> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Dezember – Wir kriegten Weihnachtspost vom Almblitz-Wolfgang, darin dieses zum eigenen Freispruch einladende Zitat von Viktor Frankl: “Wenn du den Raum zwischen Reiz und Reaktion betreten kannst, dann bedeutet das Freiheit.” (Und bitte, der Mann hat sich solche Gedanken im Überleben des KZ-Grauens erkämpft.) Von einem kurzen Aufblitzen dieser Art von Äquidistanz werde ich euch erzählen, nämlich wie ich mitten im Vorweihnachtssalzburg zwischen Mozartsteg und Kaigasse zu der Einsicht gelangte, es wäre zuträglicher, “diese Stadt diagonal zu bereisen”. Was das wiederum mit den Kriegszuständen zu tun hat, die in der Adventszeit überall lauern und die sich am Heiligabend (meist im unentrinnbaren Kreis der Familie) noch steigern können, das soll diese Sendung veranspürlichen …
Meiner verstorbenen Cousine (die sich bis zuletzt Jahr für Jahr durch ein zum leblosen Ritual erstarrtes Familienweihnachtsfest kämpfte) habe ich etwas in ihren Nachruf geschrieben, das mir gerade jetzt, quasi als Grundbedingung, wieder aufgefallen ist – den Freispruch zu Beginn jeder Beziehung und jedes Gesprächs. Im Artikel zur Sendung “Erinnerung an Elke Mader” steht:
2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.
Genau so etwas ist mir kurz vor der eingangs erwähnten Situation wiederfahren (als ich mir dachte, es wäre besser, diese Stadt diagonal zu bereisen). Es befreite mich dazu, meine Wege durch den Vorweihnachtstrubel selbst zu bestimmen und eben nicht als wehrloses Opfer dem Gedränge und Geschiebe von ferngesteuerten Menschenmassen ausgeliefert zu sein. Stattdessen erlebte ich etwas, das Hartmut Rosa als “diagonale Resonanz” beschreibt, nämlich dieses zutiefst lebendige “Hineinkippen, in den Flow geraten” mit einer Sache, vollkommen darin verloren, zugleich vollkommen kontrolliert.
Und weil es (wie jedes Jahr wieder) Weihnachten wird und wir ein starkes Verlangen nach Versöhnung spüren, wollen wir noch etwas vom Wesentlichen hervorholen, das uns im Lauf des (fast schon wieder) vergangenen Jahres untergekommen ist. Zu guter Letzt kommt ein Mann mit der Gitarre und singt (von mir aus unterm Weihnachtsbaum) ein Lied von der Befreiung – vom Krieg, von der Schuld, und von allen damit tragisch verketteten Zwängen. Und das tut er auf Russisch, damit es noch der letzte Kämpfer in der Ukraine versteht. Der General spricht seine Soldaten frei, was für ein Anfang.
Ein frohes Radio euch allen!