Schreib das auf …

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. Dezember – Es begann damit, dass ich vor einiger Zeit abgründige Ängste und Sorgen in meinem Denken entdeckte, die aus den Umständen und Erfahrungen meines Lebens nicht hinreichend erklärbar waren. Es kam mir so vor, als fände in mir mehr als nur mein eigener Krieg statt, als ließen mich unentrinnbare Urteile eines unsichtbaren Weltgerichts nicht im Frieden mit mir leben. Um etwaige seit Generationen in die Geschichte meiner Familie eingravierte Schreckstarren von mir und meiner eigenen Erinnerung unterscheiden zu können, ging ich auf die Suche nach der Zeit, über die meine Verwandten mir gegenüber so beharrlich geschwiegen hatten. Dabei hat mir das Kriegstagebuch von Egon Erwin Kisch (aus dem 1. Weltkrieg) mit dem Titel “Schreib das auf, Kisch!” sehr geholfen.

Schreib das auf - Postkarte 1912Denn “der rasende Reporter”, der 1908 die sogenannte Redl-Affäre aufdeckte und ein Wegbereiter des investigativen Journalismus in Österreich war, beschreibt darin die Zustände an der Balken/Serbien-Front 1914, wo zur selben Zeit auch mein Großvater im Einsatz war. Um mich selbst besser zu verstehen, wollte ich mehr darüber erfahren, was der dort alles erlebt hat – und worüber nach Ende des 1. Weltkriegs nicht gesprochen werden konnte, wiewohl es in der Gefühlswelt aller Beteiligten auf zerstörerische Weise fortwirkte. Hier liegt ein detailliertes literarisches Zeugnis aus der Hand eines journalistisch geschulten Beobachters vor, das nicht nur die Kampfhandlungen selbst sowie die Lebensumstände der Soldaten an der Front schildert, sondern auch die zunehmend verlogene Kriegspropaganda und deren Auswirkungen auf die Stimmungslage der kämpfenden Truppe kritisch reflektiert.

Wir gestalten eine Zeitreise in die persönliche Wahrnehmung des Einzelnen, der zwischen Kriegsgräueln und Friedenssehnsucht seine eigene Sicht auf die Welt bewahrt. Und wir schauen durch seine Augen auf eine geistesgestörte Hierarchie, die sowohl die eigenen Soldaten als auch die serbische Zivilbevölkerung ohne mit der Wimper zu zucken in die Zerstörung stürzt. Weiterführende Literatur über die Hintergründe dieser Wahnsinnigen haben wir auf Empfehlung eines Großmeisters der Geschichtsschreibung, Prof. Manfried Rauchensteiner, zudem mit einbezogen.

Bei aller äußeren Betrachtung einer “Welt voller Krieg” (in der Gegenwart wie in der Vergangenheit) soll hier die grundlegende Motivation dieser Untersuchung nochmals hervorgehoben werden: Es geht mir um meinen inneren Frieden mit dem, was meine Vorfahren gemacht und was sie erlitten haben, wovon ihre Ängste und Hoffnungen gespeist wurden – und was sich über Generationen hinweg in vielen von uns oftmals unbemerkt weiter auswirkt. Eine Welt voller Unrecht, Gewalt und Zerstörung, die wir offenbar in uns tragen und die in eine Welt voller Frieden verwandelt werden muss.

Den Hasen dieser Welt wünsch ich mehr als nur einen kurzen “Weihnachtsfrieden”.

Schreib das auf …

 

Gedichte durch die Dunkelheit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. DezemberRobert Gwisdek (auch als Käpt’n Peng bekannt) sagt in einem Interview: “Gedichte können in jeder noch so absurd schlechten Lebenssituation entstehen – und vielleicht sogar helfen, weil sie einen kleinen roten Faden um sich selbst spinnen. Nicht, dass es einem hilft, dass man eines hört. Aber es kann einem helfen, eines zu schreiben.” Dies charakterisiert auch das Verhältnis von Dichtung und Dunkelheit im Leben jener beider Lyrikerinnen, denen wir uns heute zuwenden wollen. Christine Lavant und Hilde Domin haben auf verschiedene Weise sowohl persönliche Schicksalschläge als auch “die dunkelste Zeit unserer Geschichte” überstanden – und die dabei erlebte Dunkelheit hat ihre Gedichte geprägt. Eben dadurch üben sie eine ganz besondere Kraft auf uns aus.

