Woher Wohin (Norbert)

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli – Das Triumvirat der Möglichkeitsformen begibt sich auf Reisen und entspricht somit der Sommerszeit. Bombastisch überfrachtet mit Erwartungen von Glückseligkeit und Offenbarung muss diese allzu kurze Saison des Kurzärmeligen unsere sonstige Alltagsverhaftung und Eingesperrtheit mit nichts Geringerem kompensieren als mit – Freiheit. Jawohl, Freunde und Dinnen, jetzt wollen wir aber alles auf einmal und das bitteschön augenblicklich! Man gönnt sich ja sonst eh viel zu wenig und lässt sich auch meist allzu leicht in Sachzwänge und Betriebsamkeiten einteilen. Doch jetzt wird endlich gelebt, und zwar mit Vollgas! Der Ernst des Lebens kann warten – und zwar genau bis zum nächsten….. Wie bitte? Hallo Hamsterrad, Hamsterdam, Hamster denn ins Hirn gschissen? Wir wären jedoch nicht wir, wenn wir dem Konsumwichteltum nicht hinter seine gelackmeierte Grinsmaske zu schauen versuchten. Und da fängt das Abenteuer auch schon an…

Gußwerk, SteiermarkWer bin ich überhaupst? Und wenn nicht, wann dann! Kein Scheiß, es gibt einen tiefen Zusammenhang zwischen Unterwegssein und Selbsterkenntnis. Zwischen dem „sich selbst in anderen Situationen als den üblichen gewohnten erleben“ und der Möglichkeit, diese Erfahrung als Spiegel der eigenen Persönlichkeit zu nutzen. Und es gibt darüber hinaus so etwas wie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den beiden Begriffen „woher und wohin“. Formulieren wir es einmal als These des Reisenden: Je weniger mir klar ist, woher ich komme, desto unklarer bleibt mir auch, wo es mich eigentlich hin treibt. Das wirkt sich dann allerdings wiederum auf mein Verständnis über mich selbst aus – je weniger mir bewusst ist, woher ich komme und wohin ich gehe, desto verborgener bleibt mir auch, wer ich etwa wirklich bin. Wir spielen mit diesen Ideen von Anfang und Ziel auch vor dem Sinnbild des gesamten Lebenswegs als einer Wanderung voller Visionen und Umwege, plötzlicher Wettereinbrüche, spontaner Abzweigungen…

Am Fuß des UntersbergsDenn das Wohin ist auf dieser Lebensreise oder einer Selbsterfahrungsfahrt nie so klar definiert wie etwa bei einem Urlaubsflug in den All-Inclusive-Club in Animateuer am Idiotischen Meer. Wir sollen das bloß alle glauben! Dass die Welt beherrschbar, berechenbar, bezahlbar und einklagbar ist. Und ja, kontrollierbar! Aber sicher doch, es gibt keine Unfälle und Krankheiten, nicht einmal behinderte Kinder. Es gibt auch keine Armut, nur Faulheit! Es gibt höchstens Hochglanzversprechen von der schönen neuen Welt – dazu viel zu viele, die einfach herumsitzen und darauf warten. Wenn wir jedoch aufbrechen, vom Erwartbaren Abschied nehmen und einen neuen Weg beginnen, dann kommen nicht nur wir in Bewegung, sondern auch unsere Umgebung. Und wenn wir das kreative Vakuum des noch Unbestimmten auf uns wirken lassen, dann können sich aus unseren Ideen auch konkretere Perspektiven entwickeln. Hier bekommen wir es also mit der anderen Seite zu tun, dem vertrauenden Weitergehen. Der Weg ist das Ziel…

Mondsee um 1960Doch wenn wir nicht wissen, woher wir kommen und wer wir sind, dann werden wir es viel schwerer haben, unsere Richtung zu finden. Wenn unsere Eltern etwa früh gestorben sind oder so traumatisiert waren, dass sie uns nur einen zurecht interpretierten Ausschnitt ihrer Gefühlswirklichkeit mitteilen konnten, dann fehlt uns schnell einmal die halbe innere Selbstwahrnehmung. Und damit auch die nötige Gelassenheit, unsere Gefühle und Bedürfnisse im Bedarfsfall deutlich genug wahrnehmen zu können. Es macht wahrlich den einen wesentlichen Unterschied im Leben aus, wie sehr man sich selbst von Anfang an spüren konnte und in welchem Ausmaß man dabei auch Aufmerksamkeit und Resonanz erfuhr. Dieser Mangelzustand betrifft allerdings den größten Teil der „zivilisierten“ Menschheit. Was einiges zu erklären vermag, aber noch nichts verändert, solange es uns nicht mehrheitlich bewusst wird. Doch wir arbeiten daran! Wir sind freiwillig seelenverwandt. Im Fluss des Lebens entsteigen wir dem Land… 😉

 

Musique

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. Mai – Freihändig assozierte Musik und Textbeiträge oder auch: Ich zeig dir meins – du zeigst mir deins. Das wollten wir wieder einmal erleben – einander vorlesen und vorspielen, was uns so beschäftigt, begeistert, bewegt. Vor allem beim Wiederhören unserer ersten gemeinsam gestalteten Nachtfahrt „ZwischenInsel Poesie“ spürten wir so eine unbefangen schöne Spannung zwischen den Zeilen. So etwas Ähnliches wollten wir eigentlich noch einmal entstehen lassen – doch geht das überhaupt, nach fast zweieinhalb Jahren, zusammen unterwegs, im Radio, auf Reisen? Wie lässt sich das anfängliche Faszinosum ängstlich aufgeregten Kennenlernens abermals aufgreifen und mit der inzwischen gewachsenen Vertrautheit in spontanen Doppelconferencen verschmelzen? Eine Frischhaltepackung!

