Im Buchstabensumpf

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. AprilSprache und Sumpf bilden ohnehin längst einen Themenkreis, dem wir uns immer wieder hingebungsvoll widmen Masse und Matsch einen weiteren, Morast und Musik, Schleim, Schlamm und Schlaues aus den unendlichen Weiten der Hoch-, Huch-, sowie Popkultur. Das mag eine gewisse Nähe zu Sendungen wie “Im Sumpf” (auf FM4) nahelegen, zumal die wackeren Kollegen dortselbst schon des längeren den Untertitel “Im Morast nach popkulturellen Perlen tauchen” im Schilde führen. Was uns verbindet, das ist wohl das Prinzip des Strandpiratentums und das aus diesem entstehende Sammelsurium an Angeschwemmtem, Aufgetauchtem und zu gefälligem Gebrauch Entschlammtem. Im Buchstabensumpf allerdings wird jedes Sprach zur Schreibeund umgekehrt.

Buchstabensumpf 1Denn wovon sein wird ein Reden, dafür genügt des Mutters Sprach. Und wie verschieden sie dann sind. Wem gehört Gehörtes? Damit kann Oral Hysterie (oder wie das heißt) betrieben werden, bis die Münder wund sind und die Ohren klingeln. Doch um auf das zu schreiben (das aufzuschreiben), braucht das Volk der Alphabeten einen Setzkasten. Oder halt ein Sackerl Buchstaben. Wohin uns das diesmal führen wird? In den Buchstabensumpf, in dem wir alle sitzen und schwitzen, wenn wir sprechen und schreiben. Vor allem aber, wenn wir achtsam darauf hören, was da ringsumher so alles geblökt, gegrunzt, gemöamelt und gehupfdudelt wird. Mussen wir also dem Deutschen Sprach schutzen vor dem schleichenden Niedergack? Wer selbige etwa zu umpfen Parolen wie “Daham statt Islam” erniedrigt, hat sich jedenfalls zum Thema “Deutsche Kultur” für immer selbst disqualifiziert. Im Namen des Guten, Wahren und Schönen ergeht folgendes Urteil: Lebenslänglich nur mehr Buchstabennudelsuppe.

Buchstabensumpf 2Viel lieblicher geht es in unserem Nachbarland Schweiz zur Sprachsache. Dort empfindet man beispielsweise das sogenannte Hochdeutsch (speziell seit den zwei Weltkriegen) als eine Art unangenehme Einmischung von außen. Statt dessen pflegt man die zahllosen Unterarten des gemeinhin als Schwyzerdütsch bezeichneten Dialektkonglomerats bis sehr weit hinein in die Musikindustrie und die öffentlich-rechtlichen Medien. Und man schreibt das alles dann auch noch so, wie man es spricht! Und zwar mit (fast genau) denselben Buchstaben wie unsereins. Das von uns geliebte “ß” kommt dort nicht vor. Aber sonst… Spüren wir doch einmal hinein in diese Wortwelt und Mundart, die wir oft kaum verstehen (und die bei SRF-Nachrichten oft zu “schriftdeutschen” Untertiteln führt). Und auch zum schönen Umstand, dass Hip-Hop aus der Schweiz nur im seltensten Fall so scheiße klingt wie irgendein amerikanoider Aufguss. Dies vorzuführen haben wir die schweizweit bekannte Rapperin Steff la Cheffe in unsere Playlist eingestreut. Da macht bei weitem nicht nur der Dialekt den Unterschied, sondern auch ihre Beats!

Buchstabensumpf 3So ein Buchstabensumpf ohne “Himbeergschtrüpp” ist vorstellbar – aber nicht zielführend. So wie eine Buchstabennudelsuppe ohne eine zugehörige Suppenkopfexploision zwar irgendwie schon möglich, aber keinesfalls lustig oder interessant ist. Daher werden wir, bei aller Volks- und Sprachkritik von PeterLicht oder Rainald Grebe, auch diesmal wieder eigene und andere Texte zu Gehör und Gespür bringen. Denn wie schrieb schon der von uns höchst geschätzte Ernst Jandl in “Die Humanisten”:

sein viel schmutzen
kunst schmutzen
sein viel viel schmutzen
viel viel kunst-schmutzen
sein ich kunst schutzen
du sein und ich sein kunst schutzen

 

Neuer Ordner

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Februar – Wer kennt das Phänomen nicht, dass ein neuer Ordner in jeglichem Computerdings zunächst immer “Neuer Ordner” heißt? Wenn er nicht leer bleibt (wie so oft) – was könnte drin sein? Wir machen diesmal, anlässlich der 100. Ausgabe unserer Perlentauchereien, einen neuen Ordner auf, um uns von (selbst)hergebrachten Ordnungstrukturen (und den damit verbundenen Erwartungen) zu befreien. Klingt einigermaßen pathetisch – ist aber auch so. Denn es gibt kaum Verwegeneres, als etwas vom eigenen Ordnungssystem in Frage zu stellen, aufzulösen, neu zu gestalten. Und zu schauen, was dann passiert… Es ist wohl weithin gebräuchlich, den Ordner zuerst zu benennen, und ihn danach mit “zum Thema passenden Inhalten” zu befüllen. Doch es funktioniert auch andersrum.

