Jenseits von Schatten

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. NovemberDie Schatten werden länger. Sagt man so – und passt auch in die Jahreszeit. Das hat – in unserer Außenwelt – mit dem Stand der Sonne zu tun. Wie verhält sich das hingegen mit den anderen möglichen Bedeutungen der Begrifflichkeit? Den Schattenanteilen der eigenen Persönlichkeit, etwa dem “Archetyp Schatten” nach C. G. Jung? Oder den dunklen Stellen in unserer Vergangenheit, die nicht nur die eigene Geschichte, sondern auch die der gesamten Familie, sogar die eines ganzen Landes überschatten? Welches Licht der Erkenntnis kann hier an die Stelle der Sonne treten? Oder ist es ein Licht des Lebenwollens (wie auch immer das ausschaut), ein wärmendes Feuer vielleicht, das nicht nur das Dunkle erhellt, sondern die tanzenden Schatten verwandelt, in …

Jenseits von SchattenIch stelle mir ein neugieriges Kind vor, das herausfinden möchte, was unter seinem eigenen Schatten ist. Es bückt sich zu ihm hinab, nimmt ein Ende zwischen die Finger, dreht ihn behutsam zur Seite (so wie man ein Etikett von einem Buch löst) und ja, blättert regelrecht um in seiner Welt, schlägt eine neue Seite in der Wirklichkeit auf und … Was ist da, hinter dem Schatten?

An dieser Stelle mag jemand einwenden, dass es sich bei solchen Überlegungen um nichts anderes als reine Illusion handelt. Um Hirngespinste und Phantastereien, die nur Zeit kosten und “in der realen Welt da draußen” keinerlei Nutzwert haben. Bevor wir nun entgegnen, dass genau dieses Nützlichkeitsdenken sich in der Realität der Zuvielisation mit all ihren unerwünschten Wirkungen bis zur Infragestellung allen Lebens wiederspiegelt (und dabei wie ein Glaubenssatz andauernd unhinterfragt vor sich her wiederholt wird), wollen wir doch lieber in die Welt der Poesie eintauchen

Jenseits von SchattenDie beginnt nämlich dort, wo uns das scheinbar so selbstverständliche Unterscheiden von Licht und Finsternis, oben, unten, richtig, falsch, hinter meiner, vorder meiner, links, rechts, wir, die anderen … zwischen den Definitionen verschwimmt. Wir leben nicht nur da draußen sondern zugleich auch in einer Welt jenseits von Kasterln und Kategorien. So wie es auf der Welt derzeit zugeht, hat es den Anschein, als gäbe es da zwei verschiedene Welten, die sich noch dazu in einer Art Kriegszustand mit- oder eigentlich gegeneinander befinden. Doch ist dem wirklich so? Oder sind die zwei Welten nicht vielmehr zwei Aspekte ein und derselben Wirklichkeit? Die es nur im Zusammenwirken dieser beiden Wirklichkeitsanteile gibt? Dann wäre das Ausblenden und in weiterer Folge das Abspalten (das Verleugnen, Negieren, Nichtfürwahrhalten) einer der zwei Hälften des Ganzen so etwas ähnliches wie ein teilamputiertes Leben. Dann wäre das Fürnichtexistenterklären und bei trotzdemiger Wiederinsbewusstseindrängung das Ausradieren- und Zerstörenwollen die logische Konsequenz und damit einhergehend die sich bei vollem Bewusstsein selbst lobotomiert habende Restmenschheit. In diese Regionen eigener Schuld an sich selbst vorzudringen – das tut wirklich weh.

Jenseits von SchattenJenseits von Schatten – das wäre dann also dort, wo sowohl Körper als auch Geist und Seele wieder ins Lied des Lebens einstimmen, ohne gegeneinander kämpfen zu müssen. Dort, wo Innen- und Außenwelt ein und derselben Wirklichkeit dienen, ohne lebenskraftraubenden Krampf und selbstverbehindernde Spaltung. Eine Wirklichkeit, in die einzutreten mit den Mitteln der Kunst befördert werden kann, die sich aber oft auch der Zugänglichkeit entzieht, weil manch schreckliche Erfahrung uns in ein dauerhaftes Erstarren versetzt hat. Und weil ja die meisten von uns an diesem oder jenem Punkt der Gefühlswahrnehmung mit der Zeit blind, taub oder sonst unempfindlich gemacht worden sind. Darum sei an dieser Stelle auf den Wert der therapeutischen Beziehung verwiesen, denn der schrecklichen Medusa lässt sich nur mit Hilfe eines Spiegels der Kopf abschlagen. Dann aber entspringen ihr Pegasus (das geflügelte Pferd) und Chrysaor (der Krieger mit dem goldenen Schwert). Hier gedeutet von Peter Levine.

Wer keine Visionen hat, sollte zumindest neugierig bleiben.

 

The Spirit carries on

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 19. April — Ist da ein tieferer Sinn hinter dem Scheinbaren? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist das Leben überhaupt und ist da nicht doch mehr als das, was wir jeweils gerade erkennen können? Die großen Menschheitsfragen widerspiegeln sich im kleinen Welttheater unserer Radiokunst. Ausgehend von einem alten Hadern der Band Dream Theater mit dem Titel The Spirit carries on versammeln wir Beiträge und Gedanken, die das Entstehen und Vergehen verschiedener Welten ansprechen. Und die darüber hinaus den einen oder anderen Zusammenhang erahnen lassen. In der Gespensterbahn der Weltgeschichte wohnt ein wissendes Kind und zündet einen potemkinschen Schreck nach dem anderen an, um jeden Untergang in ein fruchtbares Land zu verwandeln.

