Das große Rauschen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli – Ringsum nichts als Rauschen und im Kopf der Tinnitus. Die Summe aller Signale und Informationen, die sich zunehmend gleichzeits ins Gehirn multiplizieren und in ihrer gegenseitigen Überlagerung einen undurchdringbaren Brei bilden. Lärm, Logorrhoe, semantischer Gatsch, Marketingdong, Bejinglegebell, Radio BILLA – in meinem Kopf toben zwölf blecherne Duracellaffen – und hören nimmermehr auf. Das mentale Zustandsbild des durchschnittlichen Konsumdeppen (und der Deppin selbstauch) entspricht so ziemlich der Zugeschissenheit des Planeten. Das gilt leider nicht nur für die Mithupfer und Gernknödel, sondern auch für alle Ruhebedürftigen und Verweiglinge. Denn in uns und um uns lagern sich der Industriemüll und seine Zerfallsprodukte gnadenlos ab.

Rauschen kann tödlich seinIn unseren Sendungen geht es dabei meist nicht um den Abfall in der Außenwelt, also die Zerstörung der uns umgebenden Natur durch rücksichtsloses und profitgieriges Ausplündern der Erde, was für sich genommen schon lebensgefährlich genug ist. “Die Menschheit schafft sich ab” heißt es demgemäß auch bei Harald Lesch. Wir jedoch sind Trüffelhasen hier im Medienwald und widmen unser Gespür mehr den Innenwelten und deren Zuständen. Weil wir ja “nach Perlen tauchen” in diesen trüben Gewässern des Konsum-, Leistungs- und Wegwerfschwindels. Genau da zeigt sich das wahre Unwesen dieser Zuvielisation, die sich zwar Kultur nennt, in Wirklichkeit jedoch nichts anderes ist als Verstopfung. Die sogenannte “Informationsgesellschaft” erzeugt eine fortwährende Anhäufung von immer noch mehr nicht mehr abbaubaren Überresten ihrer eigenen Behauptung. Meinungsvielflat, Übelforderung und Wahlfeilheit. Flächendeckendes Rauschen

Rauschen verbotenInmitten dieser Schlammlawine an Reizüberflut und Signalstörerei, ganz zu schweigen vom stetigen Beschwallertwerden mit Umpfz und lauthalsem Schas, stiften wir eine Insel, die dem Untergang im Kommerz nach wie vor widersteht. Erhört, erlesen und erbaulich sind unsere Beutestücke des täg- und nächtlichen Überlebens im Sumpf umbrandender Zergrunzung. Wir mögen ihm nicht entrinnen, dem Technolügietsunami der depperten Massenzucht, aaaber wir geben niemals auf, ein kleines gallisches Dorf zu sein, mit unserer ganz eigenen Weltsicht und Lebensart. Zaubertrank hin oder her, soviel steht für uns fest: Die spinnen, die Römer! Und deshalb laden wir auch alle Menschen guten Willens auf unsere Überlebensinsel ein, denn wie schon der bekannte Druide Peter Gabriel einst vorhersah: “If again the seas are silent, in any still alive – it’ll be those who gave their island to survive.” Here comes the Flood – und wir basteln uns eine Hoffnung.

Rauschen vermindert ihre FurchtbarkeitVerklebt, verschleimt, verschroben, beplempert, waach, zerschleunigt, Zeitraffer, Zeitlupe, Zeiz, zeränderte Geschwindligkeit, YouTuba, Masse und Matsch, Mein Krampf, döppelte der Gottelbock, Wien : Hendlplatz, Volkszornbrot, Unz, Untenhaltung, Untengack, unzerm Wetterbercht, Börsendoofer, Red ned so an Bull, Fußbad, Fußblah, panta rhei, Quod licet Jovi non olet – oder einfach nur Bestelln

Baby lass uns was zusamm bestelln
Baby lass uns zusamm was bestelln
Baby lass uns was bestelln zusamm
dass wir dann hinterher was zusamm bestellt ham

Hörst du es schon rauschen?

 

Auf den Kopf geschissen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. MaiMüssen wir den Umstand des “von oben herab bestoffwechselt werdens” denn wirklich so drastisch darstellen? Ja, unbedingt müssen wir das! Wo sich Thomas Bernhard noch vornehm zurückgehalten (der alte Untertreibungskünstler) und sich etwa in Wittgensteins Neffe “auf den Kopf machen lassen hat”, da können wir angeriechs derzeitigen politischen Würsteltums nicht anders, als explizit von beschissen, geschissen und verschissen ein Reden zu sein. Wollten wir die herrschenden Zuständ weiter be- und verdichten, so müssten wir wohl bald auch zerschissen sagen. Der auslösende Anlass zu dieser Sendung und ihrem Titelen war jedoch die Kreuzigungsgruppe von Alfred Hrdlicka, welche inzwischen auf sehr spezielle Weise diesen Grundgedanken versinnbildlicht.

