Virgin

Artarium am Sonntag, 13. Juli um 17:06 UhrVirgin? Wohl nicht im Sinn sexueller Unberührtheit. Ganz im Gegentum, zurück zum Unzerstörten, das immer schon war und das sämtliche Sinne und Sensationen ganz natürlich in sich wahrnimmt – und sie aus sich selbst heraus ins Leben entfaltet. Virgin – das neue Album von Lorde öffnet mir Zugänge in ungeanhnte Welten jenseits der Hörgewohnheit, die jedweden allzu “massentauglichen” Pop von vorn herein ausblendet. Das ist einerseits ihrer zutiefst glaubhaften Poesiearbeit sowie ihrer überzeugenden musikalischen Gestaltung zu verdanken, die das Gesamtbild genauso stimmig wie selbstbestimmt klingen lassen. Und andererseits dem jahrelangen Bemühen meines Sendungspartners Christopher Schmall, von der Musik lyrisch zu erzählen. Und so beschreibt er “lordes virgin”:

Virgin (Lorde Album)junge frau
hämmert fragen
wandelt form zwischen
egotod und dna
augenblicklich
durchscheinblau
erwachsen aus scherben
könnt sie’s bloß sehen
loses abbild

nur logisch auf musik
mit poesie zu reagieren
verdichtungsreaktor einschalten
sich annähern mit rätselsinnlichkeit
nicht als funktionsinfozerrede
zwar kann über musik zu schreiben
so manches offenlegen
kann schleier lüften licht
werfen auf verborgene zusammenklänge
oder interviews mit der künstlerin
der herrscherin ihrer welt
in denen sie über ihr werk spricht
zum beispiel als nebenprodukt
innerseelischer entwicklungen
dich klararten mit klärkunst
dich freiheitern und basteln
am sound deiner selbstoffenbarung
greif in dein verstricktes dunkel
deinen urwald aus widerspruch
und gleichzeitigkeit aus dir
strömen lassen stöhnen
murmeln singen krachend brechen
wrack werden horizont
jemand anderes erinnerung
als gäbe es keinerlei grenzen
so himmel so
himmlisch angesengt
so hin und her
wie schaukel über abgrund
sterne blinzeln herauf
und deine füße auf asphalt
in deiner hand flüssiger kristall
wunder über wunden
im blut die unnatur
die natürliche spaltung
und verschmelzung im blut
nicht mehr als versuche
die existenz zu ergründen
anzupinnen ans bewusstsein
vom atemhauch auf feuchtheißer haut
nach ekstase und ausschweifung
löst sich ein funke du
wir glühen alleinsam
also laufen ins messer
scharfe ungewisse wilde jetzt
in den moment in die halbe ewigkeit
zwischen zwei wimpernschlägen
wir tanzen und tanzen und springen
und krallen uns fest
auch an einander
und lassen nicht los
was wir glauben zu wissen
und stolpern ins leben
und fallen zerschellen
lassen uns sterben
aus den trümmern
setzen sich wieder und wieder
zusammen ein sein ein weiter
vielleicht nicht rein nicht unbefleckt
doch neugierig hungrig verwegen
jeder tag ein verwandeln
nichts bleibt still
die dinge sprechen aus dir
du hörst dir zu
bleibst dir nah
während du auf abstand gehst
um die fäden zu sehen
an die wir geknüpft sind
du malst bilder vom chaos
von der ruhe im wahnsinn
und der schönheit einer abgefuckten welt

 

Alles muss repariert werden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Juni —– Alles Antilopen Gang

Also jetzt mal ganz spekulativ
Ich nutze ganz bewusst lieber den Konjunktiv
Ich schriebe einen Text, der im Konflikt mit dem Gesetz
Behauptet, Strache sei ein Reptiloid
Und angenommen, der Text gipfelte in einem
Aufruf, die Welt von den Faschisten zu befreien
Und sie zurück in ihre Löcher reinzuprügeln noch und nöcher
Statt ihnen Rosen auf den Weg zu streuen

Antilopen Gang - Alles muss repariert werdenJuristisch wär die Grauzone erreicht

Doch vor Gericht machte ich es mir wieder leicht

Zeig mich an und ich öffne einen Sekt

Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt

Danger Dan – Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Volkstheater Wien Version)

