Grüner wirds nimmer

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. FebruarDer langjährige künstlerische Leiter der ARGEkultur (oder Geschäftsführer, wie es hierorts heißt), Markus Grüner-Musil übergibt seine Agenden mit 1. März an den Theatermacher Sebastian Linz. Mit Linz beginnts also (zumindest teilweise) wieder ganz neu, immerhin jedenfalls anders. Und so wird ringsum spekuliert über Inhalte, Schwerpunktsetzung oder Kontinuität, vor allem vom Stottern ist da immer wieder zu hören. Genau die richtige Zeit für uns, Freunde der gelungenen Sprache, dem kommenden Impresario hoffensdick sowie ohne Vorurteil zuzuwinken – und den scheidenden mit einem kleinen Nachwurf (aus seiner eigenen Redekunst) zu bedenken. Politisch scheint beiden vieles gemeinsam zu sein, in der Herangehensweise werden sie sich dann doch wohl unterscheiden

Markus Grüner-MusilNebiges Stimmungsbild stammt von der Vorstellung des ARGEkultur-Programms 2017 im Magnolia-Blog und passt (nicht nur jahreszeitlich) perfekt in unser heutiges Konzept. Besten Dank dafür! Wir haben uns in den letzten 10 Jahren nämlich über so manche Unzulänglichkeit dieses vielgerühmten Gebäudes mokiert, welches uns zugleich auch Heimat und Sendungsstandort ist. Abgrund und Ambivalenz. Wenn wir dabei die Entwicklung der ARGE-Bewegung seit den 70ern betrachten, dann kommt allerdings leicht so etwas wie Trübsinn auf. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im richtigen Leben so auch im falschen, unsere tägliche Institutionalisierung gib uns heute und vergib uns unseren Zwiespalt wie auch wir ihn vergeben uns selbst et cetera und Amen. Das Ringen mit der Macht findet vielleicht statt, nur leider fast nie dort, wo sie herrscht. Stattdessen da, wo sie längst für ihre stillschweigende Duldung bezahlt. Auseinandersetzung ressortiert im Fachbereich Bestuhlung und Diskurswerfen ist eine olympische Disziplin. Quod licet Jovi non olet. Grüner ist immerhin eine Steigerungsform und Musil bestimmt kein Mann ohne Eigenschaften. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Und abermals sage ich: Nach mir die Sinnflut!”

Von den Mühen der Institution, vom Germteig des kritischen Empfindens, von der Idiotie des Kommerziellen, von der Kunst einer gescheiten Tonaufnahme – und nicht zuletzt vom Denkzettel eines umtriebigen Kulturarbeiters. All dies (und noch mehr) rundet sich erst zum Erlebnis, wenn auch unsere Sendung euer Gehör findet.

 

DÖF – Das ganze Album

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. August – Die Welt ist voller Anekdoten, da wollen wir auch wieder mal ane doktern. Oder ein Sackl. Denn die Perle aus dem Jahr 1983, die wir allhier und jetzt zu Geöhr bringen, hat es diesbezüglich wohl faustdick hinter denselben: Das schlicht DÖF betitelte und von Manfred Deix kongenial illustrierte Debutalbum des Wiener Kunstschmähprojekts Tauchen & Prokopetz (das darobhin als “Deutsch-Österreichisches Feingefühl” bekannt ward) steckt voller idealer Ideen. Und interessanter Referenzen, wenn man sowas mag. Der Hase meint zwar, dass ihn derlei Detailrecherche weniger anspricht, ich hingegen werd bei so Reminiszenzen im Umfeld meiner eigenen frühen Soundbasteleien unweigerlich zum Jäger und Sammler.

DÖFZur Vorgeschichte: Entsprechende Würdigungen der Herren Tauchen und Prokopetz – speziell als Dichter und Darsteller von Hörspielwelten gemeinsam mit Wolfgang Ambros – entnehme man zum Beispiel unseren Sendungen über den Augustin oder das Schaffnerlos. Die bei DÖF als Produzentin firmierende Ex-Ideal-Sängerin Annette Humpe setz ich einfach mal als eh bekannt voraus. Sie ist bloß weder verwandt noch verschwägert mit ähnlichlautender finnischer Musikrichtung. Warum aber, abgesehen von Nostalgiekitsch sowie der eher flachen Genrezuschreibung “Neue Deutsche Welle” (was bedeutet, dass uns auf jeder 80er-Party für nicht mehr ganz Taufrische der damalige Hit Codo in die Ohren gezwängt wird) – warum also ist ausgerechnet dieses Album heutigentags noch/wieder gut zu hören? Da gibt es einige Argumente, die einen neugierig machen könnten: Zuallererst das Soundbild, das jenen Quantensprung in der Audioproduktion wiederspiegelt, als erstmals Digitaltechnik in den führenden Topstudios zur Anwendung kam. Da ist es schon bemerkenswert, dass Richard III. (oder eben Oesterreicher Jr.) zum Abmischen und Finalisieren der von ihm in Wien gemachten Aufnahmen die legendären Hansa-Studios in Berlin auserkor, wo bereits David Bowie (mit Blick auf die Mauer) seine Berlin-Trilogie produziert hatte…

Zudem geben sich schon bei der Entstehung von DÖF einige Studiomusiker die Klinke in die Hand, die man getrost als die sehr erste Riege ihrer Zunft bezeichnen kann, etwa Peter Vieweger, Thomas Rabitsch, Peter (Animal) Koller und Robert Pistracher (der hier seltsamerweise mit weichem B aufscheint – und dessen Links deshalb ins Nichts führen), sie haben unter anderem jahrelang bei Hansi Lang, Drahdiwaberl, Harri Stojka und Falco mitgewirkt. Also auch rein handwerklich eine genussverheißende Auswahl. Und last but not least die inhaltliche Mischung aus Kabarett und Popsong, die einem nach wie vor (also alterslos) ein Kopftheater der Extraklasse verursacht. Gut zuhören! Und wir würdigen but not allerleast Laura, unsere frischgebackene Mädchenfachfrau, mit einer fettfröhlichen Signation und warten seither aufs unvergessene Taxi (Video).

PS. Die Laura ist aber schon immer sehr freundlich am Telefon…

 

Querschläger – Schåttseitnkind

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. JuliDie Kultband aus dem Lungau, QUERSCHLÄGER, betreibt die umfangreichste Musikerwebsite Österreichs.” Zumindest laut ihrer Selbstbeschreibung im Suchmaschineneintrag. Wir können ja (Gott und der Tante Jolesch sei Dank) nicht deren sämtliche vergleichend nachmessen. Nichtsdestoweniger endlich einmal ein umfängliches Archiv mit Hintergründen und Hörbeispielen, das einem alle wesentlichen Informationen verabreicht, so dass man nicht stundenlang deppert das halbe Internet durchforsten muss – und sich dabei an aberzig blitzdröhnen Aufdringeln erschöpfendes Hirnbluten einfangt. Chapeau! Wie schon in Schattseitnliacht gesagt: “Deut… nein: Lungauerisch! Dieses Land bietet viel mehr an herauftauchbaren Perlen im Schlamm des Konsumstreams als man glauben mag.”

