An diesem einen Punkt der Welt

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. August – Wir haben das neue Buch von Brita Steinwendtner gelesen – und wollen es euch in dieser Sendung wärmstens empfehlen. Warum? Weil wir, wie sich denken lässt, irgendwo zwischen überzeugt und begeistert sind davon. Und weil wir als freie Radiomacher sowieso nur das besprechen, was uns persönlich und unmittelbar berührt. Wovon wir also ein Bedürfnis haben, zu berichten – aus unserer Welt. Und so entwickelte sich auch unsere Beziehung zu dieser zutiefst lebenswerten Geschichte erst langsam, über einzelne Gespräche und Begegnungen, bis endlich aus immer mehr Zufälligkeiten ein überraschender Zusammenhang entstand: Denn die Hauptperson von „An diesem einen Punkt der Welt“ ist niemand anderer als der allzu früh verstorbene „Bez“ Bernhard Samitz, zu dessen Andenken wir bereits ein Radioportrait mit dem Titel Alternative kulturelle Schutzgebiete gestaltet haben…

Beim TortenmacherDas ist Biographie: die tausend tanzenden Sonnenpunkte in uns – denn, ja, weißt du, wie ich mich gerne beschrieben sähe? Als Erzählung – als Roman -, als Text, der mit mir macht, was er will, denn – ja, Parmenides, ich möchte leben wie ein ausufernder Text, möchte Literatur werden – 

Was Tom zu Hause schrieb und dachte, wenn die Dissonanzen in den Saiten hingen und man im Grau des Nebels keinen grauen Engel finden konnte, ist nicht zu wissen. Der Lamanderbach schickte gleichmütig sein Wasser in den Wildgänseweiher und weiter in den Fluss und immer weiter,

     und Tom mischte ein Dorfleben auf wie nebenbei, es ging ins Leere und es gelang, je nachdem, aber er gab ein Beispiel, das über den Tag hinaus wirkte. Erhob den Einspruch des Poetischen gegen die traurigen Verhältnisse des Realen, lebte die Skepsis gegen simple Kausalitätsordnungen, und war, so Matthias, „dem Streit nicht zugetan, der Umarmung mehr und dem Liebkosen, wenn es um Gedanken ging“.

An diesem einen Punkt der WeltEs entspricht wohl auch mehr unserer Wesensart, nicht gar so viel über ein Buch zu reden, wenn wir es euch vorstellen, sondern es statt dessen lieber für sich selbst sprechen zu lassen (Textauszug oben Seiten 170 und 208, unten Seite 163). So wollen wir uns zwar über unsere Erlebnisse beim Lesen unterhalten, ansonsten aber Passagen daraus vortragen und in Gestalt einer Reise durch den Roman Musikstücke dazu assoziieren. Zu Entstehung und Hintergrund dieses ebenso lesens- wie liebenswert verdichteten und vielgestaltigen Entwicklungs-Roadmovies aus der Innenwelt eines integrierten Außenseiters und radikal friedvollen Poesiepropheten melden wir uns am Freitag, 29. August Live vom 4553² Literaturfestival in Schlierbach/Oberösterreich, wobei wir auch Brita Steinwendtner im Anschluss an ihre Lesung zu einem Gespräch erwarten. Die zweistündige Sondersendung beginnt auf Radio B-138 um 22 Uhr und wird am Sonntag, 31. August auf der Radiofabrik ab 17 Uhr wiederholt. Hier noch das Veranstaltungsprogramm der Literarischen Nahversorger. Bis dahin muss es genügen, wenn wir mit Denis Scheck sagen: „Vertraut uns, denn wir wissen, was wir tun!“ Und lest dieses Buch selbst – denn wer Ohren hat zu fühlen…