 

Es wird früher dunkel, in den Straßen schwarzer Rauch
Zorniges Geschrei, die Fassaden flackern blau
War das jetzt ein Böller oder war das schon ein Schuss?
Stolpersteine werden dieses Jahr nicht mehr geputzt
Es ist kalt geworden, sie macht die Heizung an
Und bringt die Kleinen dann ins Bett, sagt ihnen: „Keine Angst“
Dann nimmt sie die Mesusa aus dem Türrahmen
Dafür steht hinter der Tür jetzt ein Schürhaken
Mein Taxifahrer redet wie ein Nazi
Führe lieber keine Diskussionen auf der Party
Freunde und Freundinnen mit starken Überzeugungen
Hamas-Propaganda an Kreuzberger Häuserwänden
Osama wird auf TikTok zum Superstar
Linke Tasche Pepperspray, rechte Tasche Kubotan
Zieht sich die Kapuze tiefer ins Gesicht
Omas Kette mit dem Stern trägt sie lieber wieder nicht

Antilopen Gang – Oktober in Europa

 

Wir kennen nicht den Weg, wir fühlen uns verloren
Wir wissen nicht mehr weiter, sind müde geworden
Wir haben keinen Plan, wir drehen uns im Kreis
Aber sind immer noch die besten im direkten Vergleich
Wir werden beschimpft, wir ecken nur an
Den Punkern zu Rap, den Rappern zu Punk
Und wir werden sogar von der Springer-Presse gehypt
Aber sind immer noch die besten im direkten Vergleich

Antilopen Gang – Direkter Vergleich

 

Echte Menschen Live

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Juni – Jetzt bin ich wieder ein Kommissar (am 5. Juni in die Programmkommission der Radiofabrik zu Salzburg gewählt) und da besteht ja eine meiner Aufgaben darin, allerhand Sendungen von Kolleg*innen “gut zu hören”, also sie zu entdecken und zu verstehen, wie sie funktionieren. Wie es der Zufall (oder war es ein Wunder?) will, begegnete mir eine höchst interessante solche quasi “im Vorbeigehen” (am Außenlautsprecher vor dem Radiofabrik-Office). Da unterhielten sich gerade zwei Frauen über die erstaunlichsten Wendungen des Lebens, die erst im Rückblick auf dem Weg ins radikal Eigene (zu sich selbst) einen ganz speziellen Sinn ergeben. Ich war so fasziniert, dass ich – geradezu eingesaugt in dieses Gespräch – innehielt und dachte: “Da sind echte Menschen live unterwegs!”

Echte Menschen LiveGenau das ist es doch, was Freies Radio im innersten ausmacht und was wir in unseren Sendungen stets als Alleinstellungsmerkmal sowie als Wesenskern des Unterfangens beschreiben: “Hier sind noch echte Menschen am Werk, die man beim hören auch spüren kann.” Und so eine unmittelbare Begegnung“im Vorbeigehen mitkriegen” und dann da noch zuhörend mit einsteigen können in die Resonanz” – das finde ich wirklich bemerkens- und auch unbedingt empfehlenswert: Es handelt sich um die Sendereihe “Gesprächsfunken – Facetten vieler Leben” von Brit aka Birgit Brandner. Und die Folge, von der ich hier berichte (und von der wir diesmal auch erzählen wollen), heißt “Über Drogen, Scheitern und die Frage nach dem Tod”. Gesprächspartnerin ist dabei die Alterswissenschafterin und rundum umtriebige Lebensbefürwortungsexpertin Sonja Schiff. Eine live und lebendig mitzufühlende Verständigung mit sogenannten tiefen Themen. Chapeau!

