Der Sommer kann beginnen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. JuniDie Welt ist im Begriff aus den Fugen zu geraten – und wir freuen uns, dass es Sommer wird. Leben wir nicht alle in diesem Zwiespalt zwischen Lebensfreude und Vergehen? Zwischen Wachstum und Zerfall? Zwischen “Moi, is des scheee!” und “Geh, bitte – ned des a nu!” Es ist an der Zeit, den Sommer zu begrüßen und mit ihm zu feiern, weil wir kostbar sind. Zerbrechlich, aber wunderschön. Trügerisch wie das Idyll und tief vertraut mit uns. Wenn wir uns wirklich ausliefern, dann werden wir uns auch nicht umbringen. Wir sind ihre Hasen des Guten, Wahren und Schönen. Der Rest ist Geschichten. Womit wir auch schon bei jenem “schönen Ort” angekommen sind, “wo das Leben zur Sprache kommt”, dem Salzburger Literaturhaus und seinem heurigen, ganz speziellen Sommerfest.

Die dort gemachte Aussage: “und ausnahmsweise keine Literatur.” ließ uns innerlich aufhorchen (oder fast schon erschrecken) Waaaas? Ein Fest im Literaturhaus OHNE Literatur? Ja, dürfens denn das? Doch dann erfuhren wir unter der Hand, dass die da angekündigte “Überraschung” aus so einer Art Textpotpourri oder anders gesagt “Sommersprachblütenstrauß” bestehen wird, was wunderbar zu unserer ursprünglichen Idee für diese “Sendung als Sommerfest” passt, wollten wir doch ebenfalls eine “Blütenlese” aus sommerthematischen Audiocollagen und Musikstücken präsentieren und dazu die eine oder andere “Überraschung” bereitstellen. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich stattfindenden Wirklichkeiten ist ebenso beabsichtigt wie auch frei erfunden. Alles andere wäre rein zufällig – und das ist es eh oft. Wobei “rein” … aber lassen wir das!

Es fällt jedenfalls auf, dass in unseren Artarien, Nachtfahrten und Perlentauchereien immer wieder jahreszeitliche Schwerpunkte auftauchen. Das begann schon 2008 mit der mehrteiligen Reihe “Sommerkunst”, die in einer Radioschorsch-Auszeichnung zum 10-jährigen Jubiläum der Radiofabrik kulminierte. Im Juli 2013 hinterfragten wir den Salzburger Festspielzirkus einmal sprach- und gesellschaftskritisch: Sommer Textase Reloaded. Und am 12. Juni 2015 “eröffneten wir uns einen H. C. Artmann Platz. Feierlich. Live. Im Radio.” Unter dem passenden Titel Sommernachtstraum.

Zuletzt soll sich der Kreis noch thematisch schließen. In unserer Sendung Dunkelbunt Sommertag haben wir die eingangs skizzierte Zugleichheit aufgezeigt: “Sommertag assoziiert ja seit Erfindung der Sommerferien alles Vorstellbare rund um Freibad, Freiheit und Freizügigkeit. Oder lieber Freibier? Dennoch wohnt dem Sommersein oft nicht nur Schönes und Helles inne, sondern auch Abgründiges.” Und weiter: “Jede Extase trägt immer auch den Absturz in sich, so wie im Leben das Süße auch immer mit dem Bitteren vermengt ist.”So riecht, so schmeckt, so fühlt sich Sommer an.

Ein frohes Fest. Wir sehen uns …

PS. Jochen Distelmeyer, den wir in der Signation hören und den wir als einen ganz herausragenden deutschen Dichter verstehen, hat mit Jenseits von Jedem die fast 15-minütige Ballade eines realsurrealen Sommerfests verfertigt, die wir euch jetzt zu jedweder Einstimmung – und überhaubst – heftig ans Herz legen wollen.

