Innergebirg

Artarium am Sonntag, 12. Oktober um 17:06 Uhr“Innergebirg einmal anders”, könnte man so sagen, wenn einen die ab- und hintergründigen Geschichten von Thomas Mulitzers neuem Mundart-Album entgegenwehen. “Zehn Lieder aus der Schattseite der Heimat”, so heißt es in der Erscheinungs-Ankündigung auf seiner Homepage. Und das ist gewiss nicht untertrieben. Kunstvoll in der Schwebe gehaltene Ambivalenzen zwischen gefühlter Identität und schleichendem Erschrecken formen ein Gesamtereignis, das der tatsächlichen Wirklichkeit des Lebens und Erlebens erstaunlich nahe kommt. Dazu hat mit Sicherheit die feine Arbeit von Produzent Fabio Schurischuster von der Grazer Mischerei beigetragen, die das neue Solowerk in ein Klangbild einbettet, das ausgewogen zwischen Hoamat und International changiert.

Thomas Mulitzer - InnergebirgWir freuen uns ja erheblich daüber, dass wir dieses Heilmittel gegen die einseitige Heimattümelei pünktlich zu den verordneten Jubelfeiereien erhalten haben, die gemeinhin und gemeinerweise den Herbst zu einer patriotismusbesoffenen Jahreszeit verunstalten. Kaum sind wir einem immer noch lederhosendepperter werdenden Rupertikirtag mit seinen plumpen Fickdirndln entronnen, da dräut uns auch schon der Kärntner Landestrubel (10. Oktober) – hier zum Ausgleich zwei Partisanen – und dann auch noch der sonderbare Nationalfeiertag am 26. Oktober, dem wir heuer zum Glück ebenfalls einen schönen Kontrapunkt aufsetzen können, nämlich mit einer Sendung zur Brecht-Inszenierung “Die heilige Johanna der Schlachthöfe” von und mit Cassandra Rühmling, auch im Hinblick auf Bertolt Brechts österreichische Staatsbürgerschaft, die er vor 75 Jahren erhielt. Da war aber bald Feuer im Karton und die Geschichte als ein Beispiel dafür, warum es in diesem Land so ist, wie es ist, sei hier nachgelesen. Es macht viel Arbeit, zu dem, was wir hier erleiden, Stellung zu beziehen – zudem auf eine Art und Weise damit umzugehen, die uns unsere Lebenslust und Freude nicht verdirbt

Da könnten wir beim Pongauer Poeten und seinem neuen Album “Innergebirg” nachfragen, wie das denn gehen soll, im speziellen Fall “die Heimat lieben”, dabei zugleich “hinter den schönen Schein der Fassaden und Klischees zu blicken”. Und wir könnten uns anschauen, wie das andere Vertreter der Kunstform kritische Heimatdichtung so mundhaben. Als ein besonders gutes Beispiel erscheint uns der Weiherer, zumal der ja auch in seiner Mundart singt und dabei oftmals scheinbare Gegensätze überbrückt, unter anderem den zwischen Hans Söllner und Fredl Fesl.

Bei dem Lied Fährmann” trifft er sich mit Thomas Mulitzer definitiv im Abgründigen. Im Pressetext zu dessen am 24. Oktober erscheinen wollenden Werk heißt es ja unter anderem: “Inspiriert von der Tradition der Murder Ballads verhandeln die Lieder lokale Geschichten, Mythen und unaufgeklärten Verbrechen – immer mit einem Blick für das, was Friedrich Achleitner das G’fäude nennt: das Verfaulte und Verfehlte, das ansonsten keine Beachtung erfährt, das aus dem Normalzustand herausreißt und eine unheimliche Dimension freilegt. Zwischen Wahrheit und Fiktion erzählt …”

 

Innergebirg einmal anders – so wie es ist.

