The Blues Brothers – Das Original

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. JuliKinder, wie die Zeit vergeht! Und gerade deshalb ist es so notwendig, einzelne Ereignisse “von damals” hervor zu holen und sie für ein Weiterwirken in der Weltgeschichte aufzubereiten. Denn die wesentlichen Wendepunkte der Menschheitsentwicklung sind verstehbarerweise selten in der “Geschichtsschreibung der Sieger” verzeichnet. Deren gepriesene Feiertage beruhen ja zumeist auf Niedermetzeln und/oder Verhungernlassen, auf Unterdrücken, Beherrschen, Ausplündern, auf gebrochenen Versprechen sowie Legalisierung des Unrechtskurz (haha!) auf Lug und Trug und Drohungen. Und während heute über das Umbenennen von Mohrengassen und das Großschreiben des Wortes Schwarz räsoniert wird, gehen die Blues Brothers einen anderen Weg:

The Blues BrothersDer Kultfilm aus dem Jahr 1980 stellt eine damals längst überfällige Würdigung von afroamerikanischen Musiktraditionen und deren Einfluss auf die unzähligen Stilrichtungen des internationalen Musikschaffens dar, als Geschichte des gemeinsamen Widerstands gegen die Dummheit, Gefühllosigkeit und rassistische Intoleranz einer auf Gehorsam und Gleichförmigkeit programmierten Gesellschaft. Und zugleich setzen die Blues Brothersals Bandprojekt wie auch als Film – just am Schnittpunkt der wechselseitigen schwarzweißen Einflussnahme, nämlich dem Rhythm and Blues, vielen Vertreter*innen originär “schwarzer” Musikgenres ein zärtlich bewunderndes Denkmal. So treten im Rahmen einer turbulenten Filmhandlung etwa Ray Charles, John Lee Hooker, Aretha Franklin oder der große Cab Calloway jeweils mit eigenen Kompositionen prominent in Erscheinung. Die Blues Brothers Band selbst hat lange Zeit Probleme, ihre angestammte schwarzweiße Fusionmusik live vor Publikum zu zelebrieren, und muss daher notgedrungen auf schräge Coverversionen ausweichen, wie zum Beispiel “Rawhide” in Bob’s Country Bunker (“Wir haben hier BEIDE Arten von Musik, Country UND Western!”). 40 Jahre danach ist Donald Trump Präsident…

Kein Wunder bei so viel “Negermusik”, dass nicht nur Nazis vom Himmel fallen und ins verdiente Loch krachen sowie reinweiße Countryboys in hohem Bogen durchs Bootshaus in den See “fahren”. Nein, auch Polizeiautos werden naturgemäß lustvoll ineinander getürmt, umgestürzt – und filmreif verschrottet.

Wir wollen euch darauf Appetit machen!

Du magst den Wagen nicht?

 

The Process Of Belief

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. JuliSeit fast 40 Jahren existiert da irgendwo in St. Kalifornien eine stilprägende Punkband namens Bad Religion. Zuallererst springen zwei Merkmale ins Ohr: Zum einen das fast schon sture Beibehalten des von ihnen mitbegründeten Sounds (der oft als Skatepunk oder Melodic Hardcore einsortiert wird) nebst den für sie typischen mehrstimmigen harmonischen Gesängen. Zum anderen die für die Punkszene eher untypisch komplexen und geistig herausfordernden Songtexte, die man am besten auch selbst lesen sollte, damit sie nicht in der Wucht ihrer Darbietung verschwimmen. Eine umfängliche Sammlung dieser Texte ist etwa hierorts – im Internet eures Vertrauens anzutreffen. Speziell zum heutigen Album The Process Of Belief

