In memoriam Hermes Phettberg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. DezemberHermes Phettberg ist tot … Eigentlich ist Josef Fenz, wie der Hervorbringer der legendären Kunstfigur diesseits seiner öffentlichen Performances hieß, am 18. Dezember im Krankenhaus gestorben. Die Verkörperung all dessen, was ihn umgetrieben hat, und was Menschen wie mich innerlich erreicht, berührt und inspiriert hat, das bleibt in uns allen erhalten und lebt in all seiner Monstrosität und kindlichen Zartheit durch uns weiter. Melancholie und Gesellschaft oder “Alles, was du siehst, gehört dir”, um es mit PeterLicht zu sagen. “Sehen” im Sinn eines umfänglicheren Wahrnehmens als es der Sprachgebrauch des Schnelldrüberhin nahelegt. “Sehen” als ein “unverstelltes in sich aufnehmen” etwa wie ein Traumbild unkontrolliert und ohne Urteil in uns empor steigt und so

In memoriam Hermes PhettbergTatsächlich habe ich hier noch ein Bild gefunden aus jenem Jahr, in dem mir “Phettbergs Nette Leit Show” zum ersten Mal aus dem Fernseher heraus direkt ins Herz “einfuhr” und mich darin ermutigte, auch in diesem “Land of Confusion”, das zwischen Marktwirtschaft und Verdrängung zu zerreißen drohte, doch um einiges mehr für verwirklichbar zu halten, als es in der damals alles verklebenden Normalmoral (die gern als “die Sittlichkeit” oder auch “das gesunde Volksempfinden” daher gestelzt kommt) überhaupt möglich zu sein schien. Ich möchte sagen, dass mir die Selbstinszenierung von Hermes Phettberg im Rahmen der Netten Leit Show die Grenzen in Geist und Seele dahin- gehend ver-rückt, also zurecht gerückt hat, dass es mir wieder möglich wurde, an einen tieferen Sinn in all den widerstreitenden und zunehmend fragmentierten Erfahrungen meines Lebens zu glauben – und zwar ohne den demonstrativ vor mir her zu tragenden Endsieg” über meine Homosexualität, der mir eingeimpft war …

Von solch inwendiger Belebung ergriffen pilgerte ich kurz darauf schnurstracks nach Wien, um dem Beförderer derselben anlässlich des Erscheinens von “Die Krücke als Zepter” höchstselbst und in all seiner Leibhaftigkeit zu begegnen. Und dieses Treffen von Mensch zu Mensch vertiefte in mir jenen Eindruck, den ich zuvor schon aus seiner Bühnenpräsenz gewonnen hatte: Ein Maßloser, in seinem Ringen um Anerkennung an allen Grenzen längst Verzweifelter, der dabei dennoch eine schier unglaubliche Würde besaß, ein seiner geradezu barocken Anmutung um nichts nachstehendes Mitgefühl.

Lieber Hermes, du warst in vielem sehr anders als ich es bin. Und zugleich bist du mir zutiefst vertraut, ich möchte sagen, wesensverwandt. Ich bin erstaunt, wie vieles von dir ich in mir wiederfinde, wenn ich mit mir unterwegs bin. Unlängst hat ein Freund gesagt, ich hätte etwas Monströses an mir. Das habe ich im ersten Moment als nicht zutreffend zurückgewiesen. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr neige ich dazu, es mir (und uns allen) zuzugestehen. Indem ich dir auch in mir begegne, soll es lauten: Im Phettberg’schen Sinn kann ich dieser Monstrosität etwas abgewinnen.”

Und in diesem Sinn – Danke.

 

Diagonal durch die Szenerie

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Dezember – Wir kriegten Weihnachtspost vom Almblitz-Wolfgang, darin dieses zum eigenen Freispruch einladende Zitat von Viktor Frankl: “Wenn du den Raum zwischen Reiz und Reaktion betreten kannst, dann bedeutet das Freiheit.” (Und bitte, der Mann hat sich solche Gedanken im Überleben des KZ-Grauens erkämpft.) Von einem kurzen Aufblitzen dieser Art von Äquidistanz werde ich euch erzählen, nämlich wie ich mitten im Vorweihnachtssalzburg zwischen Mozartsteg und Kaigasse zu der Einsicht gelangte, es wäre zuträglicher, “diese Stadt diagonal zu bereisen”. Was das wiederum mit den Kriegszuständen zu tun hat, die in der Adventszeit überall lauern und die sich am Heiligabend (meist im unentrinnbaren Kreis der Familie) noch steigern können, das soll diese Sendung veranspürlichen

Diagonal durch die SzenerieMeiner verstorbenen Cousine (die sich bis zuletzt Jahr für Jahr durch ein zum leblosen Ritual erstarrtes Familienweihnachtsfest kämpfte) habe ich etwas in ihren Nachruf geschrieben, das mir gerade jetzt, quasi als Grundbedingung, wieder aufgefallen ist – den Freispruch zu Beginn jeder Beziehung und jedes Gesprächs. Im Artikel zur Sendung “Erinnerung an Elke Mader” steht:

2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.