The Spirit carries onDas ist schon ein Vermächtnis des inneren Kindes, dass es weiß, was es gebraucht hätte, um sich seinem Leben und seinen Anlagen gemäß zu entwickeln. Daher weiß es auch, wie die Welt, auf die es gekommen ist, beschaffen sein müsste. Und so können wir ihm schon vertrauen, wenn es den Zustand der Welt, in der es jetzt als Erwachsener lebt, kritisiert und sogar verurteilt. Die Aufgabe, die sich uns im Umgang mit ihm stellt, ist der liebevolle Dialog. Hannah Arendt hat es einmal so formuliert: “Denken ist Zwiesprache mit sich selbst.” Das ist zutreffend beobachtet und doch möchte ich an dieser Stelle hinzufügen: “Nicht alles, was sich in deinem Geist abspielt, ist erwachsen.” Nur wer sein oder ihr inneres Kind (die eigene Kindheit, die nach wie vor in uns umgeht) nicht abweist, wenn es sich bemerkbar machen will, kann die Welt da draußen so reparieren, dass auch tatsächlich neue Kinder (im obigen Sinn) in ihr leben wollen. Wer seine Kindheit ablehnt, wird von ihren unerlösten Geistern verfolgt.

The Spirit carries onNun sind aber im Leben von vielen von uns schlimme Dinge passiert, die uns schon in der Kindheit dazu veranlasst haben, einen Teil unserer Gefühlswahrnehmung nicht mehr stattfinden zu lassen, um nicht den Verstand zu verlieren. Wir haben den Tod überlebt – und doch fehlt uns oft irgendwo im Innersten ein “guter Vater”, eine “gute Mutter” oder sonst eine das Urvertrauen herstellende Instanz. Irgendwas in uns schreit nach der liebevollen Zuwendung, die wir anstelle des Verlassenseins gebraucht hätten und die wir trotz aller Verdrehung und Verdrängung nach wie vor zum Lebendigsein brauchen. Für ein Kind ist jede Art von Missbrauch/Misshandlung ein lebensgefährliches Fallengelassenwerden. Wir sehnen uns nach dem verlorenen Sinn. Hier sind wir offenbar schon mitten in die Traumatherapie hinein geraten und so verweise ich auf das sehr schlüssige Konzept “Das Innere-Kinder-Retten” von Gabriele Kahn. Es atmet diesen gewissen Spirit.

The Spirit carries onUnterwegs im Unfertigen begegnen wir in uns wie auch außerhalb den zu rettenden Kindern. Und erfinden über magische Kräfte verfügende Phantasiegestalten, die sie retten. Die Idee dahinter ist, dass wir das, was in uns zerstört wurde, wieder finden und für uns lebensfreundlich machen. So verwandeln wir uns mit der Zeit in die Menschen zurück, die wir von Anfang an waren, bevor wir der Schwindligmachung zum Opfer fielen und vom Gespensterkarussell der Realitäter*innen eingeschlürft wurden. In die Menschen, die wir schon immer sind. Ja, dürfens denn das? Aus der Bastelkiste der Kulturgeschichten, aus dem Fundus aller denkbaren Religionen, aus der Ursuppe hinter jedweder Mythologie einfach so, freihändig und ganz nach eigenem Bedarf die jeweils entsprechenden Gestalten aufrufen, verändern und zur Selbstrettung ins eigene Seelenleben stellen? Ist dafür nicht irgendein Gott zuständig? The Great Spirit oder eine andere das Urvertrauen (wieder) herstellende Instanz? Man wird sehen

Danke, Stiller Has!

 

Verdrängungen

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Februar – Rainer Maria Rilke drückt es in seinem bekannten Buch Briefe an einen jungen Dichter folgendermaßen aus: “Vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im Grunde das Hilflose, das nur von uns Hilfe will.” Und Peter Gabriel sagt in seinem Song Darkness über jenes Abgespaltene in uns, das einerseits wunderbares Leben verspricht – das zu spüren uns andererseits mit Todesangst erfüllt: “The monster I was so afraid of lies curled up on the floor, is curled up on the floor just like a baby boy. I cry until I laugh.” Verdrängungen aber sind so viel mehr als nur ein psychologisches Phänomen, das uns durch Herausfiltern und Ausblenden sich aufdrängender Überreizung schützt.

VerdrängungenWir kennen Verdrängung meist aus dem Zusammenhang unrühmlicher “Vergangenheitsvergewaltigung”, womit ein hierzulande verbreitetes “So tun, als ob nichts gewesen wäre” als Reaktion auf das Trauma des 2. Weltkriegs sowie aller damit einher gehenden Schrecklichkeiten des Nationalsozialismus beschrieben wird. Und als individuelle Antwort der Psyche auf Bedrohung, Verletzung und jede andere außergewöhnliche Belastung. Ganz Österreich, so könnte man daher sagen, ist eine posttraumatische Belastungsstörung. Und wir möchten da antworten: Ganz Österreich? Nein! Ein von unbeugsamen Kindern bevölkertes Radio hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten … Und so nähern wir uns dem magischen Vorhang, der uns von uns selbst trennt, während wir ganz weit hinten im Unbewussten wissen, dass wir mit dem, was wir nicht spüren können, schon immer verbunden sind und es auch immer sein werden. Es müssen andere Verdrängungen geschehen als die, die wir zu kennen glauben.

VerdrängungenEine andere Wirklichkeit dringt unmerklich ein und verdrängt wie von selbst die bisherige. So wie (ja, es muss wieder ein Scheißbeispiel her) ein anderer Stamm von Darmbakterien, der das Verdaute zu wohlgeformter Wurst verklärt, jene bisherigen verdrängt, die sich unförmiger bis hin zu formlos auf das auswirken, was wir stets unbemerkt verstoffzuwechseln trachten. Oder wie eine neue Luftmasse aus wärmeren Gefilden den schon viel zu lange im Talkessel gestauten Kaltluftsee einfach ob ihrer schieren Ausbreitung daraus hervor verdrängt. Diesen Bildern ist eins gemeinsam – sie verdeutlichen Vorgänge, die in unserer inneren Entwicklung genauso stattfinden wie rund um uns in der Natur. Warum also leiden wir wie die Zerrissenen am Nichtzusammenkommen mit uns selbst, wo doch überall, vom Klima bis ins Gedärm, alles so zueinander findet, wie es sein soll? Liegt es vielleicht daran (und Klima ist hier ein gutes Stichwort), dass wir durch menschliche Einwirkungen von unserer Natur (und der Natur im allgemeinen) entfremdet worden sind? Der gespaltene Mensch, ein Zivilisationskrüppel, der sich für den Rest seines Daseins nur noch mühsam auf den Krücken einer künstlichen Intelligenz durch die zerfallenden Landschaften seiner untergehenden Welt schleppt?