 

Rinteltitintel

> Sendung: Artarium vom Pfingstsonntag, 28. Mai – Dem kalendarischen Anlass entsprechend umkreisen wir das unglaublich Mögliche sprachlicher Verständigung. Und zugleich auch das glaublich Unmögliche in den verschwitzten Versuchen der Zwischenmenschen, einander redend zu verstehen. Allerorts findet babylonische Sprachverwirrung statt und Chatbots spielen mit sich selbst Stille Post: “Was der eine sagt und der andere versteht, muss für den dritten nicht unbedingt richtig sein. Denn was dieser draus macht und dem zweiten erzählt, hat der erste nie gemeint.” Schon der Fuchs sagt ja zum kleinen Prinzen: “Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse.” Wäre es also nicht gerade jetzt höchste Zeit, durch die uns von einander trennende Membran des Unwirklichen hindurch zu ….. “Rinteltitintel”

RinteltitintelEs ist nämlich genauso zutreffend, dass Verständigung ohne Sprache (jedenfalls zwischen uns Menschen) nicht hinreichend möglich ist. Und das befördert uns geradewegs zur Kraft der Verwandlung, die dem gesprochenen Wort innewohnt. Wie weltbewegend kann “nur ein Wort” sein, wenn wir dadurch von unserer Angst befreit werden, ein vernichtendes Urteil könnte über uns verhängt sein. Ein gnadenlos fortbestehendes Nichtgenügen, ein ausweglos unentrinnbares “Nein” zu all unseren Versuchen, für unsere Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle endlich Anerkennung zu erfahren, Annahme, Bestätigung, Verständnis: Der Freispruch des Lebens in Gestalt eines anderen Menschen – der in menschlicher Sprache zu uns spricht. Zum Beispiel: “Es tut mir leid.” Oder: “Du bist mir wichtig.” Und womöglich sogar: “Es ist gut, dass es dich gibt. Und zwar genau so, wie du bist.” Derlei Reden als eine Antwort ins Dasein des Gegenübers kann selbst Tote zum Leben erwecken.

“Es tut mir leid, dass ich dein Bild von mir zerstört habe. Aber irgendwann war es mir einfach nicht mehr möglich, ihm noch weiter zu entsprechen. Wobei ich durchaus eine erhebliche Veranlagung dazu in mir trage, die ist geradezu gefickt eingeschädelt. Ich versuche mich dadurch den unausgesprochenen Wunschvorstellungen der Menschen anzugleichen, die mir viel bedeuten, deren Liebe und Anerkennung ich nicht verlieren will. Doch ich begreife, dass es nicht gut für mich ist, wenn ich mich zwischen mir selbst und dem, was ich gern für jemand anderen sein möchte, zerreiße. Bitte, verzeih mir …”

Er stand auf, fühlte die Traurigkeitund machte sich trotz alledem auf den Weg.

Die Worte Pfingstwunder und Literatur müsste man hier gar nicht mehr herschreiben – man kann es aber.

Der Geist weht, wo er will.

 

 

Auslöschung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. April – An diesem Sonntag im April jährt sich zum 85. Mal die “Salzburger Bücherverbrennung”, die kurz nach dem “Anschluss” Österreichs 1938 von fanatisierten Salzbürgern (und -innen!) inszeniert worden ist. Und auch in diesem Jahr lädt die Inititive Freies Wort wieder zum Gedenken an die Auslöschung von Gedanken, Worten und eben auch menschlichen Existenzen ins Literaturhaus – zum “Widerstand” (am Sonntag, 30. April um 11:00 Uhr). Wir fragen uns, wer damals alles “verbrannt” worden ist und was die da so geschrieben haben, dass es gar so dringend “ausgemerzt” werden sollte. Wir bieten Innenansichten aus dem Werk von Stefan Zweig und überlegen uns, was das mit einem Autor (oder einer Autorin) macht, wenn er/sie in Todesangst aus der eigenen Sprachheimat weg muss.

Licht am Ende

“Aber wenn auch nur ein Wahn, so war es doch ein wundervoller und edler Wahn, dem unsere Väter dienten, menschlicher und fruchtbarer als die Parolen von heute. Und etwas in mir kann sich geheimnisvoller Weise trotz aller Erkenntnis und Enttäuschung nicht ganz von ihm loslösen. Was ein Mensch in seiner Kindheit aus der Luft der Zeit in sein Blut genommen, bleibt unausscheidbar. Und trotz allem und allem, was jeder Tag mir in die Ohren schmettert, was ich selbst und unzählige Schicksalsgenossen an Erniedrigung und Prüfungen erfahren haben, ich vermag den Glauben meiner Jugend nicht ganz zu verleugnen, dass es wieder einmal aufwärts gehen wird trotz allem und allem. Selbst aus dem Abgrund des Grauens, in dem wir heute halb blind herumtasten mit verstörter und zerbrochener Seele, blicke ich immer wieder auf zu jenen alten Sternbildern, die über meiner Kindheit glänzten, und tröste mich mit dem ererbten Vertrauen, dass dieser Rückfall dereinst nur als Intervall erscheinen wird in dem ewigen Rhythmus des Voran und Voran.” So beschreibt Stefan Zweig im Exil rückblickend seine verlorene Welt der Sicherheit – in seinen posthum erschienen Erinnerungen eines Europäers Die Welt von Gestern. Traurig, aber wahr.

