Ernst (Thomas Andreas Beck)

Artarium am Sonntag, 10. November um 17:06 Uhr – Seltsam, im Nebel zu stochern. Oder unter dem Teppich nachzuschauen, was da schon so lang drunter gekehrt wird. Oder doch nicht? Die Generation der Nachkriegskinder ist mit erheblichen Leerstellen im Familiengedächtnis aufgewachsen. Mit Auslassungen, Umdeutungen und Tabus in der Erinnerung. Thomas Andreas Beck allerdings macht sich auf die Suche nach genau diesen unterbewussten Strömungen, die unsere Welt nach wie vor prägen, sowohl in der gesamten Gesellschaft als auch in der Persönlichkeit jedes einzelnen. Und dabei geht er dorthin, wo es wirklich weh tut, nämlich in sich selbst. Auf seinem Album “Ernst” (das wir heute vorstellen) verschmilzt er dieses Innen mit dem Außen zu einer ausgewogenen Wahrnehmung des Weltwahnsinns, der in und um uns wütet.

Thomas Andreas Beck - Ernst in SalzburgVor einem Monat präsentierte er sein aktuelles Buch “Der Keller ist dem Österreicher sein Aussichtsturm” in der matchBox in Schallmoos und dabei wurde ich von zwei Songs aus besagtem Ernst in eine mir ebenso unbekannte wie wohlvertraute Welt versetzt. “Das ist Ambivalenz! Das ist große Kunst!”, jubelte ich in mir drin und beschloss gleichauf, diese Bewusstseinserweiterung, für die man nicht einmal Drogen nehmen muss, auf dem kreativen Hörweg mit euch zu teilen. Denn wie bereits John Peel von der BBC feststellte: “Radio is and always will be a more powerful medium than television because it allows the imagination of the listener to flourish.” Es waren die Titel “Strones” (ein Lied über den absichtsvoll in die Versenkung verschwundenen Geburtsort von Hitlers Vater am Truppenübungsplatz Allentsteig) sowie “Deponie” (eine Zeitreise in die eigene Kindheit – was auf mehreren Ebenen zugleich funktioniert, nämlich, weil es die Kindheit von vielen von uns berührt).

Dann ist mir noch etwas völlig Unerwartetes passiert (und es sind ja oft die Dinge, die “einfach passieren”, die einem wie von selbst neue Sichtweisen eröffnen). Ich nenne es jetzt einmal “Kreatives Verhören” (im Sinne von “da hab ich mich wohl verhört”). Aus dem Nebenraum hörte ich eine Nummer vom Album “Ernst” mit einem einzigen veränderten Buchstaben, wodurch aus der eigentlichen Aussage jeder Textzeile eine Frage entstand und ich das gesamte Lied als eine “offene Frage” auffasste, deren Antwort sich erst durch seinen Titel ergab. Hier die von mir “verhörte” Version:

Was frisst die Seele auf
Was macht dich hin
Was macht dich deppad
Viel deppader als sie

Was macht dich ängstlich
Was macht dich lieblos
Was macht dich neidig
Was macht dich blind
Was macht dich einsam
Was macht dich stumpf
Was macht dich starr
Was macht dich traurig
Was macht dich bitter
Was macht dich giftig
Was macht dich süchtig
Was macht dich krank
Was macht dich dunkel
Was macht dich brutal
Was macht dich gefährlich
Was macht dich mächtig

Was frisst die Seele auf
Was macht dich hin
Was macht dich tot
Viel toter als sie

Hass

Thomas Oberender empfiehlt: “Hören sie genau hin …”

PS. Um jedweder Velwechsrung von vorn herein (und auch im nachhinaus) vorzubeugen: Das oben abgedruckte ist die auf meinem “kreativen Verhören” basierende Version. Der originale Songtext ist allhier nachzulesen.

 

Schatten über Salzburg

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Oktober – Der Autor, Liedermacher und Kabarettist Peter Blaikner hat jüngst “einen Roman nach einer wahren Begebenheit” mit dem Titel “Schatten über Salzburg” herausgebracht. Der bezieht sich auf eine Besetzung des Petersbrunnhofs durch Neonazis im Jahr 1993 sowie verschiedene damit in Zusammenhang stehende Ereignisse. Nachdem es uns über die Jahre immer wieder beschäftigt hat, wie sich “das nicht Wahrgenommene” in seinem Keller (der unser Unterbewusstsein ist) weiter auswirkt, wollen wir die Themen dieses Romans auch in unserer speziellen Sichtweise wiederspiegeln. Denn “das Weggelassene” wie auch “das Hinzuerfundene” einer im Nachhinein “interpretierten Geschichte” hinterlässt in uns Leerstellen, blinde Flecken, Unklarheiten oder eben Schatten”.

