Das falsche Herz

Podcast/Download: Das Artarium vom Sonntag, 30. September präsentiert den Filmemacher Cajetan Jacob – im Livegespräch über seinen brandneuen Film „Das falsche Herz“, der hier in Salzburg vom 5. bis 13. Oktober im Mozartkino gezeigt wird. „Wer sich den Film ansehen möchte sollte besser starke Nerven mitbringen. Das Falsche Herz verzichtet weitgehend auf Hollywoodklischees und setzt auf ruhige Bilder. Das tut der Spannung allerdings keinen Abbruch: Schreckhafte Gemüter finden sich gerade im letzten Drittel des Films schnell vor den Kinotüren wieder.“ So steht es etwa auf Vorarlberg Online. Und Cajetan selbst schreibt dazu: „Unser Film ist ziemlich harter Tobak.“ Dabei kommt einem diese Geschichte von einer lesbischen Liebesbeziehung im Umfeld der skurrilen katholischen „Pöschlianer-Sekte“ zunächst ziemlich anheimelnd entgegen, etwa mit wunderschönen Stimmungsbildern längst untergegangener ländlicher Idylle…

Man fühlt sich auch durch das gemäßigte Tempo der Szenenfolge in einen Heimat- oder Historienfilm mit einem leichten „Werner Herzog Touch“ versetzt und bewundert die schon fast überirdisch anmutenden Lichtstimmungen, die an Waldwanderungen und Spätherbsttage erinnern.

Doch unter der Oberfläche lauert unmerklich das Grauen. Und es ist keinesfalls ein plakatives Grauen, möchte man meinen! Langsam, aber sicher kippt dieser Film auf eine schiefe Ebene und steuert einem Abgrund entgegen, den man nicht für möglich hält (oder den man lieber nicht als folgerichtig und konsequent erkannt hätte!) Alles trägt in sich etwas Anbahnendes, etwas zunehmend Fortreißendes, etwas Unausweichliches – und das wartet und wirkt in jeder Andeutung. Nicht genug, dass sich inmitten der volksgläubig frömmelnden Umgebung eine durchaus handfeste sexuelle Liebesgeschichte zwischen einer Adeligen und ihrem Dienstmädchen entwickelt, die mit dem Fortgang der Handlung immer fordernder, elementarer und bedeutsamer wird. Nein, auch das katholisch-abergläubige Geistesgefüge der Dorfbewohner ringsumher gerät durch manipulative Machenschaften des Hilfspfarrers Thomas Pöschl und seiner Anhängerinnen immer mehr durcheinander und es entstehen so grausame Geheimrituale, dass man nicht mehr zu erkennen vermag, was zuerst da war – die Religion oder der Irrsinn.

Alles vermengt sich und zieht uns wie in einem Strudel zum Höhepunkt. Die zwei Handlungsstränge sind längst unentwirrbar mit einander verknüpft – und laufen doch nach wie vor langsam neben einander her. Wir leiden mit und wollen die verwegene Hoffnung nicht aufgeben!

„Das falsche Herz“ (Interview) ist ein wesentlicher Film, der sich nicht scheut, in unangenehme oder besser weitgehend verdrängte Zusammenhänge einzudringen. In bester Michael Haneke Tradition seziert er allgemein für gültig, normal und richtig Gehaltenes, treibt es behutsam ins Extreme und betrachtet sodann die Entwicklung des Geschehens wie unter einem Mikroskop. Dabei widerfährt einem Erkennen und Verstehen ohne moralischen Prügel und ohne erhobenen Zeigefinger, sondern subtil zwischen den Zeilen als ein sehr weit hinten im Bewusstsein kaum noch wahrnehmbarer Prozess. Und das ist auch gut so – bei einem einerseits so brisanten wie andererseits derart durchdefinierten und phraseologisch zugequatschen Thema wie eben der Verrücktmachung des Menschen durch religiöse Wahnideen. Denn wo fängt sie an, die perfide Durchdringung des menschlichen Gewissens mit Begriffen wie „sündhaft, schmutzig, schlecht“ – und wie weit reicht sie, bis in unsere Zeit, diese überhebliche Verunglimpfung menschlicher Sexualität und Selbstbestimmung im Namen irgend einer „höheren“ Idealvorstellung?

