Owie lacht (Bilgeri & Köhlmeier)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Juni (wegen Überlänge schon um 17 Uhr) Dies ist ein beinhartes Nostalgieprogramm. Allerdings richtet sich die Musik nicht gegen eine bestimmte Gruppe, sondern gegen Jedermann, der sich betroffen fühlt – auch gegen mich selbst. Owie lacht da ein jegliches, das die frühen Austropop-Hymnen der 70er Jahre noch selbst aus dem Radio gedudelt bekam. Etwa “Sein Köpferl im Sand” von Arik Brauer, dessen Vorspann ich hier eingangs verbrach. Oder die “inoffizielle Landeshymne” der beiden, vor über 40 Jahren auch mal im Duett als “Ray & Mick” auftretenden Hervorbringer des Albums “Owie lacht”, der unumstritten allererste alemannische Mundart-Ohrwurm “Oho Vorarlberg” von Michael Köhlmeier und Reinhold Bilgeri. Und wie verschieden sie dann sind…

owie lachtNachdem wir bereits in der Sendung “Die Köhlmeier Rede” auf Herkunft und Frühwerk des Schriftstellers verwiesen haben, um seine heutige Position in der medialen Erregung zu beleuchten (mit “March Movie”, dem legendären ORF-Hörspiel von 1983), reisen wir diesmal noch um ein weiteres Jahrzehnt zurück – in die Zeit seiner text-musikalischen Anfänge und fürwahr humoresken Mundart-Experimente. Als Beispiel für die interpretative Ergiebigkeit seiner damaligen Ergüsse sei hier der Zwischenspieljodler aus dem erwähnten Vorarlberglied angeführt (und genau so steht der Text im CD-Booklet):

Holleraggi, Dolleraggi, Ahiazolleraggi…
Roll roll roll Rolladen, Zwirnsfaden, Leberbraten usw…

Das sollte uns doch zu denken geben! Ganze Doktorarbeiten der Germanistik ließen sich daraus schnitzen, ja sogar Lehrstühle auf Lebenszeit – also, wenn man sich da mal Walther von der Vogelweide anhört?

Doch Scherz beiseite, hier noch ein paar Fußnoten fürs geneigte Sammelalbum unseres Publikums: Der auf Owie lacht enthaltene Song “Sus wär i sealbr dra” erinnert in seiner ganzen Aufmachung stark an “Ballad of a Thin Man” von Bob Dylan, wovon inzwischen auch eine schräge Coverversion von Laibach existiert. Michael Köhlmeiers sehr spezielles Verhältnis zu Urheberschaft und Inspiration verdichtet sich schön im Titel seines Albums “12 Lieder nach Motiven von Hank Williams” aus dem Jahr 2008. Und seine Vorliebe fürs Vervorarlbergisieren von internationalen Popmotiven ist ihm nach wie vor ungebrochene Leidenschaft, wofür diese Version von Lou Reeds “Walk on the Wild Side” als Beweis genügt.

Das Problem ist, mit der Arbeit fertig zu werden…

 

Kate Tempest

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. April – Es ist schon so eine Sache mit dem Schöpferischen – und Salzburg ist wahrlich eine Hauptstadtdes Nachmachens. Vom Festspiel- bis zum Rockhouse klingt das Allermeiste irgendwie so ähnlich wie schon mal dagewesen. Nie gab es hier eine Punkband namens Thomas Bernhard oder Die Ursache, die Punk als Konzept ihrer Arbeit angewandt hätte und nicht fad nach der zwölfzigsten Wiederkehr des Erwartbaren schmeckt. Einen Unterschied zwischen originärem Schaffen und industrieller Reproduktion macht kaum noch jemand in diesem sich immer schwindliger drehenden Eventkasperltheater namens Kunst- und Kulturmartkt. Und der Mammonmoloch thront feist über den Dächern… Trotzdem gibt es Künstler_innen, die um ihrer Aussage willen auftreten – und wie!

Kate TempestKate Tempest aus London wird ja längst als “uncategorizable” oder “poet without borders” bezeichnet, was uns naturgemäß sehr gefällt, aber eben auch den Kontrapunkt zum eingangs Beklagten darstellt: Wie unsere fiktive Band das Wesen des Punk, so hat Kate Tempest das Wesen des Rap abstrahiert und in ein Schaffensprinzip übersetzt, das ihre Arbeiten erfrischend neuartig und überaus eigenständig macht – völlig im Gegentum zum sonst üblichen Genre-Abklatsch. Billy Bragg sagt über sie: “Zum einen bin ich beeindruckt, dass sie all das als weiße Frau tut. Und dass sie dabei ein echtes Gefühl von Verletzbarkeit rüber bringt, dazu auch ein Gespür für Humor. So etwas kriegt man nicht im Mainstream-Rap. Ich habe sie mit ihrer Band laut sein erlebt, ich habe sie ihr Publikums durch ihr leise sein geradezu hypnotisieren erlebt. Und das sieht man ja auch nicht oft in der Rap-Szene.” Gut gebrüllt, auch einige der Gründe, warum wir Hasen Rap nebst Hip-Hop & Co generell nicht soo genial finden, Spokenword und Performance Poetry in all ihren Spielarten dagegen durchaus! Ein gutes Beispiel dafür ist das Kate-Tempest-Projekt Let them eat Chaos, das zugleich als Gedicht in Buchform, als Studio-Album und als Live-Performance daherkommt.

Wir wollen euch diese Künslerin in einigen Facetten ihres vielseitigen Schaffens vorstellen. Sie einmal in Salzburg live zu erleben wäre begehrenswert, aber ist das leistbar, zahlt sich das rechnerisch aus? Geh scheißen, Geldsäckulum, g’stinkerts!

 

Musas von Natalia Lafourcade

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. MärzDie mexikanische Sängerin macht sich gemeinsam mit dem Duo Los Macorinos auf die Suche nach ihren Inspirationen aus der weiten Welt lateinamerikanischer Klänge, nach ihren Musen sozusagen. So hat sie denn auch ihre zwei jüngsten Alben betitelt, nämlich Musas, deren erstes wir heute voller Freude zu Gehör bringen. Natalia Lafourcade war in den letzten Jahren als innovative Interpretin des Latin-Pop überaus erfolgreich, als solche auch bei der aktuellen Oscarverleihung zu Gast (was wohl nicht jedermanns Mainstream ist). In ihrem “Back to the Roots”-Projekt Musas jedoch spürt sie ernsthaft und feinsinnig all den Einflüssen nach, die sie im Lauf ihres Lebens und ihrer Karriere geprägt haben. Und in der Vermittlung dieser Musikwelt offenbart sie sich als eine echte Künstlerin.

Musas von Natalia Lafourcade„war wohl wieder ein gestrandeter abend, betrunken beraucht, antheringabend in freundes wohnung und ich meine rolle als nachtwächter selbsterfreulich einnehmend, nämlich ein sitzen vor der weltenscheibe mit zunehmender gedankenschwere und weiterer berauschung innerwärts – was die nacht erträglich macht. vor mir des internets abgrundsweite, zuflucht in bekanntem, oftgehörtem, abermals aberwitzigem, dann die suche nach bestimmtem, unbestimmt in der anzahl, unbestimmt auch die ungestümen einfälle im kopf des rauschenden…

und da erschien sie mir : in magenta und trübem blau, mit geschlossenen augen, geflochtenem haar und sang von einsamkeit und dem meer, von bolero und errötendem licht. unendliche sanftmut. stürmende lebenslust. es war echte musik, die schweben blieb im raum, mit dem rauch tanzte, sich mir ins spüren legte, an meine haut schmiegte – versickerte in jeder pompösen pore.

als ich vertraute war zeit ein wort ohne sinn
als wir verschmolzen färbte der himmel sich neu
als ich verstand begann erst mein fragen

in jeder zauberzüngigen zelle –
dort lebt sie nun, diese glühende welt, diese fremde so vertraute landschaft, lebt und wächst, verwebt und wandelt sich, mich.“

 

Grüner wirds nimmer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. FebruarDer langjährige künstlerische Leiter der ARGEkultur (oder Geschäftsführer, wie es hierorts heißt), Markus Grüner-Musil übergibt seine Agenden mit 1. März an den Theatermacher Sebastian Linz. Mit Linz beginnts also (zumindest teilweise) wieder ganz neu, immerhin jedenfalls anders. Und so wird ringsum spekuliert über Inhalte, Schwerpunktsetzung oder Kontinuität, vor allem vom Stottern ist da immer wieder zu hören. Genau die richtige Zeit für uns, Freunde der gelungenen Sprache, dem kommenden Impresario hoffensdick sowie ohne Vorurteil zuzuwinken – und den scheidenden mit einem kleinen Nachwurf (aus seiner eigenen Redekunst) zu bedenken. Politisch scheint beiden vieles gemeinsam zu sein, in der Herangehensweise werden sie sich dann doch wohl unterscheiden

Markus Grüner-MusilNebiges Stimmungsbild stammt von der Vorstellung des ARGEkultur-Programms 2017 im Magnolia-Blog und passt (nicht nur jahreszeitlich) perfekt in unser heutiges Konzept. Besten Dank dafür! Wir haben uns in den letzten 10 Jahren nämlich über so manche Unzulänglichkeit dieses vielgerühmten Gebäudes mokiert, welches uns zugleich auch Heimat und Sendungsstandort ist. Abgrund und Ambivalenz. Wenn wir dabei die Entwicklung der ARGE-Bewegung seit den 70ern betrachten, dann kommt allerdings leicht so etwas wie Trübsinn auf. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im richtigen Leben so auch im falschen, unsere tägliche Institutionalisierung gib uns heute und vergib uns unseren Zwiespalt wie auch wir ihn vergeben uns selbst et cetera und Amen. Das Ringen mit der Macht findet vielleicht statt, nur leider fast nie dort, wo sie herrscht. Stattdessen da, wo sie längst für ihre stillschweigende Duldung bezahlt. Auseinandersetzung ressortiert im Fachbereich Bestuhlung und Diskurswerfen ist eine olympische Disziplin. Quod licet Jovi non olet. Grüner ist immerhin eine Steigerungsform und Musil bestimmt kein Mann ohne Eigenschaften. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Und abermals sage ich: Nach mir die Sinnflut!”

Von den Mühen der Institution, vom Germteig des kritischen Empfindens, von der Idiotie des Kommerziellen, von der Kunst einer gescheiten Tonaufnahme – und nicht zuletzt vom Denkzettel eines umtriebigen Kulturarbeiters. All dies (und noch mehr) rundet sich erst zum Erlebnis, wenn auch unsere Sendung euer Gehör findet.

 

Wilfried, Gut Lack!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. FebruarIn unserer beleibten Reihe “Irgend so was wie ein Nachruf” würdigen wir diesmal Wilfried Scheutz, der vor nicht allzulanger Zeit “von uns gegangen” ist (wie man zu sagen pflegt). Mit seiner unverwechselbaren Reibeisenstimme durchpflügte er seit den frühen 70ern eine Vielzahl von musikalischen Genres. Dabei oblag er nie der bloßen Nachahmerei, sondern interpretierte jedes noch so geläufige Thema in seiner ganz eigenen, oft auch eigenwilligen Art und Weise. Das Reinheitsgebot des Hergebrachten blieb dem Urviech zeitlebens erfrischend fremd, und so ist es kein Wunder, dass Wilfried, in den mehr als 45 Jahren seiner aktiven Laufbahn, aus allem nur Erdenklichen wie etwa A Capella, Rock, Volksmusik, Dichtung und Pop fortwährend Neues erschuf.

Gut Lack WilfriedAngenehmerweise immer mit dem selbstironischen Augenzwinkern des sich selbst Spürens in einer Welt, die unvollkommen bleiben wird, aber zum Gestalten einlädt. Dies möge sich selbst erklären, zum Beispiel durch die Frühwerke “Ziwui Ziwui” oder “Orange”… Naturgemäß war für uns zwei die Hymne “Lauf Hase Lauf” ganz besonders bedeutsam, stellt sie doch die gewohnte Weltsicht auf den Kopf, indem sie den verfolgten Hasen zum Helden der Geschichte erhebt. Hier noch die Altersversion davon, dargeboten gemeinsam mit seinem Sohn Hanibal Scheutz (der im Hauptberuf Bassist bei 5/8erl in Ehr’n ist). Die Kunst der gepflegten Parodie (wofür Selbstironie ja die Voraussetzung ist) führte Wilfried schließlich mit dem A-Capella-Projekt 4Xang zu bislang unerhörten Höhen (und Bässen). Hierzu das rare Live-Video ihrer Version von Queens zeitlosem Mitgröhlhit “We Will Rock You”. Diese vier Wildererbuam brachten so ziemlich alles zu Gehirn und Hör, was nicht rechtzeitig (so ca. bis 3) vor ihnen auf den Baum floh. Und das war fürwahr nicht viel. Unter anderem verdanken wir den Herren eine grandiose Interpretation von Georg Kreislers Telefonbuchpolka, von welcher ich erstmals alle Namen mit V herunter transkribierte…

Zu guter Letzt erschien bei Monkey das Album “Gut Lack”, das wir hier und jetzt vorstellen und sehr empfehlen. Mit diesem im Wissen um den nahen Tod gezeugten Opus Ultimum begibt sich der Österreicher Wilfried in die Wesensnachbarschaft von Leonard Cohen und David Bowie. Die Würde des Menschen umfasst durchaus auch sein Leidenund Sterben.

Was wird?

 

Abrahams Nebenwirkungen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. Januar – Diesmal gehts um religiöse Schriften und ihre Auswirkungen auf die Weltpolitik. Speziell um eine Geschichte, die wir aus dem christlichen Alten Testament, der jüdischen Tora sowie dem heiligen Buch der Muslime, dem Koran kennen. Sie ist in der bildenden Kunst weit verbreitet und wird meist als Abrahams Prüfung oder Opferung Isaaks bezeichnet. Dazu hat das Jüdische Museum Berlin vor einiger Zeit eine mutige Ausstellung mit dem Titel “GEHORSAM” ausgerichtet, in der auch den verschiedenen Interpretationen durch die drei “abrahamitischen” Religionen nachgespürt wird. Mutig war dabei vor allem die Berufung des bildgewaltigen Filmregisseurs und ausgewiesenen Atheisten Peter Greenaway, dieses Thema  gemeinsam mit Saskia Boddeke zu bearbeiten.

Adi Holzer - Abrahams OpferNun ist wieder einmal die Dokumentation jenes Zusammenwirkens aufgetaucht: “Der grausame Gott? – Gewalt, Religion und Kunst” Sie hat mich persönlich mit einigen neuen Erkenntnissen überrascht, weshalb ich sie unbedingt weiterempfehlen möchte. Derlei fundamentalistischer Wahnsinn wie zum Beispiel Menschen auf Gottes Befehl zu opfern war mir schon immer ein Gräuel. Und diese merkwürdige Hochjubelung von Abrahams blindem Kadavergehorsam zum Heldentum der christlichen Tradition fand ich ebenfalls schon lange extrem stinkert… Riecht verdächtig nach Kirchengeschichte, nach “Gott mit uns” und Waffensegnung! Umso erstaunter war ich, zu erfahren, dass im Judentum das Nichtgeopfertwerden Isaaks im Vordergrund steht, Abrahams nebulöse Gehorsamkeit hingegen Anlass zu Hinterfragung und Widerrede ist. Ja da schau her! Den Gipfel der Erleuchtung bescherte mir dann jedoch der Imam Tareq Oubrou, der die entsprechende Passage aus dem Koran interpretierte. Dort TRÄUMT Abraham (Ibrahim) von einem göttlichen Auftrag, seinen Sohn zu opfern, und erzählt diesem am nächsten Morgen verwundert darüber. Der Korangelehrte legt diese Sure dahingehend aus, dass Eltern mit ihren Kindern über alle Themen, die deren Zukunft angehen, reden sollten – und auch mit ihnen zusammen entscheiden, was zu dann tun sei. Respekt! Und das in Zeiten, in denen wir ja gemeinhin fast ausschließlich mit Islamophobie zugeschwallt werden.

In dem Zusammenhang wollen wir nachdrücklich die Position der Bedrohten und Verfolgten einnehmen, und zwar im Hinblick auf die totalitären Ansprüche in allen Religionen und Ideologien. Gerade rund um den Holocaustgedenktag (Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar) muss uns bewusst werden, wohin so etwas wie “Der Glaube des österreichischen Katholiken Adolf Hitler” geführt hat, und wohin uns der blinde Gehorsam gegenüber jedweder “Obrigkeit” jederzeit wieder führt.

Als Hirnfutter fürs immerwährende Niewieder gibts auch unsere Hörstolpersteine

 

In einem fort pflanzen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Januar – Wieder so ein Wortwitz, ein doppeldeutiger. Für die Postmodernde. Juhuu! Doch was soll sich da eigentlich fortpflanzen, über die Generationen hinweg – oder wollen die uns bloß in einem fort pflanzen, die Ehestandswahrer vom ewiggestrigen Familienbimbam? Diese fürwahren Fortpflanzerl. “Die Familie ist die Geheimzelle des Staates.” Und in dieser Black Site des Herrschtums verendet das Lebendigsein unzähliger Kinder. Ich habe mich auch in der Jugendarbeit immer dagegen gewehrt, an Menschen nachzubessern, damit sie vielleicht geschmeidiger in den Fleischwolf der Gesellschaft rutschen. Gerade heute sind an allen Ecken und Enden die Funktionalisierer unterwegs, und wer sich nicht frohgemut und brauchbar verwerten lässt, wird aus “der Gemeinschaft” entfernt

väter söhne pflanzenDagegen gilt es, mit all seiner Lebenskraft, anzugehen, anzustinken – und anzuschreien. Und sich nicht aufhalten oder gar pflanzen zu lassen von irgendwelchen Altvorderen und ihren Ideologien. Es heißt ja, die Pubertät sei so etwas wie eine generelle hormonbedingte Anpassungsstörung. Schon mal in Betracht gezogen, dass die Erwachsenenwelt, in die es sich da einzufügen gilt, ein vollkommener Schwachsinn sein könnte? Ein schwindlich machendes Kettenkarussell voller Dummheit und Niedertracht, das im Begriff ist, den Ast, auf dem wir alle sitzen, endgültig abzusägen? Wer also Schwierigkeiten hat, sich an so ein Idiotenkompott anzubiedern, ist keineswegs gestört – höchstens beim Gesundsein gestört worden! Die Störung beim Pubertier ist dann allenfalls Syptom einer zutiefst verstörten und zerstörerischen Weltordnung, an die sich anzupassen ohnehin nur mittels heftiger Hirnamputation möglich wäre. Dass es der überwältigten Mehrheit letztendlich doch gelingt, soll uns jedenfalls nicht am Denken hindern. Gerade weil wir die Sendungen oft aus Befindlichkeiten heraus gestalten, wie die hierzu passende Nachtfahrt “Aus dem Tod eine Jugend machen”, bei der uns die nicht eben unschräge Musik von Knorkator begegnet ist: Und ging. Deren unendlicher Ideenscheißer Alf Ator hat ja auch schon des öfteren seinen Sohn Tim Tom (als der noch ein Kind war) zum Singen angestiftet, etwa auf Arschgesicht.

Inzwischen hat Tim Tom (der auf dem Foto) seine eigene Band Black Monster Truck und die ist (wie das nächste Lied) ziemlich cool: Am Horizont (live). Von derartigen Übergängen lassen wir uns diesmal inspirieren, wenn es um die Vermächtnisse von entlegenen Ursassen geht. Pflanzerl und Pflanzungen, wir sind ein geiles Institut.

 

Tau On Tour

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. DezemberThomas Mulitzer scheißt uns mit seinem Debutroman Tau gründlich vor die Tür der wohlgeordneten Verhältnisse. Und wandelt damit vor allem inhaltlich auf den Spuren des legendären literarischen Salzburgbösewichts Thomas Bernhard, dessen Erstlingsroman Frost (1963) hierbei immer als die Ursache dieser vielschichtigen “Ruf & Echo Arbeit” erkennbar bleibt. Doch wer seine Lektüre nach den sich Rezension” nennenden Nutzerkommentaren von Lieschen Müller und Otto Normalverbrecher auszuwählen pflegt, sollte von Tau lieber die wulstigen Hirnfinger lassen! Was ist überhaupt ein Roman? Was ist eine Handlung? Und was ist eine gute Geschichte? Ja, wenn du dazu einen Papst brauchst, der dir das vorsemmerlt, was du nachblöken sollst – dann bleib lieber Konsumtrottel!

Thomas Mulitzer liest aus TAUEs soll ja Leute geben, die “keinen Tau davon haben” wollen, was mit ihrer Welt so geschieht, und die eher x-mal das Stiegengeländer putzen, bevor sie einmal nachdenken oder sich gar auf etwas einlassen, das nicht ihrem hergebrachten Weltbild entstammt. Gott bewahre! Denen ist wohl nicht mehr zu helfen, auch wenn man ihre Ängste noch so sehr ernst nimmt. Zu diesen und ähnlichen Befunden gelangt man aber unweigerlich, auf der Lesereise quer durch den assoziativen Chaosmos dieser hochkomplexen und doch zugleich zugänglichen Geschichte. Sofern man es halt aushält im Kopf ihres Erzählers, in seinen Erinnerungen und Emotionen. Und nicht davon abgeschreckt wird, dass ungeschickt gefickt nach Jauche riecht oder schon mal im Autobus, im Bierzelt und überhaupt die Fäuste fliegen. Alles Schnaps und nichts Walzer. Die Ursassen sind sich überall ähnlich, nur in der Stadt sind sie von dichteren Identitäten absorbiert, von rasenderen Ideologien, quasi als Religionsersatz. Irgendwer speibt immer und es kommt schon vor, dass wer mit Inbrunst hinbrunzt.

In dieser höchst sprachlüsternen Collage aus Bernhard, Beatpoetry und Dorfpunks sowie noch einem ganzen Abgrund an Ideen und Einflüssen geht der Protagonist der Geschichte letztendlich irgendwie verloren – und das ist verdammt nochmal ein guter Schluss. Auch wenn das weder den hollywoodgeprägten Konsumkasperln aus der Internetselbsthilfegruppe noch den korinthenkackenden Elfenbeintürmlern aus dem Literaturszenezentrum für Germanismusgespenster angenehm einfahren wird. Wir sind doch nicht euer Kokain, ihr Spritzweingsichter und Seitenblickeadabeis! Wie unschwer festzustellen ist, hat Thomas Bernhard noch ordentlich untertrieben.

Thomas Mulitzer ist zu Gast in unserer Sendung und wird die Hintergründe seines Romans beleuchten. Außerdem erwarten wir seinen Projektpartner bei Two On Glue, Wolfgang Posch (der breiten Masse als El Fetzn bekannt), zu einem spontanen Duett,

naturgemäß

 

Das trojanische Pferd

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Dezamber – In Zeiten wie diesen soll man Kriegsgerät verschenken. Außen schön verpackt – und innen voller Verderben. Listenreich! “Timeo Danaos et dona ferentes”, wie der Franzose sagt. Und das bezieht sich nicht nur auf Weihnachten, aber halt schon auch. Denn das mit Freuden Erwartete enthält oft die herbste Enttäuschung. So ist das auch mit Menschen, mit Werbespots oder Regierungen. Hinter dem schönen Schein grinst einem sogleich der Tod entgegen: “Ätsch, das hast du jetzt davon!” Und dabei hat man vor kurzem noch geglaubt… A contracorriente zur immer neuigkeitsgeileren Verbeschleunigung der uns umdudelnden Popschkultur spielen wir NICHT DAS AKTUELLSTE, sondern lieber DAS ALLERERSTE ALBUM dieser so kunstvoll kontroversen Musikkapelle:

Das trojanische PferdDas trojanische Pferd war bereits 2012 mit seinem zweiten Album “Wut und Disziplin” in der ARGE zu Gast, sowie ebenfalls in Gestalt von Hubert Weinheimer zu einem legendären Künstlergespräch bei den Perlentaucher-Nachthasen (also bei uns) verabredet. Dieses unvergessliche Interview brachte in nur 16 Minuten dermaßen viel Hintergrund zum Vorschein, dass es sich nach wie vor als Lehrstück fürs Erfassen des Wesentlichen anbietet. Wir haben es dann noch einmal “destilliert” und fein abgefüllt als 6-teilige trojanische Degustation in unsere Nachtfahrtsendung “Originale Kopien” eingebaut. So geht hintertückisch Einflößen, ihr Chartslöcher! Jedenfalls bietet das Debutalbum mit dem Bandnamen als Titel eine hochprozentige Essenz dessen, was allerweil vom Hechelhaufen der Genreschachterlscheißer (kommerzielle Musikjournalist_innen) als “Chanson-Punk” bezeichnet wurde. Wie drückt es “Sänger und Bombenleger” Hubert Weinheimer in “Fahrstuhlmusik” so trefflich aus? “Ich will nicht, dass mein Kind Scheiße frisst.” Na eben. Dazu noch eine der besten Refrainzeilen aller Zeiten: “Mein Herz schlägt mich innerlich tot.” Dieses Album gehört (immer wieder) gehört.