Gedichte durch die DunkelheitChristine Lavant litt schon seit frühester Kindheit an schweren Krankheiten und bekam deshalb kaum nennenswerte Schulbildung mit auf ihren zähen Lebensweg, der immer auch ein Leidensweg war. Nichtsdestotrotz begann sie schon bald, inspiriert von Rainer Maria Rilke, selbst zu schreiben. Die Zeit des Nationalsozialismus, die für sie als chronisch kranke und an Depressionen leidende Frau im höchsten Maß lebensgefährlich war (durch die damals beschönigend “Euthanasie” genannte “Vernichtung unwerten Lebens”), überstand sie in radikalem Rückzug und empfand sich dabei als “zu völliger innerlicher Stummheit verurteilt”. Nach Ende des (heute beschönigend “Zweiter Weltkrieg” genannten) allgemeinen Vernichtungswahnsinns brach das Dichten nachgerade “aus allen Rändern” aus ihr heraus. Bestimmt nicht zufällig enthält ein Kindereuthanasie-Mahnmal in Leipzig diese ersten zwei Zeilen:

Das ist die Wiese Zittergras
und das der Weg Lebwohl,
dort haust der Hase Immerfraß
im roten Blumenkohl.

Die Rosenkugel Lügnichtso
fällt auf das Lilienschwert,
das Herzstillkräutlein Nirgendwo
wird überall begehrt.

Der Hahnenkamm geht durch den Tau,
das Katzensilber gleißt,
drin spiegelt sich die Nebelfrau,
die ihr Gewand zerreißt.

Der Mohnkopf schläfert alle ein,
bloß nicht das Zittergras,
das muss für alle ängstlich sein,
auch für ein Herz aus Glas.

Hilde Domin hingegen besuchte ein Mädchengymnasium und studierte anschließend Rechts-, Sozial- und Staatswissenschaften, bevor sie “in allerletzter Minute” über England in die Dominikanische Republik fliehen konnte (sie wäre sonst im Deutschen Reich zur Vernichtung als Jüdin vorgesehen gewesen). Schon im Jahr 1930 hatte sie “Mein Kampf” gelesen und war dadurch zur Überzeugung gelangt, “dass Hitler das, was er da geschrieben hatte, auch ausführen würde”. Sie begann erst mit Ende 30 im Exil zu schreiben, “als Alternative zum Selbstmord”, wie sie es später einmal sagte. Ihre Gedichte sind durch die Unsicherheit der zerbrechlichen Existenz inmitten von unvorhersehbaren Ereignissen geprägt und ringen dabei auf beeindruckende Weise um ein nächstes Vertrauen, das irgendwo unter, hinter, neben dem Zerstörten ist.

“Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug.”

 

Vergänglichkeitsbewältigung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. NovemberHeiliger Bimbam! Das Wort zum Totensonntag, wie er im evangelischen Umfeld heißt. Andächtiges Gedenken an das Lebenswerk der österreichischen Ausnahmeband EAV, die uns viele nicht unwesentliche Betrachtungen abendländischer Geistes(un)kultur hinterlassen hat. Vergänglichkeitsbewältigung ist eine schöne (und sehr lebendige) Wortschöpfung, ganz im Gegensatz zu Vergangenheitsvergewaltigung, wie sie gern (und grausam) von den Machtinstanzen des Menschenfleischwolfs ausgeübt wird. Erinnern wir uns daran, was wir erlebt haben, bevor es Religion gab. Schließlich sind wir die Lebendigen und nicht die Ausgedachten. Bevor wir in eine Funktion abgerichtet wurden, waren wir stimmig. Und das wollen wir sein, indem wir sind, wer wir sind.

