Tantes Inferno

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. August“Wir müssen unsere Eltern in ihrem historischen Kontext verstehen.” Dieses Zitat von Peter Hodina erweist sich als umso zutreffender, je mehr und je länger ich mich mit der Geschichte meiner Familie beschäftige. Und dabei habe ich über die Jahre so einiges entdeckt, was man vor mir unbedingt hätte geheimhalten wollen. So etwa die Verstrickungen meiner Tante in die Ideologie des Nationalsozialismus, deren schädigende Auswirkungen auf mich und meine Mutter ich erst langsam (im Rahmen einer Traumatherapie) zu verstehen beginne. Noch vor einigen Jahren habe ich einen viel zu euphemistischen Nachruf auf sie verfasst. Heute sage ich rückblickend: “Es war die Hölle.” Das Kind darf sich wieder spüren – und auch das titelgebende Wortspiel mit “Dantes Inferno” machen …

Tantes InfernoEs gilt also einiges zu berichtigen und auch die Geschichte(n) so zu erzählen, dass sie nie mehr hinter dem muffigen Vorhang des Schweigens und Vergessens zum Verschwinden gebracht werden können. Es gilt, sich selbst wieder zu begegnendort, wo man im tiefsten Inneren schon immer gewusst hat, was gespielt wird, wo man sich aber schon zu lange nicht bewusst hinzuschauen getraut hat, weil die eingeflößte Todesangst vor der Wahrheit viel zu groß war. Wie zersetzend sich eine nationalsozialistische Erziehung von frühester Kindheit an auswirkt, das hat Sigrid Chamberlain in ihrem Buch “Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind” minutiös dargestellt. Der eigentliche Skandal aber besteht darin, dass jener zutiefst menschenverachtende “Erziehungsratgeber” von Johanna Haarer, der darin die Hauptrolle spielt, auch nach Kriegsende immer wieder neu aufgelegt wurde (zuletzt 1987), bis in die 2000er Jahre als Lehrmaterial für die Ausbildung in Säuglingspflege verwendet wurde, und dass die kinderfeindlichen Erziehungsmethoden, die solchem auf Gehorsam und Funktionieren abzielenden “Kinderabrichten” innewohnen, nach wie vor von einigen sogenannten Experten als sinnvolle Maßnahmen angepriesen werden. DAS macht hilflos – und wütend.

Dabei muss es aber nicht bleiben: “Denn ist ein Buch, das geschrieben werden muss, erst einmal geschrieben, ist das Grauen in Worte gebannt. Das bedeutet nicht unbedingte Heilung, doch Linderung für die Seele. Schreiben ist selbstbestimmtes Handeln, es befreit aus der Opferrolle.” Zitat aus Misha Schoenebergs “Mein Vater, Auschwitz und der 7. Oktober”. Ein solches Buch, das ich gerade lese, ist der Roman “Wenn das der Führer wüsste” von Otto Basil (ein sträflicherweise kaum bekannter österreichischen Publizist und Schriftsteller), der mir Tantes Inferno zu lindern vermag.

Meine eigene Erzählung beginnt mit dieser RadiosendungWas hat es mit dem von mir erlebten und überlebten Inferno – und mit meiner Tante – auf sich?

Wir öffnen eine Zeitkapsel …

 

Die Fahne der Freiheit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Juli – Eine erweiternde und vertiefende Fortsetzung unserer ersten Erinnerungssendung “Living in the Past”, die sich dem gemeinsam erlebten Heranwachsen im Salzburg der 70er Jahre widmete. Diesmal richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die uns damals umgebende Atmosphäre des politischen Aufbruchs und wie diese Stimmungslage unsere Hoffnungen und Perspektiven beflügelte. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass sich da ein Begriff wie “Freiheit” ganz vortrefflich auf unser pubertäres Hormongefüge gereimt hat – und dass sich dieser Umstand bis heute in unserer Musikauswahl wiederfindet. Neben dem, was “Österreich modernisieren” für uns Jugendliche damals bedeutete, sei auch darauf hingewiesen, wie geradezu revolutionär die damalige Rockmusik war.

