ein so ein riesen haufen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. November – Über die Fremdbeeinflussung zur Selbstbestimmung oder die Macht der Worte zu Christophers Geburtstag. Ein Überraschungspaket. Vervollständige die Gedichtzeile aus folgenden Vorschlägen: Ein so ein riesen Haufen – Knabbergebäck, Scheißdreck, Volltrotteln, Gedanken, Ideen – ist mir noch nie untergekommen, muss erst einmal geschissen sein, verlangt nach guter Bearbeitung, hat seine ganz eigene Dynamik, geht sich jedenfalls nicht auf einmal aus! Der Titel ist immerhin Programm, und so stellen wir wieder einmal experimentelle Texte in einen entsprechenden Zusammenhang, auf dass sich ein Riesenhaufen Inspiration zusammenbraue. Dazu verhelfen uns diesmal die Industrie-Kapelle Laibach sowie die Electronic-Poesie-Pioniere des DJ-Kollektivs Scheiterhaufen aus dem Pinzgau…

riesen haufenUnd naturgemäß Ernst Jandl, der Großmeister der Wortbildgedichte und Klangraumpoeme hinterlistiger Sinnstiftung – sowie Elfriede Gerstl, deren wunderbare Werkausgabe von Christa Gürtler und Helga Mitterbauer zum Wiederentdecken der elegant formulierten Aufmüpfigkeit einlädt. Außen dran, als ein schönes Motto:

„nur wer die unattraktivität des fragmentarischen wählt scheint mir noch glaubwürdig – man muss alles tun um sich die marktchancen zu vermasseln“

Und innen Kulturkritisches von der Hellsicht und Zuspitzung eines Pier Paolo Pasolini:

„Das Potential an Phantasie, Ärger, Widerspruchsgeist der Auftretenden wurde nicht zensiert und beschnitten, doch mussten sie sich an einen vom Subventionsgeber gewählten Ort begeben, zu einer von ihm bestimmten Zeit, das heißt, man hatte sie samt Konsulenten und Klientel unter Kontrolle. ….. Für ein kleines Honorar und ausgestattet mit dem Privileg der Darstellung ihres Abweichens betreiben sie, sich herausgehoben fühlend, ein merkwürdiges Geschäft: die Zähmung Widerspenstiger durch Verlautbarung von Widerspenstigkeit.“

 

Schuldig!

Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. November – Zwischen ewiggestrigen und brandaktuellen Feindbildern stehen wir fassungslos da – inmitten einer Gesellschaft, die ihren Zusammenhalt nach wie vor durch die Ausgrenzung alles Artfremden zu bewerkstelligen sucht. Wie kann es sein, dass in unserer angeblich so aufgeklärten Zivilisationskultur des 21. Jahrhunderts noch immer entweder einzelne Menschen oder ganze Bevölkerungsgruppen zu Sündenböcken gemacht werden? Riecht das nicht sehr nach Religion, nach der bizarren Glaubenswelt des alten Testaments, nach Kreuzzug und Inquisition? Oder doch mehr nach Kronenzeitung, Stammtisch und Susanne Winters Aluhut? Womöglich ist die Pestilenz ja auch dieselbe, nur die Geruchsnuancen sind unterschiedlich. Halten wir zunächst Einkehr am Friedhof

