Fette Ratten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. AprilPhantastische Tierwesen und wie man sie nicht schlechtreden sollte. Schlechte Gedichte sind sowieso eine Landplage. Schlechte Menschen aber erst recht. Als pensionierter Punkdirektor fühle ich mich durchaus dazu berufen, ein Plädoyer für die Freundschaft mit Ratten anzustimmen. Und zusammen mit dem Hasenobmann einige dieser Tiermetaphern zu hinterfragen. Oder wer hat Angst vorm bösen Wolf? Eben. Wenn man dazu noch in Betracht zieht, wie “unsere” Volksmärchen zustande gekommen sind, dann ist man ratzfatz immun gegen den blödbösen Missbrauch von Ratten und Rotkäppchen. Der braune Pöbel soll endlich den Volksmund halten, denn er stinkt aus demselben wie der berüchtigte tausendjährige Eierschas von der Stefanie Sargnagel. Da riechts nach Untergang!

Ratten in LoveWir nehmen also ein in jeglicher Hinsicht sauschlechtes Gedicht (Warnhinweis: von der Lektüre des missgünstigen Machwerks kann einem tatsächlich schlecht werden) zum Anlass für eine etwas andere Betrachtung unseres Umgangs mit Ratten – und zum Ausgangspunkt einer Würdigung des allerschönsten Rattensprachbilds in der Lyrik des 20. Jahrhunderts: bei Georg Trakl. “Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor” hieß auch die entsprechende Sendung anlässlich seines 100. Todestags im Jahr 2014. Damit weisen wir auf zwei nicht ganz kleine Unterschiede hin: den Inhaltlichen (ob man das andere Lebewesen als solches ernstnimmt oder es bloß als Symbol für Propagandazwecke missbraucht) sowie den Formalen (ob man der deutschen Sprache soweit mächtig ist, dass man mit ihr richtig dichten kann, oder ob man sie bloß als Symbol für Heimatdümmelei benutzt). Nicht, dass wir hier den erigierten Zeigefinger vom Dr. Gscheitscheißer auspacken wollen, aber wir sind schon auch selbst Lyriker – und Niveau ist einfach keine Hautcreme. In einem Land zu leben, in dem Asylantenflut, Rattenplage, Sozialschmarotzer und Ungeziefer zum üblichen Sprachrepertoire gehören, ist mehr als nur bedrohlich

Wie ich immer sage: Thomas Bernhard hat sich noch sehr zurückgehalten.

 

Vielkommen Osternreich

> Sendung: Artarium vom Osternsonntag, 21. April – Und Jesus sprach: “Macht irgendwas mit Hasen!” Oder wie wäre solch ein behoppeltes Auferstehungsfest sonst möglich gewesen? Verdanken wir es den Christen oder doch den Germanen? Oder irgendeinem lustigen Papst, der eine Vorliebe für irgendwas mit Eiern hatte? Die Kirchengeschichte war ja immer schon reich an bizarren Einfällen jenseits von Sinn und Verstand, also versuchen wir diesmal auch eine “etwas andere” Deutung: Von den Germanen über den “deutschen” Papst bis hin zu Rammstein. O du mein Osternreich, ich bezwetschkige mich vor jedem Obstgarten! Dein ist das Dings und das Bums in Ähnlichkeit, Hasen. Wir senden das Frühlingsfest des Eierlikörs aus der Alpenfestung der guten Laune. Und jetzt Andacht an den Empfängnisgeräten!