Schatten über SalzburgNicht nur in der “großen Geschichte” (etwa der des ganzen Landes) entstehen solche Leerstellen, die von uns mit Bedeutung versehen und in Zusammenhang gebracht werden wollen – auch in den vielen “kleinen Geschichten” (aus welchen “Geschichte” eigentlich besteht) verlangt das Unbeantwortete nach Antwort. Es ist ein großes Verdienst dieses Buches, dass es die Wechselwirkung von allgemeingesellschaftlich verdrängten Unangenehmheiten und individuellen Verletzungen (die wiederum unerfüllte Sehnsüchte bewirken) aufzeigt. Peter Blaikner hält die dafür nötige Distanz zum Geschehen, um sowohl das persönliche Schicksal seiner Figuren als auch allerlei politische Machenschaften, in die sie sich verstricken und in die sie zugleich verstrickt werden, zu verdeutlichen. Beim Lesen gerät man so in einen Zustand des gleichzeitigen Mitfühlens wie eben auch Beurteilens …. und im besten Fall hoffentlich Verstehens. Das ist mehr als man von manch sprachfunkensprühender Weltniveauliterur (dazu gehört dieser Roman eher nicht) aufgetischt bekommt. Wiewohl durchaus kicherigmachende Ausdrücke (da zwinkert der theatererfahrene Kabarettist) das Unterhaltenwerdenwollen bedienen, so etwa ein “innerlich schallend lachender Vater”. Ich habe einige der geschilderten Ereignisse selbst miterlebt und befinde, das Buch lädt zum Selbstweiterdenken ein.

Meine Mutter war im Alter von 14 Jahren ein Vorzeigenazi. Noch 1944 (als bereits alle deutschen Fronten in Auflösung begriffen waren) schrieb sie ein “Kriegstagebuch”, in dem sie Tag für Tag fein säuberlich die Siegesmeldungen” der Reichspropaganda wiedergab. Für wen? Wozu? Alles in ihrer verletzten Kinderseele schrie: “Ich will nicht allein sein! Ich will dazu gehören!” Und auch heute noch schreit es in mir: “Ich will diese Angst nicht ertragen müssen!” (Diese Angst vor dem Terror des Ausgestoßenwerdens. Wer schreit da?). Die Frage ist, wie wir in der Gegenwart mit dem Erinnern umgehen.

Memory ist immer under Construction.

Und wo ist dein Schatten?

 

Ich bien ein lernfähiger Fersager

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. September – Als der Schriftsteller Michael Köhlmeier vor vielen Jahren die Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen hielt, “outete” er sich dabei auch als Legastheniker. Seine Bücher habe er überhaupt nur auf dem Umweg über das gesprochene Wort zustande gebracht, nämlich indem er den jeweiligen Text in ein Aufnahmegerät sprach, von dem seine Gefährtin Monika Helfer ihn dann wiederum in Schrift transkribierte. “So hat er sich also die ausgefeilte Erzählweise (und Stimme) erarbeitet, mit der er berühmt geworden ist.”, dachte ich mir damals spontan. Ein der Not geschuldeter “Workaround”, der die Talente hinter seiner als “Behinderung” aufgefassten Eigenart erst recht zur Geltung bringen sollte. Überhaupt fühlt sich das Wort “Fersager” viel schöner an als mit V geschrieben.

Ich bien ein lernfähiger FersagerWomit wir schon bei einem Grundproblem des gesamten Formenkreises der sogenannten Neurodiversität angelangt wären: Es wird davon ausgegangen, dass eine bestimmte Art und Weise (nämlich die “bei uns” allgemein übliche) des Lernens “normal” sei und alles davon abweichende eine reparaturbedürftige Fehlleistung. Das allerdings ist nach heutigem Kenntnisstand nicht nur ein fester Blödsinn, sondern auch noch für die gesamte Gesellschaft schädlich, also schlicht schlecht. Warum das so ist? Es gibt generell so viele unterschiedliche Gehirnarten wie es Menschen gibt (man spricht von individuell ausgeprägten Funktionsweisen des Gehirns, die genauso einzigartig und unverwechselbar sind wie Fingerabdrücke). Wenn wir also (als Schule, als Eltern, als Geschwister – und überhaupt als Mitkinder) all die irgendwie andersartig denkenden Menschen, mit denen wir es zu tun haben, als selbstschuldige Fehlfunktionen ansehen und sie auch so behandeln, dann …