ein junger dichterIch selbst war heuer zur allerseeligsten Jahreszeit am Aigner Friedhof, wo nur ein paar Meter voneinander entfernt der jüdische Kabarettist und Chansonnier Georg Kreisler sowie der deutschtümelnde NS-Lehrer und Schriftsteller Karl Springenschmid beerdigt sind. Und auch ein alter Freund von mir, der viel zu früh verstorbene Rafi Chaimowicz, ein (im krassen Gegensatz zu dem Vorgenannten) musisches Talent vielfältiger Ausprägung. Ungefähr 1990 erzählte er mir die Geschichte, wie er im Akademischen Gymnasium von zwei älteren Mitschülern kopfüber ins Klo gesteckt wurde. „Sauf des, du Judensau!“ riefen sie dabei immer wieder. Doch als er, auf mein empörtes Drängen hin, diesen Vorfall bei der Schuldirektion meldete, nötigte man ihn dort allen Ernstes dazu, die Angelegenheit zu vergessen, damit der gute Ruf der Schule nicht zu Schaden käme. Ein Wahnsinn! Diese Episode zeigt uns überdeutlich, wie ein Feindbild über Generationen hinweg weitergereicht und verfestigt wird – und wie die Opfer der Gewalt zu möglichen Tätern umgelogen werden, damit der gute Ruf der Gesellschaft nicht leidet. Ich bin ja auch einmal in diese hoch angesehene Schule gegangen worden – da weiß man, was man hat!

ein alter sängerJahrzehntelang hat er angesungen gegen den Unsinn jeder Obrigkeit, die uns mit allerlei Mythen Gläubigkeit, Patriotismus und blinden Staatsgehorsam einzutrichtern versucht. Der große ungewollte Sohn dieses neurotischen Lands der Hämmer, in dem stets derjenige als Nestbeschmutzer verfemt wird, der einen Übelstand aufzeigt – und nicht etwa derjenige, der ihn verursacht hat. Das nächste Feindbild also, dem wir uns – zusammen mit Thomas Bernhard – auch nur allzu verwandt wissen. Störer der herrschenden Ruhe und Ordnung, Asozialer, Schmarotzer, Volksschädling und Ungläubiger! Schnell kippt die Vorurteilung wieder ins Religiöse, genau, “der Nationalsozialismus war eine politische Religion” (Friedrich Heer). Und der globale Kapitalismus mit seiner Diktatur der Finanzmärkte, trägt er nicht auch die Züge eines alleinseligmachenden Glaubenssystems mit dem Anspruch auf Weltherrschaft? In Zeiten wie diesen, in denen das Kabarett fast schon wieder allein gegen die Zuschwallerung mit Machtschwatz und Glauberei anstänkert, wollen wir Georg Kreisler einmal gemeinsam mit Max Uthoff hören, der in seinem Programm “Gegendarstellung” (Video) das neuste Feindbild “Die Armen” erklärt.

Vergesst unverzüglich die großen Siege und fahrt fort, unerschütterlich, hartnäckig, ewig in Opposition, zu fordern: fahrt fort, euch mit dem Andersartigen zu identifizieren, Skandal zu machen, zu lästern!    Pier Paolo Pasolini

 

Frische Texte! Frische Texte!

> Sendung: Artarium am Sonntag, 25. Oktober – Frische Texte aus dem Salzburger Untergrund, dass es Mozart schwindlig und Gott seltsam warm ums Herz wird. Gibt es noch Gefühlsmenschen, die mit der Macht ihrer Worte gegen die widerlichen Umstände antrotzen? Die mit Sprachkunst ihr eigenes Selbst verteidigen – und nicht einem immer gefälliger werdenden Literaturmarkt hinterher hoppeln? Aber ja doch, auch und gerade in diesem zur Kunsthochburg aufgeblasenen Provinzflecken, wo sich Jedermann bereitwillig bückt, wenn der jährliche Umsatz zum Pudern kommt. Aber hier gibts jetzt die allerfrischesten Texte gegen altväterliche Zeremonialhierarchie, eventorientiertes Tourismusmarketing und nationalsozialistisch-katholische Jugenddepression. Die Wurzel allen Übens ist also die Lust an der eigenen Aussage. Im Namen des Lebens…

sophieSo sind wir denn auch besonders beglückt, mit Sophie Lustig eine der drei Autorinnen von Women at Work (Dienstag, 27. 10. um 19:30 Uhr im Literaturhaus Salzburg) bei uns zu Gästin zu haben. Zumal sie ihre eigens für diese Veranstaltung in Vorbereitung befindliche Textcollage “Jugend ohne Gott” vorstellen wird, was soviel heißt wie live performen! Kleiner Vorgeschmack gefällig?

