Diagonal durch die Szenerie

Artarium am Sonntag, 22. Dezember um 17:06 Uhr – Wir kriegten Weihnachtspost vom Almblitz-Wolfgang, darin dieses zum eigenen Freispruch einladende Zitat von Viktor Frankl: “Wenn du den Raum zwischen Reiz und Reaktion betreten kannst, dann bedeutet das Freiheit.” (Und bitte, der Mann hat sich solche Gedanken im Überleben des KZ-Grauens erkämpft.) Von einem kurzen Aufblitzen dieser Art von Äquidistanz werde ich euch erzählen, nämlich wie ich mitten im Vorweihnachtssalzburg zwischen Mozartsteg und Kaigasse zu der Einsicht gelangte, es wäre zuträglicher, “diese Stadt diagonal zu bereisen”. Was das wiederum mit den Kriegszuständen zu tun hat, die in der Adventszeit überall lauern und die sich am Heiligabend (meist im unentrinnbaren Kreis der Familie) noch steigern können, das soll diese Sendung veranspürlichen

Diagonal durch die SzenerieMeiner verstorbenen Cousine (die sich bis zuletzt Jahr für Jahr durch ein zum leblosen Ritual erstarrtes Familienweihnachtsfest kämpfte) habe ich etwas in ihren Nachruf geschrieben, das mir gerade jetzt, quasi als Grundbedingung, wieder aufgefallen ist – den Freispruch zu Beginn jeder Beziehung und jedes Gesprächs. Im Artikel zur Sendung “Erinnerung an Elke Mader” steht:

2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.

Genau so etwas ist mir kurz vor der eingangs erwähnten Situation wiederfahren (als ich mir dachte, es wäre besser, diese Stadt diagonal zu bereisen). Es befreite mich dazu, meine Wege durch den Vorweihnachtstrubel selbst zu bestimmen und eben nicht als wehrloses Opfer dem Gedränge und Geschiebe von ferngesteuerten Menschenmassen ausgeliefert zu sein. Stattdessen erlebte ich etwas, das Hartmut Rosa als “diagonale Resonanz” beschreibt, nämlich dieses zutiefst lebendige “Hineinkippen, in den Flow geraten” mit einer Sache, vollkommen darin verloren, zugleich vollkommen kontrolliert.

Und weil es (wie jedes Jahr wieder) Weihnachten wird und wir ein starkes Verlangen nach Versöhnung spüren, wollen wir noch etwas vom Wesentlichen hervorholen, das uns im Lauf des (fast schon wieder) vergangenen Jahres untergekommen ist. Zu guter Letzt kommt ein Mann mit der Gitarre und singt (von mir aus unterm Weihnachtsbaum) ein Lied von der Befreiung – vom Krieg, von der Schuld, und von allen damit tragisch verketteten Zwängen. Und das tut er auf Russisch, damit es noch der letzte Kämpfer in der Ukraine versteht. Der General spricht seine Soldaten frei, was für ein Anfang.

Ein frohes Radio euch allen!

 

Fairy Tales for Cyborgs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Dezember – Das lang erwartete neue Album von SoundDiary ist nunmehr erschienen – und mit großer Freude stellen wir es euch hier und heute und in voller Länge vor: FourWord – Fairy Tales for Cyborgs (dessen Gesamtlänge von über 58 Minuten uns zur kürzesten Signation aller Zeiten anregte). Ich gebe zu, dass der Titel (und die von mir dahinter vermutete Geschichte) zunächst einiges an Abwehr hervorrief, so im Sinn von: “Geh bitte, jetzt kommen die auch noch mit diesem inflationären KI-Thema daher.” Und ich muss mich ausdrücklich bei meinem unerschrockenen Sendungspartner, dem Hasen, bedanken, dass er mir durch seine Eindrücke vom Probehören, die er mir geduldig schilderte, ein erweitertes Eindringen in die Fairy Tales for Cyborgs (hier das CD-Booklet) ermöglichte. Und, siehe da

