The Love of Hopeless Causes

Artarium am Sonntag, 19. Januar um 17:06 UhrZwei Hasen auf dem Weg nach Inbetween. Oder warum uns speziell in der Kunnst das gleichzeitige Vorhandensein von vielleicht auf den ersten Blick widersprüchlichen Gefühlseindrücken interessiert. “The Love of Hopeless Causes” von New Model Army ist dafür ein gutes Beispiel. Geschrieben in einer Zeit des Übergangs (sowohl persönlich als auch weltpolitisch) verbindet das Studioalbum (1993) Ereignisse aus der Ringsumwelt mit Zuständen des inneren Erlebens. Es ist der hervorragenden Ausdruckskunst von Sänger und Textdichter Justin Sullivan zu verdanken, dass die damit verbundenen Emotionen hier so unverstellt und nachvollziehbar “rüberkommen”. Und dass Inbetween auch bewandert und bewohnt werden kann, ein Grenzland zwischen Leben und Tod

New Model Army - The Love of Hopeless CausesJenseits von Wissen und Verstehen wird spürbar, was hinter der Kunst als Erfahrung und Möglichkeit steckt. Auf der Bandhomepage wird dies mit wenigen Worten gesagt: The Love of Hopeless Causes”. Eine weitere Momentaufnahme aus dem Leben jener musikantischen Gemeinschaft, die stets unabhängig (independent) genug geblieben ist, um nicht in der Schublade eines Genreschachterls zu vertrocknen. Wie wohltuend und überaus tröstlich in der zunehmend viereckigen Zeit, in der wir uns so oft funktionierend und zum Müssen verdammt verlieren. Und wiederfinden? Das Wissen ums Überleben blitzt bis zuletzt auf in den Augen von Rilkes Panther: “Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein.” Das ist nicht das Ende, wie die meisten von uns es zu verstehen gelernt haben. Das ist der Anfang des Übergangs in eine andere Welt, die genauso vorhanden und wirkmächtig (also real) ist wie jene, in der dieses Gedicht stattfindet: der Blick in den Käfig, der Blick auf den Panther, der Blick in seine Augen.

Dieses tiefe Wissen um die dem Leben (dem eigenen wie ebenso dem Leben an sich) innewohnende Kraft (sowie die damit einhergehende Gelassenheit) widerspiegelt sich in dem Lied “These Words”, das sich als eine Art von innerer Bilanz lesen (oder eben hören) lässt, als ambivalent bleibende Summe der Eindrücke und Reaktionen eines Wanderers zwischen den Welten, der sowohl hier wie auch dort war. Eine daraus erwachsende Erkenntnis (die wir in weiterer Folge durchaus Weisheit nennen wollen) ist, weder dort noch hier “ganz zuhause” zu sein, vielmehr “inzwischen unterwegs”.

Through the years of decay we walk like tigers in cages
With each passing turn the smaller and smaller the circles
Every weapon and word legitimate now as protection
But these things should never be spoken
These things should never be spoken

I stand undefeated alone in the ring just pacing
The sweat and the blood dried on my hands all wasted
I’m shouting „come back and fight for I am the king“
But the lights are all out and the people are gone
We always burned brightest when no one was watching
Now I kiss the lines on your beautiful face
But these things should never be spoken
These things should never be spoken

And sometimes your hunger for life seems like desperation
And when I read about the world these days all I can feel is hatred
The fortune teller is closing her doors
She looked into the crystal and saw nothing at all
They’re waiting round here for something to happen
They won’t really want it when it rolls out to greet them
But these things should never be spoken
These things should never be spoken

All you need is Love …

 

In memoriam Hermes Phettberg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. DezemberHermes Phettberg ist tot … Eigentlich ist Josef Fenz, wie der Hervorbringer der legendären Kunstfigur diesseits seiner öffentlichen Performances hieß, am 18. Dezember im Krankenhaus gestorben. Die Verkörperung all dessen, was ihn umgetrieben hat, und was Menschen wie mich innerlich erreicht, berührt und inspiriert hat, das bleibt in uns allen erhalten und lebt in all seiner Monstrosität und kindlichen Zartheit durch uns weiter. Melancholie und Gesellschaft oder “Alles, was du siehst, gehört dir”, um es mit PeterLicht zu sagen. “Sehen” im Sinn eines umfänglicheren Wahrnehmens als es der Sprachgebrauch des Schnelldrüberhin nahelegt. “Sehen” als ein “unverstelltes in sich aufnehmen” etwa wie ein Traumbild unkontrolliert und ohne Urteil in uns empor steigt und so

