Buchhändler unseres Vertrauens

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. September“Er hat meinen Einband geknickt! Er hat meinen Einband geknickt!“ So lamentiert ein aus dem Regal gefallenes Bändchen von Alfred Döblin eines Nachts laut und vernehmlich in Jochen Malmsheimers Bibliothek. Was sich dortselbst des weiteren abspielt, sobald seine Bücher (die ja ihrer Natur nach von Leben erfüllt sind), auch noch zu sprechen und miteinander zu streiten beginnen, das ist hier und heute im titelgebenden Auszug aus dem Programm “Flieg, Fisch, lies und gesunde…” gut zu hören. Was jedoch einen Buchhändler unseres Vertrauens genau ausmacht, das wird sich dem geneigten Ohre erst in der Zusammenschau eröffnen! Denn wie beim Lesen können auch beim Hören hirneigene Bilder und Assoziationen entstehen – sofern der dazu nötige Freiraum nicht vom dichten Gedudel verstopft wird.

BuchhändlerOder vom klebrigen Werbebrei in eigener Absicht, der uns im penetranten Befehlston und mit immer noch supereren Superlativen so derart das Aufmerken zuscheißt, dass gar kein Platz mehr fürs eigene Empfinden bleibt, nur noch fürs Befolgen der Denkanweisung. Diesem Dummtum der digitalen Demagogie setzen wir schön geschichtete Sendungen zuwider, in denen der lyrische Kosmos unserer Mitreisenden aufblühen und wuchern kannSchön geschraubt! Man könnte jetzt einfach auch nur “Scheißkommerz” schreien, jedoch war mir dieser reaktive Flachsprech einer sogenannten alternativen Rebellen- oder Punkszene von Anfang an verdächtig, und im höchsten Maße unsympathisch. Bäh! Sehr sympathisch ist mir im Gegenzug jenes Selbstverständnis, mit dem etwa Klaus Seufer-Wasserthal die Vorstellung “wirklich Buchhändler zu sein” zum Leben bringt. Dass nämlich im persönlichen Gespräch mit den Kund_innen (und das sind ja stets auch Leseinteressierte) die Empfehlungen der von ihm selbst gelesenen Bücher eine ganz wesentliche Rolle spielen. Dieser tröstliche Gedanke erinnert mich an meinen Lehrlings-Ausbildner in der ehemaligen “Buchzentrale”, den nachtaktiven und darob auch legendenumrankten Herrn Huber, der bei jeder Gelegenheit zu sagen pflegte: “Sie wollen ja Buchhändler werden, also müssen sie lesen, lesen, lesen.” Deshalb kam er selbst wohl erst spätnachmittags in die Firma – um nächtelang ungestört zu lesen

Um Ideen und Inhalte zu vermitteln! Auch mein selbstgewählter Bildungsauftrag: PeterLicht am Samstag, 30. 9. in der ARGEkultur – Worte wollen, Worte können. Kunnst?

 

Das erzählte Mittagessen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. August“Wir sind auf einem überfüllten Planeten, auf dem zurzeit sieben Milliarden – und es sollen noch zehn Milliarden werden – darum kämpfen, einen Platz an der Sonne zu behalten und genügend Wasser zu trinken und genügend Öl zu verpulvern und genügend Strom zu verpulvern. Wir verhalten uns ja, als ob wir noch vier weitere Erden vor uns hätten. Die Sparsamkeit, zu der auf Umweltkonferenzen immer wieder aufgefordert wird, findet ja nirgends statt, die Chinesen und die Inder wollen endlich genauso reich werden wie die Amerikaner, also das ist eine düstere Zukunft.” So formuliert es der rastlose Sprachkritiker Wolf Schneider unlängst in einem Interview auf Deutschlandfunk Kultur. Er prägte auch jenen famosen Titel mit dem erzählten Mittagessen. Höchste Zeit also, selbst wieder eine Insel zu finden.

