Menschliche Geschichten

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. November“Geldsäckulum, gstinkerts!” Dieses Wort von Uwe Dick eignet sich trefflich als Motto für ein weiteres Jahrhundert des “Ökonomischen Diktats”. Oder für eine Fußballweltmeisterschaft, die unter den widerlichsten Machtzwängen absolutistischer Geldherrschaft zustande gekommen wurde. “Massenblödien, Quasselödien, Kassenschmähdien!”, ruft Uwe Dick in den aktualitätsfixierten Mediendschungel. Der letzte deutsche Fußballtrainer, der sich noch traut, in Interviews plötzlich menschliche Geschichten anzusprechen, meint dazu: “Wenn du auf die Welt schaust, was für Wahnsinnige da überall an der Regierung sind, und wie sie sich die Taschen voll machen – das ist halt teilweise im Fußball auch so. Das ist unser großes Problem, das wir gesellschaftlich haben.” Christian Streich

Menschliche GeschichtenReisen wir in die Vergangenheit (die Fotos vom “Weltmeisterzug” hat die Grupa Szukająca Włazu bereitgestellt) und schauen wir uns im Jahr 1954 um, als die deutschen Nationalspieler für die Dauer ihrer WM-Teilnahme Verdienstentgang bezahlt bekamen und sonst nichts. Sönke Wortmann hat 2003 einen Spielfilm über das “Wunder von Bern” gedreht, der zunächst wie ein flachlustig rührseliges Heldenepos daher kommt, auf den zweiten Blick (oder für das entsprechende Feingefühl) aber auch eine ganz andere Geschichte erzählt. Der eigentliche Held ist nämlich der 11-jährige Matthias, der stellvertretend für uns alle die Folgeschäden und Traumatisierungen in Nachkriegsdeutschland erleidet. Doch Sönke Wortmann gelingt es, sämtliche Gefahren und Bedrohlichkeiten durch “wundersame Wendungen” dahingehend umzudichten, dass er eigentlich jenes Wunder erzählt, wie eine “Heilung der Vergangenheit” tatsächlich stattfinden kann.

Brita Steinwendtner wählt wiederum einen anderen Weg, um die Geschichten, die uns Dichter*innen erzählen, mit deren Lebensgeschichte in Verbindung zu bringen und sie dergestalt zu “verlebendigen”, also auch für uns Nachgeborene erlebbar – und somit wirksam zu machen. Im neuen Band “An den Gestaden des Wortes” aus ihrer Reihe “Dichterlandschaften” reist sie nicht nur durch die Zeit, sondern auch zu den Orten, wo sich deren Wirklichkeit, Imagination und Inspiration mit einander verbunden haben – und sie lädt uns ein, mit ihr auf eine magische Reise zu gehen.

Geschichte mit Gefühl nachvollziehbar zu machen, das verwandelt Geschichte in zutiefst menschliche Geschichten.

 

Weltzeit zum Totschlagen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. OktoberHerzlich wir kommen zur akuten Zeitverwandlung. Aus fünf mach vier. Schwuppdiwupp. Und Puff. Die synchronisierte Weltzeit ist hierzulande wieder einmal in den Winterbetrieb gehopst. Und auch wenn die allermeisten Uhren sich wie von Zauberhand selbst umgestellt haben, so kollidiert “die offizielle Zeit” doch merkbar mit manch anderer Zeitebene, die sich naturgemäß jeder amtlichen Vorschreibung entzieht. Seit der Erfindung des Eisenbahnfahrplans müht Mensch sich herum, seine “innere Uhr” mit allerlei äußeren Abläufen in Einklang zu bringen. Und dabei quietscht, scheppert und knirscht es im biologischen System, dass einem ganz unheimlich zumute wird. Mensch ärgert sich und will sich dagegen wehren – und bleibt doch meist mit seinem Jetlag wie betäubt in der Schulbank sitzen.