Wohin wollte er? Raus aus dem Dorf, dem Haus, dem Graben? Waren sie sein Gefängnis oder seine Geborgenheit? Äußerer Ring von Bäumen um seine Augen, innerer von Verstärkern, Gitarren und Büchern um seinen Atem, Bücher als Metastasen, so Matthias, sie wohnten überall, auf Tischen, Stühlen, am Boden, im Bett, im Auto, ein Haus als Depot für Schrift mehr denn eine Wohnstatt. Lese-Marathons bis spät in die Nächte hinein, Hunger nach dem unmessbaren Zauber von Sprache, weltvergessenes Lesen ohne Ziel und Verwertbarkeitsstatistik, ein dadaistisches Spiel, um die Welt auf den Kopf zu stellen. Vielleicht auch, um sich zu wappnen gegen alles Diktatorisch-Tyrannische, weg von allen Autoritäten und alten Bindungen. Von der Mutter, Dem Vater. Den Professoren. Dem Müssen. Dem Erreichen-, Glauben- und Erfüllen-Müssen.

 

Ganz oben – Gar nichts

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. Juli – Die Vorstellung von Hierarchie, Obrigkeit und Gehorsam geht (wenn auch unbewusst) stets davon aus, dass „da ganz oben“ irgend etwas sei. Was aber, wenn nicht? Dann rempeln sich die Hinaufstreber eigentlich ganz ohne Grund gegenseitig von der Karriereleiter. Wollen nur deshalb immer höher und höher, um noch mehr Untergebenen die Eigenschaften von etwas Erfundenem zu erklären – und zwar verbindlich, versteht sich! Ganz oben ist aber gar nichts. Oberhalb der obersten Obrigkeit ist bestenfalls dünne Luft – doch die lässt sich vortrefflich zu Gesetzen zerkauen, solang weiter unten noch Menschen daran glauben. Etwa, dass ihnen von oben herab angeschafft wird, wer oder wie sie zu sein hätten. Willkommen in der wundersamen Welt der -ismen – oder gehts noch -tümer?

Spieglein, SpiegleinEs ist schon so eine Sache mit den immer wiederkehrenden Gedanken, die sich zu roten Fäden und ganzen Themensträngen zusammenzwirbeln lassen – wenn man sie funktional zu einem Antwortende bringen möchte, nur um sie endlich als „erledigt“ zu begreifen, dann entfliehen sie einem sehr schnell – und man ist selbst bald genauso fertig, wie man es mit dem Denken gern gewesen wäre…

Doch diese immer wieder auftauchenden Motive im eigenen wie im gemeinsamen Denken als Fragmente und Teilaspekte eines größeren Gesamtbildes zu verstehen und sie auch immer wieder aufs Neue im eigenen Lebenszusammenhang zu interpretieren, das könnte mit der Zeit zu einer wirklichen Antwort werden, die man nicht bloß so dahermeint, sondern auf die zahllosen Fragen seiner menschlichen Existenz – darlebt. Und so greifen wir wieder einmal eines jener Themen auf, die uns nach wie vor nicht in Frieden lassen, und zwar die leidvolle Erfahrung mit der Machtausübung um der Macht willen (denn ganz oben gibt es ja nichts). Oder anders ausgedrückt – wenn einmal die Herrschaft von Menschen über Menschen beendet ist, dann können wir uns gern auch Gedanken über die Existenz Gottes machen. So rum wird eher ein Schuh draus.

 

Sarajevo, nicht nur 1914

-> Download: Artarium vom Sonntag, 29. Juni – Zum 100. Jahrestag jenes Attentats, das schließlich den 1. Weltkrieg mit auslöste, erweitern wir den Blick auf Sarajevo um einige Geschichten von Menschen, die da geboren wurden, die da gelebt haben – und die etwas Bleibendes hinterließen, das über Krieg, Tod und Zerstörung hinaus wirksam ist. Diese Stadt ist mehr als die Bilder, die wir kennen, etwa von der Ermordung des österreichischen Thronfolgerpaares am 28. Juni 1914 – oder von ihrer Belagerung im Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1996. Sie ist, mehr als Welt- und Kriegsgeschichte, immer auch ein Quell menschlicher Begegnung und künstlerischen Austauschs gewesen und eine multiethnische, multikulturelle Möglichkeit des Zusammenlebens. Davon erzählen unsere für diese Sendung ausgewählten Geschichten zur Zeitgeschichte 😉

