Stascha Bader - Regisseur von "Rocksteady-The Roots Of Reggae"
Sonne, Strand, Meer, leuchtende Farben, lachende Menschen, eine karibische Insel und ein Haufen alter Musikerlegenden, die sich nach langer Zeit wiedertreffen, um noch einmal die Hits von damals aufzunehmen. Das Sujet kommt einem irgendwie bekannnt vor, aber Stascha Baders Film „Rocksteady“, will mehr sein als eine bloße Kopie vom „Buena Vista Social Club“.
Der Schweizer Regisseur gilt als Reggae-Experte, seine Dissertation über „Elektro Orale Poesie in Jamaika und England“ ist heute noch ein Standardwerk. Nach über 20 Jahren ist er wieder nach Jamaika gereist, um einen Film über Rocksteady, die Wurzeln des Reggae, zu drehen.
Rocksteady wird die Musik genannt, die Mitte der 60er den schnellen Beat des Ska verlangsamte, und aus der sich in fließendem Übergang der Reggae entwickelte. In nur wenigen Jahren entstanden unzählige Hits wie „By the Rivers Of Babylo“n, „You Don‘t Love Me Nonono“, „The Tide Is High“, die vielen heute nur noch als Coverversionen bekannt sind.
Die Originale und deren Interpreten hingegen sind ein wenig in Vergessenheit geraten. Das will Stascha Bader mit seinem Film nun ändern.
Selina Nowak hat den Regisseur getroffen und mit ihm über seinen Film geplaudert.
Machst Du selbst Musik?
Ich habe lange Musik gemacht und auch Musik studiert, aber ich bin kein Musiker, sondern spiele einfach zu meinem Vergnügen ein bisschen E-Bass.
Hast Du während der Dreharbeiten mit den Musikern gejammt?
Nein, mein Job war, die Bienen im Korb zu behalten und nicht noch mehr Unruhe zu stiften (lacht) ich war “nur” Regisseur.
Nach Deiner Dissertation hast Du Dich lange nicht mit Reggae beschäftigt. Warum?
Irgendwie hatte ich eine Overdose und ab den 80er Jahren hat sich auch gar nicht mehr so viel getan im Reggae. Die heutige jamaikanische Musik höre ich ehrlich gesagt selten, denn entweder ist es einfach Reggae – und den kenn ich jetzt schon seit vielen Jahrzehnten, weshalb er mich langweilt – oder es ist sogenannter Dancehall. Der ist unglaublich knallhart elektronisch, Soca und HipHop inspiriert, den finde ich auch nicht sehr schön.
Wie kam Dir dann die Idee zum Film?
Die kam mir beim Ausräumen meiner Plattensammlung. Ich musste mich entscheiden, was ich behalte und was ich wegschmeiße. Und so hab ich mich durchgehört und bin beim Rocksteady einfach hängen geblieben. Ich dachte „wow, so ein Schatz, der noch zu heben ist, so viele Sänger, so viele Bands, so viele unglaublich gute Musiker, wie wäre es, wenn man die nochmal zusammen bringen würde, um ein Album aufzunehmen?“
Warum geriet Rocksteady ein wenig in Vergessenheit?
Rocksteady war eine kurze Periode, die sehr charmant und kammermusikalisch tönte, eine Musik, die sehr herzlich war. Die Zeiten wurden dann in den 70er Jahren sehr viel härter in Jamaika und auch die Musik wurde härter. So waren die goldenen süßen Tage des Rocksteady gezählt.
Ist es nicht ein bißchen nostalgisch, all die alten Hits wieder aufzuwärmen?
Der wichtigste Grund, warum ich diesen Film gemacht habe, ist weil Rocksteady ein für mich ein Weltkulturerbe ist. Aber im Gegensatz zu den Pyramiden oder dem Taj Mahal, die aus Stein gebaut sind, ist die Musik etwas das sich in Luft auflöst. Ich wollte diesen Musikerinnen und Musikern ein Denkmal setzen. Das hat nichts mit Nostalgie zu tun, sondern viel mehr mit historischer Gerechtigkeit.
Was haben die Musiker nach der Rocksteady Ära gemacht?
Viele Rocksteady-Musiker sind ins Ausland gegangen um Geld zu verdienen. Einige haben es geschafft, auf die Reggae-Welle aufzuspringen, andere haben einfach aufgehört, Musik zu machen. Die hatten dann Brotjobs als Verkäufer, Maler, Bauarbeiter, LehrerIn…
Und wie werden die Musiker heute in Jamaika angesehen? Sind sie dort auch in Vergessenheit geraten?
Jamaika ist ein Ort, wo Musiker sehr hoch geehrt werden, vielleicht wie bei uns die Schriftsteller. Jedesmal, wenn ich mit irgendeinem der Musiker durch die Straßen von Kingston spazierte, wurden wir angehalten und von allen Seiten tönte es „Hallo, wie geht‘s“.
Man kann mit Stranger Cole oder Ken Boothe zu jeder Tages- und Nachtzeit durch das Ghetto gehen, ohne angegriffen zu werden. Sie sind Autoritäten, die jeder kennt, fast schon Halbgötter.
Wie wichtig war es, im legendären Federal Records Studio aufzunehmen und zu drehen?
Zur Zeit des Rocksteady gab es drei Studios in Jamaika: Treasure Isle, Federal Records und Studio One. Von diesen ist heute nur noch das Federal Record Studio aktiv. Das hat Bob Marley gekauft und umgetauft in Tuff Gong Studio. Studio One funktioniert nicht und Treasure Island gibt’s auch nicht mehr.
