Surreale Sendung

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. Juli – „Ja, das ist nun einmal die Realität. Da musst du dich eben anpassen.“ – Aha, liebe Griechen, Schüler, Staatsbürger und Zahlkasperln. So ist das also. Angeblich. Oder vielleicht doch nicht? „Es gibt keine Realität ohne Realitäter!“ wollen wir solchem zumeist von oben herab verordneten Glauben engegen schmettern. Und dann mit Firewater auf der Autobahn unter LCD-Influence nach Orange reiten. Den letzten Schritt geht keiner mit, sweet Transvestite, bis some velvet Morning der Garten-Nazi endlich Guido Knopp heißt. Und Alf Poier, eine Ode an die Kürze, sowieso Wortfront – und Absurdistan! Love me, Casper Ringsgwandl, don’t say nothing, Girl and the Ghost. Ein Motto für diese Entwirklichung der Keit haben wir natürlich auch schon: „Ceci n’est pas une pipe“

artarium chrissDer letzte Schritt

Es hot kan Nomen wo i hingeh,
duat wo i sein wü gibts ka Sproch.
Doch vielleicht mochst mia an Gfoin
und schaust mia duachs Fensta noch…

Mitn Radl auffi foan
bis zu die Sternen,
das war der schönste Traum,
den er geträumt.

Den letztn Schritt mocht koana mit,
vü zu koid waht duat da Wind.
I trog die Blumen zum Kompott
und leg mi söba ins Buffet.

Alf Poier

rené magritte 1948Ein kleines Ratespiel – von wem stammt dieses Lied?

Στο λιμάνι του Άμστερνταμ ένας ναύτης μπεκροπίνει
μπύρες πίνει και μεθάει κι όλο πίνει και ξερνάει
ξαναπίνει στην υγεία τους στις πουτάνες που ‚χουν πάρει
εκατόν πενήντα άντρες σε μια νύχτα η καθεμιά τους

Έχουν χάσει την τιμή τους παζαρεύοντας στην πιάτσα
γι ένα πιάτο κρύα σούπα δυο φλουριά ή δυο μάρκα
και τη θάλασσα ο ναύτης και το χώμα αυτό θα φτύσει
κι όπως κλαίω την αγάπη έτσι αυτός θα τις ξεσκίσει

Στο λιμάνι του Άμστερνταμ

artarium norbertGarten-Nazi

Draußen hinterm äußern Gürtel,
gibt es ein ganz saubres Viertel,
bei der Trambahnendstation,
wo die Straßen Vogelnamen haben,
Amselstraße, Finkenweg,
sauber kitschig und bißl schräg,
friedlich ist es dort und staad,
außer wenn wer Rasen maht.
Wo der Papa jeden Tag auf d’Nacht
den Gartenschuppen fest zusperrt,
wo die Mama jeden Samstag früh im Küchenschurz den Gehsteig kehrt.
Da zeigt dir der braune Zwerg,
den Holzweg durch den schwarzen Wald,
rechts hinterm blauen Mond,
wo der Gartennazi wohnt.
Es ist nimmer Stadt und noned Land, wo der Gartennazi wohnt.

Georg Ringsgwandl

 

Sommernachtstraum

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juni – Wir eröffnen uns einen H. C. Artmann Platz. Feierlich. Live. Im Radio. Aber sowas von! In diesen Zeiten burgenländlichen Blauweinjuhudelns ist es uns ein besonderes Anliegen, den einzig wahren H. C. (Hans Carl nämlich) hervorzukehren. Dem wird ja heute auch tatsächlich ein amtlicher Platz (der Vorplatz vom Salzburger Literaturhaus) gewidmet, mitsamt den üblichen Ansprachen vom Bürgerschaden abwärts. Das alles auch noch im Rahmen des Aktionstags einer solidarischen Stadt, an sich eine lobenswerte Veranstaltung, die mir aber schon vorab einen unguten Beigeschmack bereitet, zumal dieselbe ach so solidarische Salzstadt ziemlich zeitgleich ein umstrittenes Sektorales Bettelverbot eingeführt hat ? Die Roten purzeln wohl neuerdings überall wie die Dominos aus ihren – ähm – Positionen. Erklären wir uns halt die roten Sitzsteine zum Zeichen der Hoffnung:

1 hansDer poetische act ist dichtung um der reinen dichtung willen. Er ist reine dichtung und frei von aller ambition nach anerkennung, lob oder kritik.

Der poetische act ist materiell vollkommen wertlos und birgt deshalb von vornherein nie den bazillus der prostitution. Seine lautere vollbringung ist schlechthin edel.

Der vollzogene poetische act, in unserer erinnerung aufgezeichnet, ist einer der wenigen reichtümer, die wir tatsächlich unentreißbar mit uns tragen können.

aus proklamation des poetischen actes 1953

Wollen wir also in diesen drei Stunden zum Themenkreis Sommer, Nacht, Traum den Sprachakrobaten höchstselbst zu Wort kommen lassen – ja, wir haben wieder in der Grauzone der Egalität die Archive geplündert – und zudem auch ein paar kongeniale Interpreten und inspiriert Wortene hören, wie zum Beispiel Helmut Qualtinger, Fritz Kohles oder Ronnie Urini & die letzten Poeten. Halleluja, das wird ein Fest, wenn die Jahrhunderte Schlange stehen – und der Artmann-Café-Barherr den Rosé ausschenkt. Wir wünschen uns nach all der offiziellen Daheit dieses Tages eine samtene Nacht!

