Erosionen

>> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. November “Die Decke der Zivilisation – die ist ja hauchdünn.” Erschreckend dünn sei dieser “Firnis der Kultur, der uns von der Barbarei trennt”, so beschrieb das Fritz Bauer in den 60er Jahren. Und allenthalben unterliegen die äußersten Schichten unserer Gesellschaft den vielfältigsten Erosionen, die sie nach und nach brüchig machen und abtragen. Uns möge die Metapher allerdings weit über die Fachgebiete der Geologie und der Medizin hinaus – oder besser noch hinein, hinunter – und hinter die Fassaden der Persönlichkeitsstruktur befördern. Als künstlerische Technik des Abtragens von Scheinidentitäten und Verkrümmungen, von längst verhärtetem Narbengewebe aus der Frühgeschichte unseres eigentlichen Lebenwollens im Bauch der Welt.

Erosionen Schicht 1Mir drängt sich da der Vergleich mit der Bildhauerei auf, von der gesagt wird, dass der Künstler die fertige Skulptur schon von Anfang an im Werkstück erkennt – und sie dann Schicht für Schicht freilegt. Was uns die Kreuzigungsgruppe des genialen Alfred Hrdlicka über die erodierenden Wertvorstellungen des “christlichen Abendlands” zu erzählen vermag, das erschließt sich bei wiederkehrender Betrachtung. Noch dazu im aktuell veränderten Kontext, im Bühnenbild der Bauwirtschaft nebst der ihr innewohnenden Religion vom immerwährenden Wachstum. Zum Vergleich hier die etwas älteren Aufnahmen aus unserem Artikel “Auf den Kopf geschissen” – und das mag jetzt durchaus mehr als nur eine inhaltliche Assoziation hervorrufen! Wir haben unseren Pasolini aufmerksam gelesen (speziell die Freibeuterschriften, in denen er die Zerstörung der Kultur durch den globalen Konsumismus vorhersagt). Auch wir wollen nicht davon ablassen, Schicht für Schicht immer tiefer zu tauchen.

Erosionen Schicht 2Dabei mögen verstörende Bilder in uns empor drängen: Leichname, zerstückelte Figuren, erodierte Bruchstückmenschen einstiger Ganzheit, umherirrende Untote und uns verschlingen wollende Abgründe. Wir befinden uns im Reich der Phantasie (es ist nicht von dieser Welt – oder womöglich doch?). Wenn einer eine Reise tut (zum Mittelpunkt der Welt, die das Selbst bedeutet), dann kann er oder er/sie/es was erleben, das könnt ihr uns jetzt glauben – oder auch nicht oder was auch immer. Letztendlich sind wir alle unentrinnbar der Erosion des Lebens (wir sprechen von Vergänglichkeit und Tod) ausgeliefert. Nichtsdestotrotz sind wir alle auch aktive Künstler, die ihre erosiven Techniken anwenden und Schicht für Schicht freilegen, was da dahinter und da darunter noch verborgen ist – von dem wir allerdings wissen, dass es da ist und dass es zum Vorschein und ans Licht der Welt kommt, indem wir an seiner Gestaltwerdung arbeiten. Es ist ein künstlerisches Wissen um das Bild

Erosionen Schicht 3In dieser Hinsicht stimmt der Satz von Joseph Beuys “Jeder Mensch ist ein Künstler” vollkommen. Sich aus der eigenen Überlebenskunst einen Reim aufs Leben an sich und über sich hinaus machen – oder wie Viktor Frankl das ausgedrückt hat: “trotzdem Ja zum Leben sagen.” Und die Kunstschaffenden? Was ist der Sinn ihrer Sinnsuche in sich und über sich hinaus? Egal ob mit Klängen, Gesängen, Gedanken, Gedichten, Bilderwelten, Bilderfluten, Sinnzusammenhängen – es ist ein Vorbereit auf das in uns Schlummernde, ein Dargebot innerer Begegnung mit uns selbst und ein Anschubs zum Aufbruch – in das, was war, was ist und was sein wird – und in das dahinter. Darunter und darüber hinaus. Damals, dann – und dazwischen. Nichts ist langweiliger, öder und trostloser als wenn alles so bleibt, wie es ist. Kunnst (hier als “Kunst der Phantasie”) ist doch genauso unverzichtbar wie Luft – und Atmen. Kunnst dir mehr vorstellen als du dir vorstellen kannst? Und du kunnst das echt erleben

Wir wünschen Gute Reise!

 

Übungen in Phantasie

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. OktoberIch bin stolz, ein Hase zu sein. Und darauf, zu den drei Hasen zu gehören. Wer da jetzt “der dritte im Bund” ist, ist nicht nach den Maßstäben der Wettbewerbswelt zu beurteilen, in der es immer ums “Erstersein” geht – auf Kosten aller anderen. Was beim Downhill-Racing der Wichtigtümer funktioniert, würde jeden Hasentanz sofort aus dem Gleichgewicht werfen. So verdanken wir dem tapferen Christoph, der unsere Welt erst zu “Dreierlei Hasen in frischer Bewegung” abgerundet hat, eine bedenkenswerte Überlegung zu der Frage: “Was ist eigentlich Phantasie?” (wie sie in “Palmen Unter” gestellt wird). Nämlich, dass sich im “Vorstellungsvermögen” eher die Imagination von Erlebtem und in der realen Welt Möglichem abspielt – wohingegen aber in der “Phantasie”