Tocotronic - Weltzeit rot weiß rotUnd so gestalten wir diesmal ein Stimmungsbild zwischen die Zeiten, wobei uns vieles zum Totscheißen ärgerlich erscheint, wir uns aber oft gar nicht fragen trauen, weil man das nicht darf. Nichtsdestotrotz entkommen wir der Weltzeit samt ihren Grausligkeiten auch wieder, indem wir uns anderen Zeitebenen öffnen, etwa mit diesen Herren vor diesem (un)zufällig rotweißroten Hintervordergrund. Alles Liebe zum Tag der österreichischen Unschuld! Wer nicht gelegentlich aus der aufgepfropften Chronologie der Weltzeit aussteigt und andere, eigene Zeiten für sich entdeckt, bleibt der verursachten Weltgeschichte ausgeliefert, und das ist ganz schön trostlos – und gefährlich. Die Geschichte von Predrag Pašić sei hierfür als Beispiel erzählt: Der ehemalige jugoslawische Nationalspieler betrieb während des blutigen Bürgerkriegs in Sarajevo eine Fußballschule für Kinder, die ausdrücklich alle Volksgruppen (Serben, Kroaten und bosnische Muslime) ansprach und den Kids ein tägliches Entkommen aus dem Krieg und in den Flow ermöglichte.

Auch wenn der Zeitgeist des globalen Konsumismus (danke, Edward Bernays, du USArschloch) es immer schwieriger macht, unsere verschiedenen Innenweltzeiten mit den ständig mehr werdenden Außenweltnotwendigkeiten und Terminen in Einklang zu bringen, so geben wir dennoch unsere Versuche nicht auf, mit allen Gefühlen und Bedürfnissen und Kindern und Tieren ….. in unserer gemeinsamen Welt zu leben. Auch an jedem verdammten Sonntag um 17:06 Uhr – denn siehe: Der Anfang ist nah!

So fest steht viel.

 

Zusammenhang

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Oktober“In the blood of Eden lie the woman and the man with the man in the woman and the woman in the man.” Den gleichnamigen Peter-Gabriel-Song hören wir am Anfang in der Interpretation von Regina Spektor. Frau und Mann – wo ist der Zusammenhang? Womöglich wird etwas von unserer gemeinsamen Menschverwandtschaft in uns selbst deutlich, wenn wir erleben, wie verschiedene Frauen Songs covern, die ursprünglich von Männern komponiert, getextet und vorgetragen wurden. Wie etwa das von R.E.M. stammende “The one I love” in einer beachtlichen Version von Widowspeak oder aber der Jimi-Hendrix-Klassiker “Hey Joe” in der Verbearbeitung von Charlotte Gainsbourg. Unter der Oberfläche unseres Gewohntseins lauern viele Seelen.

ZusammenhangWar es nicht C. G. Jung, dessen Archetypen Animus und Anima einen schönen (und naturgemäß weiterzudenkenden) Entwurf zum Verständnis der innerseelischen Wechselwirkungen vorstellte? “Jung betonte, dass Animus und Anima, wie alle Archetypen, von sich aus günstige und ungünstige, helle und dunkle, gute und böse Wirkungen entfalten.“ Ja, da schau her. Wie dämlich wirken dagegen die plumpen Versuche, uns ein stereotyp eindimensionales Mann/Frau/Selbstbild aufpfropfen und ins Bewusstsein schwindeln zu wollen. Der Mensch stirbt innerlich ab, er/sie/es geht an innerer Langeweile und Bewegungslosigkeit zugrunde, wenn die wildgewordenen Psychobrachialmechaniker versuchen, uns davon zu befreien, was ihnen oder sonstwem Angst macht. Die perversen Auswüchse solcher Umtriebe auf ganze Gesellschaften beleuchtet die Dokumentation “The Century of the Self 2” Warnhinweis in unser aller eigenster Sache: Menschen sind kein Industrieprodukt!

Der Mensch stirbt vor Schreck, wenn er plötzlich erkennt, dass er die Hälfte seines inneren Wesens erfolgreich ausgerottet hat. Der Mensch kann aber durchaus auch mit dieser anderen Hälfte in sich zusammen wirken und sich dergestalt auf jenes unendliche Abenteuer einlassen, das in den interessanteren Kreisen gemeinhin das Leben genannt wird. Hören wir hierzu das Punk-Duett von NOFX und Sarah Sandin bei “Lori Meyers” sowie Käptn Pengs hip-hopoide Würdigung zweier Menschen, die sich in Füchse verwandeln – und was danach geschah – in “Sie mögen sich”.