VergänglichkeitsbewältigungIch erinnere mich an einen Ausritt in die Vereinigten Staaten”, von wo ich einen Haufen Schallplatten der Beach Boys mitbrachte, die später über Umwege in den Fundus von Manfred Deix gerieten. Schon in jüngeren Jahren sprach mich das irgendwie mehrdeutig schillernde “Break Away” von Brian Wilson mehr an als all die radiotauglichen Sunshinesongs, die sich da sonst so tummelten. Es klang nach einer noch größeren Welt mit unendlich vielen Möglichkeiten – und nicht nach dem eintönigen Freiheitsbrei aus Gehorsam und Langeweile. Es war wie das Versprechen eines Aufbruchs in etwas Eigeneres als das Vorhergedachte, das sich aber wohl erst viel später erfüllen sollte. Jedenfalls kommt es darauf an, dass man überhaupt etwas daraus macht, was einem begegnet. Damit meine ich (God bless America, Fuck) fürwahr kein Geschäft, sondern Kunnst oder eben eine verwandlerisch verbearbeitende Weiterentwicklung auf der Suche nach der nächsten neuen Welt. Und vertrauen sie mir, da gibt es noch sehr viele.

Was aber hat es mit diesem heutigen Titel “Vergänglichkeitsbewältigung” auf sich? Nun, inmitten von all dem, woran wir uns erinnern und all dem, was wir (warum auch immer) vergessen, sind wir selbst vergänglich. Wir erinnern uns vielleicht daran, was wir in unserem Leben gern noch entdeckt hätten und was aufgrund der Umstände nicht möglich war. Irgendwann stellen wir fest, dass das auch in diesem Leben nicht mehr möglich sein wird. Wie wir dann im Bewusstsein unserer Vergänglichkeit mit uns selbst im Frieden leben können, das ist es, was da bewältigt werden will

Gut, wenn man dabei nicht allein ist.

Anmerkung: Der vorletzte Satz dieses Artikels müsste eigentlich heißen: “Irgendwann stellen wir fest, dass einiges davon auch in diesem Leben nicht mehr in der Form, wie es damals hätte sein sollen, verwirklicht werden kann.” (Es ginge sich schlicht nicht mehr aus). Vieles davon kann allerdings, auch anders als erwartet, Gestalt annehmen – doch das ist wiederum eine andere Geschichte, die noch zu erzählen sein wird …

 

Trotzdem Yes zum Leben sagen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Oktober – Dies ist meine sehr persönliche Würdigung der Musik von Yes, die mich seit mehr als 40 Jahren begleitet. Und weil ich in ihrem ausladenden musikalischen Schaffen immer wieder etwas entdecken konnte, das mich angeregt, beschäftigt, inspiriert und weiter gebracht hat, stelle ich euch heute ein paar dieser Kostbarkeiten vor. Von einigen Wendepunkten meines Lebens, die von krisenhafter Infragestellung sowie der Suche nach Sinnhaftigkeit geprägt waren. Deshalb nehme ich im Titel bewusst Bezug auf das legendäre Buch von Viktor Frankl, denn darum geht es ja auch bei der Musik wie bei den Texten der mehr als nur Progressive-Rock-Band Yes: Die Gefährdungen des Lebens nicht zu verleugnenund dabei zugleich weiterhin auf der Suche nach dem Sinn zu sein.

Trotzdem Yes zum Leben sagenJustice to the left of you
Justice to the right
Speak when you are spoken to
But don’t pretend you’re right
This life is not for living
It’s for fighting and for wars
No matter what the truth is
Hold on to what is yours

Sunshine shine on
Shine on you

Yes – Hold On

Ein tief eingepflanztes Schuldgefühl, das bei jedem Aufbruch in ein eigenes Leben zu verstehen gibt, niemand würde sich jemals mit einem darüber freuen können, trifft auf die Textzeile: “I’ve seen all good people turn their heads each day so satisfied, I’m on my way.” Die Angst vor dem Alleinsein droht einen endgültig zu verschlingen, plötzlich bemerkt man: “The proud sons and daughters that knew the knowledge of the land spoke to me in sweet accustomed ways.” Und mitten in der umfassendsten Hilf- und Ausweglosigkeit versteht und berührt einen dieses “Hold On” (siehe oben).

Wie kunstvoll und vielschichtig die Arbeit an verstörenden Themen bei gleichzeitigem Hervorholen von sinnstiftenden Perspektiven mit der Zeit werden kann, zeigt sich auf dem genialen “Shoot High, Aim Low”, das zwei Wahrnehmungsebenen miteinander verknüpft: Die Beobachtung des ebenso geheimen wie realen Krieges in Nicaragua und die Gefühlswelt von zwei miteinander in Liebe kommunizierenden Menschen. Dieser Kreis schließt sich in der Liveaufnahme von “And You And I” vom Jazzfestival in Montreux 2003. So könnte man übrigens auch als Rockmusiker in Würde altern

And you and I climb crossing the shapes of the morning
And you and I reach over the sun for the river
And you and I climb clearer towards the movement
And you and I called over valleys of endless seas

 

Der Krieg in mir

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. August“Der Krieg ist nicht vorbei, wenn er auf den Schlachtfeldern endet. Er geht weiter in den Herzen und Hirnen der Kinder.” So sprach ich als Jugendlicher zu meiner Mutter, die den 2. Weltkrieg noch selbst erlebt hatte, wenn sie daran Anstoß nahm, dass da etwas in mir wütete oder in Trümmern lag. Rückblickend betrachtet waren das weise Worte aus dem Mund eines damals vielleicht 14-jährigen, denn wie man heute weiß, wirken sich die traumatischen Erlebnisse der Eltern- und Großelterngeneration in ihren Nachkommen weiter aus, prägen oft sogar deren Ängste, Wünsche, Träume oder Verhaltensweisen. Der Dokumentarfilm “Der Krieg in mir” von Sebastian Heinzel beschreibt, wie eine solche “Vererbung” durch epigenetische Veränderung stattfinden kann. Und er sucht auch nach Lösungen

Der Krieg in mirAls ob mir das Trauma des 2. Weltkriegs (das mir meine Eltern hinterlassen haben) nicht schon genug wäre, entdeckte ich unlängst auch noch die Feldpostbriefe meines Großvaters aus dem 1. Weltkrieg. Und der war ab 1914 Offizier in jener österreichisch-ungarischen Armee, die unter dem unseligen Oskar Potiorek (den manche Zeitzeugen als zunehmend unzurechnungsfähig beschrieben) dreimal hintereinander vergeblich versuchte, Serbien einzunehmen. Stattdessen wurde sie jedesmal unter immensen Verlusten hinaus geworfen. Auch mein Großvater landete schon im Oktober 1914 im Lazarett, was er nur sehr knapp überlebte, wie mir berichtet wird. Da gratuliere ich mir jetzt aber ausdrücklich und “mit klingendem Spiel” zu diesem ausgewachsenen Mehrgenerationentrauma in meinem lyrischen Kosmos und wundere mich über ganz vieles gar nicht mehr. In der Geschichte dieses Landes und seiner Insassen sind kasperlhafte Politiker nebst ihren hysterischen Feindbildern dermaßen Tradition, dass auch in dieser Hinsicht an epigenetisch eingeschriebene Verhaltensreflexe gedacht werden muss. Hurra, der Untergang des Abendlands ist unausweichlich und wir werden alle sterben. Aber bitte mit Stil. Das ist halt nicht ganz so einfach, wenn du verreckend im Dreck liegst.

Dass wir Krieg verabscheuen, das haben wir in unseren Sendungen immer wieder deutlich gemacht. Dass es aber nach wie vor Menschen gibt, die derlei befürworten, ja sogar betreiben und davon profitieren, das bestürzt uns aufs erschreckendste, zumal wir die über Generationen fortwährenden Spätfolgen dieses Wahnsinns in und um uns wahrnehmen und deren Auswirkungen auch in unserem Alltag erleiden müssen. Hier können die eingangs erwähnte “Suche nach Lösungen” und die von Sebastian Heinzel im Selbstversuch unternommene “Traumatherapie” zum Einsatz kommen

Die begleitende Voraussetzung ist unsere gemeinsame Forderung: Nie wieder Krieg!

