Wir ficken euch, Oida!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. August “Wissen sie, wie wir reden zuhause? Wissen sie nicht! Weil – mit ihnen reden wir nicht so. Weil sie sind unsere Arbeitgeber. Aber wollen sie wissen, wie wir untereinander reden? Wollen sie den serbischen Originalton einmal wirklich übersetzt hören? Wir ficken euch, Oida! Sehen sie, wie unangenehm ihnen das ist?” Zu diesem sprachlichen Höhepunkt postjugoslawischer Völkerverständigung steigert sich Malarina in ihrem Soloprogramm “Serben sterben langsam” empor, mit dem sie letzten Sommer auch schon in Salzburg zu Gast war. Ficken kann ja – je nach Kontext – vielerlei bedeuten. Und seit der Frage, ob man das auf einer CD überhaupt sagen darf, ist so viel Freiheit den Bach runter geflossen, dass wir endlich einen Sendungstitel damit garnieren können. Freies Radio, Oida!

Wir ficken euch, Oida!Mit ihrer konsequent angewandten Satire trägt Malarina mehr zum Verständnis untereinander bei als irgendein Politkasperltheater, das den Begriff “Integration” vor sich her vergewaltigt. Gerade in Zeiten weltweiter Kulturzerstörung durch die “Diktatur des Konsumismus” (Pasolini) kann das Herumreiten auf überspitzten Klischees dabei helfen, sich selbst und die anderen noch zu erkennen. “Die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit entstellen.” So wird der Zweck von Satire beschrieben. Und wenn man sich im Erkennen selbst (wieder) spürt, dann ist der Weg zum Einfühlen in andere auch nicht mehr so weit. Wohlgemerkt, hierbei geht es um aus sich selbst heraus entwickelte Gefühle und nicht um antrainierte gefühlsähnliche Reflexe, die durch die jeweils passenden Schlüsselreize abgerufen werden, genauso unwillkürlich wie ein plötzlicher Rülpser. Letztere zu entlarven als hinterfotzige Mechanismen der Massenbeeinflussung, meist durch rechtsextrem konservative Soziopathen und Glaubensgemeinschaften, das gelingt ihr elegant – etwa mit ihrer serbisch-österreichischen Geschichtsstunde”.

Es ist nämlich unendlich kostbar, sich in jemand anderen “einzufühlen”, sich mitsamt seiner eigenen Welt einer anderen Welt anzuverwandeln, ein Geschenk der Liebe zu sein inmitten von feiger Berechnung. Sich über die Fesseln der Konvention zu erheben und der fremdelnden Welt ein Gemeinsames darzuleben, indem man deren Klischees dem erlösenden Lachen anheim stellt. Und um die Völkerverständigung dieser erfrischenden Frau unserem Wesen nach weiter zu betreiben, fügen wir das Antikriegslied eines Kroaten sowie eine Hymne auf die Albanien-Nostalgie hinzu …

Oder wie Sebastian Kurz gesagt hätte: “Ich habe die Balkontüre geschlossen.” Oida!

 

Die Schatzinsel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. August – Schon seit einigen Jahren erklingt an jedem dritten Sonntag im Monat im Anschluss an unser Artarium eine Sendung namens “Gitarre und Meer: Eine Seereise mit Captain Carsten”. Und fast immer, wenn wir da noch ein Weilchen zuhören, entdecken wir die eine oder andere Perle, die uns angenehm überrascht. Denn von einem, der auszog, im Musikum Mattsee Gitarre zu lehren, (und darüber hinaus mit konzertantem Flamenco auftritt) haben wir kein so weites Spektrum an Musikstilen erwartet, wie es sich da immer wieder aus dem Radio heraus entfaltet. Grund genug, den geheimnisvollen Captain (der auch noch tatsächlich von der norddeutschen Küste herstammt) auf unsere Schatzinsel einzuladen. Die Perlentaucher sind halt neugierig auf alles, was Resonanz erzeugt.

