Krampuslauf Disintegration

> Sendung: Artarium vom dritten Adventsonntag, 14. Dezember – Zwei Stunden Sendung zwischen Teufelszauber und dem überlangen Album von The Cure. Eine Spurensuche durch die verhangenen Welten dieser irgendwie magischen Jahreszeit. Schon längst einmal wollten wir Disintegration (inklusive aller Bonustracks) ungekürzt spielen, doch bei dessen Gesamtlänge von fast eineinviertel Stunden können wir das nur im Rahmen einer genauso überlangen Sonderausgabe bewerkstelligen. Daraus ergibt sich natürlich die Frage, womit wir die übrigen 45 Minuten zubringen möchten. Es sollte ja immerhin zur Stimmung und zum Thema passen, schaurig und schön zugleich, sich rituell geheimnisvoll offenbarend, Kunnst einfach! Da schau her, wir sind in Bildern fündig geworden – und haben den Hersteller dieser Arbeiten ins Studio eingeladen:

S.Koidl2014_ScreamStefan Koidl aus Hallein ist aber nicht nur ein aufregender Zeichner (hier ein Album) mit dem Ziel, sich dem Fotorealismus technisch so weit es geht anzunähern – er ist auch ein inzwischen ziemlich erfolgreicher Krampusmaskenschnitzer (einige davon sind hier zu sehen). Passt doch perfekt zur Jahreszeit! 😈 Zudem führt er seine eigenen Kreationen neuerdings sogar selbst auf – in der von ihm mitbegründeten Krampuspass Schergen des Kronos. Da wollen wir doch einmal hinter der Maskierung nachschauen – und ergründen, was das wohl für ein Mensch ist, der mit solch einer schon an Besessenheit grenzenden Leidenschaft derart düstere Themen bearbeitet. Vor allem interessiert uns, aus welchen Inspirationsquellen sich seine Motive speisen, und was für kreative Prozesse da im Hintergrund ablaufen, während so ein Bild seinen Weg vom Kopf aufs Papier findet (oder so eine Maske eben in die fertige Gestalt). Wie hat das angefangen, wie fühlt sich das an – und wo will es hin? Wir ergehen uns in höllischen Phantasien und nachtkalten Krampusläufen, während wir im warmen Radiostudio gemütlich beisammen sitzen. Dazu gibts die gewohnt geeignete Musik…

DisintegrationAnschließend an unser Gespräch, wie angedroht und versprochen, das ganze Album Disintegration von The Cure in vollster Länge und ohne jedweden Hineinquatsch. Warum just dieses doch 72-minütige Ohrwerk im tiefsten Mittwinter lauthals zu Gehör gebracht wird? Weil es ein Innehalten ist inmitten schleunigen Lärms, ein Inzwischen aus leisen Tönen und dröhnendem Bombast. Weil ihm aufregende Stille ebenso innewohnt wie beruhigender Wahn, weil rauschhaftes Einvernehmen hier so grenzgenial in angepasstes Widerstreiten übergeht, dass Revolution nur noch innerlich stattfinden kann – aber stattfinden muss! Weil es genau die Medizin ist, die wir in den längsten Nächten des Jahres brauchen, eine psychedelische Filmkulisse zum Sterben und Erwachen – mit unserem Selbst als erlebendem Darsteller und handelndem Zuschauer in ein und derselben Person: Ich bin viele – und wir sind eins. Alles klar?„The Cure waren zu dem Zeitpunkt, als Disintegration entstand, keine verzweifelte Depri-Band, genausowenig, wie sie das heute sind. Disintegration ist happy-sad, vielschichtig, manchmal hymnisch und manchmal düster, the best album ever und will in meinen Augen irgendwie nicht mit der ganzen Cure-Klischee-Anhäufung zusammenpassen.“ (Cure-Fan-Replik auf obiges Review)

 

Dub Side of the Moon

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. NovemberDem abgründigen Humor der wundersamen Easy Star All-Stars sei es getrommelt und gepfiffen, dass wir diesmal ein ganzes Album aus dem Jamaikanischen Geräuschegarten rund um den Roots-Reggae und seine diversen ekletifizierten Absprösslinge (wie Dub, Dubstep, Trip Hop etc.) spielen. Oder auch dem Umstand, dass Pink Floyds jüngstes Werk The Endless River in deren Musikschaffen zwar jetzt den Schlusspunkt, keinesfalls jedoch den Höhepunkt darstellt. Somit greifen wir zurück auf ein ungemein kreatives und inspirierendes Tribute-Album, welches 2003 zum 30-jährigen Erscheinungs-Jubiläum von Pink Floyds Meilenstein The Dark Side of the Moon vom erwähnten Dub-Reggea-Kollektiv des All Star Labels eingespielt wurde – das schön schamlose Rework namens Dub Side of the Moon 😉

ja wir wollen lustig sein

Das Cover eines weiteren Easy Star Reworks: „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“

