Babylon Salzburg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. JuniZwei Musikstücke mögen unseren heutigen Ausritt in den Abgrund umrahmen: “Apocalypse or Revolution” aus dem neuen Album von Ja, Panik – und “Zu Asche, zu Staub” aus der bemerkenswerten TV-Serie “Babylon Berlin”. Dazwischen liegen knapp 100 Jahre Weltgeschehen, in denen sich zahllose Schrecknisse, Verwundungen und Überlebensreflexe zu einer epigenetischen Kakophonie ungeheuren Ausmaßes ineinander türmen. Geborgen und verfolgt zugleich versuchen wir diesen unüberschaubaren Partituren unseres Generationenlebens irgend einen Sinn zu entreißen – und uns wieder zu entdecken in den durcheinander fliegenden Fragmenten von Ursache, Wirkung und Synthese. Und scheint auch Salzburg hier (vergleichbar) banalzum Babylon reichts allemal.

Babylon SalzburgSo versinnbildlicht etwa der “Turmbau zu Babel” allerorts die Großmannsucht (womit wir nicht die großartige Mechthild meinen) sondern zwanghaftes Wachstum über die Grenzen der Natur hinaus. “Babylonische Sprachverwirrung” bezeichnet die sich unvermeidlich daraus ergebende Zerstörung der “menschlichen” Kommunikation. Und mit “menschlich” meinen wir hier durchaus “menschenwürdig”. “etwas wie babel” nennt Christopher Schmall folgerichtig sein lyrisch-akustisches Work in Progress, mit dem er das Scheitern zwischenmenschlicher Sprachform erforscht, und das er über die Jahre hinweg ständig weiter entwickelt, derzeit unter Einbeziehung einiger Ausschnitte aus “Fluchtstück” von PeterLicht. Das bildet die zweite Umrahmung (womit wir nicht das Milchprodukt meinen) sondern das Gewirr von inneren und äußeren Stimmen, die uns beeinflussen, Anklage und Verteidigung im inwendigen Strafgericht wie bei “Mea Culpa” von David Byrne und Brian Eno.

Kommen wir jetzt zu einem weiteren Sinnbild: “Die Hure Babylon” illustriert ein zum nicht mehr hinterfragbaren System gewordenes “Sich prostituieren”. Sich verkaufen, die eigene Haut zu Markte tragen, sich dem Meistbietenden andienen, sich für Geld ficken lassen – der Sprichwörtlichkeiten hierzu sind einige, und wir alle wissen, was damit gemeint ist. Globale Zwangswirtschaft und Arbeitsstrichservice sind weitere Wortentwicklungen zu diesem weltweiten Machtklotz, der uns allen aufsitzt und uns innen wie außen die Türen zur Freiheit zuhält. Der Zuhälter in vielerlei Gestalten

Den letzten Rahmen (die finale Zwiebelschicht) einer Verbindung von Ja, Panik mit Babylon Berlin muss nun ein Großmeister des Dandytums herstellen: Bryan Ferry, dessen Roxy-Music-Klassiker “Bitter-Sweet” sie einst auf DMD KIU LIDT gecovert haben, und der, nunmehr gepflegt gealtert, in besagter Serie den zeitlosen Song im Stil der 20er Jahre zum Allerbesten gibt. Nur, welche Version passt in die Sendung?

PS. Wir beglückwünschen unsere wackere Kollegin Mirjam Winter (bei der wir beide das Radiomachen gelernt haben) zum Ehrenschorsch der RadiofabrikAlles Gute!

PPS. Das in der Sendung zum Fluchtstück von PeterLicht erwähnte Videoportrait aus unserer Anfangszeit gehört schon auch wieder mal gesehen!

 

Satt Irre

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Juni“Es gibt also doch noch Satire”, “ORFloch” oder “Fuck the Biedermeier” waren alternative Arbeitsitel. Nun also doch “Satt Irre” weil wegen dem Wortspiel und Peter.W.s Satirejingle von damals. Denn Satire, im besten Sinn “Entstellen der Wirklichkeit bis zu ihrer Kenntlichkeit” oder eben durch Übertreiben und Verfremden erst so richtig verstehbare Darstellung, ist für einen gesellschaftlichen Dialog auf Augenhöhe notwendig. Weshalb sie auch von denen verfolgt und unterdrückt wird, die keinen solchen Dialog zwischen den “zum Herrschen Auserwählten” und dem “gefälligst zu funktionieren habenden Pöbel” zulassen möchten. Satire ist eine Schutzimpfung gegen den Schwindel – in dieser Polit-Pandemie. Die einen bekommen sie – und die anderen nicht. Das ist doch irre!

