Es muss weitergehn

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Mai – Eine der besten Nummern der letzten 20 Jahre ist “Es muss weitergehn” von Josef Hader. Ein feines Beispiel für Satire in Reinkultur, jenes “Entstellen der Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit” oder wie auch immer Brecht oder wer auch immer das so bezeichnet hat. Der kurze Text über das leidige “schneller, höher, weiter” einer sich hemmungslos “ewigem Wachstum” hingebenden Gesellschaft funktioniert vielleicht auch deswegen so zielsicher, weil er bis zum Schluss die Balance hält – zwischen Lachen und “im Hals stecken bleiben”. Das ist die große Kunst des Josef Hader. Sowie die schlicht nicht mehr steigerbaren Formulierungen wie etwa “handgeschnitzte Pommes Frites um 5.000.- Schilling”. Heute würde man “um 500.- Euro” sagen – und damit den gleichen Effekt erzielen.

weitergehnDoch die solcherart entstellte Wirklichkeit holt mittlerweile ihre eigene Übertreibung spielend ein, wie ich in einer Gastrokritik aus dem aktuellen “profil” erfahren musste. Da wird derart dekadent von getrocknetem Karottenpapier, Parmesaneis und Spargeltexturen mit Estragonparfum schwadroniert, dass als Steigerung nur noch die berühmten Otternasen aus “Das Leben des Brian” vorstellbar sind. Wie sang schon Wolfgang Ambros: “Wie hört des auf, wie wird des weitergehn?” Womöglich hilft Humanismus? Doch auch diesbezüglich (Rindsgulasch) werden wir vom Großmeister des Abgründigen eines Schlechteren belehrt: “Humanismus is, doss ma scho schaut, wos geht – ober ned gonz so.” Na wunderbar. Was für einen Reim können wir uns denn dann machen – auf einen Weltzustand, der in wechselfiebrigen Anfällen absehbar auf den Abgrund der eigenen Vernichtung zusteuert? Mit all der Collagenkunst, die uns noch geblieben ist im einstweiligen Zwischenlager für die hintersinnige Gegenkultur? Mischen wir Apocalyptica, Nina Hagen, Rammstein, Slavoj Žižek und Armin Wolf dazu, sowie einen der letzten musikalischen Verfechter des emotionalbiographischen Selbstweiterentwickelns, den guten Roger Waters

Wenn das nicht zum Überlebenscocktail gereicht, dann geht sich doch immerhin ein geschmeidiger Abgang aus. Letztendlich heißt es ja wohl: “The Show must go on”

 

Eine Stunde mit Fredl Fesl

> Sendung: Artarium zum Muttertag am 12. MaiWer hats erfunden? Ursprünglich wollten wir (dem Anlass entsprechend) Auszüge der bei Trikont erschienenen Gesamtausgabe Ton von Karl Valentin/Liesl Karlstadt vorspielen. Doch ungeachtet solch ewiger Lieblingswortschöpfungen wie Semmelnknödeln, Wrdlbrmpfd oder “Herr Rembremadeng” waren die darauf findlichen Aufnahmen schon sehr im Seinerzeitkontext verhaftet. Weshalb wir eine Generation weiter sprangen und den ebenso urbayrischen Liederdichter und Geschichtenerfinder Fredl Fesl für unsere Albumpräsentation auswählten. Der steht nämlich auf vieler Leihweise in der Tradition des großen Absurdisten Valentin – und inspiriert auch heute noch aktive Volksbarden wie etwa den aushängigen Christoph Weiherer.