 

Lieber Konstantin,

“Der Liebe zuliebe”, so heißt dein jüngstes Buch, das ich soeben gelesen habe. Und als ich damit angefangen hatte, drängte sich mir sogleich der Wunsch ins Bewusstsein, dir zu schreiben. Du wirst dich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern, doch wir sind uns einmal in Salzburg begegnet, das war 1979 anlässlich deines Konzerts im großen Festspielhaus. Im Anschluss daran haben wir gemeinsam gesoffen bis in den Morgen und du hast mir all dein Geld geschenkt, das du dabei hattest, für die damals geplante “Initiative Buntes Salzburg”. Und heute lese ich in diesem Buch, dass du Alkoholiker bist und vor ungefähr 4 Jahren, ziemlich zur selben Zeit wie ich, beschlossen hast, nicht mehr zu trinken, also deine Sucht der Liebe zuliebe nicht mehr auszuleben. Das, lieber Konstantin, berührt mich zutiefst – und verbindet uns noch einmal ganz neu

Lieber KonstantinDenn schon seit vielen Jahren bezeichne ich dich (auch ohne dass du davon weißt) als einen meiner wichtigsten Sprachlehrer. Deine Texte und vor allem deine Art, sie auszudrücken, dein Mut, auch die  erschreckenderen Abgründe des Gefühlslebens anzuschauen und in Worte, oft auch in unerwartete und zugleich berührende Klänge zu fassen – das alles und noch viel mehr hat mich immer wieder dazu angestoßen und herausgefordert, meinen eigenen Abgründen sowie ihren Spiegelungen in der Welt um uns herum mit Worten, in Klangbildern und Inszenierungen Gestalt zu geben, um andere auf sie aufmerksam zu machen und um sie (nüchtern betrachtet mehr denn je) in mir und nicht zuletzt für mich selbst zu verbearbeiten. Du komponierst und dichtest und gehst auf Tournee. Ich dichte auch und komponiere Radiosendungen, die gehen dann für mich “im Äther” auf Tournee. In denen bist du auch schon öfter vor- und, wie ich meine, ganz gut weggekommen. Es gibt Verbindungen jenseits des Sichtbaren

Lieber Konstantin, heute sind es im Rückblick nicht mehr nur die vielen Anregungen und Einflüsse, die wir beide gemeinsam haben und denen ich in deinem Buch wieder begegnet bin. Ich will hier zwei wesentliche Personen erwähnen, denen ich ungemein Gutes verdanke: Den großen Pier Paolo Pasolini und den wunderbaren Arno Gruen. Heute ist es vor allem der Weg, auf den du dich im Augenblick des Zerrbruchs (einer der kreativsten Druckfehler, denen ich je begegnen durfte) gemacht hast: Poetisches Wandeln und politisches Handeln durch spirituelle Entwicklung in Einklang bringen.

(Mitschnitt): Im Artarium am Sonntag, 28. September gehen Christopher Schmall und ich der Frage nach, wie sich der Weg des Konstantin Wecker in seinem Werk und in unseren jeweils eigenen Werdegängen wiederspiegelt und was für uns dabei “ein roter Faden” sein kann. Weil in jeder gesättigten Lösung aus Poesie und Widerstand, Wut und Disziplin, Vergebung und Aufbegehren, kurz gesagt in jedweder kreativen Ursuppe eine erste Struktur aus Lebensordnung und dem Wunsch nach Gestaltung der Utopie zu finden ist, an der sich längst vorhandene Elemente herauskristallisieren:

 

Das ist Poesie

 

Listening to Perlentaucher

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. September – “Liebes unsichtbares Publikum!”, so sprechen wir euch in unseren beiden Sendereihen an, sowohl hier im Artarium als auch an jedem 2. Freitag im Monat in der Perlentaucher Nachtfahrt (immer von 22:06 bis 01:00 Uhr). Doch unsere Zuhörys (entgendert nach Phettberg) haben ja verschiedenartige Vorlieben und neigen daher oft eher der einen oder der anderen Darreichungsform zu. Also wollen wir heut mal die Gelegenheit ergreifen, euch, liebes Artariumpublikum, unsere “Musikliterarische Gefühlsweltreise mit tiefgründigen Themen” schmackhaft zu machen. Denn wenn die Radiohasen drei Stunden am Stück Zeit haben, ihre Poesie zu entfalten, entsteht naturgemäß eine andere Art von Sendung ….. und eine andere Art von Erfahrung beim Zuhören.