Es machen sich aber nicht nur Frauen, sondern durchaus auch Männer auf einen emanzipatorischen Weg – weg aus der Befängnis des Hergebrachten und hin zur Schaffenskraft der Selbstbestimmung – wobei, liebe Geschlechtsgenossen, wie schauts eigentlich aus mit der Emanzipation von dem seltsamen Patriarchat? Wir sind ja auch nicht dessen Nutznießer (wenn wir niemand mehr unterdrücken), wir sind doch auch alle in klebrigen Fäden verstrickt und müssen zappeln, wenn (ja, wer eigentlich?) zupft. Bis wir umfallen. Sind wir dessen nicht längst überdrüssig?

erostepost das sommerfestAlso wollen wir noch ein paar “zwei Männer machen sich gemeinsam auf den Weg” auspacken, sowohl aufgenommen als auch  LIVE im Literaturhaus Salzburg. Da lesen am kommenden Dienstag um 19:30 Uhr Christopher Schmall und Robert Kleindienst “stand auf gegen” und dort deklamieren und performen am Donnerstag darauf beim erostepost Sommerfest der Erstgenannte zusammen mit mir (nebst anderen Gäst*innen) “in und um einander”. Das ist fast schon der beste Sommer von allen …..

“Spontane Rebellion und Solidarität sind Akte, die jetzt wertvoll sind.
 Es ist nie zu spät.”

Beatsteaks vs. Dirk von Lowtzow – French Disko (Tschick)

“No God, no King, I said love is the thing.”

IDLES – Grace

Echte Menschen, Live!

 

 

You want it darker

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Juni“Endlich Sommer Unendlich” heißt die aktuelle Perlentaucher-Juninachtfahrt, die uns auf eine Stimmungsreise zwischen unendlichen Möglichkeiten und immer wieder eintretender Endlichkeit einlädt. Da ist es kein Wunder, dass mir dabei einiges an unbewältigtem Kindheitstrauma in den Sinn kommt. Meine Sommer werden nie wieder unendlich sein. Oder vielleicht doch, nur anders als damals? Jedenfalls begegnen wir hier einem erstaunlichen Phänomen – dass nämlich Musik und Lyrik aus der Schaffenswelt des Depressiven wohltuend wirken können – auf Menschen, die selbst gerade in sich ausweglos anfühlenden Lebenskrisen unterwegs sind. Darum spielen wir heute das Altersmeisterwerk “You Want It Darker” von Leonard Cohen und wünschen uns einen heilsamen Sommer!

You Want It DarkerIn den vergangen Jahren haben wir Leonard Cohens Werk vielfältig angeleuchtet. Als er im Jahr 2016 starb, haben wir ihm auch einen “Nachruf, der keiner ist” in die Unendlichkeit geschrieben. Beim Begräbnis meiner Cousine Elke Mader haben wir die Liveversion von Anthem (2008) gespielt, weil:

Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in

Wer ein Leben lang mit seinen Depressionen kämpft und dabei über 80 Jahre alt wird, der ist ein ausgeprägter, ein sehr deutlicher Überlebender. Das führt uns zu einem weiteren Aspekt seines Lebenswerks, den wir im Rahmen dieser Albumpräsentation gleich mitbeleuchten wollen: Sein lebenslanges und oft verzweifeltes Ringen mit den Bildern eines Gottes, der dem menschlichen Leid unerbittlich und gewaltvoll gegenüber steht. Aus welchen Quellen und Erfahrungen sich die alttestamentlichen Vorstellungen bei ihm speisen, das wissen wir nicht, doch wir haben da eine Spur.

Es geht um Gewalt (in welcher Form auch immer) und um das Vertrauen von Kindern in ihre Eltern (die ja zunächst als ihre irgendwie allmächtigen Schöpfer erlebt werden). Und es geht um die absoluten Normen (die unhinterfragbaren Regeln und Gesetze), in deren Namen (!) Kinder von ihren Eltern Gewalt (seien es Schläge oder sei es das Vorenthalten von unmittelbarer Zuwendung oder whatever) erfahren. In dem Lied “Story Of Isaac” treffen die beiden Ebenen (die persönlich-individuelle wie auch die allgemein-ideologische, religiöse, gesamtgesellschaftliche) vortrefflich aufeinander.

This might get so much darker than you ever expected. Dass Suzanne Vega den Song 1994 covert, nachdem sie sich Jahre zuvor mit ihrem Hit “Luka” auf den Weg zur Verarbeitung ihrer eigenen familiären Gewalterfahrung gemacht hat – das ist immerhin auffallend. Und wie viel unhinterfragbare (weil im Namen Gottes) Gewalt in dieser ganzen Opferung-Isaaks-Geschichte steckt, dem haben wir selbst einmal in der Sendung “Abrahams Nebenwirkungen” nachgespürt. Ihr kennt uns, wir bringen gern auf Gedanken “aber wir deuten nur an” (wie Thomas Bernhard sagen würde).