Bad Religion BeliefFür letzteres haben wir uns entschieden, weil es ungefähr in der Mitte des nun doch schon recht langen Bandschaffens erschienen ist und so den Sound/Stil kurz nach der Jahrtausendwende zu Gehör bringt. Und weil meine Lieblingsnummer auf The Process Of Belief enthalten ist, nämlich Sorrow (hier die etwas andere Live-Version), ein Lied, das mir erstmals in Mariazell widerfuhr. Bad Religion eben. Die etwas andere Geschichte. In Würdigung der Beständigkeit von Bad Religion wollen wir vor unserer Albumpräsentation noch vergleichen, wie sie sich in den 90ern anhörten – und wie sie sich (fast) heute anhören. God Song versus The Approach – zeitlich dazwischen das heute zu zelebrierende Krachwerk aus Abgrund und Harmonie. Es soll einfach wieder einmal gscheit scheppern und plärren, wenn wir schon alle seit Monaten nur noch im Kopf (und virtuell, pfui Deifi!) tanzen können. Und wenn Zeiten wie diese vermehrt nach Gedankenfutter verlangen, dann sind wir beim Herrn Professor bestens bedient. Greg Graffin singt und schreibt nicht nur für seine Band – er ist zudem Doktor der Zoologie, Universitätslektor und Buchautor, der in seinem Gesamtwerk Naturwissenschaft, Politik und Philosophie zusammen führt. Allein schon der Wikipedia-Eintrag zu den Werten der Band lässt den dahinter knotzenden philosophischen Kosmos erahnen. Der Begriff “Belief” hat hier viel mit Kritik an organisierter Religion (und das ganz besonders in den U.S.A.) zu tun. Der Herr Professor, inzwischen ergraut, gibt selbst Auskunft über einige Hintergründe.

Die erste wirkliche Autobiographie seit 40 Jahren Bad Religion wird am 18. August 2020 bei Hachette Books erscheinen – und wird auch als Hörbuch erhältlich sein.

Sehr zum Wohl!

 

Zuvielversum

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 10. JuliWieviel Versum ist ein Zuvielversum? Und wo würde man das lernen? An der Zuvielversität? Vielleicht im Dichterwettbüro von “Zuviel Versum Hysterie” aus Klagenfurt? Zwischen dem alles enthaltenden Einen und seiner Aufsplitterung in unendlich Zuvieles muss doch auch noch genügend Platz bleiben für ein menschliches Maß in deren Auffassung. Und so spielen wir als zwischenraumfahrende Sternschnupperer mit den einander scheinbar entgegen gesetzten Weltsichtweisen herum – bis sie sich in Wohlleben auflösen. Das geheime Leben der Lebewesen möchte man sagen. Wieviele Perlen wurden nicht schon vor die Säue geworfen – und es hat wieder keine Sau interessiert. Von Hasen haben wir derlei Sprichwörtliches allerdings noch nie gehörtJuuhuu!

Zuvielversum - Die PiratenEin Fall für zwei unerschrockene Kulturfreibeuter. Nutzen wir die Kunst der Stunde! Und plündern wir das gesamte Zuvielversum der Text-, Musik- und Bildbeiträge, so dass es wiederum denen gehört, die es lieben und bestaunen, und nicht denen, die es zum Nutzzweck ihrer Geldwelt verwursten. Pfuiii Deifi!!

“Der Wald kommt zurück. – Es wäre nur schön, wenn wir dann noch da sind …”

Zuvielversum - Die richtige RichtungDer Weltraum ist ein Biotop und keine Fleischfabrik. Ja wer hätte das gedacht? Unser Weltenraum ist ein kreativer Freiraum und keine Naturzerstörung vom Fließband. Unser Kulturraum ist Platz (also auch Zeit) zum Denken, Fühlen – und zum Aussortieren der viel zuvielen Eindrücke, die werbewirksam von überallher auf uns einklingeln, einplärren und einkrakehlen wie eine Kakophonie für Millionen. Nichts wirklich Neues unter unserer Sonne seit Propangasminister Goebbels: “Wir machen Sendungen für die Millionenmassen.” Und an dieser Volksempfängnis aus Massenblödien, Quasselödien und Kassenschmähdien hängen nach wie vor die braven Bürger, der kleine Mann und seine kleine Frau, die Durchschnitte. Nicht mit uns, Oida!