“Frau und Mann, aus und an, schau dich an, du bist der Zusammenhang …”

Wir hängen zusammen

 

Palmen Unter

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. OktoberEr ist wieder da! Und schon ereignet sich auch Inspiration. Es ist ein merkwürdiger Zustand, der da wie aus dem Nichts plötzlich in Bewegung kommt. Ein Vierzeiler von Wolfgang Kauer, kurz nach der Rückkehr aus dem Urlaub unter Palmen am Telefon vorgetragen, erinnert mich an ein Lied aus meiner Jugend von Konstantin Wecker: “Die Herren pokern, ihre Welt schneit unsere Herzen langsam ein. Jetzt kann nur noch die Phantasie die Sterbenden vom Eis befreien.” Mein Denken biegt in eine neue Richtung ab, und ich frage meinerseits: “Was ist das eigentlich, Phantasie? Der Hase antwortet: “Julian Schutting würde sagen, dass er über eine entsprechende Imaginationskraft verfügt.” Wie geil! Es regnet Themen, mit denen wir weiter denken – und arbeiten können …

Palmen UnterDa machen wir doch gleich eine Sendung draus! Zumal der Hase aka Christopher Schmall zur Zeit an einem neuen Gedichtzyklus mit dem Arbeitstitel “Palmen Unter” laboriert – und sich dabei auch von Julian Schutting inspirieren lässt. Verdichten wir eine Collage aus Anekdoten, Lesungen, Musik und Künstlergespräch – zu einer kaum beschreibbaren, auf jeden Fall aber erlebbaren Welt, die sich zwischen zwei Menschen ereignet – und dabei doch so geheimnisvoll bleibt, wie Peter Gabriel das einmal in einer Vorrede zu dem wunderbaren Song “Secret World” ausgedrückt hat (ich übersetze sinngemäß): “Machmal sieht man ein so eng verbundenes Menschenpaar, dass sich nur noch schwer unterscheiden lässt, wer jetzt genau wer ist. Und kleinste Bestandteile von ihnen lösen sich auf – in einen Raum, der zwischen ihnen entsteht. Dies könnten wir als geheime Welt bezeichnen.”

Wieso geheim? Manch Mensch mag sich das jetzt fragen – und schon esoterisches Marktgeschrei im Hintergrund trapsen hören oder die Andenkenstandler der einen oder anderen Weltreligion mit ihren morschen Knochen klappern. Aber nicht doch! Wir leben ja alle in mehreren Welten zugleich, mindestens jedenfalls in deren drei: Die Welt der Straßenverkehrsordnung, die Welt der Wünsche und Phantasien – und die Welt dazwischen. Diese dritte Welt (!) haben wir auch bitter nötig, um uns nicht an den Widersprüchen der ersten zwei immer und immer wieder aufzureiben.

Noch lockt das Unverfügbare

 

Aus einer Zeit vor unserer Zeit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. September – Es war einmal eine Zeit, in der man den Übergang von alten, bösen Zuständen in neue, bessere Zukünfte förmlich zu riechen und zu schmecken glaubte. Nie wieder sollten irgendwelche hoffnungslos rückwärtsgewandten Trottel mit ihren wahnsinnigen Ideologien die Welt in Krieg und Zerstörung stürzen. Vielmehr sollte ein neues Zeitalter der friedlichen Entwicklung anbrechen und mit der Zeit alle Ursachen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung auf der ganzen Welt überwinden. Halleluja! In Griechenland begannen drei Freunde damit, psychedelische Popmusik herzustellen. Sie nannten sich Aphrodite’s Child und feierten erste Erfolge, als ein paar hoffnungslos rückwärtsgewandte Trottel dort eine Militärdiktatur einführten und so jeglichen künstlerischen Freiraum abwürgten.