SoundDiary - FourWord (Album Cover)SoundDiary haben sich nicht nur musikalisch weiterentwickelt – eine recht ordentliche, weil auch inhaltlich detailgenaue Rezension findet sich auf “Just for Kicks Music” – auch die Komplexität ihrer Konzeptarbeit hat mit diesem Album wieder eine neue Dimension erreicht. Oder wie wir den Einstieg in die Story hinter dem Konzept des Albums möglichst auf den Punkt zu bringen versuchen: “Eine vielschichtige Geschichte.” und “Ein Ringen um Identität.” Alles, was darüber hinaus noch zu entdecken wäre, entnehmen sie bitte (und hier wird das gern gebrauchte Wortspiel zur Wirklichkeit) der Packungsbeilage. Sowie dem Anhören des Albums selbst natürlich. Womit wir ja immer ein Eintauchen, ein sich vom Hörerlebnis mitnehmen und so zu eigenen Gedanken, Bildern und Phantasien anregen lassen meinen. Da taucht (jedenfalls im Fall dieser Fairytales) so einiges auf, von dem wir gar nicht gewusst haben, dass es überhaupt da war. Oder wissen wir das alles schon immer, nur unsere Verbindung dorthin ist uns irgendwie nicht zugänglich? “Der Verstand kann es nicht begreifen, doch der Körper weiß, wie wir überlebt haben.”

Die “vielschichtige Geschichte” lässt sich nämlich auf verschiedene Weise verstehen oder erleben oder (um in der Sprache des Erzählers zu bleiben) entschlüsseln. Dazu haben wir den Weg über die Worte gewählt und uns beim Hören auch in den Text der einzelnen Songs vertieft. Dabei war uns das Download-Booklet eine große Hilfe, weil es die Texte ohne weitere Grafiken vorstellt. Was mich da angesprungen hat, was mich letztendlich davon überzeugt, dass es sich hier definitiv nicht um eine simple “Robotergeschichte” handelt, das müssten die folgenden Textauszüge aufzeigen:

Mem0r1es:

It seems the pain has left me, I’m surrounded by the people I love.
Although my heart hasn’t stopped bleeding, the wounds are turning into scars.
But still I’m scared about the hours when I’m alone and think about our days.
In every single piece of me you remain a painful thorn that’s stuck in me.

Dreaming of you makes me sweat and cry my tears.
Thinking of you makes me bitter and stunned.

Blame:

Still sorrow in my eyes, still pain I cannot hide.
And still a soul, that dies, I am about to change the side.
We feel a common pain, but our escape route is blocked,
our efforts are in vain, and so we all stay shocked.

Let us out. We’re afraid, there must be something to blame.
Let us out. We’re exposed, falling out of the frame.

J0urney t0 0’0ne:

The closer I get to the center the further away I feel.
I am going to enter the essence of what once was real.
The closer I get to the center the better I see
this black hole that once seemed to matter so much to me.

We are one and we know our journey has just begun.

What’s beyond this strange horizon?
My focus finally lies on the fact that
I don’t owe you anything.

 

Also, ja – Fairy Tales – nicht nur für Cyborgs …

 

Die Übermuttergottes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. Dezember – Wir leben in einer “toxischen” Welt. Oder etwa nicht? Da wird es Zeit, eine Artarium-Adventandacht zum Thema “falsche Geschichten” zu gestalten. Zumal der Marienfeiertag im Konsumrausch beispielhaft versinnbildlicht, wie toxische Dogmen aus dem Altherrenverein Kirche  und das damit verbundene toxische Frauenbild, ich sag nur “Heilige” oder “Hure”, scheinbar unbemerkt in toxisches Alltagsverhalten übergehen. Was bedeutet der geradezu inflationär gebrauchte Begriff “toxisch” eigentlich? Vergiftetes Leben, vergiftete Natur, vergiftete Beziehungen oder gleich Rattengift statt Muttermilch, wir bitten dich, erhöre uns … Was vergiftet die menschliche Evolution? Eine heiße Spur ist diese: “Sind es die falschen Gesichten, die wir uns kollektiv erzählen?”

