Goodbye Novecento

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. MärzIm Jahr 1999 entdeckte ich das damals frisch veröffentlichte Konzeptalbum Goodbye Novecento des italienischen Cantautore Antonello Venditti, in dem er seine Gefühle und Visionen im Hinblick auf den nahen Milleniumswechsel zum Ausdruck brachte. Das italienische “Novecento” bezeichnet nämlich das, was wir im Deutschen als “20. Jahrhundert” verstehen und – wegen der Zahlen – eh gern mit dem Neunzehnten verwechseln. Nun läuten wir ja gerade die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts ein (Bimbam, wie die Zeit verfliegt) und so passt diese Würdigung eines ganzen Albums auch hervorragend zu dessen 20-jährigem Erscheinungsjubiläum. Darüber hinaus scheint es in vervirten Zeiten wie diesen geboten, an die belebende Kultur der italienischen Linken zu erinnern.

Goodbye NovecentoAntonello Venditti, ein gläubiger Christ und zugleich sozialkritischer Künstler, begründete zusammen mit Francesco De Gregori, Lucio Dalla und anderen Alt-68ern die sogenannte “Römische Schule” der Cantautori. In den 60er und 70er Jahren war es durchaus nicht ungewöhnlich, sich aus kirchlichen Kreisen heraus in die Politik der Gesellschaftsreform einzubringen. (In Salzburg etwa gründete 1966 die “Katholische Arbeiterjugend” das erste Jugendzentrum der Stadt, aus dem sich in über 50 Jahren das heutige MARK entwickelte, das gerade wieder einmal heiß umfehdet, wild umstritten ist). Ebenso umstritten waren einige Liedtexte der erwähnten Sänger/Dichter/Musikanten. So wurde Lucio Dallas “4/3/1943” (Gesù bambino) rüde zerrupft und zensiert, Antonello Venditti für sein “A Cristo” sogar gleich wegen Gotteslästerung angeklagt. Es zeigt sich immer wieder aufs Neue, was die jeweiligen Machtspieler von “eigenständigen Ansichten mündiger Bürger*innen” halten. Wer die jeweils vorgehupfte Ideologie nicht gläubigst bejubelt, wird konsequent aus der Öffentlichkeit verschwunden. Und schon sind nicht mehr die Verbrecher das Problem, sondern diejenigen, die deren Verbrechen darstellen. Das sind ja auch die sensiblen und oft prophetischen Kunstschaffenden.

Im Jahr 1979 war ein Lied namens “Bomba O Non Bomba” hier in Österreich in aller Ohren und erweckte massenhaft die erwünschten Urlaubsassoziationen. Dass sein überaus poetischer Text von Vendittis ambivalenten Erfahrungen in jener Zeit der “Bleiernen Jahre Italiens” erzählt, das wissen dagegen nur die wenigsten. Wir wollen in dieser Sendung auch die Besonderheit seiner Dichtkunst aufzeigen, nicht zuletzt anhand des Titels “In Questo Mondo Che Non Puoi Capire” vom gegenständlichen Album “Goodbye Novecento”. Das hierzu verlinkte Video sagt eh schon sehr viel…

Corona? Malgrado te!

 

In Nino veritas

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. März – Der Nino aus Wien hat sich seit nunmehr über 10 Jahren ein erfrischend heterogenes Publikum erschrieben, ersungen, erspielt. Da mischen sich Freund*innen von locker flockiger Popmusik mit Liebhaberern literarischer Abgründigkeit und Groupinien psychedelischer Sumpfabenteuer. Die wahren Abenteuer sind – unterwegs – und die eleganteste Grabinschrift “auf der Durchreise”. Am Mittwoch, 11. März bespielt der Nino (mit Band) den großen Saal der ARGEkultur und stellt dabei auch sein überaus tanzbar geratenes neues Album vor. Auf selbigen kommt allerdings das inzwischen für viele unverzichtbare “surreale Roadmovie aus dem Kopf” auch nicht zu kurz, etwa in Gestalt der Schlussnummer “Wach” mit der Musicbanda Franui. Das freut uns!