Foto: Julian Nitzsche, CC BY-SA 3.0

Zum Beispiel ist mein Großvater in Sarajevo geboren, 1890 als Sohn eines Beamten der k.u.k. Forstverwaltung. Und gerade weil ich in meiner Familie wenig von dieser Zeit erzählt bekam, ist es für mich umso interessanter, einige historische Details über jene ambivalente Epoche am Vorabend des 1. Weltkriegs auszugraben. Auch spannend fand ich (im Zusammenhang mit der soeben stattfindenden und geldpolitisch auf besondere Weise ungustiösen Fußballweltmeisterschaft) die Dokumentation „Rebellen am Ball“ mit Éric Cantona, die unter anderem vom Ex-Jugoslawischen Nationalspieler Predrag Pašić aus Sarajevo berichtet, der während des Bosnienkriegs in seiner Heimatstadt ausharrte und dem Töten zum Trotz eine Fußballschule für Kinder und Jugendliche aller Volksgruppen aufbaute. Hier gibts ein geniales Interview mit ihm darüber!

Oder wer hätte gewusst, dass auch der Gitarrist der amerikanischen Alternative-Rock Band 30 Seconds to Mars, seines Namens Tomislav „Tomo“ Miličević, aus eben dieser Stadt stammt – und seine eigene Schussverletzung besitzt. Wobei er die nicht aus Bosnien hat, sondern aus dem Sozialbürgerkrieg auf U.S.Amerikas Straßen. Ein Grund mehr für klare musikalische Anti-Kriegs-Aussagen 🙂 Kann also Kunnst – in welcher Form immer – uns womöglich doch vor der Ausrottung retten? Der große Sarajevo-Erzähler Dževad Karahasan hat uns als Antwort eine selbst erlebte Geschichte überliefert: In der Zeit der Belagerung bat ihn seine Frau auf dem Weg zum gemeinsamen Abendessen, ihr vorher noch einen tagsüber geschriebenen Text vorzulesen. Sie gingen daher ins Büro – während eine Granate im Esszimmer einschlug – und „nur“ ihre Bibliothek zerstörte.

So kanns gehen! 😀 Abschließend sei hier noch das schräge Video von Placebo „Trigger Happy Hands“ empfohlen, zur Illustration des dem „Krieg“ innewohnenden Irrsinns…

 

Denk mal fairkehrt

-> Download: Artarium vom Sonntag, 22.Juni – LIVE vom fairkehrten Fest in der alten Nonntaler Hauptstraße, daher diesmal auch mit Live-Lesung und Live-Musik aus dem Fundus des etwas anderen Kunnst-Biotops! Außerdem wollen wir die Gelegenheit nutzen, um euch unsere monatliche Perlentaucher-Nachtfahrt ans Herz zu legen. Denn in dieser „musikliterarischen Gefühlsweltreise“ wechseln sich ebenfalls live gelesene Textbeiträge mit vorbereiteten Soundcollagen und Titeln aus dazu passenden Playlisten ab. Und zwar jeweils in spontaner Dramaturgie – rund um das ausgewählte Thema assoziiert. Was läge also näher, als für den Programmschluss des Radiofabrik-Außenstudios den Standort des Geschehens als inhaltliche Inspiration auf uns wirken zu lassen: Ein Kriegerdenkmal, mit den Namen aller im ersten und zweiten Weltkrieg elend zu Tode gekommenen Nonntaler – und mit der Aufschrift „Unseren Helden“…

Christopher SchmallImmer, wenn sich der Hund im Artarium wieder mal in einen Wirbel redet, freut es eine(n) so richtig, diese andere angenehme Stimme zu hören: Christopher Schmall, unentbehrlicher Freund und Coproducer 🙂 sonst seines Zeichens auch Dichter, Musikschaffender und Seelenforscher. Er ist einigen noch als Sänger der Band In Confusion in Erinnerung und war seither schon des öfteren mit seinen Solonummern und SpokenWord-Experimenten im Radio zu hören. Nun wird er zum ersten Mal seit geraumer Zeit wieder live and unplugged vor versammeltem Publikum zu erleben sein – und uns mit zwei zu diesem speziellen Setting passenden Eigenkompositionen – befremden, erfreuen – oder trösten? Wir wissen es nicht – wir können uns nur darauf einlassen! Derlei ist jedenfalls selten genug heutzutage…