PS. Das könnte euch auch interessieren – die Sendung „Evangelische Deformation“ mit Eindrücken von Michael Hanekes Film „Das weiße Band“. Und ein Passwort zum Download der ungekürzten Sendungskopie gibt es wie immer auf persönliche Anfrage! 🙂

Unter der Obrigkeit

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 23. September – Freihändiger Versuch zu Hierarchie und Untertänigkeit an mehreren Fronten gleichzeitig – am Beispiel der drakonischen Bestrafung von Pussy Riot wegen ihrer provokanten Kunstperformance in einer Moskauer Kathedrale oder auch der obrigkeitlichen Umbauplanung des Überfuhrstegs in Salzburg durch das Bauressort von Stadträtin Schmidt. Wie hängt das neofeudalistische Herrschaftsverständnis von „demokratisch gewählten Volksvertretern“ mit den verinnerlichten Glaubensinhalten und Vorstellungen einer „göttlichen Weltordnung“ zusammen, in der ganz oben an der Spitze der Macht ein allwissendes Wesen knotzt und von oben herab Befehle erteilt – über unsere Köpfe hinweg? Und so werden kritische Provokationen oft ganz schnell zur Blasphemie…

Im Angesicht solch versteinert wirkender Hierarchiestrukturen, wie sie uns auch in der Architektur vor Augen geführt werden, da fragt man sich: „Was nützt eine künstlerische Intervention?“ Oder wie es Josef Hader ausdrückt: „Wenn den Provokateur kein Blitz erschlägt, dann kommt halt auch kein Publikum.“

Kann man denn im ach so aufgeklärten Europa überhaupt noch provozieren – jedenfalls jenseits von islamkritischen Frauenfilmen oder Mohammed-Karikaturen? Aber versuchen wir uns trotzdem an ein paar kleinen Lästerungen – und spüren wir dabei den eventuellen Grenzen der Kunstfreiheit nach. Das gesunde Volksempfinden, Sitte und Anstand, öffentliches Ärgernis – oder religiöse Gefühle? Packen wir einmal den Schwanz des heiligen Aloysius als Adventkranzständer aus und behaupten wir frech, Peter Handke habe mit seiner Publikumsbeschimpfung den Ingeborg Bachmann Preis gewonnen. (Nein, das war Urs Allemann mit „Babyficker“ und es war der Preis des Landes Kärnten 😀 *muhaha*) Immerhin empfinden wir diese Sendung als widerständige Satire und wollen sie auch so verstanden wissen. Es lebe der postsowjetische Kapitalismus! Lyapis Trubetskoy – Capital 😉

Es ist schon eine wunderliche Welt, in der wir da leben. Ein ehemaliger KGB-Offizier regiert ganz Russland als „lupenreiner Demokrat“ (Zitat eines lupenreinen Hartz IV Gebers) gemeinsam mit der Staatskirche und quasi diktatorisch. Und eine Stadträtin der ÖVP verfügt über die Interessen der Menschen hinweg die Vollsperre des Überfuhrstegs während der gesamten Umbauarbeiten im kommenden Jahr, so als wäre sie nicht eine beauftragte Dienstleisterin der Stadtbevölkerung, sondern die Baumeisterin eines Barockfürsten, der schon mal das eine oder andere Stadtviertel planieren lässt, weil ihm gerade danach ist, sich mit ein paar repräsentativen Plätzen und Lustgärten zu verewigen. Hallo? Leben wir denn schon wieder im Geist des Ständestaats – in dem ein paar ehemalige Offiziere gemeinsam mit der Staatskirche das ganze Land quasi diktatorisch regieren? Aber nein doch – der Kirche ist die Überfuhr ohnehin gleichgültig und auch Frauen ohne Militärdienst dürfen heute in der Stadtregierung über die Bedürfnisse der Betroffenen hinweg bauen lassen, wie es ihnen gerade mal so vorkommt. Aussendung der Bürgerliste!  Wir wagen uns unter diesen Voraussetzungen kaum vorzustellen, wie gut man nach der Renovierung auf der geplanten „wellenförmigen Abdeckung des Mittelteils“ sitzen wird können. Das will aber eh niemand, oder? 😛 Wir werden also weiter dran bleiben müssen…

PS. Das Passwort zum Anhören der gesamten Sendung inklusive Musikbeiträge und Audio-Collagen gibt es – wie immer gern – auf Anfrage!

Mantus – Requiem (Das ganze Album)

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 16. September (ACHTUNG ÜBERLÄNGE!) – Ganz im Sinne des Work in Progress Schwerpunkts in unseren Sendungsarbeiten präsentieren wir euch diesmal das Konzeptalbum „Requiem“ der deutschen Band Mantus, einem von mehreren Musikprojekten des berufenen Lyrikers Martin Schindler. Vier der Titel dieses stimmigen Liederzyklus fanden nach genussvollen Anhören Eingang in die Playlist der Nachtfahrt-Jubiläumsausgabe „The Soul is a Bird“ – geht es doch um eine Reise in die Abgründe der Innenwelt, um die Begegnung mit dem eigenen Schatten. „Sterne“ – „Labyrinth der Zeit“ – „Klang der Stille“ und „Massiv“ wurden strukturelle Bezugspunkte zur inneren Entwicklung des Reisenden – und sind als wiederkehrende Momente kraftvollen Innehaltens in jeweils einer der vier Stunden zu hören.

