Fußball, Fußball, Fußball!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. Juli – Hiermit sei auch den hintersten Wäldlern unter unseren Hörerinnyen bekannt gegeben, dass wirklich schon wieder eine akute Fußball-Weltmeisterschaft ausgebrochen ist. Dieses Mal noch dazu im postkommunistischen Russland (Großputinien), was diesen Umstand auch nicht gerade sympathischer macht. Und hätte der Autor der Weltgeschichte noch Johann Nestroy geheißen, könnte man sich auf manch “sprechenden Namen” einen ganz eigenen Reim scheißen: Dann würde nämlich der frühere FIFA-Präsident nach einer ansteckenden Hautkrankheit benannt (Blattern), der aktuelle hingegen nach einer entwicklungspsychologischen Störung (Infantilo). Sofort wirds wieder lustig mit dieser milliardenschwären Verunstaltung einer an sich doch schönen Spielidee

FußballDie FIFA, dieser undurchsichtige Fußball-Weltverband, dient einzig dem Zweck, “den Fußball” überall zu verkaufen (was ihr auch völlig zu Recht oftmals vorgeworfen wird). Lässt sich in so einem immer noch mehr Geld anhäufenden Sumpf aus Kommerz und Korruption gar noch ein Rest Leidenschaft und Kultur entdecken – und somit (im Sinn des Perlentauchens) herausdestillieren? Derweil kann derlei durchaus noch gelingen, sofern man die Freude an spontan-kreativer Spielgestaltung und den Mut zu assoziativen Umwegen nicht schon vollends verloren hat: So habe ich neulich das uruguayische Nationalteam beim Spiel gegen Russland beobachtet und dabei echte Fußballkunst und Spielfreude entdeckt. Abgesehen davon, dass dieser wieselflinke Diego Laxalt auch eine wahrlich fröhliche Frisur zur Schau trägt. Irgendwie wollte ich da gleich mehr erfahren über dieses sympathische Land zwischen Argentinien und Brasilien, in dem anscheinend doch eine “etwas andere Kultur” gepflogen wird. Und siehe da, bei meinen Nachforschungen stieß ich auf eine der populärsten Rockbands des Landes, La Vela Puerca. Ob deren Name jetzt “Riesenjoint” bedeutet oder was auch immer, das bleibe dahingestellt – halluzinogen sind speziell ihre Texte allzumal.

Am berührendsten war für mich der Umstand, dass mitten in einem über 2-stündigen Livekonzert zum 20-jährigen Bandjubiläum urplötzlich ein Gedichtvortrag stattfand, was mir den hohen Stellenwert der Dichtkunst in der uruguayischen Populärkultur verdeutlichte. Es handelt sich dabei um die spanische Version einer Ode des großen portugiesischen Schriftstellers Miguel Torga von 1946, “A los poetas”. Ein irrer Text, den mir die gute Cristina Colombo für unsere Sendung ins Deutsche übertragen hat.

Für Überraschendes ist jedenfalls gesorgt, so dass sogar Fußballgleichgültige oder Fußballablehnende dieser Themenstellung etwas abgewinnen können. Toooooooor!

I werd narrisch!

 

Gepflegter Kulturpessimismus

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. Juni – Eine gepflegte Beschreibung des Begriffs Kulturpessimismus findet sich in den prophetischen Freibeuterschriften von Pier Paolo Pasolini, welche kurz nach seiner Ermordung 1975 erschienen sind. Im Untertitel “Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft” wird die Zielrichtung seiner Polemik deutlich, speziell die kulturvernichtende Kraft des “Konsumismus”, zu dem sich alle herrschenden Mächte vereinigen, wird hier beleuchtet. Und wenn wir uns heute, über 40 Jahre danach, vergegenwärtigen, wie sich die globalen Gegebenheiten der Zivilisationskultur sowie die kleinräumigen Gewohnheiten unserer Gesellschaft seitdem entwickelt haben, dann drängt sich schon die Frage auf, ob wir unseren Untergang überhaut noch abwenden können.