MittagessenIm Medium Radio dergestalt von Geschmäckern und Gerüchen zu erzählen, dass den Zuhörenden das Wasser im Mund zusammen läuft oder andere körperliche Effekte widerfahren, ist schon eine echte Herausforderung. Genauso ist es wohl auch bei Bildern, Filmen und überhaupt allem, was nicht von sich aus klingelt, scheppert oder tönt. Wie sich dennoch davon erzählen ließe, das wollen wir diesmal ausprobieren, und zwar am nahen Beispiel einiger Filme, die uns speziell begeistern. Nun mag man (oder jederfrau) sich fragen, was eigentlich ein Spielfilm mit dem erwähnten Mittagessen zu tun haben könnte. Und wir verweisen auf den Begriff der Insel, den wir, wenn auch im übertragenen Sinn, gern als zeitweilen Fluchtort vor dem grausen Weltgedümmel wählen. Klartext: Es muss Schutzzonen geben (egal ob zeitlich, räumlich, thematisch, sozial), wohin man sich zurückziehen kann vom Dauerstress immernder Nutzbarkeit, der einen allenthalben förmlich zuscheißt mit … da capo. So können zwei Stunden zum Abtauchen in die Opulenz der Bilderfluten schon äußerst hilfreich sein. Folglich versuchen wir, euch ein paar solcher Inseln zu vermitteln, indem wir von ihnen erzählenund sie (nebst Filmmusik) empfehlen

 

DÖF – Das ganze Album

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. August – Die Welt ist voller Anekdoten, da wollen wir auch wieder mal ane doktern. Oder ein Sackl. Denn die Perle aus dem Jahr 1983, die wir allhier und jetzt zu Geöhr bringen, hat es diesbezüglich wohl faustdick hinter denselben: Das schlicht DÖF betitelte und von Manfred Deix kongenial illustrierte Debutalbum des Wiener Kunstschmähprojekts Tauchen & Prokopetz (das darobhin als “Deutsch-Österreichisches Feingefühl” bekannt ward) steckt voller idealer Ideen. Und interessanter Referenzen, wenn man sowas mag. Der Hase meint zwar, dass ihn derlei Detailrecherche weniger anspricht, ich hingegen werd bei so Reminiszenzen im Umfeld meiner eigenen frühen Soundbasteleien unweigerlich zum Jäger und Sammler.

DÖFZur Vorgeschichte: Entsprechende Würdigungen der Herren Tauchen und Prokopetz – speziell als Dichter und Darsteller von Hörspielwelten gemeinsam mit Wolfgang Ambros – entnehme man zum Beispiel unseren Sendungen über den Augustin oder das Schaffnerlos. Die bei DÖF als Produzentin firmierende Ex-Ideal-Sängerin Annette Humpe setz ich einfach mal als eh bekannt voraus. Sie ist bloß weder verwandt noch verschwägert mit ähnlichlautender finnischer Musikrichtung. Warum aber, abgesehen von Nostalgiekitsch sowie der eher flachen Genrezuschreibung “Neue Deutsche Welle” (was bedeutet, dass uns auf jeder 80er-Party für nicht mehr ganz Taufrische der damalige Hit Codo in die Ohren gezwängt wird) – warum also ist ausgerechnet dieses Album heutigentags noch/wieder gut zu hören? Da gibt es einige Argumente, die einen neugierig machen könnten: Zuallererst das Soundbild, das jenen Quantensprung in der Audioproduktion wiederspiegelt, als erstmals Digitaltechnik in den führenden Topstudios zur Anwendung kam. Da ist es schon bemerkenswert, dass Richard III. (oder eben Oesterreicher Jr.) zum Abmischen und Finalisieren der von ihm in Wien gemachten Aufnahmen die legendären Hansa-Studios in Berlin auserkor, wo bereits David Bowie (mit Blick auf die Mauer) seine Berlin-Trilogie produziert hatte…

Zudem geben sich schon bei der Entstehung von DÖF einige Studiomusiker die Klinke in die Hand, die man getrost als die sehr erste Riege ihrer Zunft bezeichnen kann, etwa Peter Vieweger, Thomas Rabitsch, Peter (Animal) Koller und Robert Pistracher (der hier seltsamerweise mit weichem B aufscheint – und dessen Links deshalb ins Nichts führen), sie haben unter anderem jahrelang bei Hansi Lang, Drahdiwaberl, Harri Stojka und Falco mitgewirkt. Also auch rein handwerklich eine genussverheißende Auswahl. Und last but not least die inhaltliche Mischung aus Kabarett und Popsong, die einem nach wie vor (also alterslos) ein Kopftheater der Extraklasse verursacht. Gut zuhören! Und wir würdigen but not allerleast Laura, unsere frischgebackene Mädchenfachfrau, mit einer fettfröhlichen Signation und warten seither aufs unvergessene Taxi (Video).

