Symphonie Symposion

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Dezember – Das etwas andere Kunnst-Biotop ergeht sich anlässlich des andventlichen Eingesperrtseins von Kunst und Kultur in seinem selbsterteilten Bildungsauftrag. Zur Einführung hören wir John Lennon, Leopold Figl sowie Tony Levin. Und naturgemäß würdigen wir am Schluss des Beethovenjahres auch diesen herausragenden Musikrevolutionär, ohne dessen Aufbrechen der klassischen Formensprache es keine Romantik, keine Programmusik und keinen Progressive Rock gegeben hätte. Zeitreise rückwärts. Beginnen wir mit einigem davon, was sich aus heutiger Sicht aus dem Erbe der 9. Symphonie weiter entwickeln ließe. Das Schöpferische will seinem Wesen nach zu eigener Kreativität inspirieren – und nicht als musealisierte Mumie unfruchtbar vor sich hin verfaulen.

Lauscht die Raucherin einer Symphonie?Bevor wir dann zu unserem selbst zusammengestellten Hörerlebnis kommen, halten wir doch kurz bei dem Bild von Mirek Kuzniar inne. Ob die Raucherin hier wohl gerade hoch konzentriert einer Symphonie lauscht? Oder doch eher Jazz? Ob ihre Hingabe hier überhaupt einer Musikdarbietung gilt? Oder sind es Erinnerungen? Oder Phantasien? Es geht darum, sich einzulassen auf das, was sein könnte. Eigene Bilder und Assoziationen hervor steigen und sich selbst mitreißen zu lassen in den Strom dessen, was da alles auf- und wieder untertaucht. Das wäre eine gute Einstimmung in die Klangmalerei, die auch das heutige “ganze Album” charakterisiert. Denn dafür haben wir eine gute halbe Stunde symphonischer Musikstücke aus der Hochblüte der Romantik und der Programmusik herbeigeschafft. Und wenn wir jetzt schon dabei sind, die Anstifter zu würdigen, es war die Beschäftigung mit Brita Steinwendtners neuem Roman (der ja hauptsächlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt), die unsere Auswahl maßgeblich angeregt hat. Die Sätze und ihre Bezeichnungen lauten entsprechend:

01 Nikolai Rimski-Korsakov – Der Hummelflug (Langversion)

02 Bedrich Smetana – Vltava (Die Moldau) aus “Ma Vlast” (Mein Vaterland)

03 Antonin Dvorak – Adagio (Symphonie Nr. 9 “Aus der Neuen Welt”)

04 Anton Bruckner – Scherzo (Symphonie Nr. 9 “Die Unvollendete”)

Wir wünschen unseren Hörer*innen dabei eine gedeihliche Reise durch nicht enden wollende Klangwelten und Bilderfluten.

 

Gesicht im blinden Spiegel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. November – Advent, Advent – und gerade jetzt müssen die Buchhändler unseres Vertrauens geschlossen halten! Das braucht uns trotzdem nicht zu verdrießen, denn viele von ihnen bieten einen unkomplizierten Bestell- und Lieferservice an, so dass wir nicht auf die üblichen Verdächtigen des internationalen Versandhandels angewiesen sind. Die von uns ob ihres vielseitigen Engagements sonst oft besuchte Rupertusbuchhandlung etwa bleibt in den Zeiten der Corona telefonisch erreichbar und hält zudem in ihrem Regionalen Onlineshop jeglichen Lesestoff per Gratisversand und auf Rechnung zum kontaktlosen Erwerb vorrätig. Zum Beispiel den neuen Roman von Brita Steinwendtner namens “Gesicht im blinden Spiegel”, den wir im Rahmen unserer Sendung exemplarisch vorstellen.