Eine sehr schöne (weil aus persönlichem Erleben heraus entwickelte) Rezension des Albums “You Want It Darker” hat übrigens Dirk Knipphals für die taz geschrieben …

 

Die verwaltete Welt

Artarium am Sonntag, 8. Juni um 17:00 UhrWir werden verwaltet – und wir verwalten uns selbst. Wie meinen? Zwischen unseren letzten zwei Sendungen, die einigermaßen begeistert über die Leseperformance “NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns” berichteten, und unseren kommenden Radioarbeiten, die sich auf den anstehenden Sommer mit seinen illustren Festen beziehen, möchte ich quasi als Nachtrag zu all der “Kritischen Theorie” und “Dialektik der Aufklärung”, die uns an jenem denkwürdigen Abend im Literaturhaus regelrecht “einverdichtet” wurden, ein legendäres Gespräch mit dem Titel “Die verwaltete Welt” von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Eugen Kogon (aus dem Jahr 1950) zu Gehör und vor allem zu Gespür bringen. Denn es kommt sehr darauf an, wie sich die Herren dabei anfühlen:

Die verwaltete Welt“Herr Professor Horkheimer, Herr Professor Adorno, ich wollte unser Gespräch über die verwaltete Welt beginnen mit der Feststellung, dass der moderne Mensch herumirrt – suchend nach seiner Freiheit. Und die Art, wie ich eben zu unserem Gespräch gekommen bin, und wie ich weiß, dass auch sie kamen, die erinnert mich sehr an diesen Zustand.

Jetzt, vor einer halben Stunde, sollte ich bereits woanders sein. Und von ihnen, Herr Professor Horkheimer, weiß ich, dass sie in einer Viertelstunde bereits in Bad Nauheim sein sollen. Und wir wollen uns doch ausgiebig, ruhig und vernünftig über dieses so enorm wichtige Thema unterhalten: Die verwaltete Welt. Und da sitzen wir also, sozusagen zitternd, nervös, weil andere Termine auf uns warten. Von diesem Zustand müssen wir frei werden.

Ich für meine Person werde also jedenfalls bei unserem Gespräch jetzt so tun, als ob ich beliebig Zeit hätte. Und ich denke, dass aus diesem “als ob” eine Wirklichkeit werden kann. Und das ist, glaube ich, genau das Thema unserer Unterhaltung: Ob es möglich ist, eine solche Haltung einzunehmen, und daraus eine neue Wirklichkeit zu machen …”

 

Es fasziniert doch immer wieder, wie aufmerksam die drei Herren in ihrem Gespräch auf einander Bezug nehmen und wie präzise, ja geradezu druckreif sie nach all der Erniedrigung und Lebensgefahr, die sie während der Nazizeit erlebt haben, hier ihre Überzeugungen ausdrücken. Dies mitanzufühlen, macht auch jüngeren Menschen, die nicht fachspezifisch in Geschichte, Philosophie oder Sozialkritik vorgebildet sind, eine Denkweise zugänglich, die uns allen immer noch dabei helfen kann, uns in der zunehmend unübersichtlich werdenden Welt, in der wir leben, zurecht zu finden …

Wie aktuell ihre Gedanken für unseren Umgang mit Zeitnot, Termindruck und Stress sein können, das erklärt sich aus dem oben abgedruckten Einstieg in jenes Gespräch sozusagen von selbst.

 

Hören sie genau hin …

 

Hit Me Hard and Soft

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Mai – Heute begeben wir uns in ein noch nie zuvor gewagtes Experiment: Wir spielen ein ganzes Album, und zwar “Hit Me Hard and Soft”, das aktuelle Werk von Billie Eilish, das bei uns beiden doch einigermaßen unterschiedliche Gefühlsreaktionen hervorgerufen hat. Und außerdem auf unserer konsumismuskritischen Grundeinstellung ambivalent flirrend herumtanzt wie ein zutiefst liebenswerter Andenkenstandler im allerfürchterlichsten Souvenirshop des Weltmarktwahnsinns. Einigen wir uns auf einen gemeinsamen Blickwinkel: Das popkulturelle Phänomen oder die Kunstperson als schillernde Figur, auf die jeder/jede/jedes auch wirklich jegliches projizieren kann, was möglicherweise kaum erkannt in uns allen schlummert und unbewusst längst feuchtfröhlich in uns umgeht.

