„Aus nichts wird nichts“ und das stimmt ja auch: Habe ich Bedürfnisse und Interessen, dann ist eine gewisse Menge an Arbeit notwendig um diese zu erfüllen. Manche dieser Bedürfnisse sind grundlegend notwendig (Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung u.v.m.), andere wiederum machen das Leben lebenswert (sportliche Ertüchtigung, Urlaub nah und fern, etc.). Was läge näher, als ersteres (den Arbeitsaufwand für Notwendigkeiten) zu reduzieren um mehr Zeit für zweiteres (die schönen Dinge) zu haben. Oder in Marx’s Worten:
„Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört. […]“
(Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band. Berlin 1988. S. 828.)
Arbeit sieht in unserer Gesellschaft ganz anders aus: Es existiert so etwas wie Arbeitslosigkeit und, anders als in einer vernünftigen Gesellschaft, ist das kein Zustand, über den sich die Mitglieder dieser Gesellschaft freuen.
Die Produktivität steigt, mehr und mehr Produkte und Dienstleistungen werden in kürzerer Zeit hergestellt. Verkürzt sich dadurch der Arbeitstag der Menschen und kann mehr Freizeit genossen werden? Ganz und gar nicht.
Diese Sachlage gilt in dieser Gesellschaft nicht als Verrücktheit und als zu beseitigender Zustand, nein, wer Zweifel an der Vernunft dieser Verhältnisse hat, gilt als Spinner*in und Extremist*in.
In dieser Folge wollen wir uns etwas genauer mit „der Arbeit“ und der Art und Weise wie sie in dieser Gesellschaft vorkommt beschäftigen.
Volkswirtschaft kann spannend sein. Und einiges zum Verständnis der Welt und unserer aktuellen Lage beitragen.
[Manche wussten das bereits vor den Wahlen zum Bundespräsidenten.] Vor allem dann, wenn uns Persönlichkeiten wie Stephan Schulmeister die Welt erklären. In der Kunstbox Seekirchen sorgte das Ende Februar für ein volles Haus.
„Was ist los mit Europa? 20 Millionen Menschen sind arbeitslos, 100 Millionen – ein Drittel aller Beschäftigten – müssen sich mit atypischen Jobs zufriedengeben, die Staatsverschuldung steigt seit vierzig Jahren, ‚wir‘ können uns den Sozialstaat nicht mehr leisten.“ Damit beginnt Stephan Schulmeisters aktuelle Buch mit dem schlichten Titel „Der Weg zur Prosperität“. Ein gewichtiges Werk, das die Glaubensätze des Neoliberalismus widerlegt und Vorschläge für einen Kurswechsel darlegt.
Bis in die 1970er Jahre herrschte in Europa Vollbeschäftigung. Der Sozialstaat wurde ausgebaut, die Staatsverschuldung sank. Grundlage dafür waren Erkenntnisse aus der Weltwirtschaftskrise und dem darauffolgenden II. Weltkrieg. „Die Spielanordnung lenkte das Gewinnstreben systematisch auf realwirtschaftliche Aktivitäten und zielte im Rahmen des Europäischen Sozialmodells auf eine Integration traditioneller Gegensätze ab“. Mit der Entfesselung der Finanzmärkte in der Ära von Ronald Reagan und Margaret Thatcher begann laut Schulmeister der lange Weg in die gegenwärtige Krise Europas. Sie äußert sich nicht zuletzt im Aufstieg populistischer Bewegungen, neuen „Sündenböcken“, in zunehmendem Nationalismus und einer politischen Desintegration des Kontinents.
Für einen gründlichen Lerneffekt sei die Bedrohung der Eliten jetzt noch nicht groß genug, diagnostiziert der langjährige Mitarbeiter des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO. Die nächste Finanzkrise eröffne dann jedoch die Chance für einen grundlegenden Kurswechsel in Europa, kann Schulmeister dem nächsten drohenden Crash etwas Positives abgewinnen. Seine wichtigsten Leitlinien sind eine radikale Besserstellung von unternehmerischen Aktivitäten in der Realwirtschaft im Vergleich zur „Finanzalchemie“, sowie die Erneuerung des Europäischen Sozialmodells. Die dafür nötigen Maßnahmen sollten schon jetzt konzipiert werden.
Schulmeister hat sich mit Untersuchungen zu den Finanzmärkten einen Namen gemacht, er scheut auch nicht die Einmischung in politische und gesellschaftliche Debatten. So kritisiert er das Programm der aktuellen österreichischen Bundesregierung, da es den sozialen Zusammenhalt schwäche. Er rechnet nicht nur mit dem Neoliberalismus ab, er entwirft auch die Navigationskarte für den Weg aus der Finanzkrise. In seinen Vorträgen und seinen Publikationen beleuchtet er den marktreligiösen Charakter der neoliberalen Theorien und kritisiert den Neoliberalismus als Ideologie im Interesse des Finanzkapitals: In dieser Form des Kapitalismus werden keine realen Werte produziert; es wird nur noch versucht, Geldwerte zu vermehren. In der neoliberalistischen Weltordnung erscheint Arbeit allein als Kostenfaktor, den es zu senken gilt. Dies führt zu einem Teufelskreis zunehmender Arbeitslosigkeit, Staatsschulden und Sozialabbau.
Sein Buch rechnet zunächst mit der neoliberalen Theorie freier Finanzmärkte ab, um dann Erklärungen für die Wirtschafts- und Politikkrise Europas, vor allem aber auch Therapievorschläge zu liefern. Er sieht sich einer realistischen Schule der Ökonomie verpflichtet, die von empirischen Befunden ausgeht, anders als die Denkschule des Neoliberalismus, die er als idealistisch, da allein von abstrakten Modellen ausgehend, bezeichnet. Der Autor spricht von Theorieproduktion als sozialem Prozess – Wissenschaft ist immer in gesellschaftliche Verhältnisse eingebettet und nie wertfrei. Dies legt er auch in einer kurzen Geschichte der wichtigsten ökonomischen Theorien dar – vom „missbrauchten Adam Smith“ über Karl Marx, die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise und dem Entstehen des Keynesianismus bis hin zu Friedman, Hayek und der Durchsetzung des Neoliberalismus ab den 1970-Jahren.
Schulmeister macht deutlich, dass an den Börsen psychologische Faktoren, insbesondere Herdenverhalten sowie eine „manisch-depressive“ Grundstimmung eine viel größere Rolle spielen als neoliberale Ökonomen wahrhaben wollen – mit bedenklichen Folgen für die Realwirtschaft. Dies führt zu einer zweiten zentralen – auch unter Linken umstrittenen – These von Schulmeister, nämlich der Abspaltung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft. Der Ökonom kritisiert nicht den Kapitalismus an sich, sondern die Behinderung einer prosperierenden Marktwirtschaft durch instabile und Eigeninteressen verfolgende Finanzmärkte. Kapital sei vom „Mittel zum Zweck“ zum „Mittel zum Selbstzweck“ mutiert.
Die Krise Europas – zugespitzt an der Schuldenkrise Griechenlands – macht Schulmeister demnach insbesondere in der Austeritätspolitik seit Einführung der Maastricht-Kriterien sowie des Fiskal-Paktes aus. Da trifft er sich mit anderen Keynesianern, wenn er von der „Therapie als Krankheit“ spricht, die Länder in die Depression treibe. An Langzeituntersuchungen zeigt Schulmeister, dass Staatsverschuldung und Arbeitslosigkeit immer gleichzeitig auftreten, da eben der Staat mehr Kosten bei gleichzeitig sinkenden Steuereinnahmen aufgebürdet bekommt. Der Ausweg könne daher nur in der Stimulierung von Wachstum der Realwirtschaft sein.
Schulmeister plädiert nicht einfach für noch mehr Konsumwachstum für alle, sondern für Investitionen in eine sozial-ökologische Wende. Dafür unterbreitet er zahlreiche Vorschläge, von einer thermischen Sanierungsoffensive über Investitionen in erneuerbare Energieträger bei gleichzeitiger höherer Besteuerung fossiler Energie bis hin zu Umverteilungsmaßnahmen, die den Basiskonsum aller Bürger und Bürgerinnen ermöglichen.
Ein wichtiges Werk, das die Glaubensätze des Neoliberalismus dekonstruiert und pragmatische Vorschläge eines Kurswechsels darlegt. Ein „Lebenswerk“, schreibt Ulrike Herrmann in ihrer Rezension für die taz.
Im Studio begrüßten wir diesmal drei Menschen, die sich mit großem Engagement für eine Verbesserung der Situation von Langzeitarbeitssuchenden im Alter ab 45+ einsetzen:
Ortrud Leßmann forscht am Internationalen Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen (IFZ) in Salzburg und ist dort für das EU-Projekt Re-InVest zuständig. Im Rahmen von Re-InVest arbeitet Ortrud gemeinsam mit Betroffenen an der Frage, wie eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik für Arbeitssuchende und ArbeitnehmerInnen ab 45 Jahren aussehen könnte, welche sozialpolitischen und gesellschaftlichen Impulse es für eine inklusives und solidarisches Miteinander braucht.
Michaela ist sehr gut qualifiziert, hat langjährige Berufserfahrung und sich immer wieder weitergebildet. Nun ist sie schon seit einiger Zeit auf Arbeitssuche und berichtet von den teilweise sehr frustrierenden Erfahrungen, die sie bisher gemacht hat. Sie ist Teilnehmerin dieses EU-Projektes.
Kurt Pongruber war erfolgreicher Einzelunternehmer und ist nach schwerer Krankheit ebenfalls von Arbeitslosigkeit betroffen. Um auf die schwierige Situation von älteren ArbeitnehmerInnen aufmerksam zu machen, hat er den Verein Bündnis Arbeit für Best Ager (BABA) gegründet, der u.a. auch eine Job-Plattform für ArbeitnehmerInnen 45+ aufbauen will.
Wie gehen Politik und Gesellschaft mit älteren Arbeitssuchenden um? Welche konkreten Maßnahmen bräuchte es, um ein wertschätzendes, respektvolles Klima auf den Arbeitsmärkten und bei den ArbeitgeberInnen herzustellen? Eines ist sicher: Zum sogenannten alten Eisen gehören diese „Best Ager“ noch lange nicht!
Freut euch mit uns auf ein spannendes, sehr persönliches Gespräch mit der zum Thema passenden Lieblingsmusik unserer Gäste!
FVONK Dich FREI – Der Radiotalk mit AlltagsheldInnen. Am Fr, den 05.08.2016 im Studio: Michaela, Ortrud, Kurt. Live von 18.00-19.00 Uhr auf der Radiofabrik, 107,5 und 97,3 MHz, und im Livestream und zum Nachhören via CBA.