Übungen in Phantasie unsere Imagination vornehmlich surreale Bilder verarbeitet, wie sie unter Außerachtlassung von Natur- und sonstigen Gesetzen in unseren Träumen vorkommen. Wohl nicht ganz zufällig ist bei dem, was da jenseits der Realität entsteht, oft auch von “Visionen” die Rede, von “anderen Welten” und auch von “übersinnlichen Erfahrungen”. Wie wirklich aber sind diese “anderen Wirklichkeiten”, von denen wir auf jeden Fall wissen, dass sie überaus wirksam sein können? Sie als Kinderkram und Phantastereien abzutun, wie das in der “einzig wahren realen Welt” aller von Herrschaft und Unterdrückung geprägten Gesellschaften leider allzuoft vorkommt, kann offenbar nicht die Lösung sein. Einerseits hört man Sätze wie: “Sie sind ja ein Phantast.” oder “Sie leiden an Realitätsverlust.”, die eine öffentliche Entmündigung der Angesprochenen bedeuten,

Übungen in Phantasieandererseits ist das kommerzielle Internet übervoll mit Angeboten zur Phantasieschulung, um mit diesem “Selbstoptimierungswerkzeug” andere erfolgreicher übertrumpfen zu können. Bin ich blöd – wenn ich hier einen eklatanten Widerspruch erkenne? Wütet hier der Weltkrieg zwischen Phantasie und Realität? Muss ich mich da für eine Seite entscheiden oder gibt es die Möglichkeit einer Versöhnung dieser zwei Gegensätze? Wo ist der dritte Hase, wenn der Tanz blockiert? Fragen über Fragen, die den Untertitel mehr denn je bewahrheiten: “Musikliterarische Gefühlsweltreise mit tiefgründigen Themen.” Und so wollen wir ein paar Bewegungsübungen erleben, die die Phantasie kräftigen – zur Selbstbestimmung, zur Selbsterhaltung – und durchaus zur Selbstverteidigung: Denn wem die Phantasie vergeht, den springt die Realität an – und frisst ihn auf.

Übungen in PhantasieEs ist ein wohlgemerkter Denk- und Arbeitskniff, wie oben angeregt, die Imaginationen in Vorstellung und Phantasie zu unterscheiden. Es hilft beim “geistig in Bewegung bleiben”, doch soll nicht unerwähnt sein, dass es eine synonyme Schnittmenge der Begrifflichkeiten gibt, in welcher eins ins andere übergeht – und diese Übergänge zudem noch fließend sind, bewegt, veränderlich – und schlicht nicht dingfest zu machen in irgendeiner Definition. Im besten Fall begegnet uns das Lebendige. Wie auch in verfremdeten Texten oder in vielschichtiger Musik. Wie in ambivalenten Stimmungen – und überhaupt in einem “offenen Ende”. Womit wir inmitten unserer Übungen angelangt wären – oder wer kann den Verlauf seines/ihres Lebens durch wasauchimmer vorherbestimmen? Eben. Besser in Bewegung bleibendamits nicht so quietscht wenns gwetzt wird …

Der Ernst des Lebens muss nämlich auch lustig sein.

 

Zu den drei Hasen

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 9. September um 22:06 UhrZu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Hasen … Es ist schon etwas Besonderes, wenn ein Mensch einen anderen “Hase” nennt – und es sind mindestens so viele Bedeutungen dabei möglich, wie es Hasen auf der Welt gibt. Die vermehren sich nämlich auch wie die Karnickel. Jedenfalls dort, wo ihre Wiese noch nicht von Maschinen planiert ist, damit sich die Überbevölkerung einfacher ausbreiten kann. Von der Hasenjagd (und es muss auch nicht die Mühlviertler sein) wollen wir hier gar nicht erst anfangen. Der Hasenwerdung des Menschen und/oder umgekehrt haben wir einst in der Sendung “Hasen wie wir” nachgespürt. Heute wollen wir jene Menschen würdigen, zu denen wir gern “Hase” sagen, sowie all das, was mit diesem Begriff mitschwingen kann…

Zu den drei HasenNun ist ja der Hase, wie wir ihn aus freier Wildbahn kennen, seiner Natur nach ein sehr scheues Wesen, das wir zwar aus der Ferne beobachten, dem wir jedoch nicht nahekommen können, auch nicht als junger Hund. Wenn aber jetzt so ein Hase auf ein Mal stehen bliebe – und sich zu uns umdrehte, dann wäre das schon ein erster Einbruch von etwas gänzlich Unerwartetem, das sich allerdings wesentlich “richtiger, stimmiger und auch zusammenhängender” anfühlen könnte als vieles, was wir bisher zu wissen geglaubt haben. Und wenn dieser Hase jetzt auch noch auf uns zu käme (anstatt wie üblich von uns weg zu laufen), dann stünden wir bereits mitten in etwas, das wir als “wundersame Erscheinung” einzuordnen gelernt haben. Als etwas, das es eigentlich nicht geben kann (von dem aber wiederum in vielen Geschichten berichtet wird). Ja, was denn jetzt? Gibt es mehr als nur eine Wirklichkeit? Und wenn ja, warum? Zu Hilfe, ich werde von freundlichen Hasen verfolgt! Halt, nein, andersrum: Zu Hilfe, ich werde von unfreundlichen Jägern verfolgt, weil ich mir freundliche Hasen vorstellen kann.