Satt Irre Eck HartUnd immer dort, wo sich irgendein Depp berufen wähnt, autoritär zu regieren, wird Satire ganz schnell zur Majestätsbeleidigung. Hallo? Wir sollen einen Hut grüßen, aber nicht verstehen, was es bedeutet, dass man ihn da hingehängt hat? (Friedrich Schiller, Wilhelm Tell) So ging es Carolin Kebekus mit “der Kirche” (gemeint ist die katholische), als sie deren vorgestriges Selbstbild im WDR anprangern wollte. Schwuppdiwupp, war “Dunk dem Herrn” im Nirgendwo verschwunden. Und ihre Sendung gleich mit. Ist das nicht irre – oder irre ich mich? Dabei verwenden die öffentlich rechtlichen Sender in Deutschland einen durchaus erheblichen Teil ihrer Sendezeit für satirische Beiträge, die eben auch oft politisch brisant sind. Übersetzung: die eben auch oft jemand Einflussreichem nicht so gut gefallen könnten. Und in Österreich? Da verschwindet ein Beitrag von Peter Klien über “Das Kurz-Netzwerk” (hier trotz alledem zu sehen) schwuppdiwupp aus dem Programm des ORF – und seine Sendung “Gute Nacht Österreich” gleich mit. Da hilft nur noch Jan Böhmermanngrenzübergreifend – mit dem “Penatenkanzler”

Moment – ist hier womöglich schon wieder ein “Anschluss” im Gange? Nur weil der Österreichische Unfug zu untertänig oder einfach nur zu kleinkariert ist, um seinem Bildungsauftrag nachzukommen? Kurzifix nu amoi! Da möchte man sich doch zur Kaiserin des Ostreichs krönen lassen. Lisa Eckhart – auch so eine heiße Kartoffel, die im heimischen Medienzoo von St. Betulichgund kein Sendeplatzerl gefunden hat, weil ORFkriecherei hierzulande Staatsraison ist. Und “man” auch nie “jemand Mächtigem” auf die Zehen treten möchte. Schon gar nicht den Empörkömmlingen aus dem Hinternet, dem Gebubble aus der Shitcrowd, den Wutwürsteln aus dem Volkseintopf der Rächthaberei. Ein epigenetisch weitervererbter Totstellreflex

“Ob Hakenkreuz, ob Hände falten – nur eins ist wichtig: Goschen halten!”

 

 

Erich Mühsam Requiem

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Juni – Inzwischen beinah regelmäßig einmal im Monat präsentieren wir im Rahmen der Reihe “Das ganze Album” jeweils ein ganz spezielles Ohrwerk, das unserer Meinung nach gehört gehört. Dazu bringen wir dieses Mal das Vermächtnis mehrerer “Unbequemer” (endlich wieder) zu gefälligem Gehör: “Ich lade euch zum Requiem” Eine Hommage an den anarchistischen Dichter und Freiheitskämpfer Erich Mühsam – gemeinschaftlich zubereitet von Dieter Süverkrüp und Walter Andreas Schwarz. Ein lebenslang linker Liedermacher, dem wir Titel wie “Der Kapitalismus, ein eiserner Engel scheißend Bomben und Napalm” verdanken, und ein KZ-überlebender Hörspielautor, der 1956 beim allerersten Eurovisions-Grand-Prix mit “Im Wartesaal zum großen Glück” das deutsche Nachkriegsidyll torpedierte,

