Living in The Past

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. März – – – Überraschendes von und mit einem Überraschungsgast. Soviel sei vorab verraten: Unlängst manifestierte sich ein jahrzehntelang aus meinem Blickfeld geratener Jugendfreund als wieder öfterer Gesprächspartner und es stellte sich heraus, dass uns viel mehr verbindet als lange Zeit angenommen. Dass wir, jeder für sich, über einzelne Erinnerungsbilder an eine gemeinsam verbrachte intensive Jugendzeit in den 70er Jahren verfügen, die erst in ihrem einander erzählen, untereinander vergleichen und wieder zu einem größeren Ganzen zusammenführen so etwas wie “lebendiges Wissen von dem, was damals wirklich war” erzeugen können. Daher nennen wir diese Sendung selbstironisch und in Bezugnahme auf das gleichnamige Jethro-Tull-Album auch “Living in The Past”.

Living in The PastWobei die Betonung auf “Living” liegt. Wir wollen hier definitiv keine sentimentale Ü-60 Nostalgie zum alleinigen Zweck besoffenen Schwelgens im “damals war alles schöner” ausrufen. Vielmehr sollen unsere Anekdoten jene Zeit dahingehend wieder lebendig werden lassen, dass erkennbar wird, welche Umstände unsere ganze “Generation von Kriegsenkeln” geprägt haben – und was für Gegebenheiten für unser Leben und unsere Entwicklung damals bedeutsam waren. Dabei ist naturgemäß ein absoluter Fixpunkt unseres Aufbruchs in die Gemeinschaft der Gleichaltrigen zu nennen, das inzwischen legendäre Mark (Markusheim) am Franz-Josefs-Kai. Die dort regelmäßig am Wochenende stattfindenden Musik- und Tanzpartys (dabei wurde Progressive-Rock vom feinsten zelebriert) waren für uns “unverzichtbare Gelegenheiten zur sicheren Zwischenlandung auf unseren riskanten Expeditionen in die uns umgebende wie die uns innewohnende Welt. Ein überaus wertvoller, kaum zu unterschätzender Beitrag zur Bewältigung der Unendlichkeit für uns als 15- bis 18-jährige.” Anders als die wohl der gesellschaftlichen Akzeptanz wie dem Wohlwollen potentieller Geldgeber geschuldete Darstellung als sozialarbeiterischer Interventionsraum

… haben wir diese Einrichtung als Probebühne des Selbstausdrucks, als Freiraum für unsere Versuche von Annäherung und Abgrenzung (außerhalb von Schule und Familie) sowie als Experimentierlabor für noch nicht definierte Möglichkeitsformen erlebt. Inwieweit die “politische Großwetterlage” Mitte bis Ende der 70er Jahre dazu beigetragen hat, eine positive Entwicklung jugendlicher Selbsterforschung in die gesamtgesellschaftliche Integration zu begünstigen – und was dabei (und wodurch manches) auf der Strecke geblieben ist – darüber machen wir uns eben Gedanken.

Wie wir zusammen zu einem gleichzeitig erlebten Moment des Einsseins mit dem Universum (und zwar nach einer gemeinsam durchdichteten Nacht ohne Alkohol oder sonstige Drogen) gelangten, auf welchem Weg das damals für uns eine bedeutsame Rolle spielende Album “Spartacus” von Triumvirat an unser Gehör (und in unsere Gehirne) gekommen ist, worin wir uns bei unseren ersten Versuchen, Sexualität mit Beziehung in Einklang zu bringen, gut widergespiegelt fanden und, was derartige Erfahrungen im Kontext damaliger Musikstile ins Heute übertragen sein könnten

 

Living in The Past!

 

Like A Complete Unknown

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. März“Kommst du mit ins Kino?”, frug ich den Hasen – und schon waren wir mittendrin in der Diskussion unserer inzwischen recht verschiedenen Zugangsweisen: “Ich ertrage keine Synchronfassungen mehr, weil ich mir Filme und Serien seit Jahren nur noch in ihrer Originalsprache anschaue.”, erklärte er. “Für mich stellen Übersetzung und Synchronisation eine eigene Kunstform dar, die ich zusätzlich zum Film an sich genieße.”, erwiderte ich. Dabei läuft “Like A Complete Unknown” im Filmkulturzentrum DAS KINO sowieso in der Originalversion mit deutschen Untertiteln. Und ist aufgrund seiner “etwas anderen” Erzählweise auch in dieser Gestalt überaus zugänglich, weil er die Entwicklung des jungen Bob Dylan vom akustischen Folk zum elektrifizierten Rock in vielen seiner Songs live zeigt.