Felix Vali SteinhauserEbenso rar und kostbar sind auch jene Momente, in welchen sich Potenzial plötzlich entfaltet – und wir staunenden Auges die im Erschaffen begriffene Welt betreten. So erging es uns erst unlängst, als wir beim gemeinsamen Vorlesen eigener Texte Felix Vali Steinhauser kennenlernten. Und zwar bei Writers On The Storm, einer überaus empfehlenswerten Veranstaltungsreihe des Salzburger Kunstkollektivs Bureau du Grand Mot für alle „Bühnenneulinge, heimliche SchreiberInnen und sich nicht ins RampenlichttrauerInnen“. Offenbar funktioniert diese Anstiftung zur Öffentlichkeit auch irgendwie auf wundersame Weise – denn schon zwei Monate nach unserem ersten Zusammen-Auftreten begrüßen wir ihn als poetischen Mitgestalter zur Lesung seiner Stimmungsbilder im Open-Air-Studio:

„Unbekannt erscheint mir meine Umwelt…“

-> Zur Aufzeichnung unserer Aktion für ein Deserteursdenkmal

 

Das Progressive Album

-> Download: Artarium vom Sonntag, 15. Juni – Ein selbst zusammen gestelltes Album rund um das Genre „Progressive Rock“ gibt es diesmal zu hören, und zwar ebenso Jahrzehnte- wie Generationen übergreifend! Warum nicht auch das Radiomachen und seine lieb gewordenen Gewohnheiten wieder mal progressiv betreiben? Denn der Begriff selbst bedeutet ja nichts anderes als „stetig erweiternd voranschreiten“ und so war er wohl auch in der Entwicklung der Rockmusik gemeint, als man Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre damit anfing, die im Blues verhafteten Formen aufzubrechen und mit immer neuen Einflüssen aus anderen Musikwelten wie Jazz, Klassik oder Folklore anzureichern. So schreiten also auch wir unaufhaltsam über das Altbewährte hinaus – und interpretieren die Tradition unseres einmal im Monat vorgestellten „Ganzen Albums“ neu – im Sinne einer „Best Of Compilation“ 😉

the-schizoid-the-king-king-crimson

„Eine weitere Deutung des Begriffs stammt von Robert Fripp,  dem Gitarristen der Genrevorreiter King Crimson. Er sieht Progressive Rock weniger als stringenten Stil denn als Haltung. Diese zeichne sich aus durch den Willen zur Neudefinition der stilistischen und konzeptuellen Grenzen der Rockmusik unter Anwendung produzeduraler Abläufe (nicht Oberflächeneigenschaften) aus klassischer Musik und Jazz. Sobald sich aber aus dieser Haltung heraus ein neues Gefüge von Konventionen eines eigenen Stils entwickelt hatte, betrachtete er den progressiven Charakter als hinfällig und beendete vorerst seine Aktivitäten innerhalb des Genres. Das geschah im Jahr 1974, als die erste Inkarnation des Genres noch in seiner kommerziellen Blüte stand.[2] “ (aus Wikipedia)

traumtänzerWir haben aus dem reichhaltigen Fundus dieses oftmals zu Unrecht als „verkopftes und artifizielles Gefudel“ geschmähten Musikschaffens einige Beispiele ausgewählt, die sein kreatives Potential auch jenseits der Genregrenzen zum Ausdruck bringen: Mit einer ersten Skizze von Robert Fripp für Peter Gabriels „Here comes the Flood“ aus dem Jahr 1975 beginnend, über zwei richtige (10+ min) Prog-Rock-Hymnen von Marillion-Sänger Fish (2013) sowie von Porcupine Tree Mastermind Steven Wilson (2009), bis hin zur einzig bekannten Genesis Reunion-Aufnahme featuring Peter Gabriel „The Carpet Crawlers“ (1999) spannen wir den weiten Bogen …

Die Sätze und ihre Bezeichnungen 😀 lauten:

01 Artarium – Signation feat. Aviv Geffen (Blackfield) & Yes (Yessongs 1973)

02 Peter Gabriel & Robert Fripp – Here Comes The Flood (Skizze 1974/75)

03 Fish – Perfume River (A Feast of Consequences 2013)

04 Porcupine Tree (Steven Wilson) – Time Flies (The Incident 2009)

05 Midnight Oil – Mountains of Burma (Blue Sky Mining 1989)

06 Genesis feat. Peter Gabriel – The Carpet Crawlers 1999 (432 Hz Aufnahme)

 

Von den Besten lernen

-> Download: Artarium vom Sonntag, 8. Juni – Das Herzstück dieser Sendung bildet eine alte ORF-Aufnahme von Oskar Werner aus dem Jahr 1952, nämlich seine Lesung von Rilkes „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“, zu finden auf der schon seit geraumer Zeit unter verschiedenen Labels kursierenden Poetry-CD „Oskar werner spricht Rainer Maria Rilke“. Sind wir jetzt also vollends literarisch geworden – oder warum tun wir das? Nun, wir sind eben selbst „lyrische Menschen“ (so tragen wir etwa am 18. 6. bei der KulturKeule im Das Kino sowie am 22. 6. beim Fairkehrten Fest im Nonntal aus eigenen Texten vor) und gern auch für jedwederlei generationenübergreifende Begegnung mit Ausdruckskunst zu haben. Allerdings muss derlei auf Augenhöhe geschehen, nicht als ehrfürchtige Belehrung! Denn im Anfang war das Gedicht – und erst viel später wurde daraus ein Geschäft.

DOskar Werner spricht Rainer Maria Rilkeoch wir wären nicht wir, wenn wir es bei der bloßen Vorstellung eines durchaus denkwürdigen Werks, noch dazu in einer schlichtweg einzigartigen Interpretation, bewenden ließen 😉 Dieses Gustostückerl an zeitloser SpokenWord-Intensität ist nicht nur an und für sich inspirierend und stilbildend, es bietet auch noch ein paar spezielle Anregungen für die Weiterentwicklung unserer sozialkritischen Gedanken:

„Es ist eigenartig, dass sich ein Mensch, dessen Existenz von Terror bedroht ist, mit der ihn bedrohenden Instanz identifiziert, mit ihr verschmilzt, seine Identität einer vermeintlichen Rettung wegen aufgibt. Der Dichter Rainer Maria Rilke erfasste diese Tatsache intuitiv in seiner „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“.

Auf einem Feldzug gegen die Heiden wird dieser Cornet Rilke von Feinden umzingelt. Als Selbstschutz erlebt der Held des Gedichts die auf ihn einschlagenden blitzenden Säbel als einen lachenden, auf ihn niederrieselnden Wasserbrunnen. Um den Terror nicht zu registrieren, mit dem wir konfrontiert sind, und um die eigene seelische Einheit zu bewahren, werden wir blind. Anstatt den Realitäten ins Auge zu schauen, halluzinieren wir eine Einheit mit dem uns bedrohenden Anderen und verlieren so die eigene Identität und manchmal sogar das Leben.

Dieser Prozess verursacht und steuert Gewalt, psychische oder körperliche. Die Wurzeln dieses uralten Mechanismus liegen in frühester Kindheit, wenn die versorgenden Eltern versuchen, dem Kind ihren Willen aufzuzwingen. Diese Erfahrung von Gewalt bedroht jedes Kind mit dem Erlöschen seines eigenen, gerade erst im Entstehen begriffenen Selbst. Gerade solche Kinder, deren eigener Wille besonders gewalttätig unterdrückt wurde, entwickeln einen verhängnisvollen Gehorsam und eine pathologische Treue gegenüber der Gewalt. So kommt ein Kreislauf in Gang, in dem Gewalt zur Grundlage des Seins wird.“

Zitate aus: Arno Gruen – Der Kampf um die Demokratie

 