Der Nino aus Wien zum WeltfrauentagIst uns doch der Dichter und Liedermacher zuallererst mit seiner herausragenden Ballade “Es geht immer ums Vollenden” aufgefallen, deren Text ein wahres Meisterstück lyrischer Reimkunst ist – und deren finale Feststellung “…und den Superbowl” einen gekonnt in ein ganzes Universum an Deutungsmöglichkeit entlässt. Daher soll diese Sendung auch den dichterischen Schwerpunkt im Schaffen des urwiener Nachtschattenfreunds anleuchten und sonderliche Denklandschaften jenseits von Hupfidupfi und Blumpf offenlegen. Der äußerliche Eventstream der Gleichklone ist eben nicht seine Themenwelt, vielmehr die unendliche Vielfalt individueller Innenschau, die er ebenso erdverbunden wie schwerelos schwebend ausdrückt. Zudem ist die besondere Verbindung von Sprachkunst und Musik hervor zu heben, die den sehr speziellen Charme seiner Darbietung ausmacht, und die Vergleiche mit PeterLicht oder Hubert Weinheimer (Das trojanische Pferd) nahelegt. Einer “vorauseilenden Denkmalerrichtung” wie etwa “Bob Dylan vom Praterstern” (Falter) wollen wir uns jedoch nicht anschließen, weil uns derlei Formulierung allzu inflationär erscheint im verbreiteten Heischen um Aufmerksamkeit (und Auflage). Die Substanz der Dichtung des Nino aus Wien geht aber durchaus auch in diese Richtung. Doch beschränken wir uns lieber auf die deutsche Sprache, genau genommen das Wienerische, das ja, wie manche sagen, da dazu gehört, oder, wie andere meinen, deren Höhepunkt ist.

Da fügt es sich fein, dass am Freitag, 13. März ein weiterer Dichter und Denker aus Wien, nämlich der von uns hoch geschätzte Gunkl in der ARGEkultur zu Gast sein wird. Was die beiden eventuell miteinander verbindet, das hat der liebe Apotheker und Nebenwirkungssoziologe Hund hier wie folgt zusammengestellt: “Wieso der Gunkl nicht gern auf Festln geht” sowie “Warum der Nino lieber zuhause bleibt”

Viel Vergnügen!

 

Vorwärtsrückwärts

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. FebruarDie Frage war: Worüber können wir eine Sendung machen in diesem Faschings-, Fastnachts-, Karnevalskontext, wo sich doch ringsum ein Politkasperltheater nach dem anderen abspielt. Denn merket wohl: nach dem Verarschungsdiestag kommt unweigerlich der Arsch am Mittwoch, da kann man die Bretter, die die Welt bedeuten, noch so fest vor den eigenen Kopf halten (oder sie dem weltanschaulichen Gegenunter über denselbigen schlagen) “Ich blick verzweifelt rings – und lechz’ – nur öde Schnösel links und rechts.” Es wird also in deinem Sinn weiter gejandlt, lieber Ernst. Gute Güte, Vorwärtsrückwärts ist eine der allerfeinsten Wortschöpfungen aus jener Zeit des kalten Krieges, in der die jeweilige Richtung nicht schwel zu velwechsern war. – Oder war auch das schon ein Irrtum?

VorwärtsrückwärtsGibt es die Unterscheidung von vorwärts (links) und rückwärts (rechts) überhaupt – oder wollen alle Eliten doch immer nur an die Macht (oben)?Vilfredo Pareto hat das in seiner Elitensoziologie  etwa so beschrieben. Er hat auch Mussolini beraten, wie man “das Volk” mittels eines entmachteten Parlaments verscheißert. Grüße nach Thüringen! Da sitzt einer bis über beide Ohren im Vogelschiss der deutschen Geschichte und spielt mit dem Landtag Bauanoasch. Was fällt uns dazu noch ein? Volksmusik? Ich weiß zwar, wie die berühmten Bratwürste riechen, aber nicht, wie sich thüringische Musikkultur anfühlt. Oder ob und inwieweit es dort überhaupt Künstler*innen gibt, die sich mit derlei Tradition beschäftigen und selbige dann zeitgemäß, unterhaltsam und eben auch kritisch interpretieren (verbearbeiten). Aus Österreich und aus Bayern hätten wir da ein paar Beispiele anzubieten, nämlich die Herren Attwenger, die seit Jahren ihre musikalischen Herkunftswurzeln lustvoll durch sämtliche Stilrichtungen schießen, und den furiosen Weiherer, der mit seiner klugen Mischung aus Liedern und Gschichtln den fast schon zu Tode zerbrauchten Begriff “Heimat” wieder allgemein zugänglich macht. Denn ist es nicht unser aller