Querschläger LiveDas Album Schåttseitnkind, das wir in dieser Sendung zur Gänze spielen, ist unter diesen Perlen noch einmal etwas ganz besonderes. Und zwar, weil es derzeit nicht lieferbar ist (wir regen dringend seine Neuauflage an) UND weil es ein rundes, stimmiges Konzeptalbum der Querschläger ist, entstanden aus dem Bühnenprojekt “Die Bettlerhochzeit” (gemeinsam mit der Theatergruppe MOKRIT). Sämtliche Lieder auf diesem Album wurden eigens für das 2004 realisierte Stück entwickelt und erst nachträglich auf CD veröffentlicht. “Ziel der Produktion war es, jenen, die das Stück gesehen haben, einen Anhaltspunkt zur Erinnerung und Wiederentdeckung zu bieten und jenen, die das Stück nicht gesehen haben, einen eigenen Zugang zu ermöglichen.” Letzteres funktioniert beim Zuhören im Kopftheater dergestalt vorzüglich, dass es einem nicht nur alle möglichen Ebenen der Zauberer-Jåggl-Zeit aufklappt, sondern zudem verständlich macht, auf welchem Weg die notorischen Querschläger “der Landesgabi ihre Lieblingsband” geworden sind:

“Da gibt es die historische Ebene des Prozesses von 1688/89, die Ausgrenzung, im wahrsten Sinne des Wortes Verteufelung und Verurteilung einer gesellschaftlichen Randgruppe in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, die aber sofort und unweigerlich eine weitere Ebene öffnet, nämlich die des aktuellen Gegenwartsbezugs. Da gibt es die allgemeine, gesellschaftliche Spannungsfelder wie Machtausübung und Machtmissbrauch, Recht und Gerechtigkeit behandelnde Ebene, die wieder im direkten Zusammenhang mit einer weiteren, nämlich der persönlichen Ebene der Schicksale der einzelnen Charaktere des Stücks steht. Da gibt es die rationale Ebene des täglichen Lebens und Überlebens und die Flucht (davor) in die irrationale Welt von Aberglauben und Hexerei. Die Verknüpfung all dieser Schichten in überleitenden oder unterstützenden Liedern oder Stücken ist eine große Herausforderung, macht aber auch großen Spaß, eben weil es eine so große Palette von Assoziationsmöglichkeiten gibt.” Sänger und Texter Fritz Messner, August 2004

 

Ursonate (Excellent Birds)

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. JuniKurt Schwitters‘ Ursonate ist beileibe kein Nonsens. Und das Orff-Institut für Elementare Musik- und Tanzpädagogik (Ernst Jandl hätte es nicht besser betitelen können) ist auch kein Ort für schwere Nöte. Dortselbst fand nämlich am Dienstag, 13. Juni eine Aufführung (von Ausschnitten) derselben statt, über welche wir hierselbst berichten. Alles MERZ, oder selbst? Eben. Denn dem genial schrägen Vogel war seinerzeit selbst Dada viel zu definiert, und so schuf er sich mit dem Kunstbegriff MERZ einen “absolut individuellen Hut, der nur auf einen einzigen Kopf passte” – nämlich seinen eigenen. Der Urdadaist und Wegbereiter beinah jeder späteren “konkreten” oder “Lautpoesie” von Ernst Jandl bis Christian Ide Hintze war also ein Individualanarchist, der sich nie einfügte. Sehr sympathisch!

UrsonateNoch sympathischer finden wir die Urheberrechtsgroteske rund um den Berliner Subkulturforscher Wolfgang Müller, der 1997 auf der norwegischen Insel Hjertøya eine ehemalige Strandhütte Schwitters‘ untersuchte und dabei die Stare (genau, die Amseldrosselfinkund- Vögel) Motive aus der Ursonate singen hörte. Er nahm sie auf und veröffentlichte ihren Gesang – zwar als “Naturgeräusch” deklariert – nichtsdestotrotz brach der üblich-läppische Copy-Riot über ihn herein, samt Erbenstiftung und Verleger. Heiliger Thomas Burnout, bitt für uns arme Künstler!” Und so war auch die überaus anregende Vorstellung der Ursonate im Gunild-Keetman-Saal von solcher Vogelperspektive inspiriert, was in den Kostümen (auf dem Foto vom Schlussapplaus) kenntlich wird. Überhaupt haben die Studierenden hier eine sehr vielschichtige Interpretation der Urpartitur entwickelt, die Bewegung, Stimme und soziale Emotionsdramaturgie mit Elementen der Naturbeobachtung dergestalt verflicht, dass einem da regelrecht die Sinne aufgehen. Eine Aufgabe von Kunst besteht wohl darin, uns empfindungsfähiger zu machen für all das, was wir im beschleunigten Alltagsvollzug fast gar nicht mehr wahrzunehmen imstande sind …

Vor allem eben uns selbst (ein herzliches Prost auf den Kiepenheuer Bühnenverlag!)