Erich Mühsamsie würdigen hier einen, der immer und überall auszog, um sich selbst treu zu bleiben. Das kann nur dicht werden im besten aller Sinne! Die 31 auf diesem Album versammelten Sprechtexte und Vertonungen des unendlich vielfältigen Erich Mühsam bieten einen tiefen Einblick in Leben und Werk dieses Revolutionärs und Pazifisten, der seine Idee von der herrschaftsfreien Gesellschaft im deutschen Kaiserreich, im ersten Weltkrieg, in der Räterepublik in München und in der sogenannten Weimarer Republik ständig weiter entwickelte – bis ihm 1934 die Grausamkeit des Nazi-Terrors den Garaus machte. Er wurde im KZ Oranienburg auf bestialische Weise beinah zu Tode gefoltert – und anschließend von den SS-Schergen im Scheißhaus erhängt. Apropos Scheißhaus: Ich scheiß dir ins Geschichtsbuch, Gauland, du Vogel! Zurück zu Erich Mühsam – und was die Umstände seines Todes betrifft, war sein Name (tschuldigung) Programm – man legte ihm nämlich nahe, dass er sich gefälligst selbst umbringen möge. Darauf soll er gesagt haben: “Die werden nicht erleben, dass ich mir das Leben nehme.”

Gedenktafel Erich MühsamErich Mühsam war ein Mensch, der seine Stimme bis zuletzt für den Wert jedes einzelnen Lebens wie für das Leben an sich erhob. Sein Tod ist tragisch und ein viel zu früher Verlust. Über seinen so wie er zur Unzeit aus dem Leben gemordeten Mitstreiter Gustav Landauer sagte er in einem Brief:

“Du hast deinen Menschen herausgeschrien, und es ist ein wertvoller Mensch.”

Von seiner Hoffnung, auch über den Tod hinaus, zeugt ein Gedicht, das Konstantin Wecker in der Sendungs-Signation vorträgt: “Sei’s in Jahren, Sei’s schon morgen”

Sei’s in Jahren, sei’s schon morgen,
dass das Glück sich wende,
einmal nehmen Leid und Sorgen
sicherlich ein Ende.

Mensch, vertraue deinem Wollen,
wirk es aus zu Taten!
Ströme fließen, Wolken rollen,
Frucht entkeimt den Saaten.

Über Nöten und Gefahren
wird die Freude thronen.
Sei’s schon morgen, sei’s in Jahren
oder in Äonen.

PS. Eine kurze Biographie zu Erich Mühsam mit Schwerpunkt auf seine überaus vielfältigen Unternehmungen, Bekanntschaften und Liebesabenteuer. Gute Reise!

 

Rettet dem Alternativ

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Mai“Sprache ist eine große Quelle für Missverständnisse.” Diesen Satz, den Saint-Exupéry in “Der kleine Prinz” dem weltweisen Fuchs in den Mund legt, habe ich viele Jahre lang mit einem anderen ergänzt: “Sprache ist auch eine Quelle für viele Verständnisse.” Inzwischen hat sich vieles verändert – man bleibt jedoch für das verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat. Wollen wir uns also diesmal das Verändern einzelner Bedeutungen anschauen – und uns überlegen, wie und warum es dazu kommen mag. Die großen Leute sind nämlich wirklich sehr sonderbar. Alternativ etwa (aus anderem geboren) galt lange Zeit als positiver Begriff für das Entwickeln neuer Lebensmodelle, die nicht zu den bekannten Ergebnissen wie Weltkrieg und Zerstörung führen sollten.

AlternativHeute wird ein politisches System, das Wortgetüme wie zum Beispiel Wachstumsbeschleunigungsgesetz hervorbringt, gern als alternativlos bezeichnet, während extrem rechts von allem und jedem eine “Partei” vorkommt, die sich “Alternative für Deutschland” nennt. Alternativ zur Zerstörung durch den entfesselten Kapitalismus bietet sich somit die Zerstörung durch den entfesselten Nationalismus an. Wie schön! Ein echter Fortschritt – ins ewiggestrige Jahrhundert. Die Querulantenpartie als Ausweg aus dem Untergang – in den Untergang. Und unsereins wird zerquetscht zwischen den Bedeutungen, die einigen einst brauchbaren Begriffen tückisch eingeflößt wurden. Pejorisierung (diese Bedeutungsverschlechterung der Worte im Lauf der Zeit) schön und gut, aber hier scheinen uns allerhand Propagandawichtel mit Brandbeschleunigern zugange zu sein. Wie sonst könnten unschuldige Worte wie alternativ” oder “quer” in kürzester Zeit zu verdächtigen Begriffen degenerieren? Oder “Utopie”, das im Altgriechischen den Nicht-Ort (Ou-Topos) wie den guten Ort (Eu-Topos) beschreibt, also die Vorstellung von etwas (noch) nicht Vorhandenem, wie es gut, richtig und schön beschaffen sein müsste (die Vorstellung von einer “besseren Welt”) – wie kann dieser an sich positive Begriff dermaßen zum Vorwurf der irrealen Phantasterei entgleist sein? Also, WIE?