Zu den drei HasenWenn uns besagter Hase darüber hinaus noch freundlich begrüßt, uns zum Verweilen auf seiner Wiese und zum Abendessen einlädt, und wir mit Erstaunen feststellen, dass wir seine Sprache verstehen, dann sind wir endgültig in einer anderen Welt gelandet, von der wir bis vor kurzem noch nicht geglaubt hätten, dass es sie überhaupt geben kann. Oder wissen wir es längst, dass es auch noch weitere “andere Welten” gibt, wenn wir nur unserem inneren Sinn für den Zusammenhang allen Lebens vertrauen? Möge der Hase mit uns sein, denn bei der nun unweigerlich bevorstehenden Kollision zwischen den Wirklichkeiten kann es schon einigermaßen ungemütlich werden. Es sei denn, wir beschränkten unsere Phantasien auf eine sogenannte Freizeitbeschäftigung und verhielten uns ansonsten entsprechend der allgemeinen Übereinkunft als folgsame Bewohner der einen Wirklichkeit aus dem Realitäterbüro zum Weltbeherrsch. Die Trennung zwischen Mensch und Kunstperson wäre somit das Kriterium geistiger Gesundheitnicht die Stimmigkeit mit den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen?

Zu den drei HasenSind sprechende Hasen also ein Fall fürs Kinderbuch – und damit für die Geringschätzung all dessen, was als “kindlich” oder “kindisch” abqualifiziert wird in unserer “dem Erfolg um jeden Preis gewidmeten” Gesellschaft? Oder ist es geradezu Gesellschaftsgerm (der locker und fest zugleich macht), wenn Mensch einen Menschen “Hase” nennt, weil er/sie plötzlich dessen Sprache und “andere Welt” versteht? Weil er/sie statt der logisch erwartbaren Flucht freundliches Zutrauen erfährt? Weil etwas/jemand wie ein wildes Tier mit einem Mal “zähme mich” sagt und dieser Vorgang zur “gegenseitigen Zähmung” wird? Muss denn des Menschen Versuch, die bekannte mit der unerwarteten Welt zu verbinden, so dass beide in eine Wechselbeziehung eintreten können, von vornherein als Spinnerei abgetan und in weiterer Folge aus der Erwachsenenwelt weggemacht werden? Nun, wenn man (wer auch immer das ist) den “Status Quo” auch “um jeden Preis” aufrecht erhalten muss… Apropos, seit Christi Geburt (dem Jahr 0) gab es auf der gesamten Welt etwa eineinhalb Jahre Frieden. Da sind mir die Hasen lieber

PS. Ein Gasthaus namens “Zu den drei Hasen” gibt es übrigens auch. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Stootsie

 

Wie viele bist du?

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 12. August um 22:06 UhrWir sind viele. Und Anlässe gibt es auch. Ilija Trojanow etwa fordert uns in seiner Festspielrede auf, zu desertieren“aus der Eintönigkeit des Krieges in die Vieltönigkeit der Kunst.” “Ciao, ciao, Commandante!” Ein Chor aus verschiedenen Stimmen vereint – gegen die Befehlsgewalt der Gleichmacherei. Staatsbürgerstaatsbesitz abkommandiert zum Opfergang gehorcht lieber der inneren Stimme: “Ich bin des Menschen Kind.” Doch in jeder und jedem streiten sich mehrere – ja, sogar viele. Wie viele bist du? Auch nur ein Trottel, der glaubt, Stimmenhören sei eine Krankheit oder ein Album von André Heller? Kunnst dir vorstellen, die Dramen der Welt spielen sich auch in dir und in mir ab? In uns allen? Hiermit erklären wir diese Vorstellung für eröffnet…

Wie viele bist du?Eine der wirkmächtigsten Fragen meiner Therapeutin (wenn ich etwa verdächtig Unterwürfiges äußere) lautete: “Wer spricht da?” Im Lauf der Zeit nahmen diese Stimmen, aus denen mein Gedankenfluss wohl offenbar besteht, in meiner Vorstellung Gestalt an – und es wurde mir möglich, je nach meinen Bedürfnissen, mit ihnen inwendig ins Zwiegespräch zu kommen, sie auszulachen – oder mich von ihnen zu verabschieden. Wohin das führen wird, bleibt offen. Das Drama findet nach wie vor statt. Nur werde ich zunehmend zu dessen Autor und Regisseur – statt lediglich eine mir vorgeschrieben vorkommende Rolle darin auszufüllen. Wenn weniger mehr ist, dann ist auch mehr weniger. Kommt darauf an, wovon. Wenn ich in dem Stück, das sich in mir abspielt, mehr zu bestellen habe, dann brauch ich mir in dem Drama, das da draußen vor sich geht, bestimmt weniger zu bestellen. Nicht, dass ich nicht atmete oder weiterhin äßenur aufgeblasene Wichtigkeiten werden mir immer wurschter.

Wie viele bist du?Einfalt und Vielflat, Kulturtod und Kunnst?, Konsumismus und die Digitale Diktatur. Wenn sich zwei oder drei Stimmen gemeinsam im Namen des Lebens erheben, wird ein Freiraum erschaffen. Gelebte Ambivalenz gegen die auferlegte Eindeutigkeit, die Interessen der Machtausübung. Mehrdeutigkeit, Vielstimmigkeit. Schichten von Gedichten jenseits gefühlsarmer Gebrauchsmusik. Wir basteln uns Festspiele außerhalb der verwalteten Welt und Teodor Currentzis erklärt uns ein System, das perfekte Maschinen ohne Phantasie und Emotion hervorbringt. Au! Toren, die den Menschen im Namen der Entrüstung vorauseilend schlechtschreiben, sind im besten Kreislerschen Sinn “Musikkritiker”, also zutiefst unmusikalisch und zudem noch existenziell frustriert. Schriftstehler, zwischen deren Zeilen nichts als Leere herauszulesen ist – wenn man sich die vergebliche Liebesmüh sinnloserweise antun will. “Zeigen sie dem Orchester, was nicht in der Partitur steht.” Eben.