Listening to Perlentaucher“Die Poesie vermag es, uns eine Ahnung zu vermitteln von dem, was unseren Verstand übersteigt.” So beschreibt das Konstantin Wecker in seinem neuen Buch “Der Liebe zuliebe”, das ich mit Vehemenz empfehle (das wird einer eigenen Sendung bedürfen). “Die Poesie vermag es, uns zu befähigen, das Wunder des Lebens in uns mit der brutalen Realität um uns herum wieder in Einklang zu bringen, auch wenn vieles zunächst einmal unwiederbringlich zerstört erscheint.” So möchte ich diesen Gedanken weiter führen. Und was machen wir dann gemeinsam in unseren monatlichen Nachtsendungen, in denen wir als Perlentaucher auf die Suche gehen nach den verborgenen Kleinoden der Poesie, die unmittelbare Berührung mit überraschender Erkenntniss verbinden? Das ist schwer zu beschreiben, doch darum geht es bei unseren Expeditionen eben auch: Worte zu finden für das Unsagbare:

“Wir wachsen so selbstverständlich mit der Sprache auf, dass uns teilweise gar nicht mehr auffällt, wie zauberhaft und magisch sie sein kann. Sie kann Welten öffnen, fantastisch und traumhaft; sie vermag es aber auch uns zu verletzen, hässlich zu sein, widerlich und ekelerregend. Sie ist unendlich weit, farbenfroh und so facettenreich; dennoch stoßen wir hin und wieder an ihre Grenzen. Sprache kann wirklich sprachlos machen. Manchmal verschlagt es uns die Worte, wir können nichts mehr sagen, bringen keinen Satz mehr hervor, als hätten wir ganz und gar verlernt zu sprechen …

Ich als Dichter lebe von ihr. Ich liebe und ich hasse sie; und bin auf sie angewiesen. Es ist schon merkwürdig wie ein Wort den Sinn eines ganzen Satzes verändern kann. Es ist ein ständiges Abwiegen, ein andauerndes Überlegen und Feilen, eine Arbeit, eine Beschäftigung, die niemals aufhört, immer weiter geht. Ich bin im Bann der Worte. Und kann doch über sie bestimmen! Ich glaube, es ist eine Art Symbiose. Ohne Worte könnte ich nicht meine Gedanken nieder schreiben und ohne mich blieben sie nur seltsame Hieroglyphen.” (Christopher Schmall in “Dichterwerdung” vom 8. August 2013)

Listening to You, Perlentaucher …

 

Golden Years

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. August – Die Band Tocotronic ist seit ihrer Mitbegründung der Hamburger Schule ein nicht wegzudenkender Beitrag zur sowohl selbstdenkorientierten als auch gefühlsganzheitlichen Lebenswahrnehmung vielster Mitmensch*innen geworden. Vor allem aber sind sie eine Band, die nie in einer Pose verharrte, um jahrzehntelang als Folklorezombie ihrer selbst (und ihrer Szene) zur Gaudi ihres Stammpublikums (und zum Klingeln der Kassen) wiederaufzuerstehen. Untote Endlosschleifner immer einunddesselben gibt es eh schon zum Speiben zuviel. Spätestens seit ihrem enigmatischen Song/Video “Ich tauche auf” (gemeinsam mit Soap&Skin Anja Plaschg) wissen wir, dass Tocotronic irgendwie “out of the box” sind. Und somit stellen wir euch (und uns) heute ihr aktuelles Album “Golden Years” vor.

Golden Years von TocotronicWenn ich da hineinhöre und mir die Texte von Dirk von Lowtzow durchs Bewusstsein wehen lasse, dann bin ich mir nie so ganz sicher, was das jetzt eigentlich ist … Philosophie? Selbstaufdieschaufelnehmung? Spiritualität? Lebenserfahrung? Weisheit? Verlorensein? Glück? Abgrund? Oder alles zusammen? Über all die Jahre sind uns immer wieder einzelne Aufblitzungen ihres fürwahr vielgestaltigen Schaffens begegnet, haben sich eingebrannt oder sind leise in uns eingesunken, nur um dann andernorts, andernzeits wie wohlvertraut wieder aus uns aufzutauchen. Das eine oder andere Mal haben wir davon berichtet, so wie wir im Radio immer von dem berichten, was sich gerade in uns ereignet. Zu Beispiel in den Sendungen “Songtexte auf deutsch” oder “Zwischen Leben und Überleben”. Abgesehen von den ganzen Alben “Schall und Wahn”, “Nie wieder Krieg” und eben jetzt “Golden Years”. Und auch Musikalben wollen, so wie Gedichte, erlebt werden.

