Sieben auf einen Streich

Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 11. September Part 1 und Part 2 – Die Herren Chrissobert & Schmallhund feiern den 7. Geburtstag der Nachtfahrt und versuchen sich an einer Sendung über ihre Sendereihe. Ein schier unmögliches Unterfangen, welches nichtsdestotrotz in bewährter Weise livedialogisch und spontan-assoziativ zu Gehör gebracht wird. Denn wiewohl diese Perlentaucherei nunmehr die 60. Ausgabe ihres Namens darstellt (genau, deshalb auch die fortlaufende Nummerierung), existieren auch noch 24 Nachtfahrt-Episoden aus den Jahren 2008 bis 2010, die ebenso erwähnt werden möchten. Ein Archiv mit gut 200 Sendungsstunden fliegt uns daher förmlich um die Ohren. Falls also noch jemand ein Thema brauchen solltte, für eine Diplom- oder Doktorarbeit in Kommunikationswissenschaften, bitteschön, allerherzlichst, gern…

schwarz weißWir machen ja keine Sendungen über Musik, Literatur, Themen etc. Nein, daraus bestehen unsere Sendungen – sowie aus allerlei Gefühlszuständen, spontanen Gesprächssituationen und noch anderen Plötzlichkeiten. Sie bilden in ihrer Gesamtheit selbst Bilder, Collagen, Gedichte, Hörwelten – manchmal ausufernd, manchmal konzentriert, immer unvorhersehbar – und vor allem nie so, wie das, was es eh schon irgendwo anders zu hören gibt! Wenn man diese Sendungsidee und ihre mittlerweile siebenjährigen Entwicklung, dieses Work with a Work in Progress mit einem Motto betiteln wollte, dann wohl am besten mit: „Anders als alle anderen“ aber auch „Anders als alle anderen Anderen“ zumal hierohrs eine Gestaltungsform gepflegt wird, die bisher noch nirgendwo als Beschreibung eines Sendungsformats aufgetaucht ist. Zumindest in keiner der uns bekannten, halbwegs offiziellen Systematiken. Eine gewisse unterschwellige Intention ist dabei nicht zu verleugnen. Doch eigentlich hat sich dieses einstweilige Endprodukt in stets verwandelnder Erscheinung durch seine fortwährende Anwendung einfach so – ergeben. Zur weiteren Verwirrung ein paar sich verdichtende Sendungstitel:

finstere figurenNachtfahrt (2008 – 2010)

Würdigung

HassLiebe

Die toten Posen

Heavy Perfume

Die genialphantastische Beachparty

Rio Reiser Radionacht (zum 13. Todestag)

Thomas Bernhard Gefühle

No Revolutions in Salzburg (Jugendkultur)

Internationales (in memoriam Johanna Dohnal)

Meet the Angels

geistergästePerlentaucher (2010 – 2012)

Ein Salzburger Adventsingen

Zwischeninselpoesie

Weites Land (über Schwermut)

Les Coeurs des Vampires

Female. Feel Male.

Poesie und Engagement (Live im Studio: the who the what the yeah)

Experlimental (ernst jandl gewidmet)

The Soul is a Bird (Apocalypse Now!)

Strange Straight Special

Christgsindlmarkt

copy riotPerlentaucher (2013 – 2014)

Beyond Fantasy

Déviation Erotique

Dichterwerdung

Überwinden Verwandeln

On the inner road

Ein lyrischer Kosmos (mit eigenen Texten)

Heimat under construction (mit Radio Študent Ljubljana)

Turn on, tune in, drop out (mit echten Hippies)

Auf der Flucht (Grundtvig Lernpartnerschaft)

Poem – Leonard Cohen auf Deutsch (mit Misha Schoeneberg)

chrissobert schmallniggPerlentaucher (bis August 2015)

Gepflegte Koinzidenz

Musenschmusen

COPY RIOT (Civilmedia 15)

Sommernachtstraum

Surreale Sendung

Womit sich schlußendlich der Schleiß grüßt. Zu was sollten wir euch diese Sendung noch interpretativ ins Gehirn tragen, die sich durch spontanes Zusammenfügen von Musikauswahl und Textbeispielen elementar ereignet – so wie wir uns eben auch. Schreibts lieber ein lautmalerisches Gedicht zur jeweiligen Klangkulisse oder, noch besser, machts gleich eine Sendung über die Sendung über die Sendung. Zuhören heißt bei uns mitleben – doch eben nichts Fertiges, sondern sich im eigenen Erleben weiter Spinnendes. Das eigene Spinnerte halt, so wie unser Selbstgesponnenes. Und in diesem Sinne ist “etwas aus dem machen, was wir da machen“ für uns auch das höchste der Gefühle. Alles andere kann man nachhören, und zwar hier. Lechajim!

 

Sommernachtstraum

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juni – Wir eröffnen uns einen H. C. Artmann Platz. Feierlich. Live. Im Radio. Aber sowas von! In diesen Zeiten burgenländlichen Blauweinjuhudelns ist es uns ein besonderes Anliegen, den einzig wahren H. C. (Hans Carl nämlich) hervorzukehren. Dem wird ja heute auch tatsächlich ein amtlicher Platz (der Vorplatz vom Salzburger Literaturhaus) gewidmet, mitsamt den üblichen Ansprachen vom Bürgerschaden abwärts. Das alles auch noch im Rahmen des Aktionstags einer solidarischen Stadt, an sich eine lobenswerte Veranstaltung, die mir aber schon vorab einen unguten Beigeschmack bereitet, zumal dieselbe ach so solidarische Salzstadt ziemlich zeitgleich ein umstrittenes Sektorales Bettelverbot eingeführt hat ? Die Roten purzeln wohl neuerdings überall wie die Dominos aus ihren – ähm – Positionen. Erklären wir uns halt die roten Sitzsteine zum Zeichen der Hoffnung:

1 hansDer poetische act ist dichtung um der reinen dichtung willen. Er ist reine dichtung und frei von aller ambition nach anerkennung, lob oder kritik.

Der poetische act ist materiell vollkommen wertlos und birgt deshalb von vornherein nie den bazillus der prostitution. Seine lautere vollbringung ist schlechthin edel.

Der vollzogene poetische act, in unserer erinnerung aufgezeichnet, ist einer der wenigen reichtümer, die wir tatsächlich unentreißbar mit uns tragen können.

aus proklamation des poetischen actes 1953

Wollen wir also in diesen drei Stunden zum Themenkreis Sommer, Nacht, Traum den Sprachakrobaten höchstselbst zu Wort kommen lassen – ja, wir haben wieder in der Grauzone der Egalität die Archive geplündert – und zudem auch ein paar kongeniale Interpreten und inspiriert Wortene hören, wie zum Beispiel Helmut Qualtinger, Fritz Kohles oder Ronnie Urini & die letzten Poeten. Halleluja, das wird ein Fest, wenn die Jahrhunderte Schlange stehen – und der Artmann-Café-Barherr den Rosé ausschenkt. Wir wünschen uns nach all der offiziellen Daheit dieses Tages eine samtene Nacht!

2 carlliebe ratte, komm zu mir,
gerne spiele ich mit dir,
bind dir engleinsflügel um,
trag dich ins panoptikum,
worein oft die kinder gehn,
und wann die dich fliegen sehn,
rufen alle, alle aus:
so ne große fledermaus!

aus allerleirausch neue schöne kinderreime

Ein bis heute unvergessliches Erlebnis ist mir jene nichtendenwollende Lesung von H.C. Artmann in einem recht schummrigen Gasthof zu St. Pölten, die unser genial vielseitiger Berufsschullehrer für Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte Hugo Schöffer als einen integrierten Bestandteil der Ausbildung zum Buch-, Kunst- und Musikalienhändler  veranstaltete. Ja, so hieß der Lehrberuf damals nicht nur – das war er in dem Fall auch wirklich! Und Anekdoten zu alkoholischen Artmann-Auftritten gibt es mittlerweile wohl genau so viele, wie entsprechende Getränke dortselbst dargeboten und konsumiert wurden. Die FM4-Sendung Chez Hermes etwa brachte den halbamtlichen Mitschnitt einer heillos versoffenen Poesie-Performance im schönen Kärnten zu Gehör. Von den zwischenmenschlichen Aspekten des Grünen Veltliners weiß auch ich zu berichten…

3 artmannich bin die liebe mumie
und aus ägypten kumm i eh,
o kindlein treibt es nicht zu arg,
sonst steig ich aus dem sarkopharg,
hol euch ins pyramidenland,
eilf meter unterm wüstensand,
da habe ich mein trautes heim,
es ist mir süß wie honigseim,
dort, unter heißen winden,
wird keiner euch mehr finden.
o lauschet nur, mit trip und trap
husch ich die treppen auf und ab,
und hört ihrs einmal pochen,
so ists mein daumenknochen
an eurer zimmertür – o kindlein, seht euch für!

Dieses Gedicht hörte ich dabei zum ersten Mal. Es findet sich wie viele andere in der Sammlung ein lilienweißer brief aus lincolnshire. gedichte aus 21 jahren (1969). Womit wir diesen sprachgespielen Exkurs von und zu unserer freitagnächtlichen Perlentaucherei eigentlich gleich abrunden könnten. Und – was lernen wir daraus? Es gibt einen geraden Weg singt PeterLicht. (Ge)dichte Kunnst kann, auch nach Jahrzehnten des Realitätsterrors, die Wirklichkeit der Freiliebenden beschützen. Dass sie oft nicht bei uns ankommt – das ist das Versagen der Politik und nicht der Poesie.

 

Musenschmusen (Chriss)

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. April

Inspiration sucht sich heute selbst. Musen schmusen, Feen gehen und Götter vergöttern einander. Was bleibt am Ende? Ein kränkelnder Stift und leere Blätter…

LakeLightWaysEin Wort. Ein Bild. Ein Zeigen.
Wer zeigt mir die Unterfläche? Wer zeigt mir die Schichten der eigenen Geschichten? Die einzelnen Daseinsformen der wachsenden Bedeutungen meines Erkundens der inneren Welt? Brauche ich einen Führer? Jemanden der mir eine Landkarte reicht, damit ich im Dschungel meines Hirns unbeschadet die andere Seite erreiche? Jemanden der mir Licht ist in den kalten, nächtlichen Stunden meiner Seele? Gibt es so jemanden überhaupt? Oder stelle ich diese Fragen nur um mich vom Eigentlichen abzulenken? Nicht hinschauen zu müssen? Nicht hineinschauen zu müssen in den Schattenspiegel? Oder führen mich all diese Fragezeichen genau dorthin, wo ich mich nicht mehr von mir unterscheiden kann und will? An diesem Punkt der Überlegungen beiße ich mir die Zunge ab um keine Worte mehr zu vergeuden. Doch Sprache muss nicht artikuliert sein um zu existieren. So stehe ich wieder am Anfang meiner Gedanken und erkenne, dass ich ein Kreis bin. Da mir Ellipsen lieber sind verbiege ich mich ein wenig. Jetzt wabere ich im Raum. Seltsam genug, dass ich mehrdimensional bin, meine Brennpunkte fangen Feuer -violett- und warum sollten sie auch nicht? Immerhin muss ich mich warm halten. Erfrieren wäre echt das Letzte!

AugenscheinIch öffne den Mond. Ich öffne den Mund. Ich schließe die Sätze. Ich verschließe mich.
Mein Schloss ist rosig oder bemoost. Auf dem Schlüssel wächst ein Wald. Sein Bart ist Jahrtausendalt. Und schon wieder geht es ums Finden, Erforschen, Durchschreiten, Wegebegehen, Pfadestreuen, Brotkrumenlegen. Labyrinthe haben auf mich schon immer eine große Faszination ausgeübt. Ich übe mich im Übertreiben und treibe meine Sprache an. Es gibt keine Grenzen mehr. Ich werde grenzenlos und losgelöst, löse mich auf und beginne wieder von vorn…

Inspiration sucht sich heute selbst. Musen schmusen, Feen gehen und Götter vergöttern einander. Was bleibt am Anfang? Ein sprachloser Stift und hungrige Blätter…

 

Musenschmusen (Norbert)

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. April – Ein frei umher assoziierender Textmusikreigen quer durch das Spannungsfeld von Schönheit und Schrecken aus dem Salzburger Musentempel der Hoch- und Huchkultur. Ist Volkskultur populär? Oder Popkultur Industrie? Letzteres mit Sicherheit! Hilft uns die Flucht aus der Frustration, die traurige Realität zu bewältigen? Wir retten uns jedenfalls vor aller Ohren in etwas andere Phantasien … Ich wollte ohnehin schon längst wieder einmal einen literarischen (was ist das überhaupt?) Artikel verfassen, der weniger darüber aussagt, was wir hier machen, sondern mehr davon anzufühlen gibt, wie es hinter den Kulissen, unter den Oberflächen und zwischen den Zweifeln so zugeht. Nur soviel sei verraten: Jeder Text, jedes Lied, jedes Bild ist ein Teil von etwas, das noch entstehen wird…

SalzburgIch träumte vom großen Glück, neu anzufangen. Eine neue Stadt, eine neue Umgebung, eine vollkommen neue Gesellschaft. Jauchzend begriff ich, dass hier keines der einst über mich verfügten Vorurteile mehr Gültigkeit besaß – ich war mit einem Mal ein freier Mensch – und ich hatte alle Zeit der Welt. Ich konnte nach Lust und Laune abbiegen, einkehren, verweilen, mir unbekannte Gassen und Plätze vertraut machen – und mit Fremden, die noch nie etwas von mir gehört hatten, Freundschaft schließen. Ich war durch eine glückliche Wendung meines Lebenswegs aus dem Gefängnis der Gerüchte heraus geraten – und begann auf der Stelle wieder mit meinem eigentlichen Menschsein – als ein vom auswendigen Unrecht der Eingefleischten niemals Beschmutzter.

Wie lebensnotwendig ist solch ein mitternächtlicher Musenkuss, insbesonders, wenn ringsum der Terror des Trotteltums tobt. Wenn zwischen der Blödheit und Böswilligkeit der einen tagtäglich Befallenden nicht mehr zu unterscheiden ist. Wenn man nur noch die Macht ihrer Missgunst fühlt, die einem die Mauern des eigenen Luftholens fortwährend enger und enger rückt, dieses Zerquetschenwollen jedlebender Bewegung. Mordlüsterne Kasperltheater verinnerten Wohlanstands taumeln funktionierend durchs Bühnenbild – und erschlagen das eigentliche Befinden erfolgsam mit vorgegaukelten Phrasen. Die vernichtende Nachrede dieser sich Gesellschaft nennenden Automaten brandstiftet noch in den untersten Winkeln des Restbewusstseins den Angsthass (auf sich selbst) und schiebt ihn dann den Anderen unter.

UhrzeitAber du kannst doch nicht so auf die „normalen Menschen“ losgehen! Immerhin ist das die Mehrheit in dieser demokratischen Gesellschaft. Schimpfen auf die Verhältnisse hat auch noch nie was gebracht. Das führt nur wiederum zu noch mehr Verbitterung… Wie bitter? Das sind mir vielleicht so Alles-wird-gut-im-nächsten-Leben-Sätze aus der Dunkelkammer des tausendjährigen Beschwichtentums! Du sollst Vater und Mutter ehren – auch wenn sie dir nach dem Leben trachten. Denn alle Obrigkeit ist von Gott – geschissen. Patridioten aller Vaterländer, hupft euch taubstumm und verblödet zu euren Heimatklängen! Es ist bestimmt keine Industrie, die euch den Abfahrtslauf der Volksmusik listig ins Bewurstsein träufelt. Nein, es sind sicher eure eigenen Gefühle und Bedürfnisse, die so unkontrolliert aus euch hervorbrechen wie Frischgekotztes hinterm Feuerwehrzelt.

Eine Menschheit, die sich mit dem Unrecht gemein macht, muss beschimpft werden. Und zwar heftig. Das ist die einzige Möglichkeit, seine Feinde zu lieben – indem man ihnen die Wahrheit eben nicht vorenthält. Schon seit vor meiner Geburt halte ich ihr sämtliche andere Wangen und Arschbacken friedfertig ins Gesicht – und was tut sie? Mich unter Androhung des Ausschlusses aus der Volksgesundheit zum Nahtod erschrecken und mich sodann mit vorgehaltener Macht zu sexuellen Verrenkungen abkommandieren, die ich allein schon aus Gründen des guten Geschmacks niemandem zumuten möchte. Nein, solang die Einwohnergemeinheit dieser Stadt, dieses Landes und dieses Planeten nicht damit aufhört, auch nur einen Einzelnen aus Gewinnsucht und Gier von Kindheit an in ihr zutiefst fragwürdiges Betriebssystem einzugliedern – solange gibt es keinen Frieden auf Erden – und das muss dann auch gesagt werden.

Programm„Lasst ab von eurer Ungerechtigkeit. Verschenkt euren Reichtum an die Armen. Und urteilt nicht über eure Mitmenschen nach deren Ansehen, Ruf oder Stand.“ So etwa klang der Originaljesus, bevor man ihm eine Gewaltkirche übergestülpt und ihn zu deren Heilanstaltsleiter gemacht hat. Und so kann auch der Klang unseres Gemeinwesens sein: Befreiend und ermutigend gegenüber den Armen, Ausgelieferten und Bedrohten – und beinhart gegenüber den Mächtigen, die ihre Macht erst durch deren Angst und Not – und somit völlig zu Unrecht – besitzen. Solcher Einsicht ist allgemein jedes Kind fähig. Damit es aber gar nicht erst dazu kommt, wird ihm schon von klein auf mit der Muttermilch jenes Gewissen eingeflößt, das ihm fortan ungefragt mitteilt, wer es sein darf, wo es hingehört – und was es lieber erst gar nicht denkt.