„If you’ve ever, via hallucinogens, expanded your mind to Dark Side Of The Moon, all you need to do is change your drug of choice and Dub Side… might easily sound like the best thing you’ve heard, if you inhale deeply enough. Even without a spliff, it still sounds pretty fine as a bunch of rastas take a voluptuous dubbed-up trip around the Floyd’s psychedelic masterpiece. Highlights include Ranking Joe’s toast on „Money“ and Kirsty Rock’s bonged-out yodelling on „The Great Gig In The Sky“. It fits so perfectly you wonder why it took 30 years for someone to think of it.“ >UNCUT

Es mag mit allerhand immergleich wiederkehrenden und quasireligiösen Ritualen einer verschworenen Subkultur zusammenhängen, dass das erweiterte Reggaetum bei uns eher selten zu hören ist. Oder auch mit einem allzu bierernsten, muss hier heißen weihrauchschwangeren Selbstverständnis, das mehr nach Glaubensgemeinschaft als nach Freiheitsbewegung schmeckt. Oder wie war das mit „Emancipate yourself from mental slavery…“ ursprünglich gemeint? Unser Zugang zu allen Kunstformen ist immer der kreative, der des selbstbestimmten Gestaltens und nicht der des Normnachhupfens. Deshalb lassen wir uns auch gern vom fröhlichen Plünderertum der Easy Star All-Stars anstecken, liebgewordene Hörgewohnheiten wieder einmal völlig neu zu interpretieren. Und empfehlen zur weiteren Neugierde dieses Interview zu ihrer Arbeit auf pop-break.

 

Poem – Leonard Cohen auf Deutsch (ein Auszug)

> Artarium am Sonntag, 28. September um 17:00 Uhr – Wir präsentieren nunmehr einen Ausschnitt aus der Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 26. September:

Livegast im Studio ist diesmal Misha G. Schoeneberg, der uns das brandneue Album Poem – Leonard Cohen in deutscher Sprache vorstellen – und von seiner jahrelangen Beschäftigung mit den Songs und Texten aus Cohens lyrischem Kosmos erzählen wird. Denn immerhin übersetzt und überträgt er schon seit Anfang der 90er fortwährend einzelne Titel aus dessen Gesamtwerk – und zwar in inhaltlich wie auch musikalisch stimmige, also vor allem gut singbare deutsche Versionen. Nun ist also endlich eine einstweilige Endfassung dieses weitreichenden Projekts erschienen, und zwar in Form einer Hommage zum 80. Geburtstag des wirkmächtigen Songpoeten, dem wir jetzt noch einige Facetten mehr abgewinnen als ihm ohnehin schon nachgesagt werden…

Misha G. SchoenebergAuch über Misha G. Schoeneberg lässt sich so einiges erfahren und nachlesen: Hippie in Goa, mit Ton-Steine-Scherben auf Tour, Lebensgefährte von Rio Reiser, Songtexter und Buchautor, Sprachlehrer, Südostasienwissenschafter, Textcoach und Mentor, zuletzt Künstlerischer Leiter beim gegenständlichen Poem-Album. Und trotzdem ist der Mann hinter der vielschichtigen Biographie noch weit mehr als sich über ihn sagen ließe. Wollen mal sehen, ob wir nicht noch das eine oder andere Unbekannte im Wesen des Wortwetzmeisters entdecken. Schließlich ist unsere Idee zu einer gemeinsamen Radiosendung auch schon über fünf Jahre alt – gut Ding will eben Weile – und was lange währt, wird endlich :)