Die ÜbermuttergottesProfessor Johannes Vogel eröffnet uns einen etwas anderen Blick auf das Menschsein. Auf den Einwand, es sei für Schöpfungsgläubige eine narzisstische Kränkung, dass wir alle genetisch zu 95% mit den Affen verwandt sind, erwidert er souverän folgendes: ”Wir sind auch zu 60% mit der Tomate verwandt. Das ist doch keine Kränkung, sondern eine Schenkung, dass wir seit mehr als 3 Milliarden Jahren Teil ein und der selben Natur sind.” Das hier verlinkte Gespräch ist ein erstes Beispiel dafür, wohin wir mit der heutigen Sendung zielen: Gute Gedanken und andere (also nicht die schon immer erzählten) Geschichten, die uns allesamt als ein Mittel gegen die Vergiftung beim Reparieren der Welt helfen können, sei es im inneren oder da draußen, was ja ohnehin stets zusammenhängt. In der Natur hängt immer alles mit allem zusammen. Unsere nächsten zwei Beiträge, die wir auch live in der Sendung vorstellen werden, stammen von zwei gescheiten Frauen, die jeweils auf ihre eigene Art anders sind …

Zum einen Amber Jacobs, die als “The Storyteller” auf der vehement inspirierenden Seite Museum Of Dreams interviewt wird und dort ihr spontansituatives Erzählprojekt “Telling Tales” beleuchtet, wovon wir uns auch zum Titel der nächsten Perlentaucher-Nachtfahrt “Museum der Träume” anstoßen haben lassen. Dann zum anderen Prof. Marianne Gronemeyer, deren Vortrag “Die Grenze – was uns verbindet, indem es uns trennt” einiges über die jeweilige Systemrelevanz des Beutemachens und/oder Kulturschaffens (aus der Erfahrungswelt von Höhlenmenschen heraus) darstellt.

Anlässlich eines Feiertags, in dessen Verlauf Religion und Konsum verschmelzen.

PS. Arno Gruen – Die Liebe der Mutter direkt aus “Der Verlust des Mitgefühls”

 

Scenes from a Night’s Dream

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. November – Es geht ans Eingemachte. Aber mit Humor, das ist überlebenswichtig. Beginnen wir mit einem Urgestein der hierzulandigen Unterhaltungskunst: Lukas Resetarits, der in seinem Programm “Schmäh” einige Wirklichkeiten bis zur Kenntlichkeit entstellt. Und der endlich auch einem Grundphänomen der peinlich/lustigen Selbstäußerung den nötigen Platz einräumt: dem Schas. “Johann Nestroy hat einmal gesagt, oder vielleicht wars auch Michael Niavarani, einer von den beiden hat einmal gesagt: Der Schas ist der beste Komiker. Nun bin ich nicht unbedingt der Ansicht …” Auf jeden Fall soll die mit diesen Worten beginnende Betrachtung unsere Reise durch den innenweltlichen Druckausgleich eröffnen: “Scenes from Intestines“ könnte der Songtitel lauten …

Scenes from a Night's Dream (Little Nemo)Nun ist es tatsächlich so, dass ich selbst in letzter Zeit immer wieder von ausnehmend heftigen Träumen heimgesucht werde, aus denen ich zumeist auch unter vehementem Bauchgerumpel verstört erwache. Wenn ich anderntags von diesen meinen nächtlichen Erlebnissen erzähle, entzücken sie sowohl Dichter als auch Psychotherapeuten oder Schamanen. Und auch ich bin von meinen nächtlichen Leistungen recht beeindruckt, zumal sich dabei so einiges auflöst, was mit dem Verstand und bei wachem Bewusstsein gar nicht hinreichend zu berühren wäre. Doch die mit solch transzendentalen Exkursionen einhergehenden Bauchschmerzen geben mir immer wieder Anlass zur Sorge. Kann ich das nicht irgendwie besser steuern oder gar irgendwie kontrollieren? Und da offenbart sich mir (so banal wie der eingangs angesprochene Schas) ein möglicher Zusammenhang: In dem alten Genesis-Song “Scenes from a Night’s Dream” (der eine Hommage an die Jugendstil-Cartoons “Little Nemo in Slumberland” ist) heißt es unter anderem: “Eating all kinds of food so close to bedtime, they always made him have these nightmares, it seemed.” Da schau her, schon wieder ein (in mehrerlei Bedeutung) Phänomen des Verdauungsdrucks.