geschmückt für die nachtMusique – das Musische. Die anregende Inspiration. Der ätherische Kuss. Das beinah schon Unspürbare. Und dennoch unafhaltsam sich manifestierend gewinnt da etwas Gestalt und tritt schließlich hinaus ins Leben, in die Nacht, in die Welt. Verführen wir einander zu neuen Ideen und ergehen wir uns in überraschenden Bildwelten. Verdichten wir Augenblicke zu Ewigkeiten und lassen wir ebenso schnell wieder los, um zum nächsten Ufer aufzubrechen. Vergehen wir im Verweilen, springen wir von Stein zu Stein und sammeln wir Eindrücke für unser Lagerfeuer. Wärmen wir uns im silbrigen Mondlicht und lassen wir uns vom dunklen Fluss forttragen. Vertrauen wir der steten Verwandlung, fassen wir uns an den Händen – und ein Herz für die stürmischen Zeiten, die unsere Strände umbranden. Leisten wir uns den Urlaub vom Gewohnten, brechen wir auf, fahren wir los, leben wir…

literatur und politikMusique – das Unfass- und Unberechenbare. Das ist dann in keinem Subventionsansuchen zu rechtfertigen und in keiner Weise systematisch dingfest zu machen. Und wie es nicht passender sein könnte, fällt mir anlässlich der unlängst stattgehabten Wiedereinschwärzung unserer Salzburger Landesregierung dieses Sonderheft des Vereins für Politik und Zeitgeschichte der steirischen ÖVP in die Hände. Es stammt aus dem Jahr 1988, widmet sich dem Thema „50 Jahre Anschluss 1938“ und lässt ausgewiesen gesellschaftskritische Autoren wie etwa Michael Scharang zu Wort kommen, der die Einladung zum Mitgestalten folgendermaßen quittiert: „Ich höre weg, wenn von sogenannten Aufgaben gesprochen wird, welche die Literatur erfüllen soll. Ein Schriftsteller ist nicht der Erfüllungsgehilfe von Oberlehrern. Könnte Literatur jedoch hin und wieder erreichen, dass den Politikern das Lachen vergeht, würde ich mich dazu hinreißen lassen zu sagen, sie habe ihre Aufgabe erfüllt.“ Derartiges ist allerdings vor allem von Seiten der Herausgeber mutig! In dem Zusammenhang ist nicht unwitzig, wie ich diesen Band einst „erwarb“ – der wurde nämlich vor einigen Jahren von der Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek (ÖVP Salzburg) zur Abholung als Altpapier aussortiert.

marsch blasen!Musique – die Musik! Kräftig den Marsch blasen – und gut zu hören. Denn was uns da dieses Mal in der Playlist widerfährt, das vereint die beiden Aspekte unserer ursprünglichen Idee, dass wir einander überraschen wollen mit Altgewohntem wie auch mit Neuentdecktem. Nur langweilig soll – und wird es auch – sicher nicht werden. Unsere Stimmungen sind wohl nach wie vor geprägt von dem, womit wir uns in den letzten Wochen beschäftigt haben, zumal von der Gedenksendung 75 Jahre Salzburger Bücherverbrennung. Das wirkt sich natürlich auf die Auswahl der von uns selbst gelesenen Texte wie auch der Musiktitel und sonstigen Spoken Word Beiträge aus. Doch weil wir hier eben eine ganz eigene Art von Sendung machen, dürfen und sollen sich unsere Gefühle auch aufführen und einmischen. Wir sind nämlich nach wie vor ein geiles Institut – und somit auch sehr gut zu spüren! 🙂

 

Déviation Erotique

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom 8. März – Wir würdigen den Weltfrauentag mit einem sehr eigenen Höhepunkt 😉 Wir erinnern uns an die einst selbstverständliche Solidarität der verschiedensten Emanzipationsbewegungen zur Zeit der „sexuellen Revolution“ Mitte der 70er Jahre. Der längst überfällige Kampf um Ebenbürtigkeit und Entvormundung in unseren patriarchal-hierarchisch verfassten Gesellschaften vereinte die Frauenbewegung irgendwie unausgesprochen mit anderen prononciert progressiven und gesellschaftsrevolutionären Gruppen wie etwa der damals noch alternativ-avantgardistischen Schwulenbewegung. Heute erwachen wir plötzlich in einem erschreckend biederen Diskurs über Frauen in Führungspositionen und homosexuelle Lebenspartnerschaften. Wollen wir jetzt nur noch die Wirtschaftsmacht und eine möglichst katholische Ehe? Wie könnten wir das gute alte „SISTERS UNITE!“ augenzwinkernd UND ernstgemeint über die (Gender?) Grenzen hinweg wiederbeleben?

DSCN8038„Zwei Geschlechter wohnen, ach, in meiner Brust“ oder „Halb zog es ihn, halb sank sie hin“. Zitat-Adaptionen, die uns nicht so wirklich befriedigen können bei dem Spannungsbogen, der sich da zwischen und in uns auftut. Eine Synthese schaffen aus alternativen Sexualitäten und Frauenemanzipation – noch dazu in nur 3 Stunden – wie soll das denn funktionieren? Mit deiner Phantasie, du Lulu! Im Zweifelsfall fragen sie ihre großen Schwestern. Und siehe da, *tätärätääää* Patti Smith, eine der ersten E-Gitarre spielenden Frontfrauen der Rockgeschichte und seit ihren legendären Auftritten (und Ausritten) im New Yorker CBGB’s zudem eine Godmother of Punk, hat uns schon vor Jahrhunderten 😀 ein sinnstiftendes Gedicht vermacht, welches wir auch diesmal gern heranziehen wollen, weil nämlich Gutes gut ist und bleibt und sich auch beim wiederholten Zitieren nicht abnützt! „Female Feel Male“ war schon einmal Nachtfahrt-Sendungsthema – jetzt gibt uns das wunderbare Wortspiel dieser Titelzeile Gelegenheit, unseren Übergang vom Freiheitsfest der weltweiten Weiblichkeit hin zu den erotischen Emanzipationsbedürfnissen der männlichen Inwendigkeit zu strukturieren…