Fredl FeslUnd ganz im Gegentum zu einem akuten Volksquatschbeschunkler (dessen Namen ich hier allein schon aus gesundheitlichen Gründen nicht erwähnen will) ist der Fredl Fesl mit einem Großen Karl-Valentin-Preis ausgezeichnet worden (nicht bloß mit einem lulligen Faschingsblech). Vielmehr überreichte der legitime Valentin-Nachfolger Gerhard Polt (Nikolausi) ihm den renommierten Preis in Form von einem “Trumm”, das sich bei näherer Betrachtung als rostiges Türschloss herausstellte. Worin jetzt also der angesprochene Unterschied zwischen ernster Komik und einfach nur deppertem Kommerz besteht, das möge ein jegliches bittesehr diesem schönen Bericht entnehmen. Ach ja, die unschuldigen 70er, als die “Sowosamaneger” noch keine rassistischen Assoziationen erregten – und der erwähnte Volkshupfdudler auch noch nicht geboren war. Damals, auf dem Höhepunkt der deutschen Folk-Bewegung, wurde “die Volksmusik” ihrem Verhaftetsein in Nazitum und Spießermief entrissen, Freddy (Quinn, nicht Queen) dagegen war schlicht Schlager und mithin industrielles Massenzeugs fürs geölte Einfaltsreich. So ist das eine also etwas völlig andreas als das andere. Bleibt noch zu erwähnen, wie kunstreich und humorvoll der Fredl Fesl die alpenländische Tradition des Jodelns aus dem Bierdunst der Zeltfetten befreit hat:

In seinem Vortrag “Ein ländliches Problem” (den wir in der Signation zitieren) jodelt er sich am Schluss derart schwindlichmachend weg, dass es unsereinem (oder auch zwei) schier die Synapsen sprengt. Die Krönung in seinem Mundart-Overflow ist und bleibt allerdings “Huitidliti, Huitidliti”, wahrlich ein Prachtwerk der Sprachkunst, das eben auch Karl Valentin zu aller Ehre gereicht…

 

Fette Ratten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. AprilPhantastische Tierwesen und wie man sie nicht schlechtreden sollte. Schlechte Gedichte sind sowieso eine Landplage. Schlechte Menschen aber erst recht. Als pensionierter Punkdirektor fühle ich mich durchaus dazu berufen, ein Plädoyer für die Freundschaft mit Ratten anzustimmen. Und zusammen mit dem Hasenobmann einige dieser Tiermetaphern zu hinterfragen. Oder wer hat Angst vorm bösen Wolf? Eben. Wenn man dazu noch in Betracht zieht, wie “unsere” Volksmärchen zustande gekommen sind, dann ist man ratzfatz immun gegen den blödbösen Missbrauch von Ratten und Rotkäppchen. Der braune Pöbel soll endlich den Volksmund halten, denn er stinkt aus demselben wie der berüchtigte tausendjährige Eierschas von der Stefanie Sargnagel. Da riechts nach Untergang!

Ratten in LoveWir nehmen also ein in jeglicher Hinsicht sauschlechtes Gedicht (Warnhinweis: von der Lektüre des missgünstigen Machwerks kann einem tatsächlich schlecht werden) zum Anlass für eine etwas andere Betrachtung unseres Umgangs mit Ratten – und zum Ausgangspunkt einer Würdigung des allerschönsten Rattensprachbilds in der Lyrik des 20. Jahrhunderts: bei Georg Trakl. “Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor” hieß auch die entsprechende Sendung anlässlich seines 100. Todestags im Jahr 2014. Damit weisen wir auf zwei nicht ganz kleine Unterschiede hin: den Inhaltlichen (ob man das andere Lebewesen als solches ernstnimmt oder es bloß als Symbol für Propagandazwecke missbraucht) sowie den Formalen (ob man der deutschen Sprache soweit mächtig ist, dass man mit ihr richtig dichten kann, oder ob man sie bloß als Symbol für Heimatdümmelei benutzt). Nicht, dass wir hier den erigierten Zeigefinger vom Dr. Gscheitscheißer auspacken wollen, aber wir sind schon auch selbst Lyriker – und Niveau ist einfach keine Hautcreme. In einem Land zu leben, in dem Asylantenflut, Rattenplage, Sozialschmarotzer und Ungeziefer zum üblichen Sprachrepertoire gehören, ist mehr als nur bedrohlich

Wie ich immer sage: Thomas Bernhard hat sich noch sehr zurückgehalten.