Auf den Kopf geschissen 1Ein Künstler ist eben immer auch Prophet, der weithin unbemerkte gesellschaftliche Entwicklungen feinfühlig vorweg wahrnimmt und diese in seiner Arbeit ausdrückt. Ursprünglich waren die Skulpturen für einen Neubau der Salzburger Polizeidirektion gedacht gewesen, doch der damalige Polizeidirektor verhinderte solch eine Zumutung des hinterfragenden Denkens im Weichbild “seiner” Behörde. Dafür steht dort heute ein wirrer Haufen mutmaßlicher Mikadostäbchen herum. Was uns der Künstler wohl damit sagen will? “Wer sich zuerst bewegt hat verloren” vielleicht. Die Kreuzigungsgruppe jedenfalls wurde hinter der Naturwissenschaftlichen Fakultät aufgestellt, wo auch sehr viele Vögel unterwegs sind. Und die haben den drei Figuren in all den Jahren ordentlich auf den Kopf geschissen, was unserem Sendungstitel ja nur recht sein kann. Denn von oben herab kommt meist Scheißdreck übers Volk…

Küssdiehandke!

Auf den Kopf geschissen 2Und wie verschissen sie dann sind. Kunst dient nicht der Verklärung von Herrschaft und Hierarchie. Da wäre sie ja bloßes behübschendes Auftragshandwerk. Vielmehr muss Kunst der Anstiftung zum Denken und Empfinden dienen, und das all jenen gegenüber, die ihr ausgesetzt sind. Womit wir auch geklärt hätten, was Kunst ist – und was weg kann. Folglich wollen wir wieder einmal die Sprachkunst von Ernst Jandl feiern, aus der mannigfache Anregungen zum kreativen Umgang mit der eigenen herrühren: neunzehnscheißhundertsiebenundsiebzigscheiß
scheißneunzehnhundertscheißachtundscheißsiebzigscheiß
so es sein aufbauen sich der scheißen leben
schrittenweizen hären von den den geburten
und sein es doch wahrlich zum tot-scheißen

aus Ernst Jandl – Von Zeiten

Auf den Kopf geschissen 3“Gehns doch hin und lernens aus der Geschichte!“ Was könnten wir aus einer Geschichtsschreibung der jeweiligen Sieger denn lernen? Dass jedwede “Herrschaft” ihren Untertanen immer von oben herab auf den Kopf scheißt zum Beispiel. Manche dieser “Herrschaften” sind dabei so niveaulos, dass man meint, sie hätten einem von unten herab auf den Kopf geschissen. Wie man es auch dreht und wendet, es fällt doch auf, dass sich Regierung und Schwerkraft nicht zum Wohl aller auswirken. Das erkennt jedes Kind, das schon einmal eine Dokumentation über in Bäumen brütende Vögel gesehen hat. Da sind auch immer die in den unteren Etagen die Bekleckerten. Es kichert leis der Attentäter,
noch unentdeckt sind all die Toten,
das ist die Zeit der Irren und Idioten.

Erich Schmeckenbecher (Zupfgeigenhansel) – Wahnsinn im Mai (H. E. Wenzel)

 

Das Kritische

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. März – “Das kritische Salzburgbuch”, als welches “Die Ursache” von Thomas Bernhard des öfteren gern bezeichnet wird, ist nunmehr auch als Graphic Novel erschienen. Lukas Kummer hat dafür einige wesentliche Erzählstränge eindrucksvoll (nach)gezeichnet. Und der tapfere Residenz-Verlag, bei dem 1975 schon das vielfach umstrittene Original “Die Ursache. Eine Andeutung” herauskam, hat die sehr spezielle Text-Bild-Version jetzt produziert. Auf deren Präsentation im Salzburger Literaturhaus haben wir in unserer Sendung “Die Ursuppe” hingewiesen, wie ja überhaupt dieser “kritische Geist aus Salzburg” (und das muss nicht immer der “Skandalautor” selbst sein) in unserem Radioschaffen stets eine Hauptrolle spielt, sei es im Artarium oder in der Nachtfahrt, naturgemäß.

Die UrsacheDas Idee zum Tittel (nicht unser Hausarzt, leider) kam jedoch diesmal von Ernst Jandl und seinen autobiographischen Anmerkungen zu Sprach und Kunst, von denen hier noch sein wird ein Reden. Des weiteren auch aus dem kulturkritischen Buch “Musik = Müll” von Hans Platzgumer und Didi Neidhart, in welchem erfrischend zum Ausdruck kommt, was eine “kritische Würdigung” jenseits von bipolarem Schwarzweißdenken (oder besser -glauben) noch sein könnte. Und so haben wir die Musik/Text-Dramaturgie dieser Sendung in drei Stufen (vom Wort zum Buch zum Leben und auch wieder zurück) gegliedert, allerdings ohne uns allzusehr einzugliedern in den Erwartungsmarkt.

Eine AndeutungDie scheußlichste Entwicklung der sogenannten Marktwirtschaft ist nämlich das Befriedigenwollen der zuvor berechneten oder künstlich erzeugten Erwartungshaltungen von immer noch mehr und immer noch größeren Käuferschichten. Also der Mainstream oder das Statistik-Zerbrauchertum, die Degeneration der Gauß’schen Durchschnitte zum vollendeten Konsumwichtel der Industrie. Gepriesen sei hingegen der Residenz-Verlag, der seine Position am Markt mit der Produktion von kritischer Individualkunst zu verbinden versteht. Und uns entsprechendes Rezensionsmaterial für die 2. Stunde unserer Nachtreise bescheret hat. Die Verhandlung darüber sei hierohrs eröffnet…

Das kritische Salzburg-BuchDie einen werden über “Die Ursache als Graphic Novel” frohlocken – die anderen werden das Wort Werkzertrümmerung in den Mund nehmen. Was aber meint der Sprachenkunstler als Experte?