Like A Complete UnknownUnd seine Songs sind eben genau so bekannt, wie His Bobness (oder wie immer er genannt werden mag) sie selbst singt, auf Englisch. Ich habe mich also in das Original mit Untertiteln hinein begeben und war einigermaßen erstaunt, wie ein über zweistündiger Film die Geschichte einer zunehmenden Deutungsverweigerung in 23 Songs sowie Ausprobiersituationenen erzählt, gefühlt über die Hälfte der gesamten Zeit. Und dabei durch die Dialoge dazwischen, die aufeinanderfolgenden Ereignisse rund um die immer enigmatischeren Aussagen einen insgesamt glaubhaften, nachvollziehbaren Entwicklungsweg zeichnet. Ich bin aus dem Film wieder aufgetaucht und war – ja, waszufrieden. Wie nach einem guten Essen, wo nichts zwickt, drückt oder übrigbleibt. Like A Complete Unknown – man kann die Geschichte des Rätselhaften erzählen. Ohne zu versuchen, sie aufzulösen. Ein offenes Ende, das sich nicht nervig anfühlt und keine losen Fäden herumhängen lässt. Chapeau! Timothée Chalamet, der sich die Person von Bob Dylan derart anverwandelt, als wäre es keine Rolle und er auch kein Schauspieler, sondern alles zusammen, der Film, die Geschichte und auch er selbst eine fortwährende Verwandlung, wächst dabei geradezu über sich hinaus.

Im Vorfeld der Veröffentlichung dieses eigenwilligen Filmprojekts war viel darüber zu erfahren, wie er sich mit Techniken des Method Acting über einen Zeitraum von 5 Jahren in den großen Unbekannten oder eben in der Originalversion “A Complete Unknown” einlebte, um ihn möglichst selbstverständlich verkörpern zu können. Wir haben jenen Artikel des Rolling Stone Magazine gefunden, auf den sich die meisten dieser Berichte beziehen. Und wir haben ein Salzburger Musikprojekt entdeckt, das sich als “Madagascar – A Bob Dylan Phantasmagoria Bootleg Series” bezeichnet.

Das Rätselraten geht also weiter. Und die Antwort auf alle Fragen (it’s blowing in the wind, you know) sind wir selbst. Fragen, auf die wiederum Fragen antworten …

 

Gisbert zu Knyphausen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Februar“Ich hab euch Blumen und Pralinen vom Arsch der Hölle mitgebracht.” Mit diesem ziemlich speziellen Zitat aus “Das Leichteste der Welt” von Kid Kopphausen eröffnen wir die heutige Sendung. Und das ist kein Zufall, erschien doch das Video dazu zwei Tage nach dem jähen Tod von Nils Koppruch, der zusammen mit Gisbert zu Knyphausen dieses innige und intensive Bandprojekt verkörperte. Auf dem fünf Jahre später erschienenen Album “Das Licht dieser Welt”, dem wir diesfalls in voller Länge obliegen wollen, verbearbeitet der lyrische Melancholiker den Verlust seines Freundes auf vielen verschiedenen Ebenen. Triggerwarnung: Hier geht es ohne Schminke um Tod und Trauer. Doch eben darum zeigt sich hier auch das Leben selbst ganz unverstellt.