 

Vielkommen Osternreich

> Sendung: Artarium vom Osternsonntag, 21. April – Und Jesus sprach: “Macht irgendwas mit Hasen!” Oder wie wäre solch ein behoppeltes Auferstehungsfest sonst möglich gewesen? Verdanken wir es den Christen oder doch den Germanen? Oder irgendeinem lustigen Papst, der eine Vorliebe für irgendwas mit Eiern hatte? Die Kirchengeschichte war ja immer schon reich an bizarren Einfällen jenseits von Sinn und Verstand, also versuchen wir diesmal auch eine “etwas andere” Deutung: Von den Germanen über den “deutschen” Papst bis hin zu Rammstein. O du mein Osternreich, ich bezwetschkige mich vor jedem Obstgarten! Dein ist das Dings und das Bums in Ähnlichkeit, Hasen. Wir senden das Frühlingsfest des Eierlikörs aus der Alpenfestung der guten Laune. Und jetzt Andacht an den Empfängnisgeräten!

OsternreichWie wir aus unserer langjährigen Befassung mit der abendländischen Popkultur gelernt haben, geschieht längst nichts mehr Neues unter der Sonne. Aber es gibt noch unendlich viele Möglichkeitsformen, das Vorhandene in immer neue Zusammenhänge zu stellen, um ihm dergestalt unbekannte Bedeutungen zu entlocken. Und genau das wollen wir hier und jetzt tun. Denn die einzelnen Beiträge, etwa von Tommy Krappweis (Hasen), von Hagen Rether (Papst) oder von Klaus Kinski (in der Fassung von Seid was ihr wollt als “Kinskis Villon” bekannt) haben wir allesamt schon zur einen oder anderen Gelegenheit gespielt. Nur dieses Mal ergeben sich bislang unentdeckte Betrachtungsweisen durch Beiziehung aktueller Ereignisse. So hat der Ratzinger Sepp (als inzwischen “emeritierter” Ex- oder halt irgendwie noch Zweit-Papst) kürzlich festgestellt, dass die sexuelle Revolution der 68er für das Missbrauchssystem in der katholischen Kirche verantwortlich ist. Brimborium in senilis trullala? Oder wie meine Fußpflegerin sagt: “Das Grundproblem ist das Bedürfnis so vieler Menschen, lieber etwas zu glauben als sich wirklich auszukennen.” Aber was reg ich mich auf… Spannen wir doch einen Bogen von der Zwangschristianisierung der Ureinwohner über die Kondomwerbung in Polen bis hin zur allerkünstlichsten Lufterregung der letzten Tage, dem Rammstein-Video “Deutschland” (hier über einen Zeitungsartikel aus der Schweiz, um die feuilletonweite Schnappatmerei zu umschiffen). Jössasna!

Hat es noch nie einen Diskurs gegeben? Hat sich auch Geschichte nie ereignet? Schlag nach beim Slowenen oder “Kärnten deibt bleutsch!” Lauter Luftnummern zwecks Auflage und Einschaltquote. Was lässt sich sonst noch sagen? Osternreich ist eine theologische Seppublik – und wir wünschen euch trotz alledem frohe Eier!

 

Alle Macht der Poesie

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. MärzPoesie UND Widerstand?

Jetzt eine Insel finden und in seentiefem Blau
von Opiaten überwölkt nach innen sinken.
Nur nichts von außen. An der eignen Wesensschau
den Lebensrest verzaubernd sich betrinken.
Und doch: selbst mit verschlossnen Ohren
kann ich den anderen Wirklichkeiten nicht entfliehn.
Denn leider kann sich keiner ungeschoren
auf Dauer in die eigne Welt verziehn.

alle macht der poesieDieses Gedicht von Konstantin Wecker eröffnet einen Reigen von Beiträgen, die wir als ein Vorbereit auf die kommende Perlentaucher-Nachtfahrt “Buchstabensumpf” (am Freitag, 14. April) verstehen. Die eigentliche Arbeitsidee dazu war ja, endlich einmal viele unserer “Lieblingstexte” aufmarschieren zu lassen – aber das geht sich weder in einer noch in drei Stunden aus. Also hier nun als erster Teil die Vorspeis.