Gesicht im blinden SpiegelDer Anlass zu dieser Auswahl beruht sicherlich auf einer fruchtbaren Freundschaft, die uns mit der Salzburger Autorin schon seit den Anfängen unseres gemeinsamen Radiomachens verbindet. Dieses Buch jedoch gut zu finden, es in einer eigenen Sendung vorzustellen und – ja, es für überaus empfehlenswert zu erachten – das ist in unserem Fall kein Freundschaftsdienst und keine “reine Gefälligkeit”, sondern entspringt dem Erleben dessen, “was es mit uns macht”. Der Roman ist ja mittlerweile von zahlreichen Berufenen und/oder Beruflichen beschrieben, besprochen und beurteilt worden, wie auf ihrer wunderschön übersichtlichen Homepage zu erfahren ist. Warum dieser Roman allerdings gerade in den aktuellen Umbrüchen und den damit verbundenen Unsicherheiten ein hochwirksames Therapeutikum sein kann, das wollen wir hier in einer Collage aus Berichten, Leseproben und Musik darstellen. Wie bereits im Alten Testament festgestellt wird, “ist des vielen Bücherschreibens kein Ende”. So gibt es in dieser heutigen Zeit des ständig beschleunigten Gedudels auch jede Menge modischen Schnickschnack in Buchform zu kaufen, marktgerecht aufgebrezelt und mit aller Geldmacht beworben. die Pandemie der Pestseller bestenfalls. Mitten dazwischen im Gatsch der Geschäftigkeit ein sicherer Hafen aus sorgsam verdichteten Bildern, in denen sich das Leben selbst feiert, als gäbe es die alltägliche Bedrohung nicht. Dennoch ist sie immer da, wenn dir im Spiegel das Gesicht aus dem Gesicht fällt

Ein Buch, das nicht die Hochleistung des Gezeichneten (und sind wir das nicht alle irgendwie?) hervorkehrt, sondern das genauso die Beiträge der Gesellschaft wie die Rhytmen und Melodien des Lebendigen aufnimmt – und vielstimmig wiedergibt. Die immer gleichzeitige Gegenwart von Überleben und Untergehen; ein lebensweises “Sowohl-als-auch” macht diesen Roman zu einem großen Ganzen. Und genau das vermag auch unser verborgenes Gebrochensein zu heilenvielleichttrotzdem!

PRÉLUDE ZWEI

Und wieder kommt der lange Zug von Menschen über die gebrochene Leinwand. Langsam zieht er darüber hin und verschwindet, taucht wieder auf und geht aus dem Bild. Müht sich im Trommel- und Trompetenwirbel durch das Leben. Jede Figur durch ihr eigenes und unverwechselbares Leben. Die Gestalt, die aus einem dicken Stapel von Zetteln einen immer neuen herauszieht und ihn langsam über ihre Schulter wirft in die Achtlosigkeit, geht immer noch dem Zug voran. Und immer, wenn sie wiederkommt, knie ich nieder und versuche, ein Blatt, das in meine Hände taumelt und mir Fortsetzung verspricht, aufzufangen, um es vor den Füßen der ewig Wandernden zu bergen und dieses eine Schicksal zu retten vor dem Vergessen im Perpetuum der Zeit.

Brita Steinwendtner – Gesicht im blinden Spiegel, Seite 85

Inspiriert von  William Kentridge – More sweetly play the dance

 

Euer Pestilenz

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. November“Man merkt die Absicht und man ist verstimmt.” Dieses von Goethe her rührende Zitat würde ich wahrscheinlich verwendet haben, wenn ich damals den Beitrag des Schülers Sebastian Kurz zu beurteilen gehabt hätte. Ein Siegerbeitrag wäre es damit wohl auch nicht geworden. Der aktuelle Bundeskanzler soll nämlich erstmals damit aufgefallen sein, dass er einen Redewettbewerb gewann. Seitdem galt er in der ÖVP als herausragendes rhetorisches Talent. Mein zutiefst empfundenes Mitgefühl! Wenn das die Krönung der politischen Ambitionen dieser Partei darstellt, dann ist Niveau eventuell doch eine Hautcreme. Der traurige Umgang seiner Regierung mit der Corona-Pandemie beweist allerdings: Selbst der gewiefteste Populismus zerbröselt an der Pestilenz.