Aus einer Zeit vor unserer ZeitKein Wunder, dass unsere Freunde sich (gemeinsam mit vielen anderen Regimegegnern) vor den Gefahren des Gefoltertwerdens erstmal in Sicherheit brachten, auch um ihre progressiven Musikprojekte weiter unzensiert vorantreiben zu können. Sie gelangten auf verschlungenen Wegen nach Paris und spielten dort das Konzept-Doppelalbum 666 ein, das bis heute als wegweisend und stilbildend für die gesamte Zeit des Progressive-Rock gilt. Ungeachtet all seiner Entstehungsumstände (es wurde zum Beispiel im legendären Europa Sonor Studio aufgenommen, wo Pink Floyd später ihren Klassiker Dark Side Of The Moon herstellten) ragt das Meisterstück von Aphrodite’s Child weit über die Zeit seiner Entstehung hinaus – auch bis in unsere Zeit hinein. Warum? Weil es die Bilder der Apokalypse des Johannes (Offenbarung) und somit das “Ende der Welt” zum Thema hat – und diese an sich schon verstörenden Motive mit verschiedensten Stilmitteln in zugängliche Zeitlosigkeit “übersetzt”. Weil es dabei von vorn herein ein offenes Ende hat und dadurch der Phantasie des Publikums freien Lauf lässt.

Weil es uns keine “richtigen” Deutungen und Bedeutungen aufdrängt. Weil es nicht mit irgendeiner Weltsicht missioniert, stattdessen diese Flut von surrealen Bildern in künstlerischer Überdrehung derart auf uns einprasseln lässt, dass, wenn überhaupt, Deutungsmöglichkeiten in unserer Vorstellung entstehen, aber halt immer mehrere. Wenn Griechen sich an biblischen Themen abarbeiten – wer erinnert sich da nicht an Nikos Kazantzakis’ Roman “Die letzte Versuchung” und an seine skandalumwehte Verfilmung von Martin Scorsese mit Willem Dafoe als Jesus?Ich schweife ab …

Damit mir das in der Sendung nicht passiert, oder aber erst recht, je nachdem, habe ich den Musikschichtenforscher und Assoziationsexperten Andreas Woldrich von der löblichen Sendereihe “Battle & Hum” als Gesprächsgast eingeladen. Und das kann dem diesmaligen Thema, das ein in sich vielfaches ist, auf jeden Fall nur gut tun!

Einige Hintergründe zu den oft verstörenden Abgründen auf diesem Album finden sich auf dieser Vangelis Papathanassiou gewidmeten Seite. Wir wissen auch nicht, welche Apokalypse gerade stattfindet und ob sie echt ist oder Theater. Oder wie …

 

Die Schatzinsel

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. August – Schon seit einigen Jahren erklingt an jedem dritten Sonntag im Monat im Anschluss an unser Artarium eine Sendung namens “Gitarre und Meer: Eine Seereise mit Captain Carsten”. Und fast immer, wenn wir da noch ein Weilchen zuhören, entdecken wir die eine oder andere Perle, die uns angenehm überrascht. Denn von einem, der auszog, im Musikum Mattsee Gitarre zu lehren, (und darüber hinaus mit konzertantem Flamenco auftritt) haben wir kein so weites Spektrum an Musikstilen erwartet, wie es sich da immer wieder aus dem Radio heraus entfaltet. Grund genug, den geheimnisvollen Captain (der auch noch tatsächlich von der norddeutschen Küste herstammt) auf unsere Schatzinsel einzuladen. Die Perlentaucher sind halt neugierig auf alles, was Resonanz erzeugt.