Im Anfang war nicht das Wort, sondern der Lebenslauf. Gott hat sich zwischen den Zeilen zu verstecken – als codiertes Zeichen. Er ist nicht mehr da, und schon gar nicht, wenn man ihn gerade braucht. Er ist nicht mehr da. Er ist nicht mehr. Er ist nicht. Er ist.

Er ist in den Regentropfen, er ist in den Blättern, in den Bäumen. Er ist du und er ist ich. Und egal, ob wir ihn oder sie oder es Gott, Allah oder Hans-Peter nenen, will er nicht, dass wir unser Leben nach vorgegebenen Büchern oder Gesetzen leben, sondern erzählt uns über alles und nichts gleichzeitig.

unsere herzenMit nebenstehendem Denk-Satz aus “Jugend ohne Gott” möchte ich nun zu einem weiteren Projekt überleiten, welches unsere friedensbewegte Textschau nachhaltig befruchtet: Peer de Beer von Stoned Poets – Dichte Dichter hat einen Beitrag der Radiofabrik zu Aufgeblättert – Literatur aus der Gegend gestaltet, der am Nationalfeiertagsmontag, 26. Oktober österreichweit um 17 Uhr ausgestrahlt wird. Und darin kommen neben Lisa-Viktoria Niederberger, Marko Dinic und Peter.W. auch Chriss sowie ich selbst zu Wort – und somit eben zur Geltung – das ist für sich sprachlich ausdrückende Menschen eine soziale Grundnahrung. Um aber unserem Anspruch auf das Hörbarmachen von Schaffensprozessen in der Wortwerkstatt ebenfalls gerecht zu werden, wollen wir einen weiteren „Text in Produktion“ zu Gehör bringen, und zwar einen bislang noch nirgendwo vorgetragenen aus der Verbearbeitung von Christopher Schmalls Frohnleitner Schreibklausur-Aufzeichnungen mit dem Arbeitstitel “Dort”

Wie aber jetzt den Sack zubinden, allein die hier angerissenen Themen und Verweise zusammenführen, vielleicht unter einem Überbegriff wie Texte gegen das Monopol? Dann grab ich halt auch noch einen aus, der heißt Neues von Gott” und ist zum Lachen böse – schon beißt sich der Hund (endlich) in den Schwanz. Bitte. Danke!

 

Dicht & Doof

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. SeptemberIn Salzburg gab es noch nie eine deutschssprachige Punkband namens Thomas Bernhard. Und genau das ist einer der größten Fehler dieser Stadt. Denn während in Wien seit Jahrhunderten (von Nestroy bis Neuwirth) auch brutal selbstkritisches Liedgut zum guten wie zum schlechten Ton gehört, ergeht sich unser katholischer Kunstmarktflecken in der propagandistischen Beweihräucherung eigenen Schönscheins und Wichtigtums, dass einem so richtig schön schiach wird. Diese Stadt gehört schon längst nicht mehr uns. Im Musikvideo der zwei Wiener (!) Christoph & Lollo fehlen durchaus die Salzburger Örtlichkeiten im Abspann. Und das furchtbar süßliche (allerdings bitterböse) Grüß Gott Salzburg des Wieners (!) Ludwig Hirsch hat inzwischen auch schon 25 Jahre auf dem Buckel.

hombuchdandlungAuch aus Salzburg sind ja seit Thomas Bernhards „Friedhof der Wünsche und Phantasien“ kaum noch kritische Töne zu vernehmen. Stattdessen Hofberichterstattung von Festspielhelgas Fetzenspielen oder vom volksbrauchbesoffenen Trachtenanfall Rupertikirtag quer durch alle Medien – vor allem aus dem devotionalen Landesstudio des österreichischen Unfugs