Und die Frauen? Wir haben eine Dichterin entdeckt, die nach ihrer Vertreibung dort geblieben ist, wo man sie aufgenommen hat – und die das Tragische des Dichters im Exil in ihrem gleichnamigen Gedicht meisterhaft zum Ausdruck bringt. Damit wollen wir euch jetzt euren Zuständen überlassen – und euch zugleich zum Zuhören einladen, denn in unserer Sendung gibt es noch mehr zu entdecken von und mit Bertolt Brecht, Theodor Kramer, Stefan Zweig, Carl Zuckmayer und eben jener Stella Rotenberg:

Der Dichter im Exil

Mir muss Vergessenes reichen;
mit Verschollenem halte ich Haus.
Aus Verdämmerndem klaube
ich Scherben von Silben zu Wörtern heraus.

Das sind noch gesegnete Tage.
Scherben sind endlicher Hort.
Wo hole ich, wenn die Verstummung kommt
Buchstaben für mein Wort?

 

PS. Empfehlenswerte Materialsammlung, bereitgestellt vom Friedensbüro Salzburg – rund um die Salzburger Bücherverbrennung und durchaus noch darüber hinaus.

 

Urwald und Gefühle

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. April – Es war mein Freund und Kollege Christopher Schmall, hier besser bekannt als der Hase, der beim Betrachten von einigen wundersamen Fever-Ray-Videos zu ihrem Album “Radical Romantics” ein wiederkehrendes Motiv entdeckte: In eine von technischen Geräten und Abläufen geprägte Welt dringt immer wieder elementare Natur als ungezähmte Wildnis ein. Und dieses Element wild wuchernden Lebens, das da auftaucht, das beglückt und auch verstört, das drängt sich als gelungene Metapher für unser Gefühlsleben auf. Schon bei unserem ersten Gespräch über diesen Umstand erinnerte ich mich sofort an meine intensiven Gefühle, die ich vor Jahrzehnten im Urwald von Dürrenstein” erlebt habe – und die mich in ihrer abgründigen Ambivalenz seither beschäftigen.

Urwald und GefühleSind wir heutigen Menschen nicht immer in zwei unterschiedlichen Welten zugleich zuhause? In der technisierten Welt, in der wir die Summe vieler Errungenschaften der gesamten Menschheit im Umgang mit der Natur wie selbstverständlich anwenden. Und in der Gefühlswelt, in der uns nach wie vor die selben Elementarereignisse umtreiben wie zu Beginn der Kulturgeschichte oder als Kind: Freude ist und bleibt Freude, Angst ist und bleibt Angstdas Unwägbare ist und bleibt unwägbar, auch wenn wir noch so viel Sicherheit einziehen. Wir können unsere elementare Gefühlsnatur nicht portionieren und in Dosen abfüllen – jedenfalls nicht, wenn wir in elementare Situationen unseres Lebens geraten, so wie jene, mit denen sich Fever Ray auseinandersetzt. Etwa gewohnte Sicherheiten loslassen zu müssen, um sich einem anderen Menschen rückhaltlos anzuvertrauen, um Liebe zu erleben, eine neue (oder eh immer schon die eigentliche) Identität einzunehmen.

Die Kunst besteht darin, in beiden Welten zu leben, ohne die eine gegen die andere auszuspielen. Ohne die eine auf Kosten der anderen als die einzig wahre, als allein seligmachend zu begreifen. Sie verstehen lernen, sie verändern und gestalten, und sie nicht zerstören. Das ist meine Idee von so etwas wie Frieden, der bei sich selbst beginnt. Einmal habe ich mich sehr gleichzeitig in diesen beiden Welten befunden: Und zwar als ich eines Nachts in einem fahrenden Auto einer Bärenmutter mit zwei Jungen begegnet bin, die in der selben Richtung die Straße entlang gelaufen sind …

und ich einen Moment innehalten konnte.