Die Fahne der FreiheitZu deren einstiger Sprengkraft (sowie heutigen Beliebigkeit) hat Bernhard Torsch unlängst eine feinsinnige Betrachtung verfasst. Sie stimmt weitgehend mit unserer Lebenserfahrung überein, wobei wir den stilistischen Schwerpunkt mehr beim “Progressive-” als beim “Blues-Rock” setzen – doch das ist letztendlich Geschmackssache. Die Grundtendenz der Kulturgeschichte ist hier wie dort die selbe. Jedenfalls beweist mir der erste Einfall beim Vorbereiten dieser Sendung (als nämlich die Frage auftauchte: “Was wollen wir jetzt spielen von dem, was wir damals immer wieder gehört haben?”) die Richtigkeit seiner “revolutionären” Zuschreibung. Denn was haben wir damals, unter dem Einfluss der Hormone wie auch der “politischen Großwetterlage”, rauf und runter gehört? Es war “Spartacus” von Triumvirat. Auch Nummern wie “Do The Strand” von Roxy Music, später das erste Album der Nina Hagen Band mit dem legendären “Pank” (“du alte Sau, gelle!”). All das ist eine Kampfansage ans unterdrückerische Establishment.

Naturgemäß bekamen wir in jener Zeit auch die realen Gewaltausbrüche mit und sie wurden Teil unserer Lebensgeschichte. So waren einige unserer Freunde Chilenen, die wegen des Militärputschs 1973 ihr Land verlassen mussten, um nicht umgebracht zu werden. 1977 veröffentlichten die Schmetterlinge ihr Album Proletenpassion, auf dem sie einem der damals zu Tode gefolterten, dem chilenischen Volkssänger Victor Jara, ein beeindruckendes Denkmal setzten: “Companero Victor Jara : presente” Und wir waren, und sind heute noch, zwischen Aufbruch und Untergang unterwegs.

Was uns zu der Frage führt, wie wir angesichts der gegenwärtigen Weltlage mit ihren widerwärtigen Auswüchsen guten Gewissens und mit uns selbst übereinstimmig, also hier und jetzt, leben wollen. Dazu ist mir in einer Facebook-Gruppe (was für ein Auswuchs!) eine interessante Aussage begegnet. Dort beklagt ein Mitglied all die von Hass und Engstirnigkeit triefenden Kommentare zu (wie wir dieses Wort früher verstanden) “progressiven” Themen und bezeichnet dabei die anderen Teilnehmer als “alte Säcke, die der Vergangenheit angehören”. Darauf antwortet ein anderer:

“Wir alten Säcke sollten die Fahne der Freiheit (ja klingt überzogen) hochhalten, (sollten) dagegenhalten und nicht abtauchen. Wer wenn nicht wir. Prog ist Freiheit und Vielfalt!”

 

PS. Ist der Rock’n’Roll jetzt tot oder nicht?

 

Die verwaltete Welt

Artarium am Sonntag, 8. Juni um 17:00 UhrWir werden verwaltet – und wir verwalten uns selbst. Wie meinen? Zwischen unseren letzten zwei Sendungen, die einigermaßen begeistert über die Leseperformance “NORMAL – Eine Besichtigung des Wahns” berichteten, und unseren kommenden Radioarbeiten, die sich auf den anstehenden Sommer mit seinen illustren Festen beziehen, möchte ich quasi als Nachtrag zu all der “Kritischen Theorie” und “Dialektik der Aufklärung”, die uns an jenem denkwürdigen Abend im Literaturhaus regelrecht “einverdichtet” wurden, ein legendäres Gespräch mit dem Titel “Die verwaltete Welt” von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Eugen Kogon (aus dem Jahr 1950) zu Gehör und vor allem zu Gespür bringen. Denn es kommt sehr darauf an, wie sich die Herren dabei anfühlen:

Die verwaltete Welt“Herr Professor Horkheimer, Herr Professor Adorno, ich wollte unser Gespräch über die verwaltete Welt beginnen mit der Feststellung, dass der moderne Mensch herumirrt – suchend nach seiner Freiheit. Und die Art, wie ich eben zu unserem Gespräch gekommen bin, und wie ich weiß, dass auch sie kamen, die erinnert mich sehr an diesen Zustand.

Jetzt, vor einer halben Stunde, sollte ich bereits woanders sein. Und von ihnen, Herr Professor Horkheimer, weiß ich, dass sie in einer Viertelstunde bereits in Bad Nauheim sein sollen. Und wir wollen uns doch ausgiebig, ruhig und vernünftig über dieses so enorm wichtige Thema unterhalten: Die verwaltete Welt. Und da sitzen wir also, sozusagen zitternd, nervös, weil andere Termine auf uns warten. Von diesem Zustand müssen wir frei werden.

Ich für meine Person werde also jedenfalls bei unserem Gespräch jetzt so tun, als ob ich beliebig Zeit hätte. Und ich denke, dass aus diesem “als ob” eine Wirklichkeit werden kann. Und das ist, glaube ich, genau das Thema unserer Unterhaltung: Ob es möglich ist, eine solche Haltung einzunehmen, und daraus eine neue Wirklichkeit zu machen …”

 

Es fasziniert doch immer wieder, wie aufmerksam die drei Herren in ihrem Gespräch auf einander Bezug nehmen und wie präzise, ja geradezu druckreif sie nach all der Erniedrigung und Lebensgefahr, die sie während der Nazizeit erlebt haben, hier ihre Überzeugungen ausdrücken. Dies mitanzufühlen, macht auch jüngeren Menschen, die nicht fachspezifisch in Geschichte, Philosophie oder Sozialkritik vorgebildet sind, eine Denkweise zugänglich, die uns allen immer noch dabei helfen kann, uns in der zunehmend unübersichtlich werdenden Welt, in der wir leben, zurecht zu finden …

Wie aktuell ihre Gedanken für unseren Umgang mit Zeitnot, Termindruck und Stress sein können, das erklärt sich aus dem oben abgedruckten Einstieg in jenes Gespräch sozusagen von selbst.

 

Hören sie genau hin …

 

Unzerstörbar

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. April – Und wieder einmal jährt sich (am 30. April) die Salzburger Bücherverbrennung. Nachdem wir dieses uns immer wieder sprachlosmachende Thema von verschiedenen Seiten her angeleuchtet haben, wollen wir heute einmal in die Gegenwart schwenken. Denn auch in unserer Zeit tobt ein unerbittlicher Kulturkampf ums Zugänglichmachen oder Verschwindenlassen von geistigen Inhalten, wie sie eben in Büchern (und anderen Medien) aufbewahrt sind. So erleben wir etwa in den USA ein zunehmend fanatisiertes Aussortieren von für manche Kreise “unerwünschten” Themen aus vornehmlich Schul-Bibliotheken. Im Video “The Unburnable Book” mit Margaret Atwood werdem derlei Praktiken sowie mögliche Gegenmaßnahmen erörtert. Genau, unzerstörbar muss es sein

UnzerstörbarUnd unzerstörbar ist es auch – das Überleben. Wenn wir bedenken, wie Trauma entsteht und wie sich unser “Feststecken” in den natürlichen Reaktionen darauf (Flucht, Kampf, Totstellen) wieder auflösen ließe, dann geraten wir unweigerlich in einen Bereich unseres Daseins, der weder durch analytisches Denken noch durch Sprache, wie wir sie kennen, aufgedeckt werden kann. Manche nennen diese Dimension und das, was sich in ihr abspielt, die “Weisheit des Überlebens”, die im Gedächtnis unserer Körper abgespeichert ist und mit der es nunmehr wieder in Verbindung zu kommen gilt. Da dies offenbar nicht auf dem Weg bewusster Einflussnahme möglich ist, bieten sich sinnliche Erfahrungen und emotionale Reaktionen aus den evolutionsgeschichtlich uralten Untiefen unseres limbischen Systems als ein weit offener wie zugleich verborgener Zugang zu uns selbst an. Peter Levine beschreibt die Grundlagen dafür als “Sprache ohne Worte”.

Was verbindet nun die “Leerstellen” in den Bücherregalen mit den “Leerstellen” in unserer Persönlichkeitsentwicklung – und in unseren Familiengeschichten? Was kann uns “ein roter Faden” durch diese Sendung sein, die den Versuch unternimmt, die retrospektive Musealisierung der Vergangenheit (Gedenkkultur) zu verlassen und eine spürbare Verbindung mit den heute lebenden Kindern und Enkeln der Zeitzeugengeneration herzustellen? Das Überleben? Das ist seinem Wesen nach unzerstörbarandernfalls gäbe es auch keine Nachkommen von Überlebenden.