Sprache als Dialog zwischen Menschen ist unendlich viel mehr als das Erteilen von Anweisungen zum jeweils gewollten Funktionieren. Und ebenso unendlich viel mehr als das Grunzen von Gefühlsrülpsern zur jeweils herrschenden Befindlichkeit. Und noch einmal unendlich viel mehr als das Ausführen von Kommandozeilenbefehlen zur jeweils programmentsprechenden Vorschriftsgerechtigkeit. Der Mensch wird nie eine Maschine sein, Softpower hin und Socialmedia her. Programmierts euch DAS in eure Weltherrschaft – und schon ist sie abgestürzt. HERRLICH. Wir sind für das verantwortlich, was wir uns vertraut gemacht haben.

Vertrauen wir unserer Sprache?

 

Das ist doch nicht normal

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Mai – Das Gesunde Volksempfinden ist wieder da! Die Entscheidung darüber, was normal (und daher erlaubt) ist, wurde an den Volksgerichtshof der Sozialen Medien ausgelagert. Fürderhin urteilt Richterin Shitstorm darüber, was geht – und was ganz sicher nicht. Solches dem schnöden Pöbel dann auch noch als demokratisch zu verkaufen, das riecht nach Stephen Bannon und den Neuen Rechten. Deren Strategie heißt: “Flood them with Shit!” Und die breite Masse besorgt sichs selbst. So schnö konnst goa ned schaun. Da wird gejubelt und vernichtet wie bei den Gladiatoren. Das ist doch nicht normal! Was jetzt? Sprechen sie Sprache? Können sie Kontext? Gibt es nicht sowas wie Übertreibung als Stilmittel? Scherz? Satire gar? Ironie und tiefere Bedeutung?

Das ist doch nicht normalDerzeit haben es sogar Menschen mit Kommunikationshintergrund nicht leicht, ihre Aussagen ins Ziel des Verstandenseins zu bringen, bevor irgendeine Meinungsflut sie nach völlig Woandershin umlenkt. Noch viel schwerer haben es aber jene Menschen, die aufgrund einer schon vorhandenen Überflutetheit durch innerseelische Vorgänge gar keine Möglichkeit zu so etwas wie regelkonformer Ausdrucksweise mehr haben. Sie sind auf unser aller Verständnis der jeweiligen Situation wie deren Begleitumstände angewiesen. Und bekommen sie das auch – etwa wenn sie vor Gericht stehen? Da treffen sie nur allzu oft auf Richter oder Richterin Gnadenlos und werden flugs in den Maßnahmenvollzug abgeschoben. Potentiell lebenslänglich. Like, Dislike, erledigt, R. Ächzstaat. Du sollst normal sein. Abweichler an die Wand! Wir wenden uns daher lieber der “experimentellen Psychose” zu, wie sie im Rausch, in der Kunst, überhaupt im Exzess (und sei der auch noch so leise) anzutreffen ist.

Der bekannte deutsche Raptilienforscher Danger Dan (Antilopen Gang) hat, ganz in der Tradition des großen Satirikers Georg Kreisler, einen Beitrag zur Kunstfreiheit gestaltet, den wir euch ungeachtet der zu erwartenden Online-Meinungsrülpser nicht vorenthalten möchten. Und ich wär nicht wirklich Norbert K.Hund, wenn ich nicht Lust hätte auf ein Publikum, das die Grenzen auszuloten, was erlaubt und was verboten ist, als Einladung versteht, dies auch zu tun

Satire ist, die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit zu entstellen. Das linke Hosenbein ist weiter, hat ein weiser Schneider gesagt (oder wer auch immer). Im Namen des Wahnsinns, sie sind verhaftet! Sie haben zu laut und zu weit gedacht. Verzieren wir die Apokalypse mit einer dezenten Provokation. Pro-vocare, das heißt hervor rufen”. Das ist doch ein geeigneter roter Faden für dieses querassoziative Sammelsurium zum neoliberalen Status Quo. Dankwart ist Tankwart. Exzentrisch betrachtet.