“Dass diese Sachen, die gemacht werden um hergezeigt zu werden, Sachen sind, die die einen freuen und die anderen ärgern, und dass sie gewollt so gemacht sind, dass sie die einen freuen und die anderen ärgern, dass es also Sachen, die alle freuen, gar nicht sein sollen, selbst wenn irgendwelche es könnten (so wie es Sachen, die alle ärgern, gar nicht sein sollen, selbst wenn irgendwelche es könnten), das ist das Kritische daran.” (Ernst Jandl – “Ich mit Umwelt”, 1970)

 

Neuer Ordner

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Februar – Wer kennt das Phänomen nicht, dass ein neuer Ordner in jeglichem Computerdings zunächst immer “Neuer Ordner” heißt? Wenn er nicht leer bleibt (wie so oft) – was könnte drin sein? Wir machen diesmal, anlässlich der 100. Ausgabe unserer Perlentauchereien, einen neuen Ordner auf, um uns von (selbst)hergebrachten Ordnungstrukturen (und den damit verbundenen Erwartungen) zu befreien. Klingt einigermaßen pathetisch – ist aber auch so. Denn es gibt kaum Verwegeneres, als etwas vom eigenen Ordnungssystem in Frage zu stellen, aufzulösen, neu zu gestalten. Und zu schauen, was dann passiert… Es ist wohl weithin gebräuchlich, den Ordner zuerst zu benennen, und ihn danach mit “zum Thema passenden Inhalten” zu befüllen. Doch es funktioniert auch andersrum.

Neuer OrdnerWir sind alle damit aufgewachsen worden, dass wir Themen gestellt bekamen – und diese dann gemäß den Erwartungen unsrer jeweiligen Erziehungspersonen zu bearbeiten hatten. Wenn wir das nicht erfüllten, war es eine “Themenverfehlung” und wurde mit “nicht genügend” entwertet. Vielleicht gab es da und dort in einem Freigegenstand wie “Kreatives Schreiben” einmal ein entgegengesetztes Herangehen, indem “das, was einem gerade so durch den Kopf geht” formuliert und verdichtet wurde – und erst dann (vielleicht) ein entsprechender Titel darüber gesetzt. Kunnst also bei unserer heutigen Sendung genauso machen: Wir senden “das, was uns in den letzten Wochen so durch den Kopf gegangen ist”, reichern es damit an, “was uns spontan dazu einfällt” – und ihr könnt diesen “neuen Ordner” so umbenennen, wie es zu eurem Hörerlebnis passt. Ein erster Schritt zu einer Ordnung”, die nicht von oben herab verordnet wird, sondern die von unten herauf entstehen kann…

PS. Kaum jemand weiß, dass Pjotrek Popolski aus Zabrze dereinst “der gesamte Popmusik erfunden” hat, weshalb man auch sagt: “Dieter Bohlen hat gestohlen alle seine Hits in Polen.” (Zitat von Enkelsohn Pawel Popolski). Wir grüßen ihn freundlich!

 

Die Ursuppe. Eine Andeutung

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. Januar – Was war zuerst – der Hase oder das Ei? Im Anfang jedenfalls war die Idee. Und das Wort “Ursuppe”, nicht ganz unpassend zum herrschenden Schneetreiben. Auch Volks Mund formuliert angesichts erheblicher Eintrübung: “Des is jo ur die Suppn!” In diesem Spannungsfeld zwischen Schöpfung und Sichtverlust wollen wir unsere köstlich kostenlose Buchstabensuppe servieren – und allen Sprachprivatisierern damit eine aufs Maul verpassen. “Wem gehört Thomas Bernhard – eigentlich?” Lassen sie sich ihre Muttersprache noch schnell patentieren, bevor ihnen irgend so ein Volkskoffer eine Bedeutung unterstellt, die sie nie gehabt haben! Oder wars ein Geldkoffer? Das ist bei dem dichten Schmähtreiben heut nur schwer zu erkennen.

Ursuppe 1“Die Ursache. Eine Andeutung” So lautet der ursächliche Titel von Thomas Bernhards Salzburgbuch, das für viele verstörend, für einige aber geradezu erlösend sein mag. “Die Suhrsache. Eine Abtötung” So könnte man unsere Einlassung zum Suhrheberrecht und zu Dr. Fabjans Besitznahme benennen, die wir 2015 als COPY RIOT live aufgeführt haben. Und heutzutage? “Die Ursuppe. Eine Anstiftung” Das trifft den Germ der Sache. Die Sogwirkung des kreativen Vakuums entfaltet ihre gestaltende Kraft und erzeugt Dichtung – und Wahrheit. Wenn die Wirklichkeit erst bis zur Kenntlichkeit entstellt ist, öffnen sich Einblicke hinter die schöne Fassade des Handelsüblichen. Des Althergebrachten. Und des Volksdümmlichen. Wer das vor Gericht beeinsprucht oder durch Hetzkampagnen abzuwürgen versucht, beweist unweigerlich nur die eigene Absicht – was uns naturgemäß verstimmt. Die heimlichen Realitäter wollen mit aller Macht an der Macht bleiben. Doch Dichtung offenbart sie.