In unserem Radiodenkmal der Geschichte(n) wenden wir uns Erfahrungsberichten und textlichen Experimenten der nächsten und übernächsten Generation zu. Anders gesagt jener Generation, die das Überleben ihrer Eltern und Großeltern (sowie die damit einhergehenden Traumatisierungen) überlebt haben. Hören wir Ausschnitte aus “Das Schweigen meines Vaters – 104517” von Misha G. Schoeneberg aus Berlin, das schon bald erscheinen wird. Und begleiten wir Christopher Schmall auf der Suche nach dem, was in seiner (und wohl in unser aller) Vorgeschichte “verschwunden” ist.

 

Kann man “das Unsagbare” überhaupt sagen?

 

Und wenn ja – wie?

 

PS: Materialien zur Salzburger Bücherverbrennung vom Friedensbüro Salzburg sowie die Veranstaltungen zum aktuellen Gedenken (heuer) am Residenzplatz.

 

PPS: Der im Hinblick auf die kommende Veröffentlichung des Textes von Misha G. Schoeneberg geänderte Titel: “Mein Vater, Auschwitz und der 7. Oktober 2023”.

 

Irgendwas mit Poesie

> Podcast: Artarium vom Sonntag, 30. MärzDa war doch was … in unserer letzten Sendung (mit Rupert Madreiter) reisten wir zurück in eine gemeinsam erlebte (und sehr spezielle) “Nacht der Poesie”. Und diesmal wollen wir etwas von dem, was in jener Nacht so eine erstaunliche Macht entfaltete, im Hier und Heute und als drei Dichterfreunde lebendig werden lassen. Denn “Gefühle in Worte fassen” vermag die gewaltigen Energien, die uns beleben, die uns gefährden, die uns entzücken, die uns verwirren oder genauso gut zerstören können, in eine für uns beherrschbare Kraft zu verwandeln und so wieder Ordnung im Gefühlsgestrüpp zu stiften. Vom Chaos zum Kosmos sozusagen, eine zutiefst selbstwirksame Erfahrung, die weit über unser viel zu verschämtes Selbstbild von Einzelwesen ohne Zusammenhang hinaus weist …

Irgendwas mit PoesieNachdem das Wort “Poesie” jedoch schon in vielerlei Weise zudefiniert ist, lohnt es sich unbedingt, sowohl im Etymologischen Wörterbuch als auch im Altgriechischen einmal selbst nachzuforschen. Dort finden sich erstaunlich viele Bedeutungen des Wortstamms ποιέω (von dem ja “alle Poesie ausgeht”, möchte man sagen). Und neben den erwartbaren wie “schichten, aneinanderreihen, bauen, dichten, schaffen, handeln, tun, bewirken” (und so weiter) begegnen wir da auch weniger geläufigen Ableitungen wie “berufen, sich verschaffen, etwas darbringen oder veranstalten, etwas leicht nehmen” und, und, und – noch vielem mehr. Unter anderem dem Wort ποίημα – “das Gemachte”, was zunächst “Machwerk, Metallarbeit, Werkzeug” heißt, und erst dann “Gedicht”. Sich seinen eigenen Kosmos – “Welt, Ordnung, Schönheit” im wahrsten Wortsinn zu erarbeiten, zu erschaffen – ja, zu erdichten – das ist unsere Einladung an uns selbst zusammen mit euch – poetisch zu sein und der Poesie nachzuspüren.

Um dies im Rahmen eines Artarium zu ermöglichen, wollen wir einerseits die Poesie unseres eigenen Dichtens und Denkens im gegenseitigen Vortrag wie im Gespräch zu Gehör bringen. Und andererseits (was immer auch zugleich bedeutet) der Poesie von textlich anspruchsvollen Musikstücken obliegen, die etwas von dem spürbar machen, was wir mit all den poetischen Energien und ihren Auswirkungen erleben. Dazu haben wir Beiträge von Schroeder Roadshow, Nina Hagen, Leonard Cohen, Rio Reiser und Misha Schoeneberg ausgesucht, fürwahr eine recht illustre Runde.

Sprach- und Gefühlskunst vom Feinsten.

 

Living in The Past

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. März – – – Überraschendes von und mit einem Überraschungsgast. Soviel sei vorab verraten: Unlängst manifestierte sich ein jahrzehntelang aus meinem Blickfeld geratener Jugendfreund als wieder öfterer Gesprächspartner und es stellte sich heraus, dass uns viel mehr verbindet als lange Zeit angenommen. Dass wir, jeder für sich, über einzelne Erinnerungsbilder an eine gemeinsam verbrachte intensive Jugendzeit in den 70er Jahren verfügen, die erst in ihrem einander erzählen, untereinander vergleichen und wieder zu einem größeren Ganzen zusammenführen so etwas wie “lebendiges Wissen von dem, was damals wirklich war” erzeugen können. Daher nennen wir diese Sendung selbstironisch und in Bezugnahme auf das gleichnamige Jethro-Tull-Album auch “Living in The Past”.

Living in The PastWobei die Betonung auf “Living” liegt. Wir wollen hier definitiv keine sentimentale Ü-60 Nostalgie zum alleinigen Zweck besoffenen Schwelgens im “damals war alles schöner” ausrufen. Vielmehr sollen unsere Anekdoten jene Zeit dahingehend wieder lebendig werden lassen, dass erkennbar wird, welche Umstände unsere ganze “Generation von Kriegsenkeln” geprägt haben – und was für Gegebenheiten für unser Leben und unsere Entwicklung damals bedeutsam waren. Dabei ist naturgemäß ein absoluter Fixpunkt unseres Aufbruchs in die Gemeinschaft der Gleichaltrigen zu nennen, das inzwischen legendäre Mark (Markusheim) am Franz-Josefs-Kai. Die dort regelmäßig am Wochenende stattfindenden Musik- und Tanzpartys (dabei wurde Progressive-Rock vom feinsten zelebriert) waren für uns “unverzichtbare Gelegenheiten zur sicheren Zwischenlandung auf unseren riskanten Expeditionen in die uns umgebende wie die uns innewohnende Welt. Ein überaus wertvoller, kaum zu unterschätzender Beitrag zur Bewältigung der Unendlichkeit für uns als 15- bis 18-jährige.” Anders als die wohl der gesellschaftlichen Akzeptanz wie dem Wohlwollen potentieller Geldgeber geschuldete Darstellung als sozialarbeiterischer Interventionsraum

… haben wir diese Einrichtung als Probebühne des Selbstausdrucks, als Freiraum für unsere Versuche von Annäherung und Abgrenzung (außerhalb von Schule und Familie) sowie als Experimentierlabor für noch nicht definierte Möglichkeitsformen erlebt. Inwieweit die “politische Großwetterlage” Mitte bis Ende der 70er Jahre dazu beigetragen hat, eine positive Entwicklung jugendlicher Selbsterforschung in die gesamtgesellschaftliche Integration zu begünstigen – und was dabei (und wodurch manches) auf der Strecke geblieben ist – darüber machen wir uns eben Gedanken.

Wie wir zusammen zu einem gleichzeitig erlebten Moment des Einsseins mit dem Universum (und zwar nach einer gemeinsam durchdichteten Nacht ohne Alkohol oder sonstige Drogen) gelangten, auf welchem Weg das damals für uns eine bedeutsame Rolle spielende Album “Spartacus” von Triumvirat an unser Gehör (und in unsere Gehirne) gekommen ist, worin wir uns bei unseren ersten Versuchen, Sexualität mit Beziehung in Einklang zu bringen, gut widergespiegelt fanden und, was derartige Erfahrungen im Kontext damaliger Musikstile ins Heute übertragen sein könnten

 

Living in The Past!

 

In memoriam Hermes Phettberg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. DezemberHermes Phettberg ist tot … Eigentlich ist Josef Fenz, wie der Hervorbringer der legendären Kunstfigur diesseits seiner öffentlichen Performances hieß, am 18. Dezember im Krankenhaus gestorben. Die Verkörperung all dessen, was ihn umgetrieben hat, und was Menschen wie mich innerlich erreicht, berührt und inspiriert hat, das bleibt in uns allen erhalten und lebt in all seiner Monstrosität und kindlichen Zartheit durch uns weiter. Melancholie und Gesellschaft oder “Alles, was du siehst, gehört dir”, um es mit PeterLicht zu sagen. “Sehen” im Sinn eines umfänglicheren Wahrnehmens als es der Sprachgebrauch des Schnelldrüberhin nahelegt. “Sehen” als ein “unverstelltes in sich aufnehmen” etwa wie ein Traumbild unkontrolliert und ohne Urteil in uns empor steigt und so