In diesem Sinnlichen:

böwörötääzää Uu pöggiff

fümmsböwötääzää Uu pöggiff

fümms bö wö tää zää Uu, pöggiff,

kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee. kwiiee.

kwiieee!!!

 

Horses

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. AprilZu Gast im Kunnst-Biotop sind diesmal zwei Menschen, die uns unlängst ein Stück Theater dergestalt um die Sinne geworfen haben, dass es immer noch in uns nachbebt. Und so etwas finden wir sehr angenehm! Katharina Shakina und Kilian Bierwirth, derzeit Schauspiel-Studierende am Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum, verschmelzen in Horses, inspiriert von Patti Smith nachgerade mit selbiger sowie mit deren Freund und Projektpartner Robert Mapplethorpe und erzeugen so auch einen unglaublich intensiven Eindruck jener Zeit (die späten 60er und frühen 70er Jahre), in der die zwei Multikünstler zusammenlebten. Wobei “zusammenleben” nur eine höchst unzureichende Beschreibung für das ist, was ihrem wechselseitigen Musentum alltäglich (und allnächtlich!) alles entsprang…

Horses der Anfang“Zwei junge Menschen treffen sich in New York. Sie kommen aus unterschiedlichen Richtungen und wollen in der Stadt ihrer Träume ein eigenes Leben beginnen.

Sie verbindet sofort eine Seelenverwandtschaft, die alles Denkbare übersteigt. Ihre Liebe und ihr Vertrauen lassen sie zu den Menschen und Künstlern werden, die sie immer sein wollten.”

Soweit der Begleittext des facettenreichen, vielschichtigen und immer wieder voll abgedrehten Bühnenstücks Horses, das sich im Gespräch mit Regisseur Tom Müller kaum überraschend als Adaption von Patti Smiths autobiographischem “Just Kids” herausstellt. Unser Lieblingssatz und zugleich der hypnotische Lockruf ans Theater ist jedenfalls: Gemeinsam kämpfen sie gegen die brutale Realität da draußen und bauen sich ihre eigene.” Das kommt uns irgendwie unheimlich bekannt vor. So wie viele der einander jagenden und ineinander überfließenden Szenen für uns ganz großes Kino sind: Aufbruch und Abgrund und ambivalentestes Wiedererkennen. Die Mehrdeutigkeit des eigenen Seins zwischen Selbstheit und Kunstfigur. Und das noch im Schleudergang aus Text, Bild, Film, Tanz, GesangDas volle Drama!

Horses der AbgrundDabei darf man nicht etwa annehmen, es handle sich hier um billiges Bedienen allzu bekannter Prominentenposen oder hektisches Haschen nach erwartbaren Effekten. Das Gegenlicht ist der Fall: Da wirbeln Hell und Dunkel über die Bühne, ringen Über-Ich und Underground um die Seelen dieser “Kids”, feiern Yin und Yang ein existenzialistisches Rasiermesserreiten, dass einem ganz bizarr zumute wird vor lauter offenen Fragen. Pop? Gott? Sexualität? Wir können zwar immerhin nach eineinhalb Stunden wieder nachhause gehen – doch was wartet dort anderes auf uns als die eigene Zerbrechlichkeit angesichts menschenfressender Ideologien?