Gisbert zu Knyphausen - Das Licht dieser WeltDas auf diesem Album enthaltene Lied “Etwas besseres als den Tod finden wir überall” verdeutlicht die lebenszugewandte Verwegenheit des Gisbert zu Knyphausen, der ursprünglich als Musiktherapeut auf die Abenteuerreise nach Ausdruck und Authentizität aufbrach und im Verlauf seiner Musikerkarriere viele Höhenflüge ohne Verleugnung der schwarzen Löcher in und um uns vollführte. Beispielhaft hierfür sein früher Erfolg “Sommertag”, mit dem er mich mitten ins Sowohlalsauch zwischen rasendem Verliebtsein und träger Nichterfüllung hinein traf. Es war ein Stürzen, ein Gestürztwordensein, das sich rückblickend – und im Annehmen des Schmerzes – ebenso langsam wie überraschend als ein Fliegenkönnen entpuppte. Es ist wirklich große Kunst, die zwei Seiten ein und desselben Lebens in einer Musik und in einem Text so unverkrampft und selbstverständlich miteinander zu verbinden – ja, zu versöhnen. Davon lassen wir uns auch in unserer nächsten Nachtfahrt “Wer du bist” inspirieren – und wir sind uns da aus Erfahrung sicher, dass es “auf geheimnisvolle Weise” funktionieren wird.

Die Musik von Gisbert zu Knyphausen entfaltet (abgesehen davon, dass sie einfach schön ist) auch eine therapeutische Wirkung, so viel steht fest. Sie erreicht dies auf einer unbewussten Ebene, die viel wirkmächtiger ist als alles, was wir mit unserem Verstand erfassen können, nämlich in einer Sprache ohne Worte, wie Peter Levine die von ihm als Somatic Experience zur Traumatherapie eingesetzte Körpererfahrung beschreibt. Wie Musik ohne Worte den gesamten Song verändert und uns dabei eine ganz eigene Geschichte erzählt, das ist auf “Cigarettes & Citylights” gut zu hören.

“Es ist ein Mittwoch kurz vor Herbst …”

 

Zaho de Sagazan

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Februar – Sie ist gerade “in aller Munde” und überhaupt “der neue heiße Scheiß” aus Frankreich. Jedenfalls überschlägt sich die Kulturberichterstattung seit ihrem Auftritt bei den Filmfestspielen in Cannes und wird nicht müde, die so angenehm andersartige Musikerin zu lobpreisen. Denn die gerade mal 24-jährige Zaho de Sagazan ist so ziemlich der genaue Gegenentwurf zur immer austauschbarer anmutenden Massenware Popmusik. Grund genug für uns, sie interessant zu finden und einmal näher hinzuspüren, was “das Besondere” an ihren Musikdarbietungen und vor allem an ihr selbst sein könnte. Dazu tauchen wir tief in ihr erstes Album “La symphonie des éclairs” sowie dessen erweiterte Neuauflage mit dem Zusatz “Le dernier des voyages” ein und stellen unsere Entdeckungen vor.

Zaho de Sagazan AlbumAllein schon die Kombination aus Chanson und Elektro lässt einen neugierig werden, zumal Zaho als prägende Einflüsse Jaques Brel und Kraftwerk anführt. Und dann ist da noch ihr Gesangsstil, der jedes Glattbügeln zur perfekten Oberfläche verweigert, stattdessen Atmung und Emotion ins Zentrum des Anliegens stellt. Die von uns sehr geschätzte Republik nennt sie “Die Retterin des Chansons”. – In der Berliner Siegessäule kommt naturgemäß ihre Bisexualität zur Sprache (was Zaho de Sagazan gleich in Richtung Pansexualität erweitert). Für mich war es vom ersten Augenblick an faszinierend (im Sinn von verknalltmachend), wie unbefangen dieser auf allen Ebenen schöne Mensch über die eigenen Erfahrungen mit unspezifischer Liebe, spielerischer Sexualität und romantischen Beziehungen spricht. Und wie zutiefst selbstverständlich, mit sich im spürbaren Einvernehmen sie uns ihr Leben als hochsensible/hochsensitive Person zeigt, die als Kind so sehr von Gefühlsreizen überflutet wurde, dass sie aufhörte zu sprechen und erst mit 13 Jahren die Musik als Mittel zur Kommunikation entdeckte.