In memoriam Hermes PhettbergTatsächlich habe ich hier noch ein Bild gefunden aus jenem Jahr, in dem mir “Phettbergs Nette Leit Show” zum ersten Mal aus dem Fernseher heraus direkt ins Herz “einfuhr” und mich darin ermutigte, auch in diesem “Land of Confusion”, das zwischen Marktwirtschaft und Verdrängung zu zerreißen drohte, doch um einiges mehr für verwirklichbar zu halten, als es in der damals alles verklebenden Normalmoral (die gern als “die Sittlichkeit” oder auch “das gesunde Volksempfinden” daher gestelzt kommt) überhaupt möglich zu sein schien. Ich möchte sagen, dass mir die Selbstinszenierung von Hermes Phettberg im Rahmen der Netten Leit Show die Grenzen in Geist und Seele dahin- gehend ver-rückt, also zurecht gerückt hat, dass es mir wieder möglich wurde, an einen tieferen Sinn in all den widerstreitenden und zunehmend fragmentierten Erfahrungen meines Lebens zu glauben – und zwar ohne den demonstrativ vor mir her zu tragenden Endsieg” über meine Homosexualität, der mir eingeimpft war …

Von solch inwendiger Belebung ergriffen pilgerte ich kurz darauf schnurstracks nach Wien, um dem Beförderer derselben anlässlich des Erscheinens von “Die Krücke als Zepter” höchstselbst und in all seiner Leibhaftigkeit zu begegnen. Und dieses Treffen von Mensch zu Mensch vertiefte in mir jenen Eindruck, den ich zuvor schon aus seiner Bühnenpräsenz gewonnen hatte: Ein Maßloser, in seinem Ringen um Anerkennung an allen Grenzen längst Verzweifelter, der dabei dennoch eine schier unglaubliche Würde besaß, ein seiner geradezu barocken Anmutung um nichts nachstehendes Mitgefühl.

Lieber Hermes, du warst in vielem sehr anders als ich es bin. Und zugleich bist du mir zutiefst vertraut, ich möchte sagen, wesensverwandt. Ich bin erstaunt, wie vieles von dir ich in mir wiederfinde, wenn ich mit mir unterwegs bin. Unlängst hat ein Freund gesagt, ich hätte etwas Monströses an mir. Das habe ich im ersten Moment als nicht zutreffend zurückgewiesen. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr neige ich dazu, es mir (und uns allen) zuzugestehen. Indem ich dir auch in mir begegne, soll es lauten: Im Phettberg’schen Sinn kann ich dieser Monstrosität etwas abgewinnen.”

Und in diesem Sinn – Danke.

 

Schatten über Salzburg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Oktober – Der Autor, Liedermacher und Kabarettist Peter Blaikner hat jüngst “einen Roman nach einer wahren Begebenheit” mit dem Titel “Schatten über Salzburg” herausgebracht. Der bezieht sich auf eine Besetzung des Petersbrunnhofs durch Neonazis im Jahr 1993 sowie verschiedene damit in Zusammenhang stehende Ereignisse. Nachdem es uns über die Jahre immer wieder beschäftigt hat, wie sich “das nicht Wahrgenommene” in seinem Keller (der unser Unterbewusstsein ist) weiter auswirkt, wollen wir die Themen dieses Romans auch in unserer speziellen Sichtweise wiederspiegeln. Denn “das Weggelassene” wie auch “das Hinzuerfundene” einer im Nachhinein “interpretierten Geschichte” hinterlässt in uns Leerstellen, blinde Flecken, Unklarheiten oder eben Schatten”.