Die SchatzinselWährend der Hase diesmal mit dem Glücklichmachen von Festspiel-Mitwirkenden beschäftigt ist, werde ich mit dem Captain gemeinsam ein paar versteckte Schätze heben, die uns vielleicht vertraut sein mögen, doch im Zusammenspiel von Musik- und Lebensgeschichte einige ganz neue Aspekte gewinnen können. Zu One Hundred Years von The Cure etwa fiel dem Captain (in Erinnerung an allerlei ”scheinbar apokalyptische Klänge” aus seiner Jugendzeit) folgendes ein: “Markant ist musikalisch immer die erbarmungslose kleine Sekund abwärts, die den Song aussichtslos erscheinen lässt. Wie auch schon bei Astronomy Domine von Pink Floyd. Syd Barrett hat das bei Gustav Holst – Die Planeten (Mars der Kriegsbringer) entliehen.” Ham wir mal wieder was gelernt! “Ein Musiklehrer halt.”, stellte der Hase zutreffend fest. Und ich fand wieder einmal heraus, wie gut das wiederholte Anhören gerade bei repetitiv minimalistisch geprägter Musik ist, um deren Sinn zu erfassen.

Doch keine Angst – das wird hier keine Musikfachsimpelsendung. Vielmehr wollen wir den sympathischen Kollegen von der “Sendung nach uns” einmal kennenlernen – und euch sein sehr offen und assoziativ gehaltenes Sendungskonzept vorstellen, das dem unseren durchaus wesensverwandt ist und diesmal als “Captain Carstens Capriolen 2” stattfinden wird. Eine Sendung, die den Musikgenuss mit interessanten Anekdoten und Hintergrundwissen anreichert und zu einer bekömmlichen Mahlzeit (mit Zutaten aus allen sieben Weltmeeren) zusammenkomponiert. Wohl bekomms

Die Salzburger Strandpiraten im Strom der Kulturgezeiten bitten zu Omnomnom!

 

Gibts da was von Radiopharm?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. Juli – Die Festspiele sind beöffnet. Prost! Und Ilija Trojanow hat eine dermaßen dichte Rede dazu gehalten, die sich mit dem wiederkehrenden Motiv “Die Sieben, die Drei – und das Ass” in höchste Höhen der Sprach- und Vortragskunst aufschwingt. Noch nicht einmal Jean Ziegler hätte den versammelten Repräsentanzen der Geldherrschaft ihre zutiefst ausbeuterischen, gewaltvollen und lebensfeindlichen Verstricktungen mit dem globalen Mammon so unhaltbar ins Gesicht schlenzen können. Liebe An- und Verwesende, wer ist da letzten Endes eigentlich überflüssig? Trotzdem steht zu befürchten, das auch diese verdichtete Wahrheit als schicker Jedermanngrusel im schalen Salzburgsumpf untergeht. Wir von Radiopharm halten dagegen:  Gut zu hören. Gute Besserung!

Radiopharm IdiotikumEin Mittel gegen die strunzerne Dummheit haben wir zwar auch noch nicht gefunden – immerhin aber ein Sackerl voll Ideen, wie “das Theater, das wir hier nicht haben wollen” (so die flüchtende Präsidentin) der vorauseilenden Prostitution des krachledernen Gast- und Gunstgewerbes doch noch entrissen werden kann. War da nicht mal was mit Immersion? Was macht denn eigentlich der Thomas Oberender heute? Der hat inzwischen den Dramatiker und Mitbegründer des Belarus Free Theater Nikolai Khalezin bei den Berliner Festspielen in offener Interaktion mit dem Publikum präsentiert. Was der später im Gespräch mit seinem langjährigen Minsker Kulturkampfgenossen Sjarhei Mikhalok (der aus Belarus in die Ukraine emigriert ist) allein rund um den Begriff “Grenzen” ins Bewusstsein bringt, das stellen wir (nebst deutscher Übersetzung) in der Sendung vor: Ein Beitrag des Ministry of Counterculture. So etwas wäre auch eine würdige Idee für Salzburg

Gleichfalls unterhaltsam (und gedanklich überaus gewinnbringend) fänden wir eine Einladung des slowenischen Philosophen und Laibach-Spezialisten Slavoj Žižek, womöglich als verschärfter Festredner, auf jeden Fall in einer für alle Interessierten offenen Diskussion, eventuell als immersives Symposion zum Thema “Arbeit macht frei” unter Mitwirkung von Laibach, die sich seit “Kunst der Fuge” als Brückenbauer zwischen den Sphären von Hoch- und Popkultur empfehlen. Allen Teilnehmenden wird auf Wunsch ein NSK-Pass ausgestellt. Was? Die Revolution findet längst statt …