Denn die zuvor aufgeworfene Frage, was das jetzt eigentlich ist, diese unserem Hirn und seiner Arbeitsweise so tief innewohnende Suche nach dem Vergleichbaren, nach Einteil- und Zuordenbarkeit, sie muss an der flirrenden Vielgestalt tocotronischer Verweise zerschellenund führt so zwangsläufig ins Leere. Oder ins Unendliche. Ist da, jenseits der vorgegebenen Bedeutung, jenseits der vermeintlichen Sicherheit, jenseits der vielleicht lebenslang falsch verstandenen Systeme womöglich doch auch ein Urgrund – unter dem grund- und bodenlosen Abgrund? Das Leben spüren …

Das Leben lebt … Golden Years.

 

Medienfachperson

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Juli – Zwei Menschen lernen einen Beruf und erschließen sich mancherlei Möglichkeiten. “Medienfachmann/frau” wurde das bisher genannt, demnächst soll es dann “Medienfachkraft” heißen (was wir nicht soo poetisch finden). Darob, und weil die Radiofabrik (der Germ der Gesellschaft) den Beruf mit -mann/frau/* beschrieb, haben wir “Medienfachperson” zum Titel gemacht. Nach Hermes Phettberg hieße es wohl “das Medienfachy”Doch nun begegnen sich die zwei durchaus verschiedenen, wiewohl schon auch sinnverwandten Lernenden zum ersten Mal Live im Radio – und vergleichen ihre unterschiedlichen Ausbildungen: Luca Standler ist Lehrling in der Radiofabrik und Christopher Schmall nimmt am BFI-Kurs “Medienfachmann/frau Two in One” teil. Und wir dürfen neugierig sein

Medienfachperson… und uns in die Erlebniswelt ihrer Berufswahl hinein versetzen (lassen). Anmerkung: Wenn wir über “Sprache schafft Bewusstsein” nachdenken, dann wäre das ein klarer Fall fürs Mediopassiv. Wie ließe sich sowas “auf Deutsch” ausdrücken? Der Soziologe Hartmut Rosa … aber das würde jetzt den Rahmen sprengen. Jedenfalls hat das, was unsere beiden Menschys beschäftigt und begeistert (also womit sie sich herumschlagen und was ihnen wieder neue Perspektiven aufzeigt) viel mit Kreativität und neuen Ausdrucksmöglichkeiten zu tun. Wenn man sich in die oberbei verlinkten Lehrinhalte vertieft, dann entsteht der Eindruck, hier würde nicht bloß ein einzelnes Instrument erlernt, sondern eher ein ganzes Orchester und dazu noch wie man es sinnvoll dirigiert. Derlei versetzt einen im ersten Moment gern einmal in eine Art von “Hilfe! Hilfe!”-Überforderungsgefühl, das jedoch schon bald in ein neugierigmachendes “Boah, is des geil!”-Lernlustempfinden übergeht – und sich in weiterer Folge sogar zu einer echten “Ha! So geht des!”-Befriedigung auswachsen kann – und bei regelmäßiger Anwendung unweigerlich auch wird. Es geht doch nichts über den Gesichtsausdruck von jemandem, der/die gerade das entdeckt, was er/sie am liebsten mag, und dann sagt: “Des is sowos vo meins!”

Wie war das nochmal mit dem Andy Warhol?

Unlängst traf ich nach längerer Zeit wieder einmal eine dieser damals mit 14 recht ratlos wirkenden, von den Irgendwers gern mit dieser oder jener Begründung sprich Problemen sprich Diagnose ins schuldhafte Nichts ausgespuckten Gestalten, der mir von seiner “neuen Schule” erzählte, in der es genau um das geht, was ihn wirklich interessiert. “Weißt du”, sagte er, “ich hab mich zum ersten Mal freiwillig hingesetzt und gelernt. Das hab ich vorher noch nie jemals gemacht.” Ob Maschinenbau oder Medienfachperson oder  … was du noch nicht zu kennen glaubst, wiewohl du

es ja doch immer schon bist!