Poem Album CoverWas nun das Album selbst betrifft, auf dem 17 verschiedene Bands und Einzelinterpret_innen die von Misha übertragenen/übersetzten Cohen-Songs über die Grenzen von Genres und Generationen hinweg darbieten, so werden wir dieses in unserer Spezialnachtfahrt gründlich würdigen: Die Menschen dahinter, die schier unendliche Mühe, schließlich all die Texte und ihre Themen. Liebe und Tod. Das Mitgefühl. Durchleiden und Darstellen. Dichten und Trachten. Sinn und Ziel. Das Vermächtnis. Die Übersetzung. Das nicht fertig werden mit der Arbeit. Die Frage nach der Spiritualität. Was bleibt, jenseits von Anfang und Ende, wenn es nur “das Unterwegssein” gibt? Brauchen wir womöglich ein “größeres System”? Oder verweist uns das milde Lächeln des Sängers auf jenes Unfassbare, dass wir in all seiner Unsagbarkeit aber dennoch, immer wieder, dann halt wenigstens zu singen oder zu spielen versuchen? Das uns stets Unerreichbare, das wir, wenn überhaupt, nur ewig unvollendet, unvollkommen, um es irgendwie auszudrücken, so gut es geht, darleben können…

“Liebes Leben, abgemacht? Darfst mir nicht verfliegen. Hab noch so viel Mitternacht sprachlos vor mir liegen.” Konstantin Wecker

 

Rainald Grebe – auch mit Band!

> Stream/Download: Artarium vom Sonntag, 10. August – „Dem Mann tut eine Band gut“ haben wir erst unlängst konstatiert. Zwar ist Rainald Grebe auch solo am Klavier ein gscheites Kasperltheater, vor allem, wenn man seinen einzigartigen Grimassenfundus dabei auch synchron zu sehen bekommt, wie zum Beispiel in den bekannten Livevideos „Künstler“ oder „Der Kandidat“. Dass der gestandene Schauspieler und Schwurbelkomiker (er trat am Anfang seiner Karriere in Sendungen für brachialen deutschen Plemplemhumor auf) inzwischen auch in den tieferen Themen des Tragikomischen angekommen ist (und dort durchaus der Sozialkritik eines Georg Kreisler nahekommt), das beweisen Nummern wie „Gilead“ und „Auf der Flucht“ in geradezu abgründiger Weise. Unserer Ansicht nach kommt dieser Vollblutmusiker allerdings inmitten des komplexeren Arrangements einer ordentlichen Musikkapelle noch weitaus besser zur Geltung:

rainals grebe massenkompatibelDas hat sich schon bei den ersten fürs Fernsehen aufgezeichneten Auftritten mit dem Duo „Kapelle der Versöhnung“ abgezeichnet, so etwa hier in „Massenkompatibel“, wo es gleich so richtig psychedelisch zur Ursache geht, wenn er da singt:

„Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, denn wo zwei oder drei versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Dieser Satz von Jesus, der war mir immer schon, der war mir immer schon popelig erschienen. Ich bin massenkompatibel, massenkompatibel, la la la la…“

Doch damit nicht genug, die um einige oder oft auch mehrere Musiker erweiterte Begleitband heißt nunmehr „Orchester der Versöhnung“ und spielt zu jedwedem Anlass meisterlich auf! Das wollen wir gern mit einigen Titeln aus deren gleichlautendem Studioalbum von 2011 unterstreichen. Davor gibts noch ein paar Solonummern aus dem „Rainald Grebe Konzert“ – We show you both best sides of this good man. Das allerneueste Orchesterprogramm „Berliner Republik“ bieten wir hingegen hier als wohlformulierten Audienzbericht zum Lesen an. Und spielen einen einzigen Titel daraus in unserem imaginären Best Of Album, nämlich das Kinderlied Dankwart ist Tankwart: „Bushido, Bushido – Bushido, lutsch meinen Schwanz. Was du kannst, kann ich auch, ich will auf den Index! Tötet, tötet, tötet Markus Lanz!“ 😀

 

Heather Nova – zur Beruhigung

> Download: Artarium am Sonntag, 13. Juli – Fußballbedingt hochkochenden Männerseelen zur finalpräventiven Rundumentkrampfung in beide Gehörgänge geschmeidigt – das ganze Album zum innerlichen Abschluss der Männlichkeits-Waldmeisterschaft im Maracujastadion 😉 Die Notfalls-Gralshüter alles Weiblichen inmitten rundlederner Machoposen und verschwitzter Hupfbrüllerei packen ihren leuchtorangen Letzte-Hilfe-Koffer aus und verabreichen den verdurstenden Gehirnen die fette Ölung! Ein Kontrapunkt zum Fanatentum der Vergeisterten tut allerdings not, und was wäre dazu geeigneter als etwas hocherotische Entschleunigung mittels einiger von Heather Nova bei den 2 Meter Sessies in Holland aufgenommener Akustiktracks?