“Die Artikel zur Sendung sind Assoziationsmaterial zum selbst weiter denken …”

Zuvielversum - Derdiedas ChaosmosDie Digitalisierung schreitet voran. Der freiwilligen Selbstverblödung entkommt eh kaum noch irgendwer. Zeit ist Geld – und wir sind alle eine lustige Hochleistungsgesellschaft. Thronald Dump ist Bräsigdent der Verunreinigten Statuten – und die Festspiele spielen fest. Vollholler Reidulliöh und auf ins Verderben!

“Wir schwelgen stets in ausgewählten Kostbarkeiten aus dem – Zuvielversum …”

Hurz!

 

Der große Schaspreis

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. JuniDer Preis ist heiß. Eigentlich dampft er noch. Und auch wenn es sich nicht um den großen Schaspreis (oder eine andere staatliche Heißluft) für Literatur handelt, geht es rund um den Wörtersee meist mit einiger Erregung zur Sache. Denn die Veranstaltung, die schon im Jahr 2000 nicht mehr “Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb” heißen durfte, war ja von Anfang an als fernsehgerechte Show konzipiert, als ein unterhaltsames Theater der Literaturkritik. In einem der zahllosen Artikel des deutschsprachigen Feuilletons, die Tag für Tag während des laufenden Wettlesens erschienen sind, hat man uns immerhin einige der bisherigen Bachmannpreis-Erregungen nachgereicht. Es haben eben auch alle tagesaktuell bemarkteten Verwurstwaren ihre jeweils sehr eigenen Geschichten

Der große Schaspreis…durch welche sich die Geschichte erst wirklich lebendig erzählen lässt. Nicht, dass wir mit der diesjährigen Preisträgerin Helga Schubert nicht einverstanden wären! Ihre spezielle Bachmannpreisgeschichte begann bereits 1980, als sie aus Gründen der DDR nicht teilnehmen durfte – und Sten Nadolny sein Preisgeld zu gleichen Teilen auf alle Autor*innen aufteilen ließ, weil er befand, dass Literatur nicht Gegenstand von Wettbewerben sein sollte.” Seine daraus entstandene “Entdeckung der Langsamkeit” ist überhaupt eine unverzichtbare Kritik am herrschenden Immernochschneller und Immernochmehr. Das wäre ja auch die große Chance von Corona-Lockdown und Digital-Distancing, endlich zur Besinnung zu kommen im Hinblick auf die kranken (und kränkenden, im Wortsinn krank machenden) Ziele und Werte, mit welchen die Weltbevölkerung zum Zweck ihrer besseren Beherrsch- und Verwertbarkeit fortlaufend neu infiziert wird.

Publikumspreisträgerin Lydia Haider und gebenedeit – Die Viren sollen krepieren

Der große Schaspreis kann jedoch auch das Strafgeld für einen beamtshandelten Darmwind bedeuten. Wie bitte, was? Wenn jeder Schas klagbar wäre, dann liefen (lauferten) doch ein Haufen Politwichteln, Religionskoffer und Finanzhoudinis (um hier nur einige anzuführen) hoch verschuldet in der Landschaft herum. Oder geht es darum, aus welcher Öffnung des Körpers die heiße Luft entweicht? Ob man bloß ein Arschloch hat – oder ob man eines ist? Vielleicht hat Martin Luther auch den ersten Satz des Johannesevangeliums verkehrt übersetzt und es müsste heißen: “Im Anfang war der Sinn.” – Weil da steht ja Logos – dann bräuchten wir uns forthin nur noch mit dem Sinn von Vorschriften und Gesetzen zu befassen – und nicht mit deren Wortlaut.

