Im Buchstabensumpf

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. AprilSprache und Sumpf bilden ohnehin längst einen Themenkreis, dem wir uns immer wieder hingebungsvoll widmen Masse und Matsch einen weiteren, Morast und Musik, Schleim, Schlamm und Schlaues aus den unendlichen Weiten der Hoch-, Huch-, sowie Popkultur. Das mag eine gewisse Nähe zu Sendungen wie “Im Sumpf” (auf FM4) nahelegen, zumal die wackeren Kollegen dortselbst schon des längeren den Untertitel “Im Morast nach popkulturellen Perlen tauchen” im Schilde führen. Was uns verbindet, das ist wohl das Prinzip des Strandpiratentums und das aus diesem entstehende Sammelsurium an Angeschwemmtem, Aufgetauchtem und zu gefälligem Gebrauch Entschlammtem. Im Buchstabensumpf allerdings wird jedes Sprach zur Schreibeund umgekehrt.

Buchstabensumpf 1Denn wovon sein wird ein Reden, dafür genügt des Mutters Sprach. Und wie verschieden sie dann sind. Wem gehört Gehörtes? Damit kann Oral Hysterie (oder wie das heißt) betrieben werden, bis die Münder wund sind und die Ohren klingeln. Doch um auf das zu schreiben (das aufzuschreiben), braucht das Volk der Alphabeten einen Setzkasten. Oder halt ein Sackerl Buchstaben. Wohin uns das diesmal führen wird? In den Buchstabensumpf, in dem wir alle sitzen und schwitzen, wenn wir sprechen und schreiben. Vor allem aber, wenn wir achtsam darauf hören, was da ringsumher so alles geblökt, gegrunzt, gemöamelt und gehupfdudelt wird. Mussen wir also dem Deutschen Sprach schutzen vor dem schleichenden Niedergack? Wer selbige etwa zu umpfen Parolen wie “Daham statt Islam” erniedrigt, hat sich jedenfalls zum Thema “Deutsche Kultur” für immer selbst disqualifiziert. Im Namen des Guten, Wahren und Schönen ergeht folgendes Urteil: Lebenslänglich nur mehr Buchstabennudelsuppe.

Buchstabensumpf 2Viel lieblicher geht es in unserem Nachbarland Schweiz zur Sprachsache. Dort empfindet man beispielsweise das sogenannte Hochdeutsch (speziell seit den zwei Weltkriegen) als eine Art unangenehme Einmischung von außen. Statt dessen pflegt man die zahllosen Unterarten des gemeinhin als Schwyzerdütsch bezeichneten Dialektkonglomerats bis sehr weit hinein in die Musikindustrie und die öffentlich-rechtlichen Medien. Und man schreibt das alles dann auch noch so, wie man es spricht! Und zwar mit (fast genau) denselben Buchstaben wie unsereins. Das von uns geliebte “ß” kommt dort nicht vor. Aber sonst… Spüren wir doch einmal hinein in diese Wortwelt und Mundart, die wir oft kaum verstehen (und die bei SRF-Nachrichten oft zu “schriftdeutschen” Untertiteln führt). Und auch zum schönen Umstand, dass Hip-Hop aus der Schweiz nur im seltensten Fall so scheiße klingt wie irgendein amerikanoider Aufguss. Dies vorzuführen haben wir die schweizweit bekannte Rapperin Steff la Cheffe in unsere Playlist eingestreut. Da macht bei weitem nicht nur der Dialekt den Unterschied, sondern auch ihre Beats!

Buchstabensumpf 3So ein Buchstabensumpf ohne “Himbeergschtrüpp” ist vorstellbar – aber nicht zielführend. So wie eine Buchstabennudelsuppe ohne eine zugehörige Suppenkopfexploision zwar irgendwie schon möglich, aber keinesfalls lustig oder interessant ist. Daher werden wir, bei aller Volks- und Sprachkritik von PeterLicht oder Rainald Grebe, auch diesmal wieder eigene und andere Texte zu Gehör und Gespür bringen. Denn wie schrieb schon der von uns höchst geschätzte Ernst Jandl in “Die Humanisten”:

sein viel schmutzen
kunst schmutzen
sein viel viel schmutzen
viel viel kunst-schmutzen
sein ich kunst schutzen
du sein und ich sein kunst schutzen

 