Ursuppe 2Eine Möglichkeit, damit umzugehen, wäre etwa folgende: Ich dir zitieren einen Standard-Artikeln: “Will denn wirklich jemand Thomas Bernhard lesen? ….. Lesen: Das ist ja nicht bloß eine Meinung äußern oder tausendmal Zitiertes (Alles ist lächerlich, wenn man an den Tod denkt) noch einmal zitieren, sondern: sich den komplizierten Sätzen ausliefern. Die Anstrengung, die der Autor selbst vollbrachte, um sich von der Tradition zu befreien – diese Anstrengung für sich nachzuvollziehen: Das ist Lesen.” Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, sich die Sprachlandschaften des berühmten Schriftstellers zu erschließen. Eine weitere, ganz besondere, wird bei einer Veranstaltung zum 30. Todestag des Autors am 12. Februar im Salzburger Literaturhaus eröffnet: “Mit einem präzisen, sparsamen, fast realistischen Strich und einer eindringlichen Wiederholungs- und Variationstechnik gelingt es dem österreichischen Künstler Lukas Kummer in seiner kongenialen Graphic Novel “Die Ursache” (Residenz, 2018), Bernhards Erinnerungen an die Schrecken von Internat, Krieg und Nationalsozialismus sichtbar zu machen.” Das, was ist, ist das, was ist. Eventuell ist aber das, was ist, gar nicht das, was ist. Auf jeden Fall jedoch ist das, was ist, das, was du damit machst

Ursuppe 3

Dem Andenken
des erschrockenen Benenners
dieser Ursachen und ihrer Auswirkungen,
dessen Name gleich dem meinen nicht genannt werden durfte
im Akademischen Staatsgymnasium,
widme ich diesen Nachruf
samt Echo und Nachhall
und Nachknall

Die Ursuppe?

Die UNS-SACHE

Eine Angehung

Sein Ermächtnis

Kein Privatbesitz

 

Der Sender mit dem Schorsch

Ein Schorsch mit Ohren – seit zwanzig Johren. Was soll das? In der Radiofabrik unseres Vertrauens werden Wahlen noch mit Geschmack gewonnen – und deshalb können ALLEganz nach Gehör – den ihrer Ansicht nach “besten” Jingle wählen, und zwar hier: Anhörung und Online-Abstimmung, ein Demokratie-Hörtheater für Anfänger und Insider. (Jeder nur ein Kreuz) Woselbst auch wir, die Perlentaucher, gleich mit 4 Beiträgen quasi gegen uns selbst antreten. Genug kann nie genügen, auch nach 20 Jahren nicht, das erkannte Konstantin Wecker ja schon vor vielen… Und so tauchen wir tief in unser Archiv, um der Fragestellung “Was soll das?” ein paar Perlen beizufügen, die sowohl unser Selbstverständnis als Sendungsmacher als auch die Wesensart der Radiofabrik darstellen. Die Ursuppe, eine Anstiftung:

Der mit dem Schorsch tanztDas Sinnbild oder die Grundidee des Perlentauchens ist ungemein zeitgemäß: Durch immer mehr und immer noch zäheren Schlaaz zu tauchen, um einzelne Perlen des Besonderen und somit subjektiv Wertvollen hervor zu stöbern, auf dass wir sie in diesem öffentlichen Raum Radio mit anderen kreativen Individualist_innen teilen können. Und passt auch wie der Topfdeckel aufs Freie Radio, einem der letzten öffentlichen Räume, der noch nicht von kommerziellen und/oder machtpolitischen Interessen verseucht ist. In dem genau jener Erfolgs- und Anpassungsdruck nicht herrscht, der sonst ja schon die meisten Lebensträume molochgleich verschlungen hat. Jener zutiefst soziopathische Wachstumswahn, der schöpferisches Arbeiten unmöglich macht und seelische Ausgeglichenheit zerstört. Diese Zerdepperung des Menschlichen durch Populismus, Krone und Fernsehblah. Jede Menge dicht verdichteter Schlamm also, Unflat und Gatsch, aus dem solche Kostbarkeiten wie etwa Eigenartiges oder Wesentliches hervorzusuchen immer anstrengender wird. Jedoch ein von unbeugsamen Sender_innen bevölkertes Radio hört nicht auf, all den Dringlingen Widerspruch zu leisten. Hier die Zutaten zu unserem Zaubertrank:

Schorsch 1: Was soll das feat. Norbert K.Hund (Kunstbiotop-Jingle) via CBA

Moderatorin: “Über die Alternativen einer lebendigen Salzburger Kultur machen sich nur die wenigsten Gedanken…”

Norbert K. Hund: “Und das, was wir unter Kultur verstehen würden, ist, dass Menschen etwas machen, das vergleichbar wäre mit einem Biotop. Das vergleichbar wäre mit einem kleinen Tümpel, einem Schlammloch, da stehen drei Bäume, da ist ein hohes Gras – und irgendwann einmal zwischen Nachmittag und Abend kommen dort zwei Verliebte vorbei oder ein Dichterling oder sonst irgendjemand, einfach Menschen. Und die genießen das, denen sagt das was. Und das ist in keiner Statistik festzuhalten, das kann man in keinem Subventionsansuchen rechtfertigen, und das kann man in keiner Weise systematisch dingfest machen.”