Höchste Zeit für einen gepflegten Exorzismus mit Torsten Sträter

 

Bachmann Loops

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Juni“Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!”, schrieb Ingeborg Bachmann 1961 in ihrer Erzählung Undine geht”. Was sie wohl heute von dem nach ihr benannten Preis halten würde? Jene Dichterin, die 1967 aus Protest gegen die Übersetzung der Gedichte von Anna Achmatowa durch den ehemaligen NS-Funktionär Hans Baumann ihren bisherigen Stammverlag verließ, weil sie verstand, dass eine Frau, die gegen den Totalitarismus Stalins anschrieb, nicht von einem Mann bearbeitet werden durfte, der den Totalitarismus Hitlers mit befördert hatte. Jene Ingeborg Bachmann, die 1973 zugrunde ging, auch an ihrer jahrelangen Verzweiflung über jederlei kritiklosen Gehorsam, nunmehr dem alles zersetzenden ökonomischen Diktat gegenüber. Das Virus Macht hat viele Gesichter.

Bachmann LoopsWie entstanden nun eigentlich 1976 jene Tage der deutschsprachigen Literatur, als deren Höhepunkt sich das “Wettlesen” um den Ingeborg-Bachmann-Preis etablierte? Schon wieder begegnet uns Humbert Fink, der weithin als “Konservativer vom Dienst” dargestellt wird – und der im legendären Club 2 mit Nina Hagen 1979 als gelangweilter Verächter der weiblichen Sexualität auffällig wurde. Und der ebenso notorische Marcel Reich-Ranicki (die Löffler?), der ja auch nicht gerade als Verfechter einer spezifisch weiblichen Sicht- und Schreibweise gilt – viel eher als Prototyp des Machtbildes vom “alten weißen Mann”. Hier tut sich auf einmal eine schwindelerregende Diskrepanz zwischen Behauptung und Tatsächlichkeit auf, die aufs erbrechenmachendste die hierzulande gebräuchliche Rundumverwurstung von toten Künstler*innen aufzeigt. Wurscht, wer Mozart wirklich war, zur Imagepflege und als Handelsware ist er super! Überhaupt, ein Literaturevent als “sportiver” Wettkampfdas gibt uns zu denken!

Einen angenehm anderen Umgang mit dem Vermächtnis von Verstorbenen pflegt der Berliner Produzent Tim van Jul, der schon vor 8 Jahren mit seinem Projekt “Seid was ihr wollt – Kinskys Villon” im Artarium zu Wortklang kam. Nun hat er unlängst einen Gedichtvortrag von Ingeborg Bachmann kongenial in elektronische Musik gebettet, noch dazu zuhause als Ein-Mann-Unternehmen, wie es in den Zeiten der Corona angesagt ist. Und wie es zur diesjährigen digitalen Darreichung der “Tage der deutschsprachigen Literatur” passt wie kein anderer Faust aufs Auge. Daher spielen wir sein aktuelles Album “Bachmann Loops” am Tag der Preisverleihung.

Die Woge trug ein Treibholz hoch und sinkt.
Das Fieber riss dich an sich, lässt dich fallen.
Der Glaube hat nur einen Berg versetzt.
Lass stehn, was steht, geh Gedanke!

Ingeborg Bachmann – Geh, Gedanke

 

Die trojanische Gunst

Artarium am Sonntag, 14. Juni um 17:00 Uhr“Der nächste, der Kunst sagt, kriegt eine aufs Maul.” Dieser wunderbare Satz stammt nicht von Ulrike Lunacek, sondern von Hubert Weinheimer, seines Zeichens Dichter und Spiritus Rector der Wiener Chanson-Punk-Kapelle “Das trojanische Pferd”, die uns schon seit Jahren immer wieder lustvoll inspirativ begleitet. Genau genommen aus dem sich in Sehnsucht verzehrenden Lied “Fahrstuhlmusik” vom allerersten Album. So weit, so bisher. Doch jetzt hat der gefühlsselige Kreativvulkan eine ganz und gar neue (die vierte) Textmusikeruption zur Welt gebracht: “Gunst”, unlängst bei grob, gröber, monkey erschienen, klingt irgendwie anders – und doch wohlvertraut. Über die Entstehung des Gunstwerks berichtet Hubert im mica-Interview allerhand Aufschlussreiches.