Become the Media

-> Download: Artarium vom Sonntag, 25. Mai – Unser Beitrag zur Civilmedia14, die heuer vom 29. bis 31. Mai im KunstQuartier in der Bergstraße stattfindet. Wenn es schon um Community-Medien und Zivilgesellschaft geht, dann darf ein Gruß an unsere englischsprachigen Kolleg_innen von der Wortfront wider den Untergeist keinesfalls fehlen! Wir präsentieren ein Spoken-Word-Highlight: „Hellburbia“, die 27-minütige Abrechnung mit der verlogenen Doppelmoral des amerikanischen Highschoolsystems, unwiederholbar hervorgerotzt von Ex-Dead-Kennedys-Sänger Jello Biafra in seiner nunmehrigen Paraderolle als Wortwetzmeister der Patridiotennation. Ausgehend von jener blödsinnigen Pseudoempörung, welche die selbstgeschnitzten Wertewächter immer dann zu überkommen scheint, wenn wieder ein jahrelang zur Verzweiflung gequälter Jugendlicher seine Schule abfackelt und/oder seine Lehrer erschießt…

Jello Biafra…stellt Biafra hier das gesamte Wertesystem einer Gesellschaft in Frage, die selbst tragischen Eruptionen von Gewalt und Zerstörung wie etwa dem Columbine High School Massaker mit keiner anderen Regung als den üblichen reflexhaften Schuldzuweisungen mehr zu begegnen weiß. Erinnern wir uns doch wieder an die ausführliche Darstellung dieser Begebenheit in Michael Moores sozialkritischem Film „Bowling for Columbine“ – und das berührende Interview mit Marilyn Manson, der als Einziger den vernünftigen Gedanken äußerte, dass den betroffenen Schüler_innenn womöglich einmal jemand ernsthaft zuhören sollte, anstatt dauernd auf sie einzureden, wer sie sein und wie sie sich verhalten müssten. In dem Interview kommt außerdem klar zum Ausdruck, wie (absichtlich!) einseitig die Berichterstattung auch in angeblich noch so unabhängigen Medien wird, sobald einflussreiche politische, religiöse und wirtschaftliche Interessensgruppen hinter den Kulissen ihre Macht entfalten. Wir erleben jetzt gerade Ähnliches, wenn es in Zeitungsartikeln und Rundfunkprogrammen um die Darstellung der aus Überlebensnot in unseren Städten bettelnden Menschen geht – oder um die populistische Stimmungsmache unter Beschwörung der stets behaupteten Bettelmafia. Was herrscht vor?

FREIE Medien – nie waren sie so wertvoll wie heute 😉

 

Ton Steine Scherben in Salzburg

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. April – Der etwas andere Konzertbericht aus dem Salzburgradio zum Selberdrehen oder auch Liebesgrüße aus dem Minenfeld ambivalenter Erwartungen. Wenn nämlich Ton Steine Scherben nach jahrzehntelanger Absenz plötzlich wieder auftauchen, und dann noch unter der griffigen Ankündigung „Das Original erstmals seit 1985 auf der Bühne“, dann kommen auch wir aus unseren Zeitlöchern gekrochen – und wollen liebgehabt werden. Doch – wer sind wir? Ein bunt zusammengewürfelter Haufen! Musikanten und Medienkünstler, Jungpunks und Alt-68er, Freiheitsfreaks jedweden Fachgebiets, längst ausgestorben geglaubte Bohème, Kinder, Eltern, Überlebenskünstler – und sogar ein Grateful-Dead-Professor. Genauso verschiedenartig wie dieses Publikum waren auch seine Bedürfnisse, weshalb wir ein „Stimmungsbild aus Spiegelscherben“ zubereiten.

Ton Steine Scherben 2014 im RockhouseZuallererst begegnete mir ein freundlicher Veteran mit schütterem Haupthaar, der stolz seine Erstausgabe des Albums „Warum geht es mir so dreckig“ herum reichte. Ein wenig Museum war da schon im Spiel und mir fiel dazu „lebendige Geschichte“ ein. Deren Stattfindung verkörperte bierselig ein Punk mit bunten Haaren, der allen Umstehenden erklärte, wie augenblicklich er wieder heimgehen würde, sollte seiner Vorstellung von revolutionärer Authentizität etwa nicht entsprochen werden. Ein schon seit Jahren dem Umfeld lauthalser Konzerte entflohen gewesener Kollege aus der Epoche des angewandten Hausbesetzens hatte sich extra wegen der Scherben reaktiviert und freute sich schon wie der Rumpelstilz aufs Heiserwerden vom Mitgröhlen der alten Anarchohymnen. Die leiseren – oder sagen wir – Zwischentöne hörte ich allerdings von einigen eher „untypischen“ Konzertbesuchern. So etwa ein Künstlerpaar, das seine hohen Erwartungen aufgrund des „berühmten Namens“ sorgfältig gegen mögliche Enttäuschungen abwog, die ein Scheitern des generationen-übergreifend angelegten Revival-Projekts mit sich bringen würde. Der verstorbene Rio Reiser sei als Frontman schlichtweg unersetzbar, daher gingen sie eher mit gemischten Gefühlen hinein…