“Der Wind hat mir ein Lied erzählt”, könnte man da auch sagen. “Der Druck steigt”, oder “Alles muss raus!”, wie es in einzelnen Musikbeiträgen der heutigen Sendung zum Auspuff kommt. Schwer Verdauliches noch so spät am Abend? Wie verhält es sich dann mit den Auswüchsen des Globalkonsumismus, die uns allen (ob wir das je bemerkt haben oder nicht) schon seit Generationen im genetischen Magen liegen, dass uns die Luft wegbleibt und das Herz Platzangst kriegt vor lauter Schas, der sich da fortlaufend ansammelt? Fragen sie ihren Arsch – oder besser Elias Hirschl.

Scenes from a Content oder Der Darminhalt der Weltverdauung. Prost!

Irgendwann verwandelt sich alles in Cake.

 

Versenkte Erinnerung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. NovemberLiebe Leute! Da müht man sich jahrzehntelang herum, dass die Erinnerung ans BÜCHERVERBRENNEN nie vergessen wird, und auf ein Mal taucht (im wahrsten Wortsinn) noch ein Wahnsinn im Umgang mit unerwünschtem Gedankengut auf, das BÜCHERVERSENKEN, von den Staatsbehörden des Austrofaschismus 1934 kurz nach den Februarkämpfen in Auftrag gegeben und im Mündungsbereich der Traun in den Traunsee durchgeführt. Ungefähr 800 Titel aus der Arbeiterbibliothek Ebensee wurden dafür “aussortiert” und sodann ins Wasser geworfen. Sie sollten “in der Versenkung verschwinden” und mit ihnen auch alle darin enthaltenen Gedanken. Ein Artikel in der Alpendistel 5/2024 erinnert uns daran, wie sich das Vergangene nach wie vor auf uns auswirkt.

Versenkte Erinnerung (Das Freie Wort)Darum gefällt uns auch das dort vorgestellte Erinnerungsprojekt von Alexander Jöchl und Sabrina Kern, weil es durch die Auswahl von zeitgenössischen Buchtiteln durchaus umstrittenen Inhalts die nötige Verbindung zur Gegenwart ermöglicht. Und, das möchten wir anmerken, zur Vorvergangenheit. Denn das Ausmerzen von Büchern (mitsamt den in ihnen enthaltenen Gedanken) findet aktuell etwa in den Schulbibliotheken von Florida statt, hat aber auch etwa als Index librorum prohibitorum jahrhundertelange katholische Tradition und so das “christliche Abendland” entscheidend geprägt. Der Gegenwartsbezug des angesprochenen Projekts “Versenkungen” wird durch die Selbstbeschreibung deutlich: “Ein besonderer Schwerpunkt (bei der Auswahl der zeitgenössischen Titel) liegt auf antifaschistischem, antirassistischem, queer-/feministischem sowie postkolonialem Wissen in Form von Büchern.” – Und was ist mit der Belletristik?

Unter den überlieferten Autorennamen der Bücherversenkung 1934 finden sich nämlich nicht nur die üblichen Sachbuchverdächtigen wie Marx, Lenin oder Stalin, sonder eben auch Maxim Gorki, Fjodor Dostojewski, Upton Sinclair und Émile Zola. Wäre heute zum Beispiel ein Titel wie “The Handmaid’s Tale” von Margaret Atwood ausgewählt worden, um gefälligst dem Vergessen anheim gefallen worden zu sein? Ein entsprechendes Video mit dem Titel “The Unburnable Book” ließe derartiges vermuten. Lassen wir uns zum Übertragen von Erinnerung in die Gegenwart anregen:

Dazu verwenden wir eine Textpassage aus Maxim Gorkis Roman “Die Mutter” und lassen sie aus der klanglichen Unterwasserwelt von Deprogramming Division wieder im Hier und Jetzt auftauchen. Unser kleines Hörmahnmal soll die Gefühlswelt der Arbeiter*innen von Ebensee und ihre damaligen Wünsche und Hoffnungen zeigen – sowie eine Brücke in unser aller Erleben schlagen, wenn es darum geht, wie wir uns selbst in den Gedanken von Büchern wiederfinden und was uns das bedeutet, wenn wir dabei plötzlich bemerken, dass wir doch nicht allein sind mit unserer Situation.

