Eskapaden!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. MaiGepflegt Flüchten oder Die Qual der Wahl zwischen Realität und Wirklichkeit. Was (nicht) tun, wenn der Perspektivenraub zur Staatsräson wird? Ein Plädoyer für den Eskapismus in seiner etymologischen Urform: “Das Ordenskleid ablegen” respektive “das Mönchsgewand ausziehen” im Sinne von “der Gewohnheit entsagen” oder gar “umsatteln” – lässt ja zunächst nicht an die putzigen Alltagsfluchterln zwecks der besseren Bewältigung desselben denken, als welche der Begriff inzwischen im allgemeinen Sprachgebräu denunziert wird. Ein Satz gefällt uns aber: Eskapismus wird in Psychologie und Bildungssprache meist negativ verwendet – und als Flucht- oder Ausbruchshaltung, als Verweigerung gesellschaftlicher Zielsetzungen und Handlungsvorstellungen verstanden.” Eben.

GarderobberyDer Wind hat mir ein Lied erzählt
von einem Glück, unsagbar schön.
Er weiß, was meinem Herzen fehlt,
für wen es schlägt und glüht.
Er weiß für wen.

Komm, komm, ……. Ach!

Der Wind hat mir ein Lied erzählt,
von einem Herzen, das mir fehlt.
Der Wind.

Und warum sollten gerade wir an diesem Wundertütentag uns nicht auch auf ein kornblumenblaues Lied beziehen – wie einst Nina Hagen als Zarah Leander oder “eine Frau mit Vergangenheit” – um wenigstens etwas von dieser so unsagbar sachzwangzertrampelten Welt in unsere Phantasiewirklichkeiten zurück zu holen? Denn es gibt keine Realität – außer du kochst sie! Oder “Es gibt keine schlechten Menschen, sagte der Bär, wenn sie gut zubereitet sind.” Von derlei kulinarischen Eskapaden der Sarah Wiener wiederum zum Ausgangspuck der Geschichtung zu finden, dieser Weg wird kein leichter sein, aber Hairgott nochmal, Karaoke kann eben auch im Unterricht von Deutsch als Fremdsprache funktionieren. Bloß weil der Krieg vorbei ist, hören wir doch nicht zu leben auf. Guten Morgen!

Und wenn dich die Wahrheit findet, halte Sie so fest du kannst,
denn die Wahrheit ist aus Seide und ist allzu bald verfranst.
Sei mal laut und sei mal leise, sei mal langsam oder schneller,
deine Augen sind die Reise und das Licht wird immer heller.

 

Alles neu, vorläufig (Chriss)

also Regenschritte nächtens, ein zaghafter Fall, eine Barriere imagniert, Nebelmauer zwischen mir, entbeinter Anzug, ist es nicht wie eine stille Sucht, ist es nicht wie Kreisen, ist es Bedingung, ist es Muss, ist es Befehl, ist es dies Wimmern der Knospen bei Morgengrauen?

dämmerndMetallisch, acryl, was für eine Farbe, ich tische dem toten Teddy Datteln auf, ein Schluck weißen Tee, du nimmst bloß Zucker, während der gefaltete Kranich die Schwingen hebt; auch das Betrachten der Entwicklung, des Stils, der Stille zwischen der Werbung, das Bestaunen der Wiederholung, Geschichtsstunde schwänzen, dafür um 10 unter der Klostereiche Bier trinken, wir wurden photographiert von einem amerikanischen Paar, das unseren Anblick wunderschön und entgegen der Sonne, es war wohl auch die Baustelle unten vis à vis unserer Schule in kreischenden Stößen oder eine Schwester hinter den salzburgbraunen Mauern.