Deiner Ordnung, Fehlberechnung, Bildungslücke
entspringt dein Gott in deinem Fall die Barbarei.
Aus diesem Grund und einem Keller voller Leichen
zieht es Deutschland nach Europa
und ohne sich zu öffnen stellt es Weichen,
um Schuld und Angst gleich unter Gleichen fernzuhalten,
sich mit Sicherheit noch weiter zu verdrängen
in ein totales Sinn- und Sein- und Zeitbedürfnis

Jochen Distelmeyer, Blumfeld – L’état et moi

poesie der macht alleEntwarnung: Wenn wir “unsere Lieblingstexte” sagen, meinen wir damit nicht die quotenwillkürliche Aneinanderreihung von irgendwie bekannten und beliebten Beiträgen in Gestalt einer “Was i gern hör”-Darbietung für statistisch erfasste Underground-Patient_innen. Uns geht es aus persönlichen Gründen nur um jene Art von Poesie, die wir zur Inspiration fürs eigene Leben verwenden wollen, wie auch immer.

Doch wir werden an dieser Stelle
so nicht enden
wie ein fallender Stern.
Denn wer saufen kann kann auch ausschlafen
und den Tag in die Matratze drücken
bis ihm das Kissen an der Backe klebt.

PeterLicht – Es bleibt uns der Wind (Du bist richtig hier)

In der Welt der Poesie gelten eigene Gesetze. Und die der Realitäter_innen und ihrer Staatsmachtkasperln können darin aufgelöst werden. Oder wer Ohren hat

Aber ich deute nur an.

 

Kann Spuren von Hasen enthalten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. März – Oder von Hans Platzgumer. Doch schön der Reihe nach: Christopher Schmall, in unserem Kunnst-Biotop bekannt als “der Hase”, gibt just an diesem Sonntag eine Auswärts-Lesung, und zwar um 20 Uhr im Café Anno zu Wien. Und so stehe ich vor der Aufgabe, hierohrs unterhaltsam zu solieren. Zuvor muss ich allerdings tief in mein schwangeres Hirn tauchen, um nach Möglichkeit rechtzeits eine Idee zu gebären. Es sollen ja hier Verbindungen gestiftet sein – aus Text, Musik – und den Zuständen gemeinsamen Erlebens. Grübelgrübel. Haben wir nicht unlängst diesen speziellen Aura-Anthropica-Remix eines Titels aus “Nervöse Welt” gespielt? Die Jüngeren unter unseren Hör erinnern. Aura was? Und Hans Platzgumer – schreibt der nicht auch? Eben. Da ist der Zusammenhang.

Aura Anthropica - Texte für den HasenZusammen sind wirdie Hasen! Oder die Festspielpräsidentin in dieser provinziellen Welthauptstadt des katholischen Konsumterrors. Jedenfalls sprachverliebt und ganz und gar gegen die Zerdummmung derselben durch Nutzbrauch und Zweck eingestellt. Wir ergehen uns stattdessen lustvoll in den kreativen Wortlandschaften jener Mitwesen, die noch aus eigenem Empfinden etwas zum Zustand unserer Welt auszusagen verstehen. Bei denen Sprache nicht vorprogrammiert, sondern selbstgewählt geschieht. Also wird der Hund in dieser Sendung Texte vom Hasen zum Besten geben und auch vom Platzgumer Hans, dessen musikalisches Schaffen dieselben feinst umrahmt. Da gibt es zunächst H. P. Zinker auf die Ohren, hernach Aura Anthropica sowie das von ihm produzierte STROM von The who the what the yeah. Zur (Wieder)Entdeckung der wunderbaren Vokalnummern auf Aura Anthropica (1997) gibt es ein angenehm genrefernes Review “Don’t cry for me, Austria!” im Evolver mit einem zutreffenden Zitat: “HP spielt nach wie vor in seiner eigenen Liga, und er hat vollkommen neue Spielregeln festgelegt. Bei der Musik, bei den Texten.” Aus all dem hier Erwähnten kann durchaus destilliert werden, weshalb sich genau diese unüblichen Verdächtigen bei meinem Solo für einen Hasen wechselseitig das Wort aus dem Kopf nehmen:

Ich habe meine Handschrift geändert,
meine Stimme verstellt,
einen falschen Namen angenommen,
der sich als richtig herausstellt.
Sie werden all das
gegen mich verwenden,
wenn meine Maske fällt,
wenn sie mich erkennen.