Die SchatzinselWährend der Hase diesmal mit dem Glücklichmachen von Festspiel-Mitwirkenden beschäftigt ist, werde ich mit dem Captain gemeinsam ein paar versteckte Schätze heben, die uns vielleicht vertraut sein mögen, doch im Zusammenspiel von Musik- und Lebensgeschichte einige ganz neue Aspekte gewinnen können. Zu One Hundred Years von The Cure etwa fiel dem Captain (in Erinnerung an allerlei ”scheinbar apokalyptische Klänge” aus seiner Jugendzeit) folgendes ein: “Markant ist musikalisch immer die erbarmungslose kleine Sekund abwärts, die den Song aussichtslos erscheinen lässt. Wie auch schon bei Astronomy Domine von Pink Floyd. Syd Barrett hat das bei Gustav Holst – Die Planeten (Mars der Kriegsbringer) entliehen.” Ham wir mal wieder was gelernt! “Ein Musiklehrer halt.”, stellte der Hase zutreffend fest. Und ich fand wieder einmal heraus, wie gut das wiederholte Anhören gerade bei repetitiv minimalistisch geprägter Musik ist, um deren Sinn zu erfassen.

Doch keine Angst – das wird hier keine Musikfachsimpelsendung. Vielmehr wollen wir den sympathischen Kollegen von der “Sendung nach uns” einmal kennenlernen – und euch sein sehr offen und assoziativ gehaltenes Sendungskonzept vorstellen, das dem unseren durchaus wesensverwandt ist und diesmal als “Captain Carstens Capriolen 2” stattfinden wird. Eine Sendung, die den Musikgenuss mit interessanten Anekdoten und Hintergrundwissen anreichert und zu einer bekömmlichen Mahlzeit (mit Zutaten aus allen sieben Weltmeeren) zusammenkomponiert. Wohl bekomms

Die Salzburger Strandpiraten im Strom der Kulturgezeiten bitten zu Omnomnom!

 

With Every Breath

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. August“Shabbat Shalom!” – Wirklich? An einem Sonntag? Pardon, unsere Sendung findet halt programmgemäß immer an einem Sonntag statt. Und nachdem sie danach zeitlich unbefristet nachzuhören ist, kann das ganze Album “With Every Breath – The Music of Shabbat” freilich auch zu solcher Gelegenheit angewandt werden. Die darin enthaltenen Titel widerspiegeln nämlich allesamt die Tradition der Shabbat-Liturgie nebst chassidischen Liedern in zeitgemäß zugänglicher Verbearbeitung, mit viel Leidenschaft und Kunstverstand vorgebracht von der Synagoge “B’Nai Jeshurun” aus New York. Aufgenommen, abgemischt und herausgebracht hat dieses stimmungsvolle Kleinod der ebenfalls in New York ansässige Musik-Club “Knitting Factory” mit hauseigenem Label

With Every BreathSeinen Weg in unsere Ohren fand es durch die geschätzte Kollegin Mirjam Jessa (eine jener Stimmen, die der Stimmung gerecht werden) 1999 in der von ihr mitbegründeten Ö1-Sendereihe “Spielräume”. Es war dazumals noch einigermaßen umständlicher als heute, sich ein Album von einem Indie-Label aus den USA einfliegen zu lassen, doch die darauf enthaltene wegweisende Kulturgrenzauflösung war aller Bemühung wert. So bringen wir jetzt diesen weithin unbekannten Schatz wiederum anderen zu Gehör, auf dass die Welt rund um unser akustisches Einflussgebiet ein Stück schöner wird. Wie wir auch die Gedanken eines gewissen Rabbiners aus Nazareth weiter entwickeln können, in diesem Fall etwa zu: “Liebe deine Übernächsten!” Apropos Rabbiner, die B’Nai Jeshurun Synagoge ist da wohl mit zwei besonders kreativen Exemplaren gesegnet, Rabbi José Rolando Matalon und Rabbi Marcelo Bronstein, die auf diesem Album auch sprechsingend zu erleben sind. Und deren Hazzan (Kantor) Ari Priven zeichnet für die vielschichtigen, vielstimmigen und vielfältigen Musikdarbietungen verantwortlich. Alles in allem vom Glück verfolgt, heißt es bei André Heller. Alles in allem hörenswert, heißt es bei uns.

“Wenn du glaubst, dass Gott existiert, aber nicht entsprechend handelst, verhältst du dich wie jeder andere Gläubige. Das ist nicht besonders interessant. Wenn du nicht an Gott glaubst und dich verhältst, als ob es ihn nicht gibt, dann bist du ein säkularer Philosoph… Interessant wird es aber, wenn man die beiden Positionen in einem Paradox verknüpft. Also in der humanistisch agnostischen Haltung, wonach ich glaube, dass es keinen Gott gibt, aber ich mich um der Tradition willen so verhalte, als ob er existierte. Ganz verrückt wird es dann mit Kirkegaard, der eigentlich sagt: Ich weiß, dass es Gott gibt – aber ich verhalte mich so, als ob er nicht existiert.” Slavoj Žižek

Trauen wir uns über unsere gewohnten Grenzen hinaus: Rettung lauert überall.

 

Kreisler singt Kreisler

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. JuliGratulieren? Papperlapapp! Zumal wir sicher nicht “das offizielle Österreich” sind. Wir freuen uns einfach, dass dieser Georg Kreisler (vor nunmehr 100 Jahren) in unsere Welt gekommen ist und uns im Verlauf seines Lebens mit den abgründigen Kostbarkeiten seiner Lieder und Texte berührt hat. Und immer wieder auch aufgerichtet, wenn wir am eigenen leidenden Leben zu verzweifeln anfingen. Denn “du bist nicht allein” ist eine immens tröstliche Erfahrung, wenn einem die Mehrheitsnormalitäter seiner Hoppladochnichtheimat das Verurteil des Nichtdazugehörens einbläuen, wegen wasauchimmer für einem ideologischen Scheißdreck. Wir sind alle längst abgeschafft und leben gegen das Zerquetschtwerden des Lebendigen an. Trotz alledem. Auch darum lieben wir ihn.

Georg KreislerUnd darum taucht er immer wieder an entsprechender Stelle in unseren Radioarbeiten auf. So zum Beispiel am Wohlfühlfriedhof, bei Nikolaus Habjan und Franui oder überhaupt beim Erinnern an andere Episoden des angewandten Antisemitismus in Salzburg und Österreich. Einmal abgesehen vom zeitgeschichtlichen Hintergrund ist da noch eine andere Wesensverwandtschaft, die es zu würdigen gilt, nämlich die Eigenart, allen Widerlichkeiten der eigenen Lebenserfahrung auf so kreative Weise zu begegnen, dass etwa die taz zu seinem 100. Geburtstag titeln konnte: “Die Kunst hat ihn gerettet.” Und mit der ihm eigenen Feinfühligkeit landet Georg Kreisler auf seiner immerwährenden Suche nach der möglicherweise doch (für alle Beteiligten) irgendwie “besseren Welt” unausweichlich bei der radikalen Ablehnung “jedweder Herrschaft von Menschen über Menschen”, von staatlichen Besitzansprüchen, die auf der Idee von Eigentum beruhen. Das kann – angesichts der apokalyptischen Weltsituation – auf die Dauer nur frustrierend sein. Einen “verzweifelt Liebenden” nannte ihn Konstantin Wecker.

Sandra Kreisler, die wir als Wortfrontfrau kennenlernen durften, hat nach längerem Zögern 2003 einige der für sie bedeutsamen Lieder ihres Vaters neu interpretiert und ihnen so eine weitere Dimension von Zeitlosigkeit hinzugefügt. Besonders “Meine Freiheit, Deine Freiheit” ist uns als eine jener Coverversionen begegnet, die das Original an Originalität geradezu übertreffen. Exzellentes Klavierspiel von Jochem Hochstenbach verschmilzt da mit Sandras feinstem “Acting while Singing”. Mehr dazu kann man/frau in diesem wieder hervor gespülten AVIVA-Interview erfahren.

Sandra Kreisler kann ihrem Vater also nicht nur das Wasser reichen. Sie kann auch durchaus darin umrühren.

Naturgemäß

 

Flowerpornoes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. JuliEin Bandname zum Verlieben: Flowerpornoes – die logische (und durchdachte) Weiterführung von Blümchensex zum Breitwandvideo. Und ein Albumtitel, der mich auch augenblicks in seinen poetischen Bann zieht: “Wie oft musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?” In den 80ern, als Tom Liwa (noch vor Blumfeld etc.) auf Deutsch zu texten und singen begann, hab ich das (wie so vieles in den 80ern) nur am Rand mitbekommen. Als aber 2007 nach über 10-jähriger Bandpause das Album zur tiefgründigen Wiedervereinigung der immerwährenden Kultband herauskam, da war ich bereiter für jene lyrisch verklausulierten Offenbarungen, die das Schaffen rund um diesen so rätselhaft vertraut wirkenden Tom-Liwa-Kosmos ausmachen.

FlowerpornoesAuf der Suche nach erhellendem Begleitmaterial stieß ich auf der Seite des Hamburger KNUST auf einen außergewöhnlichen Text zu Tom Liwa, der unter anderem das früher schon von Peter Gabriel eingeforderte Gleichgewicht aus Verborgenem und Hergezeigtem hervorstreicht, das jeglicher guten Kunst zugrunde liegt. Oder, wie ich das auch formulieren würde: “Liebe ist ein angewandtes Paradoxon.” Der Autor dieser sehr lesenswerten Betrachtungen dürfte der Erlanger Musiker Peter “Point” Gruner (und nicht Gruber) sein der uns mit seiner Band “Die Spielverderber” einen schönen Song über Verschwörungstheorien und Esoterikgeschwurbel dargebracht hat: “Ich hab das Licht gesehen”. – Weil der so wissend und einfühlsam über das Entstehen von Tom Liwas Texten und Liedern zu schreiben versteht, zitiere ich ihn hier ausführlich:

“Wie oft musst du vor die Wand laufen bis der Himmel sich auftut? Eine Textzeile und ein Albumtitel, der für Tom Liwa mehr sein dürfte als nur eine rhetorische Frage. Das Suchen, das Hinterfragen, die Sehnsucht nach Vollkommenheit treibt die Kunst im Allgemeinen an. Und Tom Liwa im Speziellen. Wobei man sich den Duisburger Sänger und Songschreiber, diesen vielschichtigen Spielmann, Dichter und Philosophen, diesen Traumtänzer und Traumdeuter kaum vorstellen kann, wie er sich zornig, mit blutiger Stirn, gegen unnachgiebige Widerstände wirft. Eher läuft er um die Wand herum, springt drüber oder spaziert einfach mitten durch – sind die Dinge doch selten das, was sie scheinen.

Und genau das ist es auch, was Tom Liwa, seit er Mitte der Achtziger Jahre mit den Flowerpornoes auf der Bildfläche erschienen ist, bis heute so faszinierend macht: Man kriegt ihn einfach nicht zu fassen. Es gibt kaum einen deutschen Songschreiber, der in seinen Liedern so viel von sich preisgibt und dennoch so rätselhaft bleibt. Zu offenen, schwebenden Gitarrenakkorden vermengt er Autobiografisches mit surrealen lyrischen Bildern, die oft wie eine Brücke wirken zwischen dem Bewussten und dem Unterbewussten. Wenn Tom Liwa von den Schauplätzen seiner Kindheit und Jugend singt, dann klingt das nicht nostalgisch, sondern vielmehr wie ein Eintauchen in den großen, unergründlichen Strom der Zeit, in dem es keinen Unterschied gibt zwischen Gestern, Heute und Morgen, zwischen Geburt und Tod. Singt er von der Liebe – und das tut er fast immer, auf die eine oder andere Weise – dann kann das angesprochene Gegenüber eine Frau sein, genauso gut aber auch ein höheres Selbst oder der innere Schweinehund.

Vermutlich trifft auf Liwa das Gleiche zu, was der Humorist Wiglaf Droste mal über Van Morrison geschrieben hat. Dessen Gesänge seien “Zwiegespräche mit seinem Gott, die manche Leute als Songs missverstehen”. Dass ihm dabei nicht mal halb so viele Menschen zuhören wie er verdient hätte mag ihn kränken oder ihm egal sein. Tom Liwa wird so oder so weiter bergeweise Songs schreiben, wird weiter mit Skepsis und Anteilnahme, mit Liebe und Spott auf die Welt und seine eigenen Befindlichkeiten blicken, wird seinen inneren Kosmos immer wieder neu vermessen, nur um festzustellen, dass er genauso begrenzt wie grenzenlos ist. Und wird uns einen Spalt weit die Tür öffnen zu einer Welt, die immer genau so schön ist, wie wir sie uns erträumen.”

 

God Shave The Queen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. Juni – Der bis zuletzt ruhelose Punkdirektor in Ruhe gibt bekannt: Die sich inflationär überschlagen habende Berichterstattung zum “Diamantenen Thronjubiläum” einer gewissen Elisabeth von England war von einigermaßen nervenziehender Überdosiertheit. Rülps. Bin ich denn der einzige, dem bei ­“Thronbesteigung” irgendwie anstößige Vorstellungen in den Sinn geraten? So wie “gelang unserem Kaiser die erfolgreiche Erstbesteigung seiner Gemahlin” oder dergleichen. Naja, uns ist die royale Namensvetterin aus der eigenen Exmonarchie immer noch sympathischer als die spleenige Teetante mit den Hüten. Sie zelebrierte schließlich ihren Überdruss mit dem goldenen Käfig in Gedichten als Elisabeth von Österreich. Nichts desto und zum Trotz widmen wir der Queen einige Assoziationen.

God Shave The QueenBeim ersten Mal war Paddington Bear beim Tee noch ziemlich witzig, doch nach dem dritten öffentlich-rechtlich verordneten Einlauf des süßlichen Sedativs und erst recht nach dem bombastmartialischen Aufmarsch der Stadionrocker gab es nur mehr eine mögliche Antwort: Chumbawamba, The Sex Pistols und Laibach. Das sollte uns, denke ich, zu denken geben. Oder nicht? Egal. Ein Pottpurree zum Jubilierium soll hier angerichtet sein – nicht ohne Empire, Imperium, Imperialismus und ähnliche Ableitungen aufkommen zu lassen. Warum heißen Tantiemen in England Royalties? Weil wegen den Royals? Realitätenbüros? Realitäter? Real Madrid? Ein Weltreich, soweit die Welt reicht? Ein Volk, ein Reich, ein Weltmarkt? Gebt mir ein Leitbild für die Welt! Laibach ver(be)arbeiten Queens “One Vision” zum deutsch-slawischen Heimatfilm. Coverversionen sind überhaupt eine Quelle der Ironie: Rammstein etwa – von Laibach oder von Grandma’s Smuzi.

Wozu oberhaupt ein Staatsüberhaupt? Herrscher beherrscht Untertanen, egal ob von Gottes, Marktes oder sonstwie Gnaden. Regie wär ja gut, Gierung geht immer auf unser aller Kosten, Oligarch, leck mich am Arsch! Die eiserne Lady sagte einst: “There is no such thing as society.” Und unser Ohrwaschlkaktus: “Ich sehe Licht am Ende des Tunnels.” Es kommt nicht darauf an, dass “da oben” keine Wahnsinnigen herumregieren (weil dieses “da oben” scheint die Vollpsychos magisch anzuziehen), sondern darauf, dass wir alle eine “herrschaftsfreie Gesellschaft” sein können

Zurück nach England. Oder in die Ukraine: Sweet Dreams are made of this…

Futsches Reich!

 

Republik der Taubheit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Juni“Jetzt begreif ich erst so richtig, WAS dieser Krieg in der Ukraine ist – und WIE sich das anfühlt.” Das war einer der ersten Gedanken, die in mir hervorblitzten, als ich aus diesem komprimierten Gefühlsfilm wieder aufgetaucht war, den die “Republik der Taubheit” von Ilya Kaminsky in mir ausgelöst hatte. Dieses gerade mal 100 Seiten starke Stück Universalpoesie strotzt geradezu vor poetischer Kraft und feiert in all seiner Zärtlichkeit das unbeugsame Leben inmitten von Tod und Zerstörung. Es ist dem lyrischen Mundhandwerk von Anja Kampmann zu verdanken, dass “Deaf Republic” nun auch für deutsche Ohren erlebbar ist. Wir freuen uns sehr darauf, eine so überaus wirkmächtige Dichtung hier vorstellen zu können – und empfehlen diese auch entschieden zur eigenen Lektüre!

Republik der TaubheitZur Einstimmung in dieses Ausnahmebuch lesen wir mit freundlicher Genehmigung des Hanser Verlags einige Auszüge daraus vor, die wir mit ebenso ab- wie hintergründiger Musik von Hildur Guðnadóttir kontrastieren. Und (unserer Natur gemäß) erzählen wir von unserer Reise durch dieses Buch, das ein so anrührendes, zutiefst erschütterndes, geheimnisvolles, lustvoll kichernmachendes, lebenskluges, metaphernreiches, sprachlich souveränes, tiefgründiges, verletzliches und verletzendes und letzten Endes ein mehr als vielschichtiges Erlebnis ist, das in seiner schlichten Komplexität jedwede Genrezuordnung sprengt. Nicht einmal Selbstgeschöpftes wie “kollektivpsychedelischer Roadtrip” oder “immersivlyrisches Multifunktionsdrama” könnten den hier von uns festgestellten Auswirkungen gerecht werden. Man muss es selbst zu sich nehmen, sich auf die Erfahrung einlassen, damit man da auch nur ansatzweise mitreden kann. Alles andere wäre in etwa so sättigend wie das sprichwörtliche erzählte Abendessen. Umso erfreulicher, dass sogar der öffentlich-rechtlich diensttuende Germanist und Literaturkritiker diesen Umstand würdigt: Thomas Strässle hier in der 3sat Kulturzeit vom 9. Juni (Buchvorstellung ab 07:49 und Würdigung ab 15:03 Minuten). Chapeau!