Neuer OrdnerWir sind alle damit aufgewachsen worden, dass wir Themen gestellt bekamen – und diese dann gemäß den Erwartungen unsrer jeweiligen Erziehungspersonen zu bearbeiten hatten. Wenn wir das nicht erfüllten, war es eine “Themenverfehlung” und wurde mit “nicht genügend” entwertet. Vielleicht gab es da und dort in einem Freigegenstand wie “Kreatives Schreiben” einmal ein entgegengesetztes Herangehen, indem “das, was einem gerade so durch den Kopf geht” formuliert und verdichtet wurde – und erst dann (vielleicht) ein entsprechender Titel darüber gesetzt. Kunnst also bei unserer heutigen Sendung genauso machen: Wir senden “das, was uns in den letzten Wochen so durch den Kopf gegangen ist”, reichern es damit an, “was uns spontan dazu einfällt” – und ihr könnt diesen “neuen Ordner” so umbenennen, wie es zu eurem Hörerlebnis passt. Ein erster Schritt zu einer Ordnung”, die nicht von oben herab verordnet wird, sondern die von unten herauf entstehen kann…

PS. Kaum jemand weiß, dass Pjotrek Popolski aus Zabrze dereinst “der gesamte Popmusik erfunden” hat, weshalb man auch sagt: “Dieter Bohlen hat gestohlen alle seine Hits in Polen.” (Zitat von Enkelsohn Pawel Popolski). Wir grüßen ihn freundlich!

 

Herbstzeitlotterie

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Oktober – Nun haben also auch wir einen Radioschorsch erhalten, und zwar für unseren Jingle mit dem Gunkl (zur Frage: “Was soll das?”), noch dazu hochanständig per Onlinevoting. Ein ganz ehrenwerter Weg zu einem Publikumspreis, fragt doch mal die Stefanie Sargnagel. “Die Bundes-SPÖ würde bei einem Wahlergebnis von annähernd 40% wohl ziemlich lang nicht wieder aus ihrem Glücksrausch auftauchen“, freut sich die Perlentaucher-Redaktion. Denn seit immerhin fast 8 Jahren verwursten Christopher Schmall und Norbert K.Hund “ringsum angespültes Treibgut der Kulturgeschichte” kongenial zu stets unterhaltsamen “Denkanstößen, Gefühlsräumen und Stimmungsbildern”. Im Sumpf von Salzburg – die etwas andere Collage aus Musik, Text und Themen

Herbstzeitlotterie 1Also feiern wir eine “lange Nacht der Preisträger_innen”, umgeben von Elfriede Jelinek, Bob Dylan, oder Thomas Bernhard… Warum heißt es dann Herbstzeitlotterie? Das ist wohl eine etwas längere Geschichte, abgesehen davon handelt es sich aber um ein recht passables Wortspiel, also in sich selbst sozusagen. Demokratische Prozesse und Zufallsereignisse, das wäre ein paar Betrachtungen wert, in diesen Zeiten der Zeitumstellung sowie ihrer geplanten Abschaffenwollung aufgrund einer merkwürdigen europäischen Online-Befragung, an der ungefähr 0,9% der Gesamtbevölkerung teilgenommen hat. Sommerzeitlotterie, Winterzeitlotterie, kauft Herbstzeitlose für die kommende Herbstzeitlotterie, im Gackpot befinden sich bereits XYZ Millionen – oder wie ich längst zu sagen pflege: “Je Geld desto Oasch” Womit sich der Kreis zwar nicht schließt, allerdings eine Andeutung gemacht wäre.

Herbstzeitlotterie 2Was die Radiofabrik als Freies Medium auszeichnet, ist dagegen das völlige Nichvorhandensein von kommerziellen Interessen – und dem ganzen damit einhergehenden Lobbyistengsindel. “Journalism is publishing what someone else does not want published. Everything else is public relations.” (Nach George Orwell zitiert). Seit über 20 Jahren bewahrt sich der Sender mit dem Schorsch unsere Unabhängigkeit von allen wirtschaftlichen und weltanschaulichen Sachzwänger_innen. Und das ist gut so. Zwanzig Jahre sind noch lange nicht genug. Wir gratulieren, jetzt erst recht! Bei all den hochfliegenden Plänen für die nähere Zukunft – Stichwort Lehrredaktion – soll dieses Zitat von Pippi Langstrumpf immer mit dabei sein: “Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.” Ein weises Wort, das zudem auch ausgezeichnet zur Gestalt der heurigen Auszeichnung passt.

Herbstzeitlotterie 3Weshalb es bei uns diesmal eher beschwingt als besinnlich zugeht. Wobei, ZeiT. von Wortfront kann ja durchaus als nachdenkenmachend angesehen werden: Gewinnen oder verlierenHerbstzeitlotterie halt. Die Uhrzeit ist ohnehin ein soziales Konstruktnur die Jahreszeiten sind (noch) nicht menschgemacht. Stellen wir die Uhren halt wieder um eine Stunde vor (oder doch zurück), bevor uns alle die Hysterie einholt. Im Zweifel mit dem Gunkl: “Es muss die Möglichkeit bestehen. Eine Gesellschaft ist dann stark, wenn sie sich etwas leisten kann. Eine Gesellschaft, die sich Querdenker oder lautradikal Nichtdenker nicht leisten kann – also, wenn man das nicht abfedern kann, dann ist das ein Armutszeugnis für die Gesellschaft. Davon abgesehen passiert in diesen Freien Radios auch etwas, was ich sehr schätze, nämlich: Das machen Menschen, weil die das machen wollen.”