Während Kugelschreiberbilder gefunden Erik Satie, wie man Musik entdeckt immer wieder wundersam, während Papierschwärzung erneuter Versuch das Sujet, erweiterter Genuß wird Asche, hierhin, bis hierhin zu denken, so blaubeerversüßt, pianogeweht, scheint trivial, fast obsolet, jetzt um 3 und auch berauscht, und all der Rauch in meinem Kopf…

gedämpftes Licht wäre angenehmer, es verrännen Buchstaben zu umbrenartigen Verästelungen auf Karmesinkaramell; so fällst du also durch die Nacht und hältst Ausschau nach Augenblicken, Beiläufigkeiten, ein Festhalten der Vergänglichkeit, und flüchten vor dem Schwachsinn, in Gedanken, geh bald um Essen, demnächst wieder Stille, füllst du sie?

 

Heimat von Goisern

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. MaiIn Zeiten wie diesen, wo uns die Zündler des Zugrundegehens zum tausendjährigsten Mal die Vergangenheit als Fortschritt anpreisen und in sämtlichen Südtiroler Heustadeln selbstbesoffen die Spritzkerzen schwenken, brauchen wir endlich wieder eine entspanntere Einlassung zum Thema Heimat, Volk und Volksmusik. Und um wenigstens ein Antidiotikum zum – rechts, zwo, drei, vierHerumgepluster der Seelenfänger und Identitätsverkäufer anbieten zu können, haben wir unter dem Eindruck der neuen Kino-Doku “Brenna tuats scho lang” eine Art Best Of Album des notorisch neugierigen Hubert von Goisern gebastelt, das dem Nationalschwachsinn der Heimatvergewaltiger etwas echt Erdiges entgegen setzt. Mit seinen eigenen Worten: “Wir ziagn den Rechten die Lederhosen aus!”

HeimatOder um es mit Jazzkantine bezw. Peter Schanz zu sagen: “Ich singe was ich will und was mich beglücket. Ich lass mir meine Heimat nicht von den Rechten besetzen.” Dass dies gerade in der letzten Woche des Bundespräsidenten-Wahlkampfs von entscheidender Bedeutung ist, zeigt jede nähere Beschäftigung mit den Inhalten, die der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer vertritt. Zum Beispiel in seinem Auftritt beim Südtiroler Schützenbund in Meran 2015, wo er fröhlich von der “Enderledigung” der Südtirolfrage und von Österreich als Schutzmacht, als Heimat aller Südtiroler daherschwadroniert. Das ist fürwahr gefickt eingeschädelt, sozusagen Geschichtsrevisionismus 2.0: Halten wir uns nicht mit der Frage auf, ob Österreich 1945 befreit oder besiegt wurde, das ist viel zu spitzfindig für den durchschnittlichen Volkstrottel, greifen wir gleich auf eine Grundidee Adolf Hitlers zurück und holen alle Volksgenossen heim ins Reich, welches ja bis vor dem ersten Weltkrieg bestand…

So sang Hubert von Goisern einst schon unter dem Eindruck von Kurt Waldheims Präsidentschaft zur Melodie des Deutschlandlieds – ach so, ja, der Kaiserhymne:

gott erhalte, gott beschütze
unser land und unsre pfründe
unsre priester unsre päpste
und vor allem auch die sünde
lieber gleich heim ins reich
auf dem kreuzweg himmelwärts
als auf ewig mit den narren
immer nur im kreise fahren

Heimat bist du großer Töne

So oder so

 

Alles neu, vorläufig

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 13. Mai – Kinder, was sind das für Zeiten! Alles scheint im Wandel zu sein, doch macht der Mai wirklich alles neu? Oder handelt es sich nur um den üblichen Handel, der eben gefälligst frei zu sein hat? Ein neuer Anstrich macht noch lang keine SPÖ. Und ein neurolinguistisch tefloniertes Fieberzapferl noch lang kein schöneres Wetter für unsere Heimat. Freimat, Reimat, Seimat? Gedeihmat! Guten Morgen, wir sind die Festspielpräsidentin und alles wird schön. Aber Schurz beiseite, wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man jetzt nicht unbedingt auch noch eine Sendung machen. Aber muss man schweigen – oder soll man als Verdichter und Gestalter nicht doch versuchen, dem Unsagbaren einen Ausdruck zu verleihen? Wir hätten da schon eine entsprechende Bedürfnislage