 

Letzte Generation Jedermann

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. August – Was soll das für eine Katharsis sein, die sich im Kampf zwischen Kasperl und Krokodil erschöpft, immer und immer wieder? Oder ist der Salzburger Jedermann jetzt endlich auch immersives Theater, in dem sich die Grenzen zwischen Stück und Publikum auflösen? Erstaunt hören wir vom Auftritt der “Letzten Generation” bei der heurigen Premiere – inmitten einer so gegenwartsbezogenen Inszenierung, dass die altgewohnten Unterschiede von “drinnen und draußen” nicht mehr funktionieren – in Verwirrung verschwommen. Was die einen als “Störaktion” bezeichnen, ist für die anderen “mutiger Protest” – und auch darin begegnet uns schon wieder der ausgelutschte Mythos vom ewigen Kampf zwischen Gut und Böseoder eben zwischen Kasperl und Krokodil

Letzte Generation JedermannIn einem Gespräch mit Michel Friedmann (der inzwischen wieder “clean” sein soll, aber nach wie vor unergründlich grinst) entwickelt der renommierte Biologe Johannes Vogel (Was für ein Bart! Was für eine Krawatte!) diesbezüglich die These, “dass wir uns dauernd die falschen Mythen erzählen” – und setzt somit seine Hoffnung für das Überleben der Spezies Mensch auf “die kulturelle Evolution”. Ein famos weiterdenkstiftender Beitrag, den wir unserem unsichtbaren Publikum – speziell in Zeiten wie diesen – wärmstens ans Herz legen. Denn das Damoklesschwert des drohenden Untergangs hängt über uns allen, im Hintergrund unserer Bemühungen, dem Leben inmitten hochkomplex organisierter Naturzerstörung und unentrinnbar scheinender Sozialerosion Tag für Tag, Stunde um Stunde, in jedem Atemzug, in jedem Augenblick noch so etwas wie Bedeutsamkeit abzutrotzdem: “Gut leben in einer untergehenden Welt – ja dürfens denn das?”

Ausgerechnet aus Australien erreichen uns jetzt ebenso erfreuliche wie verstörende Nachrichten: Während der ganze Kontinent Naturkatastrophen bislang ungekannten Ausmaßes erleidet und weite Teile des Landes zunehmend unbewohnbar werden, hupft ein Klimaskeptiker als Premierminister in Begleitung eines Klumpens Kohle im Parlament herum und ergeht sich im Lobpreis des schwarzen Goldes. Wogegen die Band Midnight Oil (die wir letzten Sonntag gewürdigt haben) eine interessante Verknüpfung aufzeigt: Unser Umgang mit der Natur sowie mit der Urbevölkerung.

Was können wir dazu noch sagen? Am besten wohl: Wir sind die Jetzte Generation.

 

Fetzenhelgas Heckenklescher

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. Juli – Dass es einen nach reichlichem Gebrauch desselben “in die Hecken klescht” (mit Nachdruck ins Gebüsch befördert) – das ist einmal die vordergründige Bedeutungsebene, sofern man “Heckenklescher” ausschließlich als Beschreibung der Wirkweise von Weinsorten ansehen möchte. Hinter solch allgemein üblicher Oberfläche lauern allerdings weitere, dem flüchtigen Blick des Vorübergehens meist verborgene Schichten, die “in einem Theater, wie wir es hier haben wollen” auch enthüllt werden möchten. Dass einen etwas, was man als Aufführung erlebt (wovon man also mit all seinen Sinnen reichlich Gebrauch gemacht hat), dergestalt aufwühlt, berührt und erschüttert, dass es einen sinngemäß “in die umliegende Landschaft schmeißt” – das soll durchaus schon vorgekommen sein…

Fetzenhelgas HeckenklescherUnd woher manche Spielfiguren im großen Welttheater ihre “sprechenden Beinamen” haben – das verführt uns in einer geradezu mythenmetz’schen Abschweifung zu der Frage, inwieweit “Fetzentandler” nicht auch als mundartliche Bezeichnung für “Gastwirt” durchginge, zumal solche ja kostenpflichtig “Räusche unters Volk bringen”. Was im übrigen auch die Theaterleute” sowie deren einladend wirkende RepräsenTANTEN der kommerziellen Willkommenskultur machen, in Gestalt von Sinnesräuschen und anderen das Bewusstsein erweiternden Zuständen: “Herr Ober, noch ein Vierterl Katharsis bitte!”