Nachdem wir aber nicht nur Einblicke in das Entstehen unserer Sendungen vermitteln, sondern auch Gelegenheiten zum Miterleben und Nachvollziehen schaffen wollen, laden wir euch ein, dieses atmosphärisch dicht erzählende Musikwerk auch nachträglich noch in seiner organischen Gesamtheit – zu bereisen, zu erleben – und einfach zu genießen…

Das zahlt sich nämlich aus, zumal die Texte von Martin Schindler, abwechselnd von ihm selbst und von Sängerin Thalia vorgetragen, in ihrer durchdachten Auswahl und Reihung eine konzeptiv stringente Gefühlsgeschichte von Außenseitertum und Mut zur Verweigerung bilden, die zudem noch in eine dichte klangliche Atmosphäre voll tröstlicher Düsternis und trauriger Weisheit um die Begegnung mit den letzten Dingen eingebettet wurde.

Hier geht es um weit mehr als eine Pose – oder das oft allzu mühsam zelebrierte Bedienen der Befindlichkeiten eines speziellen „schwarzen Menschenschlags“. Natürlich gibt es tatsächlich allerlei Anklänge und Stilzitate zwischen Samsas Traum und Lacrimosa – und in diversen Rezensionen der etwas seichteren Art auch jede Menge Genrezuschreibungen von Goth Metal bis Neue deutsche Todeskunst.

Aber wir haben es ja nicht so mit dem „brav ins Schachterl scheißen“ – uns begegnet hier eine höchst zeitgemäße Interpretation romantischer Bildwelten, wie wir sie etwa aus Gedichten von Lenau oder Eichendorff kennen, sowie auch eine ganz und gar authentische Weiterführung der expressiven symbolistischen Todeskunst von Georg Trakl, dessen „Romanze zur Nacht“ schon früher von Mantus vertont wurde.

In diesem Sinne, lasst die Wichtigpäden nur weiter einsortieren, lest statt dessen lieber eine „Selbstrezension in eigenen Worten“ und hört einfach gemeinsam mit uns zu.  Ach ja, ein Passwort zum Nachhören der Sendungsaufzeichnung gibts gern auf persönliche Anfrage 😉

Apocalypse Duo

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 9. September – Neues aus der Nachtfahrt-Werkstatt: Die kommende Ausgabe der Perlentaucher-Reihe wird nunmehr die Nummer XXIV sein – und das bedeutet, wir feiern mit ihr das (in Worten) VIER-jährige Jubiläum unserer freitagnächtlichen Themenreisen. Was für eine Entwicklung – von einer zweistündigen Musiksendung mit freihändigen Gesprächen über allerlei fiktionale Expeditionen durch die Aggregatzustände des Seins mit stets wechselnden Studiogästen – bis zur jetztigen, zweisam gestalteten Textmusikverdichtung mit Lesung, Liveperformance und spontaner Dramaturgie! Dies alles gibts demnächst wieder – am Freitag, 14. September, dem Anlass gebührend ganze VIER Stunden lang, von 22:00 bis 02:00 Uhr – unter dem schönen Titel „The Soul is a Bird“ in der Radiofabrik unseres Vertrauens 😉

Und nachdem wir uns bei dieser Annäherung am TOT.LEBEN der Dramaturgie von „Apocalypse Now“ bedienen wollen, bereiten wir uns auch schon rein äußerlich auf eine dementsprechend gefahrvolle, irrwitzige und im wahrsten Wortsinn grenzüberschreitende Mission vor. Darauf wollen wir euch neugierig machen!

All unsere Beiträge kreisen diesmal um eine ganz spezielle Art der Reise. Eine Expedition zu den Grenzen dessen, was wir bisher für wahr zu halten gelernt haben – über gesellschaftliche Gepflogenheiten und vermeintliche Ordnungen und Strukturen, über Gut und Böse, Licht und Schatten, über das Oben und Unten der Welt – und über uns selbst! Denn dieser wahrhaft psychedelische (also in bester Bedeutung bewusstseins-erweiternde) Jahrhundertfilm von Francis Ford Coppola schafft es, dass uns mit zunehmender Dauer dieses flussaufwärts führenden Trips die gewohnte Orientierung ordentlich um die Ohren fliegt. Und kaum steht man dann neben sich – mit einem irritierend offenen Ende, sonst nichts – beginnt man sich selbst und zugleich auch andere zu fragen, beginnt man zu phantasieren, wie es denn jetzt weiter gehen könnte…