… sind wir Versager, weil wir ihnen das Menschenrecht auf Entwicklung ihrer ganz eigenen Lösungswege versagen. Und uns selbst die Möglichkeit, über die bisherigen Sichtweisen hinaus zu sehen, vorenthalten. Für mich fühlt sich das Wort “Fersager”  völlig anders an als “Versager”, aber ich kann zur Zeit noch nicht begründen oder genau erklären, warum. “Regeln sind nicht im Kopf, sie sind lediglich brauchbar, um bestimmte Leistungen im Nachhinein zu beschreiben.” Der Salzburger Lernforscher Herbert Fartacek bringt uns mit diesem Satz von Manfred Spitzer auf eine Fährte

Ich bien ein lernfähiger Fersager

 

Fontaines D.C. – Romance

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. SeptemberHoppala, da taucht auf einmal eine Band auf, die sehr eigenwillig und selbstbestimmt Musik macht und dann auch noch (wer hätte das erwartet) recht erfolgreich durchstartet. Erst unlängst wurden sie im Kulturmagazin ttt als “Poetic Punks” aus Irland vorgestellt und dabei irgendwie als der neue heiße Scheiß des kompromisslosen Post-Punk-Genre überwindenden, ja geradezu zersprengenden Kunstschaffens dargestellt. Derlei macht uns naturgemäß neugierig und hoppala, was die Jungs von Fontaines D.C. da über ihre Einstellung zum Musikmachen so alles absondern und was man sonst noch darüber hinaus von ihrer Geschichte als Poeten, Musiker und vor allem als fünf Freunde herauszufinden vermag, das ist Grund genug, das Album Romance von Fontaines D.C. zu spielen.

Fontaines D.C. - RomanceWas wir erfahren haben und was wir also mit euch teilen möchten, lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Wie schön ist es, wenn sich etwas derart organisch lebendig wachsend entwickeln darf wie diese Band! Da beschließen fünf junge Typen (die sich nie zuvor getroffen haben), auf ein renommiertes Musik und Kunst-College zu gehen (nennt sich BIMM und ist diesfalls in Dublin). Sie lernen sich kennen und bemerken, dass sie etwas verbindet, nämlich die Liebe zur Poesieund schon bald lesen sie sich gegenseitig ihre Gedichte vor, auch in den Pubs der Umgebung. So werden sie Freunde und im weiteren Verlauf bringen sie gemeinsam einige Lyrikbände heraus. Danach beschließen sie, eine Band zu gründen, die schnell überregionales Interesse weckt und die, wie wir heute wissen, sehr erfolgreich gewesen sein wird oder so. Für uns ist dabei der Schaffensprozess interessant: Aus was für inneren Haltungen und durch welche Wechselwirkungen in der Gruppe (die ein Freundeskreis ist) entsteht die besondere Qualität ihrer Musik, die ja offenbar mehr verkörpert als zur reinen Publikumsbelustigung notwendig wäre?

“Ich glaube, man muss ganz frei und unbeeinflusst von der Außenwahrnehmung sein. Ich glaube, in dem Moment, in dem man anfängt, seine Worte so auszuschmücken, dass sie auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen werden, ist man erledigt.” Soweit Gitarrist Carlos O’Connel. Und Sänger Grian Chatten gemeinsam mit ihm:
“Ein großes Ziel von mir ist, dass wir am Ende immer noch gute Freunde sind. – Für mich das einzige Ziel! – Ja, für mich wäre es mehr wert, wenn wir als Band nur halb so erfolgreich wären, dafür aber doppelt so enge Freunde.”

Suchen wir nicht auch oft nach einem besseren Leben in einer kaputten Welt?

 

Erwachsendenbildung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 8. September“Und solang ich irgendwie atmen und reden und fühlen kann, und mich bewegen kann, will ich diese Magie betreiben und mich dieser Magie zur Verfügung stellen.” Doch von was für einer Verwandlung, ja geradezu Anverwandlung spricht der Mensch hinter der Maske hier eigentlich? Wenn er den Jedermann als Zauberbuch bezeichnet, dann sicher nicht in der Vorstellung, dass Wasser sich in Wein verwandelt, wenn man es dort hinein hält. “Ich werde das Gedicht.”, sagt Philipp Hochmair an anderer Stelle, und damit kommen wir dem Wesen der von ihm angesprochenen Magie schon näher. Und der Beobachtung, dass wir alle, solang wir in dieser Welt leben, werdende sind und nie fertig mit dem Prozess der Wandlung. Das ist Erwachsendenbildung