Euer PestilenzIn Zeiten wie diesen braucht es Politiker, die darin glaubhaft sind, Verantwortung für das Gemeinwohl zu tragen und nicht endlos zugecoachte Imagetandler, die sich (und uns) noch das offensichtlichste Versagen als großen Erfolg verkaufen. Wer “schön reden” zum Hauptmerkmal seines Karrierewegs machen möchte, der soll Schauspieler werden – und besser nicht als Bundeskasperl herumhupfen. Wer als Politiker “schön reden” betreibt, der wird sich (und uns) früher oder später selbst den größten Scheiß schönreden. Nur, auch kein noch so schöner Schein übertüncht derzeit das Scheiße sein … Genau diese Diskrepanz zwischen “gewählten Worten” und “unausgesprochenen Inhalten” hätte ich als Jurymitglied des damaligen Redewettbewerbs aufgezeigt. Mir wäre die Eleganz der äußeren Form künstlich erschienen, die Eloquenz der Performance abgespalten von den zugrunde liegenden Emotionen, alles in allem zusammenhanglos, unstimmig, nicht nachvollziehbar, irgendwie irritierend. Und wenn sich mir nicht und nicht erschließt, was der da eigentlich will während er mich mit Schöngetön salbt, dann vermute ich dahinter schnell mal eine Hidden Agenda. Auf gut Deutsch, der erzählt da was vom duftenden Topfenstrudel, aber eigentlich will er mir einen Versicherungsvertrag andrehen, ohne mich um Erlaubnis zu bitten. Meine Detonation, euer Pestilenz! Ja glaubst denn du, dass ich ein Depp – bist?

Nachdem bereits von vielen und weithin kritisiert wurde, dass der “Bundeskasperl” bei seinen inflationären Pressekonferenzen immer viele schöne Worte machen und dabei nicht wirklich viel sagen würde (abgesehen von “ich habe”, “ein großer Erfolg” oder “ich sehe ein Licht”), ist nun endgültig der Punkt erreicht, an dem Realität und Satire ineinander übergehen: In der ZiB 1 vom 14. 11. sollte seine Ankündigung des neuerlichen Lockdown gesendet werden – doch wahrlich, ich sage euch, es begab sich ohne Ton. Und zwar dreimal. Man sah ihn dreinschaun, man sah ihn hampelnaber man hörte nichts. So wie einst bei Frau Lehmann-Brak auf dem Klo (Missfits)

Nicht ohne Augenzwinkern: ICH WILL NICHT MEHR

 

Weckers Weltenbrand

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. November – Einen Weltenbrand nannte man einst den ersten Weltkrieg (von 1914 bis 1918) und mit Weltenbrand betitelte man später auch Dokumentarfilmreihen darüber. So funktioniert die Verknoppung von Weltgeschichte in Wort und Bewegtbild. Konstantin Wecker jedoch verwendet diese apokalyptische Metapher lieber als Überschrift seines aktuellen Livealbums, welches wir bereits als Konstantins Kindheitstraum vorgestellt haben. Den zweiten Ausschnitt daraus widmen wir nun der Verbindung von politischem Widerstand und poetischer Zärtlichkeit, die sich wie ein roter Faden durch Weckers Werkwelt zieht. Ohne diese zwei Pole menschlichen Seins zusammen zu bringen ist auch keinerlei menschliche Politik zu gestalten, kein gewaltfreies Gemeinwesen je zu erreichen.