Schorsch 2: Was soll das feat. Thomas Oberender (Oberender-Jingle) via CBA

Interviewer: “Leidet der Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele an so etwas wie einem Salzburg-Syndrom?”

Thomas Oberender: “Alsozusagen, wenn sie über die Identifikation oder Identifizierung – des Aggressors sprechen, der sind wir. Ab da tuts weh, ja. Dass sie sich selber sozusagen auch als Täter erleben. Das ist die Urerfahrung des Dramas oder der Tragödie, die da eben lautet: Wir sind sterblich – und Leben heißt schuldig werden. Immer. Für jeden einzelnen von uns. Und dafür ein Auge zu öffnen und sich mit dieser Erfahrung zu konfrontieren – das ist das Privileg, aber auch die Aufgabe von Kunst.”

Schorsch 3: Was soll das feat. Perlentaucher (Perlentaucher-Jingle) via CBA

Christopher Schmall: “Vor allem, wenn man jetzt Romane schreibt und da wirklich sehr viele Personen irgendwie in sich hat, und über die Bescheid weiß und ihr ganzes Leben teilt – die lassen einen auch nicht los. Deswegen hat die Joanne K. Rowling, die ja Harry Potter geschrieben hat, jetzt wieder neue Bücher geschrieben, weil sie einfach nicht aus dieser Welt raus kann. Sie hat diese Welt für sich erschaffen und ist einfach so in dieser Welt drinnen…”

Norbert K.Hund: “Ah, du meinst, würde sie jetzt zuhause sitzen und mit diesen ganzen Charaktären schwätzen, dann würd man sie bald einmal holen…”

Christopher Schmall: “Ja, aber nachdem sie das in Büchern verpackt…”

Norbert K.Hund: “Genau. Um das zu vermeiden, schreibt sie immer weiter…”

Christopher Schmall: “Ja, voll. Also, ich glaub schon, dass Kunst einen vor psyschischen Krankheiten auch retten kann.”

Schorsch 4: Was soll das feat. Günther Paal aka Gunkl (Gunkl-Jingle) via CBA

Günther Paal (Gunkl): “Es muss die Möglichkeit bestehen. Eine Gesellschaft ist dann stark, wenn sie sich etwas leisten kann. Eine Gesellschaft, die sich Querdenker oder lautradikal Nichtdenker nicht leisten kann – also, wenn man das nicht abfedern kann, dann ist das ein Armutszeugnis für die Gesellschaft. Davon abgesehen passiert in diesen Freien Radios auch etwas, was ich sehr schätze, nämlich: Das machen Menschen, weil die das machen wollen.”

…………

Nicht zuletzt und nicht umsonst endet jedes der hier transkribierten Statements mit dem selben Dialog: “Die Radiofabrik – was soll das? – Freies Radio für Salzburg!” Ebenso absichtsvoll heißt der Titel des zitierten Musikstücks “Nothing else matters!” Und jetzt nehmt euer demokratisches Wahlrecht (oder wie das Ding heißt) endlich in den Mund – und gebt uns eure Stimme! Wir machen höchstens einen Jingle draus…

 

Karneval der Kulturen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Februar – Am schlimmsten ist es immer mit dem Einstieg. Wie nur, ja wie? Da könnt doch jetzt Jedermann daher kommen und uns was vorraunzen von seiner Frau. Oder vom Xenophil Pimperl. Wie sagte einst Goethe: “Das also war des Puderns Kern.” Unschwer festzustellen, dass gerade Fasching beziehungsweise Karneval herrscht. Dabei wollen wir in dieser Saison nicht übrig geblieben werden, und so eröffnen wir unsere ganz eigene Session inmitten des schwindligen Kasperltheaters. Und wir wären nicht wir, wenn wir die Begrifflichkeiten des Kulturkarussells allzu bierernst nähmen. “Kulturen” kann ja so einiges bedeuten, von Anthropologie über Joghurt bis zu regionaler Volksmusik oder fremdländischen Filmen: “Almduludl akbar!”

Karneval der KulturenDie Grundlage der Selbstironie ist, wie der Name schon nahelegt, das Vorhandensein von irgend so was wie Selbst. Oder Bewusstsein. Einigermaßen selbst zu spüren, WER man ist – nicht bloß WAS. Letzteres bescheren einem eh die auswendig zu lernenden Phrasen von einer Identität aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Kultur und Berufsausübung. Die Mär von der Zugehörigkeit zu irgendwelchen Kategorien, die von fragwürdigen “Autoritäten” festgelegt werden. Fürs “Befolgen” solcher Hohlheiten werden ganz konkrete Belohnungen in Aussicht gestellt, wie zum Beispiel: „Dann fühlst du dich gut!” oder “Im nächsten Leben wird es dir besser gehen.” Den Schas glauben nicht wenige – und irren ein Leben lang fremd in sich umeinand. Naturgemäß können die nicht über sich selbst lachen, sie haben irrationalerweise Angst davor, genau das zu verlieren, was sie nie gefunden haben: Das eigene Selbst. So heißt denn die volksmundige Frage: “Sag einmal, spürst du dich überhaupt?”