Und so entstehen sie, die anpassungsfrohen Gerndabeiseier dieser sich immerdar selbst fortklonenden Gesellschaftsmehrheit. Sie sind das statistische Mittelmaß der Demografen und Thermoskannen – in der uns beärschenden Seistadsform der labermentalischen Deppokratiedemokratur. Ihr verzwungener Seinszwick ist die reine Mitmacht auf Seiten des Siegerns, kotze es was es wolle – und das macht sie auch so gefährlich, denn Mehrheitdennje wird von der Meinungsverorschung im Sinne der Gemacht. Und als ob das nicht schon schlimm genug Ware, haben, sein, sie sich ihrer, immer auch nur, Oberhaupt Sache Gewinnst. Die Frühlingsfetzenspiele der Volksdümmlichen im Musekantenstaat. Muse denn, Muse denn, zum Schädeldach hinaus, und du – mein Schatzssssss… Die neun Musen des Olymp. Die Humanisten. Der Hurenchor der Hochkultur.

Wer hats erfunden? Egal, solang du dafür bezahlst!

 

Gepflegte Koinzidenz

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 13. Februar – Ein sprachverliebt soundpoetischer Rundflug durch den Chaosmos unserer vielleicht doch nicht so zufälligen Begegnungen. Was berührt uns, was hinterlässt Spuren und stiftet uns zu Eigenem an – sowohl im künstlerischen als auch im zwischenmenschlichen Ausdruck? Welche Aufgaben stellen wir uns selbst, bewusst oder unbewusst, wenn wir ein Thema beackern, eine Textsammlung herstellen, eine Sendung vorbereiten? Und wie funktioniert das, inmitten einer Sprachwelt, die fast nur noch auf das funktionale Übermitteln von Anweisungen und deren Bestätigung ausgelegt ist? Was halten wir den Verschluckungen des alltäglichen Humpftraras entgegen – in unserem verletzbaren Wesen, unserer gefährdeten Kreativität, unserer bedrohten Feinheit?

Norbert K.HundBeim Entstehen dieser Sendung zum Beispiel kommt schon ein recht komplexes Geflecht aus Anstößen und Assoziationen zur Anwendung. Zuerst die Einigung zweier Personen auf das eigentliche Thema, in diesem Fall die „Gepflegte Koinzidenz“. Wie oft beschäftigt uns im Hinterstübchen oder im Keller des Bewusstseins eine bestimmte Überlegung, der wir jedoch, auch bei allem Drängen, noch keine genaue Gestalt zuordnen können. Und dann ruft der andere, der mit uns verbundene Mensch auf einmal an und erzählt von – Musik etwa – päng, schon hat unser Gefühl eine Form, unsere Idee einen Klang und unser Gedanke ein Gesicht. Zeitgleich, ohne von einander zu wissen, haben zwei Verschiedene an einem Gemeinsamen gearbeitet. Die momentane Erkenntnis dieses Vorgangs bewirkt sogleich eine weitere Stufe in der Gestaltung der eigenen Welt – und zwar für beide Beteiligten.

Gedenken SplitterDann die Namensgebung für die drei Stunden – „denkengrenzen, körpernwärmen, seelensplittern“ – sie symbolisiert unterschiedliche Anwendungen des einen roten Fadens, der wieder dem Leitthema innewohnt. In welchen Aspekten pflegen wir also unsere Koinzidenz, unsere Kongenialität, unsere Kooperation? Um uns nämlich durch sie zu schützen – und mit ihr bewaffnet dem allumverschlingenden Einheitsbrei der niedersprachlichen Funktionäre und ihrer ferngesteuerten Funktionswichtel entgegen zu treten. Denn Inseln zu stiften und zu bewahren für eine zweckfreie Sprachkunst diesseits der kommerziellen Gefälligkeit, das ist wohl bitterer nötig denn je, wo ringsumher eine erfolgsorientierte Beschleunigung sonder gleichen im Interesse gottähnlich bestaunter Großkopfzerne alles verspielt Schöpferische schon in den kleinsten Kindern auszumerzen trachtet.

Christopher SchmallUnd auch das Zustandekommen der Wortbeiträge und Musikstücke für ein immerhin dreistündiges Programm, das nicht festgeschriebene Wissensvermittlung sein will, sondern vielmehr Hörwelt, Kopftheater – und Überraschung, auch für uns! Wie viele eigene Entscheidungen und gegenseitige Einflüsse stecken hinter der Auswahl der vorzutragenden Textbeispiele. Und welch eine thematische Dichte erwächst aus dem dazu stimmigen Sound, wenn er spontan aus der jeweiligen Situation des Gesprächs heraus eingespielt wird. An diesem Punkt endet der Plan – und das Leben geschieht. Hören wir also SpokenWord von Georg Danzer, Franzobel, Ludwig Laher, Ernst Jandl, Friederike Mayröcker – sowie Christopher Schmall, der seinen als Work in Progress entstandenen Gedichtband „seelen.splitter“ vorstellt. Lassen wir uns unsere Zeit nicht stehlen – denn nur allzu schnell sind wir sprachlos gemacht – und gehen schweigend unter!

Wir sind ein geiles Institut. Und wir haben Klang
😀
.