DSCN8132Und so wollen wir auf die Suche gehen nach dem Nichtunterdrückten und dem Nochzubefreienden in uns selbst – und spiegelbildlich in der uns umgebenden Gesellschaft. Denn wie hat es Arno Gruen schon in seinem ersten bekannten Buch „Der Verrat am Selbst – Angst vor Autonomie bei Männern und Frauen“ geradezu hellsichtig auf den springenden Punkt gebracht: „Die in gesellschaftlicher Unterdrückung lebenden Eltern geben in ihrem Bemühen um Anpassung an die herrschenden Sachzwänge ihre eigene Unfreiheit unbewusst an ihre Kinder weiter.“ An dieser Formulierung erweist sich wieder einmal etwas ganz Grundlegendes: Emanzipation im Sinne von gemeinschaftlicher Selbstfreisprechung aus manipulativen Machtstrukturen ist eine Notwendigkeit, die uns im Wesentlichen alle beschäftigt. Und zwar nicht nur die tatsächlich um ihre selbstverständlichsten Rechte betrogenen Opfer dieser strukturellen Gewalt, sondern sogar auch die Systemprofiteure der von ihnen selbst (aber mit unserem Schweiß, unserem Leid, unserem Geld – mühsam 🙁 aufrecht erhaltenen ungerechten Herrschaftsverhältnisse. Nun, unser Mitgefühl mit diesen angemaßten Autoritätern ist insofern endenwollend, als die meisten Representant_innen (jawohl!) des etablieterten Ausbeutungsbetrugs sich ja auch weigern, ihren eigenen Empfindungen ehrlich gegenüber zu treten. Mitgefühl im Kontext emotionaler Abspaltung – schwierig…

DSCN8069Emanzipation ist eben eine Initiative, die von unten ausgeht und aus eigenem Betroffensein heraus die Dinge selbst in die Hand nimmt, um so die ungerechten Verhältnisse möglichst nachhaltig zu verändern. Das braucht einen langen Atem – und viel Phantasie, denn die „Herrschaft“ verändert ihr Auftreten und Aussehen ja auch andauernd! Zudem erfordert es Mut und Verwegenheit, um bestehende Grenzen zu überschreiten, hergebrachte Gebote zu übertreten und angeblich seit Urzeiten allgemein anerkannte Vorstellungen von Sitte und Zucht, Ordnung und Moral, Ruhe und Anstand (oder wie immer sonst die derartigen Gummikategorien jeweils heißen mögen) ihrer gedeihlichen Verkompostierung im Zuge einer fröhlichen Menschwerdung zuzuführen. Was also können wir zwei Liebestypen dazu heute beitragen? The Female – jene Frauen, bei deren Auftreten uns das Freilandherz im Gefühlsleib herum hüpft. The Female Feel – jene Männer, die eine speziell androgyne und/oder einfühlende Haltung verkörpern. Und schließlich The Feel Male – jene Musen, bei deren bloßer Anhörung uns die Amygdala feucht wird und die Hypophyse anschmilzt 🙂 Also drei Stunden befriedigende Selbstbefreiung, Brüderinnen und Schwesteriche…

Und wers doch gern noch etwas tatsächlicher-weiblicher haben möchte – am Sonntag gibts die Missfits im Artarium! Gnadenlos, versprochen 😛

 

Christgsindlmarkt

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Dezember – Die etwas andere Herbergsuche zwischen Hektik und Stress. Vier eilige Könige entsteigen dem Hamsterrad der Adventszeit und eröffnen Ausblicke ins Innenleben. Vier Stunden Musik/Text-Dramaturgie mit launigen Gesprächen, Geschichtenerzählen und gepflegter Hausmusik. Eine Zwischeninsel zum Luftholen und Untertauchen ins Meer unserer Erinnerungen und Assoziationen. Ein Versuch, dieser emotional verdichteten Jahreszeit voller Adventevents und Familienfeiern doch auch etwas von dem abzugewinnen, wonach wir uns jetzt alle eigentlich am allermeisten sehnen: Zeit! Zeit für uns selbst, Zeit für einander, Zeit zum Innehalten, zum Spüren, zum Wahrnehmen. Bald ist wieder Wintersonnenwende, die längste Nacht des Jahres, der alljährliche Totpunkt unseres Lebens – und da sollten wir nicht zuallererst einmal in aller Ruhe  – einkehren?

Eventkalender! Als Kinder sind wir einfach in diese wundersame Weihnachtswelt eingetreten, voller naiver Zuversicht und in unserem Vertrauen immer auch beschützt vom Zauber des Anfangs. Wir haben uns aufgemacht – doch was ist uns davon geblieben? Nur Erinnerungen, um später ungestört darin zu leben?

Männer haben Muskeln,
Männer sind furchtbar stark,
Männer können alles,
Männer kriegen ’nen Herzinfakt,
ohh Männer sind einsame Streiter
müssen durch jede Wand, müssen immer weiter.

Männer habens schwer, nehmens leicht
außen hart und innen ganz weich
werden als Kind schon auf Mann geeicht.
Wann ist ein Mann ein Mann?