Billie Eilish - Hit Me Hard and SoftDenn die sympathische Seite der globalen Merchandiselerin ist ihre Ab- und Hintergründigkeit, mit der sie den allzu platten Bedeutungs- und Zuordnungsmechanismen in immer neuen Selbsterfindungen entkommt, eine Kunnst, die auch wir nur allzu gern anwenden oder die wir uns immerhin sehnlichst herbei wünschen. Grund genug, unsere unterschiedlichen Gefühle “auf einander los zu lassen” und dabei völlig ungeplant zu erleben, was geschiehthard and soft

“She’s the headlights, I’m the deer”

wiedereinmal dieses zaubermächtige gefühl, mit wucht und völlig ungeplant erfasst zu werden, fast schon umgerissen, von musik, von klangkunst, die mich mit jeder neuen wendung weiter in so vertraut-eigensinnliche sphären beamt, dass ich zu schwingen und vibrieren beginne : HIT ME HARD AND SOFT trifft mich hartzart, traumklar, lebhaft-still : nimmt mich in den arm und wirft mich ins weite oder ich sinke hinauf zu den gipfeln der see, in die wolkenschluchten, dort weiß ich dich tanzen, dort sind wir uns nahrung, öffnen wir uns wie türen : wie viele türen im inneren, im zwischen, zwischen uns, zwischen uns und dem schwirrenden glück? sind wildblumenwiesen, wenn wir wollen und gleichgefiedert im freien hall, im heilenden fall ins blau der augen des drachen, in angst und verzweiflung, doch wir scheuen nicht zurück : fühlt sich an wie sterben : fühlt sich wie liebe an : fühle dann nichts mehr oder denke das nur : fühle mich hundertfach im raum und sehe mich hundertfach im raum fühlen, wie ich hundertfach im raum sehe, was ich kaum zu fühlen bereit bin, aber ich vertraue – auf was oder wen? auf dich? mich? unsere liebe? aufs vertrauen? den zufall? auf den ominösen fluss des lebens? fuck it! eh wurscht! egal was mich bei verstand hält oder mir mut gibt weiterzumachen, zuversicht, es quillt aus mir : ich quelle aus mir und verwandle, was auch immer an zerbrochenem, verletztem, abgespaltenem oder eingepflanztem durchs gedärm wuselt : du, schmetterling, du, was kannst du uns von der leere erzählen? liebst du die sonne, so wie ich? und das meer? hinterlässt du abdrücke im sand? lügt der wind, hier, am kap, wo mich jede*r kennt? mein gesicht auf den globus gepinselt als wäre ich mehr als ich weiß, dass ich sein könnte : und größer : das größte ich, das ich sein möchte?

“Did I cross the line?”

Billie Eilish, in erneuter zusammenarbeit mit ihrem bruder FINNEAS, ist ein herrlich vielseitiges und musikalisch anspruchsvolles album gelungen, das durch die detailverliebte produktion der soundstimmstimmungsschichten besticht, aber mit den texten, die verschiedenste facetten von liebe thematisieren, die wunderschönen, lustvollen und glücklichen, wie auch die abgrundtief schmerzenden, gewaltvollen, übergriffigen, verlogenen und obsessiven seiten, noch dieses eine besondere, etwas andere gewürz beinhaltet, durch das es zu einem herausragenden werk wird :
Billie Eilish ist eine ungewöhnliche persönlichkeit in der pop-maschinerie, die sie gekonnt zu bedienen gelernt hat und gleichzeitig mit ihrer unverstellten, eigenwilligen art fast ad absurdum führt : sie ist und bleibt sie selbst, mit ecken und kanten und dunkelheiten und leerstellen : wie wir alle

 

Hit Me Hard and Soft (Deutschlandfunkkultur)

 