Hiermit wende ich mich direkt an die Herrschaft: Es sind verdammt nochmal nicht eure Festspiele. Es sind unsere. Es ist auch nicht eure Stadt. Es ist unsere. Nicht wer bezahlt, schafft an. Wer bezahlt, wäscht Blutgeld. Seit Generationen denken wir über eine gerechtere Verteilung des Vermögens nach. Und plötzlich begreifen wir, dass wir mehr als eine neue Besitzregelung brauchen, vielmehr eine Art Besuchsregelung für alle Menschen, die auf diesem endlichen Planeten leben. Haben, als hätten wir nicht. Die ganze Welt ist Bühne. Für jedes, jedeund jeden. Das gilt auch für diese Stadt.

Und jetzt schleichts eich!

 

Mein Name ist Hase

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. JuliDer Stoff, aus dem die Nazis sind, was ist das eigentlich? Zugegeben, die real existierenden Verbrecher in der Zeit des Dritten Reichs (und ihre Millionen Follower) waren ganz besonders widerliche Menschenschinder. Eine einzigartige, historisch herausragende Verdichtung von Haltungen und Herangehensweisen, die wir allerdings jenseits ihrer Schreckenszeit auch sonst wiederfinden können, wenn wir nur genau genug schauen. Vom Ausrotten der Ungläubigen über das Rauben fremder Reichtümer bis zum gefühllosen “Über-Leichen-gehen” – es ist alles schon da gewesen und es geschieht soeben schon wieder – vor unser aller Augen: Kreuzzüge, Kolionalwaren, Klimawandel Putins Angriffskrieg Mein Name ist Hase und ich weiß bedauerlicherweise viel zu viel.

Wappen derer von HaseKarl Victor Hase wusste auch viel mehr als er zugab. Auf ihn geht das geflügelte Wort “Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.” zurück. Ein Hase, der Widerstand leistet? Das stellt aber die angeblich so gottgewollt geordnete Welt gehörig auf den Kopf! Und schauen wir einmal, was der kleine Hase alles erlebt hatte, bevor es zur legendären Fluchthilfe für einen Freund und der damit einhergehenden eleganten Antwort auf die Verhörfragen kam. Etwa die Umbrüche der “Deutschen Revolution von 1848/49” mit gerade mal 13/14 Jahren. Oder als junger Student von 19/20 Jahren, als er “während eines Osteraufenthalts bei seinem Onkel Franz Gustav Hase einem Geistlichen gegenüber eine entgegengesetzte Meinung äußerte und sich dafür in Leipzig mit einer sechstägigen Haftstrafe verantworten musste.” (Wikipedia) – Das muss man sich einmal so richtig auf der Seele zergehen lassen: Gefängnis fürs bloße Äußern der eigenen Meinung. Majestätsbeleidigung! Zugegeben, die real existierenden Nazis waren da noch viel brutaler – der geistige Stoff aber, aus dem ihre Terrorherrschaft bestand, war längst vorhanden (und ist es immer noch): Obrigkeitsglaube, Gehorsamkeit und gedankenloses Nachplappern der vorgeschriebenen Parolen (jetzt denkt mal selbst, welche das heutzutage sind).

Karl Victors Neffe Paul von Hase war Wehrmachtsgeneral und am 20. Juli 1944 Stadtkommandant von Berlin. Er sollte im Rahmen der Operation Walküre unter anderem Joseph Goebbels verhaften, was aber durch den ihm unterstellten Major Otto Ernst Remer vereitelt wurde und schließlich zu seiner Hinrichtung führte. Erst 1952 gelang es Staatsanwalt Fritz Bauer in einem aufsehenerregenden Prozess, ihn als legitimen Widerstandskämpfer zu rehabilitieren, doch glauben auch heute noch nicht wenige Gesinnungsnachzügler der einstigen Jasager und Mitläufer (und -innen!), dass die Mitglieder dieses Aufstands Vaterlandsverräter waren …