(Herbert Grönemeyer – Männer)

Eventsingen! Wer sind wir – in dieser Zeit? Die Jugend kommt über uns mit neuen Eindrücken und inspiriert zum Ausprobieren. Hinaus ins Abenteuer, singen, lieben und auch Krampus jagen! Parallel dazu Schulalltag und Familienleben. Werden wir vielbeschäftigt im Wettlauf ums mehr – oder verlieren wir uns zwischen den Leben?

I am a little tired
So please don’t get me wrong
It’s not that I don’t want to stay
It’s not that I can’t hear
The sound of the bells and the …
But .. we just begun
You are the reason why I came here
Now I got this look upon my face
You say the night is young and so are we
Give me a kiss or tell me
What lies so heavy on your chest

(Ghost of Tom Joad – Snow in the Summertime)

Eventkrampf anzünden! Zum ersten Mal nein sagen und Weihnachten in seiner bisherigen Form verweigern. Mit neuen Freunden in die noch unbekannte Welt der Philosophantasie eintauchen und die Nacht jenseits der Würstelsuppe entdecken. In der Früh dann zu Fuß noch nicht nach Hause! Für mich leben – in der Zwischenzeit?

Und all deine Hoffnung und deine Taten, sie sind nicht dumm –
nein, sie sind wunderschön.

Die Einsamkeit, die du fühlst zwischen vielen Menschen
ist die Unzufriedenheit mit dieser Welt.
Und die Wut über die, die nicht den Unterschied kennen
zwischen friedlich und befriedet.
Und all deine Tränen, sie sind wunderschön.
Und alles hat Sinn, jede Sekunde.
Nichts ist vergeblich, nichts ist verloren!
Wir sind am Leben, spür wie dein Herz schlägt!
Nichts ist vergeblich und nichts ist verloren!

(Früchte des Zorns – Nichts ist vergeblich)

Elementare Ereignisse! Die Nacht nach all dem Stille-Nacht-Feiern gehört dir allein. Alles schläft, einsam wacht – bist du da? Was wird sein am anderen Ende der Nacht, wenn du dir begegnst, gleichsam beschenkt und entblößt? Hast du dann Angst vor dem Schweigen des Lärms, vor dem Gähnen des Abgrunds, vor dir selbst? Hast du Lust, dich zu spüren und in ein neues Jahr zu springen, einen neuen Tanz zu vollführen, ein neues Bild anzufangen, mit einer neuen Idee ins Bett zu gehen, die dich liebkost und die du danach nie mehr vergessen kannst? Was also macht diese Nacht mit dir – was machst du mit ihr? Wer bist du – in deiner eigenen Zeit, wenn du sie dir selbst schenkst?

I swallow the sound and it swallows me whole
Till there’s nothing left inside my soul
As empty as that beating drum
But the sound has just begun

As I move my feet towards your body
I can hear this beat it fills my head up
And gets louder and louder
It fills my head up and gets louder and louder

There’s a drumming noise inside my head
That starts when you’re around
I swear that you could hear it
It makes such an almighty sound

(Florence + the Machine – The Drumming Song)

 

the soul is a bird (chriss)

Podcast/Download: Die Nachtfahrt vom Freitag, 14. September macht sich in einer 4-stündigen Reise auf ins Herz der Finsternis, durch die Urwälder der menschlichen Seele, hinab in die tiefen Wasser des Geistes und hinein in die Ruinen der eigenen Furcht, dem eigenen Schatten… Ein Unterfangen inspiriert von Francis Ford Coppolas Film „Apocalypse Now“ und initiiert von Laurie Andersons Spokenword „The soul is a bird“. Mein Artikel wird ein Gedicht. Ein literarische Annäherung zum Thema. Eine poetische Auseinandersetzung mit mir selbst, euch, der Sendung und…

„Ich fühle etwas. Ganz tief unten, in mir. Ich kann es nicht wirklich einordnen. Ein unbekanntes, mir völlig fremdes Gefühl. Wie ein Lichtstrahl der aufblüht und in sich, um sich und mit allem eine sich drehende und pulsierende Kette aus Licht und mehr Licht bildet. Es dreht sich in mir. Es steigt auf. Durch meinen Magen, hinauf in meine Lungen, in mein Herz. Ich bebe- ganz in weiß gekleidet, hinter mir eine mit Scheiße beschmierte Stadt, ein mit Scheiße beschmiertes Leben und ich- starr, benommen. Die Wolken werden sich schwarz färben, Regen wird fallen, doch die Scheiße – klebrig, mit der Zeit hart geworden wie Stein – wird bleiben. Ich nicht. Ich werde fort gehen. Ein Land suchen, das nicht so derbe stinkt. Ich werde mich aufmachen, etwas, jemanden suchen! Und finden! Ich werde groß sein! Ich werde Gott sein! Ich werde Alles sein! Und Nichts! Gleichzeitig! Ich steige hinab vom Hügel der Kinderleichen, die diese Stadt ausgeworfen hat und mache mich auf. Wohin weiß ich noch nicht. Aber weg! Weg von dieser Stadt, diesem Leben, diesen Schmerzen, dieser Verzweiflung. Ich werde dem Flusslauf folgen oder den Stimmen der Wälder. Den Sternen am dunklen Morgen oder dem Licht…