Schatten über SalzburgNicht nur in der “großen Geschichte” (etwa der des ganzen Landes) entstehen solche Leerstellen, die von uns mit Bedeutung versehen und in Zusammenhang gebracht werden wollen – auch in den vielen “kleinen Geschichten” (aus welchen “Geschichte” eigentlich besteht) verlangt das Unbeantwortete nach Antwort. Es ist ein großes Verdienst dieses Buches, dass es die Wechselwirkung von allgemeingesellschaftlich verdrängten Unangenehmheiten und individuellen Verletzungen (die wiederum unerfüllte Sehnsüchte bewirken) aufzeigt. Peter Blaikner hält die dafür nötige Distanz zum Geschehen, um sowohl das persönliche Schicksal seiner Figuren als auch allerlei politische Machenschaften, in die sie sich verstricken und in die sie zugleich verstrickt werden, zu verdeutlichen. Beim Lesen gerät man so in einen Zustand des gleichzeitigen Mitfühlens wie eben auch Beurteilens …. und im besten Fall hoffentlich Verstehens. Das ist mehr als man von manch sprachfunkensprühender Weltniveauliterur (dazu gehört dieser Roman eher nicht) aufgetischt bekommt. Wiewohl durchaus kicherigmachende Ausdrücke (da zwinkert der theatererfahrene Kabarettist) das Unterhaltenwerdenwollen bedienen, so etwa ein “innerlich schallend lachender Vater”. Ich habe einige der geschilderten Ereignisse selbst miterlebt und befinde, das Buch lädt zum Selbstweiterdenken ein.

Meine Mutter war im Alter von 14 Jahren ein Vorzeigenazi. Noch 1944 (als bereits alle deutschen Fronten in Auflösung begriffen waren) schrieb sie ein “Kriegstagebuch”, in dem sie Tag für Tag fein säuberlich die Siegesmeldungen” der Reichspropaganda wiedergab. Für wen? Wozu? Alles in ihrer verletzten Kinderseele schrie: “Ich will nicht allein sein! Ich will dazu gehören!” Und auch heute noch schreit es in mir: “Ich will diese Angst nicht ertragen müssen!” (Diese Angst vor dem Terror des Ausgestoßenwerdens. Wer schreit da?). Die Frage ist, wie wir in der Gegenwart mit dem Erinnern umgehen.

Memory ist immer under Construction.

Und wo ist dein Schatten?

 

Vergänglichkeitsbewältigung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. NovemberHeiliger Bimbam! Das Wort zum Totensonntag, wie er im evangelischen Umfeld heißt. Andächtiges Gedenken an das Lebenswerk der österreichischen Ausnahmeband EAV, die uns viele nicht unwesentliche Betrachtungen abendländischer Geistes(un)kultur hinterlassen hat. Vergänglichkeitsbewältigung ist eine schöne (und sehr lebendige) Wortschöpfung, ganz im Gegensatz zu Vergangenheitsvergewaltigung, wie sie gern (und grausam) von den Machtinstanzen des Menschenfleischwolfs ausgeübt wird. Erinnern wir uns daran, was wir erlebt haben, bevor es Religion gab. Schließlich sind wir die Lebendigen und nicht die Ausgedachten. Bevor wir in eine Funktion abgerichtet wurden, waren wir stimmig. Und das wollen wir sein, indem wir sind, wer wir sind.

VergänglichkeitsbewältigungIch erinnere mich an einen Ausritt in die Vereinigten Staaten”, von wo ich einen Haufen Schallplatten der Beach Boys mitbrachte, die später über Umwege in den Fundus von Manfred Deix gerieten. Schon in jüngeren Jahren sprach mich das irgendwie mehrdeutig schillernde “Break Away” von Brian Wilson mehr an als all die radiotauglichen Sunshinesongs, die sich da sonst so tummelten. Es klang nach einer noch größeren Welt mit unendlich vielen Möglichkeiten – und nicht nach dem eintönigen Freiheitsbrei aus Gehorsam und Langeweile. Es war wie das Versprechen eines Aufbruchs in etwas Eigeneres als das Vorhergedachte, das sich aber wohl erst viel später erfüllen sollte. Jedenfalls kommt es darauf an, dass man überhaupt etwas daraus macht, was einem begegnet. Damit meine ich (God bless America, Fuck) fürwahr kein Geschäft, sondern Kunnst oder eben eine verwandlerisch verbearbeitende Weiterentwicklung auf der Suche nach der nächsten neuen Welt. Und vertrauen sie mir, da gibt es noch sehr viele.