In memoriam Hermes PhettbergTatsächlich habe ich hier noch ein Bild gefunden aus jenem Jahr, in dem mir “Phettbergs Nette Leit Show” zum ersten Mal aus dem Fernseher heraus direkt ins Herz “einfuhr” und mich darin ermutigte, auch in diesem “Land of Confusion”, das zwischen Marktwirtschaft und Verdrängung zu zerreißen drohte, doch um einiges mehr für verwirklichbar zu halten, als es in der damals alles verklebenden Normalmoral (die gern als “die Sittlichkeit” oder auch “das gesunde Volksempfinden” daher gestelzt kommt) überhaupt möglich zu sein schien. Ich möchte sagen, dass mir die Selbstinszenierung von Hermes Phettberg im Rahmen der Netten Leit Show die Grenzen in Geist und Seele dahin- gehend ver-rückt, also zurecht gerückt hat, dass es mir wieder möglich wurde, an einen tieferen Sinn in all den widerstreitenden und zunehmend fragmentierten Erfahrungen meines Lebens zu glauben – und zwar ohne den demonstrativ vor mir her zu tragenden Endsieg” über meine Homosexualität, der mir eingeimpft war …

Von solch inwendiger Belebung ergriffen pilgerte ich kurz darauf schnurstracks nach Wien, um dem Beförderer derselben anlässlich des Erscheinens von “Die Krücke als Zepter” höchstselbst und in all seiner Leibhaftigkeit zu begegnen. Und dieses Treffen von Mensch zu Mensch vertiefte in mir jenen Eindruck, den ich zuvor schon aus seiner Bühnenpräsenz gewonnen hatte: Ein Maßloser, in seinem Ringen um Anerkennung an allen Grenzen längst Verzweifelter, der dabei dennoch eine schier unglaubliche Würde besaß, ein seiner geradezu barocken Anmutung um nichts nachstehendes Mitgefühl.

Lieber Hermes, du warst in vielem sehr anders als ich es bin. Und zugleich bist du mir zutiefst vertraut, ich möchte sagen, wesensverwandt. Ich bin erstaunt, wie vieles von dir ich in mir wiederfinde, wenn ich mit mir unterwegs bin. Unlängst hat ein Freund gesagt, ich hätte etwas Monströses an mir. Das habe ich im ersten Moment als nicht zutreffend zurückgewiesen. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr neige ich dazu, es mir (und uns allen) zuzugestehen. Indem ich dir auch in mir begegne, soll es lauten: Im Phettberg’schen Sinn kann ich dieser Monstrosität etwas abgewinnen.”

Und in diesem Sinn – Danke.

 

Fairy Tales for Cyborgs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Dezember – Das lang erwartete neue Album von SoundDiary ist nunmehr erschienen – und mit großer Freude stellen wir es euch hier und heute und in voller Länge vor: FourWord – Fairy Tales for Cyborgs (dessen Gesamtlänge von über 58 Minuten uns zur kürzesten Signation aller Zeiten anregte). Ich gebe zu, dass der Titel (und die von mir dahinter vermutete Geschichte) zunächst einiges an Abwehr hervorrief, so im Sinn von: “Geh bitte, jetzt kommen die auch noch mit diesem inflationären KI-Thema daher.” Und ich muss mich ausdrücklich bei meinem unerschrockenen Sendungspartner, dem Hasen, bedanken, dass er mir durch seine Eindrücke vom Probehören, die er mir geduldig schilderte, ein erweitertes Eindringen in die Fairy Tales for Cyborgs (hier das CD-Booklet) ermöglichte. Und, siehe da