VerdrängungenVerdrängungen. Aus der Bedrängnis entspringt ein Drang. Ein dringendes Bedürfnis, all die sich fortwährend vordrängelnden Aufdringlichkeiten der Zivilisationskultur irgendwohin abzudrängen, wo sie uns nicht mehr beim Scheißen stören (will sagen beim Selbstwerden und Verdauen).

Was will uns der Dichter sagen?

Im Verdrängten liegt die Kraft

dring, drang, drung – Verdrängtes treibt uns um
steuert heimlich oder schläft bis zur Explosion
schützt zwar eine Zeit lang gut doch wird alsbald zu Gift
so drängt das Stillgemachte ohne Dringlichkeit
will wieder sprechen, singen und aus der Versenkung
heraus zurück zum Rest, der ja nur darauf wartet
die Ausgestoßenen in die Arme zu nehmen
dring, drang, drung – Verdrängtes treibt uns um

Verdrängungen eben ….. Gfrei di

 

Durch die Nacht …

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. Dezember – Auf gehts in die längste Nacht aller Jahreszeiten! Die Wintersonnenwende steht genauso unentrinnbar bevor wie das Weihnachtsfest (klüglicherweise hat man das ja auch genau auf dieses Datum im Jahreskreis gelegt). Und wir stehen mitten dazwischen und erwarten das Kommende. Es ist ja auch Advent, allein dieser Umstand löst in den meisten von uns die widersprüchlichsten Empfindungen aus. Zu Weihnachten krachen Erinnerung und Erwartungen oft dermaßen ineinander, das mir dazu sogleich der Satz von Arno Gruen “Terror kann in Geborgenheit umkippen” in den Sinn will. Was ist eigentlich “das Liebgewordene” an so mancher Gewohnheit? Wie es nun einmal der Brauch ist, erwartet uns auch in dieser Nachtfahrt wieder allerlei Ab- und Hintergründiges.

Durch die Nacht 1Die längste Nacht und somit auch die finsterste, in der das Erwarten des endlich erlösenden Lichts auch noch durch die jahreszeitliche Kälte verstärkt wird – das ist auf jeden Fall auch eine passende Beschreibung für jene unwillkommenen Geistes- und Seelenzustände, welche meist mit Einsamkeit, Krankheit oder Tod in Verbindung gebracht werden. Die Niedergeschlagenheit, die sich mit dem Ausbleiben von Lichtblicken und konkreten Perspektiven in geradezu ausweglose Verzweiflung steigern kann, die kommt ja hierzulande gern unter dem betulichen Titel “Winterdepression” daher. Um sämtliche Arten von sich jeweils bemerkbar machenden Gefühlslagen wahr- und in weiterer Folge ernstnehmen zu können und uns dabei immer noch selbstbestimmt zu sortieren, ist es wohl ebenso hilfreich wie heilsam, die bemerkenswerten´Berichte von empfindsamen Kunstschaffenden zu sich zu nehmen. “Dadurch kann ich mich besser spüren und verstehen”, wie ich einem befreundeten Musiker unlängst schrieb.

Durch die Nacht 2“Wenn die Nacht am tiefsten ist”, das wusste schon Rio Reiser, “ist der Tag am nächsten”. Und das ist auch das Geheimnis der finsteren Nächte, ganz gleich ob es sich um innere oder äußere Nachtwelten handelt. Dem radikalen Absterben wohnt das Wiederaufwachen inne, genau so wie dem Ausatmen das Einatmen oder dem Scheißen das Essen. Der totale Höhepunkt des Winters ist die konzentrierteste Form des Sommers. Es dabei bewenden lassen zu können und nicht nach übergeordneten Sinnerklärungen suchen zu müssen, das könnte eine Haltung sein, in der es sich ebenso entspannt leben wie auch sterben ließe, ohne sich jedesmal im Augenblick des Übergangs verzweifelt zu verkrampfen. Die eigenen Gefühlswelten und Seinszustände allerdings zum Ausdruck zu bringen, in welcher Gestalt auch immer (Text, Bild, Musik, Kostüm, Raumgestaltung, Collage), ist die Grundlage dafür, sie mitzuteilen, sie mit anderen kommunizieren zu können.

Durch die Nacht 3Das nämlich erzeugt “Kontakt” oder eben Berührung”, und die braucht es, damit “der Funke überspringt” und Gemeinsames” entsteht. Was waren die wesentlichen Merkmale der finstersten Nacht? Mangel an Licht und Mangel an Wärme, wenn ich nicht irre. Und auch die schiere Verzweiflung kann als Einsamkeit charakterisiert werden. Die Rede ist von den drei Elementen, die quasi den Keim des nächsten Sommers ausmachen – und mitten in der tiefsten Nacht auf ihr Erwachen warten. Wohlan, wir wollen das unsere dazu beitragen, sie gemeinsam erlebbar zu machen. So, wie wir in den vergangenen Jahren die Erscheinungsform des Adventsingens immer wieder zu neuen thematischen Winterreisen umgestaltet haben, zünden wir auch dieses Mal die Lichtlein an, die das innere Feuer trotz widerlicher Umstände am Leben erhalten. Ihr Kinderlein (und damit sind alle inneren mitgemeint), kommet zu Hauf – und überhaupt. So ihr nicht werdet, seid ihr bereits – doch wenn ja, was dann? Ent oder weder