ErwachsendenbildungGibt es überhaupt “Erwachsene” (etwa als Gegenteil von Kindern) oder sollten wir nicht eher alle im werden miteinander verwandt sein? Das Konzept der Abtrennung von der eigenen Kindheit, wie es sich zum Beispiel in den Paulusbriefen wiederspiegelt, ist nicht nur höchst fragwürdig, sondern erweist sich mit zunehmendem Alter als ein festes psychologisches Problem. Denn diese “unerlösten Kinder”, die sich nie richtig entwickeln durften (und so auch nicht ihre spielerische Genialität im Leben des “Erwachsenen” ausüben können), sind ja nach wie vor anwesend und es kostet immer mehr Kraft, sie in der inneren Verbannung festzuhalten. Kraft, die uns zum Leben fehlt. Halber Mensch. Und wie schön wäre es, einem Jugendlichen, der unter seinem Anspruch “endlich nicht mehr Kind und endlich erwachsen sein zu wollen” erkennbar leidet, mitzuteilen, dass man selbst auch gerade “nicht mehr dort ist, von wo man herkommt” und zugleich “auch noch nicht dort, wo es einen hin bewegt”.

Ankommen kann (und wird) man bei sich selbst. Oder eben nicht. Das ist das ganze Geheimnis der Gelassenheit, vor allem im Hinblick auf das eigene Endlichsein hier in diesem Erdenleben. Was also gäbe es für ältere Menschen sonst an einem weiteren Geburtstag zu feiern als die Aussicht, sich selbst als eine ureigene Symphonie in immer neuen Variationen bis ins zuletzt auch Unvollendete fortzuschreiben? Das mag andeuten, wie wir im Spannungsfeld der verschiedenen Zeitbegriffe zufrieden leben können, ohne uns zerreiben zu lassen vom Chronos (der seine Kinder frisst).

Was ist ein Kulturmagazin? Nun, ein Kunnstbiotop, in dem es möglich ist, so eine Magie zu betreiben, nämlich Schönes und Interessantes in Beiträge zu verwandeln und so das, was wir entdeckt haben, was uns anspricht und fasziniert, mit unseren eigenen Gefühlen und Erfahrungen zu verbinden und in veränderter Gestalt wieder anderen zu zeigen. Wir sind in Entwicklung begriffene Erwachsende und wir laden zum Miterleben wie auch zum Selbstweiterentwickeln ein. Erwachsendenbildung, eine bemerkenswerte Begrifflichkeit, die man sich in die Seele sinken lassen sollte:

Erwachsendenbildung.

 

Wursten von Hunden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 25. AugustFeiern wir das Finale der Festspielsaison mit einem genialen Werk aus der Welt des Melodic Hardcore oder Skate Punk oder wie es euch gefällt … Und gedenken wir zudem eines Meisters der angewandten Sprachzerlegung, dessen Gedicht franz hochedlinger gasse unseren heutigen Ausflug mit dem Chor der wütenden Kinder inspiriert: “wo gehen ich / liegen spucken / wursten von hunden / saufenkotz / ich denken müssen / in mund nehmen / aufschlecken schlucken / denken müssen nicht wollen” Poesie und Widerstand – aus der Erfahrung des “Nicht zur Geltung kommens” und “Keine Bedeutung habens”, die den endgültigen Kontrapunkt setzen zum Geklingel der Reichen und Mächtigen, deren ganze “Weltbeherrschung” damit verglichen keine bleibende Bedeutung hat.

Wursten von Hunden - The Decline (Trump)Der kleine Norbert war unlängst in seiner frühesten Kindheit unterwegs und entdeckte dort den Topf seines eigenen Zorns. Neugierig, wie das darin herum brodelnde Wutgebräu wohl entstanden war, bemerkte er seine ersten Versuche, zu etwas “Nein” zu sagen (also irgendwie nonverbal auszudrücken, dass er dies oder jenes so jetzt nicht wolle). Und zugleich erinnerte er sich, wie diesen Neinsageversuchen immer wieder so gar nicht entsprochen wurde. – Seine Bedürfnisse und Gefühle wurden also ignoriert und stattdessen wurde ihm mit aller Macht der Erwachsenen “drübergefahren”. Das stellt die früheste Erfahrung von Missbrauch und Gewalt dar und das ist auch das Gefühl, aus dem Wut, Empörung und berechtigter Zorn entstehen. Wenn jetzt noch dazu die Äußerung dieser Emotionen (etwa von narzisstischen Eltern) zurückgewiesen oder sogar bestraft werden, dann muss das Kind sie ja irgendwo zwischenlagern in einem inwendigen Gefäß wie dem erwähnten “Topf des Zorns”. Und da drin verbleiben sie dann auch (und wirken unerkannt weiter) bis man sie anderweitig ausdrücken kann …