Genau so etwas ist mir kurz vor der eingangs erwähnten Situation wiederfahren (als ich mir dachte, es wäre besser, diese Stadt diagonal zu bereisen). Es befreite mich dazu, meine Wege durch den Vorweihnachtstrubel selbst zu bestimmen und eben nicht als wehrloses Opfer dem Gedränge und Geschiebe von ferngesteuerten Menschenmassen ausgeliefert zu sein. Stattdessen erlebte ich etwas, das Hartmut Rosa als “diagonale Resonanz” beschreibt, nämlich dieses zutiefst lebendige “Hineinkippen, in den Flow geraten” mit einer Sache, vollkommen darin verloren, zugleich vollkommen kontrolliert.

Und weil es (wie jedes Jahr wieder) Weihnachten wird und wir ein starkes Verlangen nach Versöhnung spüren, wollen wir noch etwas vom Wesentlichen hervorholen, das uns im Lauf des (fast schon wieder) vergangenen Jahres untergekommen ist. Zu guter Letzt kommt ein Mann mit der Gitarre und singt (von mir aus unterm Weihnachtsbaum) ein Lied von der Befreiung – vom Krieg, von der Schuld, und von allen damit tragisch verketteten Zwängen. Und das tut er auf Russisch, damit es noch der letzte Kämpfer in der Ukraine versteht. Der General spricht seine Soldaten frei, was für ein Anfang.

Ein frohes Radio euch allen!

 

Fairy Tales for Cyborgs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Dezember – Das lang erwartete neue Album von SoundDiary ist nunmehr erschienen – und mit großer Freude stellen wir es euch hier und heute und in voller Länge vor: FourWord – Fairy Tales for Cyborgs (dessen Gesamtlänge von über 58 Minuten uns zur kürzesten Signation aller Zeiten anregte). Ich gebe zu, dass der Titel (und die von mir dahinter vermutete Geschichte) zunächst einiges an Abwehr hervorrief, so im Sinn von: “Geh bitte, jetzt kommen die auch noch mit diesem inflationären KI-Thema daher.” Und ich muss mich ausdrücklich bei meinem unerschrockenen Sendungspartner, dem Hasen, bedanken, dass er mir durch seine Eindrücke vom Probehören, die er mir geduldig schilderte, ein erweitertes Eindringen in die Fairy Tales for Cyborgs (hier das CD-Booklet) ermöglichte. Und, siehe da

SoundDiary - FourWord (Album Cover)SoundDiary haben sich nicht nur musikalisch weiterentwickelt – eine recht ordentliche, weil auch inhaltlich detailgenaue Rezension findet sich auf “Just for Kicks Music” – auch die Komplexität ihrer Konzeptarbeit hat mit diesem Album wieder eine neue Dimension erreicht. Oder wie wir den Einstieg in die Story hinter dem Konzept des Albums möglichst auf den Punkt zu bringen versuchen: “Eine vielschichtige Geschichte.” und “Ein Ringen um Identität.” Alles, was darüber hinaus noch zu entdecken wäre, entnehmen sie bitte (und hier wird das gern gebrauchte Wortspiel zur Wirklichkeit) der Packungsbeilage. Sowie dem Anhören des Albums selbst natürlich. Womit wir ja immer ein Eintauchen, ein sich vom Hörerlebnis mitnehmen und so zu eigenen Gedanken, Bildern und Phantasien anregen lassen meinen. Da taucht (jedenfalls im Fall dieser Fairytales) so einiges auf, von dem wir gar nicht gewusst haben, dass es überhaupt da war. Oder wissen wir das alles schon immer, nur unsere Verbindung dorthin ist uns irgendwie nicht zugänglich? “Der Verstand kann es nicht begreifen, doch der Körper weiß, wie wir überlebt haben.”