Weckers WeltenbrandWenn wir bestürzt feststellen, was für empathielose Psychopathen unser Gesellschaftssystem in die höchsten Machtpositionen spült, wie der bekennende Anarchist hier so zutreffend zeigt: “Eine kriminelle Vereinigung von unbelehrbaren oder korrupten Politikern, bestechlichen Wissenschaftern und geldgeilen Lobbyisten, aber Profis allesamt…”, ja, dann ist es allerhöchste Zeit, über eine “herrschaftsfreie Regierung” nachzudenken. Denn das Peter-Prinzip führt in unserer so hierarchisch aufgebauten Wirtschaft und Politik zwangsläufig dazu, dass führer oder später jemand ganz oben auf dem Thron hockt, den (oder die!) man mit Fug und Recht “Euer Hohlheit” nennen kann. Doch anstatt Hierarchien generell zu beseitigen und sich zu überlegen, wie in einer an allen Ecken und Enden zu zerplatzen drohenden Welt “regiert” werden kann (mehr im Sinn von “Regie führen” als wie bisher “herrschen” wie wir das so kennen), versucht man mit allerlei Reförmchen am Bestehenden das Schlimmste abzumildern. Werden etwa Rassisten sich auf wundersame Weise in weltoffene Menschenfreunde verwandeln, wenn das Wort “Neger” gesetzlich verboten ist? Da würde man ja noch eher in absehbarer Zeit das längst überfällige Heilmittel gegen die Dummheit finden!

Entzündet vom Weltenbrand,
ins Jetzt gepflanzt,
ewig in Rhythmen gebannt,
aus Klängen gestanzt,

tauchst in die Fluten du ein,
bis alles erlischt,
würdest gern Brandung sein,
endest als Gischt.

Dem Ganzen entzweit, doch ganz
auf dich gestellt
bleibt nur dein brüchiger Tanz
auf den Wogen der Welt,

und du erinnerst den Ton,
den großen Gesang,
dem vor Urzeiten schon
dein Wesen entsprang.

Trotzdem: was hält dich im Spiel?
Welcher Verdacht
leiht dir noch Licht und Ziel
in deiner Nacht?

Welches geheime Wort,
äonenfern,
schwingt sich im Geiste fort
durch Stunde und Stern?

Weshalb auch mancher Moment,
liebeverwebt,
der dir auf einmal bekennt,
warum es dich lebt?

Und so lugst du am Bug,
fährst nie im Hafen ein,
als wäre es Gnade genug,
Segel im Winde zu sein.

Entzündet vom Weltenbrand
ins Jetzt gepflanzt,
ewig in Rhythmen gebannt,
aus Klängen gestanzt,

tauchst in die Fluten du ein,
bis alles erlischt,
würdest gern Brandung sein,
endest als Gischt.

Weltenbrand (inspiriert von Rainer Maria Rilke), Gedicht von Konstantin Wecker

 

You’re Fired

> sendung: Artarium vom Sonntag, 8. November – Amerika ist anders. Allerdings anders anders als Wien. “Schleich di, du Oaschloch!” Im Land der Unbegrenzten heißt das “You’re fired!” There’s no Business like Showbusiness. Für Masochisten hier noch einmal die Zusammenfassung. Dieser Mensch ist eine Dauerbeleidigung für jedwede Regung intelligenten Lebens auf dem gesamten Planeten. Intelligenz ist fürwahr nicht die Fähigkeit, sich listig auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen oder sich hinterfotzig in ein hohes Staatsamt zu schwindeln. Vielmehr Gefühlsintelligenz, das Erkennen von Schönheit und Stimmigkeit, der Respekt vor dem Anderssein der Anderen, das Eintreten für die Bedürfnisse von Schwächeren, kurz gesagt Interesse am Gedeihen der Welt. Wer rücksichtslos Gewalt ausübt, soll sich bitte schleichen.

You're FiredUnd wer andauernd andere aus seinem Umfeld rausschmeißt, der soll endlich zu sich selbst sagen: “You’re fired.” Und sich aus dem Weg räumen, den andere gehen wollen. Die globale Verstopfung durch egoistsches Trotteltum ist dieser Welt nicht länger zuzumuten. Und bitte um Verzeihung, Bernd, dass wir dich hier zur Illustration von “Dumm wie Brot” verwenden, doch bei der Sprachsuche nach Beschreibungen für den unerträglichen Krawattenquader sind wir tatsächlich am Ende unserer Ausdruckskraft angekommen. Auch hier kann uns nur noch die Mundart retten: “Do schloft ma beim Speibn des Gsicht ein.”, soll einst Werner Geier auf Ö3 gesagt haben. Das waren Zeiten! Das war noch Radio! Gute Nacht, Österreich. Keine Realität ohne Realitäter.