Das eigenwillige Opus Magnum von NOFX, das als über 18 Minuten langer Punksong konzipierte “The Decline”, gibt uns Gelegenheit, unsere oft eingetopften und im Topf verstopften Emotionen wieder wahrzunehmen, auf dass wir ihre ungeheure Kraft zu etwas für unser jetziges Leben brauchbarem, erfreulichem, lustvollem und nahrhaftem “umerschaffen” mögen. Durch das Hören von Kunnst, die aus ihrer Wut über den Wahnsinn schöpft, dazu angeregt, unsere Gefühle wieder anderen zu offenbaren. Wir werden Großes schaffennach unseren eigenen Maßstäben, was “Groß” ist.

Wir sind ein Wursten von Hunden.

Zu diesem Behufe verwenden wir unter anderem eine erstaunliche Neuaufnahme: “The Decline Live at Red Rocks with Baz’s Orchestra”, kongenialst arrangiert von Bastien “Baz” Brisson, dem es mittendrin bei seinem Xylophonsolo geradezu den Martin Grubinger raushaut. Und wir wären kein “etwas anderes Kunnstbiotop” in einer Stadt der Festspiele, wenn wir nicht zum Schluss auch noch die Übersetzung der Punkhymne in eine orchestrale Musiksprache zu Gehör und somit zur Geltung brächten: “NOFX’s The Decline (A Punk Rock Symphony)”

Es heißt, wenn schon, dann “Erwachsendenbildung” …

 

Morgen ist schöner

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. August – Ich drehte den Fernseher auf und geriet, völlig unvorbereitet, mitten hinein in die Übertragung der heurigen Jedermann-Aufführung vom Salzburger Domplatz. Mitten hinein in eine Tischgesellschaft, die so goldlackiert zurechtgeschaufenstert synchrontanzt, dass ich erschöpft aufseufze: “Jetzt haben sie den Jedermann also auch zum Hupfkasperl im Larifariland gemacht mit ihrer amerikanoiden, überall auf der Welt gleichförmigen Bühnenshow.” Wennst wirklich Choreographie auf künstlerischem Weltniveau haben möchtest, dann schau dir “RHYTHM IS IT” an. Aber geh scheißen mit so einem billigen Tinnef, der eh schon flächendeckend alles und jeden verkonsumwichtelt. Mir tut ja der Philipp Hochmair leid. Morgen ist schöner? Seine innere Heimat” muss jetzt wirklich sehr stark sein.

Morgen ist schöner (Omar Khir Alanam)Als ein Gegenmittel zu dieser kleinkarierten Inszenierung soll er ja nach wie vor mit Kurt Razelli zusammen den Jedermann-Monolog “abviechern” (wir haben das Album damals vorgestellt). Und im Gespräch mit Omar Khir Alanam wird deutlich, wie der Schauspieler im Unterschied zum Autor und Performer die innere Heimat in der fremden Sprache von Theaterdichtern und Regisseuren abfedertdurch eine selbsterschaffene Welt, in der “das geniale Kind völlig unbehindert drauflos fuhrwerken kann”. Der Film “Jedermann auf Reisen” von Wolfgang Tonninger ist sicher auch die (Wieder)entdeckung des heurigen Sommers, die uns nicht nur über die ekligen Oberflächlichkeiten des Festspielbetriebs hinaus zum “Selbst weiter spüren und denken” verhilft, sondern uns zudem noch in die tiefenentspannte Philosophie des “Dialogischen Prinzips” eintauchen lässt und so die unendliche Unterwasserwelt des ständigen Neuerschaffens zugänglich macht. Chapeau, liebe Tiefseetaucher und Seelenreisende, wir sind angekommen – unterwegs. Oder auch umgekehrt. Im Zwischen – vielleicht, aber sicher. “Im Anfang war das Wort” oder wie Grand Corps Malade es ausdrückt: “Une lumière incandescente issue d’un souffle oratoire.”