Karneval im LichtIch gebe zu, dass der Sendungstitel Karneval der Kulturen bereits zum Zweck verschiedener Aufmärsche des multikulturellen Bestrebens in aller Einfältigkeit ausgelutscht ist. Aber wir wären auch nicht wir, wenn wir dieser Standardvorstellung von Eiapopeia und Lieblieb nicht noch Abgründiges und Hintersinniges zu den beiden Begriffen Karneval und Kulturen (Mehrzahl) abringen würden. So soll uns die “närrische Jahreszeit” auch als Steilvorlage für die aktuelle politische Situation dienen, deren Umtriebe fast nur mehr erträglich sind, wenn man sie als Kabarettprogramm auffasst. Zu den riesigen Nebenwirkungen lesen sie… Und was den vielbeschworenen “Clash of Cultures“ angeht, können die Dichter, Künstler und Musiker, die sich wirklich mit Begegnung und/oder Verbindung unterschiedlicher Kulturen beschäftigen, meist eine bessere Belichtung anbieten als die inflationären Philosaufen, Pädagockeln und Politwichteln. Naturgemäß nur dann, wenn man einigermaßen selbst (siehe oben)…

Karneval im TheaterDas Grundverbrechen sind die falschen Versprechungen, die einem fürs vorauseilende Anpassen und fürs reibungslose Funktionieren gemacht werden: Dass man dafür in irgendeiner Art belohnt würde, wenn man sich selbst aufgibt, sich einfügt und brav mitarbeitet. Dass man halt “dazu gehört”, wenn man bei allem mitmacht, was die Strömung jeweils vorgibt, gern auch mal beim andere schlecht finden, herabsetzen und gnadenlos aussperren. Denn darum geht es meist bei den Gesellschaftsordnungen, vom Kleinsten bis ins Größte, sei es Familie, Kirche, Schule, Staat, Weltkonzern: Dabei sein oder untergehen! Das ist nichts anderes als blankes Drohen mit Gewalt. Wer solche Grenzen zwischen den Dazugehörenden und den Ausgeschlossenen aufrichtet, der profitiert von den Schmiergeldern und Zollgebühren, die unweigerlich dabei anfallen. Deshalb ist “Sepp, pass di an!” nicht nur ein beliebtes Lebensmotto, sondern auch ein verbreiteter österreichischer Vorname. Wir werden alle sterben.

 

Der Club der Totendichter

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. November – Den Film, der diesem Titel Pate stand, setzen wir als weithin bekannt voraus. Es ist natürlich “Der Club der toten Dichter” mit Robin Williams aus dem Jahr 1989, im englischen Original “Dead Poets Society”. Darin geht es um die Vermittlung des Gedankenguts längst verstorbener Lyriker an eine Gruppe jugendlicher Schüler – sowie um die teils heftigen Auswirkungen dieses Umstands auf deren tatsächliches Leben. Und es ist ja wohl auch so, dass unsere Sendungen immer wieder der Würdigung verstorbener Dichtkünstler (und -innen!) gewidmet sind, über Genres und Generationen hinweg. Doch bevor jetzt alle auf den Tisch steigen und laut “O Captain, mein Captain!” rufen, wollen wir noch etwas zur genaueren Unterscheidung unseres Projekts anmerken:

Der Club der Totendichter“Salzburg war stets eine Stadt der Kunst. Vielen Literat*innen war sie Schreibmittelpunkt und Zuhause, Reibfläche und Experimentierlabor. Vom Mönch von Salzburg über Georg Trakl bis hin zu Dirk Ofner – die Mozartstadt war und ist voller Poesie! Darum griffen AutorInnen der SAG zur bildlichen Feder und Tinte und verfassten Texte zu den ihnen wesentlichen verstorbenen Kolleg*innen; um ihrer nicht bloß zu gedenken, sondern sie vielmehr wieder ins Leben zu schreiben und zu zeigen, dass Sprache unsterblich ist.” So stand es in der Ankündigung von Salzburg Seelen”, einer jahreszeitlich höchst passenden Veranstaltung der Salzburger AutorInnenGruppe am heurigen Allerseelentag. Und genau dieses “wieder ins Leben schreiben” zieht sich wie ein roter Faden durch unser Radioschaffen, wiewohl erweitert zu einem “wieder ins Leben spielen”, tummeln sich doch in unserem Gehörtheater noch viele weitere Gestalten der Dicht- und Ausdruckskunst als immer nur die üblichen Verdächtigen.

Der Untoten DichterEs gibt ja eine Unmenge an Wortspielen zu dem eingangs erwähnten Filmtitel. Der Club der dichten Toten zum Beispiel oder der Club der Dodeldichter. Wäre es da also nicht viel zu deprimierend, uns einzig auf Totendichter zu reduzieren? Und was könnte so ein “ins Leben dichten” von Verstorbenen wirklich bewirken, einmal abgesehen von musealer Andacht, von mausoläischem Brumpf? Dass die Toten eben auch wiederum nicht tot sind, wenn sie nur von einem wahren Totendichter wieder zum Leben gebracht werden, indem dieser (oder diese, geh bitte!) sie ins gegewärtige Schaffen aufnimmt. Es geht uns immer ums Inspiriertwerden des eigenen Gestaltens durch all jene, deren Aussagen und Darbietungsformen wir als mit unseren eigenen Anliegen “übereinstimmig” erkennen, egal ob sie noch leben oder schon tot sind. “Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.” – so sagte es Bertolt Brecht. Und im Talmud heißt es: “Ein Mensch ist erst dann vergessen, wenn sein Name vergessen ist.” Was absichtsvoll auch als Motto der Hörstolpersteine dient, an deren Gestaltung die Radiofabrik in erheblichem Ausmaß mitgewirkt hat. Eine weitere Form, Verstorbene “wieder ins Leben zu bringen”, sich mit ihnen zu verbinden.