SoundDiary - FourWord (Album Cover)SoundDiary haben sich nicht nur musikalisch weiterentwickelt – eine recht ordentliche, weil auch inhaltlich detailgenaue Rezension findet sich auf “Just for Kicks Music” – auch die Komplexität ihrer Konzeptarbeit hat mit diesem Album wieder eine neue Dimension erreicht. Oder wie wir den Einstieg in die Story hinter dem Konzept des Albums möglichst auf den Punkt zu bringen versuchen: “Eine vielschichtige Geschichte.” und “Ein Ringen um Identität.” Alles, was darüber hinaus noch zu entdecken wäre, entnehmen sie bitte (und hier wird das gern gebrauchte Wortspiel zur Wirklichkeit) der Packungsbeilage. Sowie dem Anhören des Albums selbst natürlich. Womit wir ja immer ein Eintauchen, ein sich vom Hörerlebnis mitnehmen und so zu eigenen Gedanken, Bildern und Phantasien anregen lassen meinen. Da taucht (jedenfalls im Fall dieser Fairytales) so einiges auf, von dem wir gar nicht gewusst haben, dass es überhaupt da war. Oder wissen wir das alles schon immer, nur unsere Verbindung dorthin ist uns irgendwie nicht zugänglich? “Der Verstand kann es nicht begreifen, doch der Körper weiß, wie wir überlebt haben.”

Die “vielschichtige Geschichte” lässt sich nämlich auf verschiedene Weise verstehen oder erleben oder (um in der Sprache des Erzählers zu bleiben) entschlüsseln. Dazu haben wir den Weg über die Worte gewählt und uns beim Hören auch in den Text der einzelnen Songs vertieft. Dabei war uns das Download-Booklet eine große Hilfe, weil es die Texte ohne weitere Grafiken vorstellt. Was mich da angesprungen hat, was mich letztendlich davon überzeugt, dass es sich hier definitiv nicht um eine simple “Robotergeschichte” handelt, das müssten die folgenden Textauszüge aufzeigen:

Mem0r1es:

It seems the pain has left me, I’m surrounded by the people I love.
Although my heart hasn’t stopped bleeding, the wounds are turning into scars.
But still I’m scared about the hours when I’m alone and think about our days.
In every single piece of me you remain a painful thorn that’s stuck in me.

Dreaming of you makes me sweat and cry my tears.
Thinking of you makes me bitter and stunned.

Blame:

Still sorrow in my eyes, still pain I cannot hide.
And still a soul, that dies, I am about to change the side.
We feel a common pain, but our escape route is blocked,
our efforts are in vain, and so we all stay shocked.

Let us out. We’re afraid, there must be something to blame.
Let us out. We’re exposed, falling out of the frame.

J0urney t0 0’0ne:

The closer I get to the center the further away I feel.
I am going to enter the essence of what once was real.
The closer I get to the center the better I see
this black hole that once seemed to matter so much to me.

We are one and we know our journey has just begun.

What’s beyond this strange horizon?
My focus finally lies on the fact that
I don’t owe you anything.

 

Also, ja – Fairy Tales – nicht nur für Cyborgs …

 

Ernst (Thomas Andreas Beck)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. November – Seltsam, im Nebel zu stochern. Oder unter dem Teppich nachzuschauen, was da schon so lang drunter gekehrt wird. Oder doch nicht? Die Generation der Nachkriegskinder ist mit erheblichen Leerstellen im Familiengedächtnis aufgewachsen. Mit Auslassungen, Umdeutungen und Tabus in der Erinnerung. Thomas Andreas Beck allerdings macht sich auf die Suche nach genau diesen unterbewussten Strömungen, die unsere Welt nach wie vor prägen, sowohl in der gesamten Gesellschaft als auch in der Persönlichkeit jedes einzelnen. Und dabei geht er dorthin, wo es wirklich weh tut, nämlich in sich selbst. Auf seinem Album “Ernst” (das wir heute vorstellen) verschmilzt er dieses Innen mit dem Außen zu einer ausgewogenen Wahrnehmung des Weltwahnsinns, der in und um uns wütet.

Thomas Andreas Beck - Ernst in SalzburgVor einem Monat präsentierte er sein aktuelles Buch “Der Keller ist dem Österreicher sein Aussichtsturm” in der matchBox in Schallmoos und dabei wurde ich von zwei Songs aus besagtem Ernst in eine mir ebenso unbekannte wie wohlvertraute Welt versetzt. “Das ist Ambivalenz! Das ist große Kunst!”, jubelte ich in mir drin und beschloss gleichauf, diese Bewusstseinserweiterung, für die man nicht einmal Drogen nehmen muss, auf dem kreativen Hörweg mit euch zu teilen. Denn wie bereits John Peel von der BBC feststellte: “Radio is and always will be a more powerful medium than television because it allows the imagination of the listener to flourish.” Es waren die Titel “Strones” (ein Lied über den absichtsvoll in die Versenkung verschwundenen Geburtsort von Hitlers Vater am Truppenübungsplatz Allentsteig) sowie “Deponie” (eine Zeitreise in die eigene Kindheit – was auf mehreren Ebenen zugleich funktioniert, nämlich, weil es die Kindheit von vielen von uns berührt).

Dann ist mir noch etwas völlig Unerwartetes passiert (und es sind ja oft die Dinge, die “einfach passieren”, die einem wie von selbst neue Sichtweisen eröffnen). Ich nenne es jetzt einmal “Kreatives Verhören” (im Sinne von “da hab ich mich wohl verhört”). Aus dem Nebenraum hörte ich eine Nummer vom Album “Ernst” mit einem einzigen veränderten Buchstaben, wodurch aus der eigentlichen Aussage jeder Textzeile eine Frage entstand und ich das gesamte Lied als eine “offene Frage” auffasste, deren Antwort sich erst durch seinen Titel ergab. Hier die von mir “verhörte” Version:

Was frisst die Seele auf
Was macht dich hin
Was macht dich deppad
Viel deppader als sie

Was macht dich ängstlich
Was macht dich lieblos
Was macht dich neidig
Was macht dich blind
Was macht dich einsam
Was macht dich stumpf
Was macht dich starr
Was macht dich traurig
Was macht dich bitter
Was macht dich giftig
Was macht dich süchtig
Was macht dich krank
Was macht dich dunkel
Was macht dich brutal
Was macht dich gefährlich
Was macht dich mächtig

Was frisst die Seele auf
Was macht dich hin
Was macht dich tot
Viel toter als sie

Hass

Thomas Oberender empfiehlt: “Hören sie genau hin …”

PS. Um jedweder Velwechsrung von vorn herein (und auch im nachhinaus) vorzubeugen: Das oben abgedruckte ist die auf meinem “kreativen Verhören” basierende Version. Der originale Songtext ist allhier nachzulesen.

 

Still Corners – Strange Pleasures

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. OktoberImmer wieder anders … Sonst würd es uns auch langweilig werden. Also spielen wir das Album “Strange Pleasures” aus dem etwas anderen Musikbiotop “Still Corners”. Ich übersetz mir das in etwa so: Setzen wir uns in den einen oder anderen “ruhigen Winkel” des Weltgetriebes – und hören wir einfach nur zu, dem Gras beim Wachsen, der Luft beim Aufsteigen oder der Sonne beim Untergehen. Natürlich haben wir dabei alle möglichen Gefühle, eigene und auch fremde, vergangene, gegenwärtige – womöglich zukünftige? Ist das nicht ein “besonderes Vergnügen”, die Welt in uns und um uns herum von so einem “ruhigen Ort” aus zu betrachten? Und wenn es erst mehrere sind, Winkel wie Vergnügungen, dabei könnten uns die folgenden Miniaturen oder der Klang des Albums begleiten:

Still Corners - Strange Pleasuressommers letztes aufwallen : fliehen in die weite : fahrtwindsrausch : frei so frei : für kaum eine zeit und doch irgendwie ewig : so flüchtig dies gefühl so leicht in der schwere der dämmerung : nirgends ankommen wollen : reisend bleiben

einander die kehle geschnürt : unwissentlich : wir erblauen : uns bleibt nicht viel zeit

das bett zerrinnt nach allen seiten, doch mich schwemmt’s nicht davon : ich muss hier bleiben und wachen über alle nächte in denen du fern von mir bist : kein trost : jeder traum dreht sich um sich selbst

deine stimme knistert : am horizont explodiert ein wunsch

feuerfliegen sind leuchtkäfer sind glühwürmchen : wir irrlichtern zwischen ihnen : sehnen uns nach endloser nacht in der wir tanzen inmitten der flammen : gleiten, funkenbeflügelt

graue stadt voll bunter vibrationen : wir gehen ohne ziel, lassen uns ziehen, denken nicht nach oder vor : shiver and flow

meerwärts will das herz und sich der brandung entgegen werfen, ungebeugt und kühn : will untergehen, ein wenig untergehen, ein bisschen schweben bleiben nur

seltsam zurückgekehrt zu sein : kenne häuser, straßennamen, manch gesicht, doch wie in einem halbvergessenen traum : so fremd das vertraute : bin ich anders geworden, sehe also mit anderem blick das noch vorhandene damals oder veränderte sich alles andere ganz anders als geahnt?

im lichterflackern seh ich dich lachen : bässe lösen verkalkte gefühle : wir sind musik : jede faser will tanzen : wir wagen uns tiefer hinein in den rausch der nacht : was passieren wird wissen nicht mal die sterne

magnetischer moment : lichtstreifen wabern im augenwinkel : dicht gewebtes schwarz durch welches wir wege bahnen : wir sind still : wir sind still verloren : brauchen keinen retter : sind selig in der ungewissheit : wir genügen uns

den mondschein getötet : die sterne gelöscht : dem himmel die tiefe genommen : was ist wird werbung : ich glaube nicht an wunder aber an die macht der phantasie : noch gibt es so etwas wie hoffnung

sinken also in den äther : um uns tost die schöpfung : wirbelt, rast, zerbirst : wie im zeitraffer : wie in zeitlupe fallen wir hinauf, hindurch, hinweg : hinter den lidern blühende wüsten, ströme aus licht

wir erinnern uns an die zukunft : sie rauscht und flirrt

 

Fontaines D.C. – Romance

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. SeptemberHoppala, da taucht auf einmal eine Band auf, die sehr eigenwillig und selbstbestimmt Musik macht und dann auch noch (wer hätte das erwartet) recht erfolgreich durchstartet. Erst unlängst wurden sie im Kulturmagazin ttt als “Poetic Punks” aus Irland vorgestellt und dabei irgendwie als der neue heiße Scheiß des kompromisslosen Post-Punk-Genre überwindenden, ja geradezu zersprengenden Kunstschaffens dargestellt. Derlei macht uns naturgemäß neugierig und hoppala, was die Jungs von Fontaines D.C. da über ihre Einstellung zum Musikmachen so alles absondern und was man sonst noch darüber hinaus von ihrer Geschichte als Poeten, Musiker und vor allem als fünf Freunde herauszufinden vermag, das ist Grund genug, das Album Romance von Fontaines D.C. zu spielen.

Fontaines D.C. - RomanceWas wir erfahren haben und was wir also mit euch teilen möchten, lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Wie schön ist es, wenn sich etwas derart organisch lebendig wachsend entwickeln darf wie diese Band! Da beschließen fünf junge Typen (die sich nie zuvor getroffen haben), auf ein renommiertes Musik und Kunst-College zu gehen (nennt sich BIMM und ist diesfalls in Dublin). Sie lernen sich kennen und bemerken, dass sie etwas verbindet, nämlich die Liebe zur Poesieund schon bald lesen sie sich gegenseitig ihre Gedichte vor, auch in den Pubs der Umgebung. So werden sie Freunde und im weiteren Verlauf bringen sie gemeinsam einige Lyrikbände heraus. Danach beschließen sie, eine Band zu gründen, die schnell überregionales Interesse weckt und die, wie wir heute wissen, sehr erfolgreich gewesen sein wird oder so. Für uns ist dabei der Schaffensprozess interessant: Aus was für inneren Haltungen und durch welche Wechselwirkungen in der Gruppe (die ein Freundeskreis ist) entsteht die besondere Qualität ihrer Musik, die ja offenbar mehr verkörpert als zur reinen Publikumsbelustigung notwendig wäre?

“Ich glaube, man muss ganz frei und unbeeinflusst von der Außenwahrnehmung sein. Ich glaube, in dem Moment, in dem man anfängt, seine Worte so auszuschmücken, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen werden, ist man erledigt.” Soweit Gitarrist Carlos O’Connel. Und Sänger Grian Chatten gemeinsam mit ihm:
“Ein großes Ziel von mir ist, dass wir am Ende immer noch gute Freunde sind. – Für mich das einzige Ziel! – Ja, für mich wäre es mehr wert, wenn wir als Band nur halb so erfolgreich wären, dafür aber doppelt so enge Freunde.”

Suchen wir nicht auch oft nach einem besseren Leben in einer kaputten Welt?

 

Amelia (Laurie Anderson Album)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. September – Diesmal begegnen sich zwei starke Frauen in unserer Sendung: Die genresprengende Avantgarde-Klangwelten-Geschichtenerzählerin Laurie Anderson und die frühfeministische Weltumfliegerin Amelia Earhart. Anlass ist das soeben erschienene Album “Amelia”, mit dem Laurie Anderson der Vorreiterin einer umfassenden Emanzipation ihr Denkmal setzt. Und das in Form einer beeindruckend runden und ausgereift vielschichtigen Collage, die durch die Verbearbeitung von Originalaufnahmen und Zitaten aus Amelia Earharts Leben eine bemerkenswerte Klarheit und Intensität erzeugt. Und die zugleich eine emotionale Nähe zu der 1937 im Pazifik verschollenen Flugpionierin hervorruft, ganz als würde man jetzt gerade neben ihr im Cockpit sitzen und die Welt umrunden

Laurie Anderson - Amelia (Text)Über das rätselhafte Verschwinden der bekanntesten Pilotin ihrer Zeit kann seitdem nur spekuliert werden. Vielleicht ist sie doch nicht ins Meer gestürzt und ertrunken, vielleicht haben sie und ihr Navigator Fred Noonan auf einer einsamen Insel überlebt, wir wissen es nicht. Und naturgemäß sind Elvis-lebt-artige Verschwörungsphantasien nicht das, was uns interessiert. Sich in die Seinszustände von Menschen hinein versetzen dafür umso mehr. So hat etwa Heather Nova vor gut 20 Jahren in ihrem Lied “I Miss My Sky” die Gedanken und Gefühle von Amelia Earhart im Rückblick auf ihre Karriere und in Erwartung ihres Todes nachempfunden, ein großartiges Beispiel dafür, wie mit den Mitteln der Kunst das Leben Verstorbener ins Leben Lebender übertragen und über die Todesgrenze hinweg zum Fortwirken verwandelt werden kann. Und diese Kunst-Magie vollzieht auch Laurie Anderson mit ihrem Erzählkosmos, wobei sie eine feine Balance zwischen expressiven Textpassagen und subliminalen Klangbildern zu halten versteht. Oft ist es nicht zu unterscheiden, ob sie gerade singt oder erzählt.

“I am an artist, because I want to be free. I hate it when people tell me what to do.” So beschreibt Laurie Anderson ihre Grundhaltung, ihre Herangehensweise in diesem Advice To the Young Interview. Und auch Amelia Earhart wollte sich von nichts und niemand vorschreiben lassen, wie sie ihr Leben gefälligst nach irgendwelchen Normen und Rollenklischees zu gestalten habe. Um aber von ihrer Kunst oder eben von ihrer Fliegerei leben zu können, sind auch diese starken Frauen darauf angewiesen, in der Welt da draußen “Geschäfte zu machen”. There’s no Business like Showbusiness.

Kunnst?

PS. Laurie Andersons Gedankenwelt rund ums Entstehen dieses Albums in einem ausführlichen “Interview ohne Interviewer” (ein ähnliches Setting wie es bei André Hellers Menschenkinder angewandt wird). Sehr sehenswert

 

Wilde Lieder

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Juni“Ein Gespenst geht um in Salzburg…” und die meisten anderen dieser Schmähs sind auch schon gemacht. Haben wir doch seit kurzem einen “kommunistischen Vizebürgermeister”, genau gesagt Kay Michael Dankl von der Liste KPÖ PLUS. Der gelernte Historiker antwortet auf die wiederholte Frage, ob er Marxist sei und ob er Karl Marx gelesen habe, erstaunlich elegant mit eigenen Gedanken über eine “gerechtere Gesellschaft”, in der “Geld nicht mehr derart im Mittelpunkt steht”. Das geht doch in eine interessante Richtung, nämlich verstehen zu wollen, was den Menschen Karl Marx umgetrieben, was ihn beeinflusst und beschäftigt hat. Wir gehen gleich noch einen Schritt weiter und begeben uns in die Zeit seiner Studentenjahre. Und wir hören Die wilden Lieder des jungen Marx.

