Die Menschheit schafft sich ab (Vortrag von Harald Lesch)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. August – Nachdem wir nun bereits das gleichnamige Buch von Harald Lesch vorgestellt haben, bringen wir diesmal noch einen ganzen Vortrag von ihm zu Gehör, den er 2017 in der Stadthalle Heidelberg gehalten hat, und der dort vom SWR für deren “Teleakademie” aufgezeichnet ward. Für die Genehmigung zur Verwendung im Radio bedanken wir uns also jetzt bei der Teleakademie-Redaktion, beim Autor und Vortragenden sowie beim Veranstalter dieses sehr speziellen Auftritts, dem Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg. Und weil es für uns ehrenamtliche Freizeitradioten kein Nebenbeispaziergang ist, sich all die für eine Sendung erforderlichen Rechte zu verschaffen, bleibt die Frage, warum wir einen Vortrag “hörbar machen” wollen, der eh schon im Internet umgeht.

Harald Lesch - VortragZum ersten erinnern wir da gern (und immer wieder einmal) an die Betrachtungen von John Peel über die Vorzüge des Radios gegenüber dem Fernsehen: “Radio is and always will be a more powerful medium than television because it allows the imagination of the listener to flourish.” So drückt es jedenfalls Justin Sullivan in einem Nachruf aus. Und so verstehen wir das auch: Gerade bei längeren Sprechstücken von hoher gedanklicher Dichte kann es förderlich sein, sie auch einmal ohne Mimik und Gestik des Vortragenden zu sich zu nehmen. Dabei werden Empathie und Phantasie angeregt, emotionale Nuancen können deutlicher erkannt werden, und das Gehirn beschüttet sich mit allerlei netten Chemikalien, die uns allgemein mit Wohlsein belohnen. Das Hören ohne zugleich zu sehen konzentriert die Wahrnehmung – und verstärkt dadurch die Aufmerksamkeit.

Nun ist Harald Lesch auch kein weithin Unbekannter, vielmehr ist er in zahlreichen Fernsehformaten beinah täglich zugange (alpha-Centauri, Terra X, Lesch’s Kosmos, Frag den Lesch). Die meisten, die ihn von daher kennen, haben eine gute Meinung von ihm: Er sei glaubwürdig, höchst kompetent und vor allem humorvoll. Jemand, der seine Gefühle zeigt (und sie nicht abspaltet), so einen Lehrer hätten sich viele in ihrer Schulzeit oder an der Uni gewünscht, einen, der auch “eher trockene Fächer” mit Saft und Kraft vermitteln kann – und der die “oft eng gefassten Spezialgebiete” in einem übergeordneten Zusammenhang darstellt.

Und so freuen wir uns auf eine echte Sternstunde von Harald Leschs Vortragskunst, in der wissenschaftliche Fakten rund um Naturzerstörung und Klimakrise auf die berechtigte Empörung über die “Durchökonomisierung aller Lebensbereiche” oder den “grenzdebilen Zustand gehorteten Vermögens” treffen. Dieses im besten Sinn poetisch wie prophetisch verdichtete Hörtheater wird abgerundet durch ein dazu passendes Lied von Paul Simon und Art Garfukel:

A Poem on the Underground Wall

 

Die Menschheit schafft sich ab (Buchvorstellung)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. AugustDer Herr Professor von der Universitätssternwarte in München hat ein vielbeachtetes Sachbuch geschrieben, dessen harter Titel uns sogleich sympathisch war: “Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän – Zum Stand der Dinge”. Das Besondere daran ist, dass hier ein anerkannter Wissenschafter den Weltbildern der Wunschdenker “an den Karren fährt”, wie es der geschätzte Gunkl ausdrückt, der im übrigen sogar gelegentlich gemeinsam mit ihm auftritt. Wir verwenden in dieser Sendung das Buch, das uns der Komplett-Media-Verlag zur Verfügung gestellt hat, und Ausschnitte einer Lesung des Autors (mit Publikumsgespräch) in der Buchhandlung Hugendubel. Am nächsten Sonntag gibts dann Harald Leschs gleichnamigen Vortrag auf die Ohren.

Harald Lesch - Die Menschheit schafft sich abDer Themenkreis “Überleben der Menschheit” ist ja tatsächlich seit vielen Jahren ein Dauerbrenner. Doch zum Glück spitzt sich die Frage, ob und wie wir als Spezies Mensch die weltweit zunehmende Zerstörung unseres Planeten überstehen können, in letzter Zeit ebenso zunehmend zu. Themen wie Erderwärmung, industrialisierte Landwirtschaft, Artensterben, Plastikmüll, Überbevölkerung und Ressourcenknappheit drängen trotz vehementer Abwiegelungen vermehrt in unser Bewusstsein. Die Allianzen derer, die “eine gedeihliche Zukunft für alle” etablieren wollen, werden ebenfalls immer bunter und vielfältiger. Da ist eine Krisis in Sicht, die diesen Namen endlich verdient. Wie aber kann eine darauf folgende Katharsis beschaffen sein?

Hier stehen wir nun genau an der feinen Grenze zwischen Wissen und Handeln, die dieses Buch auszeichnet, und die darin auch nicht ratgeberdumm überschritten wird. Der geheimnisvolle Übergang zwischen seinem Inhalt und dessen Auswirkung in der Lebenswelt der Leser*innen bleibt respektvoll gewahrt. Der liminale Zustand muss auch beschützt werden, sonst gelingt die Transformation der Reisenden in etwas Neues nämlich nicht. Genau darum geht es aber derzeit für die gesamte Menschheit: Eine radikale Verwandlung der gesellschaftlichen Strukturen, weg von der Herrschaft der Wenigen und ihrer Profitmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit, und hin zu einem “gedeihlichen Gemeinwesen”, das die Reichtümer der Erde gerecht aufteilt, und das so auch die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten sicherstellen kann.

Nicht umsonst trägt ein Kapitel die Überschrift “Empört euch!”, just dieselbe wie eine Vermächtnisschrift von Stéphane Hessel oder ein mit dieser zusammenhängendes Lied von Konstantin Wecker. In diesem Sinne

 

Tocotronic – Schall & Wahn

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. AugustSeit dem Erscheinen des Tocotronic-Albums “Schall & Wahn” anno domino 2010 juckt es mich speziell zur Festspielzeit immer wieder, dieses wahre Meisterwerk in seiner vollen Länge von über 55 Minuten zu spielen. Jetzt ist es endlich soweit, zumal der Herr Hase und ich heuer eine entsprechend vertrackte Nachtfahrt namens “Wallfahrt nach St. Moloch” gestalten, in welcher wir die sonderbare Vorherrschaft der “Hochkultur” aufs Korn nehmen. Und was könnte dazu besser passen als ein paar dieser unverwechselbaren Dirk-von-Lowtzow-Texte, kunstvoll eingebettet in symphonische Noise-Gitarren? Bei Songtiteln wie “Schall & Wahn” oder “Keine Meisterwerke mehr” ziehts mir ja gleich den ganzen salzburgischen Festspielmoloch aus dem Verdrängungskerker.

Tocotronic - Schall & WahnZwar waren Tocotronic (wie eben so vieles) in meinem Bewusstsein schon seit einiger Zeit nicht mehr so frontal vorhanden wie anno damals, doch dann hörte ich plötzlich wieder die wunderbare Abspannmusik zu Fatih Akins Film “Tschick”Dirk von Lowtzow und Beatsteaks mit “French Disko” – und konnte mich der Hypnose dieser Stimme nicht mehr entziehen. So wie “Gift” eben auch verschiedenste Bedeutungen wiederspiegelt: Ein süßer Rausch aus Wortwitz und Poesie erhellt uns die Welt vor der Katerstrophe, dem Untergang, der dann auch nur vielleicht stattfindet. Unsere Kapitulation IST schon der Sieg. Ätsch! Bilddenkmenschen unter sich oder Warum Diskurswerfen keine olympische Disziplin darstelltZurück zu meinem persönlichen Festspieltrauma: “Die Folter endet nie” und “Gesang des Tyrannen” stehen hier prototypisch für jede ungewollt erlittene Unterdrückung. Und auch die Identifikation mit dem Aggressor (das Stockholm-Syndrom) findet hier seine Entsprechung, oder, wie es Arno Gruen ausdrückt, der Augenblick, “in dem das Vertrauen in den Terror kippt”. “Eure Liebe tötet mich” entlarvt nicht nur die Lüge von den guten Eltern (sowie überhaupt jeder “Obrigkeit, die es nur gut mit uns meint”), sondern zeigt auch die Ambivalenz der mit dem Erkennen dieses Betrugs verbundenen Gefühle. “Ein leiser Hauch von Terror”

Womit also beginnen, in dieser Zweckmühle, wo die verordnete Heimatliebe zugleich Widerstand und Geborgeheit auslöst? “Im Zweifel für den Zweifel” wäre ein Anfang. Oder hörts euch einfach die ganze Playlist an – und denkts euch selber was dabei…