Da bin ich also… Allein auf der Straße ins Nichts auf der ich mein Leben lang schon war, die mich vorran trägt und meinen müden Geist. Meine Gedanken sind Nebelschwaden und Rattennester, mein Atem ein verfaultes Stück Holz, meine Beine und Arme nur Auswüchse eines Geschwürs das sich Körper nennt. Meine Lippen vermögen es nicht einen anständigen Satz zu formen und meine Augen sind erlöschende Flammen. Ich sehe nichts. Ich schmecke nichts. Ich fühle nichts. Nur meinen Herzschlag – immer weiter trommelnd. Ich höre Stimmen in den Baumwipfeln die mir flüstern: „Jeder trägt ein Totes mit sich.“ Ich verstehe. Aber ich will nicht verstehen, ich will be-greifen! Ich möchte jedes Wort, jede Silbe mit meinen verdorrenden Händen fühlen, zerlegen, neu zusammensetzten, einen neuen Sinn stiften, eine neue Sprache finden… ICH will NEU sein! Das ist wohl der Grund wieso ich mich auf diese Reise begeben habe… Aber der Grund verändert sich, verwandelt sich, schwebt vor meinen Augen als Licht – so nahe und doch so weit entfernt. Ich versuche es zu berühren, doch greife ich ins Nichts. Ich taumle, falle zu Boden, stehe wieder auf, gehe weiter. Ich sehe Tempel – alt, überwuchert – gepfählte Fratzen die mich auslachen, einen Mann gekleidet in schwarze Seide. Er reicht mir die Hand. Er reicht mir seine Stimme. Er reicht mir sein Herz. Er reicht mir seine Seele. Ich nehme an und erkenne…

Ich liege nackt auf dem nassen Boden. Über mir flimmert goldenes Licht. Blätter fallen auf meine Haut- ein Atemhauch vergangener Träume. Ich spüre die Stille um mich herum und nehme sie an. Ich umarme die langsame Ruhe, das Schreien der Vögel, das Surren der Insekten, die Fühler der Ameisen. Ich bleibe liegen. Warte auf etwas, ohne zu wissen auf was. Ich weiß nur es wird kommen… Ich fühle die Schwärze die aufkeimt- ein Schatten des Waldes. Traumfänger. Wolfkind. Bärensohn. Rabenzauber. Trommeln. Trommeln. Trommeln. Schritte. Flügelschlagen der Nacht, der Bäume. Ein Vogel- eingesperrt in einen Käfig aus Knochen. Ich atme die Kälte. Einen dunklen Mund. Ein Kuss auf meiner Stirn. Ein Feuer brennt. Seltsame kosmische Trauer. Ich spüre mein Herz. Ich höre meine Stimme. Ich sehe mich selbst- vor mir stehend. Nur schemenhaft. Ein Schatten. Ich stehe auf. Ich sehe mir in die Augen. Hohle Löcher. Ich greife hinein. Ich küsse mich auf den Mund. Ich taste nach Leben, nach einem Grund. Finde nur Rauch. Ich stehe am Abgrund. Unter mir das tosende Meer. Wolken und Donner. Da sehe ich in der Ferne ein Gesicht, einen Lichtstrahl. Ich rufe einen Namen. Ich falle hinab. Sinke auf den Grund meiner Seele. Dort wo nichts ist und alles…“

Und von dort kannst du nur alleine zurückkehren. Jede Reise ist eine Reise zu dir selbst. Jede Schicht simplen menschlichen Daseins fällt weiter und weiter ab, bis du zu deinem eigenen Schatten kommst und mit ihm verschmilzt. Dann entsteht eine neue Sprache, eine neue Wahrnehmung. Dann be-greifst du dich und die Welt um dich herum. Wir sind nichts weiter als leere Hüllen, aus Kot geformt, die sich verkleiden um überhaupt existieren zu können. Und begreifst du das, erfährst du dich selbst –  in dir selbst, dann kann dein eigener Geist, dein eigener Gott, dein eigenes Herz wieder atmen. Und zwar frei von allen Giften und Waffen dieser Welt. Wir müssen uns lediglich fragen: „Wer sind wir. In Uns? Eigentlich?“

Und diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten. Ganz allein. Man muss sich trauen ins Herz der Finsternis zu gehen, den Fluss aufwärts, dorthin wo der eigene Schatten, der eigene Abgrund lebt und ihm gegenüber treten und – be-greifen!

 

The Soul is a Bird (Norbert)

Podcast/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom 14. September (Die 48. Sendung!) – Wir erleben ein vierstündiges Abenteuer frei nach Apocalypse Now und entwickeln eine Expedition ins Herz der Finsternis. Was erwartet uns nach der Begegnung mit unserem inneren Schatten? Und ist solch eine Selbsterfahrungsfahrt nicht auch als modernes Märchen erzählbar? Wir wagen den Versuch – wie immer mit kontrastierender Musik und kontroversen Texten – doch ohne „Moral von der Geschicht“. Die ist und bleibt ein offenes Ende UND jeweils der eigenen Phantasie überlassen. Das Schöpferische in uns will nämlich zur Geltung kommen – und soll dabei schön zweckfrei bleiben dürfen! Die Entstehung dieser Sendung könnt ihr also auch in den zwei Artarien „Apocalypse Solo“ und „Apocalypse Duo“ nachvollziehen. Der Weg ist das Ziel…

Es beginnt alles mit einem Auftrag. Und mit einem seltsamen Gefühl, dass hier irgendwas nicht stimmt. Nicht stimmen kann. Noch nie gestimmt hat. Irgendwie beginnen Anspruch und Wirklichkeit zunehmend auseinander zu fallen. Zunächst unmerklich, mit dem nagenden Unbehagen, das wir in Alkohol und Drogen aufzulösen versuchen, das wir immer wieder beiseite schieben, nur um weiter machen zu können. Dann wird es persönlicher, trifft uns im Versuch, einen Menschen zu lieben und eine Gemeinschaft herzustellen. Wir stellen fest, dass wir das Wesentliche, das uns im Innersten beschäftigt, nicht mehr kommunizieren können, womöglich noch nie kommunizieren konnten. Uns fehlen die Worte, dies alles auszudrücken, wir sind wie betäubt, erschlagen – und wir resignieren, geben auf, lassen den Verlust zu. Noch mehr Alkohol, noch mehr Drogen, wir sehnen uns zurück ins Abenteuer, zurück in den Kampf, zurück in den Dschungel. Doch auch der neuerliche Auftrag, der uns den Fluss hinauf schickt, ins Herz der Finsternis, jenseits der Grenzen des Vorstellbaren, erscheint seltsam ambivalent und in sich selbst unstimmig zu sein. Ja, wir wollen endlich Klarheit, wollen wissen, was das für ein Wahnsinn ist, an dem wir alle so selbstverständlich teilnehmen und der uns gleichermaßen von Grund auf korrumpiert. Ja, wir verspüren eine unausweichliche Ahnung, eine fast schon übersinnliche Gewissheit…

Das, was wir verloren haben, das, was uns fehlt, das, wonach wir schon immer auf der Suche sind, zumindest solange wir denken können, solange wir uns zurück erinnern – was ist das überhaupt? Es hat etwas mit dem Entdecken von sexueller Lust zu tun, damals als der Blitz einschlug bei der ersten intimen Berührung durch jemand anderen. Es ist nah verwandt mit den ersten Erfahrungen des Rauschzustands, mit jener euphorischen Entgrenzung im gemeinsamen Taumel von Trinken und Tanzen. Mit Verliebtheit und mit Küssen und mit dem ersten Joint im jungfräulichen Bewusstsein. Mit einem Sonnenaufgang in den Bergen nach einer durchwachten Nacht. Mit Motorradfahrten in unbekannte Landschaften, mit Sonnenuntergängen am Meer und unglaublich wohlschmeckenden exotischen Speisen in fremden Ländern – und mit dem Gefühl, ganz wo anders – unvermutet – eine neue Heimat zu finden. Diese feinen Funken beim Entdecken von etwas Neuem, dieses unvoreingenommen unschuldige Staunen in elementarer Begeisterung, sprachlos machende Naturgewalten, die über uns herein brechen und unser Bewusstsein nachhaltig verändern. Sex, LSD, ewiges Kind sein im Hier und Jetzt. Der multiple Orgasmus der Verschmelzung mit sich selbst und dem Weltall. Reine Natur. Das Sein an sich. Gott. Mensch. Leben…

Gibt es das überhaupt? Da war einmal was – und wir fühlen, dass es uns entgleitet, dass wir es eigentlich schon längst nicht mehr wiederfinden können – egal, wie viel wir trinken und wie sehr wir uns mit dem „immer mehr nehmen, haben, wollen, tun“ abmühen. Sex, Sex, Sex – langweilig. War das schon alles? Da muss doch noch – etwas? – jemand? – gewesen? – sein! – Ich? – Es? – Wir? – Wollen wir dorthin zurück, wo alles zugrunde ging, um zu verstehen, weshalb? Wollen wir begreifen, was – und warum uns das fehlt, um zu akzeptieren, dass es nun einmal so ist, und um uns damit abzufinden, uns einzurichten im Unvermeidlichen – das ist nun mal der Lauf der Dinge, unsere Vergänglichkeit? Oder wollen wir dorthin, weil wir „es“ zurück haben wollen? Müssen? Das Verlorene – ohne das wir nicht leben können – im eigentlichen Sinn. Nur vegetieren, funktionieren, als angestellte Auftragskiller einer Kolonialwarenwelt, die aus dem angeblichen Nicht(mehr)vorhandensein des ursprünglich Essenziellen gute Geschäfte macht – mit den Ersatzdrogen der Lust? Ist es nicht der blanke Wahnsinn, dass wir genau dasjenige nich mehr antreffen, nicht mehr wiederfinden können in dieser schönen neuen Welt des Fortschritts, des Wohlstands und der verwalteten Bedürfnisse, das uns zu Menschen macht, die sich auch lebendig fühlen?

Ist es nicht gerade das wesentlichste aller menschlichen Bedürfnisse, dass wir nicht nur versuchen, zu verstehen, warum und wie wir dieses Lebendigmachende überhaupt verloren haben, sondern auch mit aller Kraft versuchen, es wieder zu finden, es wieder herzustellen und es dann wieder und wieder anzuwenden? In einem solchen Augenblick umfassender Klarheit haben wir mit dem etablierten Wahnsinn gebrochen, sind ausgestiegen – und haben uns von den Betreibern dieser betrügerischen, psychopathischen, verbrecherischen Weltkonstruktion losgesagt. Wir sind aufgebrochen in dem Versuch, uns so weit als nur irgendwie möglich davon zu entfernen. Seither verfolgt uns ihr „moralischer Terror“ als unser schlimmster Feind. Gibt es noch eine andere Lösung, als deren Wahnsinn verinnerlicht widerspiegelnd im Untergang zu versinken – von sich selbst und überhaupt allem?

Eine mögliche Verwandlung – einen Übergang – eine neue Sinn-Stiftung?

Die Selbst-Erfahrung ist eine Fahrt nach innen, eine Reise zu sich selbst, hinter die Ideale und Vorstellungen, wo Schicht um Schicht alles von einem abfällt – bis man auch dem eigenen Grauen ins Gesicht sieht. Zurück kommst du von dort immer allein! Ist nicht hinter der größten Angst und inmitten der tiefsten Verstörung, dort, wo nichts mehr anderes ist als Leere, Schicksalsergebenheit, das Ende von allem – ein neuer Anfang, eine Grenzüberschreitung – der Dreh- und Angelpunkt wirklichen Lebens?