Durch die Nacht 4Wollen wir auch dem Unfertigen Raum und Zeit geben, dem noch nicht Gedachten, Gesagten oder sonstwie zu Gestalt gebrachten. Dem noch nicht Beschreibbaren, dem, das noch kein Bild, keinen Geruch, keinen Klang hat, dem Formlosen, dessen Form reine Veränderung ist. In Bewegung bleiben kann mehr bedeuten als nur immer unterwegs zu sein. Oh unfassbar scheint vieles von dem zu sein, was mich bewegt. Woraus bestehen wir? Gibt es eine naturwissenschaftliche Erklärung für Literatur? Für Malerei? Für Musik? Für Liebe? Unsere dieses Mal vier Stunden heißen Bekanntes, Verwandtes, Unbekanntes, Erkennend. Und genau das alles soll diese etwas andere Adventandacht enthalten. Zwischen Verschiedenem und zugleich sowohl als auch. Abgründig unterwegs die Scheinwelt entzaubern im kreativen Vakuum der magischen Phantasie. Der springende Punkt beim tot.leben ist der inmitten des Worts. Vor dem Anfang und nach dem Schlussvertrauen

In uns allen wohnt der Bockerer

 

Sowohl als auch mitunter

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 8. September – Eine Sendung, die der Ambivalenz gewidmet ist. Diesmal noch deutlicher als sonst eh schon meist. “Sowohl als auch” anstatt “entweder oder”, jedenfalls in der Anschauung der Welt, in der wir leben und die wir sind. Wir mögen das flirrende Zwischen im Ineinander von diesem und jenem. Viel seitig, viel fältig, viel schichtig. Viel gestaltig. “Es ist ein multifaktorielles Geschehen, das wir hier beobachten.” Ich erinnere mich in letzter Zeit gern an unsere anregenden Gespräche mit der Kulturanthropologin Elke Mader, die immer wieder bei diesem Satz innehielten, um eine Denkpause einzulegen. Das Luftholen im richtigen Moment, um noch weiter ausholen zu können. Mitunter wäre das lebensfreundlicher als dauernd irgendeiner “Richtigkeit” hintnach zu hecheln …

Sowohl als auch mitunter 1Genau wie bei diesem seltsamen Schild erschließt sich der tiefere Sinn erst bei näherer Betrachtung – oder aber erstmal auch nicht. So ist das mit der Unverfügbarkeit, und zwar von allem, was da ist, war – und sein wird. Willkommen im (in der Zwischenwelt mehrdeutigen) Gleichnis vom Vatermutterkind, unserer einstweiligen Utopie rund um die Uhr – und darüber hinaus. Bitte. Danke. Guten Nachmittag. Dem Paradoxen ist kein Naturgesetz heilig und zugleich jedes einzelne. Mehr als nur sowohl als auch. In diesem Sinn versammeln wir auch diesmal wieder Beiträge und Themen, die auf den ersten Blick (ihre Ohren werden Augen machen) nicht wirklich zusammen zu passen scheinen. Doch bei näherer Betrachtung (genau) werden sich durchaus Gemeinsamkeiten erschließen – und die sind eigentlich auch mehr als nur naheliegend. Das Lachen und das Weinen haben mehr gemeinsam als man glaubt. Im üblichen Vollzug des Alltags fällt das halt nicht so leicht auf. Wohingegen hier

Sowohl als auch mitunter 2Ein einfaches Beispiel soll Licht ins Dunkel bringen: Maria Muhar treibt mit ihren Satiren die zu beobachtende Wirklichkeit geradezu grenzenauflösend “über die Spitze hinaus”. Sie wird übrigens im Oktober in der ARGE auch live zu erleben sein, empfehlenswert! Wir lassen zwei Beiträge aus “Cat-Calling, sehr unangenehm” mit einer Lesung aus Andreas Woldrichs “Requiem für Mama” (in dem er seiner kürzlich verstorbenen Mutter gedenkt) zusammen treffen – und schauen, was sich daraus entwickelt. Wenn die von uns angestrebte Resonanz dieser beiden aufs erste doch sehr verschieden anmutenden Darbietungen zustande kommt, werden sich daraus zwei Aspekte ein und derselben Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit zu erkennen geben. Liebe und Tod, Bitter und Süß, Wahnsinn und Methode – es ist ohnehin schon längst alles in allem enthalten. Unsere Musikauswahl, unsere dazu mitgebrachten Texte und überhaupt unsere hoch ambivalente Grundhaltung bei diesem Sendungskonzept, all das sollte zum Erfolg dieses Experiments beitragen. Vor allem aber die Beschaffenheit des genannten Ausgangsmaterials, dem jeweils das Zugleich von Abgrund und Euphorie, also “sowohl als auch”, innewohnt …

Sowohl als auch mitunter 3Mischlingswesen Welpentier

Im Namen des Noned
willkommen im Land der Unfertigen Buntbedruckten
Hupfkasperln
Gleichschneckigen
und Sommerbrauen
Grüngestreifen
Vergießmeinnichtse
und Lebensüberdürstenden
Wolkenwelt-Weitentwürfe

Wunder
das Leben
inmitten von Schleim
Scherben und Schmerz

Chaos
Keine Ahnung
doch immer
aus dem Unten
von innen
überrascht

ein Nasenkitzeln
ein Lichtblinzeln
ein Fünkchen Gelächter

Die Eigenschaftswohnung
der Dauernhof am Großrotzner
das flutschernde Blechlein
Papiergoldmarie
Diplomnatur
und Stundium
Urherberts Ächzschutz
Pirateigentum Schundraub und Mutz

Unfertiges

Werdenleben

Übersteh mich nicht falsch

 

Salzenburger Fetzenspiele

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. AugustDie alljährliche Ambivalenz im Salzburger Festspielsommer mit all ihren Chancen und Risiken und vor allem Nebenwirkungen beschäftigt uns naturgemäß auch heuer. Ein Gefühlsbild unseres Befangenseins zwischen dem möglichen Theaterglück und dem rundum erschallendem Kommerzwahnsinn. Niemand, der in Salzburg lebt, bleibt von diesem “Sowohl als auch” unbetroffen, ganz gleich, wie bewusst oder unterbewusst dieser Einfluss auch sein mag. Und genau deshalb ist eine lyrische Darstellung wie diese geeignet, die widersprüchliche Gefühlsvielfalt in der Festspielstadt einzufangen – und wiederzugeben.” So steht es geschrieben im Begleittext zu unserer Collage “Ein fester Festspielflash”. Salzenburger Fetzenspiele. Ein Zuhörtheater in 3 Akten

