreißt und darüber hinaus dessen Lebenswerk einem erweiterten Kreis von potenziellen Mitstreiter_innen nachvollziehbar macht. Auch wir im Freien Radio können uns zum Beispiel fragen, was uns dieser verspielte Bruder eines glückhaften Zeitfensters so hinterlassen hat. Kann es genügen, um die eigene Existenz zu kämpfen, damit es einen halt gibt? Was ist unsere Botschaft? Wovon sind wir besessen, wofür sind wir bereit, im Wortsinn alles zu riskieren? Worin besteht die große Spaltung unserer Gesellschaft? Ist unsere Wirtschaft nicht längst Krieg? Krieg zwischen Arm und Reich? Die einen gehen daran zugrunde, die anderen gewinnen alles? Und dann? Wenn wir nicht über das scheinbar Unhinterfragbare hinaus zu denken wagen, dann wird uns das tatsächlich Unvermeidliche einholen. Alternativlos! Fragen zu stellen ist also schon mal ein guter Anfang. Und auch, etwas zu hören, das nicht in unseren Geschichtsbüchern steht.

Abie Nathan starb am 27. August 2008. We give voice to forgotten memory. Shalom!

Eine ausführliche Artikelserie von Hans Knot beleuchtet noch weitere Hintergründe…

 

The Pervert’s Guide to Slavoj Žižek

> Sendung: Artarium vom Sonntsg, 23. August Ein Film über Filme für die Menschen, die dem herrschenden Konsumismus kritisch gegenüber stehen – und die den dahinter steckenden Ideologien umfassend auf die Spur kommen wollen. Das Portrait eines Philosophen, dessen provokant zugespitzte Thesen oft in der schieren Masse seiner Veröffentlichungen untergehen. Und dessen unterhaltsame Ideologiekritik gern hinter Jaques Lacans einigermaßen vertrackter Psychoanalyse verschwindet. Wir wollen euch jedoch diesen Film gerade deshalb empfehlen, weil er es auf höchst kunstvolle Weise bewerkstelligtt, etliche der Höhepunkte aus dem atemlosen Schaffen des Slavoj Žižek verständlich zu machen. Zunächst ein Auszug aus unserem Artikel zur Reisen-Nachtfahrt vom Freitag, 14. August als eine erste Inhaltsandeutung:

perverts guideBeim gegenständlichen Filmtipp der Artarium-Redaktion handelt es sich um: The Pervert’s Guide to Ideology von Sophie Fiennes. Wer sich, mit oder ohne sonstige Drogen (siehe Artwork) Slavoj Žižek, einen der letzten freifliegenden Philosophen der Popkultur, in die Pfeife stopfen will, wird und ist hiermit wunschgemäß bedient! Auf seinem Parforceritt durch die Geschichte populärer Filmwerke entlarvt er einige der uns innewohnenden Scheinwelten als das, was sie letztendlich sind – und immer schon waren – Ideologien! Von Leni Riefenstahls “Triumph des Willens” (1936) über den Salzburgschwachsinn The Sond of Music” (1965) oder Michelangelo Antonionis Zabriskie Point” (1970 & geniale Filmmusik von Pink Floyd) bis zu neueren Kinoerfolgen wie James Camerons “Titanic” (1997) sowie Christopher Nolans “The Dark Knight” (2008) zerpflückt er 25 Spielfilme – und einige Werbespots. Besonders gelungen und hier zum Appetitmachen verlinkt: John Carpenters “They Live” (1988). Und jetzt setz die Sonnenbrille auf! Aber auch die Hinterfragung der christlichen Heilslehre anhand von Martin Scorseses „The Last Temptation of Christ“ ist ein paar eigene Überlegungen wert. Hierbei möge die folgende deutsche Übertragung helfen:

„Ich denke aber, man kann die Haltung des Christentums noch viel radikaler verstehen. Genau das vermittelt uns die Kreuzigungsszene in Scorseses Film: Was da am Kreuz stirbt, ist die Sicherheit (der Existenz) eines „großen Anderen“. Hier ist die christliche Botschaft also radikal gottlos, sprich atheistisch. Sie bedeutet, der Tod Christi ist kein Freikauf oder Handel, in dem Sinn, dass er durch sein Leiden für unsere Sünden bezahlt. (Wem bezahlen? Wofür genau? Und so fort…) Sie bedeutet schlichtweg die Auflösung des Gottes, der uns den Sinn unseres Lebens sicherstellt. Das bedeutet auch der bekannte Ausspruch: „Eli, eli, lama sabachthani – Vater, warum hast du mich verlassen?“