2 carlliebe ratte, komm zu mir,
gerne spiele ich mit dir,
bind dir engleinsflügel um,
trag dich ins panoptikum,
worein oft die kinder gehn,
und wann die dich fliegen sehn,
rufen alle, alle aus:
so ne große fledermaus!

aus allerleirausch neue schöne kinderreime

Ein bis heute unvergessliches Erlebnis ist mir jene nichtendenwollende Lesung von H.C. Artmann in einem recht schummrigen Gasthof zu St. Pölten, die unser genial vielseitiger Berufsschullehrer für Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte Hugo Schöffer als einen integrierten Bestandteil der Ausbildung zum Buch-, Kunst- und Musikalienhändler  veranstaltete. Ja, so hieß der Lehrberuf damals nicht nur – das war er in dem Fall auch wirklich! Und Anekdoten zu alkoholischen Artmann-Auftritten gibt es mittlerweile wohl genau so viele, wie entsprechende Getränke dortselbst dargeboten und konsumiert wurden. Die FM4-Sendung Chez Hermes etwa brachte den halbamtlichen Mitschnitt einer heillos versoffenen Poesie-Performance im schönen Kärnten zu Gehör. Von den zwischenmenschlichen Aspekten des Grünen Veltliners weiß auch ich zu berichten…

3 artmannich bin die liebe mumie
und aus ägypten kumm i eh,
o kindlein treibt es nicht zu arg,
sonst steig ich aus dem sarkopharg,
hol euch ins pyramidenland,
eilf meter unterm wüstensand,
da habe ich mein trautes heim,
es ist mir süß wie honigseim,
dort, unter heißen winden,
wird keiner euch mehr finden.
o lauschet nur, mit trip und trap
husch ich die treppen auf und ab,
und hört ihrs einmal pochen,
so ists mein daumenknochen
an eurer zimmertür – o kindlein, seht euch für!

Dieses Gedicht hörte ich dabei zum ersten Mal. Es findet sich wie viele andere in der Sammlung ein lilienweißer brief aus lincolnshire. gedichte aus 21 jahren (1969). Womit wir diesen sprachgespielen Exkurs von und zu unserer freitagnächtlichen Perlentaucherei eigentlich gleich abrunden könnten. Und – was lernen wir daraus? Es gibt einen geraden Weg singt PeterLicht. (Ge)dichte Kunnst kann, auch nach Jahrzehnten des Realitätsterrors, die Wirklichkeit der Freiliebenden beschützen. Dass sie oft nicht bei uns ankommt – das ist das Versagen der Politik und nicht der Poesie.

 

COPY RIOT

Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Mai fand diesmal dem Thema gemäß als ein sich wiederholendes Selbstzitat statt. In aller gebotenen Ironie servierten wir Ausschnitte aus der Gepflegten Koinzidenz sowie aus den Märzhasen. Dazwischen jedoch gab es die Aufzeichnung unserer COPY RIOT Performance vom Donnerstag, von der nunmehr eine soundoptimierte Version (24:59) zum Download bereit steht. 🙂

Im Rahmen der Civilmedia15 präsentierten Norbert K.Hund, Christopher Schmall (Voices) sowie Daniel Danko (Sounds) ein metalogisches Work-In-Progress aus den Bastelköpfen der Ideenanreicherung: Durch Rezitation und Verfremdung wohlvertraut anmutender Textpassagen im Wechselspiel mit unvorhersehbaren Klangräumen entsteht eine Momentaufnahme unseres Umgangs mit dem unsortierten Material der postmodernen Wirklichkeit. Aus Wiederholungen von möglichen wie scheinbaren Zitaten – in ihrem einstweiligen Unzusammenhang – können sich für diejenigen, die sich ungeschützt darauf einlassen, vollends neuartige Formen eigener Sinnstiftung ergeben. Oder auch nicht. Wir übernehem jedenfalls keinerlei Verantwortung für das Erreichen irgendeines Zieles – oder die Erfüllung irgendeiner Funktion

dreiWir sind vor allem da – und wir tun es – öffentlich: In dieser Sendung wiederholen wir die Aufführung vom 7. Mai (bei der Civilmedia15 im Kunstquartier Bergstraße 12, Beginn 18:00 Uhr)  Diese Word & Sound-Performance sollte ein unterhaltsames Statement sein – und zudem noch ein Beitrag zur Diskussion um eine notwendige Neufassung des Urheberrechts, etwa an Werken der Kunst. Die Ursache (sic) dafür war das Verbot einer Thomas Bernhard Lesung im Salzburger Literaturhaus durch den Suhrkamp Verlag, und zwar im Auftrag von Bernhards Halbbruder Peter Fabjan, dem ebenfalls das Testament des Autors ignorierenden Erben der Verwertungsrechte.

Unsere These dazu ist einfach, allerdings für die Arbeit in niederschwelligen, nichtkommerziellen Kultureinrichtungen (wie eben auch in Freien Radios und anderen Community Medien) nicht unwesentlich:

zwei Veröffentlichte Werke stehen der Weiterverbreitung sowie interpretativen Bearbeitung unentgeltlich zur Verfügung, und zwar all jenen, die keinen materiellen Gewinn daraus erwirtschaften. Erst ab einem substanziell messbaren Profit seitens der Rechtenutzer sollen diese im Verhältnis zu ihrem Profit abgeltungspflichtig sein. Und solange die bestehenden Gesetze gelten, müssen für den nichtkommerziellen bezw. gemeinnützigen Sektor der Kulturvermittlung entsprechende Sonderregelungen (wie leistbare, gern auch “symbolische” Pauschalen etc.) auf Verbandsebene ausgehandelt werden…

Dieses Handout mit Ankündigung und (obigem) Hintergrundtext gibts hier als PDF 😉 Und wenn wir schon dabei sind, etwas auszuprobieren (von dem wir naturgemäß nicht wissen, wie es sich in der jeweiligen Situation darbieten wird) mashen wirs doch up:

Sprache ist Sprache
Niemand kann sie besitzen
Sie gehört uns allen

einszitieren
wiederholen
zitieren
wiederholen
zitieren
wiederholen
zitieren
wiederholen
zitieren
wiederholen
zitieren

miserable Drecks-Orte wiederholen
diesen unfeinen Titel zitieren
wenn nicht einen Dreckigeren wiederholen
dieses Rückständige zitieren
Bornierte wiederholen
Hinterwäldlerische zitieren
gleichzeitig wiederholen
geradezu zitieren
abstoßend wiederholen
Größenwahnsinnige zitieren
Land wiederholen
zitieren

nullin dieser Stadt
direkt in die Menschenverzweiflung
Bahnsteigtoiletten
Trümmerfeld
Scherzhauserfeldsiedlung
Vormittag
Gesteinsbrocken
wie ein Tier
die ganze Dummheit
immer geläufig gewesen
ängstigende Kälte
Friedhofsarkaden

Stumpfsinn
Heuchelei
Geistlosigkeit

siehst du, siehst du, siehst du?

perfide Fassade
Todeskrankheit
direkt oder indirekt
langsam und elendig
früher oder später
durch und durch

eine andeutungzur höheren Ehre
des jeweiligen
Adolfjesus Hitlerchristus
oder eines anderen
volksverdummenden
Abziehbildes ihres Gottes
des Marktgottes und Wertgottes
und des Marktwertgottes
besinnungslos Geld und Abgeld,
Scheingeld und Widergeld
herauspressenden
Spießbürger

eine in vollkommener
Unwissenheit und Gemeinheit
undurchdringbare
Menschengestrüpp-
Fortpflanzgesellschaft

Die Sprache
ist die Ursache
aller Andeutungen

Ein Missverständnis

Musenschmusen (Chriss)

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. April

Inspiration sucht sich heute selbst. Musen schmusen, Feen gehen und Götter vergöttern einander. Was bleibt am Ende? Ein kränkelnder Stift und leere Blätter…

LakeLightWaysEin Wort. Ein Bild. Ein Zeigen.
Wer zeigt mir die Unterfläche? Wer zeigt mir die Schichten der eigenen Geschichten? Die einzelnen Daseinsformen der wachsenden Bedeutungen meines Erkundens der inneren Welt? Brauche ich einen Führer? Jemanden der mir eine Landkarte reicht, damit ich im Dschungel meines Hirns unbeschadet die andere Seite erreiche? Jemanden der mir Licht ist in den kalten, nächtlichen Stunden meiner Seele? Gibt es so jemanden überhaupt? Oder stelle ich diese Fragen nur um mich vom Eigentlichen abzulenken? Nicht hinschauen zu müssen? Nicht hineinschauen zu müssen in den Schattenspiegel? Oder führen mich all diese Fragezeichen genau dorthin, wo ich mich nicht mehr von mir unterscheiden kann und will? An diesem Punkt der Überlegungen beiße ich mir die Zunge ab um keine Worte mehr zu vergeuden. Doch Sprache muss nicht artikuliert sein um zu existieren. So stehe ich wieder am Anfang meiner Gedanken und erkenne, dass ich ein Kreis bin. Da mir Ellipsen lieber sind verbiege ich mich ein wenig. Jetzt wabere ich im Raum. Seltsam genug, dass ich mehrdimensional bin, meine Brennpunkte fangen Feuer -violett- und warum sollten sie auch nicht? Immerhin muss ich mich warm halten. Erfrieren wäre echt das Letzte!

AugenscheinIch öffne den Mond. Ich öffne den Mund. Ich schließe die Sätze. Ich verschließe mich.
Mein Schloss ist rosig oder bemoost. Auf dem Schlüssel wächst ein Wald. Sein Bart ist Jahrtausendalt. Und schon wieder geht es ums Finden, Erforschen, Durchschreiten, Wegebegehen, Pfadestreuen, Brotkrumenlegen. Labyrinthe haben auf mich schon immer eine große Faszination ausgeübt. Ich übe mich im Übertreiben und treibe meine Sprache an. Es gibt keine Grenzen mehr. Ich werde grenzenlos und losgelöst, löse mich auf und beginne wieder von vorn…

Inspiration sucht sich heute selbst. Musen schmusen, Feen gehen und Götter vergöttern einander. Was bleibt am Anfang? Ein sprachloser Stift und hungrige Blätter…

 

Musenschmusen (Norbert)

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. April – Ein frei umher assoziierender Textmusikreigen quer durch das Spannungsfeld von Schönheit und Schrecken aus dem Salzburger Musentempel der Hoch- und Huchkultur. Ist Volkskultur populär? Oder Popkultur Industrie? Letzteres mit Sicherheit! Hilft uns die Flucht aus der Frustration, die traurige Realität zu bewältigen? Wir retten uns jedenfalls vor aller Ohren in etwas andere Phantasien … Ich wollte ohnehin schon längst wieder einmal einen literarischen (was ist das überhaupt?) Artikel verfassen, der weniger darüber aussagt, was wir hier machen, sondern mehr davon anzufühlen gibt, wie es hinter den Kulissen, unter den Oberflächen und zwischen den Zweifeln so zugeht. Nur soviel sei verraten: Jeder Text, jedes Lied, jedes Bild ist ein Teil von etwas, das noch entstehen wird…

SalzburgIch träumte vom großen Glück, neu anzufangen. Eine neue Stadt, eine neue Umgebung, eine vollkommen neue Gesellschaft. Jauchzend begriff ich, dass hier keines der einst über mich verfügten Vorurteile mehr Gültigkeit besaß – ich war mit einem Mal ein freier Mensch – und ich hatte alle Zeit der Welt. Ich konnte nach Lust und Laune abbiegen, einkehren, verweilen, mir unbekannte Gassen und Plätze vertraut machen – und mit Fremden, die noch nie etwas von mir gehört hatten, Freundschaft schließen. Ich war durch eine glückliche Wendung meines Lebenswegs aus dem Gefängnis der Gerüchte heraus geraten – und begann auf der Stelle wieder mit meinem eigentlichen Menschsein – als ein vom auswendigen Unrecht der Eingefleischten niemals Beschmutzter.

Wie lebensnotwendig ist solch ein mitternächtlicher Musenkuss, insbesonders, wenn ringsum der Terror des Trotteltums tobt. Wenn zwischen der Blödheit und Böswilligkeit der einen tagtäglich Befallenden nicht mehr zu unterscheiden ist. Wenn man nur noch die Macht ihrer Missgunst fühlt, die einem die Mauern des eigenen Luftholens fortwährend enger und enger rückt, dieses Zerquetschenwollen jedlebender Bewegung. Mordlüsterne Kasperltheater verinnerten Wohlanstands taumeln funktionierend durchs Bühnenbild – und erschlagen das eigentliche Befinden erfolgsam mit vorgegaukelten Phrasen. Die vernichtende Nachrede dieser sich Gesellschaft nennenden Automaten brandstiftet noch in den untersten Winkeln des Restbewusstseins den Angsthass (auf sich selbst) und schiebt ihn dann den Anderen unter.

UhrzeitAber du kannst doch nicht so auf die „normalen Menschen“ losgehen! Immerhin ist das die Mehrheit in dieser demokratischen Gesellschaft. Schimpfen auf die Verhältnisse hat auch noch nie was gebracht. Das führt nur wiederum zu noch mehr Verbitterung… Wie bitter? Das sind mir vielleicht so Alles-wird-gut-im-nächsten-Leben-Sätze aus der Dunkelkammer des tausendjährigen Beschwichtentums! Du sollst Vater und Mutter ehren – auch wenn sie dir nach dem Leben trachten. Denn alle Obrigkeit ist von Gott – geschissen. Patridioten aller Vaterländer, hupft euch taubstumm und verblödet zu euren Heimatklängen! Es ist bestimmt keine Industrie, die euch den Abfahrtslauf der Volksmusik listig ins Bewurstsein träufelt. Nein, es sind sicher eure eigenen Gefühle und Bedürfnisse, die so unkontrolliert aus euch hervorbrechen wie Frischgekotztes hinterm Feuerwehrzelt.

Eine Menschheit, die sich mit dem Unrecht gemein macht, muss beschimpft werden. Und zwar heftig. Das ist die einzige Möglichkeit, seine Feinde zu lieben – indem man ihnen die Wahrheit eben nicht vorenthält. Schon seit vor meiner Geburt halte ich ihr sämtliche andere Wangen und Arschbacken friedfertig ins Gesicht – und was tut sie? Mich unter Androhung des Ausschlusses aus der Volksgesundheit zum Nahtod erschrecken und mich sodann mit vorgehaltener Macht zu sexuellen Verrenkungen abkommandieren, die ich allein schon aus Gründen des guten Geschmacks niemandem zumuten möchte. Nein, solang die Einwohnergemeinheit dieser Stadt, dieses Landes und dieses Planeten nicht damit aufhört, auch nur einen Einzelnen aus Gewinnsucht und Gier von Kindheit an in ihr zutiefst fragwürdiges Betriebssystem einzugliedern – solange gibt es keinen Frieden auf Erden – und das muss dann auch gesagt werden.

Programm„Lasst ab von eurer Ungerechtigkeit. Verschenkt euren Reichtum an die Armen. Und urteilt nicht über eure Mitmenschen nach deren Ansehen, Ruf oder Stand.“ So etwa klang der Originaljesus, bevor man ihm eine Gewaltkirche übergestülpt und ihn zu deren Heilanstaltsleiter gemacht hat. Und so kann auch der Klang unseres Gemeinwesens sein: Befreiend und ermutigend gegenüber den Armen, Ausgelieferten und Bedrohten – und beinhart gegenüber den Mächtigen, die ihre Macht erst durch deren Angst und Not – und somit völlig zu Unrecht – besitzen. Solcher Einsicht ist allgemein jedes Kind fähig. Damit es aber gar nicht erst dazu kommt, wird ihm schon von klein auf mit der Muttermilch jenes Gewissen eingeflößt, das ihm fortan ungefragt mitteilt, wer es sein darf, wo es hingehört – und was es lieber erst gar nicht denkt.

Und so entstehen sie, die anpassungsfrohen Gerndabeiseier dieser sich immerdar selbst fortklonenden Gesellschaftsmehrheit. Sie sind das statistische Mittelmaß der Demografen und Thermoskannen – in der uns beärschenden Seistadsform der labermentalischen Deppokratiedemokratur. Ihr verzwungener Seinszwick ist die reine Mitmacht auf Seiten des Siegerns, kotze es was es wolle – und das macht sie auch so gefährlich, denn Mehrheitdennje wird von der Meinungsverorschung im Sinne der Gemacht. Und als ob das nicht schon schlimm genug Ware, haben, sein, sie sich ihrer, immer auch nur, Oberhaupt Sache Gewinnst. Die Frühlingsfetzenspiele der Volksdümmlichen im Musekantenstaat. Muse denn, Muse denn, zum Schädeldach hinaus, und du – mein Schatzssssss… Die neun Musen des Olymp. Die Humanisten. Der Hurenchor der Hochkultur.

Wer hats erfunden? Egal, solang du dafür bezahlst!