Da müssen halt auch wir auf die Altwiener Tradition des gepflegten Protestsongs zurückgreifen und den Wolfgang-Ambros-Text von Hoiba Zwöfe aus dem Jahr 1976 nachträglich versalzburgern, um dem hier vorherrschenden Dultdunst aus Bier und Bratwurst (der hier alles niederquatschenden Geldkunst aus Gier und Staatswurst) etwas halbwegs Ketzerisches entgegen zu theatern. Und das hört sich dann so an:

Von ana Szene kann ma bei uns übahaupt ned sprech’n,
ollas dasauft im Stieglbier, es is zum Erbrech’n.
In dera Beziehung is‘ bei uns zum Scheiß’n
und es schaut ned so aus ois ob’s es irgendwann g’neiss’n.
Oba wozu wüst di aufreg’n, so is des hoid,
am Best’n is‘ du schaust dazua und wirst recht schnö oid.
Stöh da amoi vua, dass bei uns a Konzert is
wo’st fia de Koat’n nur sovü zoist, wos a wert is!
Des tät uns jo des ganze Image vaderb’n
weu Soizbuag is und bleibt…
de Stodt zum Sterb’n!

 

Der Herr Hund

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. August – Es entspricht dem Wesen eines Hundes, dass dieser mehr oder weniger überall seine neugierige Nase hineinsteckt – auch wenns ein Haufen Scheiß ist. Und so gestalte ich in Entbehrung des auswärts abenteuernden Chriss diesmal wieder ein Soloprogramm aus allerlei hier wie dort zusammengeklau(b)ten Duftproben. Von japanischer Popkultur über den Primat der Ökonomie bis zum Gitarrensound der 90er lasse ich ein paar illustre wie obskure Zaunzeugen des Weltgehens ihr Charmebein schwingen: Pizzicato Five, Joesi Prokopetz, Frank Zappa, PeterLicht, Abie Nathan, Hanns Dieter Hüsch, Eroc (Grobschnitt) sowie Busch (die Band). Und weil genug niemals genug sein kann, lass ich auch mich selbst noch auf uns los – und zu Wort kommen. Kleiner Vorgeschmack gefällig?

Der Herr HundGenial trifft es etwa PeterLicht, der 2006 sein Album „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ nannte und darin die folgende realexistierende bundesdeutsche Presseaussendung zum Kultsong erhob: „Die Arbeitgeberverbände befürworten Benimmunterricht an den Schulen. BDA-Präsident Hundt sagte: Schulabgängern fehlt oft die Kenntnis einfacher Regeln des Zusammenlebens.“

Ich für meine Person distanziere mich hier ganz ausdrücklich von jeder Namensvelwechsrung!

Es ist sowieso nicht einfach, das Wesen des Hundes in der Popkultur zu erfassen. Wo riechen wir hin, was brunzen wir an – und wen beißen wir? Die Rolle des Wachhunds (und kommissarischen Hüters) der Errungenschaften des freien Radios erfülle ich ja (nomen est omen) durchaus gern mit Leben – dem, das ich bin. Jedoch worin bestehen diese Errungenschaften – im Gegensatz zum Grund- und Bodensitz privatöffentlich-kommerzrechtlichen Verallgemainstreams? Oder – im Spannungsfeld zwischen der freien Meinung und einem Thema? Lassen wir uns dazu am besten eine Collage dreier Statements aus dem Land der lebenden Phantasie in die Seele sickern: „The Voice of Peace – ein Kunnst-Biotop – zwei Welten, eine Familie“ und machen wir uns wieder einmal in bewährter Weise selbst einen Reim daraus!

Denn solang wir darauf warten, dass uns die Irgendwers den Weg zeigen, solang warten wir darauf

PS. Der gegen Ende der Sendung in Auszügen verlesene Artikel von Erhard Glötzl findet sich übrigens in der Zeitschrift für Sozialökonomie (1999) – hier als PDF-Download.