Salzenburger Fetzenspiele 1 (Erster Akt)Der Tod spielt offenbar eine zentrale Rolle, die ganze Stadt ist Bühne und das Bühnenbild ist überaus barock. Auf den verwehenden Spuren von Thomas Bernhard jener “Friedhof der Wünsche und Phantasien”, in dem er sich als junger Salzburger immer ungern wahrgenommen hat. Eine einsame Seele zerschellt am Pompösen der beherrschaftlichen Duck-dich-Architektur und an der Monstrosität ihrer Ausstrahlung. Erst aus der Perspektive eines Ausländerkinds (oder eines anderen an Gewalt und Machtmissbrauch leidenden Menschen) wird die Wirklichkeit hinter dem künstlich schönen Schein erkennbar. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes vor einem Publikum, das finanziell über Leichen geht. Und noch eine Hightech-Spielstätte in den letzten freien Raum gequetscht. Und abgesperrt. Und abkassiert. Und ab dafür. “Schau rauf zum Himmel, diese Erde, sie ist gelb wie Stroh. Komm, lass sie uns verbrennen, ich will es so. Jetzt weißt du, wer ich bin. Herzlichen Glückwunsch

Salzenburger Fetzenspiele 2 (Zweiter Akt)“Deutsch Sprach sein Kunst. Sein ein Kunst-Sprach. Vaterland sein Kunst. Deutsch Sprach und Österreich Vaterland sein Kunst. Österreich sein ein Kunst-Land. Vater-Kunst-Land. Kunst-Vaterland. Salzenburger Fetzenspiele. Burgentheatern. Operan. Schuber und Brahmst. Schrammenmusik. Österreich sein ein Kunst-Land. Donau zu blau, zu blau, zu blau. Sein ein Kunst-Vaterland.

Viel Kunst heut nicht gut sein. Viel Kunst heut nicht viel gut sein. Sein viel Schmutzen. Kunst-Schmutzen. Sein viel viel Schmutzen. Viel viel Kunst-Schmutzen. Sein ich Kunst schutzen. Deutsch Sprach schutzen. Österreich Vaterland schutzen. Schutzen. Sein viel viel nicht Kunstler. Sein Kunst-Schmutzen. Sein Schmutzen. Schmutzenfinken. Schmutzenbacher. Pfui Gack.”             Entschuldigen sie, wenn ich jandle

Salzenburger Fetzenspiele 3 (Dritter Akt)Ein einigermaßen unorthodoxer Psychoanalytiker wurde unlängst gefragt, was in Jugendlichen so vor sich gehe, wenn sie auf “Sozialen” Medien dauernd mit Darstellungen zurechtgeschönter Idealfigur*inen zugeschüttet werden, die noch dazu auftreten, als hätten sie permanent Erfolg und umwerfend guten Sex. Er antwortete, dass es darauf zwei Reaktionen geben könne, nämlich entweder “Ich will auch so sein wie die” oder “Ich bring die alle um”. Nun wollen wir angespürs der recht ähnliche Auswüchse hervorbringenden Festspielsaison irgendwo zwischen Anpassung und Amoklauf in der Ambivalenz schweben bleiben – und die unendlichen Möglichkeiten des “Sowohl als auch” kultivieren. In diesem Sinn wählen wir nur Beiträge aus, die sowohl den kritischen Blick auf die Wirklichkeit nicht vermeiden, als auch kunstvoll der Phantasie der Verwandlung Raum bieten. Der bodenlose Bottich einer beinah leergefressenen Welt verwandelt sich in das kreative Vakuum des Neuerschaffens.

Bleib ba dir …

 

Flüchtiges Glück im Sonnenland

Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. JuliDas Sonnenland ist das, was uns in der sommerlichen Jahreszeit begegnet. Glücksmomente jedweder Beschaffenheit: Laue Nächte, Schatten unter Bäumen, Baden am Fluss, Nacktheit in der Natur, Vogelgezwitscher, Blumen, Freunde, Wind in den Haaren, Überraschendes und Vertrauen in einer warmen Welt. Beseligende Berührungen eines leichteren Lebens, die zwar befördert werden können, aber letztendlich nicht festzuhalten sind. Am Horizont ziehen die Wolken auf, die Stimmung schlägt plötzlich um, der Abschied naht – und an die Tür unserer Fröhlichkeit klopfen Sorge und Angst. Wir sind fließend und wälzen uns durch die Landschaft. Wir sind der Fluss und nehmen vieles in uns auf. Wir sind dauernd unterwegs, doch am Ende strömen wir unaufhaltsam ins Meer.

Flüchtiges Glück im Sonnenland“Mach es wie die Sonnenuhr – zähl die heiteren Stunden nur.” Für sich genommen steckt da durchaus was wahres drin. Andererseits ergibt erst das Zusammenspiel von Licht und Schatten eine Gesamtschau aufs große Ganze. Innehalten im Glück und doch um seine Vergänglichkeit wissen, das könnte uns frei machen vom anstrengenden Wegschauen und Verdrängen. Erst wenn wir die Freude wie auch die Traurigkeit in unserem Gefühlsleben stattfinden lassen, werden wir uns zu “ganzeren” Menschen entwickeln. (Naturgemäß lässt sich “ganz” nicht steigern – gemeint ist hier allerdings das Ideal von “Ganzheit”, das wahrscheinlich nie “ganz” erreicht werden kann, das es aber nichtsdestoweniger anzustreben gilt.) Wrdlbrmpfd. Jedenfalls wollen wir auf dieser Nachtreise quer durch den Gefühlegarten die Ambivalenz der Empfindungen rund ums Glück im Sonnenland und seine gleichzeitige Unverfügbarkeit darstellen. Eine Stimmungsdramaturgie aus Gedanken, Gesprächen, Musik und Literatur