Neuer Ordner

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Februar – Wer kennt das Phänomen nicht, dass ein neuer Ordner in jeglichem Computerdings zunächst immer “Neuer Ordner” heißt? Wenn er nicht leer bleibt (wie so oft) – was könnte drin sein? Wir machen diesmal, anlässlich der 100. Ausgabe unserer Perlentauchereien, einen neuen Ordner auf, um uns von (selbst)hergebrachten Ordnungstrukturen (und den damit verbundenen Erwartungen) zu befreien. Klingt einigermaßen pathetisch – ist aber auch so. Denn es gibt kaum Verwegeneres, als etwas vom eigenen Ordnungssystem in Frage zu stellen, aufzulösen, neu zu gestalten. Und zu schauen, was dann passiert… Es ist wohl weithin gebräuchlich, den Ordner zuerst zu benennen, und ihn danach mit “zum Thema passenden Inhalten” zu befüllen. Doch es funktioniert auch andersrum.

Neuer OrdnerWir sind alle damit aufgewachsen worden, dass wir Themen gestellt bekamen – und diese dann gemäß den Erwartungen unsrer jeweiligen Erziehungspersonen zu bearbeiten hatten. Wenn wir das nicht erfüllten, war es eine “Themenverfehlung” und wurde mit “nicht genügend” entwertet. Vielleicht gab es da und dort in einem Freigegenstand wie “Kreatives Schreiben” einmal ein entgegengesetztes Herangehen, indem “das, was einem gerade so durch den Kopf geht” formuliert und verdichtet wurde – und erst dann (vielleicht) ein entsprechender Titel darüber gesetzt. Kunnst also bei unserer heutigen Sendung genauso machen: Wir senden “das, was uns in den letzten Wochen so durch den Kopf gegangen ist”, reichern es damit an, “was uns spontan dazu einfällt” – und ihr könnt diesen “neuen Ordner” so umbenennen, wie es zu eurem Hörerlebnis passt. Ein erster Schritt zu einer Ordnung”, die nicht von oben herab verordnet wird, sondern die von unten herauf entstehen kann…

PS. Kaum jemand weiß, dass Pjotrek Popolski aus Zabrze dereinst “der gesamte Popmusik erfunden” hat, weshalb man auch sagt: “Dieter Bohlen hat gestohlen alle seine Hits in Polen.” (Zitat von Enkelsohn Pawel Popolski). Wir grüßen ihn freundlich!

 

Dummer August

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. August – Ein dummer August kann einerseits eine bestimmte Figur im Ensemble von Zirkusclowns sein, ein sogenannter Rotclown (wegen der Nase), soweit die wissenschaftliche Einsicht zur Eröffnung unserer einstweiligen Betrachtung. Ein dummer August (mit Betonung auf der zweiten Silbe) kann aber auch ein missratener Sommermonat sein, der nicht nur viel zu schwülwarm daherwettert, sondern auch sonst allerlei Unannehmliches mit sich führt, wie etwa Fernsehnachrichten oder Studioumbau. Sobald der August (beliebig betonbar) also ein richtiger Ungustl wird, hilft nur noch eine Rot(z)nase, um sie ihm aufzusetzen, damit es vielleicht wieder lustig wird in dieser Rundumsauna des schweißtreibend erschöpfenden Vielzuviel, Vielzuschnell und Vielzunochmehr

Dummer Hund“I dagrei de Hitz neama” sprach heut schon der Hase – und sprang in den Swimmingpool seines benachbarten Freundes. Dem Hund bleibt da nur Nina Hagen: “Ich war zuhause unter meiner kalten Brause”. Das erfrischt immerhin auch, wenn es einem viel zu HEISS wird. “Ich brauche mehr Wasser”. Soweit die Haushaltstipps der Redaktion. Es folgt die übliche Drogenwarnung. Gegen Abend ist zudem mit Bevölkerungszunahme zu rechnen, die breite Masse breitet sich aus oder so, wahnsinnig witzig. Ich bin halt auch schon weitgehend verdunstet. Was also soll das alles? In feuchtfroher Erwartung des Endes der Hitzewelle bespaßen wir sämtliche Aspekte des Unvermeidlichen – wie einst der liebe Augustin: “Alles ist hin!” Die allmächtige Liaison von Penis und Kapital. Und noch einmal setzen wir dem Unerträglichen unser Erlesenstes zuwider.

Dummer KrautschädlSo wird es allerhand Humoreskes wie auch Hintergründiges auf die Ohren geben. Die Darstellung des unerigierten Penis (Hazel Brugger) sowie das Fenster mit dem Hasen (Torsten Sträter), den Todesengel (Lisa Eckhart) und naturgemäß die unter “Drogenwarnung” verlinkte Habakuk-Parodie (maschek). Wir stellen jene 20-Jahre-Radiofabrik-Jingles vor, die wir in diesem Jahr erstmals als Perlentaucher beim Radioschorsch-Public-Voting einreichen – und schwätzen und lesen uns wie immer die Münder wund, dass nur noch massenhaft Flüssigkeit die Selbstentzündung abhüten kann. Selbstredend (sag ich ja) gibts auch die gewohnt außergewöhnliche Musik, durch die uns allen Trost und Rat widerfährt: “Mei Krautschädl is nämlich net deppad!”

Dummer Thomas BernhardOder Thomas Bernhard. Ist man ein dummer Mensch, sobald man in die entgegengesetzte Richtung geht, also nicht der Mehrheit und ihrer allgemein üblichen Denkwelt folgt? Die Führer, die uns heute befehlen, sind die Prinzipien und Sachzwänge des “freien” Marktes. Die Götter, die unseren Gehorsam verlangen, sind komplexe Systeme aus Ursache und Wirkung, die von ihren Betreibern ganz legal gegen uns verwendet werden. Irgendwelche Bundeshutständer und Plakatkasperln sorgen bloß für den gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen wir gewinnbringend verwurstet werden. Und jeder Mensch hat das Recht, ein dummer zu sein und zu jedem solchen Schwachsinn Ja und Amen zu sagen. Da muss man sich doch endlich in die andere, die eigene Richtung aufmachen. Immerhin darüber lachen. Dummer geht nummer

 

Zufallsbekanntschaft

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. JuniWir singen das Hohelied der Zufallsbekanntschaft inmitten der schon fast völlig zugeplanten Welt. Alle Kinder sind auf Tinder, aber finden sie dort auch das, was sie suchen? Oder freuen sie sich wunschgemäß über das, was ihnen längst vom Weltalgorithmus gefickt eingeschädelt ist? Hurra, die Fremdwunscheinpflanzung substituiert jede eigene Phantasie mit ihrem globalen Blahcebo des Verwertbaren. Nutzzweck statt Lebenssinn, Umsatzzahlen statt Wohlgefühl, Gabalier statt Gedankenfreiheit. Die 68er drehen sich doch im Grab um, sofern sie schon tot und nicht im Arsch durch die Institutionen stecken geblieben sind. Angepasste Konsumtrottel, der feuchte Wunschtraum der Herrschenden, das voll fernlenkbare Volk der Verblödung

Persönliche ZufallsbekanntschaftDoch bei all dem gepflegten Kulturpessimismus wollen wir unsere Ausgangsüberlegung erst recht nicht außer acht lassen: Wie lässt sich “der Zufall” auch heute noch erleben, wo doch ringsumher fast schon alles mit Besitztümern, Datenschutzgrundverordnungen, Urheberrechten, Lizenzgebühren und Verhaltensvorschrifen derart zugeschissen ist, dass es einem schlichtweg die Luft abdreht? Die Zufallsbekanntschaft mit einem anderen Menschen war schon immer wesentlich fürs spontane Reagieren auf veränderte Lebensumstände, ganz zu schweigen vom überfallsartigen Aufkommen unvorhersagbarer Gefühle, die zu verarbeiten sowohl Kreativität als auch Phantasie erfordert. Ein Rest Risiko in der wohlversicherten Zuvielisation des Urban Overload. Neuen Fragen begegnen – und neue Antworten darauf finden. Nicht bereits vorher definierte Gefühle erwarten und diese befriedigt bekommen – oder eben nicht. Der letzte Bewegungsspielraum einer menschlichen Sexualperson wäre also ja oder nein, null oder eins, pudern – oder wegwischen?

Raum für ZufallsbekanntschaftUnd die Zufallsbekanntschaft mit einem Buch, einem Film, mit einem Thema oder mit einer MusikKann das Entdecken einer neuen Welt, wie sie in der unvorhergesehenen Begegnung mit einer Landschaft, einer Kultur oder einem einzelnen Bild entsteht, eins zu eins ersetzt werden durch eine vorgefertigte Version dieser unserer inneren Wirklichkeit? Maschinen haben keine Gefühle. Ein schöner Satz. Aber Märkte und Weltwirtschaften, politische Parteien, Hitradios, Börsenenkurse oder Zuckerberge haben auch keine. Die tun bloß so! Weshalb naheliegt, dass die psychischen Prozesse, die im Umgang mit dem Überraschtwerden auftreten, eben nicht durch mathematisch-mechanische Verfahren (und seien diese noch so schnell oder komplex) ersetzt werden können. Das untrügliche Kennzeichen des Lebendigen sind nämlich echte Gefühle – und keine künstlichen. Der Sänger einer recht jungen österreichischen Band (die ihren ersten großen Auftritt als Support für AC/DC hatten) verweigert generell jegliche Dating-Apps”: Was passiert, passiert, was nicht, nicht.”

Da gibt es dann sehr wahrscheinlich einen Zusammenhang

 

der macht was er will

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. April April, April (kein Scherz!), der macht was er will. Das sollten wir uns zu Herzen nehmen! Oder auch der Macht, wenn sie macht, was sie will, das eigene Wollen entgegen – machen? Ein ganz schöner Abnützungskrieg, wenn man genau hinspürt. Marcello Da Forno sagte einst: “Willkommen daheim, hier wird der freie Wille freundlich umgebogen.” Wir befinden uns im Jahr 2018 nach Dings. Ganz Globalien ist von Kapitalisten besetzt. Ganz Globalien? Nein! Ein von unbeugsamen Selbstmenschen bevölkertes Medium hört nicht auf, den neoliberalen Eindringlingen Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Kommerzkasperln, die da als Beschwatzung in den befestigten Firmensendern Klimbim, Dumdum, Blablablah und Hollareidullijöh vor sich hin zwitschern…

macht wasIrgendwas mit Aquarium war da auch noch, glaub ich, oder wars Artarium? Egal, Idee oder doch lieber Tee? Allons, enfants terrible, wir spülen die Hitz zum Frühling letztjährig aus dem Saunastudio der Radiofabrik zu Salzburg, wo dir bei der kleinsten Bewegung der Schweiß aus allen Poren reihert. Feuchtwarme Nächte werden es bald gewesen sein, wenn heuer der Studioneubau wie angekündigt gelingt. Apropos Schweiß, ist es nicht seltsam, das immer nur der Krieg “ausbricht” oder sonst eine ansteckende Krankheit, nie jedoch der Frieden, der wird angeblich immer von irgendwem “gemacht”. Aber wer macht Sprache? Wehrmachtsprache? Und was macht Sprache? Was, Machtsprache? Mit Worten spielen kann nur, wer noch selbst Platz zum Denken hat. Also Raum als Produkt von Freiheit und Zeit. “Sie brauchen nicht denken, sie sind überdacht.” Diesen prophetischen Wortwitz zelebriert Konstantin Wecker nunmehr seit 35 Jahren: Im Namen des Wahnsinns. Und von Jahr zu Jahr wird er noch zutreffender. Bald haben wir alle genug Zerplatz.

der machtWas in Österreich Konsument heißt, nennen sie in Deutschland Verbraucher. Eine an sich schon sehr spezielle Wortwahl, wenn man die ökologischen Probleme des Planeten bewusst betrachtet. Konsum-End und Zerbraucher wären da wohl angebrachter! Und aus “Endverbraucherzertifikat” (einem Neusprechwort aus dem internationalen Waffenhandel) wird wortverspielerisch ganz schnell “Endzerbraucherverfickdiktat”. So lebendig die Sprachentwicklung im allgemeinen auch immer sein mag, die Wortwahl der Gesetzestexte ist nie eine demokratische. Gibt es also tatsächlich “kein richtiges Leben im falschen“, wie Adorno es ausdrückt, sind wir alle im Grunde geisteskrank, weil wir in einer wahnsinnigen Welt wohnen? Ein interessanter Gedanke, weil der im Umkehrschluss auch bedeutet, dass alle von der herrschenden Norm abweichenden zumindest graduell gesünder sein können. In dem Zusammenhang empfehlen wir die Gedanken von Kate Tempest, die wir im Artarium vorgestellt haben. Ansonsten, macht Sprache, wir machen nichts anderes.

 

Karneval der Kulturen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Februar – Am schlimmsten ist es immer mit dem Einstieg. Wie nur, ja wie? Da könnt doch jetzt Jedermann daher kommen und uns was vorraunzen von seiner Frau. Oder vom Xenophil Pimperl. Wie sagte einst Goethe: “Das also war des Puderns Kern.” Unschwer festzustellen, dass gerade Fasching beziehungsweise Karneval herrscht. Dabei wollen wir in dieser Saison nicht übrig geblieben werden, und so eröffnen wir unsere ganz eigene Session inmitten des schwindligen Kasperltheaters. Und wir wären nicht wir, wenn wir die Begrifflichkeiten des Kulturkarussells allzu bierernst nähmen. “Kulturen” kann ja so einiges bedeuten, von Anthropologie über Joghurt bis zu regionaler Volksmusik oder fremdländischen Filmen: “Almduludl akbar!”

Karneval der KulturenDie Grundlage der Selbstironie ist, wie der Name schon nahelegt, das Vorhandensein von irgend so was wie Selbst. Oder Bewusstsein. Einigermaßen selbst zu spüren, WER man ist – nicht bloß WAS. Letzteres bescheren einem eh die auswendig zu lernenden Phrasen von einer Identität aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Kultur und Berufsausübung. Die Mär von der Zugehörigkeit zu irgendwelchen Kategorien, die von fragwürdigen “Autoritäten” festgelegt werden. Fürs “Befolgen” solcher Hohlheiten werden ganz konkrete Belohnungen in Aussicht gestellt, wie zum Beispiel: „Dann fühlst du dich gut!” oder “Im nächsten Leben wird es dir besser gehen.” Den Schas glauben nicht wenige – und irren ein Leben lang fremd in sich umeinand. Naturgemäß können die nicht über sich selbst lachen, sie haben irrationalerweise Angst davor, genau das zu verlieren, was sie nie gefunden haben: Das eigene Selbst. So heißt denn die volksmundige Frage: “Sag einmal, spürst du dich überhaupt?”

Karneval im LichtIch gebe zu, dass der Sendungstitel Karneval der Kulturen bereits zum Zweck verschiedener Aufmärsche des multikulturellen Bestrebens in aller Einfältigkeit ausgelutscht ist. Aber wir wären auch nicht wir, wenn wir dieser Standardvorstellung von Eiapopeia und Lieblieb nicht noch Abgründiges und Hintersinniges zu den beiden Begriffen Karneval und Kulturen (Mehrzahl) abringen würden. So soll uns die “närrische Jahreszeit” auch als Steilvorlage für die aktuelle politische Situation dienen, deren Umtriebe fast nur mehr erträglich sind, wenn man sie als Kabarettprogramm auffasst. Zu den riesigen Nebenwirkungen lesen sie… Und was den vielbeschworenen “Clash of Cultures“ angeht, können die Dichter, Künstler und Musiker, die sich wirklich mit Begegnung und/oder Verbindung unterschiedlicher Kulturen beschäftigen, meist eine bessere Belichtung anbieten als die inflationären Philosaufen, Pädagockeln und Politwichteln. Naturgemäß nur dann, wenn man einigermaßen selbst (siehe oben)…

Karneval im TheaterDas Grundverbrechen sind die falschen Versprechungen, die einem fürs vorauseilende Anpassen und fürs reibungslose Funktionieren gemacht werden: Dass man dafür in irgendeiner Art belohnt würde, wenn man sich selbst aufgibt, sich einfügt und brav mitarbeitet. Dass man halt “dazu gehört”, wenn man bei allem mitmacht, was die Strömung jeweils vorgibt, gern auch mal beim andere schlecht finden, herabsetzen und gnadenlos aussperren. Denn darum geht es meist bei den Gesellschaftsordnungen, vom Kleinsten bis ins Größte, sei es Familie, Kirche, Schule, Staat, Weltkonzern: Dabei sein oder untergehen! Das ist nichts anderes als blankes Drohen mit Gewalt. Wer solche Grenzen zwischen den Dazugehörenden und den Ausgeschlossenen aufrichtet, der profitiert von den Schmiergeldern und Zollgebühren, die unweigerlich dabei anfallen. Deshalb ist “Sepp, pass di an!” nicht nur ein beliebtes Lebensmotto, sondern auch ein verbreiteter österreichischer Vorname. Wir werden alle sterben.

 

Unendlichkeitsversuch

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Oktober – Diese wunderschöne Wortanstiftung soll Anlass dafür sein, wieder mal etwas über unser Sendungskonzept auszusagen, verkörpert sie doch mit sich selbst genau jenen Unendlichkeitsversuch, den wir allmonatlich unternehmen – und der wir auch sind! Lässt man sich diesen Begriff sozusagen auf der Seele zergehen, dann schillert er sogleich in den verschiedensten Farbenund Bedeutungsnuancen. Ähnliches versuchen wir ja auch jedesmal mit unseren vielschichtigen Freitagnachtcollagen auszulösen. Deshalb passen sie auch nicht wirklich in irgendein Genreschachterl. Kommunikationswissensgschaftliche Formatradiozuschreibungskategorien haben in unseren Phantasieweltbildern sowieso überhaupt nichts zu suchen. Pfuigack!

RauchpauseDabei gibt es schon Hintergründe, die hier erhellt werden können: Zum einen der Ausstrahlungstermin in der Nacht von Freitag auf Samstag, wo zumeist eher fortgegangen als daheimgeblieben wird. Und zum anderen die erklärte Absicht, just zu dieser Partynacht der Jungnation definitiv KEIN für irgendein Festl hintergrundtaugliches Hullatrulla zu produzieren. Folglich richten sich unsere Schwebwelten eher an den einzelnen Kopf von inmitten des Jubeltrubels Alleinseienden. Was nicht heißt, dass sie nicht auch gemeinschaftlich zu genießen wären. Wir halten damit eine der Grundideen unseres Freien Radios hoch, dass es nämlich nicht darum geht, immer noch mehr Publikum zu erreichen, indem man auf Durchschnitt und Üblichkeit abzielt, sondern darum, dass vor allem das Eigenartige, das etwas Andere wie das sehr Spezielle seinen prominenten Platz haben muss. So erreichen wir in dieser ersten Wochenendnacht zum Beispiel Menschen, die gerade im Auto unterwegs sind, krank zu Hause liegen, genüsslich in der Badewanne knotzen, sich sonstwie verkrochen haben, die zu alt oder zu jung sind fürs Geschubse ums Bierhäusl, einfach Menschen, und denen sagt das was…

UnendlichkeitsversuchUnd so stiften wir unsichtbare Verbindungen zwischen vielen Molekülen in einem Germteig der Gesellschaft, bilden wir ein Myzel zwischen den zahllosen vereinzelt erscheinenden Schwammerln, die ja doch allesamt das große Ganze des Lebens sind. Darüber hinaus sprechen wir mit unserer äußerst weit gespannten Musikauswahl auch möglichst unterschiedliche Einzelgeschmäcker an, so dass gleichermaßen Wiedererkennen wie Neuentdecken über einen längeren Zeitraum des Zuhörens hinweg stattfinden kann. Des weiteren ermöglichen unsere immer live und spontan zu allen möglichen Themen stattfindenden Zwischengespräche sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Wie ebenfalls die mit Bedacht eingestreuten Statements und Zitate von Gastautor_innen, die zusätzlich das Gehirn massieren und so unweigerlich zum Denken anstiften. Ganz zu schweigen von unserer Sendungsdramaturgie, die sich stimmungsabhängig in die eine oder andere Richtung entwickelt, je nach dem… Doch das sind auch nur die ohrenfälligsten der vielen Schichten, die wir seit fast sieben Jahren zu immer neuen Nachtfahrten verweben. Ein echter Unendlichkeitsversuch.

 

Mondfallsüchtig – Nachwort

Ein Nachwort zur Nachtfahrt vom Freitag, 10. Juni

Angst vor dem Tod hatte ich eigentlich nie. Angst vor dem Sterben, meine ich, die Straße löst sich, auf unbestimmte Zeit verborgt euer Schöpfen, von Wasser oder betrittst fremde Welt, zum ersten Mal, unbekannt noch, unbefleckt; da hört man das Singen des Schreibens und Pausen wie Perlen aufgefädelt, Korallenkette viel feiner als gedacht, ein Hauch nur / Wimperntäuschung, du schreitest Samt

moonchildkaramellisiertes Schweigen. Vanaprastham. Trommelnde Morgensucht während Radierungen, hier zeigt sich auch wieder meine Liebe : nocturnales Verhalten, vielleicht mehr als Lebensgewohnheit, vielleicht ja Instinkte der Nacht, die sich ergießen, über mich strömen, so glänzend Rabenfedern in erfundenen Gassen. Nicht nur Realität lässt sich biegen, keucht die alternde Entendame, der Kronkorken nickt, als ich mich nähernd : nahtloser Bruch, dass Bäume schweben, Mondhase oh wach über uns! Mein Herz dargeboten auf dem Altar der Sprache, noch schlägt es, vernarbt, zart, wer wiegt mir das Wohl, die Freude, wer die Last, das Fallen? Möglich, dass Schatten hinter mir grinsen, mit wilden Augen; Kopf gehoben und zurück in ein anderes Ich oder wie viele Leben kann ein Mensch füllen? Aufgehört mit dem Denken während des Denkens, so stiehlt sich Zeit, so durch die Finger, bald läuten die Glöckner; angeregt, beschleunigt durch leuchtende Stunden, welch Sturz in den Himmel! Diese stille Sucht, gar mondfallsüchtig, erinnernd an Haikus durch winterliche Flusslande

birthund all das Vergessen, all den Vergessenen, den Verstummten, den Geächteten : was da wuchert in meinem Kopf, neben Lichtmandalas gestreifte Farbandeutung rosé reifblau, das Knistern der Stille vor dem Schlaf, in der Früh vor dem Schlaf, sieben / siegen über Schlafkunst, Versuch einer Feststellung, zu Asche, zu Wasser, kaum saugt man die Gräser, die gläsernen Strahlen, die Schalen in Spiegelung, wohl metallische Klänge sinken ins Ohr … ihre Worte berühren etwas ganz tief in mir, wie Dunkel, das schon wieder strahlend … ich werde bald ruhen, es wandelt sich viel, halbfeuchter Asphalt unter den Kronen der Stadt, der knöcherne Traumfänger in perpetuierendem Kreisen, von Geisterhauch; so manches in regen Zuständen, ein Umwenden und -wälzen bis sich die Wellen dann glätten unter geblümten Himmeln, in Poesie verbunden

– Christopher Schmall

 

Alles neu, vorläufig (Chriss)

also Regenschritte nächtens, ein zaghafter Fall, eine Barriere imagniert, Nebelmauer zwischen mir, entbeinter Anzug, ist es nicht wie eine stille Sucht, ist es nicht wie Kreisen, ist es Bedingung, ist es Muss, ist es Befehl, ist es dies Wimmern der Knospen bei Morgengrauen?

dämmerndMetallisch, acryl, was für eine Farbe, ich tische dem toten Teddy Datteln auf, ein Schluck weißen Tee, du nimmst bloß Zucker, während der gefaltete Kranich die Schwingen hebt; auch das Betrachten der Entwicklung, des Stils, der Stille zwischen der Werbung, das Bestaunen der Wiederholung, Geschichtsstunde schwänzen, dafür um 10 unter der Klostereiche Bier trinken, wir wurden photographiert von einem amerikanischen Paar, das unseren Anblick wunderschön und entgegen der Sonne, es war wohl auch die Baustelle unten vis à vis unserer Schule in kreischenden Stößen oder eine Schwester hinter den salzburgbraunen Mauern.

Während Kugelschreiberbilder gefunden Erik Satie, wie man Musik entdeckt immer wieder wundersam, während Papierschwärzung erneuter Versuch das Sujet, erweiterter Genuß wird Asche, hierhin, bis hierhin zu denken, so blaubeerversüßt, pianogeweht, scheint trivial, fast obsolet, jetzt um 3 und auch berauscht, und all der Rauch in meinem Kopf…

gedämpftes Licht wäre angenehmer, es verrännen Buchstaben zu umbrenartigen Verästelungen auf Karmesinkaramell; so fällst du also durch die Nacht und hältst Ausschau nach Augenblicken, Beiläufigkeiten, ein Festhalten der Vergänglichkeit, und flüchten vor dem Schwachsinn, in Gedanken, geh bald um Essen, demnächst wieder Stille, füllst du sie?

 

Café Unstet

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. DezemberCafé Unstet 1 (Musikjournalismus) und Café Unstet 2 (Todesfuge, Texte). Vier andächtige Stunden rund um Musik mit Migrationshintergrund und vorweihnachtliche Völkerwanderung – ohne Engel, ohne Esel – und nicht auf den Nahen Osten beschränkt. Auf Heimatsuche unterwegs durch die Assoziationen der Adventszeit, gemeinsam mit angehenden Absolvent_innen des Radiofabrik-Lehrgangs für Musikjournalismus sowie allerlei Bild-, Text- und Tonbeiträgen von freundlichen Fluchthelfern, Künstlern und Pfarrersköchinnen. Wir fühlen uns ein, ins eigene wie ins fremde Unbehaustsein, und laden zur Einkehr ins Café Unstet, unserer winterlichen Wärmestube für alle, die sich noch nötig haben im globalen Plemplem des Kaufrumpels. Umgeben wir uns doch einmal mit Musik und Gedanken, die alltogether einen weiten Weg hinter sich haben…

alleingemeinsamallein – die erste Stunde greift das Thema des Musikjournalismus-Moduls Musik mit Migrationshintergrund auf und nimmt einzeln nachhaus Flüchtende mit auf die Überfahrt durch die Untiefen der “Stereotypen, Missverständnisse und Worldmusic”. Es mag an der Weltpolitik liegen oder am Besinnlichkeitsterror der ringsum in Glühweingeldflut versinkenden Vorweihnachtsgesellschaft – auf jeden Fall bringt das Thema “Musik aus aller Welt” heuer kaum feuchtfröhliche Reisegefühle mit sich, stattdessen Abgründiges aus dem Unterwegs in Ungewissheit und Angst. Doch wie sollten wir nicht auch noch aus dieser Not eine Jugend machen, indem wir das vielfältige Angebot weltweiter musikalischer Interaktion zum Vehikel erklären? Um nämlich darzustellen, was “einmal um die ganze Welt” in Krisen wie diesen eigentlich bedeutet, nämlich viel mehr Flucht zu Fuß als christliche Seefahrt. Die Ausflugsreisen sind wegen der vielen Ertrinkenden bis auf weiteres eingestellt. Gehen sie nach Hause, nehmen sie brav ihre Drogen – und warten sie auf die Anweisungen der Regierung