allesMan kann ein Leben lang gegen die Hohlphrasen der Schwarzpädagogik im eigenen Kopf ankämpfen – und dann doch mit Entsetzen feststellen, dass die zubetonierte Wirklichkeit des umgebenden Weltgeschehens noch die schlimmsten Horrorvisionen in den (eigenen?) Schatten stellt. Denn das Unterbewusstsein der in Fernsehbildern und Nachrichten so genannten Realität ist voll von all den Gespenstern aus der eigenen Kindheit, die man längst auf dem Abfallhaufen der Ur- und Frühgeschichte entsorgt zu haben glaubt. Und wenn man sich dann einmal so umspürt in der “Welt” genannten Unterdrückung des Lebendigen, da kanns einem schon ordentlich schrugel werden, wie im Schlumperwald. Sollte es zumindest, sofern man sich noch irgendwie anfühlt. Da bekommt gleich auch unserer mundartiger Ausdruck “Heast, gspiast di nu?” seine eigentliche Bedeutung zurück! Das Leben, ein Traum!

neuWas gibt es Neues? Immerhin eignet sich die eigenartige Herangehensweise dieser Sendung ganz vorzüglich dafür, die Wechselbeziehung von Dichtung und Realität oder Phantasie und Wahrheit darzustellen. Wobei zwischen Wahn und Wirklichkeit zwar ein Gegensatz bestehen mag, nur das Gegenteil voneinander sind sie deswegen noch lange nicht! Vielmehr wohl eher zwei Facetten ein und desselben Phänomens: einer unendlich vielschichtigen Wahrnehmung dessen, was ist, war, sein wird, sein könnte, etc. Also die Gesamtheit aller Geschehnisse in den inneren und äußeren Welten unseres Daseins. Doch genug philosophiert jetzt. Her mit den Beiträgen, die wir auch diesmal wieder drei Stunden lang aus der Situation heraus zu einem noch unbekannten Gebilde verschmelzen wollen. Noch besser, mit den Elementen, in denen wir dergestalt umrühren werden, dass aus ihrer spontanen Verbindung wiederum etwas ganz Neues entsteht, wobei dieses Neue naturgemäß auch viel Altes enthält. Oder wie es der als Dichter unterschätzte Der Nino aus Wien meisterlich bernhardesk in einem Lied formuliert hat “Es geht immer ums Vollenden”

vorläufig

Aber hinter dir und vor dir,
doch am meisten noch daneben,
steht der Himmel, stehen die Wolken,
steht die Stadt nur deinetwegen.
Still, versäume nicht zu sagen,
was dir wirklich viel bedeutet
es gibt Menschen, es gibt Freunde,
aber meistens sind es Leute.
Manche sprechen oft von Schönheit,
viel zu oft um wahr zu sein.
Schöne Bücher, oder Tücher,
oder auch ein schöner Reim.
Du willst wissen, suchst die Wahrheit, in dem Buch das einst hier lag,
zwischen Nettigkeit und Schönheit steckt oft mehr als nur ein Tag.

Im Museum siehst du das Bild, in dem mehreres vereint ist,
in dem jeder Strich gemeint ist und nichts einzelnes allein ist.
Und es fließt alles zusammen und erzeugt ein Feuerwerk,
aus der Arbeit der Gedanken und der Farbe, die sie färbt.

 

Durchs wilde Kurdistan

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. AprilOhne Karl May, dafür mit Teresa Reiter, die uns von ihrer Studienreise durch die Autonome Region Kurdistan (Irak) im März dieses Jahres erzählt. Authentische Berichte und Eindrücke aus erster Hand sind, was die kurdischen Gebiete in der Türkei, in Syrien, im Iran oder im Irak betrifft, ja immer auch mit den Bildern in unseren Köpfen verbunden, und die reichen (je nach Lebensalter) von der Karl-May-Lektüre über die linke Peshmerega-Romantik der 80er Jahre bis zu aktuellen Fernsehberichten vom Krieg gegen die IS-Kämpfer. Freuen wir uns also zur Abwechslung mal auf ein paar atmosphärische Schwänke aus einem Kurdenstaat, der zwar offiziell keiner ist, doch oft besser funktioniert als manch anderer. Die wahren Abenteuer sind im Kopf, wo neue, bislang unbekannte Bilder entstehen.