Inzwischen berichtet sie, wie schwierig und anstrengend es zunächst war, von einer Unmenge an gleichzeitigen Gefühlseindrücken geradezu ausweglos überwältigt zu sein und nichts anderes tun zu können, als diesen Zustand irgendwie auszuhalten, zu ertragen. Und wie sie mit der Zeit bemerkte, dass ihre im Anfang als behindernde Einschränkung erlebte Besonderheit auch außergewöhnliche Berührungsebenen eröffnete, indem sie lernte, diese als Fähigkeiten der spezielleren Wahrnehmung bewusst und kontrolliert anzuwenden – auch in ihrem Musikschaffen: Aspiration.

La symphonie des éclairs (Animation)

 

Enigmamania

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. JanuarReisen wir durch die Zeit – und das gleich auf mehreren Ebenen. Zuallererst zurück in die 80er Jahre, als weltweit immer leistungsfähigere Computertechnik die Musikproduktion revolutionierte. Vor allem die dazumals brandneue Sampling-Technik sowie die zunehmend ausgefeilten Möglichkeiten digitaler Klangbearbeitung inspirierten zahlreiche Kunstschaffende zu völlig neuartigen Hörstücken und Musikwelten. Wir denken in dem Zusammenhang an Peter Gabriel, einem der ersten, der mit dem legendären Fairlight CMI arbeitete. Und auch in Österreich entstand Beachtliches wie etwa das Album “Enigmamania” von Hubert Bognermayr und Harald Zuschrader, das wir euch hier und heute vorstellen. Es wurde auch als “Red Sky Beat” veröffentlicht und war etwas ganz Eigenartiges.

Blue Chip Orchestra - EnigmamaniaDie zwei Herren hatten ja schon im Jahr 1982 eine computerakustische Klangsymphonie unter dem Namen “Erdenklang” erschaffen und bei der Ars Electronica in Linz uraufgeführt. Die anschließende Veröffentlichung als LP ist das weltweit erste Album, das ausschließlich mit besagtem Fairlight produziert wurde. Ja, da schau her … Von da an gingen die beiden Forscher und Entdecker in ihrem Elektronisches Försterhaus genannten Studio immer weiter auf die Suche nach unentdeckten oder längst verloren geglaubten Klängen, Stimmungsbildern, Zustandswelten und archetypischen Prophezeihungen. Und auf diesem Weg gerieten sie fast schon folgerichtig – nachdem sie zuvor bereits die Bergpredigt zerlegt und neu zusammengebaut hatten – zu den Schöpfungsmythen der Lakota. Sie verwoben die darin vorkommenden Charaktere mit Tonaufnahmen von echten Zeremonien, mit verbearbeiteten Naturgeräuschen und synthetischen Klängen zu einem panakustischen Erlebnis. Mir fällt dazu Hörwelt oder Kopftheater ein, das jedoch auch im Körper seine bewusstseinserweiternde Wirkung entfaltet.

Nun müssen solcherlei Phänomene (wie Heilungszeremonien oder schamanische Reisen und dergleichen) allerdings selbst erlebt werden, ansonsten würde man von einem Essen erzählen, von dem man nicht einmal weiß, wie es schmeckt, geschweige denn, wie es sich im Bauch anfühlt oder ob es einen überhaupt satt gemacht hat. Um also die mögliche Wirkung dieses Klangwerks irgendwie beschreibend zu erfassen, verweisen wir an der Stelle auf zwei Rezensionen, die immerhin freibleibend genug die Mythologie des Projekts beziehungsweise seine etwaige Verwendung darlegen.

Enigmamania eben …

 

Diagonal durch die Szenerie

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Dezember – Wir kriegten Weihnachtspost vom Almblitz-Wolfgang, darin dieses zum eigenen Freispruch einladende Zitat von Viktor Frankl: “Wenn du den Raum zwischen Reiz und Reaktion betreten kannst, dann bedeutet das Freiheit.” (Und bitte, der Mann hat sich solche Gedanken im Überleben des KZ-Grauens erkämpft.) Von einem kurzen Aufblitzen dieser Art von Äquidistanz werde ich euch erzählen, nämlich wie ich mitten im Vorweihnachtssalzburg zwischen Mozartsteg und Kaigasse zu der Einsicht gelangte, es wäre zuträglicher, “diese Stadt diagonal zu bereisen”. Was das wiederum mit den Kriegszuständen zu tun hat, die in der Adventszeit überall lauern und die sich am Heiligabend (meist im unentrinnbaren Kreis der Familie) noch steigern können, das soll diese Sendung veranspürlichen