GunstBeim Ersthören hat mich irgendwas an diesem gewandelten Klangbild schon auch irritiert. Und erst nach einiger Zeit wurde es mir klar: Das Cello fehlt! Fürwahr, der kongeniale Kompositeur und Live-Cellist, der in der “Fahrstuhlmusik” besungen wurde: “Und Hans Wagner und ich, wir schlagen zurück …”, der ist auf diesem Album nicht mit an Bord. Schade – denn sein exzentrisches Cellospiel prägte den Sound des Pferds maßgeblich. Dafür kommt “Gunst” allerdings mit zahlreichen neuen klanglichen Facetten daher, die sich vielleicht erst im Zuge mehrmaligen Hörens erschließen, dann jedoch dadurch überzeugen, dass sie das akustische Bühnenbild für Hubert Weinheimers Gesänge derartig plastisch, eindringlich und vieldimensional gestalten, wie es der Dichtheit und Virtuosität seiner Liedtexte entspricht. Denn seien wir uns einmal ehrlich, deren Qualität ist das Beständige und Vertraute, auch in diesem Album. Mehr oder weniger verklausuliert, wie lernten wir es schon beim Meister der vielschichtigen Aufbereitung (Peter Gabriel): “… erst die richtige Mischung aus Enthüllen und Verbergen macht Kunst lebendig …” Oder so ähnlich. Ein kleiner Vorgeschmack auf Gunst und Kultur?

Alles was ich nicht kenn das gibt es nicht
Du fragst mich na wie schmeckt das Kriegsgericht
Und langsam glaub ich schon du liebst mich nicht
Weil sich das letzten Endes widerspricht

Alles was ich nicht kenn das gibt es nicht
Alles was ich nicht mag ist widerlich
Alles was mir gehört das kriegst du nicht
Wenn du die Augen zumachst siehst du mich

Wir werden sehen…

 

Wucht und Fluffigkeit

> Zur Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 12. Juni – Veronika (oder wer auch immer), die Ambivalenz ist da. Das zeigt allein schon die österreichische Zeitgeschichte: Wir sind schuld. UND: Wir können nix dafür. Beides trifft zu. Immer auch gleichzeitig. Moskauer Deklaration hin, Mauthausen-Gedenkstätte her. Da ist es von der “Unerträglichen Leichtigkeit des Seins” nicht weit zur “Unerklärlichen Fluffigkeit des Steins”. Das gepflegte Aushalten der Ambivalenz erscheint uns als angewandtes Paradoxon. Für seine Abhandlung von “Krieg und Frieden” brauchte Leo Tolstoi mehr als 1.500 Seiten, für “Wut und Zärtlichkeit” brauchte Konstantin Wecker immerhin ein ganzes Album, ebenso wie Das Trojanische Pferd für “Wut und Disziplin”. Bei uns gibts “Wucht und Fluffigkeit” in gerade mal drei Stunden

Welpentier FluffigkeitIn der poetischen Wortschöpfung stehen uns Mittel zur Verfügung, unser realitätsträge gewordenes Gehirngedärm wieder an die Kost der Ambivalenz zu gewöhnen: das gleichzeitige Vorhandensein von Licht und Schatten – jeweils in ein und derselben Angelegenheit. Ohne Sprachbilder wie etwa “zärtliche Explosion” oder “sanftgewaltiger Flügelschlag des Schmetterlings” können wir innere Vorgänge wie “wenn Terror in Geborgenheit kippt(beschrieben von Arno Gruen) oder psychologische Begriffe wie “Stockholm-Syndrom” nicht gut genug verstehen, um daraus Lebenssinnstiftendes zu gewinnen. Deshalb bemühen wir auch ein zweites Mal den “Bockerer” als Beispiel für lebensfreundlich gestaltete Geschichte. Und zwar nicht als Film von Franz Antel sondern als Theaterstück von Ulrich Becher und Peter Preses, aus dem sich ganz vorzüglich szenisch lesen lässt.