PS. Die Laura ist aber schon immer sehr freundlich am Telefon…

 

Dichterlandschaften

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. JuliVom Zauber der Dichterlandschaften erzählt Brita Steinwendtner in ihrem neuen Buch “Der Welt entlang”. Dazu besucht sie nicht weniger als 18 höchst unterschiedliche Gestalter_innen von Wortkunst in deren jeweiligen Lebens- und Schaffensräumen. Denn, so eine These dieses schon 2007 mit dem Band “Jeder Ort hat seinen Traum” begonnenen Work in Progress, die vielschichtige Wechselwirkung zwischen den Dichtenden und ihren Landschaften hat immer auch einen wesentlichen Einfluss auf die daraus entstehende Werkwelt. Folgerichtig müsse man die Autor_innen dort aufsuchen, wo sie leben, um so besser verstehen zu lernen, wie sie schreiben. Und genau das glückt Brita Steinwendtner in den 18 feinsinnigen Portraits ihrer Reise durch 18 verschiedene Dichterlandschaften.

DichterlandschaftenDabei herausgekommen ist ein in jeder Hinsicht dichtes Kompendium, das sich der Genrezuschreibung entzieht, weil es sich in Aufbau und Gestaltung, in Bild- und Wortwahl genauso verschieden verhält, wie die darin portraitierten Künstler_innen nun einmal ihrem Wesen nach sind. Es ist die geradezu zeituntypische Stärke dieses Unterfangens, ein so hohes Maß an Intimität zu schaffen und dabei doch nicht aufdringlich, einmischend oder respektlos grenzverletzend zu sein. Zugleich ein Zitatenschatz (sorgfältig mit Quellenangaben hinterlegt), vielfältige Einladung zum weiteren Entdecken, nachhaltig neugierigmachend, im besten Sinn verführererisch, sowohl Steinwendtners Steinbruch als auch Kreativkonglomerat, Dichtung von und mit Dichter_innen wie zum Beispiel Monika Helfer und Michael Köhlmeier, Friederike Mayröcker, Juri Andruchowytsch, Hubert von Goisern, Ilija Trojanow. Ein idealer Reisebegleiter zum Hineinstaunen in immer neue Welten oder wie es eine Nachbarin ausdrückte: “Jetzt bin ich auf Jahre hinaus mit Anregungen für meine Lektüre versorgt.” Wir haben unsererseits die Brita aufgesucht und sie ins Kunnst-Biotop gebeten, zur wechselseitigen Belebung der Dichterlandschaften

“Seit fünfzehn Jahren hatte ich diese Jandl-Mayröcker’sche Mansardenwohnung nicht mehr gesehen. Es erstaunte mich und doch auch wieder nicht: Sie sah aus wie die Wohnung im vierten Stock. Zugewachsen. Schreibhöhle und Irrgarten. Gefängnis oder Geheimnis? Edith hatte Friederike ein geschmücktes Weihnachtsbäumchen gebracht, schief stand es zwischen den Gebirgen aus Büchern, Zettetlabyrinthen und kleinen bunten Wäschekörben, überquellend mit Papierenem auch sie. Ist die Weit hier ausgeschlossen oder vielmehr hereingeholt in tausendertei gedruckte Tanderei? In den Atem lebensnotwendiger Schrift und Schriften, die sich vermehren wie das Myzel einer tropischen Pflanze? Für Friederike ist diese Verzettelung ein Lebensmuster, sie kann es ironisieren und hat selbst Angst vor den Hurrikanen aus Staub.”

Aus Der Welt entlang” (Besuch bei Friederike Mayröcker)

 

Herabwürgung religiöser Lehren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. JuliEine intelligente Sendung über das, was geht – und das, was nicht geht. Und darüber, wie man es doch machen und dabei auf der sicheren Seite bleiben kann. Es geht natürlich um die sogenannten No-Gos der Programmgestaltung wie etwa Sexismus, Rassismus, Aufrufe zur Gewalt und das elegante Beleidigen von Religionsvertretern sowie sonstigen Oberhäuptern. Ganz offensichtlich (das legt ja schon der Titel nahe) handelt es sich hiernei um einen satirischen Beitrag, der im Brecht’schen Sinn (unter anderem durch Übertreibung) “die Wirklichkeit zur Kenntlichkeit entstellt“. Oder wie beschrieb einst Karl Kraus den Salzburger Jedermann?“Der aberwitzigste Dreck” – und trat umgehend aus der katholischen Kirche aus. Na also, geht doch. Und jetzt wir: ACHTUNG SATIRE!