BekasZur Illustration dieses Artikels haben wir Pressefotos des preisgekrönten schwedisch-kurdisch-finnischen Films “Bekas” ausgewählt, zumal dieser unsere übliche Vorstellung davon, was Kurdistan sei, durch die Geschichte, die er erzählt, gegen den Strich bürstet. Und weil er noch ganz nebenbei allerhand über das kurdische Volk im Irak vermittelt.

BekasUm interkulturellen Austausch ist es uns auch bei der Musiksuche gegangen, einige der populäreren Kulturbotschafter auf dem Gebiet (wie etwa Helly Luv) mochten wir wegen der so abgrundgrausligen Mainstream-Ästhetik ihrer Auftritte allerdings gar nicht erst bemühen! Stattdessen haben wir den in Köln lebenden Weltmusiker Heminderya mit seinem Projekt Nanobeat sowie den Wiener Kult-Elektroniker Karuan aufgetrieben, welche beide auf interessante Weise traditionell kurdische Musikstile mit modernen westlichen Elementen wie Hip-Hop, Jazz, Rock und Electronic zu aufregend neuen Gesamtkunstwerken verschmelzen. Als Einstimmung hier das Session-Video “Hawra” von Nanobeat und die äußerst chillige Rap-SoundCollage “Reflections of a Poem” von Karuan. Naturgemäß lässt sich über den individuellen Musikgeschmack trefflich streiten, doch ersuchen wir mit Nachdruck darum, von eventuellen Verwünschungen unserer Gästin abzusehen, die kann nämlich gar nichts dafür. Und sollte sich doch irgendjemand aus irgendwelchen Gründen auf den Schlips getreten fühlen, am besten in Zukunft einen kürzeren Schlips tragen! Denn wir sind ein geiles Friedensinstitut.

 

Die Krücke als Zepter

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. AprilFrucade oder Eierlikör? Zwanzig Jahre nach Ausstrahlung der letzten Folge im Rahmen der ORF-Reihe kunst.stücke besuchen wir Phettbergs Nette Leit Show abermals – in Gestalt einer für uns nicht untypischen “etwas anderen” Themencollage. Zugegeben, in den letzten Monaten hat der hauseigene Recyclingsender des Medienmarktführers sämtliche Folgen der Show wiederholt, und dazu noch den 2007 erschienene Dokumentarfilm “Hermes Phettberg, Elender” von Kurt Palm gesendet. Das war ein feuchtfrohes Fest für Sentimentalisten und alternativkulturelle Rundumgrantler, so fest steht viel! Doch hat Hermes Phettberg, dieses Schwergewicht unter den Evangelisten der freieren Möglichkeitsform, nicht darüber hinaus bleibende Spuren hinterlassen?

HermesIch erinnere mich noch gut an meine Begegnung mit ihm, anlässlich der Präsentation seiner Biographie von Klaus Kamolz am 5. März 1996 im Café Berg zu Wien (übrigens das einzige Phettbergbuch, das ich dazumals nicht als verwertwurstend oder voyeuristisch empfand). Während ich dem Meister des Zeremoniums jene spezielle Ermutigung beschrieb, die für mich und viele andere aus den Reihen der Gegenkultur von seiner Arbeit ausging, verleibte er sich feuchten Auges eine Cremeschnitte nach der anderen ein. Zum Schluss bedachte er mich, auch in Form einer Widmung, mit den Worten: “Vielen herzlichen Dank für diese Überfülle an Zuwendung!” Und nicht ohne diesem Ausdruck seiner Rührung noch ein subtiles “Ergebenst, Hermes” hinzu zu fügen. Was für ein riesengroßes und überaus feinfühliges Kind sich mir da doch offenbarte! Der Palm war auch anwesend, und wie verschieden sie dann sind. Gschaftlhuberisch schwurbelte er von Pressekontakt zu Pressekontakt. Dergestalt dargestellt fand ich seinen sprichwörtlichen Geschäftssinn beanstrengