Auf der Flucht (Norbert)

  > Sendung anhören: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. September – Flucht und Vertreibung einmal etwas anders betrachtet als aus dem Blickwinkel aktueller Berichterstattung oder engagierter Migrationsstatistik. Wir alle kennen die Bilder der vor Lampedusa ertrunkenen oder gerade noch so mit dem bloßen Leben davongekommenen halbverhungerten Habenichtse aus den Abendnachrichten. Oder die fast schon endlos wiederholte Darstellung von Displaced Persons, KZ-Überlebende wie Heimatvertriebene, etwa aus den Geschichtsdokus von Hugo Portisch bis Guido Knopp. Ganz zu schweigen vom mittlerweile zu einer medialen Ikone des 20. Jahrhunderts gewordenen Foto, das ein weinend flüchtendes, durch Napalm verbranntes Mädchen im Vietnamkrieg zeigt. Was wir da jeweils zu sehen bekommen, das prägt unsere Erinnerung ans Weltgeschehen.

Erinnern Verstehen 1Wie aber verhält es sich mit unseren eigenen Geschichten? Jenen, die wir selbst bebildern, darstellen, erzählen können? Bei denen die Kommentare von uns selbst gesprochen – und die Zusammenhänge von uns selbst hergestellt werden? Die weichen oft stark von allgemeiner Geschichte ab – und auch davon, woran wir uns so zu erinnern glauben. Können wir etwas dazu beitragen, dass solche persönlichen Lebens- und Familiengeschichten nicht nur in der Erinnerung bewahrt bleiben, sondern darüber hinaus als ebenbürtige Elemente kollektiver Geschichte in Erscheinung treten? Dies ist die Fragestellung der dreistündigen Sendung rund um das Thema Flucht und ihre jeweiligen Anlässe und Auswirkungen – aber auch einem damit verbundenen dauernden Unterwegssein. Und zugleich unser Beitrag zum EU-Projekt „Memory under Construction: Giving Voice to Forgotten Memory“, einer 2-jährigen Grundtvig-Lernpartnerschaft unter Mitwirkung der Radiofabrik zu Salzburg. Wir finden das Konzept des emotional-assoziativen Zugangs zur Atmosphäre des Flüchtens besonders geeignet, derartige Fluchtgeschichten möglichst unverstellt zu erleben.

Erinnern Verstehen 2Daher wenden wir unseren Blick zunächst von heftigen Bildern und damit verbundenen Schicksalen ab. Stattdessen spüren wir ins Innere und Ungewisse des fremdbestimmten Nomadentums unserer Gesellschaft und suchen nach den Ursachen für das unfreiwillige Unstetsein inmitten von Heimat und Überfluss. Lassen wir dazu Autoren vom respektablen Literaturprojekt Denk ich an Heimat der Straßenzeitung Apropos zu Wort kommen, oder Hans Rauscher (nein, nicht der Journalist) vom bestechenden Musiksampler Über den Wolken, unter der Brücke der Wiener Augustin-Redaktion. Erzählen wir selbst die Geschichte(n) von entwurzelten Angehörigen, von äußerem Druck und innerer Unruhe, von der heimlichen Brutalität des „normalen“ Alltags, von Anpassung, Auflehnung und angemaßter Autorität. Vom Hunger nach Gerechtigkeit, vom Verzweifeln an den Verhältnissen, vom Bedrohtwerden der eigenen Existenz, vom Auswandern in die innere Emigration. Von dir und von mir und von uns. Und von der Hoffnung, die bis zuletzt nicht sterben will! Denn das macht uns zu Menschengeschwistern, dass wir miteinander teilen, was wir erleben, einander mitteilen…

„…bald sah er aus wie viele, die zur Wanderschaft gezwungen sind, weil sie kein Heim haben oder keines wollen. Weil sie keine Ruhe finden, oder weil sie sich ein Ziel gesetzt haben, das mehr ist und ferner als irgendein Ort auf dieser Erde, auf der sie nur unstete Wanderer sind – wie wir alle.“  (Joseph Roth – Tarabas. Ein Gast auf dieser Erde)

> Zu diesem Thema gibts auch einen Artikel vom Chriss 😉

> sowie zum Nachhören die einstündige Zusammenschau

 

Auf der Flucht (Chriss)

Die Perlentaucher Nachtfahrt vom 12. September (hier hören) läuft um ihr Leben, flieht ins Unbekannte, zieht hinaus in die weite, ferne und beängstigende Welt. Wir sind auf der Flucht, sind heimatlos, entwurzelt, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft, kein Zuhause, kein Ort, an dem wir bleiben können, niemand, der uns aufnimmt und niemand, der uns wirklich versteht… Memory Under Construction. Giving the voiceless a voice. Forgotten Memory. Diese Nachtfahrt ist ein Beitrag zum länderverbindenden GRUNDTVIG-Projekt „Memory Under Construction“ und setzt sich nicht nur mit dem Thema „Flucht“ auseinander, sondern auch mit vergessener Geschichte – den Geschichten Einzelner, jenen Geschichten, welche gekonnt unter den Teppich gekehrt werden. Natürlich in unserer ganz eigenen Art. Unterschwellig, atmosphärisch, zwischen den Zeilen…

den vergessenenNeben der allseitsverstandenen Vorstellung von Flucht, den Gründen und den Folgen, reizen uns vorallem auch jene Aspekte, die einem
möglicherweise erst auf den zweiten Blick auffallen. Die Flucht aus der
Heimatstadt, aus dem Alltag, aus Systemen, Hierarchien, die innere
Emigration, Völkerwanderung, Seelenwanderung, innere Wanderung von Ich zu Ich, in andere Welten flüchten, durch lesen, schreiben, malen, musizieren, träumen, sich wegträumen… Wo ankommen? Überhaupt ankommen? Reisend bleiben? Nomadenleben, der Sonne entegegen, weg, fort, beyond, woanders ist besser als hier, vielleicht stimmt das, weiter gehen, weiter, immer weiter, on the road, losgelöst, frei, irgendwie schön, nichts zu haben ausser sich selbst und einen Rucksack voll Erinnerung, unterwegs, nach…

Tod.LebenWir sind alle Flüchtlinge. Tragen alle den Fluchtgedanken in uns. Jeder möchte mal ausbrechen, weggehen, in die andere Richtung, fliehen vor sich selbst und der Welt. Doch manche werden dazu gezwungen. Durch Krieg, Armut, Verfolgung, weil sie die falsche Hautfarbe, das falsche Geschlecht, die falsche sexuelle Orientierung, die falsche Religion haben, oder weil sie nicht mitmachen wollen bei den Spielchen der jeweils Mächtigen. Und dann verwandelt sich dieses schöne Bild des stets Weiterwandernden in einen Horrortrip, der realer nicht sein könnte. Bei dem es um Leben und Tod geht, der einem alles nimmt und alles verschlingt, nur noch grausam, hässlich, ohne Hoffnung, ohne Zukunft…

„Wir sind umstellt von den Bauten des nicht stattfindenden Lebens.
Sie sind riesenhaft. Es sind Riesen und sie stellen den Horizont voll
und die Riesen stampfen herbei und sie kommen näher
und ich, ich werde kleiner und mein anderes Leben wird kleiner.
Mein anderes Leben ist ein kommender Riese
und irgendwann wird sich irgendwas irgendwie ändern.
Das ist eingeschrieben in die DNA.
Es kündigt sich an, es staut sich auf – es entlädt sich.
Und meine Geste ist der Trotz und die Wut.
Und das sind nicht die Gesten des Riesen,
der Riese hat keine Geste – die braucht er nicht.
Seine Haltung ist das Kommen und seine Sache die Ankunft.
Und da ist er! Hallo Riese! Hallo mein anderes Leben!
Hallo mein stattfindendes, nicht stattfindendes Leben!
Gegrüsset seist du Maria! Ich werfe mich dir durch die Wand!“

aus „Fluchtstück“ von PeterLicht

> Zu diesem Thema gibts auch einen Artikel vom Norbert 😉

> sowie zum Nachhören die einstündige Zusammenschau

 

Zwischen Leben und Überleben

-> Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Februar – Eine Sound-Themen-Text- und überhaupst Rundumcollage, dass es uns und euch schwindlig werden wird. Versprochen! Eine Nachtwanderung durchs Hochgebirge der Eingebungen und die Abgründe der assoziativen Vielfalt. Bring erst einmal Jello Biafra mit Hermann Hesse, Gunkl und Käptn Peng auf einen Spoken-Word-Nenner! Oder entwickle einen roten Faden – noch besser gleich ein ganzes Knäuel – rund um so verschiedenartige Musikbeiträge wie zum Beispiel von Lehnen, Jefferson Airplane, Hans Zimmer, Chrystal Castles, Xavier Rudd, Steaming Satellites, Arik Brauer, Romy Schneider in Berlin, Tocotronic, Loungepaket, Rainald Grebe und Deadnote.Danse! Werte Hörgemüse und Ohrrüben, an die Empfängnisgeräte, denn derlei verspricht Vielfalt vom Feinsten! Wir schmeißen einfach eins aufs andere und rühren genüsslich darin herum – mit unseren eigenen Gedanken. Was hat übrigens Peter Gabriel zur dräuenden Gemeinderatswahl beizutragen? Richtig, „Moribund the Bürgermeister“ 😀 In diesem Sinne – zum Wohl!

Dunkel. Recht haben.Seltsames, Schräges, Symphonisches, Filmsoundtrack, Acid-Rock, Electronica, Liedermacher (pardon, Singer-Songwriter) Musikkabarett, Dark-Wave, Worldmusic, jede Menge sich jeder Genrebezeichnung entziehendes Klangsubstrat mit und ohne immanenter Botschaft, Fundstücke aus dem fluktuierenden Fundus von 50 Jahren Rock-, Pop- oder auch sonst Geschichte. Wie war das nochmal mit der Philosophie des Perlentauchens? Wir schwimmen rings in schlammigen Gewässern, wir fischen tagein, tagaus im Trüben, in den Kanälen und Kloaken der Zivilisationskultur. Wir stecken bis zum Halsansatz im modern(d)en Sumpf marketingfeiler Wortüberreste, bis über beide Ohren in einem stinkenden Brei aus Billaradio, Dancefloorschasen und Warteschleifengeklingel. Und auch wenn uns das Herumtauchen in all dem merkantilen Dreck bis zur Erschöpfung anfäult – es gibt noch zwischen den unnötigsten Trümmern des enttäuschten Zukunftsglaubens der Staatslemminge das eine oder andere Kleinod zu finden und hervor zu holen. Eine Perle des Beschenkens, ein Ring der Begegnungen oder auch ein Schlüssel des Begreifens und Hinterfragens. Egal was – es gehört uns!