HerabwürgungRufen wir also zunächst einmal zum Oralverkehr mit einem Gangsta-Rapper sowie zur Tötung eines populären TV-Moderators auf, verhöhnen wir sodann pauschal alle männlichen Journalisten (das ist doch sowas von sexistisch), bevor wir die christliche Religion schmähen und dabei die geistige Gesundheit des Papstes in Frage stellen, Angela Merkel “ficken” sagen lassen – und darüber nachdenken, warum sich Kurz auf Furz reimt. Alles ganz schön gefährlich – doch im geigneten Kontext, in indirekter Rede, als Satire kenntlich gemacht oder einfach nur mit dem richtigen Konjunktiv geht viel mehr, als man glaubt, können zu dürfen. Denn unsere Inhaltsregeln sind nicht dazu da, bestimmte Themenbereiche insgesamt aus dem Programm zu verbannen. Sie dienen vielmehr dazu, bestimmte Haltungen wie Hetze, Kommerz, Propaganda und überhaupt das Fürdummverkaufen der Hörer_innen hintan zu halten. Genau dafür gibt es auch die Programmkommission. Und nicht dafür, dass hier alle so schön sprechen, wie es einige Wichtigkeiten wohl gern hätten, dass wir ihnen Honig ums Maul brunzen.

Herabwürgung WarnhinweisAuf jeden Fall werden wir in dieser Sendung einige Möglichkeiten des Umgangs mit “schwierigen Themen” exemplarisch anleuchten, naturgemäß auf die uns eigene Art der augenzwinkernden Zwischentöne. Denn zwischen Warz und Schweiß existieren ja unzählbare Schattierungen von Gunkel und Heil. Womit wir beim Antisemitismus angelangt wären, einer der zahllosen Varianten des Rassismus (den wir nicht mögen). Und somit bei einem weiteren Grund, weshalb diese Darbietung keine (nach § 188 StGB strafbare) Herabwürdigung religiöser Lehren ist, sondern die Darstellung genau jener Herabwürgung, die viele Menschen guten Willens Tag für Tag so unsäglich schlucken macht, wenn sie versuchen, zu verdauen, was ringsum vorgeht. Die fortwährende Herabwürgung des Brechreizes, den die Hirnblasen der religiösen Leeren bewirken.

Deppert sein sollte man dabei lieber nicht. Aber hört selbst…

 

Hasen wie wir

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. JuniJenseits des Osterhasen wäre noch Platz für ganz normale Hasen, wenn die in unserer seltsamen Kultur nicht immer nur als Jagdbeute gesehen würden. Vom Kulturimport Playboybunny einmal abgesehen, ist etwa das notpuderige Erlegen der Schihaserln durchaus wesensverwandt mit der blutrünstigen Mühlviertler Hasenjagd. Was jedoch passiert mit derartigen nur allzu gewohnten Weltbildern, wenn die Hasen einmal tatsächlich den Platz (und die Rolle) der Menschen einnehmen? Dazu können wir beispielsweise den Kurzfilm “Poilus” von ISART DIGITAL auf uns wirken lassen, in dem animierte Hasen die französischen Soldaten des 1. Weltkriegs verkörpern und dadurch die Grausamkeit des Gemetzels erst recht entlarven. Menschen als Schlachtvieh oder Hasen wie wir?