Engels TrompeteDoch damit die unverhofft einsetzende Wirkung unseres Testosteron-Erlösungs-Cocktails nicht in unkontrolliert unerwünschte Nebenwirkungen hinüberschwappt, haben wir zuvorab noch zwei feine FEMALE. FEEL MALE! – Songs als Einstimmung ausgewählt, die uns in der männlichweiblichen Fanzone gut abholen werden: Nämlich zum einen eine ziemlich rockige Heather Nova Coverversion von Peter Gabriels „I have the touch“ – und zum anderen ihr geniales zweisprachiges Duett mit Bløf „Mooie dag“ 😀 Wunderschön! Und alsdann gibt es die versprochene alphawellen-induzierende Musique. Die Sätze und ihre Bezeichnungen:

01 Walk this world

02 Heal

03 Maybe an angel

04 My fidelity

05 Blessed

06 Heaven sent

07 Virus of the mind

Zu Risiken und sonstigen Gewöhnungseffekten: Wir sind ein geiles Institut…

 

Das Progressive Album

-> Download: Artarium vom Sonntag, 15. Juni – Ein selbst zusammen gestelltes Album rund um das Genre „Progressive Rock“ gibt es diesmal zu hören, und zwar ebenso Jahrzehnte- wie Generationen übergreifend! Warum nicht auch das Radiomachen und seine lieb gewordenen Gewohnheiten wieder mal progressiv betreiben? Denn der Begriff selbst bedeutet ja nichts anderes als „stetig erweiternd voranschreiten“ und so war er wohl auch in der Entwicklung der Rockmusik gemeint, als man Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre damit anfing, die im Blues verhafteten Formen aufzubrechen und mit immer neuen Einflüssen aus anderen Musikwelten wie Jazz, Klassik oder Folklore anzureichern. So schreiten also auch wir unaufhaltsam über das Altbewährte hinaus – und interpretieren die Tradition unseres einmal im Monat vorgestellten „Ganzen Albums“ neu – im Sinne einer „Best Of Compilation“ 😉

the-schizoid-the-king-king-crimson

„Eine weitere Deutung des Begriffs stammt von Robert Fripp,  dem Gitarristen der Genrevorreiter King Crimson. Er sieht Progressive Rock weniger als stringenten Stil denn als Haltung. Diese zeichne sich aus durch den Willen zur Neudefinition der stilistischen und konzeptuellen Grenzen der Rockmusik unter Anwendung produzeduraler Abläufe (nicht Oberflächeneigenschaften) aus klassischer Musik und Jazz. Sobald sich aber aus dieser Haltung heraus ein neues Gefüge von Konventionen eines eigenen Stils entwickelt hatte, betrachtete er den progressiven Charakter als hinfällig und beendete vorerst seine Aktivitäten innerhalb des Genres. Das geschah im Jahr 1974, als die erste Inkarnation des Genres noch in seiner kommerziellen Blüte stand.[2] “ (aus Wikipedia)

traumtänzerWir haben aus dem reichhaltigen Fundus dieses oftmals zu Unrecht als „verkopftes und artifizielles Gefudel“ geschmähten Musikschaffens einige Beispiele ausgewählt, die sein kreatives Potential auch jenseits der Genregrenzen zum Ausdruck bringen: Mit einer ersten Skizze von Robert Fripp für Peter Gabriels „Here comes the Flood“ aus dem Jahr 1975 beginnend, über zwei richtige (10+ min) Prog-Rock-Hymnen von Marillion-Sänger Fish (2013) sowie von Porcupine Tree Mastermind Steven Wilson (2009), bis hin zur einzig bekannten Genesis Reunion-Aufnahme featuring Peter Gabriel „The Carpet Crawlers“ (1999) spannen wir den weiten Bogen …

Die Sätze und ihre Bezeichnungen 😀 lauten:

01 Artarium – Signation feat. Aviv Geffen (Blackfield) & Yes (Yessongs 1973)

02 Peter Gabriel & Robert Fripp – Here Comes The Flood (Skizze 1974/75)

03 Fish – Perfume River (A Feast of Consequences 2013)

04 Porcupine Tree (Steven Wilson) – Time Flies (The Incident 2009)

05 Midnight Oil – Mountains of Burma (Blue Sky Mining 1989)

06 Genesis feat. Peter Gabriel – The Carpet Crawlers 1999 (432 Hz Aufnahme)

 

