Jazz erst recht

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Oktober – Unlängst – oder war es neulich – wurde auf 3sat der saugute Dokumentarfilm “Der Preis der Anna-Lena Schnabel” gezeigt. Und dadurch wurden wir schon wieder einmal in die – zugegeben eigenartige – Welt des Jazz hineingesaugt. Denn das rundum gelungene Filmportrait bietet nicht nur eine höchst zugängliche Darstellung des inneren wie äußeren Werdegangs der jungen Solistin (Saxophon, Querflöte), sondern auch erschreckende Einblicke in die Gepflogenheiten der Musikindustrie sowie in den peinlichen Eiertanz der öffentlich rechtlichen Sender zwischen Bildungsauftrag und Massengeschmack. Alles weitere dazu lässt sich in diesem erfrischend spitzzüngigen Artikel von Ulrich Stock nachlesen. Jazz ist also ein Minderheitenprogramm. Doch findet er im Freien Radio genug Platz?

jazz erst recht professor kerschekZur näheren Beleuchtung dieser Umstände haben wir den Radiofabrik- Musikredakteur und ausgewiesenen Jazzdoktor Nikolaj Fuchs ins Studio eingeladen. Und gemeinsam mit ihm wollen wir die diesbezügliche “Luft nach oben” einmal versuchsweise ausloten. Dem Thema entsprechend spielen wir dieses Mal ausnahmslos Virtuos_innen der etwas anderen Blasmusik, und zwar Herbert Könighofer mit K3, Anna-Lena Schnabel und ihr Quartett, den Soundrevolutionär Nils Petter Molvaer sowie Ian Anderson (von Jethro Tull) auf seiner legendär queren Flüüte, ein lebendes Relikt jener höchst ungrauen Vorzeit, in der die Musikgenres noch viel einträchtiger beisammen wohnten als dies heutigentags marktkonform zu sein hat. Viel Harmonie!

Es sei unserem Publikum hier nicht vorenthalten, wie der im eingangs erwähnten Film kritisierte NDR reagiert. Darauf kann man sich einen Reim machen – oder auch nicht. Ein gewisser medienpolitischer Nachgeschmack (wie von allerlei Wahlkrämpfen her) bleibt im Abgang haften. Irgendwie metallisch, so zwischen Kleingeist und Kleingeld. Wir jedenfalls finden die Zweckzwangsjacke merkantiler Verbenutzbarkeit scheiße.

Stattdessen wollen wir Projekte wie die Radiofabrik-Jazznacht weiter ausbauen, und setzen in dem Zusammenhang auf die Unterstützung unserer Hörer_innen, die das Freie Radio beim Wort nehmen – und selbst produzieren, was sie gern hören wollen.

Wir sind nämlich ein geiles Institut.

 

Deprogramming Division

> Sendung: Das Artarium zum Wahlsonntag, 15. OktoberAlle wählen vom Reden. Wir aber spielen dem schwindlichmachenden Anlass entsprechende Musik. Nämlich die “Underwater Serenades” von Deprogramming Division, einem der vielfältigen Soundprojekte des umtriebigen Salzburgsohns Herwig Maurer, der einst aus seiner Heimatstadt auszog, um die dekadente Westwelt mit seinen Musikalien anzureichern. Nebst immer unzähliger werdenden Filmarbeiten (IMDb) sowie Veröffentlichungen von Alben und Soundscapes gibt es von ihm auch noch Kunstfotographie und demgemäß durchkonzipierte Bilderfluten zu entdecken – und zu erforschen. Dem kreativen Umtrieb so eines über die kommerzfeile Nachdepperei der allgemeinen Untenhaltung hinaus wollenden Menschenkinds kann die “Provinzkunstmetropole” halt nicht entsprechen.