The who the what the yeah – Palindrom (Text von Martin Konvicka)

 

Verdutzend

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. März – Die wortkreative Entsprechung zu Salzteigprothese muss einfach Vollkornschraubenschlüssel sein. Verdutzend? Den Ein- und Ausgeweihten wird schnell bewusst, worum es hier geht: Vor inzwischen zwölf Jahren (in Worten 12) erschuf der nimmermüde Querkünstler Peter.W. die Sendereihe Artarium und somit ist das Dutzend voll. Uns verdutzen seitdem die schöpferischen Spätfolgen dieser Unternehmung aufs vortrefflichste – und immer wieder aufs neue! Zur Würdigung dieses Umstands, liebe Schlagerfreunde, wollen wir diesmal einem ebenso umtriebigen Wortschwurbler und Zusammenhangstifter unser Gehör leihen, nämlich Rainald Grebe, dieser Allroundrampensau zwischen Wahnsinn und Erfolg. Und wir wollen ihm dabei sogar sein abgeschlossenes Studium verzeihen. Kunnst!

Im Verdutzend billigerVolksbildnerischer Exkurs: Verdutzend als titelspendende Wortvermischung aus Dutzend und verdutzt vereint zwei etymologisch nicht verwandte Begriffe zu einer bisher dergestalt noch nicht dagewesenen Bedeutungsebene. Durch die absichtliche Legierung der beiden Wortelemente entsteht ein Kunstsinngehalt, der wiederum zu selbsteigenem Sprachspiel weiter entwickelt werden kann. Womit wir bei den philosophischen Grundfragen angelangt wären: Was ist ein Künstler? Warum gibt es kein bedingungsfreies Grundeinkommen? Und wann gibts endlich Mittagessen? Diese höchst ernsten Probleme der Zivilisation (und der mit ihr verbundenen Müdigkeit) werden wir hier in gewohnt ironischer Weise verhandeln, indem wir die Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit entstellen. Damit sie uns nicht allzusehr verwirrt, die Verwirrklichkeit. Ein Kunstuniversum ist eben keine Hochschulvorlesung übers Reimeschmieden.

Höchst hörenswert ist jedenfalls die bei Freirad in Innsbruck produzierte Sendereihe Ethnoskop – Kultur für die Ohren, die zudem an jedem zweiten Sonntag im Monat um 18 Uhr (also gleich nach dem Artarium) auf den Frequenzen der Radiofabrik gut zu hören ist. Wir freuen uns immer wieder über deren thematische und gestalterische Vielschichtigkeit – und eben auch darüber, dass der von uns so geschätzte Rainald Grebe dortselbst des öfteren zu (meist gesungenem) Wort kommt. Ein vielfaches Hoch also auf die gepflegte Collage aus Strandgut und Kultur. Zur Einstimmung wie auch zur Abrundung ein Amuse Geule zur anregenden Verdauung des 20. Jahrhunderts

 

Zusammenhang

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. FebruarPutin nimmt die Krim, in Nordkorea wohnt der dicke Kim. Die Rohrdommel hockt im Rohr, ich vorm Monitor. Wo ist der Zusammenhang?“ Dieses schöne Lied von Rainald Grebe wollen wir als Motto für eine Sendung verwenden, die alles Mögliche nachliefert, was uns in letzter Zeit aus Zeitgründen einfach nicht mehr möglich (zu senden) war. Ein Sammelsurdium an nicht gemachten Anmerkungen, eingesparten Abschweifungen und unausgegorenen Ideen. Und ein alter Kreisky-Witz, der aber immerhin die Krise der Sozialdemokratie erklärt. Denn in einem Weltkrieg der Wirtschaft gegen den Menschen kann es nicht darum gehen, ein paar Erleichterungen beim Zerquetschtwerden zu etablieren, sondern nur darum, dass er endlich aufhört! Liebe Mit- und Ohneglieder (und -innen), so is des…