Abfedern – da ist der springende Punkt.

 

Der Sender mit dem Schorsch

Ein Schorsch mit Ohren – seit zwanzig Johren. Was soll das? In der Radiofabrik unseres Vertrauens werden Wahlen noch mit Geschmack gewonnen – und deshalb können ALLEganz nach Gehör – den ihrer Ansicht nach “besten” Jingle wählen, und zwar hier: Anhörung und Online-Abstimmung, ein Demokratie-Hörtheater für Anfänger und Insider. (Jeder nur ein Kreuz) Woselbst auch wir, die Perlentaucher, gleich mit 4 Beiträgen quasi gegen uns selbst antreten. Genug kann nie genügen, auch nach 20 Jahren nicht, das erkannte Konstantin Wecker ja schon vor vielen… Und so tauchen wir tief in unser Archiv, um der Fragestellung “Was soll das?” ein paar Perlen beizufügen, die sowohl unser Selbstverständnis als Sendungsmacher als auch die Wesensart der Radiofabrik darstellen. Die Ursuppe, eine Anstiftung:

Der mit dem Schorsch tanztDas Sinnbild oder die Grundidee des Perlentauchens ist ungemein zeitgemäß: Durch immer mehr und immer noch zäheren Schlaaz zu tauchen, um einzelne Perlen des Besonderen und somit subjektiv Wertvollen hervor zu stöbern, auf dass wir sie in diesem öffentlichen Raum Radio mit anderen kreativen Individualist_innen teilen können. Und passt auch wie der Topfdeckel aufs Freie Radio, einem der letzten öffentlichen Räume, der noch nicht von kommerziellen und/oder machtpolitischen Interessen verseucht ist. In dem genau jener Erfolgs- und Anpassungsdruck nicht herrscht, der sonst ja schon die meisten Lebensträume molochgleich verschlungen hat. Jener zutiefst soziopathische Wachstumswahn, der schöpferisches Arbeiten unmöglich macht und seelische Ausgeglichenheit zerstört. Diese Zerdepperung des Menschlichen durch Populismus, Krone und Fernsehblah. Jede Menge dicht verdichteter Schlamm also, Unflat und Gatsch, aus dem solche Kostbarkeiten wie etwa Eigenartiges oder Wesentliches hervorzusuchen immer anstrengender wird. Jedoch ein von unbeugsamen Sender_innen bevölkertes Radio hört nicht auf, all den Dringlingen Widerspruch zu leisten. Hier die Zutaten zu unserem Zaubertrank:

Schorsch 1: Was soll das feat. Norbert K.Hund (Kunstbiotop-Jingle) via CBA

Moderatorin: “Über die Alternativen einer lebendigen Salzburger Kultur machen sich nur die wenigsten Gedanken…”

Norbert K. Hund: “Und das, was wir unter Kultur verstehen würden, ist, dass Menschen etwas machen, das vergleichbar wäre mit einem Biotop. Das vergleichbar wäre mit einem kleinen Tümpel, einem Schlammloch, da stehen drei Bäume, da ist ein hohes Gras – und irgendwann einmal zwischen Nachmittag und Abend kommen dort zwei Verliebte vorbei oder ein Dichterling oder sonst irgendjemand, einfach Menschen. Und die genießen das, denen sagt das was. Und das ist in keiner Statistik festzuhalten, das kann man in keinem Subventionsansuchen rechtfertigen, und das kann man in keiner Weise systematisch dingfest machen.”

Schorsch 2: Was soll das feat. Thomas Oberender (Oberender-Jingle) via CBA

Interviewer: “Leidet der Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele an so etwas wie einem Salzburg-Syndrom?”

Thomas Oberender: “Alsozusagen, wenn sie über die Identifikation oder Identifizierung – des Aggressors sprechen, der sind wir. Ab da tuts weh, ja. Dass sie sich selber sozusagen auch als Täter erleben. Das ist die Urerfahrung des Dramas oder der Tragödie, die da eben lautet: Wir sind sterblich – und Leben heißt schuldig werden. Immer. Für jeden einzelnen von uns. Und dafür ein Auge zu öffnen und sich mit dieser Erfahrung zu konfrontieren – das ist das Privileg, aber auch die Aufgabe von Kunst.”

Schorsch 3: Was soll das feat. Perlentaucher (Perlentaucher-Jingle) via CBA

Christopher Schmall: “Vor allem, wenn man jetzt Romane schreibt und da wirklich sehr viele Personen irgendwie in sich hat, und über die Bescheid weiß und ihr ganzes Leben teilt – die lassen einen auch nicht los. Deswegen hat die Joanne K. Rowling, die ja Harry Potter geschrieben hat, jetzt wieder neue Bücher geschrieben, weil sie einfach nicht aus dieser Welt raus kann. Sie hat diese Welt für sich erschaffen und ist einfach so in dieser Welt drinnen…”

Norbert K.Hund: “Ah, du meinst, würde sie jetzt zuhause sitzen und mit diesen ganzen Charaktären schwätzen, dann würd man sie bald einmal holen…”

Christopher Schmall: “Ja, aber nachdem sie das in Büchern verpackt…”

Norbert K.Hund: “Genau. Um das zu vermeiden, schreibt sie immer weiter…”

Christopher Schmall: “Ja, voll. Also, ich glaub schon, dass Kunst einen vor psyschischen Krankheiten auch retten kann.”