Eine Reise in den Übergang, in die Verwandlung, in das vielleicht doch nicht so zufällige Zusammentreffen mit sich selbst – als dem, den man nicht kennt. Eine Einstimmung in die Musiken und Texte, die uns dorthin begleiten, die uns die Augen öffnen – und die uns neue Welten erschließen. Ein Anfang mit einem (immer wieder) offenen Ausgang…

Hiermit laden wir euch zu den gemeinsamen Vorbereitungen ein, die uns alle wie in einem Strudel tiefer und tiefer in den Dschungel hinein ziehen – zur Begegnung mit Colonel Kurtz – oder doch dem eigenen Schatten? Einige Eindrücke vom „Apocalypse Now Redux“ (den anzuschauen wir wirklich unbedingt empfehlen!) Ein paar Schwierigkeiten, englische Texte (etwa von Allen Ginsburg, Patti Smith, T. S. Eliot) situationsadäquat oder allgemeingültig zu übersetzen. Der Soundtrack zur nächsten Nachtfahrt, die wundersam abgründigen Gedichtvertonungen (Georg Trakl, Joseph von Eichendorff) durch Martin Schindlers Bandprojekt „Mantus“ – Erfinden wir uns ein Genre dazu, „dunkelblauen Samt-Metal“ womöglich – oder gleich eine neue Kunnstrichtung, in der es nur noch um den Prozess geht und überhaupt nicht mehr um ein Produkt 😀 Auch gut zu lesen: Apocalypse Solo

 

Apocalypse Solo

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 26. August – Einige Einblicke in die verdichtende Arbeitsweise unserer Abteilung für Abgründiges und trotzdem Zuversicht. Was bewegt uns – und was wollen wir in der nächsten Nachtfahrt-Sendung „The Soul is a Bird“ ausdrücken? Welche Ströme werden in dieser 48. Ausgabe unserer Perlentaucher-Expeditionen zusammen fließen? Ein Aufsatz von Friedrich Heer etwa, entstanden Anfang der 70er Jahre, als Europa begann „mehr Demokratie zu wagen“ – die anregende Gedankenflut „Theologie nach Auschwitz?“ aus „Europa: Rebellen, Häretiker, Revolutionäre“ – Aber auch die Dramaturgie des zur selben Zeit ausgebrüteten Jahrhundertfilms „Apocalypse Now“ von Francis Ford Coppola, der in vielschichtigen Metaebenen den Wahnsinn von Vietnamkrieg und Imperialismus beleuchtet – und bricht…

Dabei wollte ich ursprünglich, frei nach Jochen Distelmeyer, der Frage „Wohin mit dem Hass?“ nachgehen, ähnlich wie Coppola frei nach Joseph Conrad „Heart of Darkness“ nacherzählt und dabei zur fulminanten Apokalypse in T. S. Eliots „Hollow Men“ gipfelt, rezitiert vom wohl jenseitigsten Marlon Brando aller Filme und Zeiten.

Nun ja, die Zeiten sind fürwahr beschissen und der militärindustrielle Komplex der Weltwirtschaftsgeschichte hat sich global dermaßen festgesetzt und eingebunkert, dass an wirksamen Widerstand nicht einmal mehr bei den aufständischsten Bergstämmen zu denken ist. Nichtsdestotrotz erfordert es die angewandte Psychohygiene, nach möglichen Metaphern von Hoffnung und Zukunft Ausschau zu halten, einfach um nicht bloß – mehr oder weniger dekorativ, demonstrativ, whatever – unterzugehen. Und während uns die Langstreckenbomber des Urheberächzstaats ihre Daisy-Cutter-Clusterbomben zum Ohrenbetäuben in die letzten freien Hörkunstcamps der Seelen-Urwälder scheißen – denken wir an balinesische Rituale und schreiben Gedichte.

Laurie Anderson erzählt in dem Stück „The Soul is a Bird“ von Feuerbestattung auf Bali, wobei alle Anwesenden in großen Jubel ausbrechen, sobald der Leichnam von einem hoch aufgerichteten, brennenden Turm mit ordentlich Schmackes in die Glut herab fährt und unzählige Funken hoch in den Himmel steigen.