Unzerstörbar

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. April – Und wieder einmal jährt sich (am 30. April) die Salzburger Bücherverbrennung. Nachdem wir dieses uns immer wieder sprachlosmachende Thema von verschiedenen Seiten her angeleuchtet haben, wollen wir heute einmal in die Gegenwart schwenken. Denn auch in unserer Zeit tobt ein unerbittlicher Kulturkampf ums Zugänglichmachen oder Verschwindenlassen von geistigen Inhalten, wie sie eben in Büchern (und anderen Medien) aufbewahrt sind. So erleben wir etwa in den USA ein zunehmend fanatisiertes Aussortieren von für manche Kreise “unerwünschten” Themen aus vornehmlich Schul-Bibliotheken. Im Video “The Unburnable Book” mit Margaret Atwood werdem derlei Praktiken sowie mögliche Gegenmaßnahmen erörtert. Genau, unzerstörbar muss es sein

UnzerstörbarUnd unzerstörbar ist es auch – das Überleben. Wenn wir bedenken, wie Trauma entsteht und wie sich unser “Feststecken” in den natürlichen Reaktionen darauf (Flucht, Kampf, Totstellen) wieder auflösen ließe, dann geraten wir unweigerlich in einen Bereich unseres Daseins, der weder durch analytisches Denken noch durch Sprache, wie wir sie kennen, aufgedeckt werden kann. Manche nennen diese Dimension und das, was sich in ihr abspielt, die “Weisheit des Überlebens”, die im Gedächtnis unserer Körper abgespeichert ist und mit der es nunmehr wieder in Verbindung zu kommen gilt. Da dies offenbar nicht auf dem Weg bewusster Einflussnahme möglich ist, bieten sich sinnliche Erfahrungen und emotionale Reaktionen aus den evolutionsgeschichtlich uralten Untiefen unseres limbischen Systems als ein weit offener wie zugleich verborgener Zugang zu uns selbst an. Peter Levine beschreibt die Grundlagen dafür als “Sprache ohne Worte”.

Was verbindet nun die “Leerstellen” in den Bücherregalen mit den “Leerstellen” in unserer Persönlichkeitsentwicklung – und in unseren Familiengeschichten? Was kann uns “ein roter Faden” durch diese Sendung sein, die den Versuch unternimmt, die retrospektive Musealisierung der Vergangenheit (Gedenkkultur) zu verlassen und eine spürbare Verbindung mit den heute lebenden Kindern und Enkeln der Zeitzeugengeneration herzustellen? Das Überleben? Das ist seinem Wesen nach unzerstörbarandernfalls gäbe es auch keine Nachkommen von Überlebenden.

In unserem Radiodenkmal der Geschichte(n) wenden wir uns Erfahrungsberichten und textlichen Experimenten der nächsten und übernächsten Generation zu. Anders gesagt jener Generation, die das Überleben ihrer Eltern und Großeltern (sowie die damit einhergehenden Traumatisierungen) überlebt haben. Hören wir Ausschnitte aus “Das Schweigen meines Vaters – 104517” von Misha G. Schoeneberg aus Berlin, das schon bald erscheinen wird. Und begleiten wir Christopher Schmall auf der Suche nach dem, was in seiner (und wohl in unser aller) Vorgeschichte “verschwunden” ist.

 

Kann man “das Unsagbare” überhaupt sagen? Und wenn ja – wie?

 

PS. Materialien zur Salzburger Bücherverbrennung vom Friedensbüro Salzburg sowie die Veranstaltungen zum aktuellen Gedenken (heuer) am Residenzplatz.

 

Gisbert zu Knyphausen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Februar“Ich hab euch Blumen und Pralinen vom Arsch der Hölle mitgebracht.” Mit diesem ziemlich speziellen Zitat aus “Das Leichteste der Welt” von Kid Kopphausen eröffnen wir die heutige Sendung. Und das ist kein Zufall, erschien doch das Video dazu zwei Tage nach dem jähen Tod von Nils Koppruch, der zusammen mit Gisbert zu Knyphausen dieses innige und intensive Bandprojekt verkörperte. Auf dem fünf Jahre später erschienenen Album “Das Licht dieser Welt”, dem wir diesfalls in voller Länge obliegen wollen, verbearbeitet der lyrische Melancholiker den Verlust seines Freundes auf vielen verschiedenen Ebenen. Triggerwarnung: Hier geht es ohne Schminke um Tod und Trauer. Doch eben darum zeigt sich hier auch das Leben selbst ganz unverstellt.