Wenn wir im Schlamm der Geschichte nach Perlen tauchen …

 

Ernst (Thomas Andreas Beck)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. November – Seltsam, im Nebel zu stochern. Oder unter dem Teppich nachzuschauen, was da schon so lang drunter gekehrt wird. Oder doch nicht? Die Generation der Nachkriegskinder ist mit erheblichen Leerstellen im Familiengedächtnis aufgewachsen. Mit Auslassungen, Umdeutungen und Tabus in der Erinnerung. Thomas Andreas Beck allerdings macht sich auf die Suche nach genau diesen unterbewussten Strömungen, die unsere Welt nach wie vor prägen, sowohl in der gesamten Gesellschaft als auch in der Persönlichkeit jedes einzelnen. Und dabei geht er dorthin, wo es wirklich weh tut, nämlich in sich selbst. Auf seinem Album “Ernst” (das wir heute vorstellen) verschmilzt er dieses Innen mit dem Außen zu einer ausgewogenen Wahrnehmung des Weltwahnsinns, der in und um uns wütet.

Thomas Andreas Beck - Ernst in SalzburgVor einem Monat präsentierte er sein aktuelles Buch “Der Keller ist dem Österreicher sein Aussichtsturm” in der matchBox in Schallmoos und dabei wurde ich von zwei Songs aus besagtem Ernst in eine mir ebenso unbekannte wie wohlvertraute Welt versetzt. “Das ist Ambivalenz! Das ist große Kunst!”, jubelte ich in mir drin und beschloss gleichauf, diese Bewusstseinserweiterung, für die man nicht einmal Drogen nehmen muss, auf dem kreativen Hörweg mit euch zu teilen. Denn wie bereits John Peel von der BBC feststellte: “Radio is and always will be a more powerful medium than television because it allows the imagination of the listener to flourish.” Es waren die Titel “Strones” (ein Lied über den absichtsvoll in die Versenkung verschwundenen Geburtsort von Hitlers Vater am Truppenübungsplatz Allentsteig) sowie “Deponie” (eine Zeitreise in die eigene Kindheit – was auf mehreren Ebenen zugleich funktioniert, nämlich, weil es die Kindheit von vielen von uns berührt).

Dann ist mir noch etwas völlig Unerwartetes passiert (und es sind ja oft die Dinge, die “einfach passieren”, die einem wie von selbst neue Sichtweisen eröffnen). Ich nenne es jetzt einmal “Kreatives Verhören” (im Sinne von “da hab ich mich wohl verhört”). Aus dem Nebenraum hörte ich eine Nummer vom Album “Ernst” mit einem einzigen veränderten Buchstaben, wodurch aus der eigentlichen Aussage jeder Textzeile eine Frage entstand und ich das gesamte Lied als eine “offene Frage” auffasste, deren Antwort sich erst durch seinen Titel ergab. Hier die von mir “verhörte” Version:

Was frisst die Seele auf
Was macht dich hin
Was macht dich deppad
Viel deppader als sie

Was macht dich ängstlich
Was macht dich lieblos
Was macht dich neidig
Was macht dich blind
Was macht dich einsam
Was macht dich stumpf
Was macht dich starr
Was macht dich traurig
Was macht dich bitter
Was macht dich giftig
Was macht dich süchtig
Was macht dich krank
Was macht dich dunkel
Was macht dich brutal
Was macht dich gefährlich
Was macht dich mächtig

Was frisst die Seele auf
Was macht dich hin
Was macht dich tot
Viel toter als sie

Hass

Thomas Oberender empfiehlt: “Hören sie genau hin …”

PS. Um jedweder Velwechsrung von vorn herein (und auch im nachhinaus) vorzubeugen: Das oben abgedruckte ist die auf meinem “kreativen Verhören” basierende Version. Der originale Songtext ist allhier nachzulesen.

 

Schatten über Salzburg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Oktober – Der Autor, Liedermacher und Kabarettist Peter Blaikner hat jüngst “einen Roman nach einer wahren Begebenheit” mit dem Titel “Schatten über Salzburg” herausgebracht. Der bezieht sich auf eine Besetzung des Petersbrunnhofs durch Neonazis im Jahr 1993 sowie verschiedene damit in Zusammenhang stehende Ereignisse. Nachdem es uns über die Jahre immer wieder beschäftigt hat, wie sich “das nicht Wahrgenommene” in seinem Keller (der unser Unterbewusstsein ist) weiter auswirkt, wollen wir die Themen dieses Romans auch in unserer speziellen Sichtweise wiederspiegeln. Denn “das Weggelassene” wie auch “das Hinzuerfundene” einer im Nachhinein “interpretierten Geschichte” hinterlässt in uns Leerstellen, blinde Flecken, Unklarheiten oder eben Schatten”.

Schatten über SalzburgNicht nur in der “großen Geschichte” (etwa der des ganzen Landes) entstehen solche Leerstellen, die von uns mit Bedeutung versehen und in Zusammenhang gebracht werden wollen – auch in den vielen “kleinen Geschichten” (aus welchen “Geschichte” eigentlich besteht) verlangt das Unbeantwortete nach Antwort. Es ist ein großes Verdienst dieses Buches, dass es die Wechselwirkung von allgemeingesellschaftlich verdrängten Unangenehmheiten und individuellen Verletzungen (die wiederum unerfüllte Sehnsüchte bewirken) aufzeigt. Peter Blaikner hält die dafür nötige Distanz zum Geschehen, um sowohl das persönliche Schicksal seiner Figuren als auch allerlei politische Machenschaften, in die sie sich verstricken und in die sie zugleich verstrickt werden, zu verdeutlichen. Beim Lesen gerät man so in einen Zustand des gleichzeitigen Mitfühlens wie eben auch Beurteilens …. und im besten Fall hoffentlich Verstehens. Das ist mehr als man von manch sprachfunkensprühender Weltniveauliterur (dazu gehört dieser Roman eher nicht) aufgetischt bekommt. Wiewohl durchaus kicherigmachende Ausdrücke (da zwinkert der theatererfahrene Kabarettist) das Unterhaltenwerdenwollen bedienen, so etwa ein “innerlich schallend lachender Vater”. Ich habe einige der geschilderten Ereignisse selbst miterlebt und befinde, das Buch lädt zum Selbstweiterdenken ein.

Meine Mutter war im Alter von 14 Jahren ein Vorzeigenazi. Noch 1944 (als bereits alle deutschen Fronten in Auflösung begriffen waren) schrieb sie ein “Kriegstagebuch”, in dem sie Tag für Tag fein säuberlich die Siegesmeldungen” der Reichspropaganda wiedergab. Für wen? Wozu? Alles in ihrer verletzten Kinderseele schrie: “Ich will nicht allein sein! Ich will dazu gehören!” Und auch heute noch schreit es in mir: “Ich will diese Angst nicht ertragen müssen!” (Diese Angst vor dem Terror des Ausgestoßenwerdens. Wer schreit da?). Die Frage ist, wie wir in der Gegenwart mit dem Erinnern umgehen.

Memory ist immer under Construction.

Und wo ist dein Schatten?

 

Reclaim the Radio

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. OktoberDer ORF überschlägt sich geradezu in seiner aktuellen “100 Jahre Radio” Selbstlobinszenierungaber unterschlägt dabei unter anderem, dass es Radio in Österreich schon seit 101 Jahren und 6 Monaten gibt. Auch wenn er das einigermaßen vorsichtig formuliert: “Der 1. Oktober 1924 gilt als die Geburtsstunde des Rundfunks in Österreich.” Was immer bei wem auch immer als was auch immer gelten mag – die tatsächliche Geburtsstunde war der 1. April 1923, als der aus privater Initiative entstandene Sender Radio Hekaphon in Betrieb ging. Der hatte zwar noch keine Konzession (Lizenz) und gilt (schon wieder dieses Wort) rückblickend als illegal, die damalige Regierung benötigte 9 Monate, um dafür den Begriff “Grober Unfug” zu gebären.