Scheiße. Der Machtwechsel als Stoffwechsel. Ein quälend langsamer Prozess wird uns von allen Seiten tagelang live übertragen und dazu noch in Gesprächsrunden redundant kommentiert. Schon klar, wir sind alle froh, dass uns wenigstens irgendwas mal vom Dauerthema Pandemie ablenkt. Aber doch bitte nicht in allen grauslichen Einzelheiten. “Ich wähle Trump, weil Amerika sonst ein kommunistisches Land wird.” Bei dergleichen Schwachsinn mussten wir fortwährend schnappatmen, während wir eigentlich nur erfahren wollten, ob das Bemmerl endlich draußen ist. Ganz Amerika sitzt am weißen Häusel – und die Welt schaut dabei zu. Naturgemäß selten gab es erheiternde Momente wie etwa jene Replik von Gayle Tufts: “Wenn Joe Biden ein Kommunist ist, dann ist Florian Silbereisen der nächste Sänger von Rammstein.”

An dieser Stelle wünschen wir Till Lindemann lieber auch weiterhin alles Gute.

 

Rotweißrot Schwarzweiß

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. Oktober – Ein farbenfrohes Fest zum dräuenden Tag der Fahne – so rotweißrot hieß unser Nationalfeiertag nämlich vor 1965 – vom Schneeweißchen (Lisa Eckhart) übers Rosenrot (Georg Kreisler) bis ins dunkelgraue Schwarz (Ludwig Hirsch) und zum Salzburger Lokalkolorit. “Die Kunst muss manchmal zuspitzen.” Das wusste bereits Claus Peymann, als er in Wien einst den Burgtheaterdirektor gab und zusammen mit Thomas Bernhard den legendären Heldenplatz-Exorzismus veranstaltete: “Das ist das Naziland. Das sind alles Nazis. Die warten ja nur auf den neuen Hitler.” Wollt ihr das totale Schwarzweiß? Ja? Nein? Dann halt vielleicht doch lieber blaun, brün – oder bürkis? “Nein, ich liebe euch!” Was steckt da eigentlich in wem – und wenn ja, wieviel? Und überhaupt – warum?

Rotweißrot Almduludl

Rotweißrote Kuh von Kurt Tutschek

Das Schwarzweiß ist allerdings auch ein Merkmal von Satire, wie das Bertolt Brecht so zutreffend beschrieben hat: “Die Wirklichkeit entstellen – und zwar bis zu ihrer Kenntlichkeit.” Also Zuspitzung, Überhöhung, Abstraktion und Karrikaturdas Nachzeichnen wesentlicher Eigenschaften mit dem schwarzweißen Strich der pointierten Betrachtung. So wie wir das heute im Hinblick auf das Rotweißrot des Fahnenfests tun wollen. Achtung: Satire! Schwarzweiß gesehen ist der Salzburger Stier inzwischen eine rotweißrote Kuh geworden, Stierwascher hin, Lederhosen her. Kritik ist keine Majestätsbeleidigung, sondern ein Aufzeigen von Unfertigkeiten und Widersprüchen in der Darbietung des/der Kritisierten. Durch Bedachtnahme darauf könnte jedwedes tatsächliche Ergebnis verbessert werden. Wer jedoch seine Kritiker mundtot macht, lässt dadurch erkennen, dass es ihm/ihr gar nicht um ein möglichst gutes Ergebnis geht, sondern vielmehr darum, auch vollkommen grundlos Macht zu besitzen oder sonst irgendein soziopathisches Verhalten auszuüben – naturgemäß auf Kosten anderer. Eins sollte man dabei aber nicht übersehen: Die Anderen – das sind wir!

Dass wir angefühls allzu täglicher Babyelefantenauftriebe und Türkelbärenauslösen noch nicht vollends schwarz sehen, das verdanken wir unter anderem Künstlern wie Nikolaus Habjan oder der Musicbanda Franui, welche das Werk eines viel zu oft im dümmlichen Gunstbetrieb als “Schwarzmaler” verunglimpften “Liedkomponisten, Menschenkenners und Wortakrobaten” dergestalt zeitlos ins Leben spielen, dass es vor lauter Freude weh tut. Ein Aspekt des Gedenkens ist das Aushebeln der Zeit. Und – wie würde Georg Kreisler heute kritisieren?