 

Die Strandpiraten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. JuliWir spielen die Hitz! Und während uns die Salzburger Saunatemperaturen von Strandbädern und Karibikurlauben träumen lassen, durchstöbern wir Strandpiraten das angeschwemmte Treibgut der Kulturgeschichte auf der Suche nach Sinn und Zusammenhang. Vielleicht lässt sich aus einigen Perlen unserer Sammlung sogar etwas Erfrischendes basteln, das uns Erleichterung verschafft beim schweißnassen Dahinschmelzen. Wie dem auch sei, dieserlei Fundkünste unserer Hirnwanderung gießen wir euch fein vermischt in den Äther, der die Welt bedeutet. Und wir hoffen dabei durchaus, dass die kryptischen Botschaften aus der Flaschenpostille zu so manch erquicklicher Erheiterung bei unseren geneigten Mitschwitzenden führen. Nun also dann, Vorhang zu, Getränke auf – und: „Allora, andiamo, ventilazione“

Bonaire„A story of aspiration and salvation, the spirit of 2008 revived and taken to the max. Let Oberbama amaze you, take you on a journey to understanding. Many are called, chosen are few. Ask yourself „Why me? What part can I play?“ The answer is easy: Share with your loved ones as well as your enemies. For Oberbama is the light.“ Wers gern mag, dass ihm/ihr die Erlösung vom Himmel hoch geradewegs vor die Füße fällt: Oberbama – Barack Obama Dildulo

Was für ein Video! In dem einen oder anderen verschrobenen DJ-Set soll ja sogar schon die gleichnamige (als Single produzierte) Radio-Version aufgetaucht sein. Der Text dürfte wiedererkennbar sein, besteht er doch ausschließlich aus dem Titel selbst … Wohingegen der Text von Was tut man um zu sein (das meines Erachtens mit Abstand schrägste der “Vorletzten Lieder” von Georg Kreisler) durch seine fast schon atemlose Komplexität besticht. Wem bis jetzt noch nicht heiß oder schwindlig geworden ist, möge sich mit diesem Aufguss zur Einstimmung anschütten:

Was tut man, um zu sein?
Man schaltet’s Fernsehn ein
und setzt sich in den Sorgensitz
und sorgt sich über Fernsehwitz
und lässt das Fernsehn schrein.
Das tut man, um zu sein!

Ist das Leben ein Schlauch,
füll dir mit Coca Cola den Bauch.
Wodka tut’s auch!
Hey!

Wo im Mai schon der Schnee fällt,
fahr’n die Eskimos Ski.
Ein vierblättriges Kleefeld
garantiert den Treffer in der nächsten Lotterie.

Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein
Bockwurst, Bier und Brüder Grimm…
Mandelbaum und Kohn und Goldstein
schlummern tief in Oświęcim…

 

Lieber Griechen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Juli – Verstehen sie denn nicht, dass diese Menschen eine eigene Kultur haben? Ja, das ist dann hier wohl die Frage, wenn wir sprachlos die jeweils neuesten Nachrichten von der Europäischen Finanzplanierung Griechenlands hören und sehen. Weil einem genau das dabei zu vergehen droht, ist – allein schon aus gesundheitlichen Gründen – eine Rückbesinnung auf ein paar Besonderheiten der griechischen Kultur geboten. Und was würde sich in diesem etwas anderen Kafenion dafür besser eignen, als Geschichten darüber zu erzählen? Zum Beispiel die vom Jorgos (ein legendärer Wirt in der Schönbrunnerstraße), bei dem wir einst alle anschreiben ließen, und den es doch immer wieder verwunderte, wenn einer von uns dann seine Schulden bezahlte. Eine ganz eigene Kultur eben…