Wuchtige FluffigkeitInmitten von Unmenschlichkeit und Zerstörungswahn trotzt da einer in seiner kleinen Welt ungebrochen als mitfühlender Mensch der Diktatur der Angepassten. Vielleicht, weil er nicht aus hergebrachter Moral und idealisiertem “Gewissen” handelt, sondern schlicht stur und liebevoll sein ureigenstes Selbstsein gegen den Strom der Zeit aufrecht erhält. Diese Gleichzeitigkeit von äußerem Ungeist und innerem Widerstand ist eine Meisterleistung der beiden Autoren (die das Stück 1945 in der Emigration fertig schrieben) – und eben eine gelungene Darstellung der eingangs erwähnten Ambivalenz. Genauso wie das Video zu “Psycho Celtic” von Technical Hitch, welches die Themen Natur und Technik in ihrer Mehrdeutigkeit zueinander kontrastiert. Darüber hinaus soll unsere Musikauswahl diesmal sowohl Wucht als auch Fluffigkeit transportieren (was nicht immer in ein und demselben Stück gelingt). Geneigtes Publikum, bitte oszillieren sie

Zerbrechliche FluffigkeitDenn allein schon diese beiden Begriffe bedürfen einiger geistiger Gymnastik: Was wäre Wucht – zwischen Wurst und Wumms – Knackwucht? Oder locker flockig gedacht, bin ich fluffig depressiv? Wrdlflfft! Eben. Der Pferd, der hat vier Beiner. Auch im Juni. Bald ist Sommersonnwend – und Feier! Von da an wirds eh wieder finster, ein Zustand, der uns weltpolitisch leider nur allzu vertraut erscheint. Da müsste man mal so richtig mit WuchtHa! Eine mögliche Synthese aus Wucht und Fluffigkeit wäre doch Wuchtel, ein luftiges Backwerk, das auch als Synonym für unernste Gschichtln firmiert. Heiße Luft mit Germ sozusagen, und den gabs ja eine Zeit lang nur spärlich zu kaufen. Haben den vielleicht die Germ-Ahnen für irgend so ein selbsterfundenes Ritualfest gebraucht? Man kann aus allem und jedem was aufblasen – doch nur die Fluffigkeit hat Wucht.

 

Loreena McKennitt – Lost Souls

> Sendung: Artarium vom Pfingstsonntag, 31. Mai – Anlässlich der zu befeiernden Ausgießung (sowie ihrer Stattfindung in Gestalt von Regen) und überhaupt deshalb, weil eh alles immer schneller, immer lauter und immer noch penetranter daherdröhnt ringsum, also jedenfalls aus Gründen, entführen wir euch heute in ein Zwischenreich aus kräftiger Stille und sanfter Energie, nämlich Loreena McKennitts bislang letztes Studioalbum Lost Souls. Auf dem titelgebenden Stück (zugleich die Schlussnummer) taucht sie aus ihrer lebenslangen Reise durch diverse versunkene Mythologien und Musiktraditionen endgültig im Hier und Jetzt der globalen Gefährdung auf. Im Text zur gewohnt atmosphärischen Musik bezieht sie sich auf Ronald Wrights Buch “Eine KURZE Geschichte des Fortschritts” – und stellt fest: “I’m coming home to you.”