“Schlagt sie tot!”

 

Where has all the Power gone?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. Oktober“This great evil, where’s it come from? How’d it steal into the world? What seed, what root did it grow from? Who’s doing this? Who’s killing us, robbing us of life and light, mocking us with the sight of what we might’ve known? Does our ruin benefit the earth, does it help the grass to grow, the sun to shine? Is this darkness in you, too? Have you passed through this night?” Das fragt sich ein Soldat mitten im Pazifikkrieg 1942 auf der Salomoneninsel Guadalcanal. Ein Zitat aus dem fürwahr etwas anderen Kriegsfilm “The Thin Red Line” (Der schmale Grat) von 1998, das auch als Sample in der Musik der Post-Rock-Band “Explosions in the Sky” auftaucht. Wir spüren zurück in die 90er und fragen uns, was uns um jene einstmals so deutlich erkennbare “Power“ gebracht hat. Wieder so ein Scheißkrieg?

The Power and the GloryDer Verdacht liegt nahe. Eine These besagt, dass durch die Anschläge des 11. September 2001 sowie vor allem durch die kriegerische und geheimdienstliche Reaktion der USA ein internationales Klima des Misstrauens und der Anspannung entstanden ist, das sich bis heute in unseren Köpfen auswirkt: “Pass auf was du sagst. Pass auf, wem du es sagst. Und pass gut auf, wie du es sagst.” Durch solch vorauseilende Selbstzensur erodiert das, was wir noch in den 90ern als “Power” (als Lebenslust, Unbefangenheit und spontane Selbstäußerung in der Kunst) antreffen. Wenn wir heute irgedwas auf die Bühne bringen, das nicht rundum der Erwartung des “Korrekten” entspricht, erleben wir eine seltsam distanzierte Atmosphäre, die sich wie eine Wand aus Ablehnung anfühlt. Und zwar nicht erst seit Corona. Seit dieser zusätzlichen Einschränkung reden wir einfach mehr mit uns selbst und mit den Wänden, die die Welt bedeuten.

Lauschen wir also einigen Musikschaffenden, die mit ihren Werken den Sound des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts geprägt haben. Die dabei jene Energie des unverkrampften Aufbegehrens erlebbar machten, die wir als “ganz spezielle Power” heute so schmerzlich vermissen. Bis hin zur Wahrnehmung des neuen Milleniums: “Those who tell the Truth shall die, those who tell the Truth shall live forever”

 

Konstantins Kindheitstraum

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. OktoberKonstantin Wecker hat sich da wohl wirklich einen Kindheitstraum erfüllt: Gemeinsam mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie einen üppigen Überblick seiner eigenen Werke darzutun. In der Konzertreihe “Weltenbrand” sowie auf dem gleichnamigen Live-Doppelalbum orgelt es einem Weckers Welt jetzt also orchestral um die Sinne – und es ist kaum zu fassen, dass der lebensfrohe Sänger, Dichter und Komponist, dem wir da beiwohnen, schon über 70 Jahre alt ist. Immerhin dauert das Programm fast zweieinhalb Stunden und man muss sehr genau hinhören um zu bemerken, dass dazwischen auch einmal ein Päuschen eingelegt wird. Auf jeden Fall stellt dieser Rundflug durch 40 vielseitige Schaffensjahre eine gelungene Auslese im bislang ungekannten Musikgewand dar.