KulturpessimismusDies eben nicht mehr zu glauben, insbesonders was die Erhaltung einer lebenswerten Gesellschaft betrifft, auch dem Erreichen von Gewaltfreiheit und Gerechtigkeit skeptisch gegenüberzu stehen – darin äußert sich der klassische Kulturpessimismus. Aber, sind wir diesbezüglich schon über den viel zitierten “Tipping Point”, unseren “Point of no Return” hinaus? (Ein geniales Video übrigens von unser aller Physikpropheten Harald Lesch, quasi zur Begriffsbestimmung im Kontext des Klimawandels). Auch bei Pasolini spielt die menschgemachte Naturzerstörung eine wesentliche Rolle. Man könnte sagen, er hat das alles damals vorausgesehen, aber aus heutiger Sicht scheint diese Entwicklung unumkehrbar zu sein. Und dabei soll man nicht depressiv werden? Alles geht den Bach runter, Dystopien beherrschen die Popkultur (oder sind es die zwanghaft fröhlichen Autotunes mit ihren “Davon geht die Welt nicht unter” Botschaften?). Jede Auflehnung gegen das Unmenschliche erodiert unaufhaltsam zur Anpassung der Selbstoptimierer, zur Eucalypse Now!

Nichtsdestotrotz oder getreu dem Motto “Du hast keine Chance, also nutze sie” wollen wir das hierum Gesagte in einen musikhistorischen Zusammenhang stellen. Denn sowohl vor als auch nach Pasolinis Freibeuterschriften sind textmusikalische Untergangsszenarien entstanden, denen jedoch immer auch die Perspektive einer möglichen Veränderung innewohnte. Seit dem 11. September 2001 (so eine neue These) ist allerdings Schluss mit lustig. Hören wir dazu “Chew” (1991) von Jello Biafra & NoMeansNo, “The Black Plague” (1967) von Eric Burdon & The Animals sowie “The Decline” (1999) von NOFX, letzteres mit sehr vielsagendem EP-Cover.

Zu Risiken und Nebenwirkungen lernen sie einfach mal selbst Geschichte…

 

Nachwurf auf Stefan Weber

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. JuniDer große Vorsitzende von Drahdiwaberl, der “exzessivsten Band Österreichs”, ist nunmehr auch von uns gegangen. Wir werfen ihm daher, ganz in seinem Sinn, ein paar Reminiszenzen und, ja, natürlich, Fleischbatzerln hinterher. Mit Stefan Weber, der diese Musikkapelle seit dem Jahr 1969, zuletzt sogar trotz seiner schweren Parkinson-Erkrankung, als ein sich immer wieder neu erfindendes Aktionskunstprojekt betrieb, verliert die heimische Kunstszene einen ihrer besten Referenzwerte für kritisch-abgründiges Hinterfragen, nämlich all dessen, was hierzulande “allgemein anerkannt” ist – und somit “normal” und “üblich” sei. So zum Beispiel der “gute Geschmack” oder das “gesunde Volksempfinden”, wie es der Boulevard bis zum Erbrechen zelebriert.

Nachwurf GummibeidlMa konn den Parki überlisten,
oba leida ned total ausmisten.
Ma konn den Parki ignoriern,
ma wird eam trotzdem imma spürn,
genauso wie die Midlife-Krise,
sich nix scheißen is mei Devise.

I wü liaba a Dauererektion,
i scheiß auf den Parkinson.
(The show must go on)

Geh weg, Parki!
Geh scheißn, Parki!
*zähnefletschknurr*

Diese Zeilen aus dem Parkinson-Blues (vom Drahdiwaberl-Album Sitzpinkler 2004) haben mich damals schwer beeindruckt – und sind eins von vielen Zeugnissen, wie radikal ernst es ihrem Autor mit seiner aktionistischen Selbstinszenierung immer war. Und dafür, Nachwurf 1, ist ihm unsere Bewunderung auch über den Tod hinaus sicher. In der legendären ORF-Sendung “Phettbergs Nette Leit Show”, über die wir das Portrait “Die Krücke als Zepter” gestaltet haben, ragte Stefan Weber als Gast naturgemäß ebenfalls heraus. Dieses übermenschelnde Künstlergespräch spielen wir, quasi als Nachwurf 2, in seiner vollsten Länge – und Schönheit. Und zum dritten Nachwurf gereicht uns eine der wenigen Drahdiwaberl-Nummern, die auch von der Konserve gespielt den Live-Exzess der Truppe rüberbringt: Die Nazioper von 1994.