Loreena McKennitt - Lost SoulsSpeziell eine Passage (aus dem Buch) hat es McKennitt angetan: “Wright sagt, dass unsere Spezies die moralische Richtung verloren hat, immer mit dem Blick auf den ‚Fortschritt‘, und dass wir so etwas wie verlorene Seelen geworden sind.” (Aus der feinen Rezension auf nordbuzz.de zitiert.) Wie des weiteren zu erfahren war, möchte die inzwischen über 60-Jährige ihr musikalisches Wirken künftighin zurück stellen, um sich vermehrt ihrer Familie und dem Kampf um die Rettung des Planeten vor der menschgemachten Zerstörung aller Lebensgrundlagen zu widmen. Respekt! Inne zu halten und sich auf das Wesentliche zu besinnen ist die einzig gute Grundlage für wirklich tragfähige Zukunftsperspektiven. Und nicht kurzatmig und kurzsichtig immer nur noch schneller der Kurzlebigkeit fragwürdiger Reförmchen zu obliegen. Beim hörenden (wer Ohren hat) Einsinken in die Klangwelt von Lost Souls werden unweigerlich Augenblicke der Verbundenheit mit dem ursprünglich Lebendigsein an sich hervor gerufen, wie man sie zum Beispiel im Blinzeln von Sonnenlicht durch sanft windbewegte Blätter, im stillen Seufzen angesichts des Sternenhimmels oder im atemberaubend klaren Geschmack frischen Quellwassers erfahren kann. Wer in letzter Zeit nicht mehr so oft hinaus konnte wie früher, wird das zu schätzen wissen.

Wir haben vor einigen Jahren bereits ihre legendäre Livesession “Nights from the Alhambra” vorgestellt, in der maurische und orientalische Einflüsse mit keltischen Traditionen verschmelzen. Auf ihrem neuen Album taucht dazu noch das Thema der israelischen Nationalhymne haTikwa (die Hoffnung) auf und feiert als “Sun, Moon and Stars” friedliche Urständ mit zahlreichen musikalischen Nachbar*innen

Also dann, Shalom!

 

Vitásek und die Utopien

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. MaiIn Zeiten wie diesen, in denen nicht nur das ansteckende Lachen verdächtig ist, sonder überhaupt Theater und Kabarett nur noch virtuell stattfinden und einem speziell die Humorkünstler leid tun müssen, weil sie kaum noch übertreiben können, was gerade stattfindet, in Zeiten wie diesen sollte man sich allein schon aus Gründen geistiger Gesundheit der hysterischen Flut medialen Gezappels zumindest zeitweilig enthalten – und statt dessen die eine oder andere gut abgehangene (aromatisch ausgereifte!) Vorstellung aus früheren Zeiten zu sich nehmen. Der etwas andere Kabarettist Andreas Vitásek erschuf zu seinem 50. Lebensjahr das Programm “My Generation”, in dem er die Utopien und Abgründe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verdichtet. Es ist Zeit, aus der Zeit zu fallen.

Vitásek und der TodZugegeben, das Foto stammt aus dem aktuellen “Austrophobia”, wir freuen uns aber so heftig über die Wiederbelebung des Tods, dass wir es hier sinnbildlich verwenden. Denn auch durch “My Generation” weht naturgemäß der Hauch einer unentrinnbaren Endlichkeit – allein schon des Älterwerdens wegen. So legt sich unser Held des Erinnerns letztendlich bei Professor Freud auf die Couch und assoziiert sich (und uns) einen ziemlichen Wirbel. Zuvor jedoch nimmt er uns mit in seine eigene Geschichte und bringt dabei die abgedrehtesten Anekdoten aus der Wiener Szene (wieder) zu Bewusstsein. Ein persönlicher Parforceritt durch die Post-68er-Jahre und zugleich Zeitgeschichte zum Mitfühlen und Lachen. Vitásek erzählt von seinem Studium der Theaterwissenschaften, seiner Zeit als Komparse am Burgtheater (als Giorgio Strehler einmal Franz Morak als Richard III. absetzte), seinen seltsamen Begegnungen mit “den Linken” und deren noch viel seltsamerem “Marsch durch die Institutionen”, von der Palmers-Entführung, dem OPEC-Überfall und den eigenartigen Karrierewegen seiner damaligen Bekannten. Einer davon ist Peter Pilz – und die bsoffene Gschicht, die wir da erfahren, wirkt heute geradezu prophetisch:

Spät in der Nacht treffen sie einander in einem Lokal im 7. Bezirk und Vitásek stellt beheitert fest: “Ihr Grünen, ihr habts überhaupt kein Kulturkonzept.”

Wenn das kein Grund ist, wieder einmal in früheren Zeiten zu verweilen…

ALLES hat eine Geschichte!

 

Und wo kommt die Nina her?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. Mai – Ein Nachtrag zu Nina Hagen, deren vielseitiges Schaffen wir am vergangenen Sonntag mit dem Album “Return of the Mother” immerhin ansatzweise gewürdigt haben. Urplötzlich schlug so um das Jahr 1978 die hierohrs völlig unbekannte Punk-Röhre in unsere bislang recht brav vor sich hin säuselnde Musiklandschaft ein – und wirbelte unsere Hörgewohnheiten massiv durcheinander. Diese Arbeiten der “Nina Hagen Band” verschmolzen verschiedene Elemente des (damals noch frischen) Punk mit Dichtkunst, Operngesang, Sounds und Spielfreude zu faszinierend idealistischen Collagen aus Freiheit und Abenteuer. Ich war damals 17 – und wusste nichts von ihren Ufern. Doch jeder Mensch kommt irgendwo her und bringt seine/ihre prägende Geschichte mit. Schauen wir mal…

Nina Hagen frisch in West-BerlinWas uns rebellische Jugendliche in Österreich mit der Wucht eines LSD-Trips die Hirnfenster öffnete, das braute sich bereits seit 1977 zusammen. Das Foto dazu stammt aus dem Artikel auf blackbirds.tv (Berlin fletscht seine Szene). Kurz zuvor war Nina gemeinsam mit ihrer Mutter Eva-Maria Hagen im Sog der Wolf-Biermann-Ausbürgerung aus der DDR nach Westberlin geraten. Für uns war das damals eine echte Bereicherung der unbotmäßigen, kritischen, radikal-provokativen, sexuell-selbstbewussten und auch sozialsatirischen Auseinandersetzung mit all den verkrusteten Strukturen unseres Obrigkeitsstaatswesens. Diese Musik – und dann diese Texte auf Deutsch – derlei war zu jener Zeit im besten Sinn UNERHÖRT! Doch wie gesagt, Nina Hagen fiel nicht einfach vom Himmelsie kam von wo her. Und dem wollen wir in dieser Sendung ein wenig nachspüren. Die Idee entstand beim Reinmontieren von Soldat Soldat in die letzte Sendung (Nina Hagen interpretiert die legendäre Soldatenmelodie von Wolf Biermann). Der hatte in ihrer Jugend (zwischen 10 und 17) als Lebensgefährte ihrer Mutter wohl sicherlich einigen Einfluss auf ihre Entwicklung zur Kunstpersönlichkeit.

du kennen wolfen biermann?

ihn du kennen nicht dürfen
du sein guten jungen.

du kennen dürfen einzig alleinen
deutschen demokratischen republiken!

(aus an einen grenzen” von ernst jandl, erschienen 1976)

Über Wolf Biermann (den im selben Jahr aus der DDR ausgebürgerten Liedermacher und Dichter) lässt sich inzwischen unendlich Verschiedenes erfahren. Für uns waren seine Interviews auf dem deutschen Zeitzeugen-Portal wesentlich, dabei weniger das, was er darin aussagt, sonder wie (stimmlich und emotional).

Apropos Ernst Jandl und die DDR – Eine Lieratourgeschichte…