Ein Fest der Liebe

> Download: Nachtfahrt der Perlentaucher im Dezember 2013 (Part 1) und/oder Nachtfahrt der Perlentaucher im Dezember 2013 (Part 2) – Ein feuchtfröhlicher Seelenstriptease durch alle 24 Fenster des Adventskalenders. Wir öffnen eins nach dem anderen und uns/euch einander Aussichten und Einblicke hinter die verchristlichte Betriebsamzeit dieses stilldunklen Übergangs vom Friertod ins Neuleben. Freilich zaubern wir dabei auch Verborgenes hervor, längst vergessen Geglaubtes, vielschichtig Verwobenes oder überhaupt vollkommen Verrücktes. Keine Ahnung, was sich daraus dann im Verlauf der Sendung ergeben wird – aber irgendeinen dramaturgisch roten Faden braucht es halt immer, auf dass sich all unsere konfusen Mitbringsel daran zu mitteilender Gestalt kristallisieren. Alles weitere werden wir erleben, hören, sehen, spüren. In diesem Sinne „Keine Macht der Seistaadsgewalt!“ und „Wir sind ein geiles Medium…“

Schnaitl SpiritIch weiß nicht, seit wann dieses Bild dort schon herum hängt (aber es kommt mir vor, als wäre es mindestens eine Ewigkeit) oder wer es überhaupt gemalt hat (auf jeden Fall ist es saugut und verkörpert für mich den Spirit jenes Ausnahmelokals, das seit den späten 80ern dem „etwas anderen Publikum“ in Salzburg Herberge bietet). Beginnen wir also hier diesmal unsere Adventreise. Man sollte eh viel öfter mal wieder ins Schnaitl schaun! Eine jener Perlen, die ich unlängst entdeckt habe, ist übrigens der Song „Gilead“, den der sonst aberwitzig schnellsprechende und -singende Rainald Grebe über seinen 15-monatigen Zivildienst in einer deutschen „Nervenheilanstalt“ gemacht hat – oder besser, über die Stimmen der dort von ihm angetroffenen Insassen, Patienten, „Verrückten“ (und was ist bitte „normal“ ??) – sehr betroffen, sehr innerlich – und eben unaufgelöst. Hier schon mal ein Textauszug:

am eingang, an der pforte saß ein mann, der war schon alt.

„treten sie ein, ich bin der förster vom silberwald. ich wünsche ihnen einen schönen arbeitstag. und jetzt stecken sie ihren penis nach links. das linke hosenbein ist weiter, hat ein weiser schneider gesagt.“

wahnsinn, wahnsinn, wahnsinn, wa-wa-wa-wa-wa-wahnsinn.
wahnsinn, wahnsinn, wahnsinn, absurdes theater.

„gott sei dank – ich bin entmündigt! fotze fotze fotze fotze fo…! na, verhaften sie mich doch! fotze fotze! die gedanken sind frei!“

manisch heißt konkret, dass du sieben tage nicht mehr pennst. sie betreten den platz des himmlischen friedens und landen in der wannsee-konferenz.

und als ich ging, da war ich guter dinge. ich vergess‘ euch nie, ich steig jetzt in mein boot. und ich hab gesagt, ich will immer für euch singen. mein katamran steht vor der tür und der ist feuer-, feuerrot. gilead…

Hinter der FassadeDerlei bedenkend ergeht es einem kaum besser mit anderen ausgelöschten Existenzen, auf deren Luftgräbern diese Stadt aufgebaut wurde – und immer noch wird! In dem Zusammenhang sei an ein Salzburger Musikprojekt erinnert, das wie kein anderes den hierorts herrschenden Gewaltsinn der Gleichgültigkeit in Liedern und Texten darstellen – und somit entlarven konnte: Rotz! 😉 Eine Band, die besagte Ausnahmequalität in den Jahren ihres vierköpfigen Auftretens (und bei ihrer Teilnahme am FM4 Protestsong-Contest) in einem solch erheblichen Ausmaß erreichte, dass wir hier schon von einer (längst vermissten und schlechterdings für unmöglich erachteten) „Salzburger Schule“ des Sehens und Aussagens sprechen müssen – zumal die Rotz’schen Songstrukturen nie nachgebastelt wirken, sondern stets eigensinnig selbsterdacht daher kommen. Auch hierzu ein Textauszug aus Faule Wörter:

Ja dein Urteil kennt keine Gnade
Deine Botschaft hat viel Biss
Dabei weißt du doch genau
Nichts ist für immer, nichts gewiss
Ich sehne mich nach dem in dir
Der nichts beweisen muss
Weil wir alle Schatten sind
Und gar jämmerlich zum Schluss
Und du siehst mir in die Augen
Doch du erkennst mich nicht
1000 Welten voneinander entfernt
1000 Wörter – und jedes sticht

Faule faule Wörter

Du spuckst auf deine Liebe
Nennst dich selbst Rebell
Du kennst die beste, neue Mode
Mit deinem Urteil bist du schnell

Bruder komm befreie mich
Mit deinem zarten Kuss
Weil wir sonst Schatten bleiben
Und Idioten bis zum Schluss

Faule faule Wörter

Noch Fragen? Dann einfach einschalten, mitleben, zuhören… 😛 Und keine Angst – das Witzige am wirklichen Frohsein ist ja doch, dass es unvermittelt aus den Trümmern des Abgrundstürzens auftaucht. So auch in dieser Sendung, versprochen! Tjo, tjo, tjodürü… Und jetzt Muuuuuuuh!