 

Es gibt kein richtiges Leben im falschen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. März“Adorno? Auf den berufen sich viele.” So hört es sich oft an, wenn die Geschichte an einem (oder einer anderen) vorbeifliegt und ihre Schwingen einen plötzlich anrühren. Komm, schwarzer Vogel. Oder doch ein Engel erlösender Erkenntnis? Die Sehnsucht nach dem möglichen Glück, dessen Erinnerung unter all dem Gerümpel unserer entgleisten, verbeulten und beschädigten Liebe wahrzunehmen wäre, wenn wir uns nur selbst ins Gesicht schauen könnten, ohne die Angst, am eigenen Spiegelbild zu zerbrechen. Haben wir uns nicht immer wieder einmal zwischen Lebensmut und Todeslust befunden? Was kommt von außen – und was von innen? Und wer zur Hölle spricht da? Wer, wenn nicht ich? Himmelhoch jauchzend – dabei zugleich zum Leben betrübt

Es gibt kein richtiges Leben im falschenEine angejahrte Dokumentation aus der kulturellen Treibgutsammlung unserer Individualitätsinsel sollte dabei helfen, den unüberbrückbar scheinenden Selbstwiderspruch in der radikalen Denkwelt aufzulösen:

“Es gibt kein richtiges Leben im falschen”

Und es gibt einen Zusammenhang zwischen diesem Fehlen von Liebe und unserem Wissen um ihr Dasein. Eine Spur, die uns der wirklich kluge Alexander Kluge legt, indem er einfühlsam und verständig Adornos Lebensgeschichte mit der uns alle umgebenden Weltgeschichte (“es ist falsch gelaufen”) verknüpft. Eine Spur, die wir als roten Faden zum Verstehen unserer Gegenwart im Spiegel von Adornos weit über seine Zeit hinaus wirksamem Denken aufnehmen – und darstellen wollen. Und wenn es ein glückhaftes Zusammentreffen mehrerer quasi als Flaschenpost überlieferter Wahrheiten gibt – was ist eigentlich die Mehrzahl von Flaschenpost?

Ich bin oft ziemlich zerrissen zwischen meiner Vorstellung vom “richtigen Leben” und dem, womit mich die Realitäter*innen in meiner Erfahrung konfrontieren. Ein Zustand, der mich immer wieder krank und unglücklich macht. Nichtsdestoweniger suche ich unentwegt (oder “sucht es in mir”?) nach einer sinnvollen Verbindung mit dem, was da gewesen sein muss, bevor “es falsch gelaufen ist”. Dabei geriet mir unlängst wieder “Das Buch von der Liebe” von Ernesto Cardenal in die Hände und ich las das Vorwort von Thomas Merton. Könnte das vielleicht eine Erklärung sein?

Eine heiße Spur?

 

Schön schiach

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. April – Jenseits geprägter Gewohnheiten und hergebrachter Haltungen entdecken wir jene Übergänge und Zwischentöne, die wieder Bewegung in unsere oft allzu gewohnte Weltsicht bringen. Ist das, was wir als schön oder schiach zu empfinden gelernt haben, wirklich unser ureigenstes Gefühl? Gefickt eingeschädelt. Wo Himmelhoch und Abgrundwärts zusammen wirken und das Entwederoder in Sowohlalsauch verwandeln, wird das Paradoxon des Lebens in seiner Vielgestalt erkennbar – und wirkt sich wie ein dreidimensionaler Spiegel auf unsere Selbstwahrnehmung aus. Wir spielen mit Seh- und Hörgewohnheiten, damit Veränderung geschieht, so wie schon Slavoj Žižek derlei bei Laibach zeigt Und wir entdecken Coverversionen, die brachliegende Bedeutungen hervorholen.

Schön schiachUnlängst machte mich ein Freund darauf aufmerksam, dass ihm erst beim Hören von S.O.S. von Portishead deutlich wurde, wie zutiefst traurig der Text des ABBA-Welthits eigentlich ist. Wenn man bedenkt, dass die Portishead-Version unter dem Eindruck der Ermordung der britischen Politikerin Jo Cox entstanden ist, kann man diese zitierende Verbearbeitung nur als überaus gelungen betrachten:

“We have far more in common                  than which divides us.”

Ich kann mir ja auch nicht sicher sein, ob man rinks und lechts wirklich so schwel velwechsern kann – und ob das da auf dem Bild noch ein Baum ist oder schon ein Witz, den diese Stadt über sich selbst erzählt.