“Vorwärtsrückwärts oder Das unheimlich totale Leben” ist übrigens der Titel eines Romans von Franz Mechsner aus dem Jahr 1981, den es nur noch antiquarisch zu kaufen gibt. Er enthält eine Szene, in der ein junger Mann bei einer Demonstration in Wien auf ein Denkmal klettert. Als ich das Buch las, fand ich mich genau darin wieder.

 

Unendliche Gedichte …..

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Februar – Die unendliche Geschichte dieser fast endlosen Gedichte, die uns eine Geschichte erzählen und die wir als Balladen zu erkennen gelernt wurden. Für die gesamte Gattung war es ein fast ebenso endloser Weg von den Tanzliedern der Troubadoure über Francois Villons “Ballade von der Mäusefrau” bis zu Goethes Zauberlehrling und der Taucherglockenbürgschaft von Friedrich Schiller. Auf diesem “langen Marsch durch die Geschichte” haben dann auch sämmertliche Spracheologen des gezupften Worts ihre akademischen Claims abgesteckt, so dass wir heute wissen, was eine Ballade istund was nicht. Oder? Was ist zum Beispiel “Jetzt eine Insel finden” (ein Gedicht von Konstantin Wecker aus den 1980er Jahren)? Und wie ist das mit den “Rock-Balladen” im weitesten Sinn?

Unendliche Grüne HölleSuchen wir dazu als einschlägige Institution das Hotel Rock’n’Roll auf (oder den 3. Teil von Michael Glawoggers posthum vollendeter Spielfilmtrilogie). Hier erscheint uns neben dem notorischen Schorschi auch Sven Regener als Pfarrer, der über das letzte große Gitarrensolo räsoniert. Womit wir schnurstrachs wieder im unwegsamen Sumpf der Genrezuschreiberei unterzugehen drohen. Und das ist noch höflich formuliert für so ein elaberiertes Schachterlscheißen und Gscheitmeiern. Atemlos hechelt das Abendland: “Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los” und versinkt in seiner eigenen Behauptung. Das Unendliche ist was ganz anderes als die Quersumme zweckdienlicher Definitionen. Das Unendliche ist spürbar im Erleben von Liedern und Gedichten: “Das Luftholen im richtigen Moment ist unwiederholbar und verdichtet einen Augenblick zur Ewigkeit” wie Konstantin Wecker bereits bemerkt. Lyrik und Epik schließen einander ja eben nicht aus, ätsch Aristoteles! Und wenn jemand jetzt dies oder das Ballade nennt, unseren Segen soll ersiees haben. Für heute bin ich mal Sven, der Segener. Also wirklich! Es geht immer ums Vollenden – des Unvollendeten. Ums Unvollendliche. Grad im Beethovenjahr.

So wollen wir diesmal den Herren Sven Regener, Konstantin Wecker, Nino aus Wien und Jochen Distelmeyer lauschen – und vor allem Norbert Wally (The Base) mit der überaus passenden Ballade “I bet it rains” aus dem Hotel Rock’n’Roll Soundtrack.

 

Aviv Geffen & Steven Wilson

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 26. Januar – Die Idee zu einer vertiefenden Sendung über das Zusammenwirken der beiden Musiker Aviv Geffen und Steven Wilson kam uns bereits vor zwei Wochen in den Sinn, als unsere Präsentation des ersten Blackfield-Albums von einigen technischen Schwierigkeiten begleitet wurde. Aus der Notwendigkeit, die ersten 10 Minuten lauter Stille (oder Roaring Silence – danke, Manfred Mann), nachträglich mit entsprechendem Inhalt zu füllen, entstand eine interessante Collage über die traumatischen Erfahrungen von Aviv Geffen sowie seine daraus resultierenden Friedensaktivitäten. Was aber verbindet ihn mit Steven Wilson und worin besteht das Momentum ihres gemeinsamen Schaffens? Wo kommen die beiden her? Eine Annäherung in Anekdoten und Klangbeispielen.