Invisible Empire // Crescent Moon

-> Download: Artarium vom Sonntag, 11. Mai – Das nunmehr 4. Studioalbum von KT Tunstall schlägt auch für eine Artarium-Albumpräsentation ungewohnt leise Töne an. Doch es schöpft seine Kraft und Intensität aus anderen Daseinsebenen, aus einer Verlagerung der Aufmerksamkeit von außen nach innen. Entstanden in zwei seperaten Studiosessions mit gut einem halben Jahr Abstand dazwischen, ist es wohl das bislang ehrlichste und direkteste Werk der Künstlerin. Dazu hat bestimmt auch die von ihr gewählte Live-Aufnahmetechnik beigetragen, mit der sie jeden Track in nur einem Durchlauf möglichst authentisch aufzeichnen konnte. Und passend zu einer solchen Herangehensweise an die Albumproduktion ist auch die damit verbundene Tour größtenteils als Soloperformance angelegt. Ein Erlebnis, auf das man sich durchaus einlassen kann! 🙂 Den detaillierten Hörbericht verfasste Christopher Schmall:

KT-Tunstall - Invisible-Empire-_-Crescent-Moon-2013-1500x1500„I’m sort of surprised that I’ve ended up with an album.“ Und wer wäre das nicht, wenn sich in einem Jahr soviele massive Veränderungen und Schicksalsschläge die Klinke in die Hand drücken. Den Vater zu verlieren, dann einen Freund – dazu auch noch eine Scheidung; da mag man schon mal aufgeben und sich gern in sein Schneckenhaus zurückziehen. Doch KT verwandelt all den Schmerz und all die Verzweiflung in sanftzärtliche Klangbilder, die einem unter die Haut kriechen. „It was the medicine I needed.“ Invisible Empire // Crescent Moon ist sicherlich ihr ambivalentestes Album. Die beiden Hälften beschreiben einen Wandel – in ihrer Musik, ihrem Leben. Sie definiert sich nicht mehr nur durch ihr Schaffen. Sie ist über sich und ihre Kunst hinausgewachsen. Rhythmus und geballte Energie sind in den Hintergrund getreten. Emotion, Stimme und Text sind eindeutig die treibenden Aspekte dieses Werkes. KT Tunstall erschafft eine Welt aus Glas, jedes Lied malt neue Farben auf die durchscheinden Wände und wie von selbst entsteht eine verletzliche und dennoch unverzagt hoffnungsvolle Atmosphäre. Hier sieht und hört man, wie heilend kreative Prozesse und künstlerisches Arbeiten sein können. Selbst angerührter Balsam für die Seele. Es gilt lediglich, einen Weg finden, seine tiefsten Gefühle ans Tageslicht zu befördern. Man muss sich mit ihnen beschäftigen, sie würdigen. Egal wie hässlich und unheimlich sie auch erscheinen mögen…

 

Ton Steine Scherben in Salzburg

> Download: Artarium vom Sonntag, 20. April – Der etwas andere Konzertbericht aus dem Salzburgradio zum Selberdrehen oder auch Liebesgrüße aus dem Minenfeld ambivalenter Erwartungen. Wenn nämlich Ton Steine Scherben nach jahrzehntelanger Absenz plötzlich wieder auftauchen, und dann noch unter der griffigen Ankündigung „Das Original erstmals seit 1985 auf der Bühne“, dann kommen auch wir aus unseren Zeitlöchern gekrochen – und wollen liebgehabt werden. Doch – wer sind wir? Ein bunt zusammengewürfelter Haufen! Musikanten und Medienkünstler, Jungpunks und Alt-68er, Freiheitsfreaks jedweden Fachgebiets, längst ausgestorben geglaubte Bohème, Kinder, Eltern, Überlebenskünstler – und sogar ein Grateful-Dead-Professor. Genauso verschiedenartig wie dieses Publikum waren auch seine Bedürfnisse, weshalb wir ein „Stimmungsbild aus Spiegelscherben“ zubereiten.