Nachttrafik. Sehr wichtig.Wir sind also quasi die letzte Nachttrafik vor der Ausfahrt in die Sackgasse. Deckt euch mit Mut und Spezereien ein, Freunde und Innen des Überlebens in arschkalten Sozialzeiten wie diesen! Was zwischenmenschlich noch nicht aus Pressplastik ist, das wird es demnächst werden. Schön, wenn man sich noch berührt fühlen und verstanden wissen kann, abseits der längst ausgetrampelten Massenpfade. Und dafür wollen wir auch diesmal wieder sorgen – dass euch mitten in der Nacht eine unerwartete Idee anspringt, ein plötzliches Fünkchen Wärme anschmunzelt, ein grimmiges „jetzt reichts mir aber“ auskommt oder einfach dieses so dringend notwendige Gefühl überfällt, doch nicht ganz und gar allein auf der Welt zu sein. So wie bei einem guten Gespräch in einer gescheiten Trafik halt 😉 Wir bleiben die Radio-Nahversorger wider die Einsamkeit.

Glaube. Unfreiwillig.Interessant sind noch Buchhandlungen, deren Schaufenstergestaltung uns kleine Geschichten zu erzählen vermag. So wie wir ja auch unsere Fundstücke aus dem Gesellschaftsmüll benennen, sie mit Bedeutung versehen und in immer neuen Kombinationen zueinander in Beziehung stellen, auf dass sich im Geist ihrer jeweiligen Betrachter möglichst viele verschiedene Geschichten entwickeln. Im Unterschied zu den Weltbildern jeglicher Faschisten und Fundamentalisten (und da gehören auch die alltagsuniformierenden Zwangsneurotiker und Normsoziopathen in ihrer ständigen Anständigkeit allesamt mit dazu) wird Information keineswegs „von oben nach unten“ verordnet – sondern sie entsteht durch Interpretation der Wahrnehmung in den Gehirnen der Empfänger. Und zwar immer wieder neu und auch immer wieder anders. Genau so wie in der abgebildeten Auslage wollen wir im Radio Geschichten erzählen – damit in jedem einzelnen Kopfempfänger ein ganz eigenes phantastisches wahres Abenteuer entstehen kann. Kunst ist all das, was du kunnst (könntest) und damit herum zu spielen. Sei also eingeladen, uns diesmal zuzuspüren

 

Kunnst Amsterdam?

-> Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. Januar – Das etwas andere Städteportrait, die ziemlich hinterrückse Reisereportage, der einigermaßen aushängige Assoziationszirkus. Informationen gibts bei der Auskunft – oder im Büro! Bei uns hingegen mäandern die Anstöße und Erinnerungen rund um eine Metropole, in welcher sich Langsames und Schnelles irgendwie miteinander zu vertragen scheinen. Eine prototypische Phantasiestadt der Weltoffenheit und der sozialen Libertinage, in welcher die Bühnenbedingungen für das Auslebenkönnen der verrücktkreativen Kunst- und Kulturnischenexistenz noch ohne psychiatrische Präventivdiagnose gegeben sind. Und so gibt es in dieser unserer Würdigung der entschleunigten Urbanität anstelle von Coffeeshop-Reviews und Veranstaltungstipps einen unheimlich unsortierten Haufen von Gefühlseindrücken – sowie einige Überlegungen dazu, WAS diese spezielle Stadt (oder eine ihr ähnliche) eigentlich ausmacht – und was DAS für uns bedeuten kann…

RotlichtviertelErgehen wir uns also in jenen Elementen, die für das Gelingen der künstlerischen Lebensweise förderlich erscheinen. Lustigerweise sind uns drei mögliche Bezeichnungen dafür genau bei der Fragestellung eingefallen, wie wir die drei Stunden dieser Sendung titeltechnisch strukturieren könnten: Open Access als Wesensmerkmal einer für verschiedenste Gäste offenen Hafen-, Handels- und Kulturstadt, die nicht nur das Zuschauen, sondern auch das Mitgestalten ihrer Kurzzeitbewohner erlaubt. Open Stage als Ausdruck einer lebendigen und vielseitigen Kunst- und Kulturszene, in der vom Staatsmuseum bis zum kleinsten Alternativtheater eine ganze Menge an Möglichkeiten geboten werden, sich auch selbst einzubringen und aufzuführen. Open End schließlich als symbolische Zuschreibung eines sich unaufhörlich weiter entwickelnden Gemeinwesens, das aus dem Vollen seiner unfertigen Prozesse schöpft und sich nicht (wie etwa Salzburg) aus der Vorstellung von einer endgültigen Bestimmung (zu)definiert. Ja, eine Stadt wie Amsterdam scheint wirklich in vielem das genaue Gegenteil von Salzburg zu sein. Herzlichen Glückwunsch! Zeit also, dass wir uns in nasskalt zugedumpften Wintertagen ein Stück weit wegträumen von dieser unserer hülzern anständigen und katholisch kafkaesken Rundumgebung. Phantasiereisen wir wieder einmal in eine andere, bessere, gedeihlichere Weltgegend unseres Überstehens. Durchwandern wir dabei Klangräume und Textfragmente, die imstande sind, inwendig Erlebensebenen der hier dargestellten positiven Eigenschaften zu erwecken. Und freuen wir uns auf spontanassoziative wie auch verdichtestillierte Mundwerksbeiträge rund um freies Leben in liebesfreundlicher Atmosphäre, dem roten Faden Amsterdam folgend, betrunken auf deutsch, original auf französisch oder genial auf griechisch. 😉

Nun einige Impressionen der Amsterdamreise von Chriss:

sternenerscheinungAmsterdams Lichter

Eine Stadt hat tausend Gesichter. Tausend Geschichten, die sich gegenseitig erzählen. Tausend Stimmen, die wirr durcheinander reden und dennoch versteht man jede einzelne, oder zumindest kommt es einem so vor, bis man bemerkt, dass es bloß eine Stimme ist, die man hört und dass sich all diese unterschiedlichen Stimmen in vollkommener Harmonie zu einen wundersamen Klang vereinen. Sie berichten, beschreiben, beleben die Geschichten; erschaffen neue, jeden Tag, jede Nacht. Es hat kein Ende. Es ist ein Kreis. Immer in Bewegung. Ohne Halt.

Amsterdam LightAmsterdams Lichter sind Wegweiser in dunkler Nacht. Leuchttürme, die suchende Seelen geleiten.    Ich fühle ihre Wärme auch hier, fast tausend Kilometer entfernt. Ich sehe schiefe Häuser, die sich in den Himmel recken, in unzähligen Farben. Sie tanzen auf dem Spiegel der alten Grachten, welche die Stadt durchschneiden. Sie sind die Adern dieser Weltstadt, lebenspendende Wasserstraßen, hunderte Jahre alt. Ich sehe kleine Gassen, breite Einkaufsboulevards, verträumte Wege am Ufer der Kanäle, wie ein Labyrinth in dem man immer irgendwo ankommt. Man kann sich zwar verlaufen, doch nie verlieren. Geschäfte, Märkte, Cafés, Statuen, bronzene Eidechsen, Mahnmale, Huldigungen, Gedenkstätten, Museen, Blumen, kleine Lokale, Irish Pubs, Coffeshops, Smartshops, Menschen, Menschen, unzählige Menschen, Fahrräder, Autos, Straßenbahnen, Schuhe, Koffer, Zigaretten, Sonnenbrillen, Wolken; Stürme, welche das Salz des Meeres durch die Luft wirbeln. Ein Hauch von Weite. Von Aufbruch. Von neuen Ideen und Visionen.
Amsterdam, Stadt der Möglichkeiten! Amsterdam, Stadt der Kunst! Amsterdam, Stadt der Bücher! Amsterdam, Stadt der kreativen Entfaltung!

Ich lege meine Träume in deine vergossenen Tränen, tausend Farben und tausend stumme Worte. Ein Samen, der langsam sprießen lernt. Was mit ihm geschieht wird sich zeigen. Ich werde warten. Auf deinen Ruf, auf deine Stimmen, auf deine Lichter.“

On the inner road

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Oktober„The Beat Generation“ (die geschlagene, fertige, erledigte Generation) nannte Jack Kerouac die zahllosen Aussteiger und Außenseiter, die im allgemeinen Siegestaumel nach dem 2. Weltkrieg aus der sich stetig angepassenden „Mitte der Gesellschaft“ rausfielen – oder rausgeschmissen wurden. Wohl, weil sie zu empfindsam, zu kreativ, zu prophetisch oder sonstwie zu anders waren. Einige von ihnen wollten sich ums Verrecken nicht mit einer stummen Statistenrolle im Maschinenmoloch des anbrummenden Wirtschaftswunders zufrieden geben – sie dichteten geradezu um ihr Leben und erschufen so eine bis zu diesem Zeitpunkt unbekannte, unerhörte, unverfrorene Ausdrucksweise – jene Bildwelt, Lebensweise und Sprachkultur, die sich bis heute in vielerlei Formen als „Beat Poetry“ erhalten hat. Und so wollen wir diesmal auf unserer Nachtreise den Gefühlen der Beatniks und Dharma Bums nachspüren – die uns auf ebenso beängstigende wie doch zugleich tröstliche Weise als zeitlos gültig erscheinen. Und – wo sind wir jetzt?

Anpassung

Es hat sich in den letzten paar Jahrzehnten doch einiges verändert, will sagen verschärft, verdichtet, verbeschleunigt. Die alten Bilder sind verblasst und taugen nicht mehr so recht zum Veranschaulichen dessen, was tagtäglich rings um uns und eben auch in uns vor sich geht. Erinnern wir uns doch noch einmal an die schöne Metapher vom angepassten Funktionstrottel in seinem Hamsterrad: Angetrieben von einer rätselhaften, unablässig zuckenden Betriebsamkeit läuft und läuft und läuft er – nämlich auf der Stelle. Ihm erscheint es dabei allerdings so, als steige er auf der vor ihm liegenden Karriereleiter immer eine Stufe um die nächste empor, als bewege er sich also nicht nur vorwärts, sondern eben auch aufwärts! Dass dem nicht so ist, er vielmehr in einem veritablen Fitnesstudio der Käfighaltung vor sich hin rotiert und dabei genau gar nichts weiter bewegt außer jenes kleine Rädchen, in welchem er doch tatsächlich gefangen ist – unbemerkt, verdrängt, was weiß ich – das erkennt jedes fein beobachtende Kind, etwa im Zoofachgeschäft.

Aussage

Vielleicht sollten wir dagegen wieder mehr unsere eigenen Gefühlswahrnehmungen zu Wort kommen lassen, um so das gegenwärtige Weltbefinden einigermaßen entsprechend zu verdeutlichen. Wie geht es zum Beispiel mir – wenn ich mich mal außer der Zeit hinsetze um etwas schreiben zu wollen – dürfen, müssen, sollen? Und um dann doch beim Bild des Hamsters zu bleiben – es ist mir dabei, als liefe gar nicht mehr ich im Tretradl herum. Nein, irgend ein mental verrottetes Oberarschloch hat heimlich über Nacht einen Motor an der Radachse montiert, welcher die Trommel, in der ich mich jetzt befinde, immer schneller und schneller in Bewegung versetzt. Fürwahr, ich sitze mit Schreibstift und Papier mitten in einer Waschmaschine und es beginnt soeben das Schleuderprogramm. Und während ich noch versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, um ihn womöglich irgendwie zu notieren, schmeißt es mich schon kreuz und quer durch die rotierende Wäsche, haut es mir Jacke wie Socke und Hose luftraubend ins Gesicht und entreißt mir endlich zentrifugal beschleunigt jedweden Rest von Sinn, Plan und Verstand.