Aviv Geffen und Steven Wilson - Kongeniale KollegenBeleuchten wir dazu einmal die Väter dieser zwei Künstler und wie verschieden sie doch sind. Der eine ist Dichter und Liedermacher, war zunächst Offizier in der israelischen Armee und wandte sich danach so radikal der Friedensbewegung zu, dass sein Werk aus einigen Medien des Landes sogar verbannt wurde. Dabei ähnelt Yehonatan Geffens Frühwerk (ganz im Geist der 70er Jahre) den damals in Österreich populären Liedern von Arik Brauer – witzig, verspielt, sozialkritisch. So etwa sein Klassiker “Hatsarich Haze” (hier mit Textübertragung aus dem Hebräischen). Ein Dichter und Dissident also. Durchaus eine Inspiration. Der andere wollte, dass sein Sohn schon als kleines Kind Gitarre lernt, Steven Wilson aber mochte das gar nicht. “Erst” mit 11 Jahren interessierte ihn das Instrument und dessen Klang wieder: Er schrubbelte mit einem Mikrofon an den Saiten entlang und stellte aus diesen Sounds erste übereinander geschichtete Aufnahmen her. Daraufhin baute ihm sein Vater eine Mehrspurmaschine – und gleich auch noch einen Vocoder. Er war nämlich Elektronikingenieur. Auch ein Glück! Wozu das letztendlich (nach gut 30 Jahren) führen sollte, konnte damals keiner wissen. Heute ist es gut zu hören!

Seit 2009 arbeitet sich der multiple Autodidakt nun schon an den progressivsten Alben der 70er und 80er Jahre ab – als ein bis in ultimativste Feinheiten mehr als nur originalgetreu remixender Tontechniker. Seine diesbezügliche Arbeitsweise sowie das Verzeichnis der von ihm bearbeiteten Werke sind höchst beeindruckend. Und wenn ich das grandiose “Würm”, den finalen Part von “Starship Trooper” vom “The Yes Album”, in der Steven-Wilson-Version höre, nein, vielmehr erlebe, dann…

Eure Ohren werden Augen machen!

PS. Naturgemäß noch einmal das legendäre Video zu “The same asylum as before“ von Steven Wilsons Soloalbum “To The Bone” (zudem als Visual auf seiner Tour).

 

Blackfield

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Januar – Es war einmal ein Musiker. Und der war richtig berühmtin Israel. Leider war er auch an jenem 4. November 1995 zugegen, als ein religiös-fundamentalistischer Rechtsextremer (diesen Begriff kann man sich auf der Zunge zergehen lassen) den damaligen Regierungschef Jitzak Rabin ermordete. Das hat unseren Musiker verstört, wie sich gewiss denken lässt. Trotzdem hat er weiter Musik gemacht – und dieses traumatische Erlebnis auch immer wieder in seiner Kunst verarbeitet. Doch nichts ist seitdem wie es vorher war, nicht nur für den Musiker Aviv Geffen, sondern auch für die gesamte Nahostregion sowie für den Weltfrieden an sich. Einige Jahre nach diesem “Incident” gründeten der Frontmann von Porcupine Tree, Steven Wilson und besagter Aviv Geffen ihre Band Blackfield.

BlackfieldDie Musik von Blackfield eignet sich hervorragend zur Untermalung jeder Winterdepression. Oder einfach nur Schwermut, Sehnsucht und all das, was sich als Melancholie verstehen lässt. Dabei schwingt allerdings stets auch die Perspektive des “trotzdem Weitermachens” mit, die hier bereits angeklungen ist. Keine Aufforderung zu Scheißdrauf und Suizid – wiewohl es etwa im Song Cloudy Now heißt: “We are a fucked-up generation!” Nein, vielmehr jene geniale Melange aus Traurigkeit und Freude, die wir als speziell für die jüdische Kultur charakteristisch ansehen. Diese emotional intensive Gleichzeitigkeit von einander eigentlich widerstrebenden Eindrücken erfährt durch die Zusammenarbeit mit dem ausgewiesenen Soundtüftler Steven Wilson eine ungemein dichte Präsenz, hat der als “Prog-Wunderkind” gepriesene Vielschaffende doch schon eine gehörige Anzahl von Alben aus der Blütezeit des Art- und Progressive Rock wiederaufbereitet, von Jethro Tull über King Crimson und Roxy Music bis Yes (um einige der bekannteren Bands zu nennen). Darüber hinaus tritt Steven Dampf in allen Klassen bei Blackfield auch noch als zweiter Sänger und Gitarrist in Erscheinung, und zwar keinesfalls nur nebenbei. Seine diesbezügliche Herkunft sei durch das über 2-minütige Gitarrensolo aus Time Flies vom Porcupine-Tree-Album The Incident deutlich gemacht. Legendär.

Zur Herkunft von Aviv Geffen möchten wir das Video zur frühen Solo-Version von Cloudy Now (auf hebräisch) empfehlen. Da haben sich jetzt zwei gefunden, die ihre Welten miteinander verschmelzen, dass es gut tut – und weh! Wir spielen daher das erstaunliche Erstlingswerk ihres gemeinsamen Bandprojekts – und freuen uns traurig.

 

Brimborium in excelsis

Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. DezemberSo ein schöner Sendetermin! Der 4. Adventsonntag, und Weihnachten steht vor der Tür! Lauert geradezu auf den Höhepunkt seiner Stattfindung, wobei es uns doch längst allerorten umgibt in seiner Unentrinnbarkeit. Weder den Festspielen noch der Touristenflut kann man so kaum ausweichen wie diesem christlich-kommerziell überhöhten Jahresschlussbimbam. Der legendäre Radioaktivist Peter.W. stellte einst eine Spezialausgabe des Artarium unter das Motto: “Diese Sendung widme ich allen Weihnachtsverweigerern.” Was will uns der Dichter damit sagen? Finden wir es heraus! “Der Begriff Brimborium wird allgemein für Nebenumstände, Überflüssiges, unnützen Aufwand, Getue verwendet.” Das sagt Wikipedia dazu. Aber wir wären nicht wir, wenn wir da nicht auch noch

Brimborium…eine Spezialausgabe mit einem diese Geschichte weiterspinnenden Themenschwerpunkt auf die Welt brächten. Zwar nicht so etwas wie den inzwischen zum Kult geratenen Loriot-Kurzfilm “Weihnachten bei Hoppenstedts” – dafür jedoch eine hinterfragende Beleuchtung jener Umstände, die das Brimborium zur Hauptsache erheben – und die das Wesentliche allzu schwer erkennbar machen. Präziser: “Ich widme diese Sendung dem blinden Fleck.” Damit ist alles gesagt – der Rest ist Kunst, und die geschieht bekanntlich in euren Köpfen, genauer gesagt zwischen den Ohren.

In einer Gesellschaft, die nach wie vor zutiefst gespalten ist zwischen Gut und Böse, und die trotz aller ernsten Probleme noch immer verzweifelt versucht, erwünschtes Verhalten durch Gebote und Verbote herbei zu zwingen, kann es kein Handeln aus Überzeugung geben. Der Erfolg ihrer “Erziehung” zum Guten (vom Schönen und Wahren ganz zu schweigen) besteht bestenfalls in einer lebenslang eingenommenen Pose – gegenüber dem, was als strafdrohende Macht erlebt wird. Um eine solche Anpassung an das jeweils Vorgegebene leisten zu können, ist es für ihre Mitglieder notwendig, die eigene Ambivalenz zu leugnen und den negativen, unerwünschten Teil ihrer Persönlichkeit abzuspalten. So erzeugt jede herrschende Ideologie genau das, was die Einstürzenden Neubauten einstmal als “Halber Mensch” beschrieben.

Ja, und jetzt? Gaudete!

 

Straight Outta Pongau

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. Dezember – Seit nunmehr 12 Jahren ironisiern wir hier im Artarium in der Vorweihnachtszeit allerlei alpenländischen Adventsgebrauch. Und wie es sich für ein anständiges Adventsingen geziemt, kommt dabei auch heuer wieder eine traditionelle Tanzlmusi über uns, dass der Erzengel quietscht. Wir spielen das aktuelle Album “Straight Outta Pongau” der “Glue Crew” (früher als “Two on Glue” bekannt). Mit den beiden Innergebirgs-Mundartisten Wolfgang Posch und Thomas Mulitzer verbindet uns mittlerweile auch schon eine gut 5-jährige Radiogeschichte, wie sich in den Sendungen “Ilija Trojanow – Der überflüssige Mensch” sowie “Tau On Tour” einfach nachhören bezw. in den Artikeln dazu nachlesen lässt. Also: Wir sagen euch an den lieben…