“Morgen ist schöner”, so betitelt der Autor, Poetry Slammer, Kabarettist, Trainer und – überhaupt unsere Neuentdeckung des heurigen Sommers Omar Khir Alanam eine Textcollage, die er über die Jahre schon in den verschiedensten Situationen vorgetragen hat und die er fortlaufend weiterentwickelt. Diese Geschichte, in der er seine Flucht aus Syrien und auch sein Ankommen in Österreich verbearbeitet, wollen wir zum Schluss der heutigen Sendung anhören. Eine Geschichte, die uns dazu anregt, unser aller Unterwegssein immer auch als Hoffnung zu begreifen

Wie gesagt, morgen ist schöner.

PS. Den erwähnten Dokumentarfilm “Jedermann auf Reisen – Die Weltvermessung eines Heimatlosen” gibt es derzeit noch in der ORF-Mediathek sowie darüber hinaus jederzeit bei Vimeo On Demand anzusehen. Wir empfehlen dessen hintergründige Inspirationen wirklich aus vollstem Herzen!

 

Éphémère

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. AugustWenn sich drei Künstler aus unterschiedlichen und doch artverwandten Schaffenswelten zusammenfinden, um ihre jeweiligen Stilrichtungen zu einem großen Konzeptwerk zu verschmelzen – dann sind wir trotz aller Festspiele leider nicht in Salzburg. Aber wir sind ein freies Medium und bringen euch daher dieses Ausnahmeereignis zumindest ansatzweise zu Gehör: Éphémère (das Flüchtige) von Grand Corps Malade, Gaël Faye und Ben Mazué – in Gestalt des knapp 30-minütigen Studioalbums, das einige der wesentlichen Stücke der viel umfänglicheren Liveperformance enthält, von der immerhin ein Konzertfilm hergestellt wurde, dem man auch in voller Länge beiwohnen sollte. Poetry Slam und literarischer Rap und Theatermusik begegnen sich für einen flüchtigen Moment

ÉphémèreAls Hör- und Erlebnisbeispiel sei hier der begeisternde Titel “Besoin de rien” (der vorletzte Track dieses Albums) hervorgehoben, ein aus Stadtgeräuschen und beiläufigem Geplauder heraus nach und nach in ein Dialoggedicht überfließendes Fest des (flüchtigen) schöpferischen Augenblicks, vom Melodiegesumme der musikalischen Inspiration zum regelrechten Trialog der Ideen und Möglichkeiten voran getrieben bis hin zu einer opulenten Steigerung, einer sprachrhythmischen Extase und orchestralen Vielschichtigkeit, die den kollektiven Ohrgasmus aller Beteiligten im Ansatz erahnen, in der Phantasie aber vollinhaltlich mitvollziehen lässt. Der “kleine Tod” ist auch im schöpferischen Prozess Éphémère” sprich ein überaus flüchtiger Moment. Wir sind ja nach wie vor damit beschäftigt, herauszufinden, wie wir ihn immer weiter ausdehnen, in die Länge ziehen, quasi “verdauerhaftigen” könnten. Und es gibt durchaus Hinweise darauf, wie wir diesem umtriebigen Wunsch nach fortwährender Beglückseligung lieber nicht entsprechen sollten: Durch Steigerung der Reizfrequenz sprich Beschleunigung.

“Et là, au milieu du monde, allonger les secondes – diesen Wunsch äußern Grand Corps Malade, Ben Mazué und Gaël Faye in ihrer kürzlich erschienenen Single On a pris le temps. Eine Ode an die Muße und an die Notwendigkeit, sich zwischenzeitlich die Zeit zu nehmen, seinen Geist auszuruhen und sich nicht nur vom überfüllten emploi du temps einnehmen zu lassen. In einer flüchtigen Welt, in der die Zeit vergeht, der Alltag zunehmend von Müdigkeit und Erschöpfung geprägt zu sein scheint und es immer schwieriger wird, eine Pause einzulegen, kommt das neue Album der drei Künstler gerade recht, um sich der Flüchtigkeit der Momente bewusst zu werden und aus ihnen das Positive zu schöpfen.” So zu lesen bei Friedrich (vor deren Paywall).

Éphémère

PS. In der Vorabveröffentlichung der Signation/Collage zur heutigen Sendung haben wir außerdem zwei wesentliche Texte in deutscher Übertragung beigefügt. Allons, enfants!