analyze slavojIm Augenblick vor seinem Tod erfassen wir, was man in der (Lacan’schen) Psychoanalyse „subjective destitution“ oder „Entmachtung des Ich“ nennt – das vollkommene Heraustreten aus der Herrschaft der symbolischen Autorität, aus dem gesamten Bereich des „großen Anderen“. Naturgemäß kann niemand wissen, was „Gott“ von einem will – weil es keinen Gott gibt. Das ist jetzt der Jesus Christus, der unter anderem sagt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Wer nicht seinen Vater, seine Mutter,.. hasst, der kann nicht mein Jünger sein.“ Freilich heißt das nicht, man soll seine Eltern jetzt aktiv hassen oder töten. Ich denke, dass „Famile“ hier alle hierarchischen sozialen Beziehungen repräsentiert. Die Botschaft von Jesus Christus lautet also: „Ich sterbe, aber mein Tod selbst ist die gute Nachricht. Er bedeutet, dass ihr jetzt allein seid – und euch frei entscheiden könnt. Bleibt in diesem heiligen Geist, der eben die Gemeinschaft der Glaubenden ist.“

Es ist falsch, zu meinen, die „Wiederkunft Christi“ würde in der Form stattfinden, dass der irgendwie als menschliche Gestalt in Erscheinung tritt. Christus ist längst anwesend, sobald Glaubende eine emanzipative Gemeinschaft bilden. Deshalb behaupte ich auch, dass der einzige Weg, wirklich Atheist zu sein, derjenige durch das Christentum hindurch ist. Das Christentum nämlich ist viel atheistischer als der übliche Atheismus, der zwar dafür eintreten mag, dass Gott nicht existiert, dessen ungeachtet aber immer ein gewisses Vertrauen in ein „großes Anderes“ beibehält. Dieser oder dieses „große Andere“ kann entweder natürliche Notwendigkeit heißen oder Evolution oder was auch immer. Als Menschen bleiben wir nichtsdestoweniger reduziert auf unsere Stellung innerhalb einer „zusammenstimmenden Aufforderung zur Entwicklung“ oder so etwas ähnlichem. Wirklich schwierig zu akzeptieren ist jedoch – noch einmal – dass es überhaupt nichts „großes Anderes“ gibt, und somit keinerlei Bezugspunkt, der uns Sinn und Bedeutung garantiert.“

Nicht einmal Slavoj Žižek 😉

 

Der Herr Hund

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. August – Es entspricht dem Wesen eines Hundes, dass dieser mehr oder weniger überall seine neugierige Nase hineinsteckt – auch wenns ein Haufen Scheiß ist. Und so gestalte ich in Entbehrung des auswärts abenteuernden Chriss diesmal wieder ein Soloprogramm aus allerlei hier wie dort zusammengeklau(b)ten Duftproben. Von japanischer Popkultur über den Primat der Ökonomie bis zum Gitarrensound der 90er lasse ich ein paar illustre wie obskure Zaunzeugen des Weltgehens ihr Charmebein schwingen: Pizzicato Five, Joesi Prokopetz, Frank Zappa, PeterLicht, Abie Nathan, Hanns Dieter Hüsch, Eroc (Grobschnitt) sowie Busch (die Band). Und weil genug niemals genug sein kann, lass ich auch mich selbst noch auf uns los – und zu Wort kommen. Kleiner Vorgeschmack gefällig?

Der Herr HundGenial trifft es etwa PeterLicht, der 2006 sein Album „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ nannte und darin die folgende realexistierende bundesdeutsche Presseaussendung zum Kultsong erhob: „Die Arbeitgeberverbände befürworten Benimmunterricht an den Schulen. BDA-Präsident Hundt sagte: Schulabgängern fehlt oft die Kenntnis einfacher Regeln des Zusammenlebens.“

Ich für meine Person distanziere mich hier ganz ausdrücklich von jeder Namensvelwechsrung!

Es ist sowieso nicht einfach, das Wesen des Hundes in der Popkultur zu erfassen. Wo riechen wir hin, was brunzen wir an – und wen beißen wir? Die Rolle des Wachhunds (und kommissarischen Hüters) der Errungenschaften des freien Radios erfülle ich ja (nomen est omen) durchaus gern mit Leben – dem, das ich bin. Jedoch worin bestehen diese Errungenschaften – im Gegensatz zum Grund- und Bodensitz privatöffentlich-kommerzrechtlichen Verallgemainstreams? Oder – im Spannungsfeld zwischen der freien Meinung und einem Thema? Lassen wir uns dazu am besten eine Collage dreier Statements aus dem Land der lebenden Phantasie in die Seele sickern: „The Voice of Peace – ein Kunnst-Biotop – zwei Welten, eine Familie“ und machen wir uns wieder einmal in bewährter Weise selbst einen Reim daraus!

Denn solang wir darauf warten, dass uns die Irgendwers den Weg zeigen, solang warten wir darauf

PS. Der gegen Ende der Sendung in Auszügen verlesene Artikel von Erhard Glötzl findet sich übrigens in der Zeitschrift für Sozialökonomie (1999) – hier als PDF-Download.

 

Lieber Griechen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Juli – Verstehen sie denn nicht, dass diese Menschen eine eigene Kultur haben? Ja, das ist dann hier wohl die Frage, wenn wir sprachlos die jeweils neuesten Nachrichten von der Europäischen Finanzplanierung Griechenlands hören und sehen. Weil einem genau das dabei zu vergehen droht, ist – allein schon aus gesundheitlichen Gründen – eine Rückbesinnung auf ein paar Besonderheiten der griechischen Kultur geboten. Und was würde sich in diesem etwas anderen Kafenion dafür besser eignen, als Geschichten darüber zu erzählen? Zum Beispiel die vom Jorgos (ein legendärer Wirt in der Schönbrunnerstraße), bei dem wir einst alle anschreiben ließen, und den es doch immer wieder verwunderte, wenn einer von uns dann seine Schulden bezahlte. Eine ganz eigene Kultur eben…

UND GUSCHOder auch die vom Grosser Michi (mein über alles geliebter Pfadfinder-Gruppenleiter), der zur Zeit der griechischen Militärdiktatur als Jugendlicher in Piräus Spottlieder auf Papadopoulos sang und dafür letztendlich nur fast verhaftet wurde! Warum wohl zog es jahrzehntelang gerade die etwas anderen Kinder nach Griechenland, einem Synonym für Freiheit und Abenteuer? Was war etwa eine Maturareise dorthin – in jenem historischen Zeitalter vor der Erfindung allinklusiver Rundumbehupfung? Darin könnte uns die Episode vom plötzlichen Verschwinden des Schneider Gü (mein Altgriechisch-Professor) wohl einige Einblicke eröffnen. Oder auch eine von Georg Danzer meisterlich selbst erzählte. Naturgemäß dürfen dabei die drei bekanntesten Vertreter der austro-hellenischen Freundschaft nicht fehlen, nämlich Steinbäcker, Timischl und Schiffkowitz. Aus dem wunderbaren zweisprachigen O Xenos (Gert Steinbäcker, Panos Falaras) hier nun die Übersetzung der griechischen Passagen quasi als Einstimmung – oder zum Schluss:

Mein Sohn fragt mich, ob du früher kommst.
Ich sagte ihm, im Mai wird er bei uns sein.
Tausende von Problemen haben wir und Steuern sogar noch mehr.
Aber mit einem Freund bei dir erträgst du das Leben.

Die Herzen sind ohne Grenzen, sie haben den gleichen Himmel.
Die gleichen Monde in einer Welt, fremd, leer und dunkel.
Heimat ist der Traum der Menschen, der die Seelen verbindet.
Und die Freunde, wie du weißt, zeigen sich in schwierigen Zeiten.

Darauf erst mal einen Ouzo!

 

Schaffnerlos

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Juli – Mit dem diesmonatlichen Ganzen Album wollen wir einen wesentlichen Mitverursacher des Phänomens Austropop würdigen – und ihn speziell für die jüngere Generation den allzu schlappen Genrezuordnungen wie etwa „Musiker, Darsteller, Kabarettist“ entreißen. Denn Joesi Prokopetz schrieb nicht nur die Texte der meisten frühen Ambros-Hits (Da Hofa, Es lebe der Zentralfriedhof), sondern erschuf auch (im Produnktionskollektiv Ambros, Tauchen, Prokopetz) bis dato in Österreich einzigartige Konzeptalben respektive Hörspielwelten: „Der Watzmann ruft“, „Augustin“ – und eben das hier nun zu erlebende „Schaffnerlos“. Ein viel zu lang schon auf Kleinkunst und Blödelspaß reduzierer Textdichter, dessen hintergründige Beobachtungen inzwischen endlich auch in einer Dissertation gewürdigt wurden.