Ton Steine Scherben 2014 im RockhouseZuallererst begegnete mir ein freundlicher Veteran mit schütterem Haupthaar, der stolz seine Erstausgabe des Albums „Warum geht es mir so dreckig“ herum reichte. Ein wenig Museum war da schon im Spiel und mir fiel dazu „lebendige Geschichte“ ein. Deren Stattfindung verkörperte bierselig ein Punk mit bunten Haaren, der allen Umstehenden erklärte, wie augenblicklich er wieder heimgehen würde, sollte seiner Vorstellung von revolutionärer Authentizität etwa nicht entsprochen werden. Ein schon seit Jahren dem Umfeld lauthalser Konzerte entflohen gewesener Kollege aus der Epoche des angewandten Hausbesetzens hatte sich extra wegen der Scherben reaktiviert und freute sich schon wie der Rumpelstilz aufs Heiserwerden vom Mitgröhlen der alten Anarchohymnen. Die leiseren – oder sagen wir – Zwischentöne hörte ich allerdings von einigen eher „untypischen“ Konzertbesuchern. So etwa ein Künstlerpaar, das seine hohen Erwartungen aufgrund des „berühmten Namens“ sorgfältig gegen mögliche Enttäuschungen abwog, die ein Scheitern des generationen-übergreifend angelegten Revival-Projekts mit sich bringen würde. Der verstorbene Rio Reiser sei als Frontman schlichtweg unersetzbar, daher gingen sie eher mit gemischten Gefühlen hinein…

Die jungen Stimmen von Ton Steine Scherben 2014So hätten wir diesen Artikel auch mit „Des Sängers Fluch“ überschreiben können – die gleichnamige Ballade von Ludwig Uhland aus dem Jahr 1814 wäre wohl als Metapher des Ansingens gegen kaltherzige Herrscher geeignet. Doch als Titel ließe solcherlei die Gesamtperformance von Ton Steine Scherben 2014 in einem allzu einseitigen Licht erscheinen – denn so sehr dieser Abend immer auch Besuch der alten Ikonen war, so sehr lebte die junge Generation dabei ihre ganz eigene Spielfreude aus. Herausragend Maxime Praeker am knackpräzisen Schlagzeug, auch Nicolo Rovera überraschte mit Leidenschaft und Stimmpräsenz. Leider ging dagegen der Gesang von Ella Josephine Ebsen im allzu lauten Saalsound fast unter und entzog sich so der weiteren Würdigung. Ein echtes „Project in Progress“ eben, an dem noch einiges zu gestalten ist. Allerdings ein gelungener Auftritt im Sinne von „Macht auf jeden Fall weiter, es macht uns neugierig…“ Und so unfertig, wie auch wir gern bleiben möchten, überlassen wir weitere Ausführungen den Publikumsstimmen, die in dieser Sendung zu hören sind – sowie unseren und euren Assoziationen, wenn wir dazu die etwas anderen musikalischen Scherbenzitate spielen. Unter anderem von Bretterbauer, die einen empfehlenswerten Scherbensound produzieren – oder von the who the what the yeah, die als Support von TSS in Wien ihr spätkapitalistisches Lebensgefühl entfalten konnten. Über alledem jedoch, liebe Gemeinde, vergessen wir eines niemals: Wir sind ein geiles Institut 😀 und Hallelujah!

 

Laibach – Opus Dei

-> Download: Artarium vom Sonntag, 13. April – Willkommen zur etwas anderen Slowenien-Woche auf der Radiofabrik unseres Vertrauens! Radio Študent aus Ljubljana (gegründet 1969 und somit einer der ältesten freien Sender in Europa) ist im Rahmen einer Projektvisite zu Gast in Salzburg. Wir nutzen diese Gelegenheit, um selbst einige Programmschwerpunkte zu setzen: So wird bereits am Donnerstag Abend im Rahmen des Stammtischs der Freien Medien (Beginn 19 Uhr, ARGEkultur 1. Stock) ein Gespräch über das Kunstkonzept der Gruppe Laibach stattfinden, das zum Teil auch live aus dem Sendestudio übertragen wird. In der Nachtfahrtsendung am Freitag, 11. April zum Thema „Heimat under construction“ werden wir diese Unterhaltung mit unseren Gästen (von 22 bis 00 Uhr) weiter vertiefen können. Und zu guter Letzt spielen wir auf mehrfache Anregung noch ein frühes Laibach-Album in voller Länge!