Was aber hat es mit diesem heutigen Titel “Vergänglichkeitsbewältigung” auf sich? Nun, inmitten von all dem, woran wir uns erinnern und all dem, was wir (warum auch immer) vergessen, sind wir selbst vergänglich. Wir erinnern uns vielleicht daran, was wir in unserem Leben gern noch entdeckt hätten und was aufgrund der Umstände nicht möglich war. Irgendwann stellen wir fest, dass das auch in diesem Leben nicht mehr möglich sein wird. Wie wir dann im Bewusstsein unserer Vergänglichkeit mit uns selbst im Frieden leben können, das ist es, was da bewältigt werden will

Gut, wenn man dabei nicht allein ist.

Anmerkung: Der vorletzte Satz dieses Artikels müsste eigentlich heißen: “Irgendwann stellen wir fest, dass einiges davon auch in diesem Leben nicht mehr in der Form, wie es damals hätte sein sollen, verwirklicht werden kann.” (Es ginge sich schlicht nicht mehr aus). Vieles davon kann allerdings, auch anders als erwartet, Gestalt annehmen – doch das ist wiederum eine andere Geschichte, die noch zu erzählen sein wird …

 

Der Krieg in mir

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. August“Der Krieg ist nicht vorbei, wenn er auf den Schlachtfeldern endet. Er geht weiter in den Herzen und Hirnen der Kinder.” So sprach ich als Jugendlicher zu meiner Mutter, die den 2. Weltkrieg noch selbst erlebt hatte, wenn sie daran Anstoß nahm, dass da etwas in mir wütete oder in Trümmern lag. Rückblickend betrachtet waren das weise Worte aus dem Mund eines damals vielleicht 14-jährigen, denn wie man heute weiß, wirken sich die traumatischen Erlebnisse der Eltern- und Großelterngeneration in ihren Nachkommen weiter aus, prägen oft sogar deren Ängste, Wünsche, Träume oder Verhaltensweisen. Der Dokumentarfilm “Der Krieg in mir” von Sebastian Heinzel beschreibt, wie eine solche “Vererbung” durch epigenetische Veränderung stattfinden kann. Und er sucht auch nach Lösungen

Der Krieg in mirAls ob mir das Trauma des 2. Weltkriegs (das mir von meinen Eltern hinterlassen wurde) nicht schon genug wäre, entdeckte ich unlängst auch noch die Feldpostbriefe meines Großvaters aus dem 1. Weltkrieg. Und der war ab 1914 Offizier in jener österreichisch-ungarischen Armee, die unter dem unseligen Oskar Potiorek (den manche Zeitzeugen als zunehmend unzurechnungsfähig beschrieben) dreimal hintereinander vergeblich versuchte, Serbien einzunehmen. Stattdessen wurde sie jedesmal unter immensen Verlusten hinaus geworfen. Auch mein Großvater landete schon im Oktober 1914 im Lazarett, was er nur sehr knapp überlebte, wie mir berichtet wird. Da gratuliere ich mir jetzt aber ausdrücklich und “mit klingendem Spiel” zu diesem ausgewachsenen Mehrgenerationentrauma in meinem lyrischen Kosmos und wundere mich über ganz vieles gar nicht mehr. In der Geschichte dieses Landes und seiner Insassen sind kasperlhafte Politiker nebst ihren hysterischen Feindbildern dermaßen Tradition, dass auch in dieser Hinsicht an epigenetisch eingeschriebene Verhaltensreflexe gedacht werden muss. Hurra, der Untergang des Abendlands ist unausweichlich und wir werden alle sterben. Aber bitte mit Stil. Das ist halt nicht ganz so einfach, wenn du verreckend im Dreck liegst.

Dass wir Krieg verabscheuen, das haben wir in unseren Sendungen immer wieder deutlich gemacht. Dass es aber nach wie vor Menschen gibt, die derlei befürworten, ja sogar betreiben und davon profitieren, das bestürzt uns aufs erschreckendste, zumal wir die über Generationen fortwährenden Spätfolgen dieses Wahnsinns in und um uns wahrnehmen und deren Auswirkungen auch in unserem Alltag erleiden müssen. Hier müssen die eingangs erwähnte “Suche nach Lösungen” und die von Sebastian Heinzel im Selbstversuch unternommene “Traumatherapie” zum Einsatz kommen

Die begleitende Voraussetzung ist unsere gemeinsame Forderung: Nie wieder Krieg!