Deprogramming DivisionWarum allerdings ausgerechnet der Titel Deprogramming Division und somit auch die Musikwahl auf unser Thema passt wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge aller abgründlich genervten Betrachter? Na, weil die Ferngesteuerten, Programmierten oder eben “populistisch verblökten Mund auf und bitte schiab mas eini Schafe” selten so wahrnehmbar tief durch die Republik fliegen wie an diesem wahnsinnigen Wahlabend. Stermann und Grissemann werden forthin als Gute Nacht, Österreich auftreten und Thomas Bernhard hat mit “fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche” aber noch sowas von untertrieben. Eine Erregung zur Beruhigung oder The Idiots are taking over von NOFX. Es ist alles schon oftmals ausgesagt worden, doch die Quasselödien glauben lieber den Massenblödien und Kassenschmähdien. Der Urheber ächzt: “Streit” und wir verklagen uns schon mal vorsorglich selbst. Seids ihr noch zu retten? Na guat, donn ned. Es is jo sowiaso olles ned woa oder vielleicht doch? Wir tauchen jedenfalls erstmal ab. Und wir laden euch ein, diese spirituelle Atempause mit uns gemeinsam zu verbringen. Mit einzusinken in diese instrumentale Phantasiewelt, erschaffen von einem, der wie wir davon überzeugt ist, dass jeglicher Kunst eine wesentliche soziale Funktion innewohnt. Siehe > Pacific Nexus Media

Am Freitag, 13. Oktober gibts unsere Perlentaucher-Nachtfahrt mit dem ebenso schönen wie passenden Titel “Unendlichkeitsversuch” – Guten Morgen, liebe Welt!

 

Weiße Liebe

> Sendung: Artarium vom 10. SeptemberAnsa Sauermann aus Dresden hat unlängst (am 18. August) sein erstes Album “Weiße Liebe” veröffentlicht. Und er kommt am Freitag, 15. September zum “Take the A-Train” Musikfestival beim Salzburger Hauptbahnhof, wo unter anderem auch Fiva, Nigrita sowie Scheibsta & Die Buben auftreten werden. Da können wir also wieder einmal gaaanz aktuell sein – und ein quasi ofenfrisches Debutalbum aus unserem Hasenhut zaubern, um es euch nicht nur vorzustellen, sondern sogar zu empfehlen. Weiße Liebe hält nämlich eine feine Balance zwischen Ansas Singer-Songwritertum und dem Volles-Brett-Sound seiner phantastischen Band“Meine Hoffnung fleht hoffnungslos leise nach mir”, das ist wahrlich ein höchst poetisches Selbstzeugnis – in einem sonst eher räudigen Jahr.

Weiße Liebe CoverIn unseren Breiten machte der kellnernde Jungmusiker erstmals mit einem schmerzzerreißenden Lied über die Hassliebe zu seiner Heimatstadt auf sich aufmerksam. Der Song “Tal der Ahnungslosen” bezieht sich in seinem Titel auf jene informationsreduzierten Gebiete der ehemaligen DDR, in denen der Empfang des Westfernsehens aus Gebirgs- und Entlegenheitsgründen nicht möglich war. Und er reflektiert die Fassungslosigkeit zahlreicher Menschen in der “verirrten Stadt mit zwei Gesichtern”, angesichts des rechtsextrem organisierten Wutbürgertums, das seit geraumer Zeit unter der Bezeichnung PEGIDA durch eine inzwischen gesamtdeutsche Medienlandschaft gespenstert. Doch er vermag seinen begründeten Unmut eben nicht nur “volles Brett” auf entsprechenden Kundgebungen auszuspeien, er kann ihn durchaus auch auf den Samtpfoten der Straßenmusik leise (und somit fast noch wirksamer) zum Ausdruck bringen. Das veranschaulicht dieses Unplugged-Video. Und sein Debutalbum Weiße Liebe verwebt beide Facetten seiner Kunst zu einem gelungenen Gesamtwerk. Darin begegnet uns eine Gefühlstiefe, die jenseits der üblichen Hieb- und Stichwörter wie Authentizität oder Street-Credibility von der Fähigkeit zeugt, sich mittels eigener (oft auch leidvoller) Erfahrungen in die Lebenswirklichkeit anderer hinein zu versetzen.

Der wahre Reichtum eines Menschen, einer Beziehung, ja einer ganzen Gesellschaft ist und bleibt eben das EinfühlungsVERMÖGEN. Und zwar steuerfrei!

 

Werbung in eigener Sache

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. August – In unserer nächsten Nachtfahrt werden wir ein Live-Konzert von Peter Gabriel spielen, und zwar in vollster Länge. Dafür – und für jene illustre Sendereihe, die demnächst in ihr 10. Jahr geht – werben wir hier und jetzt einmal so richtig angenehm. Da ist nämlich durchaus ein Unterschied zwischen gepflegter Kundmachung und penetrantem Einidrucken. Einen Eindruck von etwas kann ich mir ja selbst machen, dazu brauch ich keinen Dauerbeschwall von wegen was gerade “in” ist, was “man” heute so hörtund was ich kaufen soll, weil irgendein Oaschlochverein damit sein Geld drucken will. “Man merkt die Absicht und man ist verstimmt.”  Außer man steht drauf, dass man fortwährend fremderseits eingefickt kriegt, was man denken, fühlen, glauben – was man tun und lassen soll…

Peter GabrielIn Zeiten wie diesen, in denen uns der räudigste Autotunescheiß als ultimatives Live-Erlebnis verkauft wird, in denen die austauschbaren Hupfsackeln uns von oben auf der Bühne herab anschaffen, was wir mit unseren Händen zu tun hätten, in diesen Zeiten der gleichförmigen Grinsklone und profitoptimierten Lächelzombies sehnen wir uns nach dem authentischen Menschen, der einfach seine Musik darbietet, weil sie ihm wichtig ist, weil sie ihn bewegt. “Ich singe, weil ich ein Lied hab, nicht weil ihr es bei mir bestellt…” Dieses Zitat von Konstantin Wecker mag uns als Motto dienen bei der Abgrenzung des Echten vom Scheinbaren. Der seelenleere Industriedreck, der uns massenmedial um die Sinne gehauen wird, kann einfach genau gar nichts. Man wird damit zugestopft und fühlt sich danach noch hungriger als zuvor. Genau darum geht es den Betreibern des Konsumismus oder “Wollt ihr die totale Abhängigkeit?” Doch Schreck beiseite, wir als Bewahrer des Originären stellen den Verdummten dieser Erde sogleich eine Entficklungshilfe für Herz und Hirn zur Verfügung. Und Peter Gabriel, der schon bei seinem Ausstieg aus Genesis das Künstlerische über das Kommerzielle stellte, ist da ein gutes Vorbild.

Wie es dazu kam? Unlängst sah ich Ausschnitte aus seiner Back to Front Tour (25 Jahre nach der erfolgreichen “So” Tornee und wieder in der damaligen Besetzung) Dabei dachte ich: “Was für einen Riesenspaß diese doch schon recht alten Gestalten da offenbar beim Herumhupfen haben. Woran das wohl liegen mag?” Einige mögliche Antworten lassen sich gewiss auch aus dieser Sendung destillieren. So man das mag…

PS. Foto/Lizenz von Jürgen Heegmann (Wikimedia Commons)

 

Dichterlandschaften

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. JuliVom Zauber der Dichterlandschaften erzählt Brita Steinwendtner in ihrem neuen Buch “Der Welt entlang”. Dazu besucht sie nicht weniger als 18 höchst unterschiedliche Gestalter_innen von Wortkunst in deren jeweiligen Lebens- und Schaffensräumen. Denn, so eine These dieses schon 2007 mit dem Band “Jeder Ort hat seinen Traum” begonnenen Work in Progress, die vielschichtige Wechselwirkung zwischen den Dichtenden und ihren Landschaften hat immer auch einen wesentlichen Einfluss auf die daraus entstehende Werkwelt. Folgerichtig müsse man die Autor_innen dort aufsuchen, wo sie leben, um so besser verstehen zu lernen, wie sie schreiben. Und genau das glückt Brita Steinwendtner in den 18 feinsinnigen Portraits ihrer Reise durch 18 verschiedene Dichterlandschaften.

DichterlandschaftenDabei herausgekommen ist ein in jeder Hinsicht dichtes Kompendium, das sich der Genrezuschreibung entzieht, weil es sich in Aufbau und Gestaltung, in Bild- und Wortwahl genauso verschieden verhält, wie die darin portraitierten Künstler_innen nun einmal ihrem Wesen nach sind. Es ist die geradezu zeituntypische Stärke dieses Unterfangens, ein so hohes Maß an Intimität zu schaffen und dabei doch nicht aufdringlich, einmischend oder respektlos grenzverletzend zu sein. Zugleich ein Zitatenschatz (sorgfältig mit Quellenangaben hinterlegt), vielfältige Einladung zum weiteren Entdecken, nachhaltig neugierigmachend, im besten Sinn verführererisch, sowohl Steinwendtners Steinbruch als auch Kreativkonglomerat, Dichtung von und mit Dichter_innen wie zum Beispiel Monika Helfer und Michael Köhlmeier, Friederike Mayröcker, Juri Andruchowytsch, Hubert von Goisern, Ilija Trojanow. Ein idealer Reisebegleiter zum Hineinstaunen in immer neue Welten oder wie es eine Nachbarin ausdrückte: “Jetzt bin ich auf Jahre hinaus mit Anregungen für meine Lektüre versorgt.” Wir haben unsererseits die Brita aufgesucht und sie ins Kunnst-Biotop gebeten, zur wechselseitigen Belebung der Dichterlandschaften

“Seit fünfzehn Jahren hatte ich diese Jandl-Mayröcker’sche Mansardenwohnung nicht mehr gesehen. Es erstaunte mich und doch auch wieder nicht: Sie sah aus wie die Wohnung im vierten Stock. Zugewachsen. Schreibhöhle und Irrgarten. Gefängnis oder Geheimnis? Edith hatte Friederike ein geschmücktes Weihnachtsbäumchen gebracht, schief stand es zwischen den Gebirgen aus Büchern, Zettetlabyrinthen und kleinen bunten Wäschekörben, überquellend mit Papierenem auch sie. Ist die Weit hier ausgeschlossen oder vielmehr hereingeholt in tausendertei gedruckte Tanderei? In den Atem lebensnotwendiger Schrift und Schriften, die sich vermehren wie das Myzel einer tropischen Pflanze? Für Friederike ist diese Verzettelung ein Lebensmuster, sie kann es ironisieren und hat selbst Angst vor den Hurrikanen aus Staub.”

Aus Der Welt entlang” (Besuch bei Friederike Mayröcker)

 

Weltenreisende

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. April“Kunst ist ein Brückenschlagen von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent, von Mensch zu Mensch.” Unter diesem Motto begegnen wir der Lyrikerin und Malerin Gerda Steingruber-Schaffler, die als eine echte Weltenreisende zwischen den verschiedensten Kulturen unterwegs ist und solch von ihr selbst beschriebenes Brückenschlagen in ihrer Kunst wiederspiegelt. Folgerichtig heißt dann auch ihre Gemeinschaftslesung mit Christopher Schmall am Diestag, 25. April im Literaturhaus “Brückenschlag” (Beginn 19:30 Uhr), naturgemäß mit afrikanischer Musik und einem kleinen Buffet. Beim Essen nämlich kommen die Leut zsamm! Und so freuen wir uns ebenfalls auf ein anregendes Live-Gespräch im Studio, denn: “Wenn jemand eine Reise tut, so kann er, oder eben sie, uns sicher was erzählen.”

WeltenreisendeLaut ihrem Portrait (Künstlergilde Freilassing) unternahm sie etwa schon Reisen mit dem eigenen Land-Rover, nach Afghanistan, Pakistan, Indien, Iran, Türkei, Griechenland, Syrien und Algerien sowie Rucksack-Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Sri Lanka, Thailand, Kenya, Ghana, Burkina Faso, Togo und Äthiopien. Fürwahr eine beachtenswerte Sammlung von Stationen, dazu noch Ausdruck eines künstlerischen Lebenswegs. Nun haben wir zwei Radiohasen uns auch des öfteren mit dem Thema des Unterwegsseins beschäftigt, unsere andere Sendereihe nennt sich sogar eine “musikliterarische Gefühlsweltreise” und verhandelt On The Road vom Reisen bis zum Auf der Flucht sein. Ganz gleich, ob innere oder äußere Fahrt, ob Ankommen oder Abschiednehmen, ob Heranwachsen, Werden oder Vergehen, sind wir nicht alle Weltenreisende unserer jeweiligen Lebensgegend? Und sind wir nicht vor allem immer auch unterwegs zu uns selbst wie zu unserem Gegenüber? Deshalb ist jeder einzelne Aspekt und jede noch so kleine Anekdote aus unserem Reiseleben so wertvoll, dass es sich auszahlt, diese Erfahrungen auszutauschen.

“Leben ist Brückenschlagen über Ströme, die vergehn.” (Gottfried Benn)

 

Horses

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. AprilZu Gast im Kunnst-Biotop sind diesmal zwei Menschen, die uns unlängst ein Stück Theater dergestalt um die Sinne geworfen haben, dass es immer noch in uns nachbebt. Und so etwas finden wir sehr angenehm! Katharina Shakina und Kilian Bierwirth, derzeit Schauspiel-Studierende am Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum, verschmelzen in Horses, inspiriert von Patti Smith nachgerade mit selbiger sowie mit deren Freund und Projektpartner Robert Mapplethorpe und erzeugen so auch einen unglaublich intensiven Eindruck jener Zeit (die späten 60er und frühen 70er Jahre), in der die zwei Multikünstler zusammenlebten. Wobei “zusammenleben” nur eine höchst unzureichende Beschreibung für das ist, was ihrem wechselseitigen Musentum alltäglich (und allnächtlich!) alles entsprang…

Horses der Anfang“Zwei junge Menschen treffen sich in New York. Sie kommen aus unterschiedlichen Richtungen und wollen in der Stadt ihrer Träume ein eigenes Leben beginnen.

Sie verbindet sofort eine Seelenverwandtschaft, die alles Denkbare übersteigt. Ihre Liebe und ihr Vertrauen lassen sie zu den Menschen und Künstlern werden, die sie immer sein wollten.”

Soweit der Begleittext des facettenreichen, vielschichtigen und immer wieder voll abgedrehten Bühnenstücks Horses, das sich im Gespräch mit Regisseur Tom Müller kaum überraschend als Adaption von Patti Smiths autobiographischem “Just Kids” herausstellt. Unser Lieblingssatz und zugleich der hypnotische Lockruf ans Theater ist jedenfalls: Gemeinsam kämpfen sie gegen die brutale Realität da draußen und bauen sich ihre eigene.” Das kommt uns irgendwie unheimlich bekannt vor. So wie viele der einander jagenden und ineinander überfließenden Szenen für uns ganz großes Kino sind: Aufbruch und Abgrund und ambivalentestes Wiedererkennen. Die Mehrdeutigkeit des eigenen Seins zwischen Selbstheit und Kunstfigur. Und das noch im Schleudergang aus Text, Bild, Film, Tanz, GesangDas volle Drama!

Horses der AbgrundDabei darf man nicht etwa annehmen, es handle sich hier um billiges Bedienen allzu bekannter Prominentenposen oder hektisches Haschen nach erwartbaren Effekten. Das Gegenlicht ist der Fall: Da wirbeln Hell und Dunkel über die Bühne, ringen Über-Ich und Underground um die Seelen dieser “Kids”, feiern Yin und Yang ein existenzialistisches Rasiermesserreiten, dass einem ganz bizarr zumute wird vor lauter offenen Fragen. Pop? Gott? Sexualität? Wir können zwar immerhin nach eineinhalb Stunden wieder nachhause gehen – doch was wartet dort anderes auf uns als die eigene Zerbrechlichkeit angesichts menschenfressender Ideologien?

Baby calm down, better calm down,
On the night, in the eye of the forest
There’s a mare black and shining with yellow hair,
I put my fingers through her silken hair and found a stair,
I didn’t waste time, I just walked right up and saw that
Up there, there is a sea
Up there, there is a sea
Up there, there is a sea
The sea’s the possibility
There is no land but the land (Up there is just a sea of possibilities)
There is no sea but the sea (Up there is a wall of possibilities)
There is no keeper of the key (Up there there are several walls of possibilities)
Except for one who seizes possibilities, one who seizes possibilities. (Up there)
I seize the first possibility, is the sea around me
I was standing there with my legs spread like a sailor
I felt his hand on my knee (On the screen)
And I looked at Johnny and handed him a branch of cold flame (In the heart of man)

Textauszug: Patti Smith – Land (von ihrem Debutalbum Horses 1975)

PS. Zur Entwicklung des Albums Horses aus Pattis frühen Poetry-Performances (nebst Roberts Mitwirken daran) gibts weiterführende Informationen in diesem Artikel.

Die weiteren in der Sendung besprochenen Termine im Theater im Kunstquartier:

Hotel Savoy – Belly of Hell (nach Joseph Roth) in der Regie von Tom Müller, am Donnerstag, 27. 4. um 20 Uhr (Premiere) sowie Dienstag, 2. 5. und Mittwoch, 3. 5. jeweils auch um 20 Uhr.

Horses (in gekürzter Fassung): Montag, 24. 5. sowie Mittwoch, 26. 5. um 20 Uhr.

 

Die wahren Abenteuer sind im Kopf

Artarium am Sonntag, 26. März um 17:06 Uhr (ACHTUNG Sommerzeit)70 Jahre André Heller – und für uns eine gute Gelegenheit, einigen Aspekten seines überaus vielschichtigen Schaffens nachzuspüren. So wiederhallt etwa der titelgebende Satz aus einem seiner bekanntesten Chansons wöchentlich schon seit 8 Jahren in unserer Artarium-Signation: “Die wahren Abenteuer sind im Kopf, in euren Köpfen, und sind sie nicht in euren Köpfen, dann suchet sie!” Es handelt sich hierbei um den Schluss einer Neu-Interpretation von The Waxolutionists aus dem Dreifachalbum Ruf und Echo, von uns liebevoll garniert mit dem Warnhinweis “Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen sie die Packungsbeilage und fragen sie ihren Arzt oder Apotheker.” Denn fürwahr, es sind echte Abenteuer in unseren Köpfen, und die sind ebenso bereichernd wie gefährlich.

Abenteuer StimmenhörenNaturgemäß können (und wollen) wir in einer knappen Stunde kein Portrait dieses hierzuland unübertroffen  genresprengenden Multikünstlers zeichnen, das in irgendeiner Form umfassend oder vollständig wäre. Die Anekdoten und Seelensplitter zu seiner Person sind ja inzwischen nachgerade unzählig. Hingeneigten Enzyklopäden der Lebensspur sei zu diesem Behufe die Biographie Feuerkopf von Christian Seiler an ihr bebend Herz gelegt, sie versammelt in dieser Hinsicht Mannigfaches. Wir hingegen konzentrieren uns auf jene Abenteuer des André Heller, die auch in unseren Köpfen stattfinden. So wie Inspirierendes aus seinen frühen Liedern und Texten, “Goschertes” aus seiner Zeit als Radiomacher, oder geradezu Prophetisches, als er einst im Café Hawelka den Autor_innen der Wiener Gruppe verkündete “Bob Dylan ist der Rimbaud des 20. Jahrhunderts!” So kanns gehen. Und noch einen Berührungspunkt mit Ärzten und Visionen gibt es – das politische Engagement im Sinne einer gesellschaftlichen Entwicklung hin zum Gerechten und Gewaltfreien. Seine Freundschaft mit Bruno Kreisky überdauerte auch ihre zunehmenden inhaltlichen Kontroversen. Als Widmung auf ein gemeinsames Foto schrieb dieser: “Der alte und der junge Rabbi beim Klären”

Dazu auch unsere Sendung “Shades of Red – 100 Jahre Bruno Kreisky” (Jan. 2011)

Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit
trägt wirklich ein Forellenkleid
und dreht sich stumm, und dreht sich stumm
nach anderen Wirklichkeiten um

André Heller – Die wahren Abenteuer sind im Kopf

 

DAS LYRISCHE WIR – TENEBRA

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. MärzVor genau 79 Jahren “döppelte der gottelbock mit hünig sprenkem stimmstummel pirsch!” nämlich “von Sa-Atz zu Sa-Atz” und “den weibern ward so pfingstig ums heil zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte” Soweit Ernst Jandl in dem genialen Gedicht wien : heldenplatz, worin er seine an jenem 12. März 1938 als 12-jähriger selbst gesammelten Eindrücke verarbeitet. Es war jener Tag, an welchem der später als Gröfaz bekannte schnauzbärtig deutschdeutsche Hupf- und Brüllkasper aus Braunau pathetisch die Einverleibung seiner “Heimat” vermeldete, während es dabei “im männechensee balzerig würmelte”. Soviel erst einmal zum historischen Bezug dieser Sendung, in der das hervorragende Album TENEBRA aus der Wort- und Klangwerkstatt der so vielseitigen ONchAIR Bros. vorgestellt wird.

tenebra“Mit dem Album starten wir in den Zyklus Das lyrische Wir: Gedichte aus verschiedenen Epochen, inhaltlich einem übergeordneten Thema entsprechend, interpretiert in Stimme und klassischer Musik”. So liest sich die Selbstbeschreibung des ambitionierten Projekts der beiden Styrnol-Brüder aus Lahr im/am Schwarzwald auf ihrer gut durchstrukturierten Homepage. Und es ist nur eines von vielen, neben Filmen wie “Der geflohene Boxer” oder “Winter in Lviv” (Ukraine) gibt es noch allerlei Glossen, Hörspiele und Radioserien wie zum Beispiel die legendären “Momente des Sports”, deretwegen unser länderübergreifendes Zusammenwirken ursprünglich begann. Deutschland ist eben nicht Österreich (oder umgekehrt), doch das kreative Myzel der wechselseitigen Inspiration unterwuchert naturgemäß jede gesetzte Grenze (zwischen Genres, Generationen oder Weltgegenden), so dass auch auf friedlichem Weg ein sprichwörtliches Best of Both Worlds entstehen möge! Vorläufiger Höhepunkt dieser Kunnst-Fertigkeit ist nun TENEBRA, wo nicht nur Texte von Matthias Claudius, Friedrich Nietzsche, Paul Celan und Marie Luise Kaschnitz zu ebenso zeitlosen wie zeitgemäßen Melodramen ver-be-arbeitet wurden, sondern auch “letzter wille” aus dem Gedichtband seelen.splitter von Christopher Schmall:

wir haben uns zu tode verwaltet
und alles brav protokolliert
sind uns am ende selbst im weg gestanden
und erklärten uns zum feind

Geschrieben für und gelesen in “Sarajevo, nicht nur 1914” (ab Min. 22:15 gut zu hören)

Und hier die Liste aller im Album TENEBRA dargestellten Texte (mit Entstehungsjahr):

01 Hiroshima – Marie Luise Kaschnitz 1957
02 Letzter Wille – Christopher Schmall 2014
03 Vereinsamt – Friedrich Nietsche 1887
04 Todesfuge – Paul Celan 1944-45
05 Kriegslied – Matthias Claudius 1778
06 Arabeske zu einer Handzeichnung von Michelangelo – J.P. Jacobsen 1873
07 Der Gefangene – Rainer Maria Rilke 1906
08 Das Lied der Verzweiflung – Pablo Neruda 1924
09 Im Klang der Nacht – Albert Vöhringer 2011
10 Traurigkeit – Hermann Hesse 1944

 

Bettie Serveert – Venus in Furs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Februar“Bettie Serveert plays Venus in Furs and other Velvet Underground Songs” heißt der tatsächliche und auch unsäglich lange Titel des ganzen Albums, welches wir vorzustellen die durchaus erhebliche Freude haben. Denn auf unserer Suche nach besonderen, gelungenen oder sonstwie aus dem Standardsumpf kommerziösen Nachklapperns herausragenden Coverversionen haben wir ja schon jede Menge Scheißdreck nicht angehört (oder halt nur fast). Dabei fällt auch auf, dass die sonst so hyperaktiv hechelnde Zuplärre der üblichen Industrie-Promotoren sich genau dort lauthals ausschweigt, wo unserwelchen außerohrentliche Variationen der interpretativen Genussküche entgegenschwelgen. Soll heißen, dass kaum irgendwo verhandelt wird, was nicht auf die Seichtbahn des Schachterlns passt.

Bettie Serveert ArtworkSo auch im Fall der längst arrivierten und dabei überaus schaffensfrohen Indie-Band Bettie Serveert aus den Niederlanden. Anbei Aufnahmen aus ihrem Video Had2Byou – produziert von Tinca Veerman und Hannelore De Decker. Zum gegenständlichen Cover-Album mit den 1997 live im Paradiso aufgenommenen zehn Velvet-Underground-Songs findet sich kaum ein etwas Substanzielles aussagender Artikel. – Halt, doch, dieser hier auf INK19 sagt sogar etwas höchst Interessantes zum Thema Coverversionen im allgemeinen aus: “…at least I know what it is about these Dutch and Belgian bands I like.Despite a willingness to stick to traditional guitar/bass/drum forms, the bands seem to have a unique melodic character that sets them apart from British and American counterparts, using these tried-and-true formulas as a basis for experimentation, rather than simply parroting what’s cruising up the charts.”Parroting bringts aber sowas von auf den Punkt! Ich übersetze es daher mit “nachpapageien” und es versinnbildlicht mir augenblicks, was ich speziell auch im österreichischen “G’schäft” oft so unsäglich vermisse. Just neulich fiel mir da wieder einmal entsetzlich entgegen, was für schlechte Schauspielchargen die hiesigen Provinzpoptrotteln doch sind. Dann schon lieber was Wesentliches: Bettie Serveert – gut zu hören.