Diagonal durch die SzenerieMeiner verstorbenen Cousine (die sich bis zuletzt Jahr für Jahr durch ein zum leblosen Ritual erstarrtes Familienweihnachtsfest kämpfte) habe ich etwas in ihren Nachruf geschrieben, das mir gerade jetzt, quasi als Grundbedingung, wieder aufgefallen ist – den Freispruch zu Beginn jeder Beziehung und jedes Gesprächs. Im Artikel zur Sendung “Erinnerung an Elke Mader” steht:

2) Teilnehmendes Beobachten. Eine vorurteilsfreie Grundhaltung, die Elke nicht nur in ihren Feldforschungen einnahm, sondern die ihr gesamtes Leben prägte. Mir in jedweder Lebenslage sowie uns in unserer Freundschaft und Arbeit gegenüber hat sie stets diese eigentlich ambivalent anmutende und dabei so überaus angenehme Haltung eingenommen. So sollte generell jede zwischenmenschliche Begegnung sein: Dass man zur Begrüßung freigesprochen wird von der Schuld des Rollenspielens.

Genau so etwas ist mir kurz vor der eingangs erwähnten Situation wiederfahren (als ich mir dachte, es wäre besser, diese Stadt diagonal zu bereisen). Es befreite mich dazu, meine Wege durch den Vorweihnachtstrubel selbst zu bestimmen und eben nicht als wehrloses Opfer dem Gedränge und Geschiebe von ferngesteuerten Menschenmassen ausgeliefert zu sein. Stattdessen erlebte ich etwas, das Hartmut Rosa als “diagonale Resonanz” beschreibt, nämlich dieses zutiefst lebendige “Hineinkippen, in den Flow geraten” mit einer Sache, vollkommen darin verloren, zugleich vollkommen kontrolliert.

Und weil es (wie jedes Jahr wieder) Weihnachten wird und wir ein starkes Verlangen nach Versöhnung spüren, wollen wir noch etwas vom Wesentlichen hervorholen, das uns im Lauf des (fast schon wieder) vergangenen Jahres untergekommen ist. Zu guter Letzt kommt ein Mann mit der Gitarre und singt (von mir aus unterm Weihnachtsbaum) ein Lied von der Befreiung – vom Krieg, von der Schuld, und von allen damit tragisch verketteten Zwängen. Und das tut er auf Russisch, damit es noch der letzte Kämpfer in der Ukraine versteht. Der General spricht seine Soldaten frei, was für ein Anfang.

Ein frohes Radio euch allen!

 

Fairy Tales for Cyborgs

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Dezember – Das lang erwartete neue Album von SoundDiary ist nunmehr erschienen – und mit großer Freude stellen wir es euch hier und heute und in voller Länge vor: FourWord – Fairy Tales for Cyborgs (dessen Gesamtlänge von über 58 Minuten uns zur kürzesten Signation aller Zeiten anregte). Ich gebe zu, dass der Titel (und die von mir dahinter vermutete Geschichte) zunächst einiges an Abwehr hervorrief, so im Sinn von: “Geh bitte, jetzt kommen die auch noch mit diesem inflationären KI-Thema daher.” Und ich muss mich ausdrücklich bei meinem unerschrockenen Sendungspartner, dem Hasen, bedanken, dass er mir durch seine Eindrücke vom Probehören, die er mir geduldig schilderte, ein erweitertes Eindringen in die Fairy Tales for Cyborgs (hier das CD-Booklet) ermöglichte. Und, siehe da