Baby calm down, better calm down,
On the night, in the eye of the forest
There’s a mare black and shining with yellow hair,
I put my fingers through her silken hair and found a stair,
I didn’t waste time, I just walked right up and saw that
Up there, there is a sea
Up there, there is a sea
Up there, there is a sea
The sea’s the possibility
There is no land but the land (Up there is just a sea of possibilities)
There is no sea but the sea (Up there is a wall of possibilities)
There is no keeper of the key (Up there there are several walls of possibilities)
Except for one who seizes possibilities, one who seizes possibilities. (Up there)
I seize the first possibility, is the sea around me
I was standing there with my legs spread like a sailor
I felt his hand on my knee (On the screen)
And I looked at Johnny and handed him a branch of cold flame (In the heart of man)

Textauszug: Patti Smith – Land (von ihrem Debutalbum Horses 1975)

PS. Zur Entwicklung des Albums Horses aus Pattis frühen Poetry-Performances (nebst Roberts Mitwirken daran) gibts weiterführende Informationen in diesem Artikel.

Die weiteren in der Sendung besprochenen Termine im Theater im Kunstquartier:

Hotel Savoy – Belly of Hell (nach Joseph Roth) in der Regie von Tom Müller, am Donnerstag, 27. 4. um 20 Uhr (Premiere) sowie Dienstag, 2. 5. und Mittwoch, 3. 5. jeweils auch um 20 Uhr.

Horses (in gekürzter Fassung): Montag, 24. 5. sowie Mittwoch, 26. 5. um 20 Uhr.

 

Wir sind das Letzte

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20.November It’s the end of the World as we know it heißt ein legendärer R.E.M. Song, der sogar zur stehenden Redewendung geworden ist. Der aktuelle Spiegel übersetzt diesen Satz für sein Titelbild (mit einem auf die Erde zurasenden Trumpeoriten) völlig dudenkorrekt als: “Das Ende der Welt wie wir sie kennen”. Und Michael Stipe protestiert gegen die fallweise Zerwendung seines 30 Jahre alten R.E.M.-Hits durch Donald, den haltlosen Zitateklaubauf. Ach, wie schön ist doch der Weltuntergang, und wenn er das Letzte ist, was wir erbeben! Rings um uns die Sintflut und dazu längst mitten in uns drin. “Wohlfeil Gegrusel”, sprach die Untenhaltungsindustrie, und schiss eine apokalyptische Dystopie nach der nächsten ins Kollektivbewusstsein des Konsumkasperltheaters – wars das?

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(Foto von Holger Scholl) WILFRIED SCHMICKLER

“Hier aber krankt der vermeintlich gesunde Menschenverstand”, vermerkt der gestandene Politkabarettist Wilfried Schmickler im kurzen Pressetext zu seinem aktuellen Programm Das Letzte, und fährt wie folgt fort: “Denn das Letzte kommt kurz vor dem Ende. Doch ein Ende ist nirgends in Sicht. Es hört einfach nicht auf. Das letze Gefecht war nur der Vorkampf, das letzte Wort nur der Auftakt für die nächste Jahrhundert-Rede und die letzte Sau nur die Vorhut der Herde, die gleich danach durchs globale Dorf getrieben wird.”

Wenn das kein Grund ist, sich zwischen den Präsidentenwahlen mit erregter Gelassenheit zu imprägnieren, dann sind es womöglich die erstaunlich gut produzierten Blues-Nummern mit abgründigen Texten wie: Der kleine Mann und seine kleine Frau. Irgendwie muss ich bei solchen Arrangements geradezu an Element Of Crime denken und mich befällt dabei die Frage, warum Robert Rodriguez die noch nie gecastet hat (so wie die aus- und dreinschauen). Doch ich schweife ab. Nichtsdestoweniger ist Bruder Wilfried ein wortgewaltiger Rheinländer, der hypnotisch zuhören macht, sofern man sich diesseits der Debilität noch Sinn und Verstand zu erhoffen wagt. Und auch das lustvolle Kritisieren (ursprünglich ja “unterscheiden”) zugleich auf politische Entwicklungen und auf den Leipziger Buchpreis angewandt haben will: “Der Giersch, ein schier unausrottbares Unkraut, ich nenn ihn immer den Nazi unter den Doldenblütlern…”