Ein spannendes Musiklabel (spannend, weil sich hier vermeintlich gegensätzliche Strebungen verbinden) hat sich unter dem Namen Misericordia Records in Vienna etabliert. Dem entnehmen wir sowohl Hörgewohntes als auch Unerhörtes, wie etwa den Track “I saw you dance and we rose to the skies.”, der auf eigenwillige Weise an das Finale von “Der Schwarm” (Kontakt mit dem Yrr-Kollektiv) gemahnt. Das ist ebenso schön wie vieles drumherum schiach erscheint. Abwärts in den Abgrund – eine psychische Herausforderung von nahezu Reinhold-Messner’scher Qualität.

Zu guter Letzt besuchen wir den Halleiner Medien-, Installations- und Klangkünstler Fabian Schober, der uns zur rituellen Schlachtung eines penetranten “Sommerhits” einlädt, seiner Verbearbeitung und enthüllenden Verfremdung mit dem vielsagenden Titel “The Craving for Eviscerating God Shimmering in the Eyes of the Guys from Despacito”. Haben wir es nicht schon immer gewusst, dass hinter den glattgeklonten Filtervisagen der Hochglanzkörper die extreme Schiachheit schlecht verdrängter Begehrwürdens auf ihre Beute lauert, die sie *zerquatsch* zum Fressen gern hat?

PS. Fabian Schober hat einst auf der Radiofabrik zwei Sendereihen gestaltet, die der Musik/Klangkunst jenseits etablierter Hörgewohnheiten gewidmet sind und die er – mit kulturpolitischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einem Überthema verknüpft – in geradezu liturgischer Weise zelebriert: MASSE 65 zum Nachhören …

 

Behindert sein und werden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. FebruarPepo Meia war Musiker, Rollstuhlfahrer und Aktivist. Am 3. Januar dieses Jahres ist er, wie man so sagt, “von uns gegangen”. Der Kampf geht aber weiter. Und das verbindet uns mit ihm. Denn das Ringen um einen “Dialog auf Augenhöhe”, also um Anerkennung als gleichberechtigte, gleichwertige und gleichgestellte Gesprächspartner, ist nach wie vor im Wortsinn not-wendig. Auch jenseits von körperlichen Einschränkungen und Baumaßnahmen zur Barrierefreiheit werden Menschen aus unterschiedlichen Gründen in ihrer Lebensführung und Gestaltung behindert. Wir nehmen das heutige “In memoriam” zum Anlass, über die Bedeutung von “Inklusion” nachzudenken, indem wir von Pepo Meias Statement ausgehen und es dann weiter entwickeln

Behindert sein und werdenZuerst allerdings wollen wir diesen Nachruf aber in Würdigung seines Wirkens im Freien Radio sowie seiner tiefen Verwurzelung in der Wiener Musikszene begehen: Mit einem Beitrag über den “Hansi-Lang-Hof” in Wien Döbling. Und mit dem thematisch kongenialen Stimmgewitter-Augustin-Rework von Hansi Langs “Keine Angst – Angst”. Danach kommt Pepo Meia selbst zu Wort und Gesang und wir verlesen das Schlussmanifest seiner Bestandsaufnahme zur Lage der Nation (zur Situation behindert werdender Menschen/Gruppen im Kontext der Geschichte Österreichs) “Kopf oder Geier” (entstanden zur Jahrtausendwende und, wie zutreffend angemerkt wird, “zeitlos”, leider, denn wo stehen wir da heute?) “Der Kampf muss immer noch gefochten werden…” (der deutsche Pop-Musiker Joris stellt das im Hinblick auf die Diskriminierung Anderssexueller fest) und so ist es auch.

Es gibt viele verschiedene “Behinderungen”, die wir nicht als aus der Gemeinschaft ausschließende oder an ihren Rand abschiebende, pathologisierende Diagnosen auffassen wollen, sondern als unterschiedliche Eigenschaften, die einer speziellen Aufmerksamkeit bei der Übersetzung, Verständigung und Zugangsermöglichung bedürfen. Genau diese Eigenschaften beinhalten aber auch spezielle Begabungen und würden, wenn sie nicht behindert werden, unsere Gemeinschaft bereichern.