Schorsch 4: Was soll das feat. Günther Paal aka Gunkl (Gunkl-Jingle) via CBA

Günther Paal (Gunkl): “Es muss die Möglichkeit bestehen. Eine Gesellschaft ist dann stark, wenn sie sich etwas leisten kann. Eine Gesellschaft, die sich Querdenker oder lautradikal Nichtdenker nicht leisten kann – also, wenn man das nicht abfedern kann, dann ist das ein Armutszeugnis für die Gesellschaft. Davon abgesehen passiert in diesen Freien Radios auch etwas, was ich sehr schätze, nämlich: Das machen Menschen, weil die das machen wollen.”

…………

Nicht zuletzt und nicht umsonst endet jedes der hier transkribierten Statements mit dem selben Dialog: “Die Radiofabrik – was soll das? – Freies Radio für Salzburg!” Ebenso absichtsvoll heißt der Titel des zitierten Musikstücks “Nothing else matters!” Und jetzt nehmt euer demokratisches Wahlrecht (oder wie das Ding heißt) endlich in den Mund – und gebt uns eure Stimme! Wir machen höchstens einen Jingle draus…

 

Dummer August

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. August – Ein dummer August kann einerseits eine bestimmte Figur im Ensemble von Zirkusclowns sein, ein sogenannter Rotclown (wegen der Nase), soweit die wissenschaftliche Einsicht zur Eröffnung unserer einstweiligen Betrachtung. Ein dummer August (mit Betonung auf der zweiten Silbe) kann aber auch ein missratener Sommermonat sein, der nicht nur viel zu schwülwarm daherwettert, sondern auch sonst allerlei Unannehmliches mit sich führt, wie etwa Fernsehnachrichten oder Studioumbau. Sobald der August (beliebig betonbar) also ein richtiger Ungustl wird, hilft nur noch eine Rot(z)nase, um sie ihm aufzusetzen, damit es vielleicht wieder lustig wird in dieser Rundumsauna des schweißtreibend erschöpfenden Vielzuviel, Vielzuschnell und Vielzunochmehr

Dummer Hund“I dagrei de Hitz neama” sprach heut schon der Hase – und sprang in den Swimmingpool seines benachbarten Freundes. Dem Hund bleibt da nur Nina Hagen: “Ich war zuhause unter meiner kalten Brause”. Das erfrischt immerhin auch, wenn es einem viel zu HEISS wird. “Ich brauche mehr Wasser”. Soweit die Haushaltstipps der Redaktion. Es folgt die übliche Drogenwarnung. Gegen Abend ist zudem mit Bevölkerungszunahme zu rechnen, die breite Masse breitet sich aus oder so, wahnsinnig witzig. Ich bin halt auch schon weitgehend verdunstet. Was also soll das alles? In feuchtfroher Erwartung des Endes der Hitzewelle bespaßen wir sämtliche Aspekte des Unvermeidlichen – wie einst der liebe Augustin: “Alles ist hin!” Die allmächtige Liaison von Penis und Kapital. Und noch einmal setzen wir dem Unerträglichen unser Erlesenstes zuwider.

Dummer KrautschädlSo wird es allerhand Humoreskes wie auch Hintergründiges auf die Ohren geben. Die Darstellung des unerigierten Penis (Hazel Brugger) sowie das Fenster mit dem Hasen (Torsten Sträter), den Todesengel (Lisa Eckhart) und naturgemäß die unter “Drogenwarnung” verlinkte Habakuk-Parodie (maschek). Wir stellen jene 20-Jahre-Radiofabrik-Jingles vor, die wir in diesem Jahr erstmals als Perlentaucher beim Radioschorsch-Public-Voting einreichen – und schwätzen und lesen uns wie immer die Münder wund, dass nur noch massenhaft Flüssigkeit die Selbstentzündung abhüten kann. Selbstredend (sag ich ja) gibts auch die gewohnt außergewöhnliche Musik, durch die uns allen Trost und Rat widerfährt: “Mei Krautschädl is nämlich net deppad!”

Dummer Thomas BernhardOder Thomas Bernhard. Ist man ein dummer Mensch, sobald man in die entgegengesetzte Richtung geht, also nicht der Mehrheit und ihrer allgemein üblichen Denkwelt folgt? Die Führer, die uns heute befehlen, sind die Prinzipien und Sachzwänge des “freien” Marktes. Die Götter, die unseren Gehorsam verlangen, sind komplexe Systeme aus Ursache und Wirkung, die von ihren Betreibern ganz legal gegen uns verwendet werden. Irgendwelche Bundeshutständer und Plakatkasperln sorgen bloß für den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen wir gewinnbringend verwurstet werden. Und jeder Mensch hat das Recht, ein dummer zu sein und zu jedem solchen Schwachsinn Ja und Amen zu sagen. Da muss man sich doch endlich in die andere, die eigene Richtung aufmachen. Immerhin darüber lachen. Dummer geht nummer