 

Grauen mit Niveau

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. Oktober – Rechtzeitig zu den allseits beliebten Allerheiligen-Vorbräuchen wie etwa Samhain oder Halloween versorgen wir euch und uns selbst mit stilbildendem Grauen aus den Konserven der Klassiker dieses Fachs. Ihr müsst euch jedoch, wie bei einem realen (?) Horrortrip, davon überraschen lassen, was da auf euch zukommt. Denn wenn man schon vorher weiß, wovor man sich fürchten wird, gruselts nicht mal mehr halb so gut. Gepflegtes Grauen verhält sich zu marktüblichem Genredreck in etwa so wie ein schöner Rotwein zu industriellem Alkopop. Apropos Massengeschmack (diese künstliche Gleichgult aus messbarer Vielzucht), unser An- und Zuspruch des Schaurigen ist so schön, dass es uns sehr gehoben grausen wird. Wir verraten aber (verdammt!) nicht um die Burg, in welche Schluchten des Seins wir uns stürzen.

der-schreiNur soviel sei vorab noch gesagt: In Zeiten wie diesen, in denen die selbsternannten Abendlandretter von der suffschwangeren Heimatfront allein die mögliche Verdrängung “unseres” Schokoladeweihnachtsmanns durch religionsneutrale Zipfelmänner als Angriff auf irgendein Christentum abwehren wollen, da werden die Psychopharmaka bald knapp und die Therapeut_innen der Reihe nach verzweifeln. Doch bevor wir alle vor Lachen aus dem Fenster fallen, lasst uns einer wirklichen Kunstgeschichte Gehör verschaffen, die nicht zwecks der Kundschaft vom Coca-Cola-Marketing erfunden ist. Konsumismus, grauslicher!

In diesem Sinn auch unser Hinweis zur sicheren Anwendung: Eine Stunde lang mit offenen Ohren gut zu hören und unbedingt der Phantasie freien Lauf lassen. So kann das Grauen seine heilsame Wirkung voll entfalten. Bei riesigen Nebenwirkungen rauchen sie die Packungsbeilage, schlagen sie ihren Abt – oder werden sie einfach selbst Apotheker!

 

Vanaprastham

>Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Juli – Wir tauchen mit dem Filmsoundtrack Vanaprastham – The Last Dance in ungewohnte Hörlandschaften ein und erkunden Kulturkreise der etwas anderen Art. Der Tabla-Virtuose Zakir Hussain steckt hinter jener magischen Musik des Malayalam-Films, welcher Liebesgeschichte und traditionelles Kathakali-Theater meisterlich vermischt, vielmehr noch, von einander abhängig macht. Traumhafte Bilder, oft nur flüchtig und unscheinbar weichen gerne der intensiven Musik; sie ist das Fundament, ist der Boden aus welchem erst die farbenfrohen Blüten sprießen können.