Konstantins KindheitstraumUnd der Kindheitstraum? Oftmals hat “der Wecker” inzwischen davon erzählt, wie der kleine Konstantin daheim zu den Opernplatten seines Vaters singen lernte. Sich als Kind in die Rolle hinein zu phantasieren, auf der Bühne, mit Orchester, das lässt sich einfach nachempfinden – sofern man sich selbst als Kind noch nicht vollends abgeschafft hat. Und heute – im Herbst seines Lebens – singt der große Konstantin seine Lieder live mit Orchester, auf der Bühne – und sogar vor Publikum. Das vergönn‘ ich ihm von Herzen! Mir ist er im Verlauf meines Lebens mehrmals wesentlich geworden – und das hängt wohl mit der unglaublichen Vielfalt seiner Ausdrucksformen zusammen, die eine/n in den verschiedensten Gestimmtheiten innerlich widerspiegeln können. Zuerst war er mir Mentor der Auflehnung (Das sag ich euch…) sowie Lehrer der Zärtlichkeit (Was tat man den Mädchen), danach Wanderführer des politischen Widerstands (Willy) und Verkörperung von Prallheit und Genuss (Genug ist nicht genug). Viel später erst entdeckte ich die Welt seiner Gedichte und Jetzt eine Insel finden wurde mir zum dauernden Weggefährten. Seitdem erachte ich Weckers lyrisches Werk für sträflich unterschätzt. Aber was willst in der kleinkarierten Szenerie, die auf alle und jeden ein Genreschachterl scheißt? Gute Untenhaltung mit Preiszetterl und Diplom…

Dahingegen spielen wir einen Ausschnitt aus Weckers Weltenbrand mit Orchester und überlassen euch dem Leben, das sich bekanntermaßen weder diplomieren noch bepreiszetterln lässt. Das Leben will lebendig sein…

“Die Herren pokern. Ihre Welt schneit unsere Herzen langsam ein. Jetzt kann nur noch die Phantasie die Sterbenden vom Eis befreien.”

 

Volkstrottel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. September Der Volkstrottel – er bietet sich als Steigerungsform des Trottels geradezu an: Trottel, Volltrottel, Volkstrottel. Das liegt sogar sprachgeschichtlich nahe, zumal die Etymologie den Begriff “Volk” von einer indoeuropäischen Wurzel herleitet, die “Menge, Fülle” sowie “(ein)füllen” bedeutet. Von da her riechen Kirtag und Zeltfest sowie die sprichwörtliche “breite Masse” gleich etwas mehr nach Erbrochenem. Wes das Volk voll ist, des geht der Mund über. Eine umfassende Bestimmung aller hier angeführten Begriffe würde allerdings den Rahmen (der Sendung wie auch des Artikels) sprengen. Weshalb wir uns auf den Trottel an sich beschränken wollen, der ohne eigenes Hinterfragen dem jeweils vorherrschenden Trend seines Umfelds nachtrottelt. Eben dem Volkstrottel.

Idioten und VolkstrottelDoch Vorsicht! Ein Idiot ist kein Trottel. Und so manches Zitat ist auch nicht von Franz Kafka. Ein hierbei besonders herausragender Satz ist dieser: “Viele falsche Zitate entstehen aus Satiren, die nicht als Satiren erkannt werden.” Derlei ist zumeist dort zu beobachten, wo ein starres und vorgefertigtes Weltbild das selbständige Denken verdrängt und somit auch das Empfinden, das Einfühlenkönnen (also das, was wir Phantasie nennen) zerhindert. Nun ist zwar “Volkstrottel” eine beliebte Bezeichnung für vielerlei Nationalpatridioten bis hin zu jenen völkischen Popolisten, deren Vogel Nazi heißt und seit tausend Jahren ins deutsche Erfolgreich scheißt, doch die Art und Weise, wie Feindbilder hergestellt und Unwillkommene ausgemerzt werden, ist auch in ganz gegenteiligen Gesellschaftskreisen zu bemerken: Da wird aus vermeintlicher Rechtgläubigkeit reflexhaft reagiert, ohne Gefühl und Verstand, werden Menschen zur Unperson erklärt, aus der Wahrnehmung verbannt und aus der Geschichte getilgt. Vorprogrammierte Verhaltensweisen sind allerdings ihrem Wesen nach immer vertrottelt, ganz egal, aus welcher Weltsicht sie herrühren. Der Friede unter den Menschen, Gerechtigkeit und “eine bessere Welt” werden nicht dadurch erreicht, dass man alle vernichtet, die von irgendeiner Norm abweichen.