Wo ist der ZusammenhangSpiegel geht in Scherben
Scherben bringen Glück
Sammel sie auf, und dann schreib was drauf, und dann hol dir deine Geschichte zurück! Und dann:
Yin und Yang, Kling und Klang,
Sing und Sang: Das Lied vom Zusammenhang.

In diesem reichen wir auch einen Ausschnitt aus dem griechischen Dokumentarfilm “AGORÁ – Von der Demokratie zum Markt” samt deutscher Textübertragung nach, der für unsere letzte Sendung “25 Jahre Studio West” eingeplant war. Genauso wie die Musik des antikapitalistischen Kunstkollektivs SNOG – hier eine frühe Videoarbeit zum sprechenden Titel “Corporate Slave” mit Zitaten aus dem medienkritischen Film “Network”. Schnitt. In einem bei “Serienköpferln aus der Nutzmenschenbatterie” (Uwe Dick) weithin beliebten Musikantenstadl-Deppenaufmarsch erklären Sebastian Moik und sein Vize Hias-Christian den Grundsatz ihres politischen Handelns wie folgt: “Schaug hi, da liegt a toter Fisch im Wasser – den moch ma hin!” Wo da jetzt der eingangs erwähnte Zusammenhang ist, das dürft ihr euch gern selbst beantworten…

Der Koran ist ein krasser Schmöker,
viele nehmen ihn wörtlich.
Ich geh lieber in die Kneipe
und betäube mich örtlich,
und suche den Zusammenhang.
Suche den Zusammenhang

Viel Vergnügen

 

Der österreichische Mittagstisch

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. JanuarWas genau ist ein Nazi? Und warum finden wir ihn immer in der Suppe – wie das längst sprichwörtliche Haar? Was will uns Thomas Bernhard (der Dichter) damit sagen, wenn unser Hausvater entnervt in den Suppenteller drischt und dabei “Nazisuppe! Nazisuppe!” schreit? Unter dem Titel “Der deutsche Mittagstisch” versammeln sich sieben Dramolette (Kurz- und Kürzestdramen), die allesamt das unterschwellige Weiterbestehen von nationalsozialistischer Geisteshaltung in der bundesdeutschen Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Wir erlauben uns, das titelgebende Stück daraus in einer neuen Österreich-Version vorzstellen. Ganz im Sinne seines Autors, der uns bei jedem Mittagstisch auch den braunen Sumpf unserer nazikatholischen Heimat vorsetzt.

Die Nazisuppe für den MittagstischZumal die als Wiener Rindsuppe bekannte klare Brühe, welche das Grundrezept für die hier erwähnte Nudelsuppe ist, allgemein als die österreichische Nationalsuppe schlechthin bezeichnet wird. Von dieser ist es nur noch ein kleiner Schritt zur besagten Nazisuppe. Und die, im alpenkatholischen Weihnachtsgebräuch verbreitete Würstelsuppe als eine Steigerung der Nudelsuppe, in der die kleinen Wiaschtln herum schwimmen, bildet erst recht eine zutiefst Bernhard’sche Metapher für den abgründigen Brodeltopf des deutschösterreichischen Geisteszustands… Während einem da von der Oberfläche die offiziellen Fettaugen freundlich entgegen schmunzeln, wallt und wabert darunter im Trüben gefährlich der heimliche Untergrund. Suppe und Schund, Masse und Matsch, die tatsächliche Beschaffenheit ungaren Menschenteigs: mitläuferisch, obrigkeitshörig und fügsam. Genau da müssen wir das Dargestellte abstrahieren, wenn wir es in die Gegenwart übersetzen wollen, ins zeitlos Bleibende nichtausgestopften Lebens. Was also ist ein Nazi? Was macht die Geisteshaltung einer Gesellschaft aus, die gegen jegliche von der jeweiligen Norm abweichende Eigenart mit der dumpfen Absicht zu deren Ausmerzung vorgeht?

