> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. April – Es war mein Freund und Kollege Christopher Schmall, hier besser bekannt als der Hase, der beim Betrachten von einigen wundersamen Fever-Ray-Videos zu ihrem Album “Radical Romantics” ein wiederkehrendes Motiv entdeckte: In eine von technischen Geräten und Abläufen geprägte Welt dringt immer wieder elementare Natur als ungezähmte Wildnis ein. Und dieses Element wild wuchernden Lebens, das da auftaucht, das beglückt und auch verstört, das drängt sich als gelungene Metapher für unser Gefühlsleben auf. Schon bei unserem ersten Gespräch über diesen Umstand erinnerte ich mich sofort an meine intensiven Gefühle, die ich vor Jahrzehnten im “Urwald von Dürrenstein” erlebt habe – und die mich in ihrer abgründigen Ambivalenz seither beschäftigen.
Sind wir heutigen Menschen nicht immer in zwei unterschiedlichen Welten zugleich zuhause? In der technisierten Welt, in der wir die Summe vieler Errungenschaften der gesamten Menschheit im Umgang mit der Natur wie selbstverständlich anwenden. Und in der Gefühlswelt, in der uns nach wie vor die selben Elementarereignisse umtreiben wie zu Beginn der Kulturgeschichte oder als Kind: Freude ist und bleibt Freude, Angst ist und bleibt Angst – das Unwägbare ist und bleibt unwägbar, auch wenn wir noch so viel Sicherheit einziehen. Wir können unsere elementare Gefühlsnatur nicht portionieren und in Dosen abfüllen – jedenfalls nicht, wenn wir in elementare Situationen unseres Lebens geraten, so wie jene, mit denen sich Fever Ray auseinandersetzt. Etwa gewohnte Sicherheiten loslassen zu müssen, um sich einem anderen Menschen rückhaltlos anzuvertrauen, um Liebe zu erleben, eine neue (oder eh immer schon die eigentliche) Identität einzunehmen.
Die Kunst besteht darin, in beiden Welten zu leben, ohne die eine gegen die andere auszuspielen. Ohne die eine auf Kosten der anderen als die einzig wahre, als allein seligmachend zu begreifen. Sie verstehen lernen, sie verändern und gestalten, und sie nicht zerstören. Das ist meine Idee von so etwas wie Frieden, der bei sich selbst beginnt. Einmal habe ich mich sehr gleichzeitig in diesen beiden Welten befunden: Und zwar als ich eines Nachts in einem fahrenden Auto einer Bärenmutter mit zwei Jungen begegnet bin, die in der selben Richtung die Straße entlang gelaufen sind …
… und ich einen Moment innehalten konnte.