Doch der Mann ist immerhin auch Musiker, das könnte seinen Zugang zu Kaminskys eigenwilliger Singsprache befördert haben: “We lived happily during the war”. Anja Kampmann, die selbst mit Komponist*innen zusammen arbeitet, hat darüber hinaus wohl noch andere Berührungspunkte: dnipro. “Stille ist eine Erfindung der Hörenden. Stille existiert nicht für Menschen, die nicht hören können. Sie haben keine Vorstellung davon.”, sagt Kaminsky, der 12 Jahre seines Lebens als fast vollständig Gehörloser verbrachte. Was mag dann der legendäre “Sound Of Silence” bedeuten?

Unsere Sendung soll jedenfalls auch diesmal nicht ohne Verbundenheitsgruß an die ukrainischen Kulturschaffenden enden: Die Coverband Grandma’s Smuzi hat den Cranberries-Hit Zombie in ukrainischer Übersetzung neu aufgenommen – und mit einem kongenialen Video ausgestattet. Das Prophetische tritt zunehmend aus den Randbereichen der Wahrnehmung ins Rampenlicht des Weltgeschehens. Oder, um es als ein Fazit in die Republik der Taubheit zu schreiben: “Das Leben lebt – ungeachtet des Untergangs.”

PS. Eine sehr nuancenreiche Lesung von Johannes Wördemann (der vierminütige Ausschnitt mutet fast wie ein Hörspiel an) findet sich hier im SWR-Literatur-Podcast.

 

Florence + The Machine

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. JuniDiesmal empfehlen wir euch das unlängst erschienene Album “Dance Fever” von Florence and the Machine. Nicht alles, was international erfolgreich ist, wird von hinterfotzigen Profitalgorithmikern zurechtvermarktet und bleibt doch bloß flüchtige Behübschung des Immergleichen und autogetuntes Plemplem für den Hupfzirkus der Flachbildhirne. Es handelt sich hierbei im Unterschied um ein höchst poetisches Musikprojekt, das sein Publikum auf der ganzen Welt anspricht – ohne den Anspruch auf Bewusstseinserweiterung jemals aufzugeben. Darum geht es uns – diese Einladung zu einer inneren Reise in die noch unerforschten Gebiete des eigenen Seins anzunehmen – und weiterzugeben. Und uns mitzufreuen, dass auch keine Pandemie dieses Album verhindern konnte.

Florence and the Machine - Dance FeverBemerkenswert ist vor allem, wie sich die Sängerin jeder Geschichte ausliefert, die sich ihr während des Schaffens erzählt, sie geradezu in Besitz nimmt. So verwandeln sich beide in “ein Erzählendes”, das mit unterschiedlichen Stimmen aus uns spricht, das jede/n seine/ihre ganz eigene Reise erfahren lässt. “I am a world’s forgotten boy …” haben bislang weder Iggy Pop noch viele der “männlichen” Coverversionen derartig hör- und spürbar gemacht. Doch diese Frau gibt dem Buben in mir die verstummte Stimme zurück.

“Suddenly I’m dancing / to imaginary music / Something’s coming / so out of breath”

“Dieses Märchen aus 14 Liedern, dieses brutal ehrliche wie auch feinsinnlich verschleierte Werk aus Soundpoemlandschaften und fiebertraumhaften Tanzkaskaden hat uns überwältigt, erfüllt, inspiriert, aufgewühlt, getroffen, in den Bann gezogen, in einen Sog aus vokaler Mannigfaltigkeit, lyrisch-verspielter Konkretheit, außer-unter-anderweltlichen Klanggärten, Vertrautheit und Wiedererkennen und Staunen und Ekstase; und wir verneigen uns vor dieser kreativen Kulmination von 15 Jahren musikalischem Schaffen.