Poilus Hasen BegegnungIn anderen Kulturen wird der Hase als Sonnenschöpfer (First Nations), Spender des Lebenstranks (Japan) oder Begleiter von Gottheiten und zauberkundigen Frauen (keltisch) wahrgenommen. Bei uns nach der Christianisierung als böses Hexentier, das Symbol entfesselter Geilheit… Darob ließ ein gewisser Papst Zacharias im Jahr 751 sogar den Verzehr von Hasenfleisch verbieten, weil er dies als sitten- und moralgefährdend einstufte. Ein “unreines” Tier also. Jössas! Und wie war das mit dem Osterhasen? Achso, ein Überbleibsel der Zwangsbekehrung wie auch die Flurnamen keltischer Kultplätze, auf welche die Religion des Friedens sogleich ihre Wallfahrtskirchen und Maria Dingsbumse gewaltsam obenaufpfropfte. Wir leben in einer Kultur des Eroberns und Beherrschens, ganz nach dem Motto Töte oder stirb. Was für eine Errrungenschaft! Je gläubiger, desto wahnsinnig. Und höchst wahrscheinlich ist ein Grund für die hintergründige Kraft des skandinavischen Kunstschaffens eben die nie so ganz flächendeckende Christianisierung in den Herzen und Hirnen der dort Lebenden…

Poilus Hasen FerdinandDoch zurück zum Hasen an sich. Wie das alles anfing, dass wir zwei zueinander erstmalig Hase sagten, wie wir dieses Wort dann in immer neuen Verbindungen wie Hasenhund, Hasensalat oder Hasenschwall steigerten, sogar bis zu dem inzwischen legendären “Wir sind die Hasen!” Und wie sich daraus fast unbemerkt die Vorstellung entwickelte, in unserem Menschsein einige wesentliche Eigenarten dieses weithin unterschätzten Naturgefährten zu entdecken – und zu erforschen. Vom Wesen des Hasen inspiriert zu einem friedvolleren und gewaltfreieren Menschendasein – auf einer Welt voller Verbrecher und folgsamer Idioten. Da ist es wohl kein Zeitzufall, dass der Hase Ferdinand im wirklich ausgezeichneten Kurzfilm “Poilus” inmitten der Schlachtfelder des 1. Weltkriegs ausgerechnet jenes Thema von Beethovens “Ode an die Freude” spielt, das auch als Hymne des geeinten Europa bekannt ist. Darüber hinaus bietet das Künstlerkollektiv Institut Hasenbart Wissenswertes zum Selbstinterpretieren. Betrachten wir also die Welt aus der Perspektive der Hasen!

 

Ursonate (Excellent Birds)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JuniKurt Schwitters‘ Ursonate ist beileibe kein Nonsens. Und das Orff-Institut für Elementare Musik- und Tanzpädagogik (Ernst Jandl hätte es nicht besser betitelen können) ist auch kein Ort für schwere Nöte. Dortselbst fand nämlich am Dienstag, 13. Juni eine Aufführung (von Ausschnitten) derselben statt, über welche wir hierselbst berichten. Alles MERZ, oder selbst? Eben. Denn dem genial schrägen Vogel war seinerzeit selbst Dada viel zu definiert, und so schuf er sich mit dem Kunstbegriff MERZ einen “absolut individuellen Hut, der nur auf einen einzigen Kopf passte” – nämlich seinen eigenen. Der Urdadaist und Wegbereiter beinah jeder späteren “konkreten” oder “Lautpoesie” von Ernst Jandl bis Christian Ide Hintze war also ein Individualanarchist, der sich nie einfügte. Sehr sympathisch!

UrsonateNoch sympathischer finden wir die Urheberrechtsgroteske rund um den Berliner Subkulturforscher Wolfgang Müller, der 1997 auf der norwegischen Insel Hjertøya eine ehemalige Strandhütte Schwitters‘ untersuchte und dabei die Stare (genau, die Amseldrosselfinkund- Vögel) Motive aus der Ursonate singen hörte. Er nahm sie auf und veröffentlichte ihren Gesang – zwar als “Naturgeräusch” deklariert – nichtsdestotrotz brach der üblich-läppische Copy-Riot über ihn herein, samt Erbenstiftung und Verleger. Heiliger Thomas Burnout, bitt für uns arme Künstler!” Und so war auch die überaus anregende Vorstellung der Ursonate im Gunild-Keetman-Saal von solcher Vogelperspektive inspiriert, was in den Kostümen (auf dem Foto vom Schlussapplaus) kenntlich wird. Überhaupt haben die Studierenden hier eine sehr vielschichtige Interpretation der Urpartitur entwickelt, die Bewegung, Stimme und soziale Emotionsdramaturgie mit Elementen der Naturbeobachtung dergestalt verflicht, dass einem da regelrecht die Sinne aufgehen. Eine Aufgabe von Kunst besteht wohl darin, uns empfindungsfähiger zu machen für all das, was wir im beschleunigten Alltagsvollzug fast gar nicht mehr wahrzunehmen imstande sind …

Vor allem eben uns selbst (ein herzliches Prost auf den Kiepenheuer Bühnenverlag!)