Denn die Balinesen glauben, dass die Seele des Menschen ein Vogel ist, der zu Lebzeiten an den Körper des Betreffenden gebunden bleibt. Sobald der Tote aber nun vom Feuerturm fällt, schüttelt dies den Vogel frei und schickt ihn auf den Weg ins Jenseits, in den Himmel, zur Wiedergeburt… Und schließlich geht es ja auch bei jeder Interpretation unserer Hier-und-Jetzt-Wirklichkeit, bei all der Apokalyptik dieses Kultur-, besser Zivilisationspessimismus, der unsere eigenen Erfahrungen mit Conrad und Coppola verbindet, um die Suche nach der möglichen Auflösung, Synthese, Wiederauferstehung. Die Phantasie vom Phönix aus der Asche könnte eben doch viel wirklicher – und wirksamer – sein als die uns umgebenden Realitäten, so steinern sie auch scheinen mögen. In diesem Sinne!

Hier schließt sich dann auch wieder der Kreis zu Friedrich Heer – könnten wir nicht in unserem eigenen „Wagnis der schöpferischen Vernunft“ (so der Titel eines weiteren Buches) zu neuen Antworten, zu neuen Denkweisen, zu einer neuen Sprache gelangen auf unserer Reise ins Herz der Finsternis, um von den Feuern der Liebe zu künden und so dem Wahnsinn der Vernichtung zu widersagen? Denn „die Endlösung der Judenfrage ist längst in die Endlösung der Menschheitsfrage übergegangen“. Oder?

P.S. Dazu Rudolf Augstein at his best (im Spiegel 1967 zum Erscheinen von Friedrich Heers „Gottes erste Liebe“ – einer Geschichte des Antisemitismus von der Antike bis Hitler)

Als gäbs kein Morgen mehr

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 19. August – Tanzen im Radio? Eine echte Herausforderung! Wir machen uns gemeinsam mit Leon Galjasevic auf die Suche nach jenem gewissen Funken, der die Produktivität in uns zu entfachen vermag, wenn er urplötzlich überspringt und zündet. Denn einfach nur über seine Leidenschaft – das Tanzen – zu sprechen, das wäre uns zu eindimensional gewesen. Aber etwas von seiner Ergriffenheit, seinen inwendigen Bewegungen und ihrem Ausbrechen in den Ausdruck zu vermitteln, spürbar zu machen und zu erleben – das erscheint uns der Idee eines Kunnst-Biotops eher zu entsprechen. Und Leon hat noch einiges mehr zu bieten…

Vor etwa vier Jahren entdeckte er den C-Walk (auch Crip-Walk, einen in den U.S.A. nicht unumstrittenen Hip-Hop Tanzstil, der ursprünglich aus der Gang-Kultur von Los Angeles stammt) und begann damit selbst zu experimentieren. Machen ja viele junge Menschen, da mal was ausprobieren und dort ein Video hochladen, hat eh Spaß gemacht – und weiter gehts in die nächste Szene, zum nächsten Projekt. Nicht so Leon, der irgendwo eine tiefere Begeisterung gespürt haben muss – und sich seither der Ausbildung im Hip-Hop Dance widmet. Und der die Tanzstile, die ihm da begegnen, nach seinem eigenen Gefühl weiter entwickelt.

Leon auf YouTube: C-Walk/How to save a life

„Ich tanze meinen eigenen Stil – entweder zu Hip-Hop oder zu modernen Stücken, aber auch zu Klassik.“ So beschreibt Leon seinen Tanz im ersten Schriftwechsel mit mir. Neugierig geworden klicke ich seinen Youtube-Channel durch und bleibe bei einem faszinierenden Song vom deutschen Singer/Songwriter Tim Bendzko hängen. „Ich laufe“ – getanzt vor romantischer Naturkulisse und fast nur mit dem Oberkörper, mit den Händen ausgedrückt! Das hat in all seiner lyrischen Kraft auf einmal ganz viel mit unserern Musik/Text Arbeiten speziell in der Nachtfahrt zu tun. Das ist schön, stark, verwegen, zart – und emotional sehr ansprechend…

Leon auf YouTube: Tim Bendzko – Ich laufe

Welcher kreative Funke zündet die nächste Stufe? Gehts mehr in Richtung Ausdruckstanz oder etwa Schauspiel? „Ich hab da schon einiges an Material für ein komplexeres Video, jetzt fehlt mir nur noch die richtige Musik dazu.“ Was könnte das sein? „Etwas, dass mich ganz stark berührt.“ Ja, natürlich:

Leon auf YouTube: Vincent Lee – Momentum

Und als ob das nicht schon genug wäre für ein anregendes Gespräch über die Grenzen der Genres und Generationen hinweg, lernen wir Leon, den Profi des selbstverständlichen Crossmedia-Auftritts zu guter Letzt auch als einen Lernenden kennen, den die rastlose Suche nach der jeweils nächsten Vollkommenheit umtreibt. Von Perfektion zu Perfektion strebend ist dem schöpferischen Menschen das Erreichen des letzten Zieles nicht vergönnt. „Ein Künstler, der mit seiner Arbeit zufrieden ist, der ist entweder kein Künstler – oder schon längst tot.“ Von wem auch immer dieses launige Zitat stammt, es trifft einen wahren Kern. Wir bleiben bis zuletzt unterwegs. Und das ist auch gut so, das hält nämlich die Spannung am Leben…