Und nun, liebe Links- wie Rechtgläubige, verehrtes Volk, liebe Trottel: Wer sich im Dickicht unserer Andeutungen und Assoziationen zu verlaufen droht – oder ein für alle Mal wissen will, worum es in dieser Sendung eigentlich geht, derdiedas möge zur weiteren Vor- und Zubereitung diesen subtilen Kommentar von Prof. Dr. Gernot Hassknecht zu sich nehmen. Wir wünschen guten Appetit.

 

Passagen. Werk für Walter Benjamin (zum 80. Todestag)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. September“Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht.” Am 26. September 1940 starb Walter Benjamin auf der Flucht vor den Nazis im spanischen Grenzort Portbou. Wir gestalten aus diesem Anlass einen akustischen Gedenkort für diesen Philosophen, Kulturkritiker und (unter anderem auch) Baudelaire-Übersetzer, dessen komplexe Denkwelten sich der Einsortierung im akademischen Schachterltum nach wie vor naturgemäß widersetzen. Was ist “Geschichte” jenseits ihrer Schreibung? Walter Benjamin wollte nicht weniger, als die kapitalistische Weltherrschaft gründlich zum Einsturz zu bringen. Im Eingedenken mit ihm betreten wir eine andere Wirklichkeit.

“Es handelt sich bei Benjamin um eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten, denen ich je in der Literatur begegnen durfte. Er verkörpert für mich jenseits seiner traurigen Geschichte, aber um sie wissend, die gelungenste Zusammenführung von Poesie und Wissenschaft. Niemand konnte diese zwei Disziplinen so zusammendenken wie Benjamin. Er hat sich nie aus der Wissenschaft herausgedacht. Er hat keinen Unterschied zwischen Form und Inhalt gemacht. Bei jedem wissenschaftlichen Text aus seiner Feder hat man stets das Gefühl, einen Lyriker zu lesen. Ich kenne niemanden, der zärtlicher zur Sprache gewesen ist als Walter Benjamin. Und das, obwohl er gar keine Gedichte geschrieben hat.” Andreas Spechtl

“Wenn ich über die Vergangenheit schreibe, während ich in der Gegenwart verweile, bin ich dann noch in der Echtzeit? Vielleicht gibt es keine Vergangenheit oder Zukunft, nur die immerwährende Gegenwart, die diese Dreieinheit von Gedächtnis enthält.
Ich blickte hinaus auf die Straße und sah, wie sich das Licht veränderte.” Patti Smith

“In dem historischen Augenblick, da der Kapitalismus – in Form des von ihm hervorgebrachten Faschismus – eine Gefahr apokalyptischen Ausmaßes in die Welt befördert hat, nimmt er nochmals den Beginn der kapitalistischen Epoche ganz genau in den Blick, und zwar in atmosphärischen Details, die dem Marxismus (zu dem sich Benjamin in dieser Phase seines Lebens ausdrücklich bekennt) in seinen orthodoxeren Ausprägungen völlig nebensächlich erschienen wären. Als könnte sich durch das Herausgreifen dieser Details, wenn man sie nur genau genug anschaut, der versteckte Schlüssel zum Verständnis des Kapitalismus finden, die Sollbruchstelle, von der her man ihn im letzten Augenblick – bevor der Faschismus auf ganzer Linie siegt – zum Explodieren bringen kann.” Gerald Fiebig über Walter Benjamins “Passagen-Werk” (Fragment), das auch dem hier titelgebend zu spielenden Hörstück zugrunde liegt.

Es erscheint uns ohnehin der geeignetere Zugang zum übervollen Universum des rastlosen Bilddenkmenschen zu sein, in Gestalt einer inneren Erlebnisreise etwas davon zu erspüren. Wie wenn man den etwas sehr anderen Dokumentarfilm “Who killed Walter Benjamin?” eben nicht verschwörungsesoterisch, sondern ganz und gar “benjaminisch” auffasst: Die Geschichte erzählt sich ihren Anwendern von selbst.