Flüchtiges Glück im SonnenlandEin gutes Abendessen gemeinsam mit lieben Menschen und wir haben das Gefühl, rundherum satt zu sein. In so einem Augenblick voll Glück und Zufriedenheit kämen wir doch nie auf den Gedanken, dass schon bald wieder Hunger, Durst und der Drang zum Stoffwechselkabinett unser Dasein dominieren könnten. Und doch ist es so. Kein halbwegs vernünftiger Mensch käme auf die Idee, den Zustand der Erfüllung nach erfolgreich gehabtem Sex dauerhaft festhalten zu wollen. Und doch gibt es eine Menge unglaublicher Trotteln, die wie hirndrogensüchtige Halbaffen mit Wahlrecht und Führerschein durch die Welt orgeln und dabei genau das versuchen: “Augenblick, verweile doch, du bist so schön.” Je mehr du im Leben einzementierst, desto weniger kannst du dich bewegen. Je mehr du zu haben versuchst, desto weniger wirst du sein. “Ich bin ein harter, viereckiger Klumpen und meine einzige Aufgabe besteht darin, auf meinem Platz zu bleiben.” So denken die humanoiden Hohlziegel der Gesellschaft.

Flüchtiges Glück im SonnenlandVieles steckt vermeintlich fest im Fluss des Lebens. Und doch birgt das bewegte Wasser in sich schon die Veränderung der Verhältnisse. Es umfließt jedes Hindernis, spiegelt das Licht – und erschließt uns (wenn wir denn mitfließen) neue Wege. Die Lebenskunst, die uns das Hiersein als Menschen abverlangt, ist nicht zu unterschätzen: Jeden Moment möglichen Glücks auszukosten, als gäbe es nichts anderes auf der Welt – und ebenso davon auszugehen, ja zu wissen, dass er höchst vergänglich ist und sogar sehr schnell wieder verwehen kann. Dies scheint zunächst eine ziemlich schwierige Aufgabe zu sein (und wer hat überhaubt gesagt, dass es leicht sein wird?), für uns ist diese Herangehensweise jedoch der Wirklichkeit am entsprechendsten. Für andere ist gerade diese Haltung (das Miteinbeziehen beider Wahrnehmungen) um jeden Preis zu vermeiden. Da stellt sich doch die Frage, wer in diesem Fall den Preis bezahlen soll. Sie selbst? Die anderen? Die Natur? Der Stoascheißer Koarl?

Memento mori, Kasperltheater!

Und einen schönen Sommer …

 

Literatur oder Selbsthilfegruppe

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. März – Bevor wir diesmal in unsere Bilderwelt aus Musik und Literatur eintauchen, wollen wir auf die Herkunft ihres heutigen Titels verweisen: Vor 15 Jahren war der Verleger Jochen Jung in der Sendung “Gierig auf Lyrik” zu Gast und äußerte dort, dass er mitunter den Eindruck von “Selbsthilfegruppe” gewinne, wenn er manchen Darbietungen zeitgemäß wirken wollender Lyrikpräsentation beiwohne. Worauf er mit dieser Formulierung anspielte, lässt sich inzwischen gut nachhören. Wir nehmen seine Ermutigung zur Selbstkritik und der damit einhergehenden Selbstreflexion zum Anlass, den etwa zu jener Zeit im Rahmen der ARGE Noah 2007 als Performance-Oper aufgeführten Text “mark will leben” einer kritischen Überarbeitung zu unterziehen – und im Radio vorzustellen:

Literatur oder Selbsthilfegruppe 1“Dieser Text erzählt exemplarisch die Geschichte von einem unter lebensbedrohlichen Bedingungen heranwachsenden Menschenkind und dessen oftmals verzweifelten Versuchen, einen Sinn in seinem Dasein zu begründen. Dabei zeigt er die Gefahren des Schweigens und der Vereinsamung auf – und stellt dem die Perspektiven eines künstlerischen Selbstausdrucks in Gemeinschaft mit anderen gegenüber. Und das ist wohl nur eine erste, äußere Schicht, wie bei der Zwiebel. Rein formal bedient sich das Wortkonglomerat bei verschiedensten Ausdrucksweisen und springt von songtextartigen Strukturen über Stream-Of-Consciousness-Passagen zu Tagebucheinträgen eines vielleicht 15-jährigen und dann weiter zu dramatischen Elementen. Will das überhaupt das sein, was man allgemein unter Literatur versteht? Das, was man allgemein unter Selbsthilfegruppe versteht, das will es jedenfalls nicht sein. Aber – was will es?

Literatur oder Selbsthilfegruppe 2Bei seiner Entstehung mischen sich ebenfalls vielfältige Eindrücke ineinander: Erinnerungen an eigene traumatische Erfahrungen, spontane Assoziationen mit Erzähltem und Miterlebtem, Eindrücke von Gesehenem, Gelesenem sowie sonst in der Kunst Dargestelltem, Träume und Phantasien, Besuche in der eigenen Kindheit, Groteskes und Monströses aus dem Fundus verdrängter Familiengeschichte. Verschiedene Versuche, hinter den Vorhang nicht nur des eigenen Abgespaltenen zu spüren und etwas von jenem Teil seiner selbst zu erahnen, der einem so verborgen wie verboten erscheint. Immerhin stellen wir uns mit ausreichendem zeitlichem Abstand nicht die Frage, was uns “der Dichter” damit sagen will – sondern fragen den Text selbst, was er möchte. Das ist ein erster Schritt zur Freiheit der Kunst – von ihrer ewigen (und überaus lästigen) Interpretation durch all die Deuter und Bedeutler, bei denen man sich doch stets die Frage “Cui bono?” (zu wessen Vorteil?) stellen sollte, die ich hier allerdings mit “Was habt ihr davon?” übersetzen würde. Doch ich deute nur an.”