 

Demokratie? Rainer Mausfeld

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. April – In dem von uns bereits mehrfach empfohlenen ARTE-Dokumentarfilm “Corona – Sand im Weltgetriebe” (worin der Virus selbst als hinterfragender Erzähler durch die Geschichte führt) kommt auch ein gewisser Prof. Rainer Mausfeld zu Wort – und spricht über die “Verschleierung der Machtverhältnisse”. Und zwar in dem System, in dem wir hier und jetzt leben – und das wir politisch als Demokratie begreifen. Der Virus erzählt uns von Demokratie als Impfstoff gegen “die Maschine” – und das ist eine wunderbare Metapher für jenen menschgemachten Moloch, der unsere Lebensgrundlagen schon bald vollends zu zerstören droht. Wir wollen mehr über den emeritierten Psychologieprofessor aus Kiel erfahren, dessen Bücher und Vorträge derzeit so viel Aufmerksamkeit genießen.

Demokratie? Illusion?Und kontrovers diskutiert werden: Ist das noch Erkenntnis oder schon Verschwörungstheorie? Ich sehe das so: Nicht für jedes erkennbare Zusammenwirken Mehrerer zum Nachteil von Vielen bedarf es einer realen Verabredung von fassbaren Personen (einer Verschwörung). Oft reichen dafür Gruppendruck oder andere menschliche Schwächen, Sachzwänge, Abhängigkeiten … Psychische Mechanismen also, welche gerade ein lebenslang mit “Wahrnehmungserforschung” beschäftigter Professor erklären können sollte. Und das tut er auch, etwa im Rahmen des zweitägigen Symposions “Demokratie erneuern!” im DAI Heidelberg, aus dem wir, um euch Appetit auf mehr davon zu machen, hier einige Ausschnitte vorstellen können. Der Einführungsvortrag dazu steht in voller Länge auf YouTube zur Verfügung. Des weiteren haben wir dort auch die Vorträge “Warum schweigen die Lämmer” (mit Bezug auf sein bekanntes Buch mit dem nämlichen Titel) sowie seine Rede in der Kreuzkirche Dresden zum Thema “30 Jahre Mauerfall” angefunden – und wir empfehlen selbige ausdrücklich denjenigen, die sich dazu entschieden ihre eigene Anschauung gestalten wollen.

Die aktuellen Erscheinungsformen von “Demokratie” zu hinterfragen ist wahrlich nicht antidemokratisch. Vielmehr ist es der Verwirklichung von Demokratie förderlich, sich ihre grundlegenden Ideen und Ideale immer wieder ins Bewusstsein zu rufen – und diese sodann mit den Realitäten unserer jeweiligen Verfassung zu vergleichen. Nur wenn wir wissen, was (noch) nicht so funktioniert wie es sollte, können wir den “Impfstoff Demokratie” (gegen Machtmissbrauch und Gewaltexzess) ständig weiter entwickeln, so dass er auch gegen die neoliberale Mutante des Machtvirus wirkt.

Um unser eigenes Denken, Fühlen und Verstehen kommen wir dabei sowieso nicht herum. Entweder werden wir in Resonanz gehen und uns die Welt “anverwandeln” – oder das vorgekaut Verordnete nachbeten, nur damit wir nicht ungut auffallen

 

Mensch Masse Material

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. April – Wo hört Mensch auf? Und wo fängt Masse an? Eine entscheidende Voraussetzung für die herrschende Weltreligion vom unendlichen Immernochmehr ist die Vorstellung von Menschen (in unüberschaubar großer Anzahl) als Masse. Wie das Verhältnis von Masse und Macht funktioniert, hat zum Beispiel der große kleine Elias Canetti eingehend untersucht. Und wie sich eine Masse emotional steuern und so den jeweiligen Interessen der Wirtschaft und/oder der Regierung nutzbar machen lässt, das hat Edward Bernays in seinem Hauptwerk “Propaganda” ausführlich erklärt. Nachdem aber Joseph Goebbels als diabolischer Rumpelzwerg der Nazidiktatur andauernd mit dieser Technik (und auf diesem Begriff) herumgehupft ist, benannte man ihn flugs um – in “Public Relations”, abgekürzt PR.