 

Dichterwerdung… (Norbert)

Stream/Download: Nachtfahrt der Perlentaucher vom Freitag, 9. August – Eine Sendung über die Faszination der Sprache, über das Dichten und immer noch dichter werdende Verdichten, über das Wachsen und Werden von Ausdrucks-Weisen – und überhaupt über uns und unsere Wortwelten, in die wir uns verliebt verlieren. Dichterwerdung ist dabei sowieso ein Ausnahmeausdruck, beschreibt doch gerade seine Doppelbedeutung jenseits sprachkünstlerischer Reifung oder schriftstellerischer Karriere eher einen Aggregatumstand zunehmender Innenweltverwandlung. Da sind Dichtheit und Dichtung also durchaus nicht nur etymologisch artverwandt, zumindest was die Veränderung des Wahrnehmens anbelangt. Was allerdings das schöpferische Einwirken auf seine Mitmenschen betrifft, da kann es dem Dichter ab einer gewissen Dichtheit schon zur Implosion geraten. Doch Dichtheit umgibt uns ja auch noch anderweitig. Daher diesmal mein Plädoyer für einen eher revolutionären Umgang – vor allem mit Sprache 😉

Abendkonsum„Das kann kein Film, kein Buch, keine Musik – und keine Droge – die Welt verändern.“ So tönen sie alle heutzutage, die damals die politisch-psychedelische Aufbruchstimmung mitgeprägt haben und mittlerweile wohlbestallt als Autobiographen, Ex-Terroristen, Musikkritiker oder Verlagsleiter ein Teil jener globalen Unterhaltungsindustrie geworden sind, deren Ausbreitung sie damals so vehement bekämpft hatten – und von deren reichlicher Dividende sie nunmehr so angenehm leben. Könnte ja durchaus sein, dass sie sich einfach haben einkaufen lassen. Dass sie sich ihre abgebrüht wirkenden Statements recht gut versilbern und vergolden lassen. „Das ist eben so. Die ganze Welt ist ein Markt. Man muss halt schauen, dass man im Geschäft bleibt. U.S.-Imperialismus, Coca-Colonialization, die kulturelle Hegemonie, ein Naturgesetz.“ Mediale Präsenz, Umsatzzahlen und Einschaltquoten, marketingmechanisch werbungskünstliche Aufmerksamkeitserregung in einem Meer massenideologisch gleichgeblödeter Kaufkasperln, Konsumidioten, Kulturverbraucher. – Das sind doch genau die Parolen der herrschenden Wirtschaftsreligion – das ist doch die nächste „Big Lie“ nach Augustinus, Luther und Goebbels – dass nämlich die Welt als Ganzes „endverbrauchbar“, also auftragsgemäß aufzufressen sei. Und Mahlzeit!

OpferweisheitDoch drehen wir den Spritz einfach wieder um – ins Majim. Wie sagt das alte jüdische Sprichwort und Motto der in Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrten Listenschindler und Flüchtlingsverstecker: „Wer einen einzigen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt.“ Und seien wir uns ehrlich – haben die nicht auch die Welt verändern wollen? Denn wenn nicht, dann hätten sie ja wie viele andere in der Mitte der Gesellschaft auch brav Ja, Amen und Heil Hitler gesagt und weiter mitgemacht bei der Ausrottung der Andersseienden. Es gibt kein menschliches Werk – egal ob in Taten, Worten oder Liedern (geschweige denn Filmen) – das von irgendwelchem Interesse sein könnte, nämlich im Sinne einer Beförderung der Entwicklung zur Menschlichkeit – außer ein solches, das aus dem elementaren Verlangen nach Veränderung der Welt entstanden ist. Kein menschliches Werk ist von irgendwelchem Wert für seine Mitmenschen – seien es Zeitgenossen oder kommende Generationen – das nicht aus dem tiefen Bedürfnis nach Veränderung der bestehenden Verhältnisse zum Friedlicheren, zum Gerechteren – also zum Besseren – geboren ist. Diesen Umstand abzulehnen, auszublenden, ihn durch welche Verdrängung auch immer zu verneinen – ihn durch bloße Nichterwähnung außen vor zu lassen – das ist im Grunde schon ein Kapital(aha!)verbrechen – nämlich das Verbrechen des Verschweigens.

VerwandlungWenden wir den obigen Spruch doch einmal auf die Motivation zum Kunstschaffen – und auf die Motivation zum Kunstgebrauch an – dann würde er wohl heißen: „Wer eine einzige Welt (etwa die eigene) verändert, der verändert auch die Welt im Ganzen.“ Wer also dichtet, singt und spielt, sich selbst auf- und anderen etwas vorführt, um so die Welt zu verändern, der verführt seine Leser, Hörer und Zuschauer ebenfalls dazu, in eine sich verändernde Welt einzutauchen – und ihre eigene Welt als durchaus veränderbar zu verstehen. Und dieser Prozess vermag den inneren Wert von Veränderung auch in die Welt da draußen zu befördern. Da ist nämlich kein Unterschied zwischen Innen- und Außenwelt – und es gibt einen direkten und kausalen Zusammenhang zwischen Phantasie (der Vorstellung von der Welt, wie sie sein könnte und eigentlich sein sollte) und Realität (der Wahrnehmung unserer gemeinsamen Welt, wie sie durch handelnde Personen gestaltet wurde) – auch wenn das Gegenteil dessen andauernd und mit aller verfügbaren Geldgewalt wiederkäuend behauptet wird, ein Umstand, der übrigens keine Aussage jemals „wahrer“ gemacht hat – allerbestenfalls „geglaubter“ – bis hin zur alternativlosesten Mehrheitsfähigkeit.

 

Dichterwerdung und Sprachfaszination (Chriss)

Stream/Download: Die Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. August verdichtet sich zu einem dichten Gedicht, welches die Dichtheit der Sprache auf dichterische Weise abdichtet und sich fasziniert von den schier unendlichen Möglichkeiten der Dichtung in eine Textase stürzt, die dichter nicht sein könnte! Zumal es endlich wieder an der Zeit ist der Sprache zu huldigen und sie gleichzeitig in ihre Einzelteile zu zerlegen, neu zu formen, sie umzugestalten und kreativ mit Wörtern zu spielen! Also, willkommen im Einmachglas der Möglichkeiten! 😀 

blätterfallenWir wachsen so selbstverständlich mit der Sprache auf, dass uns teilweise gar nicht mehr auffällt, wie zauberhaft und magisch sie sein kann. Sie kann Welten öffnen -fantastisch und traumhaft; sie vermag es aber auch uns zu verletzen, hässlich zu sein, widerlich und ekelerregend. Sie ist unendlich weit, farbenfroh und so facettenreich; dennoch stoßen wir hin und wieder an ihre Grenzen. Sprache kann wirklich sprachlos machen. Manchmal verschlagt es uns die Worte, wir können nichts mehr sagen, bringen keinen Satz mehr hervor, als hätten wir verlernt zu sprechen…