Wie war das nochmal mit dem Pinguin?

 

Virgin

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Juli – Virgin? Wohl nicht im Sinn sexueller Unberührtheit. Ganz im Gegentum, zurück zum Unzerstörten, das immer schon war und das sämtliche Sinne und Sensationen ganz natürlich in sich wahrnimmt – und sie aus sich selbst heraus ins Leben entfaltet. Virgin – das neue Album von Lorde öffnet mir Zugänge in ungeanhnte Welten jenseits der Hörgewohnheit, die jedweden allzu “massentauglichen” Pop von vorn herein ausblendet. Das ist einerseits ihrer zutiefst glaubhaften Poesiearbeit sowie ihrer überzeugenden musikalischen Gestaltung zu verdanken, die das Gesamtbild genauso stimmig wie selbstbestimmt klingen lassen. Und andererseits dem jahrelangen Bemühen meines Sendungspartners Christopher Schmall, von der Musik lyrisch zu erzählen. Und so beschreibt er “lordes virgin”:

Virgin (Lorde Album)junge frau
hämmert fragen
wandelt form zwischen
egotod und dna
augenblicklich
durchscheinblau
erwachsen aus scherben
könnt sie’s bloß sehen
loses abbild

nur logisch auf musik
mit poesie zu reagieren
verdichtungsreaktor einschalten
sich annähern mit rätselsinnlichkeit
nicht als funktionsinfozerrede
zwar kann über musik zu schreiben
so manches offenlegen
kann schleier lüften licht
werfen auf verborgene zusammenklänge
oder interviews mit der künstlerin
der herrscherin ihrer welt
in denen sie über ihr werk spricht
zum beispiel als nebenprodukt
innerseelischer entwicklungen
dich klararten mit klärkunst
dich freiheitern und basteln
am sound deiner selbstoffenbarung
greif in dein verstricktes dunkel
deinen urwald aus widerspruch
und gleichzeitigkeit aus dir
strömen lassen stöhnen
murmeln singen sprudeln
quellen krachend brechen

wrack werden horizont
jemand anderes erinnerung
als gäbe es keinerlei grenzen
so himmel so
himmlisch angesengt
so hin und her
wie schaukel über abgrund
sterne blinzeln herauf
und deine füße auf asphalt
in deiner hand flüssiger kristall
wunder über wunden
im blut die unnatur
die natürliche spaltung
und verschmelzung im blut
nicht mehr als versuche
die existenz zu ergründen
anzupinnen ans bewusstsein
vom atemhauch auf feuchtheißer haut
nach ekstase und ausschweifung
löst sich ein funke du
wir glühen alleinsam
also laufen ins messer
scharfe ungewisse wilde jetzt
in den moment in die halbe ewigkeit
zwischen zwei wimpernschlägen
wir tanzen und tanzen und springen
und krallen uns fest
auch an einander
und lassen nicht los
was wir glauben zu wissen
und stolpern ins leben
und fallen zerschellen
lassen uns sterben
aus den trümmern
setzen sich wieder und wieder
zusammen ein sein ein weiter
vielleicht nicht rein nicht unbefleckt
doch neugierig hungrig verwegen
jeder tag ein verwandeln
nichts bleibt still
die dinge sprechen aus dir
du hörst dir zu
bleibst dir nah
während du auf abstand gehst
um die fäden zu sehen
an die wir geknüpft sind
du malst bilder vom chaos
von der ruhe im wahnsinn
und der schönheit einer abgefuckten welt

 

Post Scriptum – Gespräche und Interviews, zum selbst Entdecken:

Fashion Neurosis (with Bella Freud)

Therapuss (with Jake Shane)

Solid Air (with Derrick Gee)

Tapes Note Podcast (with Producer Jim-E Stack)

triple j (with Abby & Tyrone)

 

 

Alles muss repariert werden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Juni —– Alles Antilopen Gang