 

Aus der Mitte

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. Juli – Es gab da einmal einen Film, dessen Titel “Aus der Mitte entspringt ein Fluss” mich immer wieder auf spielerische Weise zur sprachlichen Veränderung seiner Wirklichkeit einlädt. So kann er etwa “Aus der Bitte entspringt ein Muss” heißen (das wäre psychologisch) oder aber “Aus der Miete entspringt ein Plus” (das ist kapitalistisch) oder sogar “Aus der Titte entspringt ein Fuß” (was immer das bedeuten mag). Nichtsdestodoch ist übrigens auch ein schönes Wort und für eine Sendung voller Fußnoten genauso geeignet wie Vatermutterkind. Aus der Mitte des sich Verbindens von zwei Chromosomensätzen zu einer neuen Partitur des Lebens entspringt die Einsicht, dass das damals gut war. Jedenfalls gut genug, denn sonst würde es uns vollkommen noch nie zuvor Dagewesene ja nicht geben …

Aus der MitteJe älter ich werde, desto mehr denke ich auch darüber nach, warum mir das meiste, was sich da unter dem Label “Hip-Hop” zusammendrängt, so dermaßen auf die Nerven geht. Und warum es auch immer wieder Darreichende dieses Genres gibt, die mich nachgerade entzücken. Es hat wohl damit zu tun, wie sie sich anfühlen. Also ob da jemand zum hundertzigsten Mal stereotyp “Ich bin großartig und ihr seids Opfer” ins Mikrodrom brunzt, um so seine Zielgruppe abzukassierenoder ob da ein nachvollziehbarer Mensch etwas aus seinem echten Gefühlsleben vorstellt, so dass es mich zum Nachspüren und Weiterdenken inspiriert. Tatsächlich gibt es einen ebenso feinen wie gewaltigen Unterschied zwischen Pose und Poesie. Am besten lässt sich der mit einem Beispiel vermitteln: der Schriftsteller und Sänger Gaël Faye (geboren in Burundi) reflektiert in seinem Lied Métis die höchst kontroversen Gefühle eines in Frankreich aufwachsenden “Mischlings” mit europäischem Vater und afrikanischer Mutter. Er berichtet aus der Mitte zwischen diesen beiden Herkünften über seine Suche nach seiner Identität.

Außer dieser Fußnote zum Hip-Hop-Genre gäbe es da noch eine zu meinem jüngsten Besuch bei den Kollegen von Battle & Hum, bei deren 15jähriger Jubiläumssendung mir eine gewisse Wehmutslastigkeit aufgefallen war. Nun, was soll ich sagen, Trauer tut weh – und trauern tut gut. Vielleicht kann der “Sonic Youth Song” unseres lieben Freundes Martin Konvicka hierzu einen tröstlichen Reim erzeugen. Apropos zeugen, eine Fußnote zur amerikanischen Präsidentschaftswahl von Chad Urmston hätten wir auch noch anzubringen: Wie geht das dort jetzt weiter mit dem Recht auf Abtreibung?

Und eine Footnote to HOWL von Allen Ginsberg in der Interpretation von Patti Smith als Einladung zu unserer nächsten Nachtfahrt am 9. August um 22:06 Uhr, die einen sehr zu den inneren wie auch äußeren Zuständen dieser Zeit passenden Titel trägt, nämlich “In Between Days”. Und in der dem entsprechend auch The Cure eine nicht unwesentliche Rolle spielen werden, zumal die außergewöhnliche Coverversion von “Pictures Of You” der “Sängerin und Bariton-Ukulelistin” Rio en Medio, was ja soviel bedeutet wie “Fluss im Zwischen”. Womit sich auch dieser Themenkreis schließt …

Ab durch die Mitte

 

Der General

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Juli – Unlängst hat der Hase einen recht bemerkenswerten Song ausgegraben, der ihm in seiner Jugendzeit begegnet ist und der ihn damals in vielerlei Hinsicht beschäftigt hat. Es handelt sich um einen Klassiker aus den 90er Jahren, “The General” von Dispatch, der in beeindruckender Sprache davon erzählt, wie ein hochdekorierter Heerführer aufgrund eines intensiven Traums die bevorstehende Schlacht absagt und seine Soldaten nach Hause schickt. Dabei schließt er mit den Worten: “Go now, you are forgiven. Diese Geschichte hat mich wiederum tief bewegt, komme ich doch selbst aus einer kriegszerstörten Familie und sehne mich seit langem danach, endlich aus dem Krieg in mir entlassen zu werden. Vielleicht möcht ich auch mehr wie der General sein – und mir selbst verzeihen

Der GeneralDamit will ich darauf aufmerksam machen, dass die Geschichte, die da erzählt wird, einige Ebenen enthält, die weit über das Kriegsgeschehen ringsum in der Welt hinaus weisen in die innere Entwicklung einzelner Menschen und ihrer Einstellung zum Krieg an sich – und in sich und um uns herum. Denn wiewohl das Lied ursprünglich aus einer kritischen Auseinandersetzung mit den USA als einem kriegführendem Staatswesen (in der Zeit zwischen den beiden Irakkriegen) entstanden ist, berührt seine Botschaft auch noch wesentlich Allgemeingültigeres. Der, der die Macht hat, sieht im Traum “die Menschen auf der anderen Seite” und entscheidet sich dafür, “dass es keinen Wert hat und auch keinen Sinn ergibt, diesen Kampf auszutragen”. Wer aber hat die Macht, die Wirklichkeit zu verändern, wenn nicht jeder einzelne Mensch in seinem Leben, das untrennbar verknüpft ist mit dem Leben der anderen? Jeder Mensch wird den Krieg beenden, sobald er das Richtige träumt.