 

der macht was er will

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. April April, April (kein Scherz!), der macht was er will. Das sollten wir uns zu Herzen nehmen! Oder auch der Macht, wenn sie macht, was sie will, das eigene Wollen entgegen – machen? Ein ganz schöner Abnützungskrieg, wenn man genau hinspürt. Marcello Da Forno sagte einst: “Willkommen daheim, hier wird der freie Wille freundlich umgebogen.” Wir befinden uns im Jahr 2018 nach Dings. Ganz Globalien ist von Kapitalisten besetzt. Ganz Globalien? Nein! Ein von unbeugsamen Selbstmenschen bevölkertes Medium hört nicht auf, den neoliberalen Eindringlingen Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Kommerzkasperln, die da als Beschwatzung in den befestigten Firmensendern Klimbim, Dumdum, Blablablah und Hollareidullijöh vor sich hin zwitschern…

macht wasIrgendwas mit Aquarium war da auch noch, glaub ich, oder wars Artarium? Egal, Idee oder doch lieber Tee? Allons, enfants terrible, wir spülen die Hitz zum Frühling letztjährig aus dem Saunastudio der Radiofabrik zu Salzburg, wo dir bei der kleinsten Bewegung der Schweiß aus allen Poren reihert. Feuchtwarme Nächte werden es bald gewesen sein, wenn heuer der Studioneubau wie angekündigt gelingt. Apropos Schweiß, ist es nicht seltsam, das immer nur der Krieg “ausbricht” oder sonst eine ansteckende Krankheit, nie jedoch der Frieden, der wird angeblich immer von irgendwem “gemacht”. Aber wer macht Sprache? Wehrmachtsprache? Und was macht Sprache? Was, Machtsprache? Mit Worten spielen kann nur, wer noch selbst Platz zum Denken hat. Also Raum als Produkt von Freiheit und Zeit. “Sie brauchen nicht denken, sie sind überdacht.” Diesen prophetischen Wortwitz zelebriert Konstantin Wecker nunmehr seit 35 Jahren: Im Namen des Wahnsinns. Und von Jahr zu Jahr wird er noch zutreffender. Bald haben wir alle genug Zerplatz.

der machtWas in Österreich Konsument heißt, nennen sie in Deutschland Verbraucher. Eine an sich schon sehr spezielle Wortwahl, wenn man die ökologischen Probleme des Planeten bewusst betrachtet. Konsum-End und Zerbraucher wären da wohl angebrachter! Und aus “Endverbraucherzertifikat” (einem Neusprechwort aus dem internationalen Waffenhandel) wird wortverspielerisch ganz schnell “Endzerbraucherverfickdiktat”. So lebendig die Sprachentwicklung im allgemeinen auch immer sein mag, die Wortwahl der Gesetzestexte ist nie eine demokratische. Gibt es also tatsächlich “kein richtiges Leben im falschen“, wie Adorno es ausdrückt, sind wir alle im Grunde geisteskrank, weil wir in einer wahnsinnigen Welt wohnen? Ein interessanter Gedanke, weil der im Umkehrschluss auch bedeutet, dass alle von der herrschenden Norm abweichenden zumindest graduell gesünder sein können. In dem Zusammenhang empfehlen wir die Gedanken von Kate Tempest, die wir im Artarium vorgestellt haben. Ansonsten, macht Sprache, wir machen nichts anderes.

 

Aus dem Tod eine Jugend machen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Januar – Und wenn es überhaupt keine Tabuthemen mehr gäbe, wäre damit das Ende der Kunstgeschichte erreicht? Oder ist unsere Gegenkultur nicht immer auch ein Aufbegehren gegen die jeweils grad aktuelle Interpretation der Herrschmächte, ihre “schöne neue Welt” sei ein neugeborenes Kindlein und ihre einzige Absicht sei Frieden auf Erden? Ich lach mich tot! Der Zyklus des Lebens hat doch nichts mit Weltpolitik zu tun – und der Markt (was immer das sein soll) ist auch kein Weltgeist, der uns “Stuf um Stufe heben will, und weiten”. Hier werden die Begrifflichkeiten (seit Jahrtausenden) höchst absichtsvoll vermischt, um dem versklavten Pöbel vorzuschwindeln, seine Armut sei Naturgesetz. So wie der unvermeidliche Tod. Ob wir aus dieser Not eine Tugend machen können?

Vor dem TodWas will der Dichter damit sagen? Sollte uns das zu denken geben? Oder sollten wir doch lieber gleich aussterben? Die international legalisierte Zergrunzung unserer Lebensgrundlagen hat immerhin ein solch erschreckendes Ausmaß angenommen, dass wir versucht sind, alle Hoffnung fahren zu lassen wie einen Schas. Davon wusste bereits der Verstopfungskünstler Martin Luther, der ja gesagt haben soll: “Lass fahren dahin…“ Desselbigengleichen schiss er, wider Erwarten genüsslich, so einen Riesenhaufen in die Landschaft, dass ihm ganz transzendent zumute ward und er darob augenblicks die Erlösung durch Gottes Gnade erfand. Was allerdings spricht Thomas Bernhard an, wenn er in seinem Buch “Die Ursache” über Salzburg sagt: “Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit oder “ein unter dieser Oberfläche tatsächlich fürchterlicher Friedhof der Phantasien und Wünsche”.  Wenn er gar ihre Atmosphäre einen “durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden nennt?