UND GUSCHOder auch die vom Grosser Michi (mein über alles geliebter Pfadfinder-Gruppenleiter), der zur Zeit der griechischen Militärdiktatur als Jugendlicher in Piräus Spottlieder auf Papadopoulos sang und dafür letztendlich nur fast verhaftet wurde! Warum wohl zog es jahrzehntelang gerade die etwas anderen Kinder nach Griechenland, einem Synonym für Freiheit und Abenteuer? Was war etwa eine Maturareise dorthin – in jenem historischen Zeitalter vor der Erfindung allinklusiver Rundumbehupfung? Darin könnte uns die Episode vom plötzlichen Verschwinden des Schneider Gü (mein Altgriechisch-Professor) wohl einige Einblicke eröffnen. Oder auch eine von Georg Danzer meisterlich selbst erzählte. Naturgemäß dürfen dabei die drei bekanntesten Vertreter der austro-hellenischen Freundschaft nicht fehlen, nämlich Steinbäcker, Timischl und Schiffkowitz. Aus dem wunderbaren zweisprachigen O Xenos (Gert Steinbäcker, Panos Falaras) hier nun die Übersetzung der griechischen Passagen quasi als Einstimmung – oder zum Schluss:

Mein Sohn fragt mich, ob du früher kommst.
Ich sagte ihm, im Mai wird er bei uns sein.
Tausende von Problemen haben wir und Steuern sogar noch mehr.
Aber mit einem Freund bei dir erträgst du das Leben.

Die Herzen sind ohne Grenzen, sie haben den gleichen Himmel.
Die gleichen Monde in einer Welt, fremd, leer und dunkel.
Heimat ist der Traum der Menschen, der die Seelen verbindet.
Und die Freunde, wie du weißt, zeigen sich in schwierigen Zeiten.

Darauf erst mal einen Ouzo!

 

Schaffnerlos

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Juli – Mit dem diesmonatlichen Ganzen Album wollen wir einen wesentlichen Mitverursacher des Phänomens Austropop würdigen – und ihn speziell für die jüngere Generation den allzu schlappen Genrezuordnungen wie etwa „Musiker, Darsteller, Kabarettist“ entreißen. Denn Joesi Prokopetz schrieb nicht nur die Texte der meisten frühen Ambros-Hits (Da Hofa, Es lebe der Zentralfriedhof), sondern erschuf auch (im Produnktionskollektiv Ambros, Tauchen, Prokopetz) bis dato in Österreich einzigartige Konzeptalben respektive Hörspielwelten: „Der Watzmann ruft“, „Augustin“ – und eben das hier nun zu erlebende „Schaffnerlos“. Ein viel zu lang schon auf Kleinkunst und Blödelspaß reduzierer Textdichter, dessen hintergründige Beobachtungen inzwischen endlich auch in einer Dissertation gewürdigt wurden.

schaffnerlos 1978Es ereignen sich so wunderliche Szenen wie zum Beispiel diese: „Passns auf, do kennt jo jeda kumma und ma wos vo seim Sackl vuawanan und donn zwa Stationen umasunst foan! Bei mir lösen sie sich einen Fahrschein und donn kemma weida redn.“ – „Aso, so woin sie des drahn? Sie woin mi bezichtign, vo mia aus bleibns stehn mit ihnan Kibl!“ – „Sogns ned nu amoi Kibl zu meim Beiwogn!“ – „Kibl sog i.“ – „Sogns es ned nu amoi!“ – „Kibl sog i, jawoi, Kibl! Kibl! Kibl! Kibl!“ – „Ka anzichs Moi mea!“ – „Kibl! I hob jo gseng, doss eas gseng hot. Ea hots jo duat hin gstöd, ned.“ – „Jo ich bitt sie, so gehns doch weiter, wie kommt man denn dazu, der Herr Schaffner ist doch auch nur ein Mensch.“ – „Wos is a? A Mensch is a? A Sackldiab is a!“ – „Schauns, dass aussikumman, jo, jetzt is genug!“ – „So gehns doch weiter, sie Rüpel!“ – „Mischns ihna ned dauernd ein, sie Funzn, sie oide. Mundraub is des, jawoi, Mundraub. Mundraub!“ Wen wunderts, dass derlei atemberaubender Disput letztendlich in einem anarchischen Ausbruch der lebenslang unterdrückten Emotion kulminiert: „Von mia aus kennan mi olle umasunst am Oasch leckn!“ Das einfühlsam gezeichnete Psychogramm des echten Wieners zwischen Anpassung und Aufbegehren, oder, wie es Uwe Dick in der Vorrede zum Öd formulierte: „Die Summe derer, die ich täglich aushalten muss.“