Es gibt also nur noch ein Studio aus dieser alten Zeit. Und ich wollte es unbedingt in einem alten Studio aufnehmen, weil das garantierte, dass man auch so arbeiten kann, wie es damals war. Dass man alle 12-15 Musiker reinstopfen kann, plus mehrere Sänger und in einem Take den ganzen Song aufnehmen kann. Denn die modernen Studios sind alle klitzeklein, man stellt nie eine ganze Band rein.
Wie nahmst du Kontakt zu den Musikern auf, kanntest du einige schon vorher persönlich?
Es war eine Heidenarbeit, alle MusikerInnen aufzustöbern. Viele Freunde haben mir geholfen. Chuck Foster, der die Sendung „Reggae Central“ von KPFK in Los Angeles macht, und Mossman Raxlen aus Montreal, der ein DJ und Reggaeproduzent ist. Die beiden haben mir sehr geholfen, Kontakt zu vielen Leuten aufzunehmen, die sie persönlich kennen. Aber dann ging für mich das Klinkenputzen los. Ich musste jeden Einzelnen persönlich treffen, bitten, und zum Teil auch beknien.
Einige haben nicht mitgemacht. John Holt von den Paragons hätte ich sehr gern dabei gehabt, weil er Klassiker („The Tide Is High“) geschrieben hat. Wir haben dutzende Male versucht, ihn und seinen Produzenten anzurufen, aber es hat leider nie geklappt. Dito mit dem legendären Rocksteady-Sänger Alton Ellis.
Judy Mowatt wollte anfänglich nicht mitsingen, sie sagte, dass Rocksteady für sie Schlagerkitsch sei. Sie ist Christin geworden und singt heute ausschließlich Gospels. Ich musste zweimal zu ihr nach Jamaika reisen. Das erste mal mit Schweizer Schokolade, das hat nichts genutzt, das zweite Mal mit „Basler Läckerli“, das hat sie dann gemocht.
Aber die alle anderen haben sehr gerne mitgemacht
Wie stark hat Dich „Buena Vista Social Club“ beeinflusst?
„Rocksteady – The Roots Of Reggae“ ist ähnlich aufgebaut. Bloß hab ich in meinem Film auch noch die historische Komponente mit einbauen wollen. Das heißt, darin ist sehr viel historisches Archivmaterial und auch die Songs folgen einer ganz starken historischen Entwicklung. Es geht darin um Arbeitslosigkeit, um Auswanderung, um Kriminalität, natürlich auch um die Liebe und die Hoffnung und den Geist der Rebellion. Denn das hat mir ein bisschen gefehlt in „Buena Vista Social Club“ und deswegen wollt ich‘s ein bisschen besser machen.
Könnte Dein Film einen Jamaika-Boom auslösen, ähnlich wie es damals nach „Buena Vista“ einen Kuba-Boom gab?
Ich würde mir sehr wünschen, dass mein Film ähnlich wie „Buena Vista Social Club“ ein Revival auslöst und, dass die Musiker wieder im Scheinwerferlicht stehen. Sie waren die Schöpfer einer wunderbaren Musik, die zu einer Weltmusik wurde. Dies wurde noch nie richtig anerkannt.
Im Film wird auch die Ehefrau von Bob Marley interviewt. Wie groß ist sein Einfluss auf die Reggae Musik tatsächlich?
Mein Film könnte auch heißen: „Standing In The Shadow Of Bob Marley“. Es ist ein Film, der zeigen will, dass es eben kein Engel namens Bob Marley war, der uns die Reggaemusik vom Himmel gebracht hat, sondern, dass es eine Volksmusik ist, die von unten entstanden ist und Bob eigentlich ein Teil davon war.
In Jamaika ist er nicht mehr wirklich relevant, weil er schlichtweg nicht mehr da ist. Man hört seine Musik ab und zu im Radio, aber er sagt nicht so viel zur heutigen Zeit. Für die Jamaikaner ist er eine verblassende Ikone.
Und die politische Ikone Bob Marley?
Niemand glaubt in Jamaika daran, politisch etwas bewegen zu können. Bob Marley hat es versucht und ist international zu einer Politikone geworden, man sieht ihn auf T-Shirts, vorne Bob, hinten Che Guevara. Aber in Jamaika ist sein Einfluss minimal.
Gibt es weitere Musikthemen, die Dich reizen?
Der Balkan birgt für mich ein unheimlich interessantes Reservoir an musikalischen Entdeckungen. Vielleicht mach ich auch eine Fortsetzung von „Rocksteady“, einen Film über den heutigen Reggae international. Oder ein Musical in Jamaika – wer weiss.
Wird es eine Europatour mit den Rocksteady Musikern geben?
Ich würde mir wünschen, dass alle Rocksteady Allstars mit Band durch Europa und die Welt touren, denn sie sind ein Knüller. Das Internationale Jazzfestival Montreal, Kanada, hat sie letztes Jahr eingeladen. Da bewies unsere Rocksteady All Star-Band vor 125 000 Leuten, dass sie in Topform sind! Es war ein wahnsinnig schönes Konzert und ich würde mir wünschen, dass sie auch in Europa auftreten – möglichst bald!
„Der Film Rocksteady – The Roots Of Reggae“ läuft momentan deutschlandweit in den Kinos und ist, genau wie der dazugehörige Soundtrack im Handel erhältlich.