schaffnerlos 1978Es ereignen sich so wunderliche Szenen wie zum Beispiel diese: „Passns auf, do kennt jo jeda kumma und ma wos vo seim Sackl vuawanan und donn zwa Stationen umasunst foan! Bei mir lösen sie sich einen Fahrschein und donn kemma weida redn.“ – „Aso, so woin sie des drahn? Sie woin mi bezichtign, vo mia aus bleibns stehn mit ihnan Kibl!“ – „Sogns ned nu amoi Kibl zu meim Beiwogn!“ – „Kibl sog i.“ – „Sogns es ned nu amoi!“ – „Kibl sog i, jawoi, Kibl! Kibl! Kibl! Kibl!“ – „Ka anzichs Moi mea!“ – „Kibl! I hob jo gseng, doss eas gseng hot. Ea hots jo duat hin gstöd, ned.“ – „Jo ich bitt sie, so gehns doch weiter, wie kommt man denn dazu, der Herr Schaffner ist doch auch nur ein Mensch.“ – „Wos is a? A Mensch is a? A Sackldiab is a!“ – „Schauns, dass aussikumman, jo, jetzt is genug!“ – „So gehns doch weiter, sie Rüpel!“ – „Mischns ihna ned dauernd ein, sie Funzn, sie oide. Mundraub is des, jawoi, Mundraub. Mundraub!“ Wen wunderts, dass derlei atemberaubender Disput letztendlich in einem anarchischen Ausbruch der lebenslang unterdrückten Emotion kulminiert: „Von mia aus kennan mi olle umasunst am Oasch leckn!“ Das einfühlsam gezeichnete Psychogramm des echten Wieners zwischen Anpassung und Aufbegehren, oder, wie es Uwe Dick in der Vorrede zum Öd formulierte: „Die Summe derer, die ich täglich aushalten muss.“

Wir wünschen viel Vergnügen!

 

Frauenfußball? Böhse Mädelz!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. Juni – Was fasziniert am Mädchenfußball? Ein paar Betrachtungen jenseits des Sportkonsums und zwischen den Geschlechtern. Zunächst wollten wir uns ja aus Anlass der in Kanada stattfindenden Frauenfußball-WM über die seltsamen Sehgewohnheiten der immer schon männlich geprägten Sportwelt auslassen – gemeinsam mit kritischen Kolleginnen und/oder weiblichen Fußballfans, allesamt jedenfalls voll biologische Frauen aus unserem Bekanntenkreis. Nachdem die jedoch aus unerfindlichen Abgründen unsere Einladung ignorieren, stellen wir gern wieder einmal unsere eigene Mädchenmannschaft (sic!) auf. Wir können das nämlich! Zumal just dieser Tage und direkt vor unserer Haustür das Bundesfinale der UNIQA MädchenfußballLiga stattfand. Und da haben wir uns dann ein wenig umgesehen:

Die TorfrauDie in der zweiten Halbzeit des Endspiels recht unterbeschäftigte Torfrau der diesjährigen Meisterin Sportmittelschule Graz Bruckner, hier vor dem Hintergrund einiger kaspernd beiwohnender Jungs aus Salzburg. MomentJungs, Mädels, Fußballda war doch was?

Heute am SAK-Platz geschätzte siebeneinhalb Jungpubertiere (Konzept MÄNNLICH!) von der Beislterrasse erfolgreich vergrämt, als diese nicht aufhören mochten, drei Spielerinnen aus Wien sexistisch anzurotzen. Wobei sie sich zunächst über das Rollenkonzept ihrer kritischen Diss-Sonanz gänzlich uneins waren: „Was machst du auf einem Fußballplatz – du hast doch keinen Penis!“ oder aber „Du bist bestimmt kein richtiges Mädchen, weil du Fußball spielst!“. Wen haben die Bedauernswerten eigentlich in Biologie? Doch als es dann gröber wurde, „Deine Mutter ist eine Transe!“ und darüber hinaus, da schwellte ich drohend den Bauch und sprach in meiner vollsten Übelzeugung prophetische Worte: „Hörts auf da zum Stänkern, sonst schmeiß i eich außi.“ Und schwupp – weg waren sie. Norbert K.Hund auf Facebook

Die FrauschaftDie stirnrunzelnden Blicke der Spielerinnen vom drittplatzierten BRG Wien 22 Polgargasse (hier bei der Preisverleihung) sprechen in dem Zusammenhang Bände. Und bestimmt ist da noch viel mehr zu entdecken bei Stimmungsstudien zum Frauen- und Mädchenfußball. Geschlechterrollenklischees und andere Vorurteile haben eines gemeinsamsie stimmen nicht!

Ja, ich finds traurig, wenn ´ne Frau sich selber Kaufmann nennt
Und bin ich Sänger oder Sängerin?
Ja, ich find es nicht normal, dass man nicht mensch ist
Ein herrlich auf die jungen Herrn, wir Fräuleins sind nur dämlich

Ich scheiss drauf, ob´s normal ist oder wichtig
Ich scheiss auf diese Art von Sprache, aber richtig
Ich scheiss drauf, ob´s normal ist oder wichtig
Ich scheiss auf rosa oder blau, aber richtig!

Katriana