VanaprasthamEin Kuss hinter grüner Seide, hier fühlt man die Trommeln, zärtliche Explosion, er spitzt die Finger, kaum zu erkennende Gesten zum Takt der nahenden Liebe, welch Verfließen, welch Ekstase! Sie wendet sich ab, sie neigt das Gefieder, Meeresrausch, Zikaden im Schatten, Zikaden Zikaden, fällt nieder im Fluss der Gott, der tanzende Gott; die Dholak gebrochen, im Wasser die Flamme steigt nieder steigt auf steigt nieder und schweigt, bis er ihr Herz … die Musik und die Geschichte / die Musik ist die Geschichte. Jede Bewegung kontrolliert, bedeutsam, das Heben der Brauen, das Blinzeln, jeder Finger eine Figur, jeder Schritt eine Welt, und das Vibrieren während seine Augen in mich, die Flammen, die weißen Gewänder, er glänzt, er leuchtet : ungesehen ein Fenster ins Dunkel, eine Hand, goldene Bahnen, und Kreisen. Der grüngesichtige Gott spricht in fremder Zunge, säuselt dir zu, wiegt seinen Kopf voll Perlmutt und Jade, seine Schritte schellen, singen / der Mond in uneinigen Wassern und alles zugleich. Mal mir das dritte Auge, dein Lachen auf unsteten Seiten, du zögerst, Blumenschopf, karminrotes Sehnen, bald dieses Schreiten auf Wolken, auf Spiegeln – der vielsichtige Gott.

Metamorphose, Wandlung der Glocken, Sitarschlange, und wirf alles von dir, entferne die Schichten, löse die Farben, ein letzter Tanz, ein letzter Ton : Arjuna gleitet gen Himmel.

 

Die Krücke als Zepter

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. AprilFrucade oder Eierlikör? Zwanzig Jahre nach Ausstrahlung der letzten Folge im Rahmen der ORF-Reihe kunst.stücke besuchen wir Phettbergs Nette Leit Show abermals – in Gestalt einer für uns nicht untypischen “etwas anderen” Themencollage. Zugegeben, in den letzten Monaten hat der hauseigene Recyclingsender des Medienmarktführers sämtliche Folgen der Show wiederholt, und dazu noch den 2007 erschienene Dokumentarfilm “Hermes Phettberg, Elender” von Kurt Palm gesendet. Das war ein feuchtfrohes Fest für Sentimentalisten und alternativkulturelle Rundumgrantler, so fest steht viel! Doch hat Hermes Phettberg, dieses Schwergewicht unter den Evangelisten der freieren Möglichkeitsform, nicht darüber hinaus bleibende Spuren hinterlassen?

HermesIch erinnere mich noch gut an meine Begegnung mit ihm, anlässlich der Präsentation seiner Biographie von Klaus Kamolz am 5. März 1996 im Café Berg zu Wien (übrigens das einzige Phettbergbuch, das ich dazumals nicht als verwertwurstend oder voyeuristisch empfand). Während ich dem Meister des Zeremoniums jene spezielle Ermutigung beschrieb, die für mich und viele andere aus den Reihen der Gegenkultur von seiner Arbeit ausging, verleibte er sich feuchten Auges eine Cremeschnitte nach der anderen ein. Zum Schluss bedachte er mich, auch in Form einer Widmung, mit den Worten: “Vielen herzlichen Dank für diese Überfülle an Zuwendung!” Und nicht ohne diesem Ausdruck seiner Rührung noch ein subtiles “Ergebenst, Hermes” hinzu zu fügen. Was für ein riesengroßes und überaus feinfühliges Kind sich mir da doch offenbarte! Der Palm war auch anwesend, und wie verschieden sie dann sind. Gschaftlhuberisch schwurbelte er von Pressekontakt zu Pressekontakt. Dergestalt dargestellt fand ich seinen sprichwörtlichen Geschäftssinn beanstrengend, noch dazu machte er andauernd seichtschlüpfrige Sadomasowitzerl, die mir im Kontext dieser Veranstaltung schlichtweg scheißpeinlich erschienen. “Bad Fucking” halt, neurolinguistisch portioniert. Nichtsdestotrotz waren die beiden eine Zeit lang ein kongeniales Produzentenpaar, das uns mehr als nur eine Inspiration für ein Dauerthema bescherte. So wie eben den Titel der Show vom 17. Juni 1995, des Buchs von Klaus Kamolz sowie dieser Sendung. Oder, wie es Judith Holofernes in The Geek (Shall Inherit) ausdrückt: “Die Verletzten sollen die Ärzte sein…”

 

Das Kabarett ist tot

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. MärzDas Kabarett ist nicht tot. Und auch nicht totzukriegen. So formulierte es Georg Kreisler schon in den 70er Jahren: “Der moderne Kabarettist hat eins erfasst: Bleibe sympathisch, dann bist du demokratisch.” Denn wie Schauspieler auf den Bretterstrich gehen, der ihnen die Welt bedeutet, und mit ihrer Kunst um die Gunst des Publikums buhlen, so wetteifern auch Kabarettisten (und -innen!) um Sympathien und Sendeplätze, was wohl ein Grund dafür ist, warum wirklich kritisches politisches Kabarett gerade hierzulande Seltenheitswert besitzt. Während in Deutschland Satireformate wie Die Anstalt oder heute-show prominent platziert im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (ZDF) stattfinden, beschränkt sich die satirische Systemkritik in Österreich auf Gags bei Stermann und Grissemann

Marksalzburg

MARK 2007 (Foto: Angela Armstorfer)

Für uns beinah “so sexy wie ein Quickie am Dixiklo” (danke Volker Strübing). Darüber hinaus hat man sich bereits reichlichst überlegt, wieso das politische Kabarett in Deutschland noch immer lebendig wirkt, während es in Österreich fast schon verschämt als Mumie seiner selbst in den Nischen des Untergrunds umzugehen scheint. Belassen wir es halt einmal dabei – und hören, sehen, spüren wir uns stattdessen dortselbst um, wo eine besondere sprachliche Eleganz des Vortrags uns Lust auf Erkenntnisgewinn erwecket (Jochen Malmsheimer) oder die Geübtheit des Gedankengehens uns neu kombinierte Einsichten ins Erbe humanistischer Bildung beschert (Georg Schramm). Zwei solche Vorträge haben wir bei der Veranstaltung “Große Kleinkunst” – 50 Jahre Unterhaus (in Mainz) entdeckt. Zudem gibts den früheren Weltklasse-Bariton Thomas Quasthoff, den wir als humorigen Helene-Fischer-Interpreten kennen, und der in seinem ersten 3-Personen-Programm “Keine Kunst” einen furiosen “Faust 1 und 2 in 3 Minuten” abfeuert, dass einem die Breitseiten weh tun. Worum könnte es beim Kabarett also noch gehen, wenn das Private politisch oder das Kulturelle kritisch betrachtet wird?

“Verantwortungslose Verwaltungsfachangestellte mit Kontrollzwang, also das, was wir in Verkennung der Wahrheit Regierungen nennen, versuchen uns einzureden, die Voraussetzungen für ein anständiges Duell seien inzwischen weggefallen. Aber das stimmt nicht. Im Gegentum, sie werden ständig mehr! Die staatlichen Organe aber sind nur desinteressiert, willenlos, kenntnisfrei oder zu stumpf, um empfindliche Menschen zu schützen oder diesen im Schadensfalle Genugtuung zu verschaffen. Nehmen wir es darum wieder selbst in die Hand, und streiten für das Gute, Schöne und Wahre! Ziehen wir die Klinge blank gegen rhetorische Gedankenarmut und geschmackliche Totgeburten, gegen sinnliche Verwahrlosung, gegen die Vertalkung des Gesprächs, gegen die Kompostierung des Kompliments, gegen die Verrohung der Verehrung, gegen die Veröffentlichung alles Privaten, gegen die Verachtung des Fremden, gegen Dumpfbichelei und Herzverholzung, gegen die Lawinen von Scheiße, die sich durch die wirkliche wie die virtuelle Welt wälzen und unser aller Leben bis in das letzte Filament hinein durchseuchen, gegen den ganzen verdammten Rotz, der da draußen jeden Tag unwidersprochen in unser Leben geschissen wird. Forden wir sie heraus!

Jochen Malmsheimer