 

Märzhasen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. März – Mein Herz schlägt mich innerlich tot. Mein Hasenherz? Mein Fluchtreflex lässt mich überleben. Frühling, Frohsinn, Fruchtbarkeit. Vom Hakenschlagen querfeldhasenein in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus. Angst, Liebe, Drogen. Wollen wir wieder einmal in jene Hirnregionen reisen, in welchen sich die existenzielleren Zustände abspielen, gleichsam erleuchtend wie auch gefährdend. Aus dem Vergehen kommt Neues hervor, das ist ein Geheimnis des Hasen, der als Tsuki no Usagi im Mond sitzt und das Elixier der Unsterblichkeit zubereitet. So wie der Märzhase aus Alice im Wunderland oder das White Rabbit von Collide (Jefferson Airplane Cover), so sind auch wir Hasen Boten von Veränderung – des Bewusstseins, der Lebensumstände, der Wahrnehmung, whatsoever…

Wir HasenHerzrasen. Spürst du schon, wie sich die Welt ringsumher verändert? Ist es plötzlich in dir – das Andere? Vielleicht hättest du doch lieber die blaue anstelle der roten Kapsel nehmen sollen – oder den Keks nicht ganz so intensiv anschauen. Wie dem auch sei – von nun an gibt es für dich kein Zurück mehr. Du bist jetzt bei den Hasen und bleibst daher im Wunderland. Wir führen dich in die tiefsten Geheimnisse deines eigenen, dir unbekannten Innenseins. Herzlich willkommen – bei sich selbst 😀 Der Schleier ist zerrissen, die Schiffe sind verbrannt, die Brücken sind eingestürzt. Wir sind unterwegs. Doch wohin, das bleibt ungewiss. Aber wissen zu wollen und sich fragen zu trauen, das genügt allemal als Eintritt ins magische Theater. „Ich seh dein Hasenherz schlägt bis zum Hals und nasenwärts. Sag, schlägt dein Hasenherz seine Haken nur zum Scherz?“

HerzhasenFluchtreflex und Kaninchenbau. Hasen sind vor allem anderen Fluchttiere. Hier scheint es angebracht, einen wesentlichen Unterschied zu den Kaninchen zu vermerken: Hasen haben keine Höhlen, um sich bei drohender Gefahr zu verkriechen. Ähnlich wie Menschenwelpen sind sie Angriffen schutzlos ausgeliefert. Anders als diese können sie jedoch wegrennen. Was aber machen dann wir als kleine Kinder, wenn wir weder beschützt werden, noch uns verstecken oder verteidigen können? Wir erschaffen uns einfach eine andere Welt, in der wir trotz tatsächlichem Terror sicher sind, in der es weder böse Menschen gibt noch anderes Unheil, statt dessen Märchen und Marzipan und Mehlspeis zum Wohlsein! Ebenso genial einfach wie trickreich vertrackt (was sich aber erst später im Leben zeigt) sind wir Erfindlinge unserer eigenen Einsiedelei. „Ja/ Nein/ Vielleicht stand auf dem Zettel, aber kein Zettel reicht für keine Antwort und ich hab mich erweicht und gab dir Zeit und ein paar Seiten Raum für eigene Notizen. Nicht im Traum dachte ich, du würdest mich gleich siezen. Und zwischen Referenzen und post-postmodernen Witzen mich scheuen Blicks drum bitten, deinen Stift neu anzuspitzen…“ Judith Holofernes

Die HasenWildzärtlich. Warum nun eigentlich diese Hasennachtfahrt? „Wir sind die Hasen!“ ist längst ein Stehsatz in unseren Sendungen geworden. Er beschreibt irgendwie unser Verhältnis zwischen nahem Beschnuppern und freiem Herumsausen. Und als die sich wandelnden Boten eines sich ebenfalls stets verändernden Lebens wollen wir just in dieser zachen Zeit des Restwinters dem schon überall umhier anklopfenden Frühling unsere Vorfreude entbieten. Und ihn begrüßwünschen, vervielzaubern, zubeizelebrieren. Wir würdigen diese mehr als nur das Bewusstsein umwälzende Lebendigkeit mit einer Lesung von Misha G. Schoeneberg aus seinem neuen Manuskript „Das Lied sind wir“, die wir im Nachfeld unserer gemeinsamen September-Nachtfahrt „Poem – Leonard Cohen auf Deutsch“ aufgenommen haben. „Ich seh dein Hasenherz schlägt bis zum Hals und nasenwärts. Sag schlägt dein Hasenherz seine Haken nur zum Scherz? – Mein, was du sagst. Sag, was du meinst. Mein, was du sagst. Sag…“ Judith Holofernes – Hasenherz

Wir sind ein Haseninstitut 😉 Was immer das bedeuten mag. Find es doch heraus

 

Gepflegte Koinzidenz

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Februar – Ein sprachverliebt soundpoetischer Rundflug durch den Chaosmos unserer vielleicht doch nicht so zufälligen Begegnungen. Was berührt uns, was hinterlässt Spuren und stiftet uns zu Eigenem an – sowohl im künstlerischen als auch im zwischenmenschlichen Ausdruck? Welche Aufgaben stellen wir uns selbst, bewusst oder unbewusst, wenn wir ein Thema beackern, eine Textsammlung herstellen, eine Sendung vorbereiten? Und wie funktioniert das, inmitten einer Sprachwelt, die fast nur noch auf das funktionale Übermitteln von Anweisungen und deren Bestätigung ausgelegt ist? Was halten wir den Verschluckungen des alltäglichen Humpftraras entgegen – in unserem verletzbaren Wesen, unserer gefährdeten Kreativität, unserer bedrohten Feinheit?

Norbert K.HundBeim Entstehen dieser Sendung zum Beispiel kommt schon ein recht komplexes Geflecht aus Anstößen und Assoziationen zur Anwendung. Zuerst die Einigung zweier Personen auf das eigentliche Thema, in diesem Fall die „Gepflegte Koinzidenz“. Wie oft beschäftigt uns im Hinterstübchen oder im Keller des Bewusstseins eine bestimmte Überlegung, der wir jedoch, auch bei allem Drängen, noch keine genaue Gestalt zuordnen können. Und dann ruft der andere, der mit uns verbundene Mensch auf einmal an und erzählt von – Musik etwa – päng, schon hat unser Gefühl eine Form, unsere Idee einen Klang und unser Gedanke ein Gesicht. Zeitgleich, ohne von einander zu wissen, haben zwei Verschiedene an einem Gemeinsamen gearbeitet. Die momentane Erkenntnis dieses Vorgangs bewirkt sogleich eine weitere Stufe in der Gestaltung der eigenen Welt – und zwar für beide Beteiligten.

Gedenken SplitterDann die Namensgebung für die drei Stunden – „denkengrenzen, körpernwärmen, seelensplittern“ – sie symbolisiert unterschiedliche Anwendungen des einen roten Fadens, der wieder dem Leitthema innewohnt. In welchen Aspekten pflegen wir also unsere Koinzidenz, unsere Kongenialität, unsere Kooperation? Um uns nämlich durch sie zu schützen – und mit ihr bewaffnet dem allumverschlingenden Einheitsbrei der niedersprachlichen Funktionäre und ihrer ferngesteuerten Funktionswichtel entgegen zu treten. Denn Inseln zu stiften und zu bewahren für eine zweckfreie Sprachkunst diesseits der kommerziellen Gefälligkeit, das ist wohl bitterer nötig denn je, wo ringsumher eine erfolgsorientierte Beschleunigung sonder gleichen im Interesse gottähnlich bestaunter Großkopfzerne alles verspielt Schöpferische schon in den kleinsten Kindern auszumerzen trachtet.

Christopher SchmallUnd auch das Zustandekommen der Wortbeiträge und Musikstücke für ein immerhin dreistündiges Programm, das nicht festgeschriebene Wissensvermittlung sein will, sondern vielmehr Hörwelt, Kopftheater – und Überraschung, auch für uns! Wie viele eigene Entscheidungen und gegenseitige Einflüsse stecken hinter der Auswahl der vorzutragenden Textbeispiele. Und welch eine thematische Dichte erwächst aus dem dazu stimmigen Sound, wenn er spontan aus der jeweiligen Situation des Gesprächs heraus eingespielt wird. An diesem Punkt endet der Plan – und das Leben geschieht. Hören wir also SpokenWord von Georg Danzer, Franzobel, Ludwig Laher, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker – sowie Christopher Schmall, der seinen als Work in Progress entstandenen Gedichtband „seelen.splitter“ vorstellt. Lassen wir uns unsere Zeit nicht stehlen – denn nur allzu schnell sind wir sprachlos gemacht – und gehen schweigend unter!

Wir sind ein geiles Institut. Und wir haben Klang
😀
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Weihnachts Ohrartarium

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Dezember (in 2 Teilen) – Mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist die Tradition unseres jeweiligen Salzburger Adventsingens Reloaded in Gestalt der letzten Nachtfahrtsendung im Kalenderjahr. Waren es 2008 und 2009 noch mehrstündige Artarium-Sonderausgaben zur Stillen Nacht, so begann bereits 2010 die musikliterarische Auseinandersetzung mit den Themen der vorweihnachtlichen Besinnlichkeitskultur, die uns Eingeborenen des Alpenlands wohl schon seit dem ersten Aufschrei eingefleischt wurden. Nehmen wir dieses Jahr also titelgebend die Herren Tobi(as) Reiser zum Anlass für unsere Betrachtungen. Denn der Gattungsbegriff „Adventsingen“ ist mitnichten uraltes bäuerliches Brauchtum, sondern vielmehr eine eigene Erfindung des einstigen NS-Bauernfunktionärs (der Ältere), künstlerisch weiterentwickelt von seinem krawutisch koksenden Sohn (der Jüngere).

Weihnachts OhrartariumWer klopfet an? Asylsuchende Assoziationen auf ihrer Fluchtfahrt durch die Dunkelheit ans Licht. Die etwas andere Betrachtungsweise der uns interpretiert überlieferten Geschichte(n). Versuche, hinter das glanzgoldene Getriebe machtfeiler Verehrung zu blicken. Phantasien einer möglichen Menschheit VOR ihrer feindlichen Übernahme durch die Beherrschaft. Gruslig schön lustig und freischwebend. Die frohgemute Verwurstung von Kulturstrandgut entgegen jedweder Marktlogik. Und ebenso ernsthafte wie vollends verrückte Einlassungen auf unsere angeblichen Wurzeln. Uminterpretation der Bedeutungsschwangerschaft aus der magischen Ohnmacht von Bedürftigen…

Umrahmt von unseren Live-Einfällen und Zufällen entfaltet sich eine schaurig-schöne Dramaturgie, bei der man sich bis zum Erschrecken identifizieren und sogleich wieder wohlig in die vertraute Unbehaustheit des eigenen Seins zurück plumpsen lassen kann. Begleitet uns auf dieser zielstrebigen Irrfahrt ins Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit, die uns gerade deswegen auch die eigene Unverwechselbarkeit und Unverzichtbarkeit vor Ohren führen wird. Sicherheit? “As Lebn entgeht eich sicha – heit!” Uns nicht, jedenfalls nicht heute. Denn: Wir sind ein geiles Institut!