Reminiszenzen gibt es hinsichtlich einer eigenen Performance-Oper (“White Noise – Mark will leben” 2007 in der ARGEkultur, zusammen mit Markus Janka, Daniel Toporis und Mea Schönberg). Theaterblut, Gummibeidl, Onanieren, da sind durchaus einige Parallelen erkennbar. Oder bezüglich der Musik, die Stefan Weber Zeit seines Lebens inspiriert hat: derjenigen von Frank Zappa. Ganz abgesehen von den zahlreichen Künstlern und Musikern (und * und -innen), denen der Drahdiwaberl wiederum selbst zur Inspiration wurde, das eine oder andere davon werden wir auch auspacken

Warum diese Sendung überhaupt anhören? – Weil ich es kann. Hahahahaha!

PS. Wir empfehlen zudem heftigst diese schöne Aufnahme: “Stefan Weber und Walter Gröbchen” (Stream aus dem CBA-Archiv) von aufdraht: vagabundenradio. Lesung/Liveperformance/Künstlergespräch aus dem Wiener Rathaus 2007 oder die Lehrer-Schüler-Begegnung der etwas anderen Art.

 

Ein Album zum Muttertag

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. MaiDer Muttertag ist allgemein eine höchst ambivalente Angelegenheit. Ebenso wie das Verhältnis zwischen Müttern und ihren Kindern von der Gleichzeitigkeit gegensätzlicher Erfahrungen geprägt wird. Am Anfang war die Geburt, und allein dieser Beginn unseres eigenen Lebens kann schon lebensgefährlich sein. Von da an findet jegliche Entwicklung zwischen krassen Gegensatzpaaren wie Festhalten und Loslassen, Resonanz und Abgrund, Selbstbehauptung und Verbundenheit statt (um hier nur einige davon anzudeuten). Die Seelenbühne unseres Entstehens ist meist Heimat und Schlachtfeld zugleich. Inwieweit der herkömmliche Muttertag zur rituellen Bearbeitung dieser Ambivalenz taugt, darf bezweifelt werden. Margit Schreiner empfiehlt eher seine Abschaffung.

Kuh zum MuttertagEs ist wohl auch kein Zufall, dass der Film Muttertag (Die härtere Komödie) von Harald Sicheritz inzwischen zur Kultdarstellung desselben geworden ist. Sobald Widersprüchliches im Spiel ist, sind (speziell in Österreich) die Humorist_innen dafür zuständig. Also, was spielen wir in dieser Sendung – und warum die Kuh? Naturgemäß wollen auch wir die Mehrschneidigkeit des gegebenen Anlasses abbilden und greifen daher tief in den Fundus der emotionalen Assoziationen. Zum einen mit einem Klavierkonzert von Philip Glass, dem Tirol Concerto in 3 Movements, welches die Tirol-Werbung im Jahr 2000 in Auftrag gab – und später in einem Naturfilm-Soundtrack verbraten hat. (Da ist sie, die glückliche Kuh!) Das knapp halbstündige Instrumentalwerk für Klavier und Streichorchester ist eine meiner Lieblingsmusiken beim Schreiben, weil es sich gleichzeitig nicht aufdrängt und doch Energie von innen heraus freisetzt. Und zum anderen mit einer Lesung von Elias Hirschl aus seinem Roman “Hundert schwarze Nähmaschinen”, in dem er eigene Erlebnisse als Zivildiener in einem Wohnprojekt für psychisch kranke Menschen wiedergibt, diesfalls aus Kapitel 5 (Frau Brandner).

Es ist fürwahr nicht einfach, inmitten von unmittelbarem Betroffensein und ironischer Distanz (auch zu sich selbst) die Balance zwischen Faszination und Verzweiflung zu wahren, handelt es sich dabei doch um einen Ritt auf des Rasiermessers Schneide. Oder eben um einen Tanz zwischen Nähe und Distanz, wie er ja jegliche Beziehung in all ihrer Ambivalenz charakterisiert. Elias Hirschl schafft diesen Spagat sogar sehr sympathisch, wie unser Mitschnitt von den Kritischen Literaturtagen 2017 beweist.

Eine ähnlich gelungene Verbearbeitung von psychiatrischen Zivi-Erlebnissen bietet auch noch Rainald Grebe – Gilead (Gottseidank, ich bin entmündigt, Fotzefotzefotze)

Alles Liebe zum Muttertag oder Ich scheiße goldene Atomeier!