Der vielen Totendichter LichterEs ist einfach wesentlich, bei der Auswahl seiner Anregungen nicht auf Aktualität, Marktwert oder Reichweite zu achten. Und schon gar nicht auf Leben oder Tod. Vielmehr davon zu schreiben, zu singen und zu spielen, was einen zutiefst innerlich anrührt. Wer könnte ein besseres Beispiel dafür sein als Thomas Bernhard, mit dem wir uns bei COPY RIOT als Verlebendigungs-Performance im gegenständlichen Sinn verbunden haben? Wer wäre zudem ein besserer Pate für die Kritischen Literaturtage, die heuer vom 24. bis 26. November in der ARGE stattfinden? Und so nimmt es nicht wunder, dass die löblichen Mitstreiter_innen von der SAG sich bei ihrer Lesung auf diesen “vehementesten Gesellschaftskritiker” beziehen. Oder dass im Titelbild ihrer Einladung (KunstQuartier) Bezüge zum Autor wie auch zum Thema auftauchen: Thomas Bernhard – Sprachlandschaften (24. 11. um 19 Uhr)

Hier schließt sich der Kreis, ich weiß einen Scheiß – und das ist der Preis…

 

ein schuss jandl

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. August – Wie jetzt? Ist denn nicht “einschussjandl” die schönere Einwortpoesie? Auch “ein schussjandl” oder “einschuss jandl” sind genauso vorstellbar wie berechtigt. Sprachermächtigt! Schon offenbart sich, gleichsam “in a nutshell”, der Wortkosmos des Dichtmeisters Ernst Jandl nebst einiger seiner durchaus erwünschten Wirkungen. Zu den anderen, unerwünschten, fragen sie sich selbst oder hauen sie sich mit dem Fliegenklescher fest auf den Kopf. Wenns denn hilft. Wir jedenfalls erproben seinen Sinngehalt an uns selbst, indem wir den normierten Nutzsprech, der uns alltäglich umwuchert, diesen im wahrsten Sinn unsäglichen Unsinn der fortwährenden Weltverdeppung, durch Zerlegung neutralisieren und so auch mit dem Experimentellen experimentieren.

ein schuss jandl“Den Sinn und die Sprache ließ Jandl zerschellen in den Abgründen der Welt, und dass er damit zu einem der größten Popkünstler der Literatur wurde, ist eines ihrer schönsten Mirakel.” So formuliert der unseres Wissens nicht verwandte Paul Jandl in der “Welt” zum Erscheinen der 6-bändigen Werkausgabe 2016. Und erzählt uns eine der schönsten Ernst-Jandl-Anekdoten überhaupt:

“Als ich Ernst Jandl in den Achtzigerjahren zum ersten Mal angerufen habe, war das Gespräch kurz. Erst hat es lange geläutet, dann meldete sich drohend seine Stimme: “Jandl?” – “Hier ebenfalls Jandl”. Aufgelegt. Man hätte es ahnen können. Die Achtzigerjahre waren die Zeit, in der der Dichter so berühmt war, dass man sich mit ihm am Telefon gelegentlich einen Scherz erlaubte. Die Scherze konnten derb sein, wenn ein lyrisches Wiener Herz der Meinung war, dass die Poesie mit dem Avantgardisten des “sprachenschmutzen” auf den sprichwörtlichen Hund gekommen ist, oder sie waren auf kleinmütige Weise originell. Es gab tatsächlich Leute, die sich mit “Ottos Mops” meldeten oder nur fragten: “Bist eulen?”

ein schussjandl

ottos mops

ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso

otto holt koks
otto holt obst
otto horcht
otto: mops mops
otto hofft

 

ottos mops klopft
otto: komm mops komm
ottos mops kommt
ottos mops kotzt
otto: ogottogott

 

einschuss jandlNun haben wir ja nicht nur so einen riesen Haufen eigener Arbeiten mit, über und rund um den Ernst in unserem Radiogepäck, speziell die Sendungen experlimental oder Atom Heart Mona Lisa, dazu noch allerhand andere Anstiftereien im Artarium. Nein, niemals nicht! Wir ham noch lange nicht genuuuuug. Der Salzburger Jung & Jung Verlag (für den zwischenzeitlich auch der erwähnte Paul Jandl lektorierte) hat uns zu dieser Sprachexpedition freundlicherweise mit dem Band “der beschriftete sessel” ausgerüstet, den wir zur eingangs erwähnten Zerlegung heranziehen wollen. Dort findet sich etwa “Zwischen Hulst und Hummel” (Ein Auszug):