 

Love and Desperation (Norbert)

Podcast/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Juli spannt einen weiten Bogen zwischen den scheinbar so widersprüchlichen Polen von Liebe und Verzweiflung. Sind das wirklich so extreme Gegensätze? Wenn unsere Liebe Erfüllung findet, dann ist der Endsieg der Seligkeit ein für alle Mal errungen. Und wenn unsere Liebe Enttäuschung und Verlust zeitigt, dann stürzen wir unweigerlich in den Untergang unserer Ideale. Liebe oder Tod? Gewinn oder Verlust? Zufriedenheit oder Zugrundegehen? Sind wir dermaßen gehirngefickt von der uns umherrschenden Ideologie der Nutzbarmachung, Besitzbarmachung, Verwertbarmachung jeglicher Lebensregung? Sind wir dem Schwindel von der Selbstverewigung durch Anpassung und Erfolg bereits vollständig verfallen? Sind wir die Glücksjunkies des 21. Jahrhunderts?

Nun ja, vor nicht ganz 2 Wochen musste ich auch von meiner Tante Elfriede Mader Abschied nehmen, die ein sehr wesentlicher Mensch für mich gewesen war. Sie hatte schon sehr früh meine eigenwillige Kreativität und Sprachbegabung entdeckt und nach Kräften gefördert, sowie mich dann auch ein ganzes Leben lang gegen gewaltsame Vereinnahmungen durch die allzu Angepassten und dem Durchschnitt, der Normalität Hörigen in Schutz genommen. Ihr Tod trifft mich als ein umfassender Verlust – nicht nur an menschlicher Wärme und Zuneigung, sondern auch an meinem Grundgefühl von Geborgenheit und Vertrauen. Es ist eine ebenso subtile wie nachhaltige Erschütterung meines gesamten Erlebens, wie ich mich in der Welt befinde – und wie ich mich den Eindrücken dieser Welt gegenüber verhalte. Manchmal fühle ich mich den Menschen in meiner Umgebung plötzlich ganz und gar schutzlos ausgeliefert – und meine verwirrten Empfindungen brauchen viel länger als sonst üblich, um die wohlmeinenden von den böswilligen Exemplaren zu unterscheiden. Ich möchte mich oft am liebsten verkriechen – und warten, bis jemand kommt und mir die wackelige Welt wieder zurecht rückt…

Und selbst inmitten der großen Liebe macht sich die Verzweiflung breit. Sie wohnt ganz nahe beim Lebendigen, sitzt mit ihren Verwandten Mutlosigkeit, Trauer und Wut am Tisch unseres Herzens und zieht einen dunkelgrau trüben Vorhang über die Früchte des Vergnügens. Sie ist düster, staubig und verraucht, aber nicht gleichmütig oder deprimiert. Sie ist voller Zorn und Zweifel und verhindert sich doch selbst beim Versuch, sich auszudrücken. Sie plappert pausenlos vor sich hin, schimpft, spuckt und grantelt, doch nie von den eigentlichen Themen, sondern immer irgendwie drum herum. Die Verzweiflung als eine hochtourig am Stand laufende Maschine zur Energievergeudung, gespeist aus der Begegnung mit unentrinnbarer Endlichkeit und der Gefährdung durch unverrückbare Vergeblichkeit. Wir könnten jetzt, um sie wieder los zu werden und um uns zu erleichtern, entweder uns selbst oder andere verletzen, etwa indem wir sinnlos herum streiten oder auf  Schwächere losgehen. Doch das ist unsere Art nicht, dazu haben wir einfach zu viel Glück im Unglück, dazu sind wir – auch und gerade im Angesicht des Todes – zu lebendig. Also versuchen wir einen anderen Weg zu gehen, einen unserem Wesen entsprechenderen:

Besinnen wir uns auf das Wesentliche! Was hat uns bisher – und immer wieder – am tiefsten bewegt? Womit beschäftigen wir uns – schon seit der Entdeckung unserer Eigensprachlichkeit? Und welche Themen haben uns jetzt und hier – in all unserer Zerbrechlichkeit – zusammen geführt? Ist es nicht die tiefe Erfahrung von Leid und Unrecht, wenn wir erleben, wie besondere Menschen, Individualisten, Künstler und Tagträumer von gedanken- und gefühllosen Gruppen, von unmenschlichen Ideologien und Machtsystemen ausgegrenzt, herabgewürdigt und misshandelt werden? Und ich meine hier gar nicht die chinesische oder syrische Militärdiktatur. Ich spreche von unseren Salzburger Schulen, von unseren Kirchen, Parteien und Vereinen. Von unseren Freundeskreisen, Nachbarschaften und Verwandten. Und ich spreche ganz klar von unserer geldhierarchisch gegliederten Gesellschaftsordnung, von der Erfolgsdiktatur und vom Leistungsterror unseres menschenverachtenden Wirtschaftssystems, vom massenblödial gefühlsabspaltenden Konsumwichteltum des Mozartkugelfaschismus, vom gutbürgerlich maskierten Plünderungsfeldzug am Gemeinschaftseigentum, vom Verprivatisieren des Öffentlichen Raumes durch die Besitzbesatzer und ihre Amtskomplizen. Ich spreche vom Schrecken und von der Ungeheuerlichkeit all dessen, was uns tagtäglich als vorgeblich unabänderliche Normalität umbrandet und umtost, in die wir uns angeblich ohne Widerspruch und ohne Rücksicht aufs eigene Wohlergehen gefälligst einzufügen hätten. Et cui bono?