Gisbert zu Knyphausen - Das Licht dieser WeltDas auf diesem Album enthaltene Lied “Etwas besseres als den Tod finden wir überall” verdeutlicht die lebenszugewandte Verwegenheit des Gisbert zu Knyphausen, der ursprünglich als Musiktherapeut auf die Abenteuerreise nach Ausdruck und Authentizität aufbrach und im Verlauf seiner Musikerkarriere viele Höhenflüge ohne Verleugnung der schwarzen Löcher in und um uns vollführte. Beispielhaft hierfür sein früher Erfolg “Sommertag”, mit dem er mich mitten ins Sowohlalsauch zwischen rasendem Verliebtsein und träger Nichterfüllung hinein traf. Es war ein Stürzen, ein Gestürztwordensein, das sich rückblickend – und im Annehmen des Schmerzes – ebenso langsam wie überraschend als ein Fliegenkönnen entpuppte. Es ist wirklich große Kunst, die zwei Seiten ein und desselben Lebens in einer Musik und in einem Text so unverkrampft und selbstverständlich miteinander zu verbinden – ja, zu versöhnen. Davon lassen wir uns auch in unserer nächsten Nachtfahrt “Wer du bist” inspirieren – und wir sind uns da aus Erfahrung sicher, dass es “auf geheimnisvolle Weise” funktionieren wird.

Die Musik von Gisbert zu Knyphausen entfaltet (abgesehen davon, dass sie einfach schön ist) auch eine therapeutische Wirkung, so viel steht fest. Sie erreicht dies auf einer unbewussten Ebene, die viel wirkmächtiger ist als alles, was wir mit unserem Verstand erfassen können, nämlich in einer Sprache ohne Worte, wie Peter Levine die von ihm als Somatic Experience zur Traumatherapie eingesetzte Körpererfahrung beschreibt. Wie Musik ohne Worte den gesamten Song verändert und uns dabei eine ganz eigene Geschichte erzählt, das ist auf “Cigarettes & Citylights” gut zu hören.

“Es ist ein Mittwoch kurz vor Herbst …”

 

Zaho de Sagazan

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Februar – Sie ist gerade “in aller Munde” und überhaupt “der neue heiße Scheiß” aus Frankreich. Jedenfalls überschlägt sich die Kulturberichterstattung seit ihrem Auftritt bei den Filmfestspielen in Cannes und wird nicht müde, die so angenehm andersartige Musikerin zu lobpreisen. Denn die gerade mal 24-jährige Zaho de Sagazan ist so ziemlich der genaue Gegenentwurf zur immer austauschbarer anmutenden Massenware Popmusik. Grund genug für uns, sie interessant zu finden und einmal näher hinzuspüren, was “das Besondere” an ihren Musikdarbietungen und vor allem an ihr selbst sein könnte. Dazu tauchen wir tief in ihr erstes Album “La symphonie des éclairs” sowie dessen erweiterte Neuauflage mit dem Zusatz “Le dernier des voyages” ein und stellen unsere Entdeckungen vor.

Zaho de Sagazan AlbumAllein schon die Kombination aus Chanson und Elektro lässt einen neugierig werden, zumal Zaho als prägende Einflüsse Jaques Brel und Kraftwerk anführt. Und dann ist da noch ihr Gesangsstil, der jedes Glattbügeln zur perfekten Oberfläche verweigert, stattdessen Atmung und Emotion ins Zentrum des Anliegens stellt. Die von uns sehr geschätzte Republik nennt sie “Die Retterin des Chansons”. – In der Berliner Siegessäule kommt naturgemäß ihre Bisexualität zur Sprache (was Zaho de Sagazan gleich in Richtung Pansexualität erweitert). Für mich war es vom ersten Augenblick an faszinierend (im Sinn von verknalltmachend), wie unbefangen dieser auf allen Ebenen schöne Mensch über die eigenen Erfahrungen mit unspezifischer Liebe, spielerischer Sexualität und romantischen Beziehungen spricht. Und wie zutiefst selbstverständlich, mit sich im spürbaren Einvernehmen sie uns ihr Leben als hochsensible/hochsensitive Person zeigt, die als Kind so sehr von Gefühlsreizen überflutet wurde, dass sie aufhörte zu sprechen und erst mit 13 Jahren die Musik als Mittel zur Kommunikation entdeckte.