Mensch Masse MaterialDabei gehen die Beobachtung und Erforschung von Masse und Macht weit zurück, so machte sich bereits im 5. vorchristlichen Jahrhundert Thukydides darüber Gedanken.

Wir ergänzen hierzu die Gefühle und Wahrnehmungen einzelner Menschen, die sehr unangenehm ausfallen können, sobald sich die manipulative Absicht hinter der Massenmenschhaltung offenbart. Hierbei untersuchen wir aber nicht die zeitlich befristete Entgrenzung durch “Aufgehen in der Menge” (oder eben “Masse”), wie sie bei Demonstrationen, Fußballspielen, Livekonzerten oder auf Musikfestivals stattzufinden pflegt. Nein, uns interessiert das dauerhafte Betrachtet- und somit Behandeltwerden des Individuums Mensch als anonymer Teil einer anonymen Masse. Entfremdung, Entmachtung, Entpersönlichung im industriellen Maßstab – durch ein neoliberales globalkapitalistisches System.

Dazu dienen uns drei Ausgangspunkte: Erstens das Empfinden, als individuelle Menschen zunehmend (von unbekannten Mächten – oder kennt man die doch?) wie maßstabgetreue Modellbaufiguren behandelt zu werden. “Ein Sackerl Fahrgäste”, hieß das früher bei der Märklin-Eisenbahn. Inzwischen finden sich die lebensecht dekorativen Plastikwichtel in allen Lebenslagen allüberall, wo die schöne neue Bevölkerung dargestellt werden soll. “And the’re all made out of Ticky-Tacky …”

Zweitens die Darstellung von “modernen Siedlungsformen” für die “breite Masse der Werktätigen”, wie sie in dem Malvina-Reynolds-Song “Little Boxes” (hier die Pete-Seeger-Version mit Bildern) punktgenau kritisch hinterfragt wird. Zu jeder Zeit wird der jeweils aktuelle Fortschritt zunächst begeistert bejubelt. Der Horror eines derart generalstabsmäßig geplanten (und verordneten) Glücks schleicht sich später ins gründlich getäuschte Gemüt. Noisy Pride – Little Boxes & Working Class Hero

Und drittens die doch wirklich vieles entlarvende Sprache oder wie Christopher Schmall bei seinem lyrischen Statement “Demaskieren der Gesinnung” auf die Begriffe “Humanressource” und Humankapital” kommen MUSSTE. Unternehmen wir den Selbstversuch: Was macht das mit uns, wenn wir so als die breite Masse, Marktteilnehmer, Wirtschaftsfaktor, ZielgruppeHilfsempfänger, Leistungsträger, als systemrelevant oder statistisch vernachlässigbar angesprochen werden?

Menschenmaterial

 

Georg Danzer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. April“Wie i so drüber nachdacht hab, dass i jetzt ja bald 60 sein werd, und ob so meine Wunschträume und meine Träume, die ja jeder Mensch im Leben hat, ob des a bissal aufgangen is – und auf a gewisse Art und Weise hab i ma dann dacht, is es ned aufgangen – aber andererseits doch.” Mit diesen weisen Worten kündigte Georg Danzer bei seinem letzten Konzert mit Freunden (am 16. April 2007 in der Wiener Stadthalle) das für ihn geradezu programmatische Lied “Träumer” an, dem er dazu noch eine Betrachtung der verschiedenen Bedeutung des Wortes Träumer im Deutschen und im Englischen sowie eine spezielle Würdigung von John Lennons “Imagine” voranstellte: “You may say that I’m a dreamer …”, halt im Sinne von Menschen, die Utopien haben – wie etwa vom Frieden auf der Welt.