Wir alle, die wir noch eine Stimme haben, können sie erheben – gegen das Vergessen und Verdrängen – und gegen die Verblödung unserer Umwelt. Wir alle, die wir noch zum Mitgefühl fähig sind, müssen unsere Wahrnehmungen mitteilen – und zum Gegenstand öffentlichen Gesprächs machen – für all jene, die üblicherweise an den Rand gedrängt, zum Opfer gemacht und ihrer Würde beraubt werden. Für all jene, die sonst für immer zum Jasagen oder zum Schweigen gebracht würden. Und natürlich auch für uns selbst, denn unsere Verzweiflung ist nur die dunkle Schwester unserer Liebe – und sie wohnen eben beide in unsen Herzen! Bleiben wir lebendig…

wie lange noch

wie lange noch
werde ich alles hinunterschlucken
und so tun
als sei nichts gewesen

wie lange noch
werde ich auf alle eingehen
und mich selbst
mit freundlicher miene vergessen

wie lange
müssen sie mich noch schlagen
bis dieses lächerliche grinsen
aus meinem gesicht fällt

wie lange noch
müssen sie mir ins Gesicht spucken
bis ich mein wahres
zeige

wie lange
kann ein mensch
sich selbst nicht lieben

es ist so schwer
die wahrheit zu sagen
wenn man gelernt hat
mit der freundlichkeit zu überleben

peter turrini

PS. Ich empfehle überdies, auch die feinen Gedanken vom Chriss zu diesem Sendungsthema zu lesen 😉

FAULE EIERN (Norbert)

Podcast/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. April versammelt vergammelnde Reste von Ostern und Vorvorgestern. Der Grundgedanke war ja eigentlich, dem christlichen Auferstehungsritual mit dem Stellwagerl der humoresken Aufklärung so richtig ins theo(?)logische(??) Angesicht zu fahren. Voller Vorfreude sammelten wir allerlei Absurdes, Anzügliches und Ausgezucktes rund ums Thema und bereiteten uns auf ein frohes Schlachtfest der Dogmen und Traditionen vor. Doch dann rauchte uns ein Computer nebst Festplatte ab und begrub so die gesamte zeitgerecht angefangene Arbeit im Urbi et Orkus des Digitalnirvana.

Doch wir wären nicht wir, wenn wir nicht noch aus den finstersten Fehlschlägen etwas noch Feineres und Fröhlicheres zusammen klopfen könnten. Wir sind nämlich die Liebe und „Today Is A Good Day“ 🙂 Guten Morgen! Noch dazu haben wir liebe Freunde, die der Begriffswelt des Glaubens an und für sich sehr positive Seiten abgewinnen können. Und seien wir uns mal ehrlich, das wäre doch auch ein recht faules Herumeiern geworden und der uns beiden nun einmal innewohnenden Vielschichtigkeit nicht wirklich entsprechend. Leiden ist Extremsport, egal zu welcher Jahreszeit. Und Passion kann man durchaus mit Leidenschaft übersetzen. Jesus war auf jeden Fall ein faszinierender Anarchist oder, wie Ewald Gerhard Seeliger in seinem Handbuch des Schwindels ausführt, „der erste richtigdenkende Mensch, der seinen Jüngern die von ihm selbst gefundene Wahrheit mitteilte und sie dann aufforderte, zu allen Völkern die Wahrheit zu sprechen.“ Das Buch ist derzeit auch gar nicht so sehr vergriffen (siehe hier).

Von genialphantastisch sprachkreativen Übungen wird in dieser Sendung noch öfter die Rede und vor allem die Lese sein, wenn es um die Wiedergewinnung eigener Bedeutungsinhalte in der machtpolitisch vor- und zudefinierten Vergewaltsprache geht, mit der wir konfrontiert, kopfoperiert oder kotzprovoziert werden. Freiheit! Zum Beispiel von Georg Kreisler. Danke, Chriss 😉 Also wollen wir neben unseren Gastautoren Seeliger (den wir vorlesen) und Hagen Rether (den wir vorspielen) auch wieder unsere eigenen Denk- und Sprechweisen zum Besten geben. Auch in Form von Gesprächen über das Ringen um Individualität und dessen „verbehindernde Rundumstände“. Gesellschaftliche Verhältnisse, die zutiefst geprägt sind von verinnerlichten Hierarchien und Wertsystemen. Persönliche Erfahrungen, die erstaunlich oft auf Überwältigung und Ohnmächtigkeit hinaus laufen. Lauter Befunde, die Begriffe wie Untertan, Religion, Obrigkeit, Herrschaft oder Gehorsam sehr fragwürdig, weil bio-un-logisch erscheinen lassen.

Und indem wir in die dunklen Abgründe selbst erlebter Ängste und Schrecken hinab steigen, indem wir wieder daraus hervor kommen mit neuen Erkenntnissen und Ideen, indem wir immer weiter nach unserem Auftrag und unserer Bedeutung in dieser Welt forschen, sind wir doch sehr bio-logisch, LEBEN wir, zelebrieren wir einen fortwährend wiederkehrenden Frühling, der dem eigentlichen Sinn urtümlicher Osterrituale schon bemerkenswert nahe kommt. Erzählen wir von der Liebe, die uns verbindet – nicht nur mit einander, sondern mit allem, was lebt. Gefährten Fährtensucher trotz aller Lebensgefahr. Suchen und finden wir die Verbündeten unserer Freundschaft, unserer Kongenialität, unserer sonderbar normalen Eigenartigkeit. Trotzen wir den knöchern knirschenden Machtsystemen der Menschenverunstaltungsanstalten und Massenverallgemeinerungseinrichtungen! Rudelfunkgebühren für Funktionierfaschisten! Aufstiegsangenehmigung allen Anpassungsarschlöchern! „Wer nicht mit mir ist, der ist wider sich!“ oder The Geek Shall Inherit The Earth! Wir sind Helden. Und ein geiles Institut 😀