Wie viele bist du?Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen und Gegen Blödheit hilft auch keine künstliche Intelligenz. Wir haben die Vorstellung, all das zu spielen, was sonst nirgedwo in dieser Form zusammen klingt und dessen Geist und Gefühl zwischen seinen vielen Stimmen andernfalls abgehen würde im Chaosmos der Möglichkeitsformen. Zutritt nur für Verrückte! Hermann Hesse hat in “Klein und Wagner” die Vielheit der Stimmen im Universum sprachlich atemberaubend dargestellt (und zwar lang bevor LSD entdeckt war) und die Instrumentalgruppe Between hat diesen Höhepunkt der Wortgewalt gemeinsam mit Gert Westphal 1974 zu einem eindrucksvollen Hörstück namens “Suicide” verbearbeitet, dass es einem die Weltreligionen und Philosophien nur so durcheinanderhaut. Und Chorleiter Cyprien Sadek hat die 40-stimmige Motette “Spem in alium” von Thomas Tallis mit seinem Choeur Altitude lustvoll wiederbelebt (nach alter Aufführungspraxis, mit den Sänger_innen rund ums Publikum stehend).

“Hören sie genau hin!” – Dieses Mal zwischen die Töne und hinter das Gefühl

 

Sackgassen Sachzwänge

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. MaiEs gibt durchaus verschiedene Arten von Sackgassen, in die wir so im Lauf unseres Lebens geraten können. Darunter sind viele, aus denen man auch recht leicht wieder heraus kommt. Und dann gibt es die spezielleren welchen, die zudem noch Einbahnstraßen ohne Umkehrmöglichkeit sind. Hat die Menschheit einen Rückwärtsgang? Von sich aus würde ja kaum jemand halbwegs Belichteter in eine solche Seinsfalle einbiegen. In eine angekündigte Ausweglosigkeit auf Nimmerwiedersehen. Doch – da sind dann noch die sogenannten Sachzwänge, die uns (warum auch immer) umtreiben: “Muss Arbeit hier, muss Essen, muss Frau, muss Kinder…” Oft erschließen sich der Sinn und die verschiedenen Bedeutungen eines Begriffs aber erst bei festerer Beutlung:

Sackgassen KonzeptKrampf“Sachzwänge? Z’weng am Sach?”, fragt etwa Uwe Dick in bayrischer Mundart – und das könnte “wegen einer Sache” bedeuten, wobei im Bayrischen “das Sach” speziell auch “Grundbesitz, Vermögen” meint. Aha, Realitäten aus dem Eigentumsbüro! Oder “z’weng” würde “zuwenig” bedeuten, dann wäre man schnell bei etwas wie “Mangel an Denkvermögen” und “Wirklichkeitsdefizit” der Realitäter*innen, die unsere Realitäten zu ihrem Nutz und Gewinn bestimmen. So hat auch der oft unterschätzte Sepp Forcher noch kurz vor seinem Ableben festgestellt: “Die Menschheit ist eine verlogene Bagage, sie ist nur gewinnorientiert.” Unter diesen Umständen ist die Angst vor dem Untergang schon berechtigt. Ein ins Unendliche wachstumsabhängiges Gewinn- und Gewaltsystem kann auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen nicht funktionieren, ohne letztendlich seine Grundlagen (den Planeten mitsamt allem, was auf ihm lebt) vollends zu verzehren. Dann ist es zwar vorbei mit der Herrschaft der Herrschaftenaber eben auch mit uns. Und das wollen wir sicher nicht. Auch wenn wir in der Mutter aller Sackgassen stecken geblieben sind – es wohnt uns doch immer der unbändige Lebenstrieb inne.

Sackgassen Sachzwänge AlternativLosWir leben im Zwischenin einem Freiraum möglicher Perspektiven. Ungeachtet des Unvermeidlichen wie etwa der eigenen Endlichkeit obliegen wir dem Unverfügbaren, das sich noch jedem Versuch seiner Verwertung, sogar jeder Kontrolle, Zweckwidmung, Definition – und jedem Besitzanspruch erfolgreich entzogen hat, seiner Natur gemäß. Nichts würde die Leistungsdreher der Geschnellschaft geiler machen, als noch den letzten Rest Resonanz ihrer Kostenpflicht zu unterwerfen. Hier enden ihre Macht und ihre Möglichkeiten. Hier explodiert das freie Leben uneingeschränkt vor sich hin und kümmert sich einen Dreck darum, was ihr als Erfolg bezeichnet. Ich bin auf diese Welt gekommen, um zu sein – und nicht, um jeden Überlebenskampf zu einem Businessmodell zu machen. Mein SchwerkrampfEine Ausgebrut. Schiebts euch den ganzen Plempelkrempel von Gottes Gnaden in den Sonntagsstaat! Kein Weltkrieg (“Wenn ich nicht die ganze Welt krieg!”) kann unsere Liebe je zergrunzen.

Unvermeidlich Fatales FinaleEure künstliche Ewigkeit aus Algorithmen und Kampfdrohnen versagt im Zwischen. Im Zwischen ist das, was uns allen fehlt. Kein Kauf, kein Rausch und auch keine Zugehörigkeit zu irgendwas kann diese Lücke füllen. Und genau so soll das auch sein. Der synaptische Spalt funktioniert nur dadurch, dass er einer ist. Zwischen eben, Raum für Resonanz, Freie Zone für Verständigung und Verknüpfung. Für die Verdichtung dessen, was aus dem Leben selbst entsteht – nicht aus den Absichten der Menschenteighersteller. Wir sind der Germ. Wir bewirken appetitliche Gestalt. Backe, backe – ohne unsere Zutat nichts als Gatschfladen und Fladengatsch ringsumadum. Meinungsvielflat und “Flood the zone with shit!” Hier hört der Spaß auf, Kasperl. Dieser verräterische Satz passt doch perfekt in unser Beutelschema. Seit wasweißich wird jetzt zurück gebeutelt! Denken wir probiotisch und drehen wir den Spaß einfach um: “Flood the shit with zone!” Überall dort, wo Resonanz geschieht und sich das Unverfügbare ereignet, kann kein wie auch immer gearteter Bullshit auf Dauer den Dialog verstopfen. Zwiesprache im Zwischen, Dialog mit dem Leben, auch ganz ohne Worte, senden, empfangen

Gedenken wir der wahren Menschenfreunde!

 

Kategorischer Aperitiv

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. April – Hallo, ihr Menschen! Wir sinds, eure Gefühle. Wir sind viele. Wir sind ambivalent, mehrdeutig, rätselhaft. Und wir sind widersprüchlich – wie die Weltlage und das Wetter im April. Die Angst vor dem Untergang klopft an unser Bewusstsein – und draußen wird es Frühling wie jedes Jahr. Der Gaspreis steigt, die Börsen wackeln, alles wird teurer – und zugleich schenkt sich die Natur Bärlauch und Blumen wie immer. Ökozid oder Atomkrieg – wie hätten sie es denn gern? Und Pandemie, Hungersnot, Gewaltherrschaft stehen auch weiterhin zur Auswahl. Auswahl? Dass wir nicht lachen! Lachen ist Selbstschutz angesichts des Schreckens. Frühling ist der Aperitiv des Jahres. Bienchen kichern, Blümchen nicken – und die Hasen lachen sich eins. Aperil, Aperol, Schpritzmajim!

Aperitiv AperilEinerseits liegt ein zunehmendes Gefühl von Ohnmacht wie ein alles zersetzender Frustfrost auf unserer Seelenlandschaft. “Da kann man ja eh nichts dagagen machen.” Allzu ausgeliefert an die Erfahrung des eigenen Fremdbestimmtseins von der Kindheit bis noch ins Sterbeheim funktionieren wir wie Automaten vor uns (und den anderen) hin (und her). Aller Triebe beraubt erschauern wir auch im machtkalten Winterwind. Andererseits fühlen wir schon so etwas wie Hoffnung in uns aufsteigen. Spüren wir warm umfangend so etwas wie Ganzheit – in uns und der Welt. Etwas, das alle mit dem anderen verbindet – und mit uns selbst. Etwas, das die Zeit aufhebt und uns den Eindruck einer Ewigkeit erweckt. Lebendig sein und auch sinnvoll verbunden mit allem, was da war, ist, sein wird. Nur nicht mit dem, was sinnlos fragmentiert als Trümmersturm, Steinhagel, Bröselbrei schmerzbrennend voll durch unsere Zweige bricht und unsere feinsten Sinne, unseren Saft, unser Myzel des Lebens verstopft.

Aperitiv AperolEs ist also nun so, dass es all den uns vorliegenden Nachrichten von einem baldigen Ende menschlichen Lebens zum Trotz wieder Frühling wird. Oder eben auch gleichzeitig, ungeachtet dessen, parallel dazu. Diesen in Wahrheit nur scheinbaren Widerspruch müssen wir aushalten, obwohlund gerade weil wir ihn fühlen. Wir könnten uns allerdings dem Frühling weitaus fruchtvoller hingeben, wenn die herrschenden Ursachen der Bedrohung schon “eingehegt” wären (unwirksam gemacht – und das wird bald notwendig sein, am besten vorgestern). Machtmissbrauch, Wachstum um jeden Preis, Profitgier, “das ökonomische Diktat”, Naturfraß, Umweltschändung, Menschenverachtung, Ressourcenraubbau, Flächendeckende Volksverblödung, you name itund überhaupt Krieg mitsamt einer offenbar völlig unbrauchbaren internationalen Gemeinschaftsordnung, die bestenfalls moralische Phrasen in die Luft hüstelt. Da brauchen wir die Hinwendung zum Frühling allein schon als Medizin.

Aperitiv SchpritzmajimUnd das Lachen als Therapie zur Selbstverteidigung: “Das wirkliche Rätsel ist nicht, wann erstmals Häuptlinge oder Chefs oder sogar Könige oder Königinnen auf der Bildfläche erschienen, sondern ab wann es nicht mehr möglich war, sie einfach durch Gelächter zu vertreiben.” In der Realität der Realitäter (und *innen) verhält es sich wirklich so, dass “um die 80% der Führungskräfte Soziopathen sind”. Derlei krachende Kollisionen der Wirklichkeit mit sich selbst kann man zur Zeit nur durch die Witzessenz an sich ertragen – indem sich nämlich zwei Ebenen, die nicht zu einander passen, überraschenderweise doch begegnen, was uns zumindest schmunzeln und die Gegensätze erträglich macht. Das widerum bewirkt in unseren Leibern (die die Welt bedeuten) einen Ausschank erlesener Hormoncocktails. Und den Menschen ein Wohlgefallen, Prost! – In den Abgrund schauen und trotzdem lachen: Das ist der Aperitiv – zur Gefechtspause im Dauerfeuer des Weltgedümmels.

Gute Nacht, Österreich

PS. Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow – Der Mann, der die Welt rettete …

 

Bürgerkrieg im Herzland

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. FebruarGespaltene Gesellschaft. Die Parteien stehen sich unversöhnlich gegenüber. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Oder Böse und Gut? Das Ringen um die Macht. Aus dem Keller der Geschichte hört man den Endsieg kichern. Den Gottesstaat. Das Reich. Das Richtige wird triumphieren. Und das Falsche wird vernichtet. Im Namen der jeweiligen Versprechungen. Davon versprechen wir uns aber genau nichts. Jede Erlösung hat es nicht weit bis zur nächsten Endlösung. Jeder Feind, der uns vor Augen gestellt wird, ist längst ein Teil von uns. Jeder Krieg gegen “die Anderen” widerspiegelt unsere innere Zerrissenheit. Wir sollen einen Teil von uns ausrotten, um im anderen Teil als strahlende Sieger zu erstehen. Bürgerkrieg im Herzland.

Zwei Seelen, achJede “Erziehung zum Guten” (die wir bisher gesehen haben) bedeutet die “Austreibung des Bösen” und beruht auf äußerlicher Anpassung an das jeweilige Verhaltensideal. Die dabei angestrebte Abtötung der unerwünschten Seelenregungen führt unweigerlich zur Verdrängung, Verleugnung und Abspaltung ganz erheblicher Persönlichkeitsanteile und so in weiterer Folge zu einer in sich gespaltenen Persönlichkeit. Diese dümmliche Abrichtung zu einem “richtigen Funktionieren” erzeugt genau die mit sich selbst im Krieg befindlichen Menschen, die es braucht, um einen Krieg in der Außenwelt zu führen. Gesellschaften, die aus solcherart gespaltenen Persönlichkeiten bestehen, sind naturgemäß von vornherein gespaltene Gesellschaften. Und das dauernde innere Zerren und Reißen zwischen “Gut” und “Böse”, also der fortwährend in diesen Menschen stattfindende Krieg zwischen dem einen und dem anderen Anteil ihrer selbst bewirkt wiederum Krieg.

Bürgerkrieg im GlaubenNun ist es wohl so, dass in jedem von uns Güte, Wahrheit und Hilfsbereitschaft vorhanden sind, die nach Ausgestaltung streben – aber eben auch Bosheit, Lüge und Zerstörung. Von der Rettung der Welt bis zu Mordlust und Quälerei ist das alles in unseren Gedanken und Gefühlen angelegt. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen, sowohl in unserem Inneren als auch in der Wirklichkeit der Außenwelt. Und – welche Regeln und Gesetze für unser gedeihliches Miteinander sinnvoll sind. Ein Autor, der es versteht, die damit verbundenen Abgründe in seinen Geschichten aufzuzeigen, ist Ferdinand von Schirach. Erfreulicherweise formuliert er keine Erziehungsziele, sondern stellt die Beschaffenheit des Menschen in seinen jeweiligen Lebensumständen dar, so dass wir uns darin als etwas Ganzes erkennen.

Bürgerkrieg im HerzlandWenn wir nicht wollen, dass unser inneres Zerrissensein zwischen Ideal und Peinlichkeit weiterhin als Treibstoff für den Krieg benutzt wird, dann müssen wir nach einer echten Versöhnung der sich in uns befindlichen Gegensätze forschen. Und nicht nach noch ausgefeilteren Methoden, irgendwelche “Gegner” zu übervorteilen. Dadurch würden wir uns ja wiederum nur selbst (und vor allem um uns selbst) betrügen. Frieden ist nicht die Abwesenheit von Krieg – sie wäre aber eine sehr angenehme Begleiterscheinung, wenn Frieden endlich stattfindet. Eine Erziehung zum Ganzen – und nicht nur zum “Guten” – könnte ein Anfang sein. Oder die logische Folge. Doch wie Frieden schaffen – ohne Waffen? In einer Welt voller hochtechnisierter Säugetiere, die Uwe Dick einmal als “Drüsensklaven selbsterhöhter Abkunft” und “Serienköpferl aus der Nutzmenschenbatterie” bezeichnet hat? Erfreulicherweise formulieren auch wir keine Erziehungsziele – sondern regen zum Weiterdenken an.

“Ich sagte zu ihm: In dir wohnen zwei Seelen – eine, die tötet, und eine, die liebt. Und er sagte zu mir: Ich weiß nicht, ob ich ein Tier bin oder Gott.” ….. “Aber ihr seid beides!”

 

Das Kind in der Suppe

Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Januar – Jeder Betrachtung des Abgründigen wohnt ein Lebendigsein inne – immerhin spürt man, wie es einem da die Nackenhaare aufstellt. Und so ist die Beschäftigung mit dem Unheimlichen immer auch ein Fest des Lebens – sofern man nicht darin untergeht. Also nicht im Anstarren des Abgrunds verharren (der ja mit der Zeit zurück starrt, wie Nietzsche zu berichten weiß), sondern selbst wissen, dass man etwas empfindet, wenn man sich erschreckt. Dabei wie ein Kind einerseits in diesen Gefühlen versinken, zugleich andererseits im Vollbesitz der eigenen Phantasie das Unerträgliche inwendig umgestalten. Die lange Tradition künstlerischen Umgangs mit dem Morbiden zeugt von dieser Möglichkeit, das Unerträgliche in und um uns zu verbearbeiten – und lädt immer wieder dazu ein.