Nach dem Tod“Ich bin Lyriker. Wenn man Gedichte schreibt, kann man den Tod nicht ausklammern. Was die Welt bewegt und im Innersten zusammenhält, sind Leben, Liebe und Tod. Der Tod ist immer da.” Das sagt Konstantin Wecker, den viele aufgrund seiner langjährigen Beschäftigung mit dem Thema als einen regelrechten “Sänger des Todes” bezeichnen. Doch sein Singen und Schreiben hat sich im Lauf seines Lebens durchaus gewandelt, sein Verhältnis zum Tod ist vom jugendlichen Wegblödeln in ein respektvolles Vertrautsein übergegangen. Und interessant ist auch, was er in diesem Kurier-Interview über die religiös-kulturelle Prägung unserer Wahrnehmung von Leben und Tod ausdrückt: “Es gibt kein Leben ohne Tod. Es ist diese schreckliche Erkenntnis der Vergänglichkeit, die man mit 30 Jahren noch nicht hat. Die Buddhisten setzen sich schon als junge Menschen damit auseinander, dass alles vergänglich ist.” Also fragen wir uns, wie denn der Tod jenseits aller Jenseitsvorstellungen gedacht werden könnte. Jenseits von “ihn wegsaufen” oder “sich mit ihm als Freund ansaufen”.

Wobei, Herman Van Veen (und der darf das) fiele da bestimmt noch Abgrundblödes zwischen allen Stühlen ein! “Ich will einen jungen, kräftigen Tod” (Textauszug):

Wenn ich dreiundsiebzig bin,
mit einem gesunden Gefühl für Tumor,
will ich bei Morgengrauen niedergemäht werden
von einem roten Mercedes,
auf dem Weg nach Hause von einem Fest,
das die Nacht über dauerte.

Oder ich bin einundneunzig,
mit silbernem Haar,
und ich sitz im Stuhl beim Friseur,
und dorthin kommen plötzlich verfeindete Mafiosi
mir ihrem Maschinengewehren
und machen aus mir ein Sieb.

Oder ich bin hundertundvier
und aus den meisten Cafés rausgeflogen,
und meine letzte Liebe,
die mich bei ihrer Tochter ertappte,
bei der sie ihren Sohn vermutete,
schneidet mich in kleine Stücke,
die sie wegwirft,

bis auf ein Stück,
aus dem sie einen Tabaksbeutel macht.

 

Back to Front – Live erleben

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. September – Auch unsere Nachtfahrt-Sendereihe geht inzwischen ins 10. Jahr ihres Bestrebens, jenseits des Mainstream das Unterhaltsame mit dem Wissenswerten zu einem freitagnächtlichen Hörtheater zu verdichten. Aus diesem Untergrund gibts diesmal eine sehr spezielle Premiere – auf alle Ohren, die die Welt bedeuten: Wir senden erstmals ein ganzes (über 2-stündiges) Live-Konzert, und zwar, wie der Meister selbst sagt, from top to bottom”. Es handelt sich dabei um den Mitschnitt von Peter Gabriels Auftritt in der Wiener Stadthalle am 3. Oktober 2013 anlässlich seiner “Back to Front Tour”. Viele gute Gründe sprechen dafür, Gehirn und Gefühl mit diesem Ausnahmekünstler zu beschäftigen – einige davon mögen sich auch hier in unserer Sendung offenbaren.

Back to Front Live 1Schon in den 80er Jahren fiel es angenehm auf, dass der ehemalige Leadsänger von Genesis einen etwas anderen Karriereweg wählte als die meisten seiner erfolgreich industriehörigen Rockstarkollegen. Das kommt bereits sehr deutlich in dem Schreiben aus dem Jahr 1975 zum Ausdruck, in dem Peter Gabriel die Gründe für seine Trennung von der damals gerade zur Weltgeltung abhebenden Formation ausleuchtet. Darin finden sich unter anderem folgende Gedanken: “I had begun to think in business terms; very useful for an often bitten once shy musician, but treating records and audiences as money was taking me away from them. When performing, there were less shivers up and down the spine.” …. “It’s good to see a growing number of artists breaking down the pigeonholes. This is the difference between the profitable, compartmentalized, battery chicken and the free-range. Why did the chicken cross the road anyway?

Back to Front Live 2Darüber hinaus war Peter Gabriel in den nunmehr 4 Jahrzehnten seines Soloschaffens stets kompromisslos und radikal bei der Themenwahl des von ihm dargebrachten Musik- und (vor allem) Bühnenwerks. So verdanken wir ihm bestimmt einige der einfühlsamsten Stücke über seelische Abgründe und fragile Bewusstseinszustände, die sonst von internationalen Größen kaum jemals verhandelt werden (weil sich das im Hinblick auf die Quote nicht rechnet). Anstatt solcherlei psychopathischer Sozialabtötung zu betreiben und sie dabei noch als normal (im Sinne von gesund) zu vertreten, bloß weils normal (im Sinne von allgemein üblich) ist, riskierte er lieber seine eigene Gesundheit, indem er mit Isolationstanks experimentierte und seine inwendige Geisterbahn zu Kunstwerken verschrob. Derlei schaffen – in dieser Bandbreite und über einen so langen Zeitraum – wirklich nur die Wenigsten. Inside Out – oder eben Back to Front.

Back to Front Live 3Naturgemäß ist jede Musikauswahl eine Geschmackssache. Aber wir wissen, was wir der Welt mitteilen möchten und wir können das auch entsprechend begründen. Warum wir nun ausgerechnet ein Konzert der Back to Front Tour auswählen? Weil hier auch noch ein formales Kriterium dessen zu Tage tritt, was Peter Gabriels Musikschaffen über die Jahre hinweg so intensiv inspirierend und überaus unlangweilig macht. Denn im Gegensatz zu unzähligen seiner Alterskollegen erstarrt er nie zur Mumie im Museum der einstigen Erfogsposen. (Wenn ich mir da sonst oft so Untote aus den 60er und 70er Jahren anschaue – DAS ist echt unheimlich!). Folglich stellte er schon 1975 fest: “As an artist, I need to absorb a wide variety of experiences. I felt I should look at/learn about/develop myself, my creative bits and pieces, and pick up on a lot of work going on outside music.”  Und er hat Wort gehalten – das ist heutzutage schon selten genug:

Jenseits von Mainstream, jenseits von Genrezoo – mitten ins Herz der Popkultur

Aus gegebenem Anlass widmen wir diesen Abend einem inzwischen Abgegangenen, dessen Name uns manch blödes Wortspiel entlockte: Moribund the Bürgermeister

 

ein schuss jandl

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. August – Wie jetzt? Ist denn nicht “einschussjandl” die schönere Einwortpoesie? Auch “ein schussjandl” oder “einschuss jandl” sind genauso vorstellbar wie berechtigt. Sprachermächtigt! Schon offenbart sich, gleichsam “in a nutshell”, der Wortkosmos des Dichtmeisters Ernst Jandl nebst einiger seiner durchaus erwünschten Wirkungen. Zu den anderen, unerwünschten, fragen sie sich selbst oder hauen sie sich mit dem Fliegenklescher fest auf den Kopf. Wenns denn hilft. Wir jedenfalls erproben seinen Sinngehalt an uns selbst, indem wir den normierten Nutzsprech, der uns alltäglich umwuchert, diesen im wahrsten Sinn unsäglichen Unsinn der fortwährenden Weltverdeppung, durch Zerlegung neutralisieren und so auch mit dem Experimentellen experimentieren.

ein schuss jandl“Den Sinn und die Sprache ließ Jandl zerschellen in den Abgründen der Welt, und dass er damit zu einem der größten Popkünstler der Literatur wurde, ist eines ihrer schönsten Mirakel.” So formuliert der unseres Wissens nicht verwandte Paul Jandl in der “Welt” zum Erscheinen der 6-bändigen Werkausgabe 2016. Und erzählt uns eine der schönsten Ernst-Jandl-Anekdoten überhaupt:

“Als ich Ernst Jandl in den Achtzigerjahren zum ersten Mal angerufen habe, war das Gespräch kurz. Erst hat es lange geläutet, dann meldete sich drohend seine Stimme: “Jandl?” – “Hier ebenfalls Jandl”. Aufgelegt. Man hätte es ahnen können. Die Achtzigerjahre waren die Zeit, in der der Dichter so berühmt war, dass man sich mit ihm am Telefon gelegentlich einen Scherz erlaubte. Die Scherze konnten derb sein, wenn ein lyrisches Wiener Herz der Meinung war, dass die Poesie mit dem Avantgardisten des “sprachenschmutzen” auf den sprichwörtlichen Hund gekommen ist, oder sie waren auf kleinmütige Weise originell. Es gab tatsächlich Leute, die sich mit “Ottos Mops” meldeten oder nur fragten: “Bist eulen?”

ein schussjandl

ottos mops

ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso

otto holt koks
otto holt obst
otto horcht
otto: mops mops
otto hofft

 

ottos mops klopft
otto: komm mops komm
ottos mops kommt
ottos mops kotzt
otto: ogottogott

 

einschuss jandlNun haben wir ja nicht nur so einen riesen Haufen eigener Arbeiten mit, über und rund um den Ernst in unserem Radiogepäck, speziell die Sendungen experlimental oder Atom Heart Mona Lisa, dazu noch allerhand andere Anstiftereien im Artarium. Nein, niemals nicht! Wir ham noch lange nicht genuuuuug. Der Salzburger Jung & Jung Verlag (für den zwischenzeitlich auch der erwähnte Paul Jandl lektorierte) hat uns zu dieser Sprachexpedition freundlicherweise mit dem Band “der beschriftete sessel” ausgerüstet, den wir zur eingangs erwähnten Zerlegung heranziehen wollen. Dort findet sich etwa “Zwischen Hulst und Hummel” (Ein Auszug):

“Die zwischen HÜM und humlich, Hulst und Hummel klaffende Wörterbuchlücke           (hu- hum- humá- human- humaní-) lässt mich an eine Reihe von Texten denken, zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Technik geschrieben, die ein Entsetzen über die Peinigung der Menschen durch den Menschen zum Ausgangspunkt haben. Sie gesellschaftskritische Texte zu nennen, scheint möglich, lässt aber außer acht, dass ein gewisses Maß an Gesellschaftskritik bereits überall dort konstatierbar sein könnte, wo die Sprache von Texten aus dem normativen Geleise gekippt ist. Es gibt Leute, die in jeder Abweichung von der Norm, in welch kleinem Teilbereich immer sie sich ereignet, eine Bedrohung jeglicher Norm erblicken, womit sie nicht völlig unrecht haben mögen. Größere Liberalität, für manche ein Dorn, ist nur durch den Abbau von Normen, Verbindlichkeiten erreichbar. An sie, die Verteidiger jeglicher Norm, ist zweifellos auch gedacht, wenn mit den Mitteln der Kunst die Vorstellung von Normalität vorsätzlich und lustvoll gestört wird.”