Straight Outta PongauMoment. Da gab es doch einstmals noch so eine Musikkapelle aus dem Salzburger Land, die überraschend Hergebrachts und Selbsterdachts zur neuen Eigen-Art verschmolzen: “Rotz(fast Straight Outta Pinzgau). Deren spezielle Musikverbreitung ging als “Ein Abend mit Freunden” in die Annalen des Artarium-Blogs ein. Anlass für diesen Rückblick ist der auch im Pongau nicht unübliche Frauenname “Annamirl”, der von beiden Bands jeweils dialektisch (in Mundart) verbehandelt wird. Gut zu hören! In der Rotz-Version schreibt  sie sich zwar “Anna Mial”, klingt jedoch ähnlich. Und der sie umgebende Musikstil ist bei der “Glue Crew” mehr von Punk, Ska, Reggae geprägt, bei “Rotz” hingegen von Folk, Pop – und vor allem ROCK – womit sich der Kreis schließt, Amen. Apropos, “Ihr Kinderlein kommet”, ist das nicht von Michael Jackson? Unerhört, wie wir werden

Egal, in welchem Setting oder Stil sie beheimatet ist, es geht hier um Sprachkunst. Auch um die uralte Tradition, sich dabei so auszudrücken, “wie einem der Schnabel gewachsen ist“. Uwe Dick etwa spricht in der Vorrede zu seinem Bio-Drama “Der Öd” von ihn umgebenden “Geräuschen, denen ich auch nicht hochdeutsch beikäme”. Und dass sich die notorisch unübersetzbaren Songtexte eines Bob Dylan am ehesten noch auf Kölsch oder Wienerisch abbilden lassen, das haben Wolfgang Niedecken und Wolfgang Ambros hinlänglich bewiesen. Ich habe unlängst im Fernsehen einen kleinen FPÖ-Politiker verknorzt vor sich hin giften gesehen. Da tat er mir so leid und ich wollte ihm (jetzt vor Weihnachten) etwas schenken. Vielleicht ein Lied, im Dialekt, dachte ich, das diese offenbar hasszerfressene Haltung direkt beantworten könnte…

I daschlog di mit am nossn Fetzn,
doss da fia muagn nix mea vuanehma brauchst,
du Weh, du Wimmal, du Krätzn!

G’söchta

PS. Naturgemäß gibts da auch noch einen Drummer, Bernhard Breidler mit Namen, und darum heißt die Kapelle ja jetzt Glue CREW und nicht mehr TWO On Glue, wie konnte ich das nur übersehen? Nobody is perfect, ned amoi i

 

Radio Empfängnis

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. DezemberSeit Jahren (und wenn ich das sage, dann meine ich das auch so) begrüßt der Herr Hase unsere Zuhör*erinnern “an den Empfängnisapparaturen ihres Vertrauens”. Dieses Sprachspiel, das zunächst die Begriffe “Empfang” und “Empfängnis” vertauscht, wurde uns erstmals durch Jochen Malmsheimer in seinem privatradiokritischen “Kochen mit Jochen” dargereicht. Von den Empfängnisgeräten zu den entsprechenden Apparaturen war es dann nur noch ein kleiner (und durchaus logischer) Schritt. Nunmehr feiert sich heutigen Datums eine weitere Empfängnis, die ohne detailliertere Kenntnis katholischer Kirchengeschicht gar nicht so leicht herzuleiten ist: Mariä Empfängnis oder offiziell Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria. Jössasmarandjosef