SoundDiary - FourWord (Album Cover)SoundDiary haben sich nicht nur musikalisch weiterentwickelt – eine recht ordentliche, weil auch inhaltlich detailgenaue Rezension findet sich auf “Just for Kicks Music” – auch die Komplexität ihrer Konzeptarbeit hat mit diesem Album wieder eine neue Dimension erreicht. Oder wie wir den Einstieg in die Story hinter dem Konzept des Albums möglichst auf den Punkt zu bringen versuchen: “Eine vielschichtige Geschichte.” und “Ein Ringen um Identität.” Alles, was darüber hinaus noch zu entdecken wäre, entnehmen sie bitte (und hier wird das gern gebrauchte Wortspiel zur Wirklichkeit) der Packungsbeilage. Sowie dem Anhören des Albums selbst natürlich. Womit wir ja immer ein Eintauchen, ein sich vom Hörerlebnis mitnehmen und so zu eigenen Gedanken, Bildern und Phantasien anregen lassen meinen. Da taucht (jedenfalls im Fall dieser Fairytales) so einiges auf, von dem wir gar nicht gewusst haben, dass es überhaupt da war. Oder wissen wir das alles schon immer, nur unsere Verbindung dorthin ist uns irgendwie nicht zugänglich? “Der Verstand kann es nicht begreifen, doch der Körper weiß, wie wir überlebt haben.”

Die “vielschichtige Geschichte” lässt sich nämlich auf verschiedene Weise verstehen oder erleben oder (um in der Sprache des Erzählers zu bleiben) entschlüsseln. Dazu haben wir den Weg über die Worte gewählt und uns beim Hören auch in den Text der einzelnen Songs vertieft. Dabei war uns das Download-Booklet eine große Hilfe, weil es die Texte ohne weitere Grafiken vorstellt. Was mich da angesprungen hat, was mich letztendlich davon überzeugt, dass es sich hier definitiv nicht um eine simple “Robotergeschichte” handelt, das müssten die folgenden Textauszüge aufzeigen:

Mem0r1es:

It seems the pain has left me, I’m surrounded by the people I love.
Although my heart hasn’t stopped bleeding, the wounds are turning into scars.
But still I’m scared about the hours when I’m alone and think about our days.
In every single piece of me you remain a painful thorn that’s stuck in me.

Dreaming of you makes me sweat and cry my tears.
Thinking of you makes me bitter and stunned.

Blame:

Still sorrow in my eyes, still pain I cannot hide.
And still a soul, that dies, I am about to change the side.
We feel a common pain, but our escape route is blocked,
our efforts are in vain, and so we all stay shocked.

Let us out. We’re afraid, there must be something to blame.
Let us out. We’re exposed, falling out of the frame.

J0urney t0 0’0ne:

The closer I get to the center the further away I feel.
I am going to enter the essence of what once was real.
The closer I get to the center the better I see
this black hole that once seemed to matter so much to me.

We are one and we know our journey has just begun.

What’s beyond this strange horizon?
My focus finally lies on the fact that
I don’t owe you anything.

 

Also, ja – Fairy Tales – nicht nur für Cyborgs …

 

Die Übermuttergottes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. Dezember – Wir leben in einer “toxischen” Welt. Oder etwa nicht? Da wird es Zeit, eine Artarium-Adventandacht zum Thema “falsche Geschichten” zu gestalten. Zumal der Marienfeiertag im Konsumrausch beispielhaft versinnbildlicht, wie toxische Dogmen aus dem Altherrenverein Kirche  und das damit verbundene toxische Frauenbild, ich sag nur “Heilige” oder “Hure”, scheinbar unbemerkt in toxisches Alltagsverhalten übergehen. Was bedeutet der geradezu inflationär gebrauchte Begriff “toxisch” eigentlich? Vergiftetes Leben, vergiftete Natur, vergiftete Beziehungen oder gleich Rattengift statt Muttermilch, wir bitten dich, erhöre uns … Was vergiftet die menschliche Evolution? Eine heiße Spur ist diese: “Sind es die falschen Gesichten, die wir uns kollektiv erzählen?”

