Die heilige Johanna

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. Oktober – Diesmal stellen wir euch ein im angenehmsten Sinn “etwas anderes” Theaterprojekt vor, das uns darauf neugierig gemacht hat, endlich wieder einmal eine Aufführung mit allen Sinnen zu genießen – und nicht einfach nur brav blökend das sonst übliche Überangebot zu konsumieren (wovon wir uns aber ohnehin lieber fernhalten). Wir besehen das Stück “Die heilige Johanna der Schlachthöfe” von Bertolt Brecht, das schon bald in der Inszenierung von Cassandra Rühmling an verschiedensten Orten in Stadt und Land Salzburg zu sehen sein wird. Allein schon die Auswahl der Spielstätten ließ uns aufhorchen – so findet etwa die Vorpremiere am 1. 11. um 19:30 Uhr in der altkatholischen Kirche statt – das ist schon einmal erfrischend anders als “Theater immer nur im Theater”.

Die heilige JohannaBeim Schreiben dieses Artikels stelle ich fest, dass ich hier keine wie auch immer gearteten Interpretationen, Brecht-Traditionen oder sonsterlei ideologische Vereinnahmungen seines Werks anführenja, nicht einmal verlinken möchte. Das hat wohl mit der unrühmlichen Brecht-Verdammung hierzulande (in der Zeit des kalten Krieges) zu tun und mit der bizarren Geschichte rund um seine Staatsbürgerschaft. Die ihm vor 75 Jahren verliehene österreichische hat er ungeachtet der damit verbundenden Skandale und Hysterien zeitlebens beibehalten. Das freut uns (im nachhinein) am heutigen Nationalfeiertag, der einst Tag der Fahne hieß und von fähnleinschwenkenden Kindern mit “von oben” verordneter Freude “begangen” wurde. Seither widerstrebt es mir, vorgegebene Deutungen und Be-deutungen (von wem bitte, von wem?) aufgetragenerweise wiederzugeben. Und so fühle ich mich bei “echt lebensnachspürenden Inszenierungen” wesentlich wohler.

Denn Cassandra Rühmling dringt gemeinsam mit ihrem engagierten Ensemble in die tieferen Schichten der heiligen Johanna vor. Wiewohl die politische Aktualität von ungerechter Ausbeutung deutlich zur Sprache gebracht wird, steckt in dem recht komplexen Stoff doch noch einiges mehr an psychologischem Erkenntnisgewinn, etwa über das Kommunizierenwollen und das Verstandenwerdenkönnen oder die Rückbesinnung auf ein in allen Kämpfen mit inneren wie äußeren Verhältnissen fortwirkendes “Mensch sein”, ohne das weder Überleben noch Verstehen gelingt.

Wir freuen uns also schon auf die erwähnte Vorpremiere am 1. November und ganz speziell auf die Regisseurin und zugleich Hauptdarstellerin, die bei uns im Studio zu Gast sein und uns mehr als nur einige Einblicke in “die heilige Johanna” sowie ihre faszinierende Arbeit durch die vielen Schichten des Dramas bieten wird. “Diese Frau macht kein Theater – sie ist eins.”, sagt man über sie. So eine Verkörperung dessen, was Theater ausmacht, selbst zu erleben, das empfehlen wir naturgemäß ausdrücklich. Alle Termine und Tickets elegant auf dieser Seite: Theaterplatz.at

 

Und Thomas Oberender empfiehlt: “Hören sie genau hin!”

 

Kolonialwaren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Oktober – Wenn heute jemand das N-Wort (für Menschen dunkler Hautfarbe) nicht verwenden will, dann hoffentlich deshalb, weil es (und seine noch abwertendere Variante, die schwarze Menschen als rechtlosen Besitz weißer Plantagenbesitzer bezeichnet) nach wie vor die Geschichte eines über Jahrhunderte verübten Verbrechens gegen die Menschlichkeit weiter erzählt – und zwar so, als wäre es ganz normal gewesen, mit Menschen wie mit Kolonialwaren zu handelnSachen, die einem gehören und mit denen man machen kann, was man will. Und wenn wir uns heute so umschauen auf der Welt, dann wird genau die Geschichte – von höheren und niedrigeren Menschen und vom Recht der einen, die anderen zu besitzen und zu beherrschen – vielerorts wieder traurige Realität.

Nun haben wir in Österreich keine böse Kolonialgeschichte (wie etwa die belgische eine war) … möchte man immerhin meinen. Doch wenn wir unser Augenmerk von Afrika oder überseeischen Gebieten auf den benachbarten Balkan richten, dann sieht das schon wieder anders aus. Auch wenn es dabei nicht um den allseits begehrten Kaffee ging, um Kolonialwaren und deren billige Inbesitznahme ging es auch im Fall von Bosnien-Herzegowina. Meine eigene Familiengeschichte kann davon Finsteres berichten – und zwar von Seiten der Täter*innen. Noch heute preist man etwa den Holzreichtum Bosniens als gewaltige natürliche Ressource. Zur Zeit der Okkupation (und später Annexion) durch Österreich-Ungarn (von 1878 bis 1918) wurde mein Urgroßvater als ein Mitglied der “k.u.k. Landesregierung” in hohen Positionen der “Forstabteilung” damit beschäftigt, so viel Holz als möglich aus den bosnischen Wäldern “zu gewinnen”, und zwar um Schwellen für den Eisenbahnbau in der gesamte Monarchie bereit zu stellen. Hier ein Video seiner Villa in Sarajevo.