Aus „Ein Salzburger Adventsingen“ (Dezember 2010)

Money (S. Koidl)Teufel auch! Man wird sich ja wohl noch selbst zitieren dürfen. Zwecks eingehenderer Hinterfragung subalpinen Brauchtums in der vorweihnachtlichen Finsterzeit haben wir am Albumsonntag nach der Nachtfahrt den jungen Zeichner und Krampusmaskenschnitzer Stefan Koidl zum Gespräch über Technik und Kreativität eingeladen. Faszination will erforscht werden, vielleicht verhält es sich auch beim Teufelsthema so: „There’s more to the picture than meets the eye.“

Natürlich :) zaubern wir dabei auch Verborgenes hervor, längst vergessen Geglaubtes, vielschichtig Verwobenes oder überhaupt vollkommen Verrücktes. Keine Ahnung, was sich daraus dann im Verlauf der Sendung ergeben wird – aber irgendeinen dramaturgisch roten Faden braucht es halt immer, auf dass sich all unsere konfusen Mitbringsel daran zu mitteilender Gestalt kristallisieren. Alles weitere werden wir erleben, hören, sehen, spüren. In diesem Sinne “Keine Macht der Seistaadsgewalt” und “Wir sind ein geiles Medium…” :D

Aus „Ein Fest der Liebe“ (Dezember 2013)

Jesus Christopher

Jesus Christoph(er) von Helmut Xö

A schware Geburt – Ja, natürlich! Weil wir doch alle hier schon immer in eine tief von christlicher Symbolik durchdrungene Welt geworfen sind. Wobei sich schon auch die Frage stellt, ob wir denn diesem Jesus nicht noch etwas Anderes abgewinnen könnten als den Christkindlmarkt. Oder eine Kirche. Jesus war doch nicht katholisch! 😀 Wer hat ihn also dann zum Christus gemacht und oberhaupt, warum – et cui bono?

Manche warten sicherlich auf Jesus Christus und sind dann enttäuscht und aufgebracht wenn Klaus Kinski seine eigene Interpretation von ihm anbietet. Ich warte auf den nächsten Wartesaal, wenn ich mit dem Zug fahre. Ich warte auf die nächste Reise und die nächste Ankunft. Auf  Menschen, die mir vielleicht begegnen werden, auf Gedichte die ich vielleicht nie schreiben werde… Ich warte genauso wie jeder andere wartet… Ich weiß nicht wirklich auf was… Vielleicht… auf mich selbst?

Aus „Ein Salzburger Adventsingen 2.0“ (Dezember 2011)

gut zu hörenIch bin es – Na eben, da bietet sich wie von selbst eine erste einstweilige Auflösung an. Und damit binden wir auch den eingangs erwähnten alten Sack zu. Es geht ums Eigene und ums Erfinden. Es geht ums Werden und Begehen. Es geht – ums Selbst. Deshalb die Bilder und Collagen. Darum „Adventsingen„. Seien wir unsere eigene Adventgeschichte. Und fragen wir uns: „Was ist ich?“

Alles schläft, einsam wacht – bist du da? Was wird sein am anderen Ende der Nacht, wenn du dir begegnst, gleichsam beschenkt und entblößt? Hast du dann Angst vor dem Schweigen des Lärms, vor dem Gähnen des Abgrunds, vor dir selbst? Hast du Lust, dich zu spüren und in ein neues Jahr zu springen, einen neuen Tanz zu vollführen, ein neues Bild anzufangen, mit einer neuen Idee ins Bett zu gehen, die dich liebkost und die du danach nie mehr vergessen kannst? Was also macht diese Nacht mit dir – was machst du mit ihr? Wer bist du – in deiner eigenen Zeit, wenn du sie dir selbst schenkst?

Aus „Christgsindlmarkt“ (Dezember 2012)

„frohe weihnacht! frohe weihnacht! und ich bin nur ein hund“   (Ernst Jandl)

 

Poem – Leonard Cohen auf Deutsch

> Sendung anhören: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 26. September Wiederholung am Freitag, 10. Oktober von 22:00 bis 01:00 Uhr in der Radiofabrik!

Livegast im Studio ist diesmal Misha G. Schoeneberg, der uns das brandneue Album Poem – Leonard Cohen in deutscher Sprache vorstellen und von seiner jahrelangen Beschäftigung mit den Songs und Texten aus Cohens lyrischem Kosmos erzählen wird. Denn immerhin übersetzt und überträgt er schon seit Anfang der 90er fortwährend einzelne Titel aus dessen Gesamtwerk – und zwar in inhaltlich wie auch musikalisch stimmige, also vor allem gut singbare deutsche Versionen. Nun ist eine einstweilige Endfassung dieses weitreichenden Projekts erschienen, und zwar in Form einer Hommage zum 80. Geburtstag des wirkmächtigen Songpoeten, dem wir jetzt noch einige Facetten mehr abgewinnen als ihm ohnehin schon nachgesagt werden…

Misha G. SchoenebergAuch über Misha G. Schoeneberg lässt sich so einiges erfahren und nachlesen: Hippie in Goa, mit Ton-Steine-Scherben auf Tour, Lebensgefährte von Rio Reiser, Songtexter und Buchautor, Sprachlehrer, Südostasienwissenschafter, Textcoach und Mentor, zuletzt Künstlerischer Leiter beim gegenständlichen Poem-Album. Und trotzdem ist der Mann hinter der vielschichtigen Biographie noch weit mehr als sich über ihn sagen ließe. Wollen mal sehen, ob wir nicht noch das eine oder andere Unbekannte im Wesen des Wortwetzmeisters entdecken. Schließlich ist unsere Idee zur gemeinsamen Radiosendung auch schon über fünf Jahre alt – gut Ding will eben Weile – und was lange währt, wird endlich 🙂

Passenderweise veranstaltet das Salzburger Literaturhaus am Abend vorher, also am Donnerstag, 25. 9. um 19:30, eine Bild-Ton-Text-Hommage zum 80. Geburtstag von Leonard Cohen unter dem Titel „I’m your man“mit Thomas Kraft und Robert Schindel, an der auch wir teilnehmen, um unsere kunnst-biotopische Dialogie dahingehend zur Aufwärmung zu bringen, dass wir sie schon vorab assoziativ-atmosphärisch anreichern. Für allerlei Literatur und Tonträger sowie freudvollen Ausschank ist jedenfalls gesorgt!