Was dann dabei heraus kommt, wenn man den Fokus beibehält und entsprechende Resonanz erlebt – das könnt ihr jetzt und hier bestaunen:

Leon auf YouTube: Lucia – Silence

Wir gratulieren! 🙂

Das Kreative Vakuum 2.0

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 12. August – Die Kunnst der kreativen Resteverwertung: Eigentlich wollten wir euch hier – wie an jedem Sonntag nach der Nachtfahrt – ein ganzes Album vorstellen. Doch irgendwie waren wir viel zu sehr in Produktion mit dem letzten Perlentaucher Projekt „Falsche Götter“ – und Emanueles grandiosem Gastauftritt dortselbst. Oder wir haben zur Zeit einfach kein gemeinsames Album, das wir für wesentlich erachten UND das in eine knappe Sendestunde passt? Denn sowohl „Navigating by the stars“ von Justin Sullivan als auch „Disintegration“ von The Cure sind einfach zu lang. Also – scheiß der Hund drauf!

Warum nicht zurück zu den spontankreativen Wurzeln der ersten Sendungsjahre und zur Inspiration unseres Godfather of Livestream-Zerhackstückung Peter.W. – und einfach mal eine Art „Restlessen“ aus jenen Beiträgen gestalten, die es nicht mehr in die Nachtfahrt Playlist geschafft haben, aber immer noch in unseren Gehirnen herum geistern? So sei es denn – eine Sendung ohne Thema, ohne Konzept, ohne Struktur und ohne zuvor festgelegte Dramaturgie – eine Überraschungssendung für uns selbst wie auch für euch. Wir nehmen einfach alle Tracks mit ins Studio, die am Freitag aus Zeit- und Platzmangel nicht mehr zu Gehör kommen konnten, Musik und Spoken Word durcheinander, auch unsere eigenen Texte, und entscheiden dann aus dem Stehgreif, was wir eigentlich doch noch ganz gern hören möchten.

Da fällt mir ein – aus dem genialen Spiegel-Artikel vom Matussek hab ich vorgestern ja auch nicht mehr vorgelesen. (Hier sein Videoblog über die Recherche dazu.) Wie dem auch immer werden wird – zum Schluss entsteht aus jeder inneren Leere des Kreativen immer auch eine neue Schöpfung mit Geist und Gestalt. Das ist nämlich das Wesen dieses „Kreativen Vakuums“ – seine innerliche Sogwirkung! Seien wir also gespannt – wir sind schließlich ein Kunnst-Biotop. Auch ein Komposthaufen ist eben ein geiles Institut…

 

Restspielzeit – Ein Ausverkauf

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 29. Juli – Jenseits von Mainstream und Mozartkugel? Da kann ich ja auch gleich zuhause bleiben! Die etwas andere Festspielcollage zur fröhlichen Verfeierung des Geschäftsmodells Imagepolitur mal Umsatzsteigerung: Was hat sich für uns seit Thomas Oberenders ambitioniertem Abgang im Vorjahr verändert? Warum schmelzen die jung-kreativen Freizonen in dieser Stadt kontinuierlich weiter, während uns der Hochfinanzpanzer Festspieltourismus immer noch gegen die Wand drängt? Weshalb zum Teufel sponsort Montblanc das Young Directors Project – aber keine Graffitiwände, etwa unter dem Motto „Schreib was Feines“? Wo sind die Kulturschutzgebiete und Kunnst-Biotope für das Schöpferische aus Salzburg? Und wieso zupft die Festspielpräsidentin an meinem Kapuzenpulli herum?

Alles Mozart – oder was? Nicht unbedingt, doch das Antrittsdrama des neuen Festspielintendanten hat unmissverständlich klar gemacht, worum sich hier alles dreht: ums Geld. In dieser Stadt hat offenbar nur noch das einen Wert, was sich mehr oder weniger umwegrentabel zu Geld machen lässt. Geld, das wiederum Geld anzieht, damit noch mehr Geld daraus entsteht. Die fortwährende Anhäufung von Geld zum Zweck von – weiterer Anhäufung von Geld. Gnadenloser Kapitalismus. Oder schlicht „Mammon“. Und während sie alle feucht (doch wirklich fröhlich?) um ihr goldenes Kälbchen hopsen, die Wichtigen, die noch Wichtigeren und die nicht ganz so Wichtigen, geht ohne große Nebengeräusche ein schöpferischer Prozess nach dem anderen den Salzachbach hinunter und eine um die andere künstlerische Hoffnung im wahrsten Sinn zugrunde – oder eben ins Exil. Wenn schon „die ganze Stadt Bühne“ sein soll für den konsumistischen Spektakeltanz der Reichen und Mächtigen, dann sollen sich auf dieser Bühne doch gefälligst auch die Kinder ihrer Eingeborenen aufführen dürfen – und nicht nur die Handlanger der Gelddrucker und ihre Repressentanten. Macht endlich Platz – und zwar zweckfrei!