laibach - opus dei (front)Und dieses Opus Dei von Laibach von anno 1987 vermag exemplarisch zu verdeutlichen, was uns am Konzept dieser Band und dem mit ihr verflochtenen Kunstkollektiv NSK (Neue Slowenische Kunst) derart interessiert. Slavoj Žižek, der weithin bekannte Kulturphilosoph aus Slowenien, hat dies in einem wunderbaren Video „What the hell is Laibach all about?“ auf den Punkt gebracht. Noch Fragen? 😀 Kurz skizziert – das herrschende System im künstlerischen Ausdruck noch ernster zu nehmen als es sich selbst jemals ernst nimmt, das führt zur Entlarvung der totalitären Mechanismen und ist somit zutiefst subversiv. Ein Konformist wäre somit jemand, der dem System gegenüber in ironischer Distanz lebt – ein Revolutionär dagegen eher so eine Art Übertreibungskünstler. Womit wir auch der Erforschung des Skandals einen großen Schritt näher gekommen sind. Hallo, Thomas Bernhard! Was darüber hinaus die kontroverse Kritik anbelangt, mit der Laibach wegen ihrer rauschhaften Verwendung (Entwendung/Verfremdung) von eklektisch zusammengeglaubten Herrschaftssymbolen immer wieder konfrontiert wurden, dazu wollen wir in unseren aktuellen Sendungen einiges an Anhörungsmaterial beisteuern. Zur Einführung in dieses Thema empfehlen wir die Videos „Geburt einer Nation“ sowie „Opus Dei“ vom gegenständlichen Album!

 

Bauhaus – Burning from the Inside

-> Download: Artarium vom Sonntag, 16. März – „Godfathers of Goth or the ultimate post punk band – an appreciation“ übertitelt die ungemein brauchbare Music-Website „Louder than war“ ihre Würdigung dieser in vielerlei Hinsicht einflussvollen wie stilbildenden englischen Band. Und eröffnet das späte Loblied auch gleich mit einem entsprechenden Satz: „Few groups have been as original as Bauhaus“. Dem kann (und will) man gar nicht mehr viel hinzufügen! Endlich einmal wieder seelenverwandte Musikjournalisten aus dem Konsumorkus der Worldwideheit auszugraben, das tröstet schon über so einige Industriekriecher und Plastikkasperln hinweg. Wie heißt es auch so schön in ihrer Selbstvorstellung: „We were bored of genres and the conventional history of music; we liked so much music and we wanted to communicate it“. Es lohnt sich wohl wirklich, für derlei erfrischend unangepasste Schreibe sogar ein noch so unbedarftes Schulenglisch mal wieder kräftig abzustauben! Doch nun zum Album 😀

bauhaus_burning_from_the_insideDenn dessen gut 55-minütiger Aneinanderreihung von Musikstücken mag man sein Entstehungsjahr 1983 wahrlich nicht so recht glauben. Sowohl produktionstechnisch als auch von der stilistischen Bandbreite der Songs her ist es ein durchwegs zeitloses Album, dessen Konzept  (als ein verbindender roter Faden) wohl am ehesten in der ausladenden Vielfalt seiner unterschiedlichen Ausdrucksformen zu verorten ist. Bei jeder anderen Band aus späteren Jahren hätte man sich schon über eine solche Menge an Stilzitaten gefreut – nur Bauhaus zitieren hier eben (fast) nicht. Die meisten der von ihnen dabei verwendeten Gestaltungsmittel wurden (und werden nach wie vor) von anderen Bands zitiert. Das ist es auch, was diesem Kollektiv aus vier Kunststudenten eine so dermaßen weitreichende Inspirationswirkung zukommen lässt – auf jeden Fall in jenen 5 Jahren der Post-Punk-Ära zwischen 1978 und 1983, in welchen sie fast ihr gesamtes Werk hervorbrachten. Bereits während der Aufnahmen zu „Burning from the Inside“ trennten sie sich erstmalig, später wiedervereinigten sie sich sporadisch immer wieder einmal, hauptsächlich zu Aufführungen des „alten“ Materials aus ihrer höchst produktiven Anfangsphase. Mich persönlich haben Bauhaus mit diesem Album schon aus mancher postpsychedelischen Seinskrise heraus gerissen. Wer sich auf die darin zum Leben erwachende Musik einlässt, hat womöglich schon einen guten Freund gewonnen… 😉

Sonstwelche Genretypisierungen und Stilzuschreibungen sind uns mörderwurscht!

„I am your slice of life“

Bauhaus