Die jungen Stimmen von Ton Steine Scherben 2014So hätten wir diesen Artikel auch mit „Des Sängers Fluch“ überschreiben können – die gleichnamige Ballade von Ludwig Uhland aus dem Jahr 1814 wäre wohl als Metapher des Ansingens gegen kaltherzige Herrscher geeignet. Doch als Titel ließe solcherlei die Gesamtperformance von Ton Steine Scherben 2014 in einem allzu einseitigen Licht erscheinen – denn so sehr dieser Abend immer auch Besuch der alten Ikonen war, so sehr lebte die junge Generation dabei ihre ganz eigene Spielfreude aus. Herausragend Maxime Praeker am knackpräzisen Schlagzeug, auch Nicolo Rovera überraschte mit Leidenschaft und Stimmpräsenz. Leider ging dagegen der Gesang von Ella Josephine Ebsen im allzu lauten Saalsound fast unter und entzog sich so der weiteren Würdigung. Ein echtes „Project in Progress“ eben, an dem noch einiges zu gestalten ist. Allerdings ein gelungener Auftritt im Sinne von „Macht auf jeden Fall weiter, es macht uns neugierig…“ Und so unfertig, wie auch wir gern bleiben möchten, überlassen wir weitere Ausführungen den Publikumsstimmen, die in dieser Sendung zu hören sind – sowie unseren und euren Assoziationen, wenn wir dazu die etwas anderen musikalischen Scherbenzitate spielen. Unter anderem von Bretterbauer, die einen empfehlenswerten Scherbensound produzieren – oder von the who the what the yeah, die als Support von TSS in Wien ihr spätkapitalistisches Lebensgefühl entfalten konnten. Über alledem jedoch, liebe Gemeinde, vergessen wir eines niemals: Wir sind ein geiles Institut 😀 und Hallelujah!

 

Laibach – Opus Dei

-> Download: Artarium vom Sonntag, 13. April – Willkommen zur etwas anderen Slowenien-Woche auf der Radiofabrik unseres Vertrauens! Radio Študent aus Ljubljana (gegründet 1969 und somit einer der ältesten freien Sender in Europa) ist im Rahmen einer Projektvisite zu Gast in Salzburg. Wir nutzen diese Gelegenheit, um selbst einige Programmschwerpunkte zu setzen: So wird bereits am Donnerstag Abend im Rahmen des Stammtischs der Freien Medien (Beginn 19 Uhr, ARGEkultur 1. Stock) ein Gespräch über das Kunstkonzept der Gruppe Laibach stattfinden, das zum Teil auch live aus dem Sendestudio übertragen wird. In der Nachtfahrtsendung am Freitag, 11. April zum Thema „Heimat under construction“ werden wir diese Unterhaltung mit unseren Gästen (von 22 bis 00 Uhr) weiter vertiefen können. Und zu guter Letzt spielen wir auf mehrfache Anregung noch ein frühes Laibach-Album in voller Länge!