Es ist schon erstaunlich: Wir haben nie wirklich darüber diskutiert oder etwa eine echte demokratische Entscheidung getroffen, wozu die Reinhardt’sche Bühnenstadt eigentlich genau dienen soll – aber wir reglementieren ihre Benutzung und verbieten ihre Interpretation jenseits etablierter Gewohnheiten.

„Alles in dieser Stadt ist gegen das Schöpferische, und wird auch das Gegenteil immer mehr und mit immer größerer Vehemenz behauptet, die Heuchelei ist ihr Fundament und ihre größte Leidenschaft ist die Geistlosigkeit, und wo sich in ihr Phantasie auch nur zeigt, wird sie ausgerottet…“ (Thomas Bernhard – Die Ursache. Eine Andeutung)

Sehen wir mal, was uns dazu einfällt – und wohin uns das führt. Gemeinsam mit einem jungen Multikreativen – Emanuele, der auch Co-Producer unserer nächsten Perlentaucher-Nachtfahrt „Falsche Götter“ sein wird – begebe ich mich also in ein paar Zwischenwelten von Salzburger Behauptungen und Biederkeiten. Und das bitte nicht ohne eine gehörige Portion Humor, die fürs Überleben hier auch unerlässlich ist! 😉

 

Französisch – mit Francoise Cactus

Download/Podcast: Artarium vom Sonntag, 22. Juli – Wir lassen es diesmal gemütlich angehen – und so richtig die Frau raus: Francoise Cactus, Autorin, Sängerin, Schlagzeugerin, Hörspielproduzentin, Zeichnerin – und noch so einiges, was in keine Schachtel passt. Eine kleine feine Femmage an eine ebenso umtriebhafte wie uneinteilsame Hansdämpfin in allen Klassen. Haben sie einen Komplex mit dem Sex? Dann fragen sie Frau Francoise – und seien sie gut zu Vögeln! Sie findet Europa neurotisch, häkelt uns mit Wollita ein subversives Sexsubjekt und mag nur eine Brezel: Göring. Mit ihm zusammen ist sie jedenfalls so Stereo Total, dass selbst Mothers Little Helpers noch ganz ungeahnte Polyphonic Size entwickeln. Noch Fragen? Na also…

Es war mein ehemaliger Arbeitskollege René Haas, der mich einst zum Stereo Total Konzert in die ARGE einlud. Er hatte wohl wieder einmal bei einem dieser volkssubventionierten Radiosender angerufen und zwei Freikarten gewonnen – allerdings leider ohne Begleitung! Ich fand das nicht direkt unangenehm, wiewohl ich damals kein eingefleischter Fan der Band war. Das sollte sich jedoch bald ändern, vielleicht nicht gleich durch das Konzert an sich, das immerhin ein für Salzburger Verhältnisse beträchtliches Übermaß an Leichtigkeit, Verspieltheit und Zärtlichkeit versprühte. Nein, es waren die Momente nach dieser fröhlich lebendig machenden Bühnenperformance, als Francoise und Brezel so selbstverständlich selbst hinter ihrer Merchandise-Budel standen und mit uns über Berlin, Wortkunst und antike Sythesizer plauderten. Dieser Augenblick angewandten Punks war wie ein lang entbehrter Schluck frischen Wassers nach einer langen staubigen Reise – und führte mir wieder mal schlagartig vor, wie eingenäht provinziell und peinlich kleinkrämerisch diese Stadt doch inmitten ihres ganzen Eventgetues und Kulturgehabes immer schon war – und immer noch ist.