Inzwischen berichtet sie, wie schwierig und anstrengend es zunächst war, von einer Unmenge an gleichzeitigen Gefühlseindrücken geradezu ausweglos überwältigt zu sein und nichts anderes tun zu können, als diesen Zustand irgendwie auszuhalten, zu ertragen. Und wie sie mit der Zeit bemerkte, dass ihre im Anfang als behindernde Einschränkung erlebte Besonderheit auch außergewöhnliche Berührungsebenen eröffnete, indem sie lernte, diese als Fähigkeiten der spezielleren Wahrnehmung bewusst und kontrolliert anzuwenden – auch in ihrem Musikschaffen: Aspiration.

La symphonie des éclairs (Animation)

 

The Love of Hopeless Causes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. JanuarZwei Hasen auf dem Weg nach Inbetween. Oder warum uns speziell in der Kunnst das gleichzeitige Vorhandensein von vielleicht auf den ersten Blick widersprüchlichen Gefühlseindrücken interessiert. “The Love of Hopeless Causes” von New Model Army ist dafür ein gutes Beispiel. Geschrieben in einer Zeit des Übergangs (sowohl persönlich als auch weltpolitisch) verbindet das Studioalbum (1993) Ereignisse aus der Ringsumwelt mit Zuständen des inneren Erlebens. Es ist der hervorragenden Ausdruckskunst von Sänger und Textdichter Justin Sullivan zu verdanken, dass die damit verbundenen Emotionen hier so unverstellt und nachvollziehbar “rüberkommen”. Und dass Inbetween auch bewandert und bewohnt werden kann, ein Grenzland zwischen Leben und Tod

New Model Army - The Love of Hopeless CausesJenseits von Wissen und Verstehen wird spürbar, was hinter der Kunst als Erfahrung und Möglichkeit steckt. Auf der Bandhomepage wird dies mit wenigen Worten gesagt: The Love of Hopeless Causes”. Eine weitere Momentaufnahme aus dem Leben jener musikantischen Gemeinschaft, die stets unabhängig (independent) genug geblieben ist, um nicht in der Schublade eines Genreschachterls zu vertrocknen. Wie wohltuend und überaus tröstlich in der zunehmend viereckigen Zeit, in der wir uns so oft funktionierend und zum Müssen verdammt verlieren. Und wiederfinden? Das Wissen ums Überleben blitzt bis zuletzt auf in den Augen von Rilkes Panther: “Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein.” Das ist nicht das Ende, wie die meisten von uns es zu verstehen gelernt haben. Das ist der Anfang des Übergangs in eine andere Welt, die genauso vorhanden und wirkmächtig (also real) ist wie jene, in der dieses Gedicht stattfindet: der Blick in den Käfig, der Blick auf den Panther, der Blick in seine Augen.

Dieses tiefe Wissen um die dem Leben (dem eigenen wie ebenso dem Leben an sich) innewohnende Kraft (sowie die damit einhergehende Gelassenheit) widerspiegelt sich in dem Lied “These Words”, das sich als eine Art von innerer Bilanz lesen (oder eben hören) lässt, als ambivalent bleibende Summe der Eindrücke und Reaktionen eines Wanderers zwischen den Welten, der sowohl hier wie auch dort war. Eine daraus erwachsende Erkenntnis (die wir in weiterer Folge durchaus Weisheit nennen wollen) ist, weder dort noch hier “ganz zuhause” zu sein, vielmehr “inzwischen unterwegs”.

Through the years of decay we walk like tigers in cages
With each passing turn the smaller and smaller the circles
Every weapon and word legitimate now as protection
But these things should never be spoken
These things should never be spoken

I stand undefeated alone in the ring just pacing
The sweat and the blood dried on my hands all wasted
I’m shouting „come back and fight for I am the king“
But the lights are all out and the people are gone
We always burned brightest when no one was watching
Now I kiss the lines on your beautiful face
But these things should never be spoken
These things should never be spoken

And sometimes your hunger for life seems like desperation
And when I read about the world these days all I can feel is hatred
The fortune teller is closing her doors
She looked into the crystal and saw nothing at all
They’re waiting round here for something to happen
They won’t really want it when it rolls out to greet them
But these things should never be spoken
These things should never be spoken

All you need is Love …