In diesem Sinnlichen:

böwörötääzää Uu pöggiff

fümmsböwötääzää Uu pöggiff

fümms bö wö tää zää Uu, pöggiff,

kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee.

kwiieee!!!

 

Wirsing Helden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. MaiGesetzt den Fall, nur die Allerwenigsten kommen als Arschloch auf die Welt – wo um alles in der Welt kommen die dann aber alle her? Hier muss angesetzt werden! Und Bildung ist auch hier das Zauberwort. Bildung macht nämlich auch klug. Ja! Und wir bräuchten natürlich Helden, Helden wie in den Geschichten, Helden, die es richten – wenn die Verantwortlichen schon so schmählich scheitern. Helden – aber woher nehmen? – So formuliert es der von uns immerdar hoch geschätzte Wortakrobat Jochen Malmsheimer in seinem Programm Dogensuppe Herzogin – Ein Austopf mit Einlage, in dem eine Busfahrt nach Venedig naturgemäß psychedelisch entgleist und in letzter Kulmination zum Auflauf sämtlicher Helden aus Jochens literarischen Frühzeit ausufert. Da fragt sich sogar der Doge: “Chi è quello?”

WirsingWirr singt das Volk oder doch das verunglückte Abschiedswort einer Marketenderin: Auf Wirsing (wie in Warschau!), vielleicht ja sogar eine Anspielung auf Judith Holofernes? Wirrsinghelden? Und just darüber werden wir euch selbstredend nicht im Klaren lassen, sondern euch mit An-, Um- und Verdeutungen derart zerwirren, dass ihr sogleich fürs Kilo Wirsing 80 Mark verlangt und dabei auch noch schnippisch guckt!

“Ich schloss für einen Moment entmutigt die Augen. Und riss sie sofort wieder auf. Jetzt nur nicht einschlafen! Es schlug eben 8 Glasen. Was?” Wie gesagt, wir befinden uns in einem vollbesetzten Bus auf der Nachtfahrt nach Venedig – und die Phantasie beginnt soeben all das, was wir uns als sogenannte Realität haben einpflanzen lassen, mehr und mehr zu durchdringen – und aufzulösen: Ein wortlos geblinzelter Befehl, und schon schallen die vertrauten Kommandos zum augenblicklichen Ablegen über das Deck: “Los Männer, entert auf in die Wanten! Hisst Rah- und Topsegel! Setzt Klüver und Fock! Bratzt die Zossen, lüpft die Brunzen! Vergesst mir auch den Rimper nicht, den Stramel und die Pölm! Spieht die Mampfen! Klofzt die Klöten an den Sparrer und versäumt mir ja das Riepelzulpen nicht! Und bimst mir brav auch den Besan! Hepp, hopp, ans Werk!”

 

was für beschissen ist das

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Mai – Zu außerirdischer Verschwörung wie innerseelischer Verblödung stellt sich gern die Frage: “Was für beschissen ist das?” Doch diese Antwort wird kein Leichter sein, es sei denn geistreich – und sprachgewitzt. Dessen geachtet drücken wir unsere persönliche Empörung wie Betroffenheit durch Darbietungen von Günther Paal (Gunkl) sowie Jochen Malmsheimer wortvoll aus. War die Mondlandung eine großangelegte betrügerische Inszenierung, mittels der von den eigentlichen über- und außerirdischen Aktivitäten abgelenkt werden soll? Wie ließe sich das überprüfen? Weshalb sollte man das überhaupt hinterfragen wollen? Sind wir nicht längst beschissen worden, etwa mit sogenannter Bildung, die nichts weiter bezweckt, als uns zu verwirren, damit wir besser regiert werden können?