OsternreichWie wir aus unserer langjährigen Befassung mit der abendländischen Popkultur gelernt haben, geschieht längst nichts mehr Neues unter der Sonne. Aber es gibt noch unendlich viele Möglichkeitsformen, das Vorhandene in immer neue Zusammenhänge zu stellen, um ihm dergestalt unbekannte Bedeutungen zu entlocken. Und genau das wollen wir hier und jetzt tun. Denn die einzelnen Beiträge, etwa von Tommy Krappweis (Hasen), von Hagen Rether (Papst) oder von Klaus Kinski (in der Fassung von Seid was ihr wollt als “Kinskis Villon” bekannt) haben wir allesamt schon zur einen oder anderen Gelegenheit gespielt. Nur dieses Mal ergeben sich bislang unentdeckte Betrachtungsweisen durch Beiziehung aktueller Ereignisse. So hat der Ratzinger Sepp (als inzwischen “emeritierter” Ex- oder halt irgendwie noch Zweit-Papst) kürzlich festgestellt, dass die sexuelle Revolution der 68er für das Missbrauchssystem in der katholischen Kirche verantwortlich ist. Brimborium in senilis trullala? Oder wie meine Fußpflegerin sagt: “Das Grundproblem ist das Bedürfnis so vieler Menschen, lieber etwas zu glauben als sich wirklich auszukennen.” Aber was reg ich mich auf… Spannen wir doch einen Bogen von der Zwangschristianisierung der Ureinwohner über die Kondomwerbung in Polen bis hin zur allerkünstlichsten Lufterregung der letzten Tage, dem Rammstein-Video “Deutschland” (hier über einen Zeitungsartikel aus der Schweiz, um die feuilletonweite Schnappatmerei zu umschiffen). Jössasna!

Hat es noch nie einen Diskurs gegeben? Hat sich auch Geschichte nie ereignet? Schlag nach beim Slowenen oder “Kärnten deibt bleutsch!” Lauter Luftnummern zwecks Auflage und Einschaltquote. Was lässt sich sonst noch sagen? Osternreich ist eine theologische Seppublik – und wir wünschen euch trotz alledem frohe Eier!

 

An einem Sonntag im April

> Sendung: Artarium vom Palmsonntag, 14. April – Das dritte deutschsprachige Album der sehr speziellen Element Of Crime rund um Sänger und Texteschreiber Sven Regener erschien im Jahr 1994 und passt allein schon vom Titel her perfekt in diesen Frühling. Und es passt endlich auch einmal die stilistische Zuordnung zum Gefühlsgehalt des hier Gehörten: “Melancholisch-chansonesk” sei deren Musik laut Wikipedia-Artikel, da waren wohl diesmal wortkreativere Autor_innen am Werk als sonst üblich in Klugscheißingen. Ob das daran liegt, dass der erwähnte Herr Sven seit seinem Debütroman “Herr Lehmann” vor allem als Schriftsteller unterwegs ist? Hoffnung ist eben rar in diesen Unzeiten, da bastelt man sich lieber selbst eine, aus jeder noch so alten “Stirbt-zuletzt-Tube” vom Papierstrand der Möglichkeitsform

An einem Sonntag im AprilSeit ihrem ersten deutschtextigen Album “Damals hinterm Mond” hab ich mich immer wieder gern in den abgründigen Miniaturen dieser Meister des gefährdenden Gefühls verloren. In ihren oftmals surreal anmutenden Liedern treffen sich Anmut und Resignation, Extase und Verzweiflung, Erschrecken und Gelassenheit in unglaublich ausgewogener Ambivalenz. Viel später erst hab ich sie live gesehen: Ihre Präsenz und Präzision in all der erkennbaren Verlebtheit, das setzte erst recht noch eins drauf! “An einem Sonntag im April” schließt mit einem wunderschönen Chanson, von dem die hervorragende Interpretation der Diseuse Georgette Dee fast noch bekannter ist. “An Land” spielt (wie viele von Regeners Texten) mit den Naturgewalten, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Menschen wirken. Wir lieben das mit der Kuh:

Heute wird wohl kein Schiff mehr gehn
und keiner geht vor die Tür
Alle sind heute verschüchtert
nur ich bin es nicht, und das liegt an dir
Am Fenster fliegt eine Kuh vorbei
da kommt jede Hilfe zu spät

Ein Glas auf die Kuh und eins auf die See

Präzision und Melancholie jenseits von Fieberzapferlromantik und Gute-Laune-Radio. Wir hegen die Hoffnung, dass es noch Hoffnung gibt. Ein Glas auf uns!