 

Mitten im Stück öffnet sich eine Geheimtür und wir betreten feuertrunken das Reich der “angewandten Ambivalenz des Sowohl-als-auch”. Seit mich die langjährigste aller Festspielpräsidentinnen freundlich in den Arm nahm und mir den sprechenden Beinamen „Der Herr Pirat” umhängte (wobei sie mir den Piratenpulli zurecht zupfte), habe ich ein hochgradig ambivalentes Verhältnis zu ihr entwickelt, welches sich in vielen unserer Sendungen wiederspiegelt – so auch (noch einmal und mit Wumms) in dieser. Oder wie das schon Roxanne in Apocalypse Now (Redux) ausdrückte:

 

“In dir wohnen zwei Seelen, weißt du das? Eine, die tötet – und eine, die liebt.”

 

Einerseits vermissen wir das Zusammenspiel von Bodenständigkeit und Glamour, das die von vielen Schauspielern liebevoll “Fetzenhelga” genannte “Festspielmutti” überallhin verströmte, ihr unverwechselbares Auftreten, Konglomerat aus Kuhstall und Hochkultur, Salzburger Original, Diva und Dirndl, Beschützerin der Bohéme, Verfechterin der Kunstfreiheit … Oder doch nicht? Denn andererseits floh die “frühe ÖVP-Feministin” ausgerechnet aus einer Aufführung, die Gewalt gegen Frauen zum Thema hatte, mit dem Satz: “Das ist nicht das Theater, das wir hier haben wollen.”

 

Wie das Thomas Oberender in unserem Interview 2011 ausdrückte:“Es ist die Urerfahrung des Dramas: Wir sind sterblich – und Leben heißt schuldig werden.”

 

Das gilt für uns alle

Wir sind das eine

Und wir sind das andere

Wir sind beides zugleich

Und wir sind noch viel mehr

 

 

Der Sommer kann beginnen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. JuniDie Welt ist im Begriff aus den Fugen zu geraten – und wir freuen uns, dass es Sommer wird. Leben wir nicht alle in diesem Zwiespalt zwischen Lebensfreude und Vergehen? Zwischen Wachstum und Zerfall? Zwischen “Moi, is des scheee!” und “Geh, bitte – ned des a nu!” Es ist an der Zeit, den Sommer zu begrüßen und mit ihm zu feiern, weil wir kostbar sind. Zerbrechlich, aber wunderschön. Trügerisch wie das Idyll und tief vertraut mit uns. Wenn wir uns wirklich ausliefern, dann werden wir uns auch nicht umbringen. Wir sind ihre Hasen des Guten, Wahren und Schönen. Der Rest ist Geschichten. Womit wir auch schon bei jenem “schönen Ort” angekommen sind, “wo das Leben zur Sprache kommt”, dem Salzburger Literaturhaus und seinem heurigen, ganz speziellen Sommerfest.

Die dort gemachte Aussage: “und ausnahmsweise keine Literatur.” ließ uns innerlich aufhorchen (oder fast schon erschrecken) Waaaas? Ein Fest im Literaturhaus OHNE Literatur? Ja, dürfens denn das? Doch dann erfuhren wir unter der Hand, dass die da angekündigte “Überraschung” aus so einer Art Textpotpourri oder anders gesagt “Sommersprachblütenstrauß” bestehen wird, was wunderbar zu unserer ursprünglichen Idee für diese “Sendung als Sommerfest” passt, wollten wir doch ebenfalls eine “Blütenlese” aus sommerthematischen Audiocollagen und Musikstücken präsentieren und dazu die eine oder andere “Überraschung” bereitstellen. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich stattfindenden Wirklichkeiten ist ebenso beabsichtigt wie auch frei erfunden. Alles andere wäre rein zufällig – und das ist es eh oft. Wobei “rein” … aber lassen wir das!