Die wilden Lieder des jungen MarxEs ist ja nur logisch – wenn ich verstehen möchte, was heute für mich, für uns bedeutsam ist, was hilfreich und sinnvoll anzuwenden wäre – von all den Gedanken und Ideen, die ein gescheiter Mensch niedergeschrieben und uns damit hinterlassen hat – dann sollte ich zunächst einmal wissen, wer da eigentlich spricht. Da schau her, ein junger Student, verliebt, voll romantischer Begeisterung, der erste Lieder und Gedichte schreibt, beginnt sich schon sehr bald an den Machtverhältnissen im Deutschen Bund der 1830er Jahre (der “Vormärz”, der in die Revolution von 1848 führen wird) zu reiben, wird selbstverständlich Teil einer größeren Bewegung, die das Joch der absolutistischen Herrschaft abschütteln will und stattdessen eine selbstgewählte demokratische Regierungsform anstrebt. Die weitreichende Umwälzung des bisher Bestehenden – das nennt sich Revolution. In der Vorstellung des Musikalbums der Grenzgänger bringt es der Deutschlandfunk auf den Punkt: “Revolution als Akt der Liebe”. Hier finden die innere Einstellung und die äußeren Handlungen zusammen.

Um sich ein Bild machen zu können, das dicht und deutlich genug ist, um die eigene Phantasie zur Entfaltung kommen zu lassen, ist es notwendig, sowohl die äußeren Umstände als auch die inneren Beweggründe des Menschen zu begreifen, den wir da betrachten. Nachdem über die jenen Karl Marx umbrandende Weltgeschichte in unzähligen Quellen viel zu hören und zu lesen ist, freuen wir uns desto mehr über die ausführliche Darstellung seiner Lieder und vertonten Gedichte und die Homepage der Grenzgänger. Oder auch über diese schöne Ausgabe vom “Weltgericht” (1837).

Immer schön kritisch bleiben Pustekuchen

 

Dream Home Heartache

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. MaiIn Every Dream Home A Heartache – der Song von Roxy Music aus dem Jahr 1973 ist eine jener besonderen Perlen, die noch Jahrzehnte nach dem erstmaligen Erscheinen ihre erstaunliche Wirkung entfalten. Es gibt eine unüberbietbare Liveversion auf dem Album Viva!, dem wir schon einmal eine ganze Sendung gewidmet haben. Heute wollen wir das Stück selbst und seinen Einfluss auf unser Empfinden noch etwas genauer unter die Lupe nehmen. Und so betrachten wir die Geschichte, die uns Bryan Ferry darin verkörpert, deren Text in zwei widersprüchlich erscheinenden, doch auch zutiefst miteinander verbundenen Begrifflichkeiten kulminiert: Dreamhome und Heartache. Was bedeutet das eigentlich – und ist in unser aller Leben wirklich das Süße stets mit dem Bitteren vermischt?

Dream Home Heartache

Exhibition by Magdalena Dukiewicz. Stand4 Gallery, Brooklyn, NY

Im Begleittext zur Ausstellung von Magdalena Dukiewicz heißt es: “Home, a simple four-letter word loaded with diverse meanings … reminds us that home is both where the heart is and where heartache can be.” Und in einer Darstellung namens Stay Home Gallery: “The yellow light coming from inside of the house … is both welcoming and hostile – the place is a shelter that can become a prison.”

Damit ist die Ambivalenz der Gefühle mit all dem, was Home, Dahoam, Heimat, Heim in uns auslösen kann, erst einmal ausgebreitet. Vertiefter noch: “Ich fühle mich nicht so recht zuhause in mir. Ich irre wie fremd in mir umher. Ich habe mir alles so hergerichtet, dass ich mich bei mir geborgen fühle – und dennoch fehlt mir andauernd etwas. Ich spreche mit einer aufblasbaren Sexpuppe – und sie anwortet mir nicht. Ich mache doch alles, um die vollkommene Glückseligkeit zu erreichen – und doch stürze ich immer wieder ab.” Verdichtet ließe sich das dann in etwa so zusammenfassen: “Aus der Mitte entspringt ein Loch.”

Es verwundert also nicht allzusehr, dass etwa Rozz Williams, der tragische Held und Gründer von Christian Death, den Roxy-Music-Song 1995 noch einmal auf seine ganz eigene zutiefst abgründige Art und Weise zum Leben erweckte. Oder dass Andreas Spechtl, den der geheimnisvolle Drogentod von Walter Benjamin 1940 in Portbou lange Zeit in Atemlosigkeit hielt, auf DMD KIU LIDT ausgerechnet jenes Bitter-Sweet von Roxy Music coverte, das Bryan Ferry auch für den Babylon Berlin Soundtrack neu einspielte. Gemeinsam ist all diesen Menschen das Neuerschaffen von etwas …

Oder wie es Bryan Ferry im Interview mit Another Man ausdrückt: “Here’s a guy in the song who has everything and nothing. That’s a very tragic resonance throughout time, people who think they’re trying to get the world and they have nothing. – I always wrote as a character. In some songs it rings more true to me, then there are others that are obviously me assuming a role. As an artist, you have to do that otherwise your horizons would be so limited. You have to expand your consciousness to become someone else, to become another ‘me’.”