Aufstand!

Nein, wir sind alle längst nicht mehr die in den Trichter des Fleischwolfs hinein gestopften Schüler aus dem Pink-Floyd-Video „Another Brick In The Wall (Part II)“ oder aus meiner Kindergartenzeichnung „Die Menschenvernichtungs-Maschine“. Der Fleischwolf ist längst in unseren Seelen und Hirnen befestigt und aus ihm quetscht sich das langweilige Wurstbrät der Informationsgesellschaft – durch uns hindurch – Input, Output, kaputt – und verklebt auch noch die letzten echten Freundschaften mit unwirklich sinnlosem Zuviel. Wir leiden nicht an – wir sind die Verstopfung. Facebookstatusse und Fernsehnachrichten erschaffen in uns die Denkwelt unserer Ausweglosigkeit. Während wir noch am Rotieren sind, quillt es zugleich zäh und ätzend in uns hinein und sofort wieder aus uns heraus – ungefiltert, ungeordnet, unsortiert, ungesinnstiftet. Unsinngestiftet! Die globale Inkontinenz des Banalen, wichtigtuerisches Entertainment. Here we are now, blah our brains out! Wie widerlich…

Bevor wir jetzt alle aus dem Fenster springen, begeben wir uns doch erstmal auf diese spezielle Nachtfahrt durch die Abgründe der Aussätzigen, Unberührbaren, Zukurzgekommenen. Ha! Wir sind in Salzburg – was wäre denn ein besseres Mittel gegen die Monstrosität der Mozartkugel? Lauschen wir einigen Ausschnitten aus Allen Ginsbergs „Howl“ (Film) im englischen Original – und hören wir uns zudem ein paar Portionen von Chriss‘ „interpretativer Übertragung“ ins Deutsche an! Öffnen wir unsere Grenzen, gewähren wir unseren flüchtigen Gefühlen Asyl. Beginnen wir heute damit, die Abspaltung unserer „unerwünschten“ Emotionen zu beenden. Denn auch der Tropfen auf den heißen Stein kann der Anfang eines großen Regens sein. 😉

 

überwinden verwandeln

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. September (Teil 1) 🙂 und Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. September (Teil 2) Eine vierstündige Parzivaliade der etwas sehr anderen Art – zum nunmehr tatsächlich 5-jährigen Jubiläum dieser Sendereihe. Mit Textbeiträgen von Norbert K.Hund und Christopher Schmall, geklauten Ausschnitten aus dem Vortrag „Quest for the Grail“ vom U.S.-franziskanischen Männersynoptiker Richard Rohr (Dank sei dem Großen Bruder Ö1) sowie natürlich jede Menge intuitionsdramaturgisch auserlesene Musik von Collide über Käptn Peng bis Placebo – deren demnächst erscheinendes Album „Loud Like Love“ wir übrigens schon am kommenden Sonntag im Artarium vorstellen werden. Und was wäre geeigneter fürs weiterführende Würdigen unseres ursprünglichen Sendungskonzepts als eine hintergründig entzaubernde Verwandlungsreise auf den Symbolspuren des gernmännlichen Jungritters, der die Antwort sucht ohne Fragen stellen zu müssen?

ÖVPDer junge Suchende zieht also irgendeine „erwachsene“ Ritterrüstung an und stülpt sich dazu noch einen vorgefertigten Helm über (namens Gott, Ehre, Stolz, Heimat,..) Schon lernt er nichts neues und anderes mehr, als mit den bereits vorhandenen Symbolen mehr oder weniger „richtig“ umzugehen. Ob man ihm jetzt noch dazu beibringt, die Rüstung schön anzumalen oder sich darin anmutig zu bewegen, ist scheißegal – er hat sie ja längst an! Dazu hat er auch noch den passenden Helm, Hut, Denkschädel auf. Ob er sich an selbigen dann Blumen, Federn oder Würste steckt – das ist ebenfalls wurscht. Denn Hut bleibt Hut, Herrschaft bleibt Herrschaft, und Gewalt bleibt so eben auch. Es kann also nicht darum gehen, den „ein richtiger Mann“ werden wollenden Jugendlichen dabei zu beobachten, wie er das „richtige oder falsche Ficken“ lernt. Es ginge vielmehr darum, ihm endlich zu erlauben (und ihn dabei auch zu unterstützen), eine Sexualität zu entdecken und zu erleben, die sich mit überkommenen Brutalbegriffen wie „ficken, pudern, schuastern“ gar nicht mehr beschreiben ließe… 😀 Denn wer zu sehr danach strebt, zum Abbild seiner Vorbilder zu werden, der sollte sich dann auch wirklich nicht wundern, dass sein Selbst als ein Abziehbild daher kommt.

SPÖEs ist ein sehr spannendes Unterfangen, die Geschichte des Parzival einmal aus dem Blickwinkel seiner soeben erwachenden Sexualität zu sehen. Denn gerade die Selbstentdeckung leiblicher Lust bei heranwachsenden Burschen wird in einem Ausmaß von Zweckvorgaben zudefiniert, dass einem der Zement des Patriarchts nur so aus der Zerquetsche quillt. Einerseits werden noch immer Überbegriffe wie etwa Gott, Natur, Kulturgeschichte bemüht, um sozusagen „von oben herab“ zu begründen, dass „es von vornherein so ist, wie es ist, und zwar, weil es eben so ist“ – und andererseits werden die Erfahrungen der Mehrheitsmenschheit dahingehend verallgemeinert, dass eben „Vater und Mutter, wir, die Gesellschaft, immer schon so waren (weil wir es eben auch so erlebt oder halt gelernt haben)“ – nämlich HETEROSEXUELL!!! Sinn und Ziel der menschlichen Entwicklung ist also nicht Selbstbestimmung, sondern fruchtbare Fortpflanzung zur Arterhaltung? Wäh 😛

FPÖAuf die eventuelle Frage: „Weshalb regt es sich, weshalb erregt es mich – wenn ich ans Nacktseinküssenberühren denke?“ kommt von irgendwo her eine Antwort wie „Das ist so, damit du später einmal Kinder machen kannst.“ Und es geht gleich noch schlimmer: „Denk nur einmal an Schlüssel und Schloss. Mit einem weichen Schlüssel kann man ja nicht aufsperren.“ Sprache ist eben entlarvend – auch wenns die eigene Muttersprache ist! Wozu statt woher oder die Zerquetschung jeder sexuellen Regung zu gesellschaftskonformem Zwetschkensex. Zu feiner Zerquetschenmarmelade eines immerfortpflanzenden Fruchtbarkeitsismus. Eisprung bist du großer Töne, Jössasmaria! Und was ist überhaupt mit der Burkatante, die dauernd mit dem Gralskelch herumschleicht? Ist Parzival doch ein heteronormativ-katholisches Propagandamärchen für feuchtschwüle Pfadfinder? Das können und wollen wir uns als lebensdiplomierte Symbolentzauberer jetzt aber so gar nicht vorstellen! Gut – zum Schluss der Geschichte lüftet der nunmehr gereifte Held auch noch den Schleier – und erkennt die für ihn bestimmte Frau. Was könnte uns diese Szene jedoch in einem tieferen Sinn zeigen, wenn wir sie nicht einfach allzu schlicht wörtlich nehmen? Die Bedeutung der Symbole können wir durchaus selbst bestimmen. 😉

Die GrünenWas er, der Suchende, im Herzen getragen hat, wird jetzt enthüllt und somit zur Wirklichkeit. Egal, welchen Weg oder Umweg du gehst, kommst du unausweichlich doch dort an, wo du im Unterbewussten schon immer hin „willst“ – und zwar ohne es zu wollen, ohne zu wissen oder zu verstehen, was du willst. Der Fluss des Lebens, die atmende Psyche, jede sich immer wieder gebärende Körperzelle und alles in allem „der Geist“ unseres Gefühlssinns treiben unser jeweiliges Thema immer weiter voran und uns damit solange um, bis wir endlich an-, zu uns – und dann auch noch zusammen kommen! Doch was bedeuten dann der Gral, die Lanze, die „richtige Frage“, wenn nicht das, was uns immer schon beigebracht wurde von den altvorderen Oberhäuptern? Verwandeln wir ein Stück abendländischen Hierarchiezauber wieder in eine ermutigende Erlebensgeschichte und seien wir endlich die, die wir immer schon werden wollten – weil wir es längst sind!

„Oheim, was wirret dir?“ – Wir sind jedenfalls ein geiles Institut! 😀

Ausschnitte aus dieser Sendung sind auch im Artarium vom 22. September gut zu hören… Und unser Nachtfahrt-Kurzfilm-Portrait mit zeitlosen Statements ist ebenso sehenswert.

 

Dichterwerdung… (Norbert)

Stream/Download: Nachtfahrt der Perlentaucher vom Freitag, 9. August – Eine Sendung über die Faszination der Sprache, über das Dichten und immer noch dichter werdende Verdichten, über das Wachsen und Werden von Ausdrucks-Weisen – und überhaupt über uns und unsere Wortwelten, in die wir uns verliebt verlieren. Dichterwerdung ist dabei sowieso ein Ausnahmeausdruck, beschreibt doch gerade seine Doppelbedeutung jenseits sprachkünstlerischer Reifung oder schriftstellerischer Karriere eher einen Aggregatumstand zunehmender Innenweltverwandlung. Da sind Dichtheit und Dichtung also durchaus nicht nur etymologisch artverwandt, zumindest was die Veränderung des Wahrnehmens anbelangt. Was allerdings das schöpferische Einwirken auf seine Mitmenschen betrifft, da kann es dem Dichter ab einer gewissen Dichtheit schon zur Implosion geraten. Doch Dichtheit umgibt uns ja auch noch anderweitig. Daher diesmal mein Plädoyer für einen eher revolutionären Umgang – vor allem mit Sprache 😉

Abendkonsum„Das kann kein Film, kein Buch, keine Musik – und keine Droge – die Welt verändern.“ So tönen sie alle heutzutage, die damals die politisch-psychedelische Aufbruchstimmung mitgeprägt haben und mittlerweile wohlbestallt als Autobiographen, Ex-Terroristen, Musikkritiker oder Verlagsleiter ein Teil jener globalen Unterhaltungsindustrie geworden sind, deren Ausbreitung sie damals so vehement bekämpft hatten – und von deren reichlicher Dividende sie nunmehr so angenehm leben. Könnte ja durchaus sein, dass sie sich einfach haben einkaufen lassen. Dass sie sich ihre abgebrüht wirkenden Statements recht gut versilbern und vergolden lassen. „Das ist eben so. Die ganze Welt ist ein Markt. Man muss halt schauen, dass man im Geschäft bleibt. U.S.-Imperialismus, Coca-Colonialization, die kulturelle Hegemonie, ein Naturgesetz.“ Mediale Präsenz, Umsatzzahlen und Einschaltquoten, marketingmechanisch werbungskünstliche Aufmerksamkeitserregung in einem Meer massenideologisch gleichgeblödeter Kaufkasperln, Konsumidioten, Kulturverbraucher. – Das sind doch genau die Parolen der herrschenden Wirtschaftsreligion – das ist doch die nächste „Big Lie“ nach Augustinus, Luther und Goebbels – dass nämlich die Welt als Ganzes „endverbrauchbar“, also auftragsgemäß aufzufressen sei. Und Mahlzeit!