Mit Kind und KegelMit Kind und Kegel reist Familie Lemming nach St. Nimmerlein am See. Wir sitzen in der ersten Reihe und schauen zu. Von wem ist dieses Stück? Oder ist es gar ein Ganzes? Bald sind wir Menschen unter den Wiesen. Und werden Wiesen, und werden Wald. Liebe Abendlandler, das mit dem Landaufenthalt kann ja heiter werden. Almdudler akbar et cum spiritu tuo. Wo hängen jetzt die Jäger? Im Backheldensalat… Gerade die österreichische Dichtkunst ist reich an Bildern des Verfalls, wie sich an den Liedern und Gedichten von Ernst Jandl, H. C. Artmann, Helmut Qualtinger oder Georg Kreisler feststellen lässt. Dass uns diesen Umstand ausgerechnet ein Stiller Has aus der Schweiz wieder ins Gedächtnis befördert! Endo Anaconda hat allerdings (als Halbösterreicher und Wahlschweizer) die nötige Nähe und eben auch Distanz zum Objekt seiner Betrachtungsowie das Werk der Obgenannten verinnerlicht:

Das Kind in der Suppeösterreich, i steh auf di
es muss ja nicht unbedingt salzburg sein
dafür lieb ich den alten kaiser
den kreisky selig und den georg kreisler

österreich, hoch sollst du leben
du hast a rabenschwarze seel
und a feuerrotes herz
und an stinkerten pelz

So heißt es in seinem Lied “Österreich” aus dem Album “Stelzen”, dessen Texte insgesamt eine lebenslange Zweiseelenheimat erkennen lassen. Überhaupt scheint uns da ein Zusammenhang zu bestehen zwischen dem Schrecklichen und dem Schönen, ein Zusammenhang, dem speziell im Leiden fühlende Kunstschaffende Ausdruck verleihen. An dieser Stelle wollen wir wieder zwei verstorbene Salzburger Schriftstellerinnen “ins Leben denken”, deren Werk für die heimische Künstlerwelt wesentlich warund bleibt: Christine Haidegger und ihre Tochter Meta Merz, deren Text “Das Kind in der Suppe” schon zu zahlreichen Interpretationen inspirierte und der sich auch auf geradezu wundersame Weise als Titel dieser Sendung empfahl…

Das weiß doch jedes KindUnd was für eine dichte Metapher, die sprichwörtlich Welten über Welten hervorbringt! Hätte der alte Herr Adenauer nicht das Kind mit dem Bad ausschütten sollen, als sich herausstellte, dass nur noch nazibraunes Wasser in der Wanne war? Oder war da das Kind längst in den Brunnen gefallen? Wenn ja, in welchen? Und welches Kind? Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt! Hauptsache, das Prinzip Herrschaft bleibt erhalten. Dachte sich wohl der alte Herr. “Es ist schon in Ordnung, dass jemand regiert.” Dazu braucht es eben Beamte. Und Angst. Wir basteln uns eine Republik, die kann dann heißen, wie sie will. Der jeweilige Oberhops ist immer nackt, das weiß doch jedes Kind. Nur sagen traut sich das kaum je eins. Androhung des Ausschlusses aus der Volksgesundheit. Und Angst. Und kusch! Großjuchu ist das schönste Land auf der Welt und wir sind alle furchtbar stolz, irgendwas zu sein.

kumm schweinderl kumm
darfst noch a bisserl grunzen
weil morgen kommt der fleischhacker
und dann gibts kraut und blunzen

Stiller Has

 

Septemberteppichfransen

> Sendung: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Oktober – Es begann alles mit der Wahrnehmung eines etwas ausgefransten Sommers. Dann kamen die Übergänge zwischen Sommer und Herbst ins Spiel, welche immer wieder zwischen spätsommerlich wärmend und frühherbstlich fröstelnmachend wechselten. Recht regelmäßig wenigstens, ein Gruß des Beständigen in all dem Zerfall und Zerzausen rings um uns und mittendrin. Genau da drängt sich die Phantasie eines fliegenden Teppichs ins wunde Gemüt. Frei schwebend über all den grausligen Niedrigkeiten in seentiefem Blau nach innen sinken – und über all die zwingigen Klaustrophobien und Menschenkatastrophen hinweg im nur mehr Eigentlichen herum fliegen, dabei entspannt die flatternden Fransen bestaunen – also die Septemberteppichfransen.

SeptemberteppichfransenVor gut 10 Jahren erschien das Album Nervöse Welt – und dazu hieß es: “In einer Welt aus Papier will ich Flammenwerfer sein.” Ich würde das heutigentags etwa so abwandeln: “Auf einem fliegenden Teppich will ich flatternde Fransen beobachten.” Vielleicht lässt sich dabei der sprichwörtliche rote Faden finden. Womöglich gar der Ariadnefaden, nach dem wir alle fahnden wie die Verirrten. Wenn nicht, dann lässt sich immerhin erkennen, dass man kein Konsumschwammerl sein muss, um beim Betrachten von fraktalen Strukturen (wie eben Teppichfransen im Flugwind) ins Unendliche zu geraten. Es geht nur auf Umwegen ins Unendliche. Das Labyrhinth ist der Regelfall. Rechteckig sein ist Verbrechen an sich selbst: “Die bloße Vorstellung von so etwas wie einem normalen Menschen ist bereits das erste Symptom des Psychopathologischen.” So formuliert das ein Logotherapeut.

SeptemberteppichfransenDa führt nie ein gerader Weg von der Geburt bis zum Tod. Es sind die Verschlungenheiten, die uns auch mitunter zu verschlingen drohen, die das Wesen des Lebenswegs ausmachen. Der Umweg ist das Ziel – wenn überhaupt. Und daraus ergeben sich unendlich vielfältige Möglichkeitsformen. Der Blitz soll all die beim Scheißen treffen, die uns zu funktionsförmigen Jasag- und Mitmachtrotteln ihrer kranken Hochleistungsgesellschaft umwidmen und zurechtklonen wollen. Ruhen wir lieber im Zwischen, bevor wir uns entscheiden und beschneiden lassen. Lass fahren dahin, tausendjähriger Eierschas, und wenn die Welt voll Teufel wär, in der Ruhe liegt die Kraft, speziell mitten im Sturm: Lassen wir es flattern, rascheln und vibrieren. Lassen wir es tönen, tuten und verklingeln. Lassen wir es glitzern und uns satte Farben ins Aug schieben. Lasset uns bunt sein und schräg und schrill! Und Septemberteppichfransen!