Reclaiming RadiowavesUm immerhin dem Freien Radioder dritten Säule des Rundfunks in Österreich – einen gebührenden Platz an der Jubiläumssonne des sonst so selbstbezogenen ORF einzuräumen, lässt die Regisseurin Heidi Neuburger-Dumancic ihren Dokumentarfilm Wellen der Zeit” auch in die Produktionswelt der Radiofabrik eintauchen. Der Film wird am Montag, 21. Oktober um 23:15 Uhr auf ORF 2 (gleich nach dem kulturMontag) zu sehen sein. Wir sind gespannt, inwieweit unsere Rolle für die Entwicklung einer vielfältigen Medienlandschaft (diesseits des unkontrollierten Geschwallers in Sozialen Medien und jenseits des marktschreierischen Gehupes der profitorientierten Sender) zur Geltung kommt. In diesem Zusammenhang ist “gelten” ein überaus interessantes Wort. Zwischen “es gilt als” und “zur Geltung kommen” tut sich ein breites Spektrum an Bedeutungen auf, von extrem passiv wie “Du giltst nichts” bis zur Selbstermächtigung von “Ich verschaffe mir Geltung”

Wie entstehen weit verbreitete oder als allgemein anerkannt geltende Vorstellungen davon, wie sich etwas zugetragen hat und was für eine Bedeutung es für uns heute hätte? Muss dafür die sprichwörtliche “Geschichtsschreibung der Sieger” sämtliche von ihrer Interpretation der Geschehnisse abweichenden Erinnerungen wie mit dem Dampfhammer ausmerzen? Oder genügt es (und das wäre ein viel subtilerer Weg, der nicht leicht zu erkennenen ist), das eine oder andere vielleicht störende Ereignis in der Erzählung wegzulassen und diese neue Version einfach oft genug zu wiederholen?

Wir wollen uns das am eingangs erwähnten Beispiel einmal genauer anschauen.

PS. Zur legendären Sendung “Dylaneske Wortbilder” aus unserem zeitlosen Archiv.

 

Still Corners – Strange Pleasures

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. OktoberImmer wieder anders … Sonst würd es uns auch langweilig werden. Also spielen wir das Album “Strange Pleasures” aus dem etwas anderen Musikbiotop “Still Corners”. Ich übersetz mir das in etwa so: Setzen wir uns in den einen oder anderen “ruhigen Winkel” des Weltgetriebes – und hören wir einfach nur zu, dem Gras beim Wachsen, der Luft beim Aufsteigen oder der Sonne beim Untergehen. Natürlich haben wir dabei alle möglichen Gefühle, eigene und auch fremde, vergangene, gegenwärtige – womöglich zukünftige? Ist das nicht ein “besonderes Vergnügen”, die Welt in uns und um uns herum von so einem “ruhigen Ort” aus zu betrachten? Und wenn es erst mehrere sind, Winkel wie Vergnügungen, dabei könnten uns die folgenden Miniaturen oder der Klang des Albums begleiten:

Still Corners - Strange Pleasuressommers letztes aufwallen : fliehen in die weite : fahrtwindsrausch : frei so frei : für kaum eine zeit und doch irgendwie ewig : so flüchtig dies gefühl so leicht in der schwere der dämmerung : nirgends ankommen wollen : reisend bleiben

einander die kehle geschnürt : unwissentlich : wir erblauen : uns bleibt nicht viel zeit

das bett zerrinnt nach allen seiten, doch mich schwemmt’s nicht davon : ich muss hier bleiben und wachen über alle nächte in denen du fern von mir bist : kein trost : jeder traum dreht sich um sich selbst

deine stimme knistert : am horizont explodiert ein wunsch

feuerfliegen sind leuchtkäfer sind glühwürmchen : wir irrlichtern zwischen ihnen : sehnen uns nach endloser nacht in der wir tanzen inmitten der flammen : gleiten, funkenbeflügelt

graue stadt voll bunter vibrationen : wir gehen ohne ziel, lassen uns ziehen, denken nicht nach oder vor : shiver and flow

meerwärts will das herz und sich der brandung entgegen werfen, ungebeugt und kühn : will untergehen, ein wenig untergehen, ein bisschen schweben bleiben nur

seltsam zurückgekehrt zu sein : kenne häuser, straßennamen, manch gesicht, doch wie in einem halbvergessenen traum : so fremd das vertraute : bin ich anders geworden, sehe also mit anderem blick das noch vorhandene damals oder veränderte sich alles andere ganz anders als geahnt?