Dazu Thomas Bernhard (Die Ursache): “Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit, in welche ihre Bewohner hineingeboren und hineingezogen werden, und gehen sie nicht in dem entscheidenden Zeitpunkt weg, machen sie direkt oder indirekt früher oder später unter allen diesen entsetzlichen Umständen entweder urplötzlich Selbstmord oder gehen direkt oder indirekt langsam und elendig auf diesem im Grunde durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden zugrunde.”

 

Der erste Einidruck

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Januar – Die flächendeckende Zerdepperung alles Menschlichen schreitet schier unaufhaltbar voran. Es ist mittlerweile egal, ob etwas sinnvoll ist – Haupsache, viele bunte Lichtlein und Tschinderassabums. Hat nicht Pier Paolo Pasolini schon in den 70ern voraus gewusst, wie ein weltumspannender Konsumismus jedwede Kultur zielstrebig zersetzt und so die Bevölkerung zum fügsamen Massengatsch fürs Marketing zurecht züchtet? Hat nicht Uwe Dick (auch schon in den 70ern) hellgesehen, wie “Massenblödien, Quasselödien und Kassenschmähdien” die einschläfernde Volksverödung nach den heimlichen Interessen der Machthaberer betreiben? “Wählen sie uns, wir werden ihnen … Trullala.” Was also macht gute Kunst aus?

Ein EinidruckSich selbst einen Eindruck machen können – und eben nicht sich einen Einidruck machen lassen. Das wäre schon mal eine brauchbare Geisteshaltung. Doch in Zeiten zunehmender marktschreierischer Beplärrung einer jeden noch so sinnfreien Produktblähung wird es immer schwieriger, den Kurs seiner eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu halten. Sich als Künstler in etwas hinein versetzen – und das dann dergestalt darstellen können, dass es beim Publikum hypnotisch wirkt, also einen Sog erzeugt. Jedoch nicht mit den Waffen der Werbepsychologie dem Publikum argtückisch und heimlistig etwas hinein vorsetzen, das die zu diesem Zweck künstlich erregten Gefühle und Bedürfnisse befriedigt. Dieses ganze Market-Ding ist nichts weiter als äußerer Druck, der so hinterfotzig ausgeübt wird, dass die meisten Patienten ihn als inneren Sog empfinden. Einen solchen “Einidruck” bezeichneten wir früher zutreffenderweise als “einidruckerisches Verhalten” (“Wos wüst ma do leicht scho wieda einidruckn?”). Personen mit dieser Eigenschaft empfanden wir als unsympathische, schleimige Kriechwesen, vor denen zu fliehen ein guter Rat und auch nicht teuer war. Heutigen Tags aber ist genau diese zutiefst ungute, ihre eigentlichen Absichten versteckende Herangehensweise ein gesetzlich geschützter Standard in unserer Marktwirtschaft. “Jo homs eich denn olle ins Hirn gschissn?” Diese rhetorische Frage muss man mit “JA” beantworten. Dazu Goethe: “So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.”

Was aber können wir tun, um der allgemein anerkannten (“Jo des is hoid heit a so.”) globalisierten Prostitution (sich für Geld pimpern lassen) gehörig gegen den Strich und somit am Arsch zu gehen? Etwas Echtes im Sinn der guten Kunst vorbringen, Texte von Peter Gabriel zum Beispiel oder ätzende Satire auf politische Korrektheit von Lisa Eckhart: “Die heilige Kuh hat BSE.”

PS. Antithese zur normativen Kraft des Fuckigen: Kein sinnvolles Produkt braucht ständig einidruckerische Promotion, keine ordentliche Politik braucht nervtötende künstliche Beklatschung. Je mehr für etwas fortwährend die Werbetrommel gerührt wird, desto unbrauchbarer und unnötiger ist es. Schon Schön Färberei ist Betrug