Literatur oder Selbsthilfegruppe 3Der Kontext der Veranstaltung war nämlich die sinnhafte Notwendigkeit einer außerhalb der Deutungs- und Bedeutungshoheit hergebrachter gesellschaftlicher Anpassungs- und Verwertungszwänge stattfindenden Jugendkultureinrichtung, eines im besten Sinn des Wortes autonom verfassten Kunsterlebnisraums, der sowohl Selbsterfahrungs- als auch Gestaltungsmöglichkeiten offen zugänglich anbieten könnte. Und deshalb will der Text “mark will leben” das zugleich selbst- wie auch gesellschaftstherapeutische Potential von eben nicht nur Literatur, sondern jedweder aus eigenem Verwirklichungsbedürfnis entstehender Kunst aufzeigen. Er will einladen ins Unbekannte, mitnehmen ins Verdrängte und mit dem im Weggemachten Lebenden vertraut machen. Vielleicht verstört er dabei die eingefahrene Gewohnheit der Weltbetrachtung, vielleicht zerstört er dabei auch das eine oder andere längst bestehende Urteil über unmöglich Erscheinendes

Is there anybody out there?

 

Kommando Pimperle

Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 10. Februar um 22:06 UhrInbetween, inbetweener, inbetweenst. Zwischen Wintersonnenwende und Weiberfastnacht steigern wir uns mit gepflegtem Weltuntergangshumor in ein erlösendes Lachen. “Mein Über-Ich hat Übergwicht” – eine interessante Beschreibung der depressiven Schräglagen des Seins – und ein Fall für unsere paradoxe Intervention aus Musik, Lyrik und angewandter Weltsatire. Was das ist? Na eben Kunnst (mit zwei N) oder “Kunnst dir was ganz anderes vorstellen?” Ungeahnte Abzweigungen mäandern im menschlichen Gehirn – und warten nur darauf, dass sich endlich wieder was bewegt. Und abgesehen von seinen erheiternden Wortassoziationen (wenn man selbst daran rumdreht), kann ein Kinderspiel wie “Kommando Pimperle” auch sonst so einiges …

Kalksburger NockerlnWillkommen in unserer begehbaren Hörkunstwelt mitten zwischen dem Lebensaufbegehren in uns allen – und dem Niedergang nicht nur des Abendlands ringsumher. Draußen vor der Tür regiert das Schwein von Kotzbühel und es befällt einen die Einsicht, dass sich die Auswüchse des “ökonomischen Diktats”, dem wir alle unterworfen sind, auch beim besten Willen schlicht nicht mehr schönsaufen lassen. Und es gibt darüber hinaus viele gute Gründe, bei dem ganzen Umpfzirkus im Weltgedümmel von Konsumwichtelhausen nicht mehr mitspielen zu wollen: “Leckts mi doch olle am Oasch!“ Das ist die eine Seite dessen, was in uns wirkt. Und was naturgemäß unsere Wirklichkeit (und wie wir sie wahrnehmen) formt und bestimmt. Eh klar, was auf uns einwirkt, wirkt sich in uns aus. Und wirkt sich wiederum durch uns auf die Welt um uns aus. Ein Teufelskreis, in dem sich die Katze, die auf dem Vulkan tanzt, fortwährend in den eigenen Schwanz beißt. Absurdes Theater in der French Disko.

Kein Ende in SichtAber halt! Wollen wir uns wieder einkriegen. Es gibt ja noch eine andere Seite – die innere. Die ist ein ebenso vielgestaltiges Hupftheater wie die äußere. Und wer da nicht alles mit- und durcheinander reden, gestikulieren und sich aufführen möchte! Ganze Vogelschwärme an inneren Stimmen und Stimmungen – die wir zumeist mit eigenen Gedanken und Gefühlen verwechseln, weil sie so gut verkleidet sind. Ich sag ja: “Mein Über-Ich kriegt Übergwicht – ganz langsam und ich merk es nicht.” Und je nachdem, was da alles auf dessen langen Listen zur richtigen Anpassung steht, kommt da und dort unmerklich ein Quentchen Stress dazu, so dass sich das innere Gleichgewicht schwupps in eine schiefe Ebene verwandelt, auf der man nur noch in den Abgrund rutscht. Die verinnerlichten Anweisungen “zum richtigen Verhalten” sind ja nicht alle so erkennbar unsinnig, dass sie sich von den “eigenen guten Ideen” unterscheiden ließen – und etliche davon sind zudem auch noch durchaus sinnvoll und brauchbar. Nur wie durch Zauberhand verhext und verteufelt brüllen sie alle zugleich auf uns ein wie ein einziges vermaledeites Kommando. Da kann einem ganz schön Pimperle werden dabei. Kopf oder Geier! Wer kann da auseinander halten, was in ihm tobt?

Kommando PimperleWer kann sich überhaupt selbst auseinanderhalten? Niemand! Ein weiser Seelenforscher (und da war er schon weit über 80 Jahre alt) hat einmal zu mir gesagt, dass Literatur und Kunst, so bedeutsam sie auch fürs Empfinden und Verstehen sein mögen, genau dabei ans Ende ihrer Wirksamkeit kommen. Nach seiner Erfahrung sei das Gesundwerden der eigenen inneren Verletztheit nur mit Hilfe von außenstehenden Personen möglich – etwa im Rahmen einer Therapie oder einer Liebesbeziehung. Ich nehme dann mindestens beides (weil sich das gegenseitig schwer befruchtet) und die Literatur und die Kunst gleich dazu (weil ich mich selbst auch weiterhin neugierig erkunden möchte). Und weil wir alle (graduell unterschiedlich schwer) traumatisiert sind, allein schon durch den Zwang zur Anpassung an das Nichthinterfragbare, und weil wir alle (nicht nur im Gehirn) voneinander verschieden verkabelt sind, sollten wir uns auf das kleine Kind einigen, das in uns allen lebenwollend herumstoffwechselt.