And all you want is peace – but all you get is pills

Bis ans Ende der Welt

 

vom echten reden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. FebruarAuf gute Nachbarschaft! Begegnen wir einander, indem wir uns gegenseitig einladen und mitsammen “vom echten reden”. Die Kleinschreibung ist hier auch programmatisch, denn ob unsere Sendung heute “vom echten Reden” handelt oder ob wir mehr “vom Echten reden” oder ob beides halt zwei Aspekte von dem sind, was wir mit unserer Kollegin Mickey gemeinsam haben, das soll sich in unserem gegenseitigen Sendungsbesuch dann live und spontan ergeben. Wir (die Hasen) werden also heute bereits um 16:00 Uhr bei “What’s Next – Diskussion? Musik? Interview? Unvorhersehbar” zu Gast sein, danach gibts zur Entspannung die BBC-News, und schwuppdiwupp haben wir schon die Plätze getauscht, um unsere neue Sendeplatznachbarin bei uns zu bewirten

vom echten redenUnvorhersehbar, das sind wir ja sowieso gern (unlängst erst haben wir “das Unverfügbare” vorgestellt) und es ist auch ein gutes Stichwort für die einzigartigen Möglichkeiten, die Freies Radio (im Gegensatz zum privat-kommerziellen oder öffentlich-rechtlichen) der Entwicklung der Sendungsmacher_innen und ihrem Gestalten bietet. Hier wird nicht zuerst berechnet, was die “relevanten Zielgruppen” hören wollen (sollen) und daraufhin ein geschmeidig gleichklingendes Beliebtheitsformat erzeugt, damit am anderen Ende des Empfängnisgeräts die erwünschten Ergebnisse eintreten: “Österreich ist schön! Geiz ist geil! Schuld ist nur der Sündenbock!”

In der Radiofabrik sind Menschen am Werk, die so verschieden sind wie ihre vielen Interessensgebiete. Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen etwas davon mitteilen, was sie beschäftigt. Die das deswegen tun, weil sie es von sich aus wollen und weil sie dadurch andere Menschen mit etwas aus ihrem Leben berühren können. Dass sich das je nach Lebenssituation und Stimmungslage immer wieder mal anders anfühlt und eben auch anhört, das ist eigentlich selbstverständlich. Hier begegnen einander also Menschen, die man beim Hören noch spüren kann. Und das tut gut!

Daher freuen wir uns schon auf die Begegnung mit einer jungen Kollegin, die dieses Alleinstellungsmerkmal des Freien Radios, nämlich einfach “zu reden, wie ihr der Schnabel gewachsen ist”, auf ihre ganz eigene Art verwirklicht. Und das wollen wir diesmal mit ihr zusammen: Darüber reden, wie das so ist mit dem “darüber reden”. Schauen wir einmal, was dabei zu hören sein wird – und eben auch zu spüren. Wir sind davon überzeugt, dass die unsichtbaren Berührungen und Verbindungen, die so zustande kommen, Germ der Gesellschaft sind. Und das ist mehr als nur Radio.

Einen solchen gesellschaftlichen Mehrwert oder neudeutsch “Public Value” kann man auch wissenschaftlich erklären. Und wir sind daran beteiligt, ihn zu erschaffen!

 

Das Unverfügbare

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Januar – Zwischen der Versenkung in den Abgrund der Endlichkeit und dem ausgewachsenen Weltuntergangshumor gibt es einen Übergang, der mitunter kaum wahrnehmbar ist. Ähnlich wie derjenige zwischen Euphorie und Depression, der sich im winzigkleinen “synaptischen Spalt” abspielt. Oder überhaupt der zwischen Wollen und Vollbringen. Überall dort, wo es zu einem Übergang zwischen dem Einen und einem Anderen kommt, ist das Unverfügbare. Der Soziologe Hartmut Rosa (dessen Arbeiten über Beschleunigung und Resonanz wir bereits eine Sendung widmeten) hat inzwischen ein wohltuend gescheites Buch über das Phänomen der Unverfügbarkeit geschrieben, dem wir uns heute in einigen Aspekten zuwenden wollen, etwa im Vergleich der Druckausgabe mit dem Hörbuch.