Georg DanzerWir haben uns jedenfalls dazu entschlossen, Georg Danzer nicht durch einen Ausschnitt aus jenem “letzten Konzert” ins Gedächtnis zu rufen, zumal das ja einerseits als Geburtstagsfest mit Freundys (zum 60er) – und andererseits schon als Hommage an einen Todgeweihten konzipiert war. Der hierbei gefeierte Künstler verstarb bekanntermaßen nur gut 2 Monate später. Nein, wir wollen Georg Danzer in der Gestalt aufleben lassen, in der er Anfang der 90er als nach Auslandsreisen weltläufiger Dichter, Musiker und Aktivist die österreichische Geräuschkulisse mit seinen unverwechselbaren Beiträgen zu einem etwas helleren, menschlicheren und ja, utopiefähigeren Gesamtklang erweitert hat. So haben wir einige Musikstücke und Erzählungen aus seiner Solo-Tournee 90/91 ausgewählt, deren Höhepunkte auf dem Album “Echt Danzer!” veröffentlicht sind. Dabei war es uns ein Anliegen, besonders die Vielseitigkeit des unbeugsam engagierten, schonungslos liebenden und stets humorvoll selbst- wie sozialkritischen Dialektdichters zur Geltung zu bringen, der eben auch die Hochsprache bei Bedarf nicht verschmähte. Wir möchten etwas davon in unsere heutige Zeit mitnehmen – als Besinnungsinsel im schwindligen Getreibe einer immer unwirklicher zubereiteten “Realität”, die uns in Wirklichkeit nur verwirrt:

I hoits jetz nimma länga aus
und die Entscheidung foid ned schwer,
da Boch hod Sehnsucht noch am Fluss,
da Fluss hod Sehnsucht noch’m Meer.

Mei Lebn – is mei Lebn.
Mei Lebn – des ghead mir.
Keinem Vater, keinem Lehrer,
keinem Meister, keinem Staat.

Mei Lebn – ghead mir!

Georg Danzer – Mein Lebn (1990 Solo-Version)

 

Rosa Resonanz

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. März – Bei unserer Beschäftigung mit der Überlebenskultur – in diesen Zeiten der pandemiebedingten Einschränkungen, in denen auch viele vertraute Formen unseres gewohnten Austauschs miteinander still gelegt sind – entdecken wir immer wieder Themen und Inhalte, deren Aneignung wir entschieden vielversprechend finden. Wenn es für “jegliches” eine geeignete Zeit gibt, dann ist die gegenwärtige, von vielen oft als mühselig, langweilig und leer empfundene, doch genau die richtige, sich schon jetzt mit kraftvollen Konzepten für die nächste Runde im Weltgedümmel der Wahnsinnigen auszurüsten. Oder sich mit einer geistig-seelischen Schutzimpfung gegen das Virus der Vernutzzweckung zu wappnen. Ein solches Mittel finden wir im Begriff der Resonanz bei Hartmut Rosa.

ResonanzDer Professor an der Universität Jena und Leiter des Max-Weber-Kollegs in Erfurt veröffentlichte unter anderem ein Buch mit dem Titel “Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung”, auf das wir uns in dieser Sendung beziehen. Einige der üblichen akademischen Schachterlscheißer (Was ist ein Korinthenkacker und geht es ihm nicht eigentlich um den Machtkampf der Definitionen?) lehnen den Resonanzbegriff nach Hartmut Rosa wegen seiner “umfassenden Herleitung” als “beliebig” und “für einen sozialphilosophischen Grundbegriff zu unpräzise” ab. Pardon, doch da muss ich  jetzt noch einmal auf den Begriff des Korinthenkackers eingehen: “Sobald ihn der Stuhldrang affiziert, eilt er in sein Hirn und scheißt Sessel aus Sperrholz.” Eine irgendwie trockene Angelegenheit – wogegen Hartmut Rosa diesbezüglich oft von einer “Verflüssigung des Verhärteten” spricht. Die chronische Verstopfung ist eben in vielerlei Hinsicht ein Symptom von patriarchalen Hierarchien. Gesundheit!