laibach - opus dei (front)Und dieses Opus Dei von Laibach von anno 1987 vermag exemplarisch zu verdeutlichen, was uns am Konzept dieser Band und dem mit ihr verflochtenen Kunstkollektiv NSK (Neue Slowenische Kunst) derart interessiert. Slavoj Žižek, der weithin bekannte Kulturphilosoph aus Slowenien, hat dies in einem wunderbaren Video „What the hell is Laibach all about?“ auf den Punkt gebracht. Noch Fragen? 😀 Kurz skizziert – das herrschende System im künstlerischen Ausdruck noch ernster zu nehmen als es sich selbst jemals ernst nimmt, das führt zur Entlarvung der totalitären Mechanismen und ist somit zutiefst subversiv. Ein Konformist wäre somit jemand, der dem System gegenüber in ironischer Distanz lebt – ein Revolutionär dagegen eher so eine Art Übertreibungskünstler. Womit wir auch der Erforschung des Skandals einen großen Schritt näher gekommen sind. Hallo, Thomas Bernhard! Was darüber hinaus die kontroverse Kritik anbelangt, mit der Laibach wegen ihrer rauschhaften Verwendung (Entwendung/Verfremdung) von eklektisch zusammengeglaubten Herrschaftssymbolen immer wieder konfrontiert wurden, dazu wollen wir in unseren aktuellen Sendungen einiges an Anhörungsmaterial beisteuern. Zur Einführung in dieses Thema empfehlen wir die Videos „Geburt einer Nation“ sowie „Opus Dei“ vom gegenständlichen Album!

 

Sprache stehlen

-> Download: Artarium vom Sonntag, 30. März – Kann man das wirklich, eine Sprache stehlen? Oder eine Ausdrucksart, Sprechweise, Wörterwelt? Gibt es einen Tatbestand des Sprachdiebstahls – etwa im Urheberrechtsgesetz? Wie dachte und dichtete denn darüber Ernst Jandl, unser aller Großmeister des Nehmens und zerlegt Wiedergebens: „ich sein mein sprach, mein deutsch sprach, mein schön deutsch sprach, du wundern mein schön deutsch sprach?“ – so etwa im uns zu dieser Sendung inspiriert habenden Einakter „die humanisten“ (entstanden 1975) und dortselbst weiter: „den deutschen sprach mir heilig sein, sein mein muttersprach, sein mein und dein muttersprach, muttersprach heilig sein, mir heilig sein“ 😀 Also, da haben wirs! „Muttersprache“ eignet sich jedes Kind durch Ausprobieren an, durch Nachahmen und Herumspielen. Womit eins klargestellt wäre – wir sind alle Diebe – wir Strandpiraten der Sprache!

flammarionDaher sind die üblichen Vorwürfe, oft gegenüber sich in Sprachweisen just einübenden Menschen geäußert, man klinge wie der oder die, kupfere also ab und gehe mit deren Schmäh hausieren, ebenso sinn- wie substanzlos. Wer auch immer ein neues Ausdrucksmittel erlernt, wird dabei phasenweise um das Nachahmen seiner Lehrer und Vorbilder nicht herumkommen. Fad wirds bestenfalls, wenn jemand im lernenden Liebesrausch stecken bleibt und forthin nur mehr nach Kinski klingt. Oder nach Tolkien. Oder nach Hermann Hesse. 😛 Egal. Würde man derlei pingelige Kritik denn bei Komponisten und Musikern (natürlich immer auch _innen) anwenden, dann könnte man gleich 80% der Salzburger Bandszene wegen nachhaltigem Plagiatismus heimschicken. Bei jungen und in ihrer Entwicklung befindlichen Autor_innen und Vortragenden wird aber gleich gemeckert. Selbstredend heimlich und hintenrum, wir leben ja in einem nazikatholischen Friedhof der Phantasien. Welch ungeheuerliche Anmaßung ist das denn, wenn ein Mensch sich eine vorhandene Sprache einfach nimmt – und dann daraus etwas Eigenes macht? „Ketzerei!“ schreien sogleich die Verwalter der bisherigen Sprachmacht, und das war auch schon bei Martin Luther nicht anders! Das darf uns immerhin zu denken geben…

In dieser Sendung wollen wir alle Schreibenden und Sprechenden dazu ermutigen, ihre jeweilige Sprachwelt möglichst kreativ zu erweitern. Und sich alle dazu notwendigen „Sprachen“ (Text, Wortschatz, Vortragsstil) einfach anzueignen – ohne Rücksicht auf die allgemeinen Ehrwürdens ihrer eigenen Einteilungen. Denn Sprache lebt – in uns allen!