Also jetzt mal ganz spekulativ
Ich nutze ganz bewusst lieber den Konjunktiv
Ich schriebe einen Text, der im Konflikt mit dem Gesetz
Behauptet, Strache sei ein Reptiloid
Und angenommen, der Text gipfelte in einem
Aufruf, die Welt von den Faschisten zu befreien
Und sie zurück in ihre Löcher reinzuprügeln noch und nöcher
Statt ihnen Rosen auf den Weg zu streuen

Antilopen Gang - Alles muss repariert werdenJuristisch wär die Grauzone erreicht

Doch vor Gericht machte ich es mir wieder leicht

Zeig mich an und ich öffne einen Sekt

Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt

Danger Dan – Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt (Volkstheater Wien Version)

 

Es wird früher dunkel, in den Straßen schwarzer Rauch
Zorniges Geschrei, die Fassaden flackern blau
War das jetzt ein Böller oder war das schon ein Schuss?
Stolpersteine werden dieses Jahr nicht mehr geputzt
Es ist kalt geworden, sie macht die Heizung an
Und bringt die Kleinen dann ins Bett, sagt ihnen: „Keine Angst“
Dann nimmt sie die Mesusa aus dem Türrahmen
Dafür steht hinter der Tür jetzt ein Schürhaken
Mein Taxifahrer redet wie ein Nazi
Führe lieber keine Diskussionen auf der Party
Freunde und Freundinnen mit starken Überzeugungen
Hamas-Propaganda an Kreuzberger Häuserwänden
Osama wird auf TikTok zum Superstar
Linke Tasche Pepperspray, rechte Tasche Kubotan
Zieht sich die Kapuze tiefer ins Gesicht
Omas Kette mit dem Stern trägt sie lieber wieder nicht

Antilopen Gang – Oktober in Europa

 

Wir kennen nicht den Weg, wir fühlen uns verloren
Wir wissen nicht mehr weiter, sind müde geworden
Wir haben keinen Plan, wir drehen uns im Kreis
Aber sind immer noch die besten im direkten Vergleich
Wir werden beschimpft, wir ecken nur an
Den Punkern zu Rap, den Rappern zu Punk
Und wir werden sogar von der Springer-Presse gehypt
Aber sind immer noch die besten im direkten Vergleich

Antilopen Gang – Direkter Vergleich

 

Echte Menschen Live

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Juni – Jetzt bin ich wieder ein Kommissar (am 5. Juni in die Programmkommission der Radiofabrik zu Salzburg gewählt) und da besteht ja eine meiner Aufgaben darin, allerhand Sendungen von Kolleg*innen “gut zu hören”, also sie zu entdecken und zu verstehen, wie sie funktionieren. Wie es der Zufall (oder war es ein Wunder?) will, begegnete mir eine höchst interessante solche quasi “im Vorbeigehen” (am Außenlautsprecher vor dem Radiofabrik-Office). Da unterhielten sich gerade zwei Frauen über die erstaunlichsten Wendungen des Lebens, die erst im Rückblick auf dem Weg ins radikal Eigene (zu sich selbst) einen ganz speziellen Sinn ergeben. Ich war so fasziniert, dass ich – geradezu eingesaugt in dieses Gespräch – innehielt und dachte: “Da sind echte Menschen live unterwegs!”

Echte Menschen LiveGenau das ist es doch, was Freies Radio im innersten ausmacht und was wir in unseren Sendungen stets als Alleinstellungsmerkmal sowie als Wesenskern des Unterfangens beschreiben: “Hier sind noch echte Menschen am Werk, die man beim hören auch spüren kann.” Und so eine unmittelbare Begegnung“im Vorbeigehen mitkriegen” und dann da noch zuhörend mit einsteigen können in die Resonanz” – das finde ich wirklich bemerkens- und auch unbedingt empfehlenswert: Es handelt sich um die Sendereihe “Gesprächsfunken – Facetten vieler Leben” von Brit aka Birgit Brandner. Und die Folge, von der ich hier berichte (und von der wir diesmal auch erzählen wollen), heißt “Über Drogen, Scheitern und die Frage nach dem Tod”. Gesprächspartnerin ist dabei die Alterswissenschafterin und rundum umtriebige Lebensbefürwortungsexpertin Sonja Schiff. Eine live und lebendig mitzufühlende Verständigung mit sogenannten tiefen Themen. Chapeau!