Die “vielschichtige Geschichte” lässt sich nämlich auf verschiedene Weise verstehen oder erleben oder (um in der Sprache des Erzählers zu bleiben) entschlüsseln. Dazu haben wir den Weg über die Worte gewählt und uns beim Hören auch in den Text der einzelnen Songs vertieft. Dabei war uns das Download-Booklet eine große Hilfe, weil es die Texte ohne weitere Grafiken vorstellt. Was mich da angesprungen hat, was mich letztendlich davon überzeugt, dass es sich hier definitiv nicht um eine simple “Robotergeschichte” handelt, das müssten die folgenden Textauszüge aufzeigen:

Mem0r1es:

It seems the pain has left me, I’m surrounded by the people I love.
Although my heart hasn’t stopped bleeding, the wounds are turning into scars.
But still I’m scared about the hours when I’m alone and think about our days.
In every single piece of me you remain a painful thorn that’s stuck in me.

Dreaming of you makes me sweat and cry my tears.
Thinking of you makes me bitter and stunned.

Blame:

Still sorrow in my eyes, still pain I cannot hide.
And still a soul, that dies, I am about to change the side.
We feel a common pain, but our escape route is blocked,
our efforts are in vain, and so we all stay shocked.

Let us out. We’re afraid, there must be something to blame.
Let us out. We’re exposed, falling out of the frame.

J0urney t0 0’0ne:

The closer I get to the center the further away I feel.
I am going to enter the essence of what once was real.
The closer I get to the center the better I see
this black hole that once seemed to matter so much to me.

We are one and we know our journey has just begun.

What’s beyond this strange horizon?
My focus finally lies on the fact that
I don’t owe you anything.

 

Also, ja – Fairy Tales – nicht nur für Cyborgs …

 

Die Übermuttergottes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. Dezember – Wir leben in einer “toxischen” Welt. Oder etwa nicht? Da wird es Zeit, eine Artarium-Adventandacht zum Thema “falsche Geschichten” zu gestalten. Zumal der Marienfeiertag im Konsumrausch beispielhaft versinnbildlicht, wie toxische Dogmen aus dem Altherrenverein Kirche  und das damit verbundene toxische Frauenbild, ich sag nur “Heilige” oder “Hure”, scheinbar unbemerkt in toxisches Alltagsverhalten übergehen. Was bedeutet der geradezu inflationär gebrauchte Begriff “toxisch” eigentlich? Vergiftetes Leben, vergiftete Natur, vergiftete Beziehungen oder gleich Rattengift statt Muttermilch, wir bitten dich, erhöre uns … Was vergiftet die menschliche Evolution? Eine heiße Spur ist diese: “Sind es die falschen Gesichten, die wir uns kollektiv erzählen?”

Die ÜbermuttergottesProfessor Johannes Vogel eröffnet uns einen etwas anderen Blick auf das Menschsein. Auf den Einwand, es sei für Schöpfungsgläubige eine narzisstische Kränkung, dass wir alle genetisch zu 95% mit den Affen verwandt sind, erwidert er souverän folgendes: ”Wir sind auch zu 60% mit der Tomate verwandt. Das ist doch keine Kränkung, sondern eine Schenkung, dass wir seit mehr als 3 Milliarden Jahren Teil ein und der selben Natur sind.” Das hier verlinkte Gespräch ist ein erstes Beispiel dafür, wohin wir mit der heutigen Sendung zielen: Gute Gedanken und andere (also nicht die schon immer erzählten) Geschichten, die uns allesamt als ein Mittel gegen die Vergiftung beim Reparieren der Welt helfen können, sei es im inneren oder da draußen, was ja ohnehin stets zusammenhängt. In der Natur hängt immer alles mit allem zusammen. Unsere nächsten zwei Beiträge, die wir auch live in der Sendung vorstellen werden, stammen von zwei gescheiten Frauen, die jeweils auf ihre eigene Art anders sind …

Zum einen Amber Jacobs, die als “The Storyteller” auf der vehement inspirierenden Seite Museum Of Dreams interviewt wird und dort ihr spontansituatives Erzählprojekt “Telling Tales” beleuchtet, wovon wir uns auch zum Titel der nächsten Perlentaucher-Nachtfahrt “Museum der Träume” anstoßen haben lassen. Dann zum anderen Prof. Marianne Gronemeyer, deren Vortrag “Die Grenze – was uns verbindet, indem es uns trennt” einiges über die jeweilige Systemrelevanz des Beutemachens und/oder Kulturschaffens (aus der Erfahrungswelt von Höhlenmenschen heraus) darstellt.

Anlässlich eines Feiertags, in dessen Verlauf Religion und Konsum verschmelzen.

PS. Arno Gruen – Die Liebe der Mutter direkt aus “Der Verlust des Mitgefühls”