Danke für diesen Slogan, Wolf Haas. Die Prinzessin auf dem Erbe. Urerbsenrecht! Doch genug des Selbstreferenziellen und zurück zu den darbietenden Künstlern. Die haben nämlich verstanden, was die ursächliche Ansage des Punk als Kunstform bedeuten kann: Nimm alles, was du willst, vom Müllhaufen der Geschichte (also auch gehört Gehörtes) und mach daraus dein ganz eigenes Ding. Und nicht: Hupf herum als Folklorekasperl und mach alles nach, was dir die Genreschachterlfüller Hinz und Kunz für richtigrum erklären. Machs NICHT richtig, mach DEIN Original!

Das gegenständliche Debutalbum gibts im übrigen auch hier als Free Download.

 

Charles Janko Nachruf

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. NovemberSchuld ist wie so oft der Berlinsalzburger Schriftsteller Peter Hodina, dem wir die überaus inspirierende Begegnung mit Charles Janko ursächlich verdanken. Denn am 27. 2. 2015 fand in Alrun Pachers literarischem Salon eine feine Zweierlesung von Peter Hodina und Christopher Schmall statt, welche der inzwischen völlig zu Unrecht verstorbene Charles mit meisterlichen Klavierimprovisationen umrahmte. Doch dieser ebenso banale wie hier angebracht erscheinende Begriff wird seiner tatsächlich ausgeübten Kunstfertigkeit eigentlich überhaupt nicht gerecht. Statt auf so eine rein äußerliche Funktions-Zuschreibung sollte sich unser Augen- und Ohrenmerk doch viel mehr auf die innere Haltung von Charles‘ spontan-kreativem Musikausdruck richten.

Charles Janko Literaturhaus Salzburg Nov 2016Erzählen wir die Geschichte: Während das Publikum den Lesenden andächtig lauschte, saß Charles meditativ in sich versunken am Flügel, um in den Pausen augenblicklich zu seiner ganz eigenen Verdichtung der zuvor offenbar gesammelten Eindrücke anzuheben. Und was er da improvisierend wiedergab, war nicht einfach nur Begleitung, Behübschung, tonale Garnierung – nein, es war in höchstem Maß die erweiternde Teilwerdung am Moment des Geschehens, eine nachgerade organische Verganzheitlichung dessen, was rund um ihn im Hier und Jetzt vor sich (und bestimmt auch durch ihn hindurch) ging. Wollen wir das aber nicht verkehrt verstehen: Die dargebotenen Texte an sich waren schon ganz, deren Vortrag in Resonanz mit dem Publikum erst recht, die ganze Inszenierung dieses Literarischen Salons sowieso, alles war ganz und gar ganz (im Sinn von vollkommen). Und doch – wenn Charles‘ Musik nicht hinzu gekommen wäre, hätte der gesamten Darbietung etwas gefehlt. Was wiederum nur dadurch erkennbar wurde, dass er sie spielte! Mich erinnerte dieses Geschehen an Gefühlseindrücke, die ich vor Jahren beim gemeinsamen Hören von Keith Jarretts “The Köln Concert” gehabt hatte, und eben darauf sprach ich ihn (nach dem Ende der Veranstaltung) an. Es entspann sich sofort eine derart befreiende, einfühlsame, weltoffene Unterhaltung, dass sich nur eins sagen lässt: Charles Janko war ein Mensch, der ganz in seiner Kunst lebte.

Ausgehend davon kam es auch dazu, dass sich Charles im November 2016 bereit erklärte, “auf splitterwegen und zerbrochener zeit”, die Geburtstagslesung von Chriss im Literaturhaus Salzburg, kongenial musikalisch zu “illustrieren”. Davon haben wir eine recht improvisierte Aufnahme hergestellt, bei der man die Lesenden trinken und tuscheln hört, ganz im Sinn einer spontan-assoziativen Gesamtkunst. Jetzt gibts diese “Charles Janko Literaturhaus-Improvisationen” zum Nachhören.

“Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.”  Bertolt Brecht