Wir wünschen viel Vergnügen!

 

Sonnwendsendung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Juni – Eine kritische Einlassung zu diversen Volksbrauchtümern – und unserem eigenen Erleben! Sommerliches Sonnenanbeten sowohl dies- wie auch jenseits von Christendumm, Ahnenerbsen und Esoterroir. Ein Potpourri aus Information und Nachdenklichkeit, zudem fein garniert mit Musik von Daisy O’Hara und Mystik aus den Alpen. Unter anderem. Denn die Beforschung des vermutlich schon uralten Fests zur Sommersonnenwende (also zum längsten Tag und zur kürzesten Nacht im Jahreskreis) stellt uns halt noch immer vor Rätselhaftes: Sich vorzustellen, wie zum Beispiel die bronzezeitliche Bevölkerung unserer Breiten das signifikante jahreszeitliche Ereignis begangen oder „gefeiert“ haben könnte, das erfordert ein Einfühlen in deren Lebenswelt ohne ideologisch interpretierende Brille.

sonnwendfeuerAllen bisherigen Deutungen des ursprünglichen Gehalts solcher Riten ist nämlich eines gemeinsam: Das nachträgliche Vergewaltigen aller Artefakte und Zeugnisse im Sinne ihrer jeweiligen Weltanschauung. So unterscheiden sich die bekannten Erklärungsansätze immer nur in den Ergebnissen und nie in ihrem Zugang zum Gegenstand an sich. Die katholische Weltdeutung etwa sieht in „extatischen Veitstänzen heidnischen Götzendienst“, der durch religiöse Überformung sogleich „unschädlich gemacht“ werden muss. Die germanenspinnerten Nationalsozialisten hingegen interpretierten in dieselben spärlichen Quellen eine „urmächtige Erscheinung des reinsten völkischen Brauchtums“ hinein. Zuletzt die esoterisch verquast neuheidnisch-spiritualistische Sicht der (kaum bezeugten) Dinge, die uns ein überquellendes Eintopfgericht voller „außerirdischer Offenbarung und naturmystischer Geheimlehren für Eingeweihte“ zu servieren trachtet. Puuuh, sagte der Bär – und hieß doch nicht Harry Rowohlt

feuertanzDabei lässt sich der Feuertanz auch ohne ideologisches Brimborium ganz und gar selbst vollführen – als ein Würdigen des Werdens und Vergehens – in allem dauerhaft Bestehenden. Als fortwährende Wiederverinnerlichung dessen, was sich in der Natur zyklisch von der Geburt über den Tod bis zur Wiederkehr stets erneuert – ganz im Gegentum zu den behaupteten Ewigkeiten menschlicher Erfindung. Da ist kein großer Unterschied zwischen dem Himmelreich und dem tausendjährigen – oder der kostengüstigen Reinkarnationstherapie. Wie gesagt, es ist wahrscheinlich kaum je möglich, derlei Vorvergangenes wie die Sonnenrituale der Ureinwohner überhaupt nachzuvollziehen, weil wir alle immer unbewusst die Kulturbrille unserer Zivilisation aufhaben. Und dennoch gibt es Möglichkeiten, das Phänomen Sommersonnenwende annähernd zu verstehen, vielleicht auf dem Umweg über vorzivilisatorische Kulturen außerhalb Europas – oder bewusstseinsverändernde Surrealismen in der Kunst.

sonnwendfeierBestes Beispiel für so einen echten Tanz mit dem Feuer ist dieses Lied:

Just learn to hide the way that you really feel
Never let them know that you’re scared
But understand that you’re not the special only one
Watch us now, watch us real close

How we all dance with this fire ‚cause it’s all that we know
And as the spotlight turns toward us, we all try our best to show
We are lost, we are freaks, we are crippled, we are weak
We are the heirs, we are the true heirs, to all the world

Let’s go build a fire down on the empty beach when the waves are crashing high
White heat purify, as the sparks fly up into the great black sky
Sacrifice these crutches to the crackling flames
Stand as silhouettes against the dawn
It’s far too late to try to sleep now, seems I’m never tired any more

I want to dance with this fire ‚cause it’s all that I know . . .
We are lost, we are freaks . . .
And we try our best to show . . .
I am lost… I’m a freak… ha ha ha

New Model Army – Ballad of Bodmin Pill

Und wir bedanken uns bei Till Westermayer für seine Feuerfotos auf flickr 😉

 

Deine Stimme, die zählt!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. MaiJournalismus und Märchenwelt, passt sowas denn zusammen? Romana Stücklschweiger geht diesmal mit uns auf die Suche nach ein paar magischen Geheimnissen zwischen Phantasie und Professionalität, die das Selbstsenden im freien Medium gar wundersam verzaubern. Denn das, was uns als Community der vielen verschiedenen Stimmen ausmacht, das entzieht sich seiner systematischen Dingfestmachung oft ähnlich wie die überraschenden Wendung eines Märchens – oder Traums. Sind wir also auch so etwas wie eine andersweltliche Erscheinung inmitten des Realitätsalltags, die sich nur durch ihr Dazwischensein definieren – und so von den anderen Erscheinungsformen abgrenzen kann?

Machtkunst„Wer kann beweisen, dass der sogenannte normale Zustand nicht ein Wahn ist – ein süßer Wahn vielleicht, aber ein Wahn. Dass ich in Wahrheit verzaubert oder gar verflucht bin. Dass ich weit von mir selbst entfernt, also verwandelt, bin?“ So formuliert es Michael Köhlmeier im Vorwort zu einem Kapitel seiner „Märchenwelt“. Und wie definieren wir „Wirklichkeit“? Etwa als Sachzwang oder Gewohnheit, als das normative Gewicht des Faktischen? In dem Zusammenhang fragen wir uns zum Beispiel auch, ob nicht mit dem Begriff „Journalismus“ im freien Radio noch etwas Anderes gemeint sein könnte als das im allgemeinen Sprachverbrauch weithin Übliche. Oder wie das engagierte Eintreten für lokale Musiksschaffende hinter den Kulissen funktioniert. Zwischen Handwerk und Idealismus. Zwischen Tagtraum und Technik. Zwischen Weltverbesserung.

KunstmachtDazu wollen wir von Romana einiges erfahren, ist sie doch ihres Zeichens Mitgestalterin des ab Oktober in der Radiofabrik angebotenen Lehrgangs für Musikjournalismus. Überhaupt ist sie ja auch selbst eine seit Jahren erfahrene Musikredakteurin und als solche der geneigten Gehörschaft aus diversen Sendungen stimmlich wohlbekannt. Ja, diese Stimme… Damit kommen wir zurück zu einem wesentlichen Merkmal der freien und selbstbestimmten Community-Radios: Hier ist die Vielfalt der unterschiedlichsten Stimmen in ihrer ganzen Bandbreite zu erleben. Und man merkt, es sind die Stimmen der Menschen, die man auch beim Einkaufen und beim Spazierengehen antreffen kann. Deine Stimme, meine Stimme, unsere Stimmen. Echtheit, nicht Verkaufsprodukt. Das ist das Geheimnis. Denn „Something is happening here, but you don’t know what it is. Do you, Mister Jones?“ (Bob Dylan)