 

Thomas Bernhard Sprachlandschaften

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. AprilZur 80sten Niewiederkehr der Salzburger Bücherverbrennung von 1938 (Stichtag ist die Walpurgisnacht) bringen wir heute die SAG-Gruppenlesung “Thomas Bernhard Sprachlandschaften” vom November 2017 zu Gehör. Gründe dafür gibt es mannigfache. So hat die Salzburger Autorengruppe im Jahr 1987 (damals mit Erich Fried gemeinsam) damit begonnen, das Erinnern an diesen geisttötenden Naziaufmarsch dem Vergessen zu entreißen. Auch wir haben dieses Thema immer wieder in Gestalt von Radiosendungen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, so zum 75. Gedenken durch “Stimmen aus dem Massengrab” oder anlässlich der schier ewigwährenden Mahnmal-Zerplanerei durch unser Double-Feature-Projekt “ERINNERN VERGESSEN” vom April 2016.

Thomas Bernhard LandschaftInzwischen ist der hier jahrelang umtriebige Christopher Schmall zum Obmann der SAG gewählt worden – und in dieser Funktion auch für diverse Themenarbeiten mit verantwortlich, wodurch sich Vergangenes und Zukünftiges im Hier und Jetzt wieder begegnen. Das scheint mir auch die Essenz dieser Gruppenlesung zu sein, in der es ja darum geht, einen “toten Dichter” durch die Beschäftigung mit seinem Werk “ins Leben zu schreiben” und so aus dem erstarrten Erinnern an Thomas Bernhard eine fortwährende Zwiesprache herzustellen. Ganz ähnlich hat dies die SAG bereits in der Literaturhaus-Veranstaltung “Salzburg Seelen” (zum Allerseelentag) verwirklicht, in deren Rahmen Christine Haidegger ihre viel zu früh verstorbene Tochter Meta Merz würdigte. Waren hierbei noch alle möglichen “von uns gegangenen” Wortschöpfer_innen Gegenstand der Verbearbeitung, so legten die “Thomas Bernhard Sprachlandschaften” (bei den Kritischen Literaturtagen in der ARGEkultur) den Schwerpunkt ausschließlich auf den prominenten Namensgeber und “wie verschieden sie dann sind“. Denn all die mit-schreibenden und -lesenden Autor_innen befassten sich auf ihre jeweils eigene Art und Weise mit demselben…

Dichter_innen sind nun einmal naturgemäß Zeitreisende, in dem Sinn, dass sie nicht nur Zukünftiges ausdenken, sondern auch Vergangenes erzählen können. Und auch das Wort “Geschichte” hat diese zwei Bedeutungsebenen. Ich behaupte somit, dass “die Geschichte” aus lauter “Geschichten” besteht, andernfalls gäbe es sie gar nicht. Womit wir wiederum bei einer wesentlichen Aufgabe jedweder Dichtkunst angelangt sind: beim Erdenken, Bewahren und Weitergeben von allem, was war, ist und sein könnte, also zusammenfassend – beim Geschichte(n)erzählen! Soviel erstmal dazu.

“Ich bin der Vogel, den sein Nest beschmutzt.” Karl Kraus

 

COPY RIOT!

 

Hitler? Gott? Somuncu…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. AprilEndlich gibt es mal wieder ein Theater-Skandälchen, am Stadttheater zu Konstanz immerhin, wo justament zum “Gebortstag des Föhrers” die Farce/Groteske “Mein Kampf” von George Tabori Premiere hat, noch dazu in einer gegenwartsnahen Inszenierung des notorischen Kabarett-Rabauken Serdar Somuncu. Den kennen wir ja seit unserer Sendung “Urheber rechts” als todesmutig aus Hitlers schwindligem Original vortragenden Theaterdonnerer, der sich, vor allem durch seine kritischen Kommentare dazu, sechs Jahre lang mit Alt-, Neu- und Möchtegernnazis anlegte. Und nun sollen die Theaterbesucher in Konstanz auch noch Judensterne (wenn sie Eintritt zahlen) oder Hakenkreuz-Armbinden (wenn sie gratis reinkommen) tragen! Ein Skandal, oder?