im lichterflackern seh ich dich lachen : bässe lösen verkalkte gefühle : wir sind musik : jede faser will tanzen : wir wagen uns tiefer hinein in den rausch der nacht : was passieren wird wissen nicht mal die sterne

magnetischer moment : lichtstreifen wabern im augenwinkel : dicht gewebtes schwarz durch welches wir wege bahnen : wir sind still : wir sind still verloren : brauchen keinen retter : sind selig in der ungewissheit : wir genügen uns

den mondschein getötet : die sterne gelöscht : dem himmel die tiefe genommen : was ist wird werbung : ich glaube nicht an wunder aber an die macht der phantasie : noch gibt es so etwas wie hoffnung

sinken also in den äther : um uns tost die schöpfung : wirbelt, rast, zerbirst : wie im zeitraffer : wie in zeitlupe fallen wir hinauf, hindurch, hinweg : hinter den lidern blühende wüsten, ströme aus licht

wir erinnern uns an die zukunft : sie rauscht und flirrt

 

Ich bien ein lernfähiger Fersager

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. September – Als der Schriftsteller Michael Köhlmeier vor vielen Jahren die Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen hielt, “outete” er sich dabei auch als Legastheniker. Seine Bücher habe er überhaupt nur auf dem Umweg über das gesprochene Wort zustande gebracht, nämlich indem er den jeweiligen Text in ein Aufnahmegerät sprach, von dem seine Gefährtin Monika Helfer ihn dann wiederum in Schrift transkribierte. “So hat er sich also die ausgefeilte Erzählweise (und Stimme) erarbeitet, mit der er berühmt geworden ist.”, dachte ich mir damals spontan. Ein der Not geschuldeter “Workaround”, der die Talente hinter seiner als “Behinderung” aufgefassten Eigenart erst recht zur Geltung bringen sollte. Überhaupt fühlt sich das Wort “Fersager” viel schöner an als mit V geschrieben.

Ich bien ein lernfähiger FersagerWomit wir schon bei einem Grundproblem des gesamten Formenkreises der sogenannten Neurodiversität angelangt wären: Es wird davon ausgegangen, dass eine bestimmte Art und Weise (nämlich die “bei uns” allgemein übliche) des Lernens “normal” sei und alles davon abweichende eine reparaturbedürftige Fehlleistung. Das allerdings ist nach heutigem Kenntnisstand nicht nur ein fester Blödsinn, sondern auch noch für die gesamte Gesellschaft schädlich, also schlicht schlecht. Warum das so ist? Es gibt generell so viele unterschiedliche Gehirnarten wie es Menschen gibt (man spricht von individuell ausgeprägten Funktionsweisen des Gehirns, die genauso einzigartig und unverwechselbar sind wie Fingerabdrücke). Wenn wir also (als Schule, als Eltern, als Geschwister – und überhaupt als Mitkinder) all die irgendwie andersartig denkenden Menschen, mit denen wir es zu tun haben, als selbstschuldige Fehlfunktionen ansehen und sie auch so behandeln, dann …

… sind wir Versager, weil wir ihnen das Menschenrecht auf Entwicklung ihrer ganz eigenen Lösungswege versagen. Und uns selbst die Möglichkeit, über die bisherigen Sichtweisen hinaus zu sehen, vorenthalten. Für mich fühlt sich das Wort “Fersager”  völlig anders an als “Versager”, aber ich kann zur Zeit noch nicht begründen oder genau erklären, warum. “Regeln sind nicht im Kopf, sie sind lediglich brauchbar, um bestimmte Leistungen im Nachhinein zu beschreiben.” Der Salzburger Lernforscher Herbert Fartacek bringt uns mit diesem Satz von Manfred Spitzer auf eine Fährte

Ich bien ein lernfähiger Fersager