Es war mein guter Freund und Radiokollege Peter.W. der mich im November 2010 dazu anstiftete, einen jener illustren Vorlese-Abende aus der von ihm initiierten Read This! im Denkmal Reihe zum literarischen Schaffen von Francoise Cactus mit zu gestalten. Ich sollte mich also in Wollita ein- und dann als diverse Stimmen auch aus dem Presserummel drum herum vorlesen. Und wieder wurde es eine äußerst erquickliche und inspirierende Angelegenheit, wie übrigens so vieles, was jenseits von Programmpflicht und Wirtschaftsdruck entstehen darf. Peter ist da sowieso immer einer der fruchtbarsten Anstifter gewesen – und er weiß wohl selbst am besten, warum er nach Wien geht (siehe Artikel/Sendung) – weil eben hier in diesem verklemmt verzweckten Engraum nicht viel Freies möglich ist – und weil das Wenige, das man der zunehmenden Verprivatisierung noch abtrotzen kann, unendlich anstrengend ist. Salzburg ist also nach wie vor für viele „ein Friedhof der Phantasien und Wünsche“ (Thomas Bernhard) – außer natürlich für diejenigen, die aus dem Image und der Kulisse dieser Stadt, die ihren Einwohnern zum Leben vorenthalten wird, ihr ganz privates Kapital schlagen. Die Geldgottesdiener…

„Allons, enfants de la Patrie…“ möchte man singen hören. Oder den Ratten gleich das sinkende Schiff verlassen. Hier herrscht der Mozartkugelfaschismus. Oder der Andenkenständestaat. Die Diktatur des Pollertariats sowieso. Doch seis drum – für diesmal ergehen wir uns in frankophiler Überlebensfreude. Was immer wir daraus lernen können – wir sind ein geiles Institut! 😀

 

Blumfeld – Testament der Angst

Podcast/Download: Artarium vom Sonntag, 15. Juli – Das ganze Album im Kontext von Love and Desperation (Nachtfahrt vom Freitag, 13. Juli) – oder halt einfach nur zur gepflegten Sommerdepression? Auf der Suche nach den Möglichkeiten, höchst ambivalente Gefühlswelten textlich wie musikalisch elegant und stilvoll zum Ausdruck zu bringen, landen wir unweigerlich wieder einmal bei Blumfeld und ihrem nunmehr solo werkenden Frontman Jochen Distelmeyer. Auf dem diesmal hier vorgestellten Album „Testament der Angst“ von 2001 wird eine derartige Gleichzeitigkeit von erlebter Liebe, politischem Zorn und selbstkritischer Verstimmung in Szene gesetzt, dass sie einem therapeutischen Manifest emotionaler Authentizität gleichkommt – auch und gerade weil dieses Befinden nach wie vor so charakteristisch für unsere Zeit ist.

Bei unserem Gespräch aus Anlass seines Salzburger Solo-Debuts im Dezember 2009 fragten wir Jochen explizit nach seinen Erfahrungen mit jenem Seinszustand, den man heute allgemein schwammig als Depression beschreibt. Und ebenso elegant, wie er bereits in der gesamten Blumfeld-Zeit diesen Aspekt menschlichen Erlebens verhandelt hatte, verwies er auf den Gesamtbefund der gesellschaftlichen Entwicklung in den letzten 20, 30 Jahren und konstatierte schließlich, dass aufgrund der massiven Auswirkungen einer in zunehmender Beschleunigung dem Erfolgsstreben gewidmeten Zivilisationskultur wohl immer mehr Menschen ihre umfassenden Empfindungen von Perspektivlosigkeit und Vereinzelung als eine wahrscheinlich behandlungsbedürftige Überforderung wahrnehmen. Einige Ausschnitte aus dieser Unterhaltung könnt ihr im Radioportrait „Jochen Distelmeyer Adventsingen“ nachhören.

Und auch meine damals durchaus erregten Einlassungen auf den wirklich untergründigen Verriss des letzten Blumfeld-Albums „Verbotene Früchte“ durch Doris Knecht im profil (April 2006): „Ich möchte Teil einer Schmetterlingsbewegung sein“. Daraus erwuchs damals die Urform einer gewissen Orgelmetapher, die ab einem bestimmten Grad nicht mehr nachvollziehbarer Abwertung des besprochenen Kunstwerks oder Entwicklungswegs durchaus sexuelle Frustrationen der Poppkritik als Erklärungsansatz unterstellen möchte.

Ganz anders klingt das im Spiegel-Gespräch unter dem Titel „Härte ist ein Aberglaube“ – das entspricht auch meiner Erfahrung mit der Stimmigkeit des Gesamtschaffens, das ich vom ersten bis zum letzten Salzburg-Auftritt erlebt habe. Warum also Blumfeld und Distelmeyer eine Inspiration für junge Salzburger Bands sein sollten? Weil diese spezielle Verbindung von Emotion und Intellekt, von kindlichem Empfinden und literarischer Reflexion in der Diktatur der Mozartkugel und ihrem ewigen Eventsingen praktisch (noch) nicht vorkommt.

Und weil wir ein geiles Institut sind natürlich 😉

Hier also das Video zur Einstimmung: Diktatur der Angepassten (Live) – Gebt endlich auf!!!