Das UnverfügbareGetreu unserem bekannten Bestreben, einen Autor auch jenseits seiner Bücher erlebbar zu machen, stellen wir die von Axel Wostry gelesene Hörprobe einem von Hartmut Rosa vor Studenten gehaltenen Vortrag gegenüber. Einem Vortrag übrigens aus der Ringvorlesung der Europa-Universität Flensburg, deren zweiteiliger Aufbau (jeweils vor und nach der Corona-Pandemie) das Thema Unverfügbarkeit auf drastische Weise veranschaulicht. Der Wettbewerb “Eine Uni – ein Buch” (aus dem die Veranstaltung in Flensburg hervorging) ist sowieso ein Höhepunkt an fächerübergreifender Bildungsvermittlung, wie er hierzulande leider nirgends, und zwar nicht einmal in Ansätzen, stattzufinden scheint. Warum ist das so?

An dieser Stelle (gar nicht unabsichtlich) zurück zur Versenkung in den Abgrund des Endlichen und zu der restlos unguten Stimmung, die beim Betrachten der eigenen Ausweglosigkeit aufkommt. Noch dazu inmitten einer Welt, die an allen Ecken und Enden von Betrügern und Berserkern zugrunde gerichtet wird, dass es nur so kracht. Wie heilsam wäre in dieser Situation ein herzhaftes Lachenkönnen und das Gefühl, sich mit Sprachwitz und Verstand zumindest gegen eine der Erscheinungsformen der allumbrodelnden Verblödungsindustrie zur Wehr setzen zu können! Versuchen wir es diesfalls mit Jochen Malmsheimer und seiner fulminanten Parodie einer Radio-Talk-Show zum Thema “Hebe-Kipp-Fenster und Schiebe-Dreh-Türen”. Inmitten all des uns zerquasselnden Entertainzements so etwas wie “Weltuntergangshumor”.

 

Wir Spätmodernen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. Januar – Es war einmal ein Büchermensch, der in ein Gefängnis gesperrt worden war, mitten zwischen all die Berufsverbrecher mit ihren unterschiedlichen Gewaltausbildungen. Eines Tages fragte ihn der Anführer einer Einbrecherbande: “Was sollen wir mit dir anfangen, du blasses Bürscherl?” Worauf er antwortete: “Vielleicht bringt euch das eine oder andere, von dem ich euch erzähle, auf neue Gedanken. Vielleicht sogar dort, wo ihr bisher noch nicht hingedacht habt. Wenn nicht, ist es einfach Unterhaltung.” Und mit der Zeit wurde er, ob er wollte oder nicht, zu einem angesehenen Mitglied der Häfenbruderschaft. Was können wir daraus lernen? Die Moral von der Geschicht – ist die Geschicht. (Axel Corti). Und alles ist relativ – auch das mit der Freiheit und der Unterhaltungsindustrie. (frei nach Albert Einstein).

Wir SpätmodernenWir stehen doch alle im Fluss des Lebens und suchen nach dem einen oder anderen Körnchen WahrheitWillkommen in der Metapher – das für uns von besonderem Wert sein könnte. Nach einem neuen Impuls, der uns über den Stillstand hinaus befördert und uns glücklich macht. Nach dem nächsten Thema oder einfach einer winzigkleinen Idee, damit wir unserem Leben jenseits des “da kommt eh nichts mehr” wieder einen Sinn geben können. Und wenn nicht, dann befinden wir uns im Suchen selbst schon mitten “im Flow” und von Natur aus im Glückszustand zwischen Überforderung und Langeweile. Ein vielfach Hoch auf die daran (auch ganz ohne äußere Drogen) beteiligte Hirnchemie. Wir sind allesamt Kinder, die allein schon in der Tätigkeit des Goldwaschens oder Perlentauchens oder eben Sinnsuchens aufgehen. Betrachten wir also, was meist unbeobachtet vor sich geht – und zeigen wir einander, was wir dabei alles entdecken können.

In unserem Fall sind das Bücher, Gedanken und Themen, die wir in uns aufnehmen und die wir durch uns weiter entwickeln. Gedichte und Geschichten, die etwas in uns zum Klingen bringen und die sich dadurch auch in etwas Eigenes verwandeln, das wir wiederum weitergeben können. Und Musikstücke, die in ihrer Stimmung dazu beitragen, die vielen einzelnen Gedankenfäden zu einem größeren Erzählteppich zu verweben und Gefühlszustände, Erinnerungsfragmente sowie innere Bilderfluten mit dem Außenwelttheater in Zusammenhang zu bringen. Was hast du so gemacht?

Ach ja – Jeff Beck ist jetzt auch gestorbenDoch Venus in Furs wird uns bleiben.