Als Einstieg in die Materie empfehlen wir seinen erfrischend präzisen und dabei doch flüssigen Vortrag “Sinnsuche und Resonanzbedürfnis” aus der SWR-Reihe Teleakademie. Unter einer weiteren Fülle von Vorträgen und Gesprächen, die auf YouTube unter den Stichwörtern Hartmut+Rosa+Resonanz auftauchen, findet sich auch ein Interview, das Carsten Rose von Radio F.R.E.I. in Erfurt unter dem Titel “Steigerungslogik bringt stumme Weltverhältnisse – Resonanzmomente mit Hartmut Rosa” publiziert hat – und dem er ein Zitat von Hartmut Rosa voranstellt:

             “Die entfremdete Welt ist kalt, leer, bleich und bedeutungslos.”

 

Oans, zwoa, Budern!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. MärzAnsteckendes aus Österreich oder Eine satirische Schutzimpfung gegen die volksdümmliche Zusammenrottung von Grausigkeit, Geilsein und Gier. Halli, Hallo! Wenn ich mir vorstelle, dass der ORF in einigen Jahren nicht mehr nur Peter Alexander, sondern auch Andreas Gabalier als einen Höhepunkt heimischer Kulturentwicklung lobpreisen wird, dann ist mir schon jetzt schlechter als mir gut tut. Und so wie ich leiden viele unter dieser Seuche, die das kommerziell Erfolgreiche ungeachtet jedweden (Nicht)Inhalts nachgerade zum Staatsziel erklärt. Scheißegal, obs unsere Kultur zergrunzt und zersetzt. Hauptsoch, es bringt wos ein. Hauptsoch, fest budert werd, weil Sex sells! Dabei hat Budern nichts mit Puderquastln zu tun, sondern kommt von Butter machen wie anno einst…

Oans, zwoa, Budern!Der deutsche Satiriker Jan Böhmermann hat jüngst am Beispiel Ischgl-Cluster den verbrecherischen Einfluss der Seilbahn- und Tourismuslobbyisten auf sämtliche natürlichen und kulturellen Ressourcen Österreichs offengelegt. Ischgl, dessen exzessive Après-Ski-Identität bereits als  “Alpen-Ballermann” firmiert, dient hierbei als besonders augenfälliges Beispiel für das weltweit zerstörerische Wirken einer “Wirtschaftsentwicklung”, die allein auf Wachstum abzielt – und der alle anderen Bedürfnisse und Interessen alternativlos untergeordnet werden. Was dabei heraus kommt? Fragen sie ihren Arzt

Naturgemäß ist auch die menschliche Sexualität eine natürliche Ressource – und die wird genauso rücksichtslos ausgeplündert wie die Berglandschaft, die Gesundheit, das Trinkwasser oder überhaupt die Zukunft. Und so wird das gegenständliche ZDF-Magazin-Royale auch mit dem Ruf des Animateurs “Oans, zwoa, Budern!” eröffnet. Was muss das für eine gefühllose, aufs rein Mechanische reduzierte Sexualität sein, die sich da nach alkoholschwangerem Chorgegröl in der anonymen Masse fett und verschwitzt abmüht, ihr Leistungsziel zu erreichen? In der E-Bühne der 80er Jahre beschrieb man derlei Inszenierungen trefflich: “Ficki-Ficki und dann abkassieren.”

Endgültig heilsam und erlösend wirkt allerdings Böhmermanns ultimativer Après-Ski-Hit “Ischgl Fieber” (Husti Husti Heh), den er als Höhepunkt seiner Einlassungen unter dem Pseudonym “Tommy Tellerlift und die Fangzauner Schneebrunzer” ins entfesselte Volk röhrt. Das ist “die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit entstellen” vom Allerfeinsten, auch wenn ein offenbar besonders gewitzter Tourismusmanager aus Ischgl anderntags meinte: “Satire lebt von Überspitzungen, nicht von Tatsachen.” (ORF) Wir wünschen ihm viel Spaß beim Bleistiftspitzen, aber nicht von Bleistiften. Und Andreas Gabalier sollte sich schon mal sehr warm anziehen, weil nämlich …

Auf Niederschaun!

Ach, übrigens: In der Sendung “Hakuna Mutanta” haben wir, als eine Möglichkeit des Perspektivwechsels, davon gesprochen “was uns das Virus erzählen könnte”. Kurze Zeit später, am 2. März sendete ARTE den Dokumentarfilm “Corona: Sand im Weltgetriebe”, der in seiner Dramaturgie die Erzählperspektive des Virus einnimmt. Chapeau!