Womit wir bei “der verkehrten Welt” wären und der speziellen Rolle der Hasen in Dichtung und Phantasie. Lassen wir einmal die gscheitscheißerten Deutungen der christlich-abendländischen Herrschaftsmoral beiseite und betrachten wir all die Hasen, die sich gegen ihre Vernichtung wehren, als sinnvolle Gestalter innerer Vorstellungskraft, die eine aus den Fugen geratene Welt der Unterdrückung und Zerstörung wieder “vom Kopf auf die Füße stellen” und dergestalt zurechtrücken können, dass es jedes Kind in seinem Innersten versteht. Wie unentbehrlich dieses “Kunnst dir die Welt nicht auch ganz anders vorstellen?” doch für jede Zukunft ist.

Ham wir mal wieder was gelernt …

PS. In der Salzburger Altstadt (Kranzlmarkt 4) gab es ein berühmtes “Hasenhaus”, dessen Fassade großflächig mit Szenen aus der “verkehrten Welt” versehen war.

Was will uns der Dichter damit sagen?

 

Republik der Taubheit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Juni“Jetzt begreif ich erst so richtig, WAS dieser Krieg in der Ukraine ist – und WIE sich das anfühlt.” Das war einer der ersten Gedanken, die in mir hervorblitzten, als ich aus diesem komprimierten Gefühlsfilm wieder aufgetaucht war, den die “Republik der Taubheit” von Ilya Kaminsky in mir ausgelöst hatte. Dieses gerade mal 100 Seiten starke Stück Universalpoesie strotzt geradezu vor poetischer Kraft und feiert in all seiner Zärtlichkeit das unbeugsame Leben inmitten von Tod und Zerstörung. Es ist dem lyrischen Mundhandwerk von Anja Kampmann zu verdanken, dass “Deaf Republic” nun auch für deutsche Ohren erlebbar ist. Wir freuen uns sehr darauf, eine so überaus wirkmächtige Dichtung hier vorstellen zu können – und empfehlen diese auch entschieden zur eigenen Lektüre!

Republik der TaubheitZur Einstimmung in dieses Ausnahmebuch lesen wir mit freundlicher Genehmigung des Hanser Verlags einige Auszüge daraus vor, die wir mit ebenso ab- wie hintergründiger Musik von Hildur Guðnadóttir kontrastieren. Und (unserer Natur gemäß) erzählen wir von unserer Reise durch dieses Buch, das ein so anrührendes, zutiefst erschütterndes, geheimnisvolles, lustvoll kichernmachendes, lebenskluges, metaphernreiches, sprachlich souveränes, tiefgründiges, verletzliches und verletzendes und letzten Endes ein mehr als vielschichtiges Erlebnis ist, das in seiner schlichten Komplexität jedwede Genrezuordnung sprengt. Nicht einmal Selbstgeschöpftes wie “kollektivpsychedelischer Roadtrip” oder “immersivlyrisches Multifunktionsdrama” könnten den hier von uns festgestellten Auswirkungen gerecht werden. Man muss es selbst zu sich nehmen, sich auf die Erfahrung einlassen, damit man da auch nur ansatzweise mitreden kann. Alles andere wäre in etwa so sättigend wie das sprichwörtliche erzählte Abendessen. Umso erfreulicher, dass sogar der öffentlich-rechtlich diensttuende Germanist und Literaturkritiker diesen Umstand würdigt: Thomas Strässle hier in der 3sat Kulturzeit vom 9. Juni (Buchvorstellung ab 07:49 und Würdigung ab 15:03 Minuten). Chapeau!

Doch der Mann ist immerhin auch Musiker, das könnte seinen Zugang zu Kaminskys eigenwilliger Singsprache befördert haben: “We lived happily during the war”. Anja Kampmann, die selbst mit Komponist*innen zusammen arbeitet, hat darüber hinaus wohl noch andere Berührungspunkte: dnipro. “Stille ist eine Erfindung der Hörenden. Stille existiert nicht für Menschen, die nicht hören können. Sie haben keine Vorstellung davon.”, sagt Kaminsky, der 12 Jahre seines Lebens als fast vollständig Gehörloser verbrachte. Was mag dann der legendäre “Sound Of Silence” bedeuten?