OpferweisheitDoch drehen wir den Spritz einfach wieder um – ins Majim. Wie sagt das alte jüdische Sprichwort und Motto der in Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrten Listenschindler und Flüchtlingsverstecker: „Wer einen einzigen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt.“ Und seien wir uns ehrlich – haben die nicht auch die Welt verändern wollen? Denn wenn nicht, dann hätten sie ja wie viele andere in der Mitte der Gesellschaft auch brav Ja, Amen und Heil Hitler gesagt und weiter mitgemacht bei der Ausrottung der Andersseienden. Es gibt kein menschliches Werk – egal ob in Taten, Worten oder Liedern (geschweige denn Filmen) – das von irgendwelchem Interesse sein könnte, nämlich im Sinne einer Beförderung der Entwicklung zur Menschlichkeit – außer ein solches, das aus dem elementaren Verlangen nach Veränderung der Welt entstanden ist. Kein menschliches Werk ist von irgendwelchem Wert für seine Mitmenschen – seien es Zeitgenossen oder kommende Generationen – das nicht aus dem tiefen Bedürfnis nach Veränderung der bestehenden Verhältnisse zum Friedlicheren, zum Gerechteren – also zum Besseren – geboren ist. Diesen Umstand abzulehnen, auszublenden, ihn durch welche Verdrängung auch immer zu verneinen – ihn durch bloße Nichterwähnung außen vor zu lassen – das ist im Grunde schon ein Kapital(aha!)verbrechen – nämlich das Verbrechen des Verschweigens.

VerwandlungWenden wir den obigen Spruch doch einmal auf die Motivation zum Kunstschaffen – und auf die Motivation zum Kunstgebrauch an – dann würde er wohl heißen: „Wer eine einzige Welt (etwa die eigene) verändert, der verändert auch die Welt im Ganzen.“ Wer also dichtet, singt und spielt, sich selbst auf- und anderen etwas vorführt, um so die Welt zu verändern, der verführt seine Leser, Hörer und Zuschauer ebenfalls dazu, in eine sich verändernde Welt einzutauchen – und ihre eigene Welt als durchaus veränderbar zu verstehen. Und dieser Prozess vermag den inneren Wert von Veränderung auch in die Welt da draußen zu befördern. Da ist nämlich kein Unterschied zwischen Innen- und Außenwelt – und es gibt einen direkten und kausalen Zusammenhang zwischen Phantasie (der Vorstellung von der Welt, wie sie sein könnte und eigentlich sein sollte) und Realität (der Wahrnehmung unserer gemeinsamen Welt, wie sie durch handelnde Personen gestaltet wurde) – auch wenn das Gegenteil dessen andauernd und mit aller verfügbaren Geldgewalt wiederkäuend behauptet wird, ein Umstand, der übrigens keine Aussage jemals „wahrer“ gemacht hat – allerbestenfalls „geglaubter“ – bis hin zur alternativlosesten Mehrheitsfähigkeit.

 

Dichterwerdung und Sprachfaszination (Chriss)

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. August verdichtet sich zu einem dichten Gedicht, welches die Dichtheit der Sprache auf dichterische Weise abdichtet und sich fasziniert von den schier unendlichen Möglichkeiten der Dichtung in eine Textase stürzt, die dichter nicht sein könnte! Zumal es endlich wieder an der Zeit ist der Sprache zu huldigen und sie gleichzeitig in ihre Einzelteile zu zerlegen, neu zu formen, sie umzugestalten und kreativ mit Wörtern zu spielen! Also, willkommen im Einmachglas der Möglichkeiten! 😀 

blätterfallenWir wachsen so selbstverständlich mit der Sprache auf, dass uns teilweise gar nicht mehr auffällt, wie zauberhaft und magisch sie sein kann. Sie kann Welten öffnen -fantastisch und traumhaft; sie vermag es aber auch uns zu verletzen, hässlich zu sein, widerlich und ekelerregend. Sie ist unendlich weit, farbenfroh und so facettenreich; dennoch stoßen wir hin und wieder an ihre Grenzen. Sprache kann wirklich sprachlos machen. Manchmal verschlagt es uns die Worte, wir können nichts mehr sagen, bringen keinen Satz mehr hervor, als hätten wir verlernt zu sprechen…

Ich als Dichter lebe von ihr. Ich liebe und ich hasse sie; und bin auf sie angewiesen. Es ist schon merkwürdig wie ein Wort den Sinn eines ganzen Satzes verändern kann. Es ist ein ständiges Abwiegen, ein andauerndes Überlegen und Feilen, eine Arbeit, eine Beschäftigung, die niemals aufhört, immer weiter geht. Ich bin im Bann der Worte. Und kann doch über sie bestimmen! Ich glaube, es ist eine Art Symbiose. Ohne Worte könnte ich nicht meine Gedanken nieder schreiben und ohne mich blieben sie nur seltsame Hieroglyphen…

Ich werde versuchen mich der Sprache anzunähern, doch sie wird sich mir wohl nie ganz erschließen. Es ist ein Mysterium, genauso wie die Zeit. Sprache verbindet und Sprache unterscheidet. Sie stiftet Missverständnisse und schließt Freundschaften. Sie lebt und verändert sich unaufhaltsam. Genauso wie wir Menschen, denn wir lassen sie erst lebendig werden, hauchen ihr Magie ein und sollten sie auch vor Verfall und Zersetzung bewahren. Denn ich glaube immer noch und mehr denn je, dass Worte zaubern können.