Es machen sich aber nicht nur Frauen, sondern durchaus auch Männer auf einen emanzipatorischen Weg – weg aus der Befängnis des Hergebrachten und hin zur Schaffenskraft der Selbstbestimmung – wobei, liebe Geschlechtsgenossen, wie schauts eigentlich aus mit der Emanzipation von dem seltsamen Patriarchat? Wir sind ja auch nicht dessen Nutznießer (wenn wir niemand mehr unterdrücken), wir sind doch auch alle in klebrigen Fäden verstrickt und müssen zappeln, wenn (ja, wer eigentlich?) zupft. Bis wir umfallen. Sind wir dessen nicht längst überdrüssig?

erostepost das sommerfestAlso wollen wir noch ein paar “zwei Männer machen sich gemeinsam auf den Weg” auspacken, sowohl aufgenommen als auch  LIVE im Literaturhaus Salzburg. Da lesen am kommenden Dienstag um 19:30 Uhr Christopher Schmall und Robert Kleindienst “stand auf gegen” und dort deklamieren und performen am Donnerstag darauf beim erostepost Sommerfest der Erstgenannte zusammen mit mir (nebst anderen Gäst*innen) “in und um einander”. Das ist fast schon der beste Sommer von allen …..

“Spontane Rebellion und Solidarität sind Akte, die jetzt wertvoll sind.
 Es ist nie zu spät.”

Beatsteaks vs. Dirk von Lowtzow – French Disko (Tschick)

“No God, no King, I said love is the thing.”

IDLES – Grace

Echte Menschen, Live!

 

 

You want it darker

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Juni“Endlich Sommer Unendlich” heißt die aktuelle Perlentaucher-Juninachtfahrt, die uns auf eine Stimmungsreise zwischen unendlichen Möglichkeiten und immer wieder eintretender Endlichkeit einlädt. Da ist es kein Wunder, dass mir dabei einiges an unbewältigtem Kindheitstrauma in den Sinn kommt. Meine Sommer werden nie wieder unendlich sein. Oder vielleicht doch, nur anders als damals? Jedenfalls begegnen wir hier einem erstaunlichen Phänomen – dass nämlich Musik und Lyrik aus der Schaffenswelt des Depressiven wohltuend wirken können – auf Menschen, die selbst gerade in sich ausweglos anfühlenden Lebenskrisen unterwegs sind. Darum spielen wir heute das Altersmeisterwerk “You Want It Darker” von Leonard Cohen und wünschen uns einen heilsamen Sommer!

You Want It DarkerIn den vergangen Jahren haben wir Leonard Cohens Werk vielfältig angeleuchtet. Als er im Jahr 2016 starb, haben wir ihm auch einen “Nachruf, der keiner ist” in die Unendlichkeit geschrieben. Beim Begräbnis meiner Cousine Elke Mader haben wir die Liveversion von Anthem (2008) gespielt, weil:

Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in

Wer ein Leben lang mit seinen Depressionen kämpft und dabei über 80 Jahre alt wird, der ist ein ausgeprägter, ein sehr deutlicher Überlebender. Das führt uns zu einem weiteren Aspekt seines Lebenswerks, den wir im Rahmen dieser Albumpräsentation gleich mitbeleuchten wollen: Sein lebenslanges und oft verzweifeltes Ringen mit den Bildern eines Gottes, der dem menschlichen Leid unerbittlich und gewaltvoll gegenüber steht. Aus welchen Quellen und Erfahrungen sich die alttestamentlichen Vorstellungen bei ihm speisen, das wissen wir nicht, doch wir haben da eine Spur.

Es geht um Gewalt (in welcher Form auch immer) und um das Vertrauen von Kindern in ihre Eltern (die ja zunächst als ihre irgendwie allmächtigen Schöpfer erlebt werden). Und es geht um die absoluten Normen (die unhinterfragbaren Regeln und Gesetze), in deren Namen (!) Kinder von ihren Eltern Gewalt (seien es Schläge oder sei es das Vorenthalten von unmittelbarer Zuwendung oder whatever) erfahren. In dem Lied “Story Of Isaac” treffen die beiden Ebenen (die persönlich-individuelle wie auch die allgemein-ideologische, religiöse, gesamtgesellschaftliche) vortrefflich aufeinander.