Ich als Dichter lebe von ihr. Ich liebe und ich hasse sie; und bin auf sie angewiesen. Es ist schon merkwürdig wie ein Wort den Sinn eines ganzen Satzes verändern kann. Es ist ein ständiges Abwiegen, ein andauerndes Überlegen und Feilen, eine Arbeit, eine Beschäftigung, die niemals aufhört, immer weiter geht. Ich bin im Bann der Worte. Und kann doch über sie bestimmen! Ich glaube, es ist eine Art Symbiose. Ohne Worte könnte ich nicht meine Gedanken nieder schreiben und ohne mich blieben sie nur seltsame Hieroglyphen…

Ich werde versuchen mich der Sprache anzunähern, doch sie wird sich mir wohl nie ganz erschließen. Es ist ein Mysterium, genauso wie die Zeit. Sprache verbindet und Sprache unterscheidet. Sie stiftet Missverständnisse und schließt Freundschaften. Sie lebt und verändert sich unaufhaltsam. Genauso wie wir Menschen, denn wir lassen sie erst lebendig werden, hauchen ihr Magie ein und sollten sie auch vor Verfall und Zersetzung bewahren. Denn ich glaube immer noch und mehr denn je, dass Worte zaubern können.

 

Woher Wohin (Norbert)

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juli – Das Triumvirat der Möglichkeitsformen begibt sich auf Reisen und entspricht somit der Sommerszeit. Bombastisch überfrachtet mit Erwartungen von Glückseligkeit und Offenbarung muss diese allzu kurze Saison des Kurzärmeligen unsere sonstige Alltagsverhaftung und Eingesperrtheit mit nichts Geringerem kompensieren als mit – Freiheit. Jawohl, Freunde und Dinnen, jetzt wollen wir aber alles auf einmal und das bitteschön augenblicklich! Man gönnt sich ja sonst eh viel zu wenig und lässt sich auch meist allzu leicht in Sachzwänge und Betriebsamkeiten einteilen. Doch jetzt wird endlich gelebt, und zwar mit Vollgas! Der Ernst des Lebens kann warten – und zwar genau bis zum nächsten….. Wie bitte? Hallo Hamsterrad, Hamsterdam, Hamster denn ins Hirn gschissen? Wir wären jedoch nicht wir, wenn wir dem Konsumwichteltum nicht hinter seine gelackmeierte Grinsmaske zu schauen versuchten. Und da fängt das Abenteuer auch schon an…

Gußwerk, SteiermarkWer bin ich überhaupst? Und wenn nicht, wann dann! Kein Scheiß, es gibt einen tiefen Zusammenhang zwischen Unterwegssein und Selbsterkenntnis. Zwischen dem „sich selbst in anderen Situationen als den üblichen gewohnten erleben“ und der Möglichkeit, diese Erfahrung als Spiegel der eigenen Persönlichkeit zu nutzen. Und es gibt darüber hinaus so etwas wie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den beiden Begriffen „woher und wohin“. Formulieren wir es einmal als These des Reisenden: Je weniger mir klar ist, woher ich komme, desto unklarer bleibt mir auch, wo es mich eigentlich hin treibt. Das wirkt sich dann allerdings wiederum auf mein Verständnis über mich selbst aus – je weniger mir bewusst ist, woher ich komme und wohin ich gehe, desto verborgener bleibt mir auch, wer ich etwa wirklich bin. Wir spielen mit diesen Ideen von Anfang und Ziel auch vor dem Sinnbild des gesamten Lebenswegs als einer Wanderung voller Visionen und Umwege, plötzlicher Wettereinbrüche, spontaner Abzweigungen…

Am Fuß des UntersbergsDenn das Wohin ist auf dieser Lebensreise oder einer Selbsterfahrungsfahrt nie so klar definiert wie etwa bei einem Urlaubsflug in den All-Inclusive-Club in Animateuer am Idiotischen Meer. Wir sollen das bloß alle glauben! Dass die Welt beherrschbar, berechenbar, bezahlbar und einklagbar ist. Und ja, kontrollierbar! Aber sicher doch, es gibt keine Unfälle und Krankheiten, nicht einmal behinderte Kinder. Es gibt auch keine Armut, nur Faulheit! Es gibt höchstens Hochglanzversprechen von der schönen neuen Welt – dazu viel zu viele, die einfach herumsitzen und darauf warten. Wenn wir jedoch aufbrechen, vom Erwartbaren Abschied nehmen und einen neuen Weg beginnen, dann kommen nicht nur wir in Bewegung, sondern auch unsere Umgebung. Und wenn wir das kreative Vakuum des noch Unbestimmten auf uns wirken lassen, dann können sich aus unseren Ideen auch konkretere Perspektiven entwickeln. Hier bekommen wir es also mit der anderen Seite zu tun, dem vertrauenden Weitergehen. Der Weg ist das Ziel…

Mondsee um 1960Doch wenn wir nicht wissen, woher wir kommen und wer wir sind, dann werden wir es viel schwerer haben, unsere Richtung zu finden. Wenn unsere Eltern etwa früh gestorben sind oder so traumatisiert waren, dass sie uns nur einen zurecht interpretierten Ausschnitt ihrer Gefühlswirklichkeit mitteilen konnten, dann fehlt uns schnell einmal die halbe innere Selbstwahrnehmung. Und damit auch die nötige Gelassenheit, unsere Gefühle und Bedürfnisse im Bedarfsfall deutlich genug wahrnehmen zu können. Es macht wahrlich den einen wesentlichen Unterschied im Leben aus, wie sehr man sich selbst von Anfang an spüren konnte und in welchem Ausmaß man dabei auch Aufmerksamkeit und Resonanz erfuhr. Dieser Mangelzustand betrifft allerdings den größten Teil der „zivilisierten“ Menschheit. Was einiges zu erklären vermag, aber noch nichts verändert, solange es uns nicht mehrheitlich bewusst wird. Doch wir arbeiten daran! Wir sind freiwillig seelenverwandt. Im Fluss des Lebens entsteigen wir dem Land… 😉