Man kann ihn also durchaus als einen privilegierten Ausplünderungsbeauftragten bezeichnen. Und jetzt schauen wir uns einmal das Verhältnis der Österreicher*innen zu den Einwohner*innen Ex-Jugoslawiens an – wie es sich seit damals entwickelt hat – und wie es sich heute darstellt und vor allem anfühlt (und zwar für beide Seiten). An diesem Punkt der Überlegung kommt unweigerlich das österreichische T-Wort, nämlich “Tschusch”, ins Spiel. Danke, Lukas Resetarits! Und die bemerkenswerte Beobachtung, wie sich die Ausgegrenzten “der ersten Generation” verwandelten …

Im Grunde handelt diese Sendung auch “vom Hausneger” und “vom Lakai” – zwei weiteren zutiefst abwertenden Bezeichnungen für zwei längst überholt geglaubte gesellschaftliche Positionen – in die wir jedoch zu unseren Lebzeiten persönlich hineinvergewaltigt wurden, wovon wir in Gestalt von zwei anschaulichmachenden Anekdoten noch berichten werden. Und davon ausgehend wollen wir versuchen, die unselige Spirale der Gewalt zu durchbrechen, in der viele frühere Opfer später zu Tätern werden (fast schon zwangsläufig). Und ja, hier sind das speziell Täterinnen.

 

“De Frauen san de Tschuschn vo da Wöd” (John Lennon auf Wienerisch)

 

PS. Mwita Mataro (At Pavillon) hat uns durch seinen Film “Austroschwarz” und mit seinem Song “Schwarzer Hase” zum Nachdenken über die Kolonialwaren angeregt – und somit des weiteren auch zur Gestaltung der heutigen Signation inspiriert.

 

Peter Gabriel geht in seiner Arbeit am jüngst erschienenen “Live and Let Live” der Frage nach, inwieweit “Forgiveness” im Sinne von Nelson Mandela beim der für uns alle so notwendigen Befreiung aus den Verstrickungen von Schuld und Rache eine wesentliche Rolle spielt – ja, geradezu unverzichtbare Voraussetzung dafür ist.

 

Innergebirg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Oktober – “Innergebirg einmal anders”, könnte man so sagen, wenn einen die ab- und hintergründigen Geschichten von Thomas Mulitzers neuem Mundart-Album entgegenwehen. “Zehn Lieder aus der Schattseite der Heimat”, so heißt es in der Erscheinungs-Ankündigung auf seiner Homepage. Und das ist gewiss nicht untertrieben. Kunstvoll in der Schwebe gehaltene Ambivalenzen zwischen gefühlter Identität und schleichendem Erschrecken formen ein Gesamtereignis, das der tatsächlichen Wirklichkeit des Lebens und Erlebens erstaunlich nahe kommt. Dazu hat mit Sicherheit die feine Arbeit von Produzent Fabio Schurischuster von der Grazer Mischerei beigetragen, die das neue Solowerk in ein Klangbild einbettet, das ausgewogen zwischen Hoamat und International changiert.

Thomas Mulitzer - InnergebirgWir freuen uns ja erheblich darüber, dass wir dieses Heilmittel gegen die einseitige Heimattümelei pünktlich zu den verordneten Jubelfeiereien erhalten haben, die gemeinhin und gemeinerweise den Herbst zu einer patriotismusbesoffenen Jahreszeit verunstalten. Kaum sind wir einem immer noch lederhosendepperter werdenden Rupertikirtag mit seinen plumpen Fickdirndln entronnen, da dräut uns auch schon der Kärntner Landestrubel (10. Oktober) – hier zum Ausgleich zwei Partisanen – und dann auch noch der sonderbare Nationalfeiertag am 26. Oktober, dem wir heuer zum Glück ebenfalls einen schönen Kontrapunkt aufsetzen können, nämlich mit einer Sendung zur Brecht-Inszenierung “Die heilige Johanna der Schlachthöfe” von und mit Cassandra Rühmling, auch im Hinblick auf Bertolt Brechts österreichische Staatsbürgerschaft, die er vor 75 Jahren erhielt. Da war aber bald Feuer im Karton und die Geschichte als ein Beispiel dafür, warum es in diesem Land so ist, wie es ist, sei hier nachgelesen. Es macht viel Arbeit, zu dem, was wir hier erleiden, Stellung zu beziehen – zudem auf eine Art und Weise damit umzugehen, die uns unsere Lebenslust und Freude nicht verdirbt

Da könnten wir beim Pongauer Poeten und seinem neuen Album “Innergebirg” nachfragen, wie das denn gehen soll, im speziellen Fall “die Heimat lieben”, dabei zugleich “hinter den schönen Schein der Fassaden und Klischees zu blicken”. Und wir könnten uns anschauen, wie das andere Vertreter der Kunstform kritische Heimatdichtung so mundhaben. Als ein besonders gutes Beispiel erscheint uns der Weiherer, zumal der ja auch in seiner Mundart singt und dabei oftmals scheinbare Gegensätze überbrückt, unter anderem den zwischen Hans Söllner und Fredl Fesl.

Bei dem Lied Fährmann” trifft er sich mit Thomas Mulitzer definitiv im Abgründigen. Im Pressetext zu dessen am 24. Oktober erscheinen wollenden Werk heißt es ja unter anderem: “Inspiriert von der Tradition der Murder Ballads verhandeln die Lieder lokale Geschichten, Mythen und unaufgeklärten Verbrechen – immer mit einem Blick für das, was Friedrich Achleitner das G’fäude nennt: das Verfaulte und Verfehlte, das ansonsten keine Beachtung erfährt, das aus dem Normalzustand herausreißt und eine unheimliche Dimension freilegt. Zwischen Wahrheit und Fiktion erzählt …”

 

Innergebirg einmal anders – so wie es ist.