This might get so much darker than you ever expected. Dass Suzanne Vega den Song 1994 covert, nachdem sie sich Jahre zuvor mit ihrem Hit “Luka” auf den Weg zur Verarbeitung ihrer eigenen familiären Gewalterfahrung gemacht hat – das ist immerhin auffallend. Und wie viel unhinterfragbare (weil im Namen Gottes) Gewalt in dieser ganzen Opferung-Isaaks-Geschichte steckt, dem haben wir selbst einmal in der Sendung “Abrahams Nebenwirkungen” nachgespürt. Ihr kennt uns, wir bringen gern auf Gedanken “aber wir deuten nur an” (wie Thomas Bernhard sagen würde).

Eine sehr schöne (weil aus persönlichem Erleben heraus entwickelte) Rezension des Albums “You Want It Darker” hat übrigens Dirk Knipphals für die taz geschrieben …

 

Die verwaltete Welt

Artarium am Sonntag, 8. Juni um 17:00 UhrWir werden verwaltet – und wir verwalten uns selbst. Wie meinen? Zwischen unseren letzten zwei Sendungen, die einigermaßen begeistert über die Leseperformance “NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns” berichteten, und unseren kommenden Radioarbeiten, die sich auf den anstehenden Sommer mit seinen illustren Festen beziehen, möchte ich quasi als Nachtrag zu all der “Kritischen Theorie” und “Dialektik der Aufklärung”, die uns an jenem denkwürdigen Abend im Literaturhaus regelrecht “einverdichtet” wurden, ein legendäres Gespräch mit dem Titel “Die verwaltete Welt” von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Eugen Kogon (aus dem Jahr 1950) zu Gehör und vor allem zu Gespür bringen. Denn es kommt sehr darauf an, wie sich die Herren dabei anfühlen:

Die verwaltete Welt“Herr Professor Horkheimer, Herr Professor Adorno, ich wollte unser Gespräch über die verwaltete Welt beginnen mit der Feststellung, dass der moderne Mensch herumirrt – suchend nach seiner Freiheit. Und die Art, wie ich eben zu unserem Gespräch gekommen bin, und wie ich weiß, dass auch sie kamen, die erinnert mich sehr an diesen Zustand.

Jetzt, vor einer halben Stunde, sollte ich bereits woanders sein. Und von ihnen, Herr Professor Horkheimer, weiß ich, dass sie in einer Viertelstunde bereits in Bad Nauheim sein sollen. Und wir wollen uns doch ausgiebig, ruhig und vernünftig über dieses so enorm wichtige Thema unterhalten: Die verwaltete Welt. Und da sitzen wir also, sozusagen zitternd, nervös, weil andere Termine auf uns warten. Von diesem Zustand müssen wir frei werden.

Ich für meine Person werde also jedenfalls bei unserem Gespräch jetzt so tun, als ob ich beliebig Zeit hätte. Und ich denke, dass aus diesem “als ob” eine Wirklichkeit werden kann. Und das ist, glaube ich, genau das Thema unserer Unterhaltung: Ob es möglich ist, eine solche Haltung einzunehmen, und daraus eine neue Wirklichkeit zu machen …”

 

Es fasziniert doch immer wieder, wie aufmerksam die drei Herren in ihrem Gespräch auf einander Bezug nehmen und wie präzise, ja geradezu druckreif sie nach all der Erniedrigung und Lebensgefahr, die sie während der Nazizeit erlebt haben, hier ihre Überzeugungen ausdrücken. Dies mitanzufühlen, macht auch jüngeren Menschen, die nicht fachspezifisch in Geschichte, Philosophie oder Sozialkritik vorgebildet sind, eine Denkweise zugänglich, die uns allen immer noch dabei helfen kann, uns in der zunehmend unübersichtlich werdenden Welt, in der wir leben, zurecht zu finden …

Wie aktuell ihre Gedanken für unseren Umgang mit Zeitnot, Termindruck und Stress sein können, das erklärt sich aus dem oben abgedruckten Einstieg in jenes Gespräch sozusagen von selbst.

 

Hören sie genau hin …