Es fällt jedenfalls auf, dass in unseren Artarien, Nachtfahrten und Perlentauchereien immer wieder jahreszeitliche Schwerpunkte auftauchen. Das begann schon 2008 mit der mehrteiligen Reihe “Sommerkunst”, die in einer Radioschorsch-Auszeichnung zum 10-jährigen Jubiläum der Radiofabrik kulminierte. Im Juli 2013 hinterfragten wir den Salzburger Festspielzirkus einmal sprach- und gesellschaftskritisch: Sommer Textase Reloaded. Und am 12. Juni 2015 “eröffneten wir uns einen H. C. Artmann Platz. Feierlich. Live. Im Radio.” Unter dem passenden Titel Sommernachtstraum.

Zuletzt soll sich der Kreis noch thematisch schließen. In unserer Sendung Dunkelbunt Sommertag haben wir die eingangs skizzierte Zugleichheit aufgezeigt: “Sommertag assoziiert ja seit Erfindung der Sommerferien alles Vorstellbare rund um Freibad, Freiheit und Freizügigkeit. Oder lieber Freibier? Dennoch wohnt dem Sommersein oft nicht nur Schönes und Helles inne, sondern auch Abgründiges.” Und weiter: “Jede Extase trägt immer auch den Absturz in sich, so wie im Leben das Süße auch immer mit dem Bitteren vermengt ist.”So riecht, so schmeckt, so fühlt sich Sommer an.

Ein frohes Fest. Wir sehen uns …

PS. Jochen Distelmeyer, den wir in der Signation hören und den wir als einen ganz herausragenden deutschen Dichter verstehen, hat mit Jenseits von Jedem die fast 15-minütige Ballade eines realsurrealen Sommerfests verfertigt, die wir euch jetzt zu jedweder Einstimmung – und überhaubst – heftig ans Herz legen wollen.

 

Auslöschung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. April – An diesem Sonntag im April jährt sich zum 85. Mal die “Salzburger Bücherverbrennung”, die kurz nach dem “Anschluss” Österreichs 1938 von fanatisierten Salzbürgern (und -innen!) inszeniert worden ist. Und auch in diesem Jahr lädt die Inititive Freies Wort wieder zum Gedenken an die Auslöschung von Gedanken, Worten und eben auch menschlichen Existenzen ins Literaturhaus – zum “Widerstand” (am Sonntag, 30. April um 11:00 Uhr). Wir fragen uns, wer damals alles “verbrannt” worden ist und was die da so geschrieben haben, dass es gar so dringend “ausgemerzt” werden sollte. Wir bieten Innenansichten aus dem Werk von Stefan Zweig und überlegen uns, was das mit einem Autor (oder einer Autorin) macht, wenn er/sie in Todesangst aus der eigenen Sprachheimat weg muss.

Licht am Ende

“Aber wenn auch nur ein Wahn, so war es doch ein wundervoller und edler Wahn, dem unsere Väter dienten, menschlicher und fruchtbarer als die Parolen von heute. Und etwas in mir kann sich geheimnisvoller Weise trotz aller Erkenntnis und Enttäuschung nicht ganz von ihm loslösen. Was ein Mensch in seiner Kindheit aus der Luft der Zeit in sein Blut genommen, bleibt unausscheidbar. Und trotz allem und allem, was jeder Tag mir in die Ohren schmettert, was ich selbst und unzählige Schicksalsgenossen an Erniedrigung und Prüfungen erfahren haben, ich vermag den Glauben meiner Jugend nicht ganz zu verleugnen, dass es wieder einmal aufwärts gehen wird trotz allem und allem. Selbst aus dem Abgrund des Grauens, in dem wir heute halb blind herumtasten mit verstörter und zerbrochener Seele, blicke ich immer wieder auf zu jenen alten Sternbildern, die über meiner Kindheit glänzten, und tröste mich mit dem ererbten Vertrauen, dass dieser Rückfall dereinst nur als Intervall erscheinen wird in dem ewigen Rhythmus des Voran und Voran.” So beschreibt Stefan Zweig im Exil rückblickend seine verlorene Welt der Sicherheit – in seinen posthum erschienen Erinnerungen eines Europäers Die Welt von Gestern. Traurig, aber wahr.