 

0613

Stream/Download: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. Juni – Nur eine Nummer? Nicht wirklich. Doch unseren recht zeitaufwändigen Arbeiten am Marko Feingold Projekt (Interviews) nebst dem abschließenden 2-stündigen Zeitzeugen-Portrait sei es diesmal gern geschuldet, dass wir uns hier nicht auch noch für ein assoziativ sprachkreatives Thema entscheiden wollten. Nein, in aller Unbenanntheit sollen Musik- und Textbeiträge einander abwechseln und sich so wie von selbst zu einem roten Faden verzwirbeln, der durch die noch zu erfindende Geschichte führt, deren Titel sich dann – vielleicht – ganz am Schluss wie von selbst ergibt. Insoweit wir uns darauf einen Reim zu machen verstehen – oder aber auch nicht. Jedenfalls werden wir nach diesen 3 Stunden wieder Klang- und Wortwelten durchreist haben, die sich so noch nie zuvor ereignet haben. Und wir werden um eine Nachterfahrung reicher sein, unbeschadet…

Auch wenn ich gemeinhin nicht auf den Mund gefallen bin und böse Zungen sogar behaupten, selbigen müsse man nach meinem Ableben noch separat erschlagen – es gibt durchaus Situationen, in denen es mir bustäblich die Rede verschlägt und ich nachhaltig verstumme. So erging es mir zum Beispiel mit den dreieinhalb Stunden Tonmaterial, das wir in der Woche vor seinem 100. Geburtstag an zwei aufeinander folgenden Nachmittagen mit Marko Feingold aufgenommen hatten – und dessen Aufbereitung und Veröffentlichung mir anschließend oblag. Ich kann euch jedenfalls eines sagen – die detaillierte Geschichte eines solchen Überlebens von fast 5 Jahren Nazi-KZ-Terror anhörend mitzuerleben und dann nach Hause zu gehen, das ist eine Sache. Die selbe Geschichte aber danach wieder und wieder anzuhören, stundenlang und über mehrere Nächte verteilt, beim Zusammenstellen und Schneiden, beim Bearbeiten und Auszüge auswählen – das ist nochmal ein ganz anderer Abgrund. Du kannst plötzlich nicht mehr ausweichen, stehst fassungslos fühlend inmitten all der absurden Brutalität und weißt nicht mehr so richtig, wo die Geschichte anfängt und deine Person aufhört. Zuletzt hatte ich schon einigermaßen bizarre Albträume – unter anderem reiste ich von einer KZ-Gedenkstätte zur nächsten und wurde überall im Zuge der jeweiligen Museums-Neugestaltung zur Weinverkostung eingeladen. Dachau-Wein, Mauthausen-Wein, Buchenwald-Wein, Auschwitz-Wein, jede Mahnmal-Betreiberfirma hatte ihre eigenen Gedenk-Bouteillen im Programm. Mitten in so einer degoutanten Degustation (ich glaube, ich betrank mich allein schon aus Überforderung zusehends) wuselte plötzlich ein kleiner weißhaariger Mann quer durch uns peinlich Berührte und rief empört: „Ich war aber in Auschwitz! In Auschwitz hat es nie Wein gegeben!“

Auch den Chriss hat die Beschäftigung mit Marko Feingolds erlebter (und mitfühlbar gemachter!) Geschichte offensichtlich erschüttert. Man konnte seine Verstörung mitunter fast schon mit den Händen greifen, so etwa auch bei seinem letzten Auftritt im Literaturhaus zum Thema „Von Menschen und Unmenschen“ – Doch wie schön und erfrischend ist das eigentlich, wenn man jemand seine innere Bewegtheit noch abspüren kann! Vor allem bei einer öffentlichen Lesung, wo einem sonst hauptsächlich gut eingeölte Funktionsprofis entgegen quellen. Oder halt von der Formvollendung ihres Auftretens derart Vereinnahmte, dass sie es darob versäumen, die Perfektion ihrer Pose hinreichend mit Poesie auszufüllen. Aufmarsch der Klassengesellschaft! Hmm – welch neugestaltes Machtunrecht schleicht uns da schon wieder von hinten ins Haus – dessen Vordertür wir soeben gründlich gegen die „alten“ Nazis verrammelt haben? Wir möchten euch dazu noch einmal unsere gesammelten Beiträge zu Marko Feingolds 100. Geburtstag ans Herz legen – vier Interviews/Erzählungen und zwei Sendungsaufzeichnungen. 😉 Doch lassen wir das jetzt – und uns mit einem Gedicht vom Chriss auf diese Nacht ein:

Körpersingen

Die Sonne stirbt vor unseren Augen. Das Meer erwacht. Der Wind leitet unsere Gedanken. Wir brauchen kein Licht um uns zu erkennen.

Umarmung. Tief wie Wurzeln. Umfassen wir einander. Du flüsterst mir zu. Ich werde zu Wachs. Du wirst zu Honig. Gemeinsam verlieren wir die Zeit und die Sinne.

Mein Blick wird dir Boden. Auf dem du lebst. Auf dem du atmest. Meine Wurzeln werden dein Bett. Du schläfst in meinem Anfang.

Deine Stimme wird mir Haut. Ich kleide mich in deine Worte. Schließe mich ein in deinen Herzschlag. Male uns eine Welt mit deiner Berührung.

Wir können versinken wenn wir es wollen.

Wir sind frei zu leben.

Wir können uns fallen lassen.

Ins Jetzt.

-> Zum Auftauchen gibts dann das ganze Album „Jiddische Lieder“ von Zupfgeigenhansel