hungerder hunger im herz – in der Zwischenzeit stellen wir einige Projekte vor, die sich auf nachfühlbare Weise mit den Themen Alleinsein, Hunger, Krieg – aber auch Zärtlichkeit und Trost beschäftigen. So zum Beispiel die Street-Art-Figur BAMBSY, der uns auch die Illustrationen für diesen Artikel freundlich zur Verfügung gestellt hat. Sie gehören allesamt zum Zyklus “Broken Angelz”, zu sehen via Facebook-Page des Künstlers. Er freut sich sicher über eure Besuche und Likes! Außerdem kann man ihm mit dem Kauf des schon legendären Hero-Bag beim Helfen helfen – sein Schöpfer lebt derzeit in  Mostar (Bosnien-Herzegowina) und unterstützt dort das Waisenhaus. Und er ist auch Teil des jährlichen Street-Art-Festivals (Video), einer höchst ansehnlichen Obdeulung. Wie lassen sich nun Bürgerkriegsflüchtlinge und elternlose Straßenkids musikalisch “illustrieren”? Bap-Sänger Wolfgang Niedecken wäre mal ein Anfang, engagiert er sich doch seit Jahren für die Betreuung ehemaliger Kindersoldaten. Oder Teresa “Ghost” Reiters Balkanplatte von 2012 – echt Alternative aus dem Kosovo? Wir nähern uns der Gegend – und spielen Reuf Sipović mit einem Ausschnitt aus Survival/Sevdah (Video).

kriegder krieg im bauch – naturgemäß nähert sich diese Stunde dem inneren Befinden angesichts des möglichen eigenen Untergangs. Und wir arbeiten mit Texten und Übersetzungen – aus dem Arabischen, aus dem Hebräischen, aus dem Persischen. Denn sei es die gedankliche Zerrissenheit eines Migranten aus dem Maghreb angesichts seiner unmöglichen Arbeitssuche, seien es Perspektivlosigkeit und Depression eines jungen israelischen Friedensaktivisten angesichts des in seinem Land herrschenden Kriegszustands, sei es die permanent lauernde Lebensgefahr jenes iranischen Sängers, der für ein kritisches Lied eine Todesfatwa erhielt, angesichts all der religiösen Fanatiker, die seitdem weltweit hinter ihm her sind – diese doch sehr unterschiedlichen Schicksale bewirken einander verwandte Empfindungen und erinnern uns auch an ein bekannt dunkles Kapitel aus der eigenen Heimatgeschichte. Wir möchten dazu eine geniale Neu-Interpretation des KZ-Überlebensklassikers “Todesfuge” von Paul Celan empfehlen, und zwar die Version aus Das lyrische Wir” von Maik und Pirmin Styrnol, den zwei ONchAIR Bros.

trostzweisammen dann – so geht unsere post-orientalische Herbergsuche quer durch alle Weltgegenden wieder zu Ende. Gewähren wir einander Unterschlupf an den Ufern unserer einstweilenen Zwischenweltinseln – und wenns nur für heut Nacht ist. Begleitet von Boker Tov Iran sowie No No Keshagesh winken wir euch zum Abschied noch einmal nach und wünschen viel Glück beim Selbstsein auf den Wortwogen des Weltblabla! Doch Augenblick mal – was sind das für verwegene Verrückte, die da am Lampedusa-Lagerfeuer noch lang nach der EU-amtlichen Sperrstund Musik machen und Herz und Hirn für die Freiheit der Verfolgten hinhalten? Der Cantautore Giacomo Sferlazzo (hier im Portrait von BQ-Media) mit Wolfgang Maria Gran, dem rasenden Reporter des versammelten Menschheitsblues, und sie reißen gemeinsam eine Session an, dass es nur so scheppert. Mit dieser Phantasie – und dem Ausblick auf Das Ganze Album – Artarium am Sonntag – verbleiben wir auch heuer herzlichst:

EUER GEILES INSTITUT