 

Woher Wohin (Chriss)

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli begibt sich auf die Reise. Wiedereinmal und umso mehr. Es wird Zeit aufzubrechen, wegzugehen, sich selbst kennenzulernen. Es wird Zeit sich zu fragen: „Wer bin ich und wo komme ich her?“ Wir begeben uns auf die Suche nach unseren Wurzeln, unseren Ursprüngen. Und dies sicherlich nicht ohne ein Augenzwinkern 😉

Meine Reise begann eigentlich mit dem Gedanken an dieselbe. Zunächst war es noch der Jakobsweg mit seiner Jahrhunderte alten Tradition des Pilgerns. Ich merkte, dass ich meinen eigenen, ganz persönlichen Weg zeichnen wollte, der auch wirklich etwas mit mir zu tun hat. Und so fing ich an eine Route zu planen, die mich zu besonderen Orten, zu heiligen Orten der Kelten führen sollte. Doch drei Wochen alleine, zu Fuß? Innerlich stellten sich mir die Haare auf und ich änderte schließlich abermals meine Pläne… Eine Reise verwandelt sich in viele Besuche, in ein- und mehrtägige Ausritte in die Natur und zu Plätzen denen seit jeher eine besondere Bedeutung innewohnt. Ich werde auf alten Pfaden wandern, sehen was Generationen vor mir sahen. Ich werde ein Wanderer sein. Ein Wanderer der mit neu geöffneten Augen durch die Welt schreitet und immer auf der Suche bleibt.

Wer?Ich fühle mich lose. Irgendwie heimatlos. Ich weiß nicht wirklich wer ich bin, was ich hier eigentlich zu suchen habe, wo ich hin gehöre… Ich beginne gerade mich auf die Reise zu machen… Ich will weg! Weg von Salzburg! Weg von Zuhause! Weg von den Straßen, deren Namen ich kenne! Weg von den Gebäuden, deren Anblick mich anwidert! Weg von den barocken Kirchen, Lustgärten und den ewig-gestrigen maskierten Nazis, die alles Andersdenkende versuchen auszurotten! Ja, mir ist schon bewusst, dass ich mich diesen Mechanismen und gesellschaftlichen Standards nicht völlig entziehen kann, aber ich muss raus! Ich möchte andere Landschaften sehen, andere Leute und Dialekte kennen lernen. Ich möchte zumindest temporär fliehen. Und sei es nur für einen Tag…

Wohin?Also, wohin geht die Reise? Jetzt, da sich mir ein ungeahntes Zeitfenster anbietet, in dem ich unabhänging sein und frei gestalten kann. In dem keine Pflicht ruft und niemand sich die Chef-Krone aufsetzt und anschaffen lässt. Keine tagtägliche  Selbstvergewaltigung in die lohnbüroarbeitsabsterbenden Räume einer unmenschlichen Welt, sondern befreit atmen und Gedanken verdichten zu leuchtenden Farben, die mich in das Jetzt des nächsten Augenblicks rufen! Doch wohin werde ich gehen? Eigentlich egal… Der Weg ist das Ziel. Oder wie der chinesische Philosoph Lao-Tse sagte: „A good traveller has no fixed plans, and is not intent on arriving.“

woherDenn Pläne müssen sich ändern dürfen! Wenn man zu sehr an einer Vorstellung oder einem Konzept festhält, erstarrt man und wird unflexibel, unbeweglich, unvorbereitet auf Dinge die man nicht beeinflussen kann! Und im Endeffekt bleibt man enttäuscht auf dem kalten, nassen Boden der Erkenntnis sitzen… Wenn man allerdings die Planung etwas lockerer und offener angeht, sich einlässt auf Neues und vielleicht alles Bisherige auf den Kopf stellt, können sich einem Bilder, Begegnungen und Abenteuer eröffnen, die man niemals erahnt hätte. Ich halte die Naivität des Kindes sehr hoch und wenn ich durch eine Stadt gehe, öffne ich Augen, Ohren und Hände für die kleinen Details, die unbeachteten Facetten, die schwer wahrnehmbaren Zwischentöne, die Energie der Bewegung, das Unerwartete. Ich bleibe im Fluss, der sich stetig wandelt, der sich immer verändert. Ich bleibe unterwegs. Ich höre nie auf zu wandern. Ich höre nie auf zu entdecken. Ich höre nie auf zu suchen.

Meine Reise begann eigentlich mit dem Gedanken an dieselbe. Und mit meiner Auseinandersetzung mit mir selbst und meinem Leben, meiner Herkunft, meiner Zukunft. Ich schrieb einen Text und erkannte etwas sehr wesentliches: Je weniger ich weiß woher ich komme, desto weniger weiß ich wohin ich gehen möchte. Und dadurch bleibt mein „Eigentliches Ich“, der Mensch in mir, der nur darauf wartet geweckt zu werden, weiterhin im Dunkeln. Ich mache mich also auf die Suche nach meinen Wurzeln, meinem Stamm, meinen Ästen und Blättern, und folge unsichtbaren Wegen, die mir ein tieferes Verständnis für Mutter Erde lehren, eine tiefere Verbundenheit zur Natur zeigen, eine tiefe Bejahung meiner Selbst befördern und mich erkennen lassen, dass ich lebe.