Poem Album CoverWas nun das Album selbst betrifft, auf dem 17 verschiedene Bands und Einzelinterpret_innen die von Misha übertragenen/übersetzten Cohen-Songs über die Grenzen von Genres und Generationen hinweg darbieten, so werden wir dieses in unserer Spezialnachtfahrt gründlich würdigen: Die Menschen dahinter, die schier unendliche Mühe, schließlich all die Texte und ihre Themen. Liebe und Tod. Das Mitgefühl. Durchleiden und Darstellen. Dichten und Trachten. Sinn und Ziel. Das Vermächtnis. Die Übersetzung. Das nicht fertig werden mit der Arbeit. Die Frage nach der Spiritualität. Was bleibt, jenseits von Anfang und Ende, wenn es nichts als „das Unterwegssein“ gibt? Brauchen wir womöglich ein „größeres System“? Oder verweist uns das milde Lächeln des Sängers auf jenes Unfassbare, dass wir in all seiner Unsagbarkeit aber dennoch, immer wieder, dann halt wenigstens zu singen oder zu spielen versuchen? Das uns stets Unerreichbare, das wir, wenn überhaupt, nur ewig unvollendet, unvollkommen, um es irgendwie auszudrücken, so gut es geht, darleben können…

„Liebes Leben, abgemacht? Darfst mir nicht verfliegen. Hab noch so viel Mitternacht sprachlos vor mir liegen.“ Konstantin Wecker

 

Auf der Flucht (Norbert)

  > Sendung anhören: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. September – Flucht und Vertreibung einmal etwas anders betrachtet als aus dem Blickwinkel aktueller Berichterstattung oder engagierter Migrationsstatistik. Wir alle kennen die Bilder der vor Lampedusa ertrunkenen oder gerade noch so mit dem bloßen Leben davongekommenen halbverhungerten Habenichtse aus den Abendnachrichten. Oder die fast schon endlos wiederholte Darstellung von Displaced Persons, KZ-Überlebende wie Heimatvertriebene, etwa aus den Geschichtsdokus von Hugo Portisch bis Guido Knopp. Ganz zu schweigen vom mittlerweile zu einer medialen Ikone des 20. Jahrhunderts gewordenen Foto, das ein weinend flüchtendes, durch Napalm verbranntes Mädchen im Vietnamkrieg zeigt. Was wir da jeweils zu sehen bekommen, das prägt unsere Erinnerung ans Weltgeschehen.

Erinnern Verstehen 1Wie aber verhält es sich mit unseren eigenen Geschichten? Jenen, die wir selbst bebildern, darstellen, erzählen können? Bei denen die Kommentare von uns selbst gesprochen – und die Zusammenhänge von uns selbst hergestellt werden? Die weichen oft stark von allgemeiner Geschichte ab – und auch davon, woran wir uns so zu erinnern glauben. Können wir etwas dazu beitragen, dass solche persönlichen Lebens- und Familiengeschichten nicht nur in der Erinnerung bewahrt bleiben, sondern darüber hinaus als ebenbürtige Elemente kollektiver Geschichte in Erscheinung treten? Dies ist die Fragestellung der dreistündigen Sendung rund um das Thema Flucht und ihre jeweiligen Anlässe und Auswirkungen – aber auch einem damit verbundenen dauernden Unterwegssein. Und zugleich unser Beitrag zum EU-Projekt „Memory under Construction: Giving Voice to Forgotten Memory“, einer 2-jährigen Grundtvig-Lernpartnerschaft unter Mitwirkung der Radiofabrik zu Salzburg. Wir finden das Konzept des emotional-assoziativen Zugangs zur Atmosphäre des Flüchtens besonders geeignet, derartige Fluchtgeschichten möglichst unverstellt zu erleben.

Erinnern Verstehen 2Daher wenden wir unseren Blick zunächst von heftigen Bildern und damit verbundenen Schicksalen ab. Stattdessen spüren wir ins Innere und Ungewisse des fremdbestimmten Nomadentums unserer Gesellschaft und suchen nach den Ursachen für das unfreiwillige Unstetsein inmitten von Heimat und Überfluss. Lassen wir dazu Autoren vom respektablen Literaturprojekt Denk ich an Heimat der Straßenzeitung Apropos zu Wort kommen, oder Hans Rauscher (nein, nicht der Journalist) vom bestechenden Musiksampler Über den Wolken, unter der Brücke der Wiener Augustin-Redaktion. Erzählen wir selbst die Geschichte(n) von entwurzelten Angehörigen, von äußerem Druck und innerer Unruhe, von der heimlichen Brutalität des „normalen“ Alltags, von Anpassung, Auflehnung und angemaßter Autorität. Vom Hunger nach Gerechtigkeit, vom Verzweifeln an den Verhältnissen, vom Bedrohtwerden der eigenen Existenz, vom Auswandern in die innere Emigration. Von dir und von mir und von uns. Und von der Hoffnung, die bis zuletzt nicht sterben will! Denn das macht uns zu Menschengeschwistern, dass wir miteinander teilen, was wir erleben, einander mitteilen…

„…bald sah er aus wie viele, die zur Wanderschaft gezwungen sind, weil sie kein Heim haben oder keines wollen. Weil sie keine Ruhe finden, oder weil sie sich ein Ziel gesetzt haben, das mehr ist und ferner als irgendein Ort auf dieser Erde, auf der sie nur unstete Wanderer sind – wie wir alle.“  (Joseph Roth – Tarabas. Ein Gast auf dieser Erde)

> Zu diesem Thema gibts auch einen Artikel vom Chriss 😉

> sowie zum Nachhören die einstündige Zusammenschau