Radio EmpfängnisDabei geht es nämlich nicht um die Zeugung von Jesus durch den heiligen Geist (oder das bayrische Weißwurstzipferl), sondern um eine Spitzfindigkeit im theologischen System. Ein letztlich von Papst Pius IX. 1854 verkündetes Dogma, dessen Entstehung gut 750 Jahre an Diskussionen alter Männer mit lustigen Hüten erforderte. Nur gut, dass die damals noch kein Radio hatten, Sender und Empfänger und so. Dieses Programmschema ist jedoch auch seit Jahrhunderten genauso eingefleischt wie deren Kommunion: Mund auf, Hostie rein, Kopf ab zum Gebet – und Amen und aus. Der Sender sagt, was zu tun ist – und die Empfangenden gehorchen. Jesus befiel – wir folgen dir! Wer nicht gehorcht, fliegt raus und wird umgebracht. Mahlzeit! Womit wir beim Höhepunkt menschlichen Fortschritts angelangt wären – der grenzenlosen Freiheit des heiligen Marktes und seiner lieben Frau, der Wirtschaft. Jetzt singen wir alle das Hohelied auf ihr ewiges Wachstum: “Gebeinebreit bist du unter dem Weihrauch und gebeinebreit ist die Frucht deines Treibens, Umsatz.” – Was war das nicht für eine Zeter- und Zerrerei, ob und wie lang die Geschäfte am 8. Dezember geöffnet sein dürfen, um den Gewinn der Eventkrampfstandler noch ins Unengliche zu überhöhen! Wenns dem Wirtshaus gut geht, gehts dem Wirten gut. Alle anderen sind eh blöd genug, sich vom jeweiligen Oberstkellner empfängern zu lassen – und tragen sogar noch ihre Haut zum Markte. Kling, Glöckchen, klingelingeling – kauf, zahl und geh sterben, depperte Menschheit.

Wir aber senden selbst. Und wir kritisieren beides: Den katholischen Hirnbimbam genauso wie den entfesselten Marktwirrwarr. Was immer einem “von oben” gefickt eingeschädelt angeschafft wird, kann allein schon deshalb nicht gut sein. Oder wie es Georg Kreisler ausdrückt: “Jede Art von Macht ist falsch.”

 

Das große Geschäft

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. November“Fuchs, du hast die Gans gestohlen…” Nein, eh nicht ganz. Aber um ungefähr ein Viertel gekürzt hast du die Förderung für den Dachverband Salzburger Kulturstätten. Ohne finanzielle Not – und ohne inhaltliche Begründung. Ob das für diese Stadt ein gutes Geschäft ist – oder ob da nur jemand sein großes Geschäft gemacht hat? Lasst uns doch einmal über den Scheißdreck reden. Und lasst uns das mit den Worten des wunderbaren Axel Corti tun: “Die Macht möge endlich die Courage haben, aus ihrer verknorpelten Haut zu schlüpfen. Die Kompetenzen, die sie sich angemästet hat, stehen ihr nicht zu. Sie hat nicht zu befinden über Kunst oder über Nicht-Kunst, über brave und schlimme Künstler, über freche – und hoffentlich volksnahe Kunst.” So sagte er es bereits 1989.

Das große GeschäftEntsetzlicherweise ist derlei nach wie vor hochaktuell – und passt – genau wie die Faust aufs Auge: “Über Meinungsumfragen, diese Rosenkränze der Mächtigen, die sie geradezu süchtig nachplappern, über Meinungsumfragen lässt sich Kunst und ihre Auswirkung nicht ausmachen. Die Kunst hat sich diesen hurtigen Ritualen zu versagen. Der Künstler, der sich wirklich riskiert, verweigert sich.” Man muss kein Schelm sein, um sich bei der Vorgehensweise der Stadtmächtigen explizit Böses zu denken. Denn der Dachverband als Interessenvertretung und Serviceeinrichtung für zahlreiche Initiativen und Künstlergruppen in Stadt und Land Salzburg leistet etwas sehr Substanzielles, ohne das die Kunstschaffenden der “freien Szene” in eine oft überfordernde Vereinzelung zurückfallen müssten, speziell bei Budgetverhandlungen, Öffentlichkeitsarbeit oder auch Koordination (Vernetzung) untereinander. Es geht also um nichts anderes als die Ermächtigung von freien Kulturarbeiter*innen zu selbstbewussten Projektpartnern im Sinne der gedeihlichen Entwicklung einer vielfältigen, interessanten und somit lebenswerten Gesellschaft. Und nicht um devotes Bittstellertum in den Vorzimmern der “Macht”.

Axel Corti: “Der Humus eines Landes braucht seine Regenwürmer. Mag der Mächtige allemal ein Traktorist sein, ein vollautomatischer Motorpflug, der Regenwurm ist allemal der Künstler.”