Es könnte Ernst Jandls Motto sein: “Alles mit allem möglichst dicht zu verbinden…”

 

Velvet Goldmine

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Juni – Auf den Spuren des Kultfilms Velvet Goldmine würdigen wir die sexuelle Ambivalenz in der Popkultur – und würgen am heteronormativen Durchschnitt einer bumsdummen Gesellschaft aus Massenblödien, Quasselödien und Kassenschmähdien. Diese Wortschöpfung von Uwe Dick aus den “goldenen” 70er Jahren bringt ja nicht nur die Medienindustrie auf den Punkt, sie verdeutlicht geradezu das gesamte Unwesen unserer Zivilisation. Doch den Nachthasen ist kein roter Faden zu dünn, um aus ihm nicht doch noch ein mutmachendes Hurra aufs Überleben zu destillieren: “Sexuell benutzerdefiniert” im Gegensatz zu den “empfohlenen Einstellungen” der ohnehin unklaren Anbieter, es könnte so einfach sein, wenn man sich nur ließe. Auf jeden Fall empfehlen wir uns.

velvet oscar wildeOder Oscar Wilde, den verwegenen Vorkämpfer für das Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung im viktorianisch verklemmten England. Der ging für sein stures Beharren auf gleichgeschlechtlicher Liebe als einer möglichen Lebensform nicht nur ins Gefängnis, sondern an den Folgen dieser Unmenschlichkeit zudem auch tatsächlich zugrunde. Was nicht verhindern konnte, dass er seine Mit- und Nachwelt (also uns) mit einer Überfülle an zeitlos klugen Zitaten beschenkte. Viele davon finden sich im Script von Velvet Goldmine wieder, als einer von vielen roten Fäden, die diesen Film so wunderbar unblöd und wertvoll machen. Und ihn über die Jahre zu einem Kultfilm, vor allem für ein jugendliches Publikum, werden ließen, wiewohl er in den Kinos gefloppt war. “Oh mein Gott, Hollywood verhungert, sammelt Steckrüben!” Die statistische Bewertung der Verkaufserlöse zeigt nur, wie unmaßgeblich kommerzielle Überlegungen für den persönlichen Wert eines Kunstwerks sind. Und wie unerheblich die Mehrheitsmeinung im Hinblick auf individuelles Berührtwerden ist. Massengeschmack kann niemals Maßstab für die eigene Wahrhaftigkeit sein.

velvet goldmineSo beginnt Velvet Goldmine folgerichtig mit Oscar Wildes Kindheit (als Vorgeschichte), um sich dann jener kurzen Ära des Glam Rock der 70er Jahre hinzugeben, als erstmals im Pop musizierende Männer sexuell ambivalent auftraten und öffentlich mit eventueller Bisexualität spielten. Der überaus vielschichtige, teils symbolistisch und surreal in Stimmungsbildern gestaltete Film fokussiert auf die beiden Rockstars Brian Slade alias Maxwell Demon (dessen Rolle David Bowie alias Ziggy Stardust nachempfunden ist) sowie Curt Wild (dessen Rolle unter anderem von Iggy Pop und Lou Reed inspiriert wurde) und erzählt von deren Begegnung, Verliebtheit und schlussendlichem Verfall. Das allein wäre schon genug an Opulenz, Dimensionalität und Vertracktheit, doch da ist auch noch die Rahmenhandlung des Erzählers Arthur Stuart, eines Musikjournalisten, dessen investigative Recherchen mittels diverser Rückblenden in die überbordende Erzählung hinein verwoben sind. Insgesamt also ein Spielfilm, der keineswegs durch nüchternes Frontalbewusstsein begriffen, sondern vielmehr vermittels des entgrenzten Gefühlsverstands erlebt werden will. Und vor allem nicht “interpretiert”.

velvet oscar wilde quoteWas mit Sicherheit auch auf die Homepage von Michael Stipe zutrifft, der Velvet Goldmine als Herzensanliegen produziert hat. Bitte halten sie mich fest! Oder sonstwas. Wie dem auch immer nicht sei, wir zwei gewinnen dieser unendlich schönen Herausforderung aller Sinne naturgemäß einiges an Gefühlen und Bezügen ab. Darob werden wir hiernachts schwelgen können, dem Erzählstrang sowie dem Soundtrack dieses musikalischen Ausnahmefilms folgend. Sontstwo erschienene Rezensionen halten wir allesamt für hochgradig verschnöselt und daher nichtssagend. Statt dass etwa die Ergriffenen schrieben, denen “das etwas gibt”, verzapfen da irgendwelche “Zuständige” ihre Maßstabsmeinung, die kein authentisches Erleben wiederspiegelt, sondern stattdessen das allübliche Gesums aus dem Eintupf der sachzwänglichen Durchschnitter. Was sexuell neugierige Welpentiere interessiern darf und was nicht, das wird von abgeschmackt normifizierten Pudernudeln festgeschrieben und in den “neuen” Untenhaltungsmedien reichweitigst verbetoniert. Es hat sich nichts geändert: Was “normal” ist, entscheiden die Angepassten. Und die spinnen mit Sicherheit!

“Gleich am Tag nach meinem Tod setz ich mich hin und schreib meine Memoiren. Davor bin ich viel zu sehr mit meinem Leben beschäftigt.”