Serdar Somuncu - Der Adolf in mirIn einer Talkshow des deutschen Fernsehens antwortet Somuncu auf die ewigdämliche Frage: “Was darf Satire?” dann auch folgerichtig mit: “Deine Mutter darf Satire!” Der Mann hat offenbar so seine Geschichte mit der deutschen Verbotskultur. In einem bemerkenswerten ZEIT-Artikel erfahren wir mehr über die Hintergründe: Als der kleine Serdar einst in die erste Volksschulklasse kommen sollte, da wurden sämtliche Kinder mit ausländischen Namen für die Sonderschule ausselektiert. Daraufhin brüllt sein Vater den Schuldirektor an: “Was heißt das? Wir Ausländer nix gut deutsch? Du Arschloch!” – So einen Vater hätten wir wohl alle gern gehabt, als wir mit 6, 7 Jahren zum ersten Mal der grausigen Menschenvernichtungsmaschine namens Abrichtung zur gesellschaftskonformen Anpassung ausgeliefert wurden. (Die “Menschenvernichtungsmaschine”, eine Art Fleischwolf mit Fließbändern zur industriellen Verwurstung von Kindern, zeichnete ich im Alter von etwa 5 Jahren, nachdem ich zum ersten und zum Glück letzten Mal in einem Kindergarten “betreut” worden war. Und ich erachte diesen Eindruck noch heute als absolut zutreffend.) Doch neben prägenden Erlebnissen aus der frühesten Kindheit beleuchtet das ZEIT-Portrait auch die weitere künstlerische Entwicklung:

Denn das Spiel mit dem Indifferenten, das einem das Lachen schon mal im Hals stecken bleiben lässt, diese Inszenierung der Mehrdeutigkeit, die einen unsicher macht, wo man denn eigentlich von vornherein “dazu gehört”, die hat System und Methode – und ist äußerst wirkungsvoll. Hören wir Serdar Somuncu also einmal im Original, bevor wir seine Version eines “immersiven Theaters” von uns weisen…

Nein, ich liebe euch,
und ich schieß nicht gleich,
warum habt denn ihr
so schrecklich Angst vor mir?
Ich bin Mensch und Christ,
und ein Revolver ist
kein Zeichen von Gewalt,
wenn ich ihn halt.

Georg Kreisler – Kapitalistenlied

 

Wir fordern Frühling!

Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. MärzJetzt! Sofort! Augenblicklich!  Kalendarisch hätte der Frühling eigentlich schon angefangen, auch der Osterhase steht bereits erwartungsfroh vor der Tür – doch wir frieren immer noch an Leib und Seele, dass es nur so scheppert. Höchste Zeit also, einen lyrischen Kosmos gegen Kaltfront und Nachtfrust anzurühren! Einen inwendig warmen Polarluftschutz, aus dem heraus sich die Landschaft um uns wie durch Zauber verwandelt. Ein Wunder der Dichtung gegen die Tristesse der Vernunft. Ein Schlüsselblumenerlebnis gegen das sibirische Eisbärenballett. Lasset uns Frühling machen! Oder, wie ich es dem jüngst mit dem Günther-Anders-Preis für kritisches Denken ausgezeichneten Autor Dietmar Dath in den Mund schöbe: “Lasset uns davon berichten, wie es sein sollte!

Ursprung FrühlingEinmal in der Woche strahlt der Radiosender Ö1 eine Art Collage namens “Du holde Kunst” aus, in der eine Stunde lang Gedichte und instrumentale Musik zu hören sind. Diese Sendung wurde erstmals im Oktober 1945 vom ORF-Vorläufer “Rot-Weiß-Rot” produziert – und läuft seitdem ununterbrochen im öffentlich-rechtlichen Programm. Ihr ursprüngliches Ziel war, “dem vom Krieg und den unmittelbaren Nachkriegswirren zerrütteten Publikum die schönsten und edelsten Schöpfungen von Literatur und Musik nahe zu bringen” und “den Schmutz des Krieges aus den Herzen zu vertreiben.” Zudem sollte ihre “Lyrische Ästhetik eine Art Flucht aus dem harten Alltag vermitteln, aber auch die Sehnsucht nach einer lichteren und schöneren Welt zum Ausdruck bringen.” Ein Anliegen von bleibender Brisanz und – angesichts der Weltlage – auch von erschreckender Aktualität. Die dienstälteste ORF-Sendung erreicht nach wie vor (abgesehen von den Nachrichten) das meiste Zuhören und wurde sogar schon als Forschungsprojekt zur Lyrikvermittlung im Radio gewürdigt. So begegnen sich nun unsere Interessen, das Vermitteln von poetischer Schönheit als Gegenpol zum Weltwetter ist fürwahr auch in unserem Konzept ein roter Faden.