Und die Frauen? Wir haben eine Dichterin entdeckt, die nach ihrer Vertreibung dort geblieben ist, wo man sie aufgenommen hat – und die das Tragische des Dichters im Exil in ihrem gleichnamigen Gedicht meisterhaft zum Ausdruck bringt. Damit wollen wir euch jetzt euren Zuständen überlassen – und euch zugleich zum Zuhören einladen, denn in unserer Sendung gibt es noch mehr zu entdecken von und mit Bertolt Brecht, Theodor Kramer, Stefan Zweig, Carl Zuckmayer und eben jener Stella Rotenberg:

Der Dichter im Exil

Mir muss Vergessenes reichen;
mit Verschollenem halte ich Haus.
Aus Verdämmerndem klaube
ich Scherben von Silben zu Wörtern heraus.

Das sind noch gesegnete Tage.
Scherben sind endlicher Hort.
Wo hole ich, wenn die Verstummung kommt
Buchstaben für mein Wort?

 

PS. Empfehlenswerte Materialsammlung, bereitgestellt vom Friedensbüro Salzburg – rund um die Salzburger Bücherverbrennung und durchaus noch darüber hinaus.

 

Tyrannenmord

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. April – Seit dem Überfall russischer Truppen auf die Ukraine (am 24. Februar des vorigen Jahres) taucht der Begriff Tyrannenmord wieder vermehrt in den Gedanken und Gesprächen der Menschen auf. Wir wollen uns überlegen, worin sich ein real existierender Tyrann von popkulturellen Archetypen (des “bösen Herrschers” oder der “bösen Herrscherin”, soviel Gleichentrechtigung muss sein) unterscheidet. Und wir wollen am heutigen Todestag von Georg Elser (der kurz nach Beginn des 2. Weltkriegs (am 8. November 1939) im Bürgerbräukeller in München ein Attentat auf Adolf Hitler verübte, das nur leider knapp daneben ging) – also, wir wollen das heutige Gedenken an diesen mutigen Einzelgänger zum Anlass nehmen, etwas vom Wesen der Gewaltherrschaft oder eben “Tyrannei” zu erfahren.

Tyrannenmord - Georg Elser Denkmal MünchenUnd er hätt‘ es beinah‘ geschafft,
Die Mörder live on air zu zerstören.
Das Explosionsgeräusch war für die
Radiohörer deutlich zu hören.

Diese Zeilen aus dem “Lied für Georg Elser” von Gerald Fiebig und William Rossi verdeutlichen das Spektakuläre und eben auch das Scheitern des auf die Minute genau geplanten Anschlags. Ein Umstand, der sich im Konzept des Denkmals in der Türkenstraße als Lichtinstallation wiederfindet: Jeden Tag leuchtet es nämlich zum exakten Zeitpunkt der Bombenexplosion im entsprechenden Rot auf – um gleich darauf wieder bis zum nächsten Tag zu verlöschen. Eine gelungene Annäherung an die Außenwirkung von Georg Elsers todesmutiger Tat – mit künstlerischen Mitteln. Denn der Tyrannenmord bedeutet immer auch das Riskieren des eigenen Lebens, wie wir seit Schillers Bürgschaft eigentlich im Kulturgedächtnis verinnerlicht haben.

Oder seit Stauffenberg. Ich erinnere mich an Dietrich Bonhoeffer, der dem Kreis der Verschwörer des 20. Juli 1944 die Rechtfertigung eines Tyrannenmords aus Sicht des evangelischen Glaubens nahebrachte – und dafür mit seinem Leben bezahlte. Er wurde am selben Tag wie Georg Elser (einen Monat vor Kriegsende) von den Nazis ermordet. Wir spielen heute auch das Album “Lied für Georg Elser”, das “aus Zorn über das weltweite Erstarken des Faschismus geboren” wurde und nähern uns mit künstlerischen Mitteln der Innenwelt des Menschen an, der Tyrannei aktiv ablehnt.

Spielt ihm zu Ehren die Zither,
Denn er wollte die Mörder zerstören.
Spielt so laut, dass wir endlich
Dieses Explosionsgeräusch hören.