Die Grenzen zwischen Kunst und Existenz. Und wenn ja – wohin wir gehen …

 

IDLES – TANGK

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Mai – Das heutige ganze Album zerlegt unsere Hörgewohnheiten. Und eine viel zu lang hingenommene “Gefühlsrealität”, die uns gefickt eingeschädelt war, warum auch immer. Zerberstend fallen Wut und Verzweiflung über uns her, bis aus den Trümmern der vergehenden Ordnung ein Kind der Liebe hervor wächst. Das Album heißt TANGK und sollte besser nicht in irgendein Genre gezwängt werden, denn es verwendet wohl deren mehrere, steigt aber kraftvoll über solche Kategorien hinaus. Zudem geht es bei TANGK nicht ums Musikbusiness, sondern um Selbsterfahrung, um einen Weg des Gesundwerdens. Daher muss TANGK von den IDLES auch selbst erfahren werden, wozu wir euch jetzt ohne weitere Umschweife einladen. Der Hase hat dazu schon mal genau hingehört:

Idles -TangkDas erste Mal GRACE zu lauschen (was durch Zufall bzw. den Youtube-Vorschläge-Algorithmus passierte) war ein magiegeladener Moment. Ich spürte, wie die Wirklichkeit durchlässig wurde, sich schließlich auflöste, um mich nahezu gleichzeitig in eine neue, veränderte Wirklichkeit zu beamen. Oder war es vielmehr ich, der sich verwandelte? Geht dies Hand in Hand? Nichts war wirklich anders und doch war ich nicht mehr derselbe wie noch knapp vier Minuten zuvor. “No god, no king // I said, love is the thing”, ein Zauberspruch, ein Mantra, eine absolute Wahrheit, wie mir aus der Seele gesungen, in sternheller Nacht, wellenumbrandet, den Sturm in den Venen, zartmütig, bedacht. graceful. delicate. wild.

Ich verfolge das Schaffen von IDLES schon ein paar Jahre. Songs wie Colossus oder Divide & Conquer fand und finde ich großartig, nicht zuletzt wegen ihrer Härte, Widerborstigkeit und Joe Talbots Sprechschreigesang, aber die Werke auf ihrem heuer erschienenen, fünften Studioalbum TANGK haben auf mich fast schon eine hypnotische Wirkung, selbst nach mehrmaligem Hören, nein, dadurch sogar potenziert. Schon beim Opener IDEA 01 wird die Komplexität der Musik deutlich, die durch Loops, Schichtungen, Verzerrung, rhythmische Eigensinnigkeit, atmosphärische Sounds, Poesie und gut fünfzehn Jahre gemeinsamer Kreativarbeit entsteht. Vielleicht etwas weniger aggressiv und die Gehörgänge fickend als auf vergangenen Alben, aber genauso tanzbar, vor Lebenskraft pulsierend, räudig wo es sein muss, gefühlvoll, verletzlich, ohne pathetisch zu werden. Es ist ein Album der Liebe, der Dankbarkeit, der Kraft. Ein Album über “die Facetten von Liebe, die nicht so konventionell aber sehr wichtig sind: Empathie, Geduld, Ehrlichkeit, Gemeinschaft, harte Arbeit und Heilung, Vergebung.”, wie es Sänger und Texter Joe Talbot in diesem NME-Interview beschreibt. Stärke aus Zerbrechlichkeit. Freude aus Schmerz. Liebe trotz allem.

IDLES ist ein sehr rundes, stimmiges, komplexes und aufrichtiges Werk gelungen, das nicht nur durch Musik und Text beeindruckt, sondern auch durch die Produktion (unter anderem hat Radiohead-Produzent Nigel Godrich mitgewirkt), durch das Artwork und die Musikvideos. Außerdem ist es mehr als sinnvoll in solch psychotischen Zeiten Liebeslieder zu dichten, ich würde sogar sagen, es ist gesund.

all is love and love is all