Das Leben im syrischen Überwachungsstaat Teil 2: Nur nicht auffällig hinsehen!

Syrien 2009
Was ist im Alltag eines „normalen Bürgers“ zu spüren von der Existenz der Geheimdienste?

Jahrzehnte der Überwachung haben sicherlich Spuren in der syrischen Psyche hinterlassen. Je nachdem liegt der persönliche Geisteszustand zwischen paranoider Angst und lethargischer Gelassenheit. Ausserdem lieben die Syrer Verschwörungstheorien. Die Führungselite gibt dafür Stoff genug. Nach Basil al-Asads Unfalltod beipielsweise gab es, trotz offiziellem Statement, viele Spekulationen, wer ihn getötet habe, vom israelischen und amerikanischen bis zum syrischen Geheimdienst und zur Assadfamilie selbst. Vor allem Rifaat al-Asad wird gern als Drahtzieher des Mordes genannt. Der Bruder von Hafez, der selber gerne Präsident geworden wäre, musste nach einem Putschversuch 1983 ins Exil und gibt sich dort, jetzt reicher Geschäftsmann, als Regimekritiker. Immer wieder hört man von Rivalitäten, Schießereien und mysteriösen Selbstmorden innerhalb der Führungselite, über die das Volk mit einer Mischung aus Sensationslust und der Vorliebe für Gerüchte, wird über alles und jeden geklatscht, getratscht und Intrigen gesponnen.
Weniger harmlos sind die zu jeder Tages und Nachtzeit hinter allen Ecken herumschleichenden Geheimpolizisten, in zivil gekleidet sind, mit geübtem Auge jedoch leicht am einheitlichen Schnurrbart und den Schuhen erkennbar. Sogar am Hausberg von Damaskus, dem Qasyun, begegnet man diesen Herren – als Müllsammler getarnt Sorge tragend, dass die Leute sich nicht an die falschen Stellen setzen, über die falschen Themen reden oder die Dinge beobachtet, die einen nichts angehen.

In der Nähe der Präsidentenvilla oder ähnlich delikaten Objekten stehen dezent in schwarze Anzüge gekleidete unauffällige Männer. Als Passant sollte man nicht zu viel Interesse für die Gebäude der Mächtigen zeigen. Ein Syrischer Freund merkte einmal an, dass wir nun am Haus des Präsidenten vorbeifahren würden. Nichtsahnend zeigte ich mit dem Finger und fragte „meint du dieses Gebäude da?“ Er zuckte zusammen und schrie mich an: „Bist du wahnsinnig? Nur nicht auffällig hinsehen, sonst schnappen sie uns!“

Ähnliche Reaktionen löst es aus, auf offener Straße das Wort Israel oder den Namen mancher Staatsführer zu laut auszusprechen. Misstrauische Blicke und ein ängstliches „Pssst“ des Gesprächspartners lassen spüren, dass Politik nur im privaten Rahmen erlaubt ist.

Doch auch dieser private Raum wird zensuriert. Diverse Internetseiten, z.B. von vielen ausländischen Zeitungen, unterliegen einer staatlichen Sperre. Nach welchen Kriterien die zu sperrenden Webseiten ausgewählt werden bleibt allerdings ein Rätsel. So ist Beispielsweise Facebook gesperrt, auf die Seite von Amnesty International und der anderer Menschenrechtsorganisationen kann man hingegen ganz frei zugreifen.
Und der Grund, warum youtube gesperrt sein soll, ist amüsant: Dort kursiert ein Video, auf dem zu sehen ist, wie ein Windstoß den Rock der Präsidentengattin lüftet.
In den meisten Internetcafes kann man aber sowieso auf alle Webseiten zugreifen, da diese die Sperre mit speziellen Programmen umgehen. (Stand 2009)

Vorsichtig hingegen sind die Syrer bei e-Mail Kontakt. Hier wird nur Belangloses geschrieben, wie Kettenbriefe oder lustige Geschichten.
Wer im Netz unvorsichtig ist, riskiert Gefängnis. So wurde auch mein guter Freund xxx aufgrund seiner kritischen Beiträge in seinem Webblog ins Gefängnis gesteckt. Dort saß er mit Mitgliedern von Al-Quaida in einer Zelle. Aber das ist eine andere Geschichte…