Florence Welch ist eine Zwischenortzauberin, ein un(be)greifbares Geschöpf und gleichzeitig so nah und so wirklich wie Gras unter den Füßen, ein Kornfeld im Sturm, der Morgenhimmel nach durchzechter Nacht. Sie ist etwas wie Nebel, durchwoben von goldener Sonne; etwas wie Zwielichtwaldesraunen; etwas wie Schattenspiegelwahn; und gleichzeitig Sommerregennacktheit, blühender Mondbaum und dunkle Euphorie. So kraftvoll und so zerbrechlich.
So niedergeschmettert und so erquickt.
So hoffzweifelnd.
So mütend.

Tanz ist Katharsis und Transzendenz. Ein spirtueller Akt. Eine Rückbindung an den schöpferischen Geist, an die allumfassende Resonanz – und oft letzte Möglichkeit Energien zu befreien, dem Rausch des Erschaffens physischen Ausdruck zu verleihen, um sich nicht zu verlieren in wirren Emotionsströmungen.

Florence + The Machine erzählen mit diesem Album eine ehrliche, eigensinnige, vielschichtige Fabel – die in der Deluxe-Edition als prächtiges Buch erschien, samt Akustik-Versionen und dem Iggy Pop & The Stooges-Cover von Search and Destroy – welche die Hörenden einlädt sich zu wandeln in Gesänge, Jauchzer, Schreie, Klangweltfluten, Schlagwerkgedichte, harfende Metamorphosen, Gebete am Dancefloor, Hymnen im Badezimmer, Choräle gestundeter Freude.

Subversiv lassen sie die Illusion von Grenzen zwischen Künstler und Publikum vergessen und erinnern uns so an den unbändigen Tanz zwischen den Existenzen.”

 

Ein Sackerl Gemischtes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Mai – Es gibt sehr viele sehr verschiedene Menschen auf der Welt. Und die haben oft sehr unterschiedliche Gefühlslagen und Bedürfnisse, zudem auch sehr unterschiedliche Möglichkeiten, ihr Leben auf dieser Welt zu gestalten. Ein Sackerl Gemischtes wie diese Sendung, die sich den schönen Seiten des Lebens widmet – inmitten all der Vergeblichkeit ringsumher. Für einige sind bereits Nachrichten eine Bedrohung, Werbejingles ein Luftangriff und tägliche Einkäufe eine Flucht mitten durch Feindesland. Ein Brief vom Finanzamt kann da schon den Weltuntergang bedeuten. “Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heut noch – einen Freund umarmen.” Apfelbäumchen geht sich für mich nicht mehr aus. Umarmungen sind zur Zeit sowieso die stabilere Währung.

Ein Sackerl GemischtesImmer mehr Menschen auf der ganzen Welt haben Depressionen und das wundert mich jetzt nicht allzu sehr (auch wenn die genauen Ursachen noch weithin unerforscht sind), denn das geistige Klima des uns umrasenden Leistungsterrors kann für niemanden gesund sein. In Österreich ist eine Partei an der Macht, deren Politikdarsteller von den Wünschen “der Wirtschaft” daher raunzen, die funktionstüchtig abgerichtetes Menschenmaterial (ohne Sinn und Verstand) verlangt. Die Arbeitgeberverbände befürworten Benimmunterricht. Doch auch der Mensch besteht aus Natur – und ist genau wie diese ein endlicher Rohstoff. Wir leben alle in einem fragilen Gleichgewicht, das durch “die Wirtschaft” längst aus demselben gekippt ist. Die ganze Welt ist außer sich. Wie sollten wir da “bei uns” bleiben? “Das Volk” (wer auch immer das jeweils ist) hat sich irrlichternde Durchschwurbler als “Regierung” gewählt. Jetzt schauts mehrheitlich dumm drein.

Aber Obst ist gesund, otto holt obst heißt es, ich erinnere mich: In den 70er Jahren besuchte ich eine fundamental deprimierende Erziehungsanstalt, in der Nazis und Katholiken als Lehrer ihre Bernhard’schen Urzuständ an uns auslebten. Einer der raren Lichtblicke war eine wohlwollende Obstfrau (die Tante eines Mitschülers) am benachbarten Grünmarkt. Zu ihr gingen wir in der großen Pause obst zu schlingen aus dem legendären “Sackerl Gemischtes um 5 Schilling”. Liebevoll wie ein Sack Äpfel beglückte sie uns jedes Mal mit ihren schönsten Öbstern. Fruchtgeschmack!

Depressionen? Umarmungen? Ein Sackerl Gemischtes in finsterer Zeit? Torsten Sträter und Kurt Krömer haben dazu ein paar Anregungen aus der grauen Praxis.