was für beschissen ist dasDer Verschwörungsverein grüßt und lädt ein zur Dooferneuerung! Wir indes locken zu den eigensten Geistesübungen wider das Dumm- und Ferngedachtsein. “Weicht auf, Verkrampfte dieser Erde!” Unseres Erachtens ist der Gefühlsbefund, andauernd von allen Seiten belogen und betrogen zu werden, durchaus zutreffend. Er hat seine Ursache in einer “Erziehung”, deren Hauptziel die Anpassung ist, und zwar durch das verordnete Hervorbringen von erwünschten Gefühlen, gleichzeitig durch das ebenso vorgeschriebene Unterdrücken von unerwünschten. Diese erlernte Selbstverstümmelung führt unweigerlich zu Verdrängung und Verleugnung, ja sogar zu regelrechtem Selbsthass. Diese allgegenwärtige Deformation menschlichen Seins pflanzt sich zudem noch in allen gesellschaftlichen Strukturen wie eine ansteckende Krankheit fort und erzeugt bei allen von derlei Gewalterfahrungen Betroffenen ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Empfinden von Ohnmacht und Ausgeliefertsein. Die nun mögliche Wahrnehmung, dass man ein Opfer der ungerechten Verhältnisse ist, kann kaum je anerkannt werden, zumal sie mit Scham- und Schuldgefühlen einher geht, und es überdies als allgemein anerkannter Ausweg vorgezeichnet ist, selbst zum Täter zu werden, damit man das eigene Opfersein nicht mehr so spüren muss

Die Hinwendung zu “höheren Wesen” hingegen, die Heilserwartung gegenüber einem “Erlöser” oder die Hoffnung auf den “Endsieg des Guten über das Böse” halten wir schlicht für Projektionen des Verdrängten. Richtiger Ausgangspunkt, falsche Schlussfolgerung. Da wird man schon eher die eigenen “unerwünschten” (gefickt als “negativ” eingeschädelten) Gefühle aushalten – und sich dann ohne Abspaltung des Empfindens zu Fuß auf die Suche nach der eigenen Wahrheit (?) machen müssen. Was unsere Beiträge auch befördern wollen. “Ey, was für beschissen ist das?”

 

Erster Mai – Vorbei?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. April“Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!” So dichtete Eugène Pottier in den Tagen der Pariser Commune 1871 den Text jenes Liedes, das wir inzwischen als “Die Internationale” kennen und das bis heute speziell zum 1. Mai von ganz verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Gruppen inbrünstig nachgesungen wird. Doch war da nicht auch noch irgendwas mit Anarchie – zu Anbeginn dessen, was sich inzwischen so alles Arbeiter_innenbewegung nennt? Eine unlängst auf arte ausgestrahlte 2-teilige Doku über die Ideengeschichte des Anarchismus erzählt unter anderem von der Entstehung des 1. Mai als “Kampftag” – und zwar unter dem Titel “Kein Gott, kein Herr! Eine kleine Geschichte der Anarchie”

anarchie in germoney backDeren 1. Teil (1840 – 1912) sowie ebenso 2. Teil (1912 – 1937) wären, wenn nicht alldahier, dann zumeist sonstwo im Internet zu finden. Ein schmerzlich vermisster 3. Teil (nach 1945) wurde zwar schon geplant, die Finanzierungszusagen seitens der beteiligten Sender sind aber bisher noch ausgeblieben. Dabei würde uns gerade der ebenso interessieren wie betreffen! In dem müsste es nämlich auch um den GRÖPHAS gehen, den Oberndorfer Anarchisten und größten Philosophen aus Salzburg Leopold Kohr, Vordenker des “Europa der Regionen”, Nährvater der Slow-Food-Bewegung und Herausgeber solch schöner, wahrer und auch guter Sätze wie “Small is beautiful”. Für ihn war die Entfernung von Oberndorf nach Salzburg der Maßstab des Reisens und zugleich die maximale Ausdehnung für ein gerade noch menschlich verkraftbares Gemeinwesen. Als so ein Fußgänger des Geistes wird man schon auch fragen, ob es bei entsprechender Kleinräumigkeit des Bankwesen und der Wirtschaft überhaupt zu ökonomischen Krisen käme, vor denen uns jede “Obrigkeit” gern erstarren macht wie die Kaninchen vor der Schlange. Oder anders gesagt – Stille Nacht lässt sich allemal imageträchtiger verhupfdudeln (sprich verkaufen) als – in diesem Fall – Stille Macht!

anarchie in germoney ganz

Zur Stimmung empfehlen wir “Die Internationale – illustriert von Gerhard Seyfried”

und zur Bestandsaufnahme der Gegenwart “Un Monde formidable – von ACHAB”