Allerdings erweitern wir, bei der Musikauswahl wie bei den Darstellungsformen, den engen bildungsbürgerlichen Kanon in ein experimentelleres Ambiente aus Pop, Jazz, Spokenword und Spontaneität. So feiert sich der totale Frühling, 73 Jahre nach dem Ende des II. Weltkriegs – und 20 Jahre nach dem Fall des Rundfunkmonopols

 

Kein Anschluss unter dieser

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. März – Nummer! So tönte es einst aus dem analogen Telephon, wenn man sich zum Beispiel irgendwie verwählt hatte. Und rund um den sogenannten Anschluss Österreichs 1938 konnte man sich ja sowas von verwählen, dass einem die direkte Demagogie förmlich in die Existenz einbrach, was nicht wenigen im Anschluss (sic) daran selbige kostete. Zum 80-jährigen Gedenken an diesen historischen Schwachsinn überschlägt sich die Medienwelt geradezu in nichtendenwollenden Dokumentationen, was wiederum Unlust und Unmut erregt, doch warum? Vielleicht, weil die Darstellung der Ereignisse, die dem 12. März 1938 vorausgingen, seit 1945 so ideologisch verbrämt und parteipolitisch besetzt sind, dass kaum je ein Redakteur dem diesbezüglichen Nachkriegskonsens entkommt…

vor dem anschlussVon einem Dreiviertelfaschismus schrieb Erich Fried im Hinblick auf derlei akadämliche Diskussionen später in seinem Text “Der große Tag von Linz”, den er als damals 16-jähriger zusammen mit seinem Vater vor dem Radio erlebte, aus dem “der letzte Bundeskanzler” (einer seit 1934 verfassungswidrig zur ständestaatlichen Diktatur umgeschwindelten Ersten Republik Österreich), Kurt Schuschnigg, sein klares und eindeutiges JEIN zum Deutschöstertum verlauten ließ: “Damit verabschiede ich mich vom österreichischen Volk mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!” Wes das Herz überquillt, des offenbart sich eben führer oder später. Derselbe so lauwarm daherweinerlnde “Führer der vaterländischen Front” hatte für die geplante Volksabstimmung über die Eigenstaatlickeit nicht einmal Stimmzettel für eventuelle Neinsager vorbereitet. Hätte man also für den Anschluss ans Deutsche Reich votieren wollen, dann hätte man sich den Stimmzettel dafür auch noch selbst mitbringen müssen. Alternativlos katholisch überhitlert der Austrofaschismus die deutschen Nazis dann doch – zumindest in diesem Detail. Denn deren Stimmzettel für die am 10. April tatsächlich durchgeführte Abstimmung hat immerhin ein Kreiserl fürs Neinwenn auch klein.

nach dem anschlussIm Nachhinein ist es oft leicht zu erkennen, wozu man von Anfang an lieber doch Nein sagen hätte sollen, wollen. Ja, wollen! “Wollen hätten wir schon mögen, nur dürfen haben wir uns halt nicht getraut…” (Karl Valentin) Doch nach wie vor ist das Jasagen oberstes Staats- und Erziehungsprinzip, so wie es auch “Das Nein” von Peter Turrini darstellt (zitiert aus “Zur Gesundung der österreichischen Seele” von Erwin Ringel):

Das Nein
das ich endlich sagen will
ist hundertmal gedacht
still formuliert
nie ausgesprochen.

Es brennt mir im Magen
nimmt mir den Atem
wird zwischen meinen Zähnen zermalmt
und verläßt
als freundliches Ja
meinen Mund.

Versuch einer Verständigung zwischen Konstantin Weckers Klassiker “Sage Nein” (unlängst neu aufgenommen mit ASP, Cetin Oraner und Conchita Wurst) und dem so typisch österreichischen Herumlavieren nach Nestroy: “Nein, justament nicht!”

 

Musas von Natalia Lafourcade

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. MärzDie mexikanische Sängerin macht sich gemeinsam mit dem Duo Los Macorinos auf die Suche nach ihren Inspirationen aus der weiten Welt lateinamerikanischer Klänge, nach ihren Musen sozusagen. So hat sie denn auch ihre zwei jüngsten Alben betitelt, nämlich Musas, deren erstes wir heute voller Freude zu Gehör bringen. Natalia Lafourcade war in den letzten Jahren als innovative Interpretin des Latin-Pop überaus erfolgreich, als solche auch bei der aktuellen Oscarverleihung zu Gast (was wohl nicht jedermanns Mainstream ist). In ihrem “Back to the Roots”-Projekt Musas jedoch spürt sie ernsthaft und feinsinnig all den Einflüssen nach, die sie im Lauf ihres Lebens und ihrer Karriere geprägt haben. Und in der Vermittlung dieser Musikwelt offenbart sie sich als eine echte Künstlerin.