“Die zwischen HÜM und humlich, Hulst und Hummel klaffende Wörterbuchlücke           (hu- hum- humá- human- humaní-) lässt mich an eine Reihe von Texten denken, zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Technik geschrieben, die ein Entsetzen über die Peinigung der Menschen durch den Menschen zum Ausgangspunkt haben. Sie gesellschaftskritische Texte zu nennen, scheint möglich, lässt aber außer acht, dass ein gewisses Maß an Gesellschaftskritik bereits überall dort konstatierbar sein könnte, wo die Sprache von Texten aus dem normativen Geleise gekippt ist. Es gibt Leute, die in jeder Abweichung von der Norm, in welch kleinem Teilbereich immer sie sich ereignet, eine Bedrohung jeglicher Norm erblicken, womit sie nicht völlig unrecht haben mögen. Größere Liberalität, für manche ein Dorn, ist nur durch den Abbau von Normen, Verbindlichkeiten erreichbar. An sie, die Verteidiger jeglicher Norm, ist zweifellos auch gedacht, wenn mit den Mitteln der Kunst die Vorstellung von Normalität vorsätzlich und lustvoll gestört wird.”

Es könnte Ernst Jandls Motto sein: “Alles mit allem möglichst dicht zu verbinden…”

 

Straight Outta Finsterworld

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Januar – Als “schön grausam und grausam schön” wurde Finsterworld von Frauke Finsterwalder schon beschrieben, für uns ist es der abgründigste und aushängigste deutsche Spielfilm seit längerem, schräg, seltsam, sonderlich, also höchst bewusstseinsverdrehend. Das Drehbuch zu diesem Kindheitswortspiel verfasste die Regisseurin zusammen mit ihrem Ehemann, dem Schweizer Schriftsteller Christian Kracht, und der heißt auch tatsächlich so. Willkommen bei den Artarium-Filmempfehlungen zur finsteren Nacht! Man merkt eben sofort, wenn profunde Literaten und Theaterleute das Handwerk des Geschichtenerzählens ausüben, und nicht funktionalisierte Bezahlschnipsler aus einer der Verwurstfabriken ewigdesselben umettikettierten Gammelfeilschs.

FinsterworldEgal ob Hollywood oder privat-kommerzielles Fernsehen, sobald es über einen gewissen Grad hinaus nur noch ums Geld geht, merken wir sofort die Absicht, und sind – völlig zu Recht – verstimmt. Es ist die Verflachung der Dramaturgie ins rein Funktionale zum Zweck der Behumpfung irgensodeiner statistisch erfassbaren und für irgendjemandes Quotenagenda relevanten All- und Gemeinheit, die uns beim fallweisen Erdulden so eines Machtwerks gequält aufjaulen lässt: “Für wie deppert haltets ihr uns eigentlich?” Als ginge es weltweit nur mehr noch ums Bezupfen der dreieinhalb rudimentären Gefühlsreflexe, damit möglichst zahllose Konsumkasperln irgendwelche Konsumgurkerln kaufenkaufen, um sich irgendwie verbunden zu vermeinen. Ach so, genau darum geht es ja doch, in der uns täglich als einzige Wirklichkeit servierten Realität der Realitäter und innen. Genau deshalb wollen wir hier auch eine alternative Knotzwelt zu diesem Scheißdreck etablieren.

ProphetenpassionDenn der Mond wird sich lila färben und es werden vielerorts aufstehen die Propheten einer anderen Welt, welche längst in uns ist und nur ihrer Verwirklichung dort draußen harret, wo jetzt die falschen Götter der Gier und ihre Scheinepriester, die Geldgunstgewerblein, an der Vernichtung der Vielfalt jeglichen Lebens arbeiten, sie sind brav und anständig und arbeiten ordentlich, ja, ja, in der Funktionstrottelfabrik und bei der Nutzmenschenzucht, sehr respektabel, fürwahr!“Hört ihr sie predigen und singen – ganz wie sie früher, mit der Pfeife, Ratten fingen?”Fette Jahre von Lokomotive KreuzbergEine Prophetenpassion, wie sie leibt und speibt. Man möchte depressiv werden inmitten all dieser Moloche und anstatt Straight Outta Finsterworld lieber kopfüber mitten hinein stürzen, dass es einen endlich zerreißt. Da braucht es schon immer wieder eine gehörige Distanz zu den Grausligkeiten und Gemeinheiten des Weltgedümmels, um nicht vollends darin unterzugehen…

Sound and SilenceSeien wir daher also nicht bloße Perlentaucher, die alles mögliche aus dem Schleimsumpf der Kultur hervor befördern – seien wir doch auch wahrhafte Inselstifter, die ihre Knotzzonen gescheit gebrauchen, etwa um auf all ihren Reisen stets bei sich selbst zwischenzulanden – und diese Form der Selbsterdung anderen zu deren Selbstwerdung wiederum weiter zu reichen:

“If again the seas are silent in any still alive, it’ll be those who gave their island to survive.” Peter Gabriel – Here comes the Flood Oder noch viel Prophetischeres rund um so hochakute Themen wie Heimat, Flucht, Flut: Ernst Jandl – Etude in F, unlängst überraschend in einem Tatort (Regie Markus Imboden) wieder aufgetaucht: “Land in dieser Zeit” – ARD-Mediathek noch bis 8. 2., was uns genau deshalb so gut gefällt, weil da eben “profunde Literaten und Theaterleute das Handwerk des Geschichtenerzählens ausüben”.

Nunmehr jedoch genug gepredigt – hier schließt sich nämlich der Greis:

falfischbauch