Das erscheint erst einmal unglaublich, zumal die immerfort auf uns einprasselnde Weltgewalt ganz andere Zustände in uns verursacht: Ohnmacht, Ausweglosigkeit, Resignation und ganz viel verstopfte Wut. Hoffen, trauern und lieben die Kinder denn ganz umsonst? Hier kann die symbolische Darstellung surrealer Traumbilder weiterhelfen, wie sie zum Beispiel in Antonello Vendittis genialem Video “In Questo Mondo Che Non Puoi Capire” stattfindet, das einerseits zwar resignierend “Sempre quella … sempre guerra” seufzt – andererseits aber den Tanz des Lebens feiert.

Einerseits, andererseits, beiderseits gleichzeitig, zwischen Zerrissenheit und dem Irrsinn Erlösung zertanzt sich das Leben im inneren Ringen nach einem Weg durch die Krise. Kommen wir also zu einem weiteren Kriegsberichterstatter seiner eigenen Seelenlandschaft, der diesen (uns wohl allen mehr oder weniger bekannten) inneren Zwiespalt wie kaum ein anderer textmusikalisch dargestellt hat. “Hi, Ren” heißt das entsprechende Video, das uns tief in die Abgründe des walisischen Künstlers blicken lässt – und uns zu einer neuen Begegnung mit unseren eigenen Dämonen ermutigt.

So. Und weil wir den real existierenden Scheißkrieg, den Putinrussland gegen die Ukraine führt, nach wie vor zum Kotzen finden, wollen wir hier zum Schluss abermals jenen “kyrillischen Vorhang” anheben, der uns von der russischen Sprache trennt. Chad Urmston von Dispatch hat nämlich in akribischer Arbeit den alten, aber (wie oben ausgeführt) zeitlosen und weit über seinen Anlass hinaus wirksamen Song “The General” auf Russisch übertragen und eingesungen. Daraus ergibt sich eine weitere sehr konkrete Bedeutungsebene, die wir euch auf keinen Fall vorenthalten wollen:

Жил да был ветеран генерал герой
Кладезь историй, человек золотой
О прошлых битвах он вёл рассказ
Победы и потери он видал не раз
На поле боя заслужил он славу и почёт
Увешен медалями, орденов не счёт
Он шрамы с поля скрыл бородой
Стоял он за солдат горой

Накануне важной битвы
Когда солдаты спят
Всё думал о смысле жизни и сам не мог уснуть
Он проснулся и рассказал о том, что увидел
И вышел медленно к ним

Все солдаты стояли в строю по струнке
Храбрые бойцы смотрели вперед
Утро было серым и они не знали, что будет
Пока генерал не сказал им идти домой

Он сказал: „Врага и во сне я видел
И я обнаружил — эта битва того не стоит
И я видел глаза матерей
И я не позволю, чтобы вы пошли за мной

Так
Почистить сапоги и разойтись!
Время вам нельзя убивать
Вы молоды, вам жить и жить

Почистить сапоги и разойтись!
Время вам нельзя убивать
Вы молоды, вам жить и жить
Идите, вас простили

Но солдаты стояли, оружие на взводе
От странной команды они растерялись
Генерал сказал: „Это мой долг, но больше ни шагу
Вы можете идти куда хотите“

Солдаты застыли, стояли не моргая
Пока один за другим они не разошлись
Старый генерал остался с эхом своих слов
Он приготовился к бою

Он сказал: „Врага и во сне я видел
И я обнаружил — эта битва того не стоит
И я видел глаза матерей
И я не позволю, чтобы вы пошли за мной

Так
Почистить сапоги и разойтись!
Время вам нельзя убивать
Вы молоды, вам жить и жить

Почистить сапоги и разойтись!
Время вам нельзя убивать
Вы молоды, вам жить и жить
Идите, вас простили

Идите, вас простили
Идите, вас простили
Идите, вас простили
Идите …