Hey, hey – meine Freunde vom leidenden Leben …

 

Glaubens- und Religionsreparatur

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Dezember (Erster Teil) >> Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. Dezember (Zweiter Teil) >> Abraham Abendland ist abgebranntund isst ein Apfelkompott. Wie es in der Adventszeit bei uns inzwischen üblich ist, reisen wir auch diesmal wieder kreuz & quer durch die etwas anderen Traditionen unseres Menschseins. Was ist Glauben? Und was ist Religion? Zwischen eigener Erfahrung und gesellschaftlichem System entfalten sich soziale, psychologische und spirituelle Möglichkeitsformen. Besonders dann, wenn unsere bisher für zuverlässig und wasserdicht gehaltenen Glaubensformen erodieren und sich im Wechselbad unserer Endlichkeit aufzulösen beginnen. Was passiert, wenn wir keine Macht und keine Kontrolle mehr über unser Leben haben? Wenn wir “unsere Religion verlieren” – dann brauchen wir die Religionsreparatur.

AbrahamUm diesen organischen Prozess der Umgestaltung zu veranschaulichen, haben wir eine Fülle an Gedanken- und Stimmungsbildern hergestellt und Geschichten aus Judentum, Zen-Buddhismus, Christentum, Atheismus, Philosophie und auch  Soziologie zu einem assoziativen Ideenfeuerwerk verknüpft. Damit bereiten wir den Rahmen für jene Bilder (und wahren Abenteuer, die in euren Köpfen sind) – und sind sie nicht in euren Köpfen, dann suchet sie! Wir wünschen in jedem Fall eine gedeihliche Bildwerdung. “Die Wirklichkeit, die Wirklichkeit trägt wirklich ein Forellenkleid und dreht sich stumm, und dreht sich stumm, nach anderen Wirklichkeiten um.” Soweit, so weit. Wir stehen nicht auf der Seite eines festgefügten, hermetisch in sich abgeschlossenen Funktionssystems, das behauptet, durch Auslösung einer vorher festgelegten Abfolge von Kommandozeilen einen vorherbestimmten Erfolg zu erzeugen. Das funktioniert wohl im Computer – im menschlichen Denken und Fühlen und Leben allerdings nicht.

Glaubens- und Religionsreparatur - AbendlandUns ist es ein Bedürfnis, Sendungen zu machen für Menschen, die mit Gefühlseindrücken und Assoziationen “denken”, also die Wirklichkeit viel näher am überraschend wechselvollen und vergänglichen Leben wahrnehmen können – so wie wir. Menschen, die nicht im Entwederoder verhaftet sind, sondern das Sowohlalsauch als eine Grunderscheinungsform allen Lebens in ihr Begreifen und Verstehen mit einbeziehen. Ewiges Leben ist vergängliches Leben. Aber eben auch: Vergängliches Leben ist zugleich ewiges Leben. Digitales ohne Analogie kann schon seiner Natur nach nicht intelligent sein – es tut bestenfalls so als ob. Und alles, das so tut, als ob es etwas wäre, das es gar nicht ist, zersetzt das Lebendige durch Lüge und Betrug. Egal ob Wirtschaftswachstum oder Sebastian Kurz. Stellt sich noch die Frage, warum so viele Menschenleute auf dieser Welt lieber an billigen Tinnef glauben, anstatt mit sich selbst auf die Suche zu gehen nach Antworten auf die Frage, die sie dem Leben sind. Nochmals (siehe oben): Die Fragen, die das Leben uns stellt, sind zugleich auch die Fragen, die wir dem Leben stellen. Fragt sich nur, ob wir uns angesprochen fühlen. Und wenn ja, was dann

Glaubens- und Religionsreparatur - AbgebranntFür mich gibt es einen Zusammenhang, eine Denkähnlichkeit, eine Analogie zwischen dem Dialogischen Prinzip nach Martin Buber und der Resonanztheorie von Hartmut Rosa. Ich meine, wenn man diese beiden Konzepte auf sich wirken lässt, so entsteht eine weitere, sehr stimmige Wahrnehmung vom “angesprochen sein” und “einen Dialog führen können”, wie immer das dann konkret aussehen mag. Aber der Anfang, und der ist ja oft am schwierigsten, ist gemacht. Er ist nämlich immer schon da, so wie das Leben immer schon lebt. Und jetzt Zwiesprache – mit sich selbst, mit einander, mit allem, was ist. Dabei finde ich die Geschichte von jenem Jesus vielversprechend, der allen Menschen als ein menschgestaltiger Resonanzpartner zur Verfügung stehen könnte und der zudem alle Menschen zu dieser inneren Verbindung mit sich selbst und über sich hinaus bewegen würde. Wenn er nicht von Anfang an durch Machtinteressen und ihre Interpretationen derart verzerrt worden wäre, dass heute kaum noch jemand “mit ihm spielen” mag. Doch genau darum ginge es – ums unmittelbar miteinander sein. Und nicht um hohle Herrschaftsprojektion, die niemanden berührt – also nicht lebt.

ApfelkompottHören wir heute die Adventandacht von Slavoj Žižek über Scorseses “Die letzte Versuchung Christi”. Das Christentum als Königsweg zum Atheismus? Auf jeden Fall schrieb der Autor der Buchvorlage, Nikos Katzanzakis, eine um viele kirchenbedingt entstellte Details bereinigte Lebensgeschichte des Jesus von Nazareth (in diesem Artarium zu erfahren). Doch egal wessen Adventes Kranz man sein möchte – wer das ist und was man mit ihm zu tun haben will – das sollte man schon selbst entscheiden und nicht einfach reflexhaft eine Meinung rülpsen. Beim Wiener Wolfgang Teuschl hieß es noch “Da Jesus und seine Hawara” und blieb auf bloß sprachliche Übertragung beschränkt. Bei mir heißt es zur Zeit “Da Jesus und die Buam” – und was soll ich sagen – die sind alle draußen und spielen Fußball. Seien wir doch nicht so langweilig, dass wir bei irgendeiner vorgekauten Interpretation von wasauchimmer stehen bleiben! Jede unserer Welten ist viel zu schade dafür …

Da draußen ist es eh noch viereckig genug.