Die ÜbermuttergottesProfessor Johannes Vogel eröffnet uns einen etwas anderen Blick auf das Menschsein. Auf den Einwand, es sei für Schöpfungsgläubige eine narzisstische Kränkung, dass wir alle genetisch zu 95% mit den Affen verwandt sind, erwidert er souverän folgendes: ”Wir sind auch zu 60% mit der Tomate verwandt. Das ist doch keine Kränkung, sondern eine Schenkung, dass wir seit mehr als 3 Milliarden Jahren Teil ein und der selben Natur sind.” Das hier verlinkte Gespräch ist ein erstes Beispiel dafür, wohin wir mit der heutigen Sendung zielen: Gute Gedanken und andere (also nicht die schon immer erzählten) Geschichten, die uns allesamt als ein Mittel gegen die Vergiftung beim Reparieren der Welt helfen können, sei es im inneren oder da draußen, was ja ohnehin stets zusammenhängt. In der Natur hängt immer alles mit allem zusammen. Unsere nächsten zwei Beiträge, die wir auch live in der Sendung vorstellen werden, stammen von zwei gescheiten Frauen, die jeweils auf ihre eigene Art anders sind …

Zum einen Amber Jacobs, die als “The Storyteller” auf der vehement inspirierenden Seite Museum Of Dreams interviewt wird und dort ihr spontansituatives Erzählprojekt “Telling Tales” beleuchtet, wovon wir uns auch zum Titel der nächsten Perlentaucher-Nachtfahrt “Museum der Träume” anstoßen haben lassen. Dann zum anderen Prof. Marianne Gronemeyer, deren Vortrag “Die Grenze – was uns verbindet, indem es uns trennt” einiges über die jeweilige Systemrelevanz des Beutemachens und/oder Kulturschaffens (aus der Erfahrungswelt von Höhlenmenschen heraus) darstellt.

Anlässlich eines Feiertags, in dessen Verlauf Religion und Konsum verschmelzen.

PS. Arno Gruen – Die Liebe der Mutter direkt aus “Der Verlust des Mitgefühls”

 

Scenes from a Night’s Dream

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. November – Es geht ans Eingemachte. Aber mit Humor, das ist überlebenswichtig. Beginnen wir mit einem Urgestein der hierzulandigen Unterhaltungskunst: Lukas Resetarits, der in seinem Programm “Schmäh” einige Wirklichkeiten bis zur Kenntlichkeit entstellt. Und der endlich auch einem Grundphänomen der peinlich/lustigen Selbstäußerung den nötigen Platz einräumt: dem Schas. “Johann Nestroy hat einmal gesagt, oder vielleicht wars auch Michael Niavarani, einer von den beiden hat einmal gesagt: Der Schas ist der beste Komiker. Nun bin ich nicht unbedingt der Ansicht …” Auf jeden Fall soll die mit diesen Worten beginnende Betrachtung unsere Reise durch den innenweltlichen Druckausgleich eröffnen: “Scenes from Intestines“ könnte der Songtitel lauten …

Scenes from a Night's Dream (Little Nemo)Nun ist es tatsächlich so, dass ich selbst in letzter Zeit immer wieder von ausnehmend heftigen Träumen heimgesucht werde, aus denen ich zumeist auch unter vehementem Bauchgerumpel verstört erwache. Wenn ich anderntags von diesen meinen nächtlichen Erlebnissen erzähle, entzücken sie sowohl Dichter als auch Psychotherapeuten oder Schamanen. Und auch ich bin von meinen nächtlichen Leistungen recht beeindruckt, zumal sich dabei so einiges auflöst, was mit dem Verstand und bei wachem Bewusstsein gar nicht hinreichend zu berühren wäre. Doch die mit solch transzendentalen Exkursionen einhergehenden Bauchschmerzen geben mir immer wieder Anlass zur Sorge. Kann ich das nicht irgendwie besser steuern oder gar irgendwie kontrollieren? Und da offenbart sich mir (so banal wie der eingangs angesprochene Schas) ein möglicher Zusammenhang: In dem alten Genesis-Song “Scenes from a Night’s Dream” (der eine Hommage an die Jugendstil-Cartoons “Little Nemo in Slumberland” ist) heißt es unter anderem: “Eating all kinds of food so close to bedtime, they always made him have these nightmares, it seemed.” Da schau her, schon wieder ein (in mehrerlei Bedeutung) Phänomen des Verdauungsdrucks.

“Der Wind hat mir ein Lied erzählt”, könnte man da auch sagen. “Der Druck steigt”, oder “Alles muss raus!”, wie es in einzelnen Musikbeiträgen der heutigen Sendung zum Auspuff kommt. Schwer Verdauliches noch so spät am Abend? Wie verhält es sich dann mit den Auswüchsen des Globalkonsumismus, die uns allen (ob wir das je bemerkt haben oder nicht) schon seit Generationen im genetischen Magen liegen, dass uns die Luft wegbleibt und das Herz Platzangst kriegt vor lauter Schas, der sich da fortlaufend ansammelt? Fragen sie ihren Arsch – oder besser Elias Hirschl.

Scenes from a Content oder Der Darminhalt der Weltverdauung. Prost!

Irgendwann verwandelt sich alles in Cake.

 

Versenkte Erinnerung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. NovemberLiebe Leute! Da müht man sich jahrzehntelang herum, dass die Erinnerung ans BÜCHERVERBRENNEN nie vergessen wird, und auf ein Mal taucht (im wahrsten Wortsinn) noch ein Wahnsinn im Umgang mit unerwünschtem Gedankengut auf, das BÜCHERVERSENKEN, von den Staatsbehörden des Austrofaschismus 1934 kurz nach den Februarkämpfen in Auftrag gegeben und im Mündungsbereich der Traun in den Traunsee durchgeführt. Ungefähr 800 Titel aus der Arbeiterbibliothek Ebensee wurden dafür “aussortiert” und sodann ins Wasser geworfen. Sie sollten “in der Versenkung verschwinden” und mit ihnen auch alle darin enthaltenen Gedanken. Ein Artikel in der Alpendistel 5/2024 erinnert uns daran, wie sich das Vergangene nach wie vor auf uns auswirkt.

Versenkte Erinnerung (Das Freie Wort)Darum gefällt uns auch das dort vorgestellte Erinnerungsprojekt von Alexander Jöchl und Sabrina Kern, weil es durch die Auswahl von zeitgenössischen Buchtiteln durchaus umstrittenen Inhalts die nötige Verbindung zur Gegenwart ermöglicht. Und, das möchten wir anmerken, zur Vorvergangenheit. Denn das Ausmerzen von Büchern (mitsamt den in ihnen enthaltenen Gedanken) findet aktuell etwa in den Schulbibliotheken von Florida statt, hat aber auch etwa als Index librorum prohibitorum jahrhundertelange katholische Tradition und so das “christliche Abendland” entscheidend geprägt. Der Gegenwartsbezug des angesprochenen Projekts “Versenkungen” wird durch die Selbstbeschreibung deutlich: “Ein besonderer Schwerpunkt (bei der Auswahl der zeitgenössischen Titel) liegt auf antifaschistischem, antirassistischem, queer-/feministischem sowie postkolonialem Wissen in Form von Büchern.” – Und was ist mit der Belletristik?

Unter den überlieferten Autorennamen der Bücherversenkung 1934 finden sich nämlich nicht nur die üblichen Sachbuchverdächtigen wie Marx, Lenin oder Stalin, sonder eben auch Maxim Gorki, Fjodor Dostojewski, Upton Sinclair und Émile Zola. Wäre heute zum Beispiel ein Titel wie “The Handmaid’s Tale” von Margaret Atwood ausgewählt worden, um gefälligst dem Vergessen anheim gefallen worden zu sein? Ein entsprechendes Video mit dem Titel “The Unburnable Book” ließe derartiges vermuten. Lassen wir uns zum Übertragen von Erinnerung in die Gegenwart anregen:

Dazu verwenden wir eine Textpassage aus Maxim Gorkis Roman “Die Mutter” und lassen sie aus der klanglichen Unterwasserwelt von Deprogramming Division wieder im Hier und Jetzt auftauchen. Unser kleines Hörmahnmal soll die Gefühlswelt der Arbeiter*innen von Ebensee und ihre damaligen Wünsche und Hoffnungen zeigen – sowie eine Brücke in unser aller Erleben schlagen, wenn es darum geht, wie wir uns selbst in den Gedanken von Büchern wiederfinden und was uns das bedeutet, wenn wir dabei plötzlich bemerken, dass wir doch nicht allein sind mit unserer Situation.

Wenn wir im Schlamm der Geschichte nach Perlen tauchen …