Unsere Sendung soll jedenfalls auch diesmal nicht ohne Verbundenheitsgruß an die ukrainischen Kulturschaffenden enden: Die Coverband Grandma’s Smuzi hat den Cranberries-Hit Zombie in ukrainischer Übersetzung neu aufgenommen – und mit einem kongenialen Video ausgestattet. Das Prophetische tritt zunehmend aus den Randbereichen der Wahrnehmung ins Rampenlicht des Weltgeschehens. Oder, um es als ein Fazit in die Republik der Taubheit zu schreiben: “Das Leben lebt – ungeachtet des Untergangs.”

PS. Eine sehr nuancenreiche Lesung von Johannes Wördemann (der vierminütige Ausschnitt mutet fast wie ein Hörspiel an) findet sich hier im SWR-Literatur-Podcast.

 

Ein Sackerl Gemischtes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Mai – Es gibt sehr viele sehr verschiedene Menschen auf der Welt. Und die haben oft sehr unterschiedliche Gefühlslagen und Bedürfnisse, zudem auch sehr unterschiedliche Möglichkeiten, ihr Leben auf dieser Welt zu gestalten. Ein Sackerl Gemischtes wie diese Sendung, die sich den schönen Seiten des Lebens widmet – inmitten all der Vergeblichkeit ringsumher. Für einige sind bereits Nachrichten eine Bedrohung, Werbejingles ein Luftangriff und tägliche Einkäufe eine Flucht mitten durch Feindesland. Ein Brief vom Finanzamt kann da schon den Weltuntergang bedeuten. “Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heut noch – einen Freund umarmen.” Apfelbäumchen geht sich für mich nicht mehr aus. Umarmungen sind zur Zeit sowieso die stabilere Währung.

Ein Sackerl GemischtesImmer mehr Menschen auf der ganzen Welt haben Depressionen und das wundert mich jetzt nicht allzu sehr (auch wenn die genauen Ursachen noch weithin unerforscht sind), denn das geistige Klima des uns umrasenden Leistungsterrors kann für niemanden gesund sein. In Österreich ist eine Partei an der Macht, deren Politikdarsteller von den Wünschen “der Wirtschaft” daher raunzen, die funktionstüchtig abgerichtetes Menschenmaterial (ohne Sinn und Verstand) verlangt. Die Arbeitgeberverbände befürworten Benimmunterricht. Doch auch der Mensch besteht aus Natur – und ist genau wie diese ein endlicher Rohstoff. Wir leben alle in einem fragilen Gleichgewicht, das durch “die Wirtschaft” längst aus demselben gekippt ist. Die ganze Welt ist außer sich. Wie sollten wir da “bei uns” bleiben? “Das Volk” (wer auch immer das jeweils ist) hat sich irrlichternde Durchschwurbler als “Regierung” gewählt. Jetzt schauts mehrheitlich dumm drein.

Aber Obst ist gesund, otto holt obst heißt es, ich erinnere mich: In den 70er Jahren besuchte ich eine fundamental deprimierende Erziehungsanstalt, in der Nazis und Katholiken als Lehrer ihre Bernhard’schen Urzuständ an uns auslebten. Einer der raren Lichtblicke war eine wohlwollende Obstfrau (die Tante eines Mitschülers) am benachbarten Grünmarkt. Zu ihr gingen wir in der großen Pause obst zu schlingen aus dem legendären “Sackerl Gemischtes um 5 Schilling”. Liebevoll wie ein Sack Äpfel beglückte sie uns jedes Mal mit ihren schönsten Öbstern. Fruchtgeschmack!

Depressionen? Umarmungen? Ein Sackerl Gemischtes in finsterer Zeit? Torsten Sträter und Kurt Krömer haben dazu ein paar Anregungen aus der grauen Praxis.

Shalom, ihr Volkskoffer!