Shalom, ihr Volkskoffer!

 

Anamnesis – Letter in a Bottle

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. MaiZum Fest der Freude am Muttertag und zum 12jährigen Jubiläum unserer monatlichen Musikreihe “Das ganze Album”, (einer Idee der legendären Ö3-Musicbox aus den 70ern geschuldet) kulminieren wir diesmal mit einer zweistündigen Sondersendung in einer veritablen Weltpremiere: Das Konzeptdoppelalbum “Anamnesis – Message in a Bottle” der österreichischen Art-Rock-Band SoundDiary geht sich mit seinen über 73 Minuten nämlich nicht in einer einzelnen Sendestunde aus – doch sollte es unbedingt in seiner Gesamtheit zu hören sein, um der romanhaft ausladenden Geschichte gerecht zu werden, die uns da erzählt wird, und um den vielschichtig verwobenen Details ihrer Darstellung den nötigen Freiraum zur Entfaltung zu bieten. Wir dekantieren also jetzt erstmals

Anamnesis - Letter in a Bottle“Anamnesis – Letter in a Bottle”, und wie wir aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen erfahren, hat das bislang noch kein anderer Radiosender zustande gebracht. Zeit wirds! Auch für den Hinweis zur sicheren Anwendung: Solltet ihr diese Präsentation auf einem Sender hören, der das Album aus Gründen der Programmplanung nach nur einer Stunde “abreißen” lässt, dann kommt bitte in unser Sendungsarchiv und hört es euch dort in voller Länge und Breite und Vollmundigkeit und harmonischen TexturenAnklängen anlang anhaltend im Abgangan. Gern auch mehrmals, die Sendungen sind dort als Stream dauerhaft (ohne zeitliche Beschränkung) verfügbar. So empfiehlt etwa Horst-Werner Riedel auf Betreutes Proggen (genau, Progressive Rock war und ist das Schachterl, in welches derlei konzeptive Vielschicht einsortiert werden kann), sich unbedingt etwas mehr Zeit zu nehmen, um dieses Werk in seinen vielfältigen gefühlserzählerischen und musikdramaturgischen Facetten zu erfahren:

“Das Album sollte unbedingt lückenlos angehört werden, da wie gesagt die meisten Tracks nahtlos ineinander verschmelzen und durch das progressive Songwriting und die komplexen Arrangements Hörern durchaus ein wenig abverlangt wird. Ein wiederholtes Beschäftigen mit diesem Album ist auf jeden Fall empfehlenswert, um einen intensiveren Zugang zu erhalten.”

Und Hans Unteregger findet in seiner Rezension auf Stormbringer (dem Heavyzine): “Für dieses Album muss man sich Zeit nehmen. Ähnlich wie bei einem guten Buch oder einem guten Film, sollte man es sich bequem machen und sich voll und ganz auf die Musik und die Geschichte, die erzählt wird, einlassen. Dann kann man abtauchen und gemeinsam mit dem Protagonisten seinen Lebensweg beschreiten. Auch ähnlich wie bei einem Buch oder Film, wo man auch nach mehrmaligem Konsum immer wieder Neues entdeckt, sind auch hier sehr viele Nuancen versteckt, die es zu entdecken gilt.”

“Ohne nach Links oder Rechts zu schauen oder sich in irgendeiner Form dem vielzitierten Mainstream anzubiedern, wird hier ein Album auf die Beine gestellt, das mit Sicherheit keinen internationalen Vergleich in der Progressive-Szene zu scheuen braucht. Als Fazit bleibt nicht mehr zu sagen als dass SOUNDDIARY hier ganz großes Kino bieten und ein grandioses Konzeptalbum vorgelegt haben, das diesen Namen auch verdient.”

Uns bleibt dann noch, etwas von den Eindrücken zu berichten, die wir beim Erleben dieses abendfüllenden Gehör-, Gehirn- und Seelentheaters gehabt haben, etwas von der genialen Entstehungs- und Umsetzungsgeschichte dieses Albums zu erzählen, die wir aus erster Hand empfangen durften – und etwas dazu zu sagen, weshalb wir die Musik von SoundDiary als wesentlich “wärmer” wahrnehmen als zum Beispiel die von Steven Wilson. Aber das sollten wir Live in der Sendung tun, auf dass die Spannung erhalten bleibe