SeptemberteppichfransenIch mag ja Französchisch. Und die Sprache ist auch sehr schön. La vie est belle. Fransen. Frans Ferdinand. Fransophonie. Qui vivra verra. Wir werden sehen… Nicht ohne Ironie! Un monde formidable. Doch nicht? Wir fahren also diesmal auf einem fliegenden Teppich durch die Nacht und versenken uns und euch in einige der Gedankenanstöße, die hier ausgedrückt wurden wie die Wimmerl unserer Jugendzeit. Und was uns sonst noch erwartet auf den verschlungenen Wegen des gemeinsamen Da-, Dort- oder überhaupt Seins – das wollen wir freudig erwarten und uns daraus einen Karl machen, den wir uns mindestens auf den Bauch hauen können – wenn wir ihn nicht sowieso unter den Armen verteilen. Wenn euch nicht gefallen hat, was heute hier stattfinden wird, dann reibts es uns doch unter die Nase – oder zeichnets es euch auf, lassts es euch schön einrahmen und hängts es euch z’haus übers Klo

Mahlzeit!

 

Liebe in Zeiten

>>> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. AugustIst es die Liebe in den Zeiten der Corona? Die Liebe in den Zeiten der Cholera? Die Liebe in den Zeiten der Choleriker? Oder eben einfach Liebe im Wandel der jeweiligen Zeit? Liebe ist ja sowieso eine mit Bedeutungen vollgestopfte Begrifflichkeit wie kaum eine andere, weil da doch Jedermann und Frau und sonstiges reinprojizieren kann, was auch immer. Und genau deshalb machen wir keine Sendung über “die Liebe” (denn was soll das auch sein). Ein bloßes Aufmarschierenlassen unterschiedlicher (angeblich allgemein anerkannter) Bedeutungen wäre ja ebenso elendslang wie zu schlechter Letzt einschläfernd. Stattdessen einige Aspekte aus unserer ureigenen Anschauung von Liebe, wie wir sie erleben – in jenen Zeiten, in denen wir leben.

Liebe in Zeiten 1Und für unser Publikum ein paar undefinierte Übergänge zwischen den einzelnen Elementen, auf dass sich in jeglichem Hörgehirn eine persönliche Nachtfahrt entfalten kann. Immersives Radio von den Festspielhasen eures Vertrauens! Da wird Dopamin produziert, dass es selig macht – und sämtliche Lautsprecher des Liebeslebens euer ureigenes Stück aufführen. Gewiss, wir hupfen euch immer noch “eine Sendung” vor, textmusikalisch, spontan-assoziativ, vom Ablauf und der Auswahl der Beiträge her – doch die sinnstiftende Interpretation des Ganzen (als eine Geschichte) findet letztendlich in euren Köpfen statt, je nach dem, was sie euch erzählt. Für eine solche Vorgehensweise eignet sich unsere Themenwahl aus “Liebe” und “Zeit” ganz vortrefflich, zumal jeder Mensch “Liebe” höchst individuell interpretiert (auffasst und ausdrückt) sowie “Zeit” ebenfalls höchst einzigartig erlebt, begreift, verbringt. Beides wird unendlich vielfältig gestaltetund das ist gut so!

Liebe in Zeiten 2Die Theorie zur Umsetzung dieser Art von Darbietung haben wir 2011 bei Thomas Oberender entdeckt – und stante pede einer praktischen Überprüfung unterzogen – als ein spontanes Tischtheater out of the Box sozusagen. Es hat wunderbar funktioniert und bleibt fürwahr ein fester Festspielflash. Während im Vordergrund das hintergründige Drama seinen Lauf nimmt, proben die Gestalter von “Druckfrisch” (Andreas Ammer & Denis Scheck) für ihr Gespräch mit dem dazumals frisch gekürten Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa über den Dächern von Salzburg. Es herrscht also ständiges Kommen und Gehen. Do you know if you are coming or going? Wir wären nicht überrascht, wenn ja. Aber wie viele? || Abschweifungen wie diese und andere angewandte Entknüpfungen sind notwendig, um allzu eingeprägte Denkmuster zu lösen, damit überhaupt neue Bedeutungen entstehen und so die Belohnungsdrogen für das Selbstentdecken, Selbsterfinden und Selbstgestalten ausgeschüttet werden.

Liebe in Zeiten 3So irgendwie muss das mit der Katharsis gemeint gewesen sein. Die Auflösung der Vorstellung von sich selbst als Voraussetzung für die eigentliche und dann erst recht heilsame Selbsterfahrung. “Der Aggressor, das sind wir, ab da tuts weh, ja – dass wir uns selbst auch als Täter erleben ….. das ist die Urerfahrung des Drama, oder der Tragödie ….. Wir sind sterblich und Leben heißt schuldig werden, immer, für jeden einzelnen von uns. Und dafür ein Auge zu öffnen, sich mit dieser Erfahrung zu konfrontieren, das ist das Privileg, aber auch die Aufgabe von Kunst.” Täglich müssen wir erfahren, wie Kunst an sich in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen funktioniert und nicht durch ihr bloßes Stattfinden die Welt verändert. Andererseits führen wir uns eben nicht für ein exklusives (also beschränktes) Publikum auf, das in künstlicher Extase befriedigt mit sich selber verschmilzt. Fleischliche Gemüse! Wir nehmen lieber den Individuensalat. Thomas Oberender würde dann auch sagen:

“Hören sie genau … Hirn”

Oder? Alles hin.