Musas von Natalia Lafourcade„war wohl wieder ein gestrandeter abend, betrunken beraucht, antheringabend in freundes wohnung und ich meine rolle als nachtwächter selbsterfreulich einnehmend, nämlich ein sitzen vor der weltenscheibe mit zunehmender gedankenschwere und weiterer berauschung innerwärts – was die nacht erträglich macht. vor mir des internets abgrundsweite, zuflucht in bekanntem, oftgehörtem, abermals aberwitzigem, dann die suche nach bestimmtem, unbestimmt in der anzahl, unbestimmt auch die ungestümen einfälle im kopf des rauschenden…

und da erschien sie mir : in magenta und trübem blau, mit geschlossenen augen, geflochtenem haar und sang von einsamkeit und dem meer, von bolero und errötendem licht. unendliche sanftmut. stürmende lebenslust. es war echte musik, die schweben blieb im raum, mit dem rauch tanzte, sich mir ins spüren legte, an meine haut schmiegte – versickerte in jeder pompösen pore.

als ich vertraute war zeit ein wort ohne sinn
als wir verschmolzen färbte der himmel sich neu
als ich verstand begann erst mein fragen

in jeder zauberzüngigen zelle –
dort lebt sie nun, diese glühende welt, diese fremde so vertraute landschaft, lebt und wächst, verwebt und wandelt sich, mich.“

 

Grüner wirds nimmer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. FebruarDer langjährige künstlerische Leiter der ARGEkultur (oder Geschäftsführer, wie es hierorts heißt), Markus Grüner-Musil übergibt seine Agenden mit 1. März an den Theatermacher Sebastian Linz. Mit Linz beginnts also (zumindest teilweise) wieder ganz neu, immerhin jedenfalls anders. Und so wird ringsum spekuliert über Inhalte, Schwerpunktsetzung oder Kontinuität, vor allem vom Stottern ist da immer wieder zu hören. Genau die richtige Zeit für uns, Freunde der gelungenen Sprache, dem kommenden Impresario hoffensdick sowie ohne Vorurteil zuzuwinken – und den scheidenden mit einem kleinen Nachwurf (aus seiner eigenen Redekunst) zu bedenken. Politisch scheint beiden vieles gemeinsam zu sein, in der Herangehensweise werden sie sich dann doch wohl unterscheiden

Markus Grüner-MusilNebiges Stimmungsbild stammt von der Vorstellung des ARGEkultur-Programms 2017 im Magnolia-Blog und passt (nicht nur jahreszeitlich) perfekt in unser heutiges Konzept. Besten Dank dafür! Wir haben uns in den letzten 10 Jahren nämlich über so manche Unzulänglichkeit dieses vielgerühmten Gebäudes mokiert, welches uns zugleich auch Heimat und Sendungsstandort ist. Abgrund und Ambivalenz. Wenn wir dabei die Entwicklung der ARGE-Bewegung seit den 70ern betrachten, dann kommt allerdings leicht so etwas wie Trübsinn auf. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im richtigen Leben so auch im falschen, unsere tägliche Institutionalisierung gib uns heute und vergib uns unseren Zwiespalt wie auch wir ihn vergeben uns selbst et cetera und Amen. Das Ringen mit der Macht findet vielleicht statt, nur leider fast nie dort, wo sie herrscht. Stattdessen da, wo sie längst für ihre stillschweigende Duldung bezahlt. Auseinandersetzung ressortiert im Fachbereich Bestuhlung und Diskurswerfen ist eine olympische Disziplin. Quod licet Jovi non olet. Grüner ist immerhin eine Steigerungsform und Musil bestimmt kein Mann ohne Eigenschaften. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Und abermals sage ich: Nach mir die Sinnflut!”

Von den Mühen der Institution, vom Germteig des kritischen Empfindens, von der Idiotie des Kommerziellen, von der Kunst einer gescheiten Tonaufnahme – und nicht zuletzt vom Denkzettel eines umtriebigen Kulturarbeiters. All dies (und noch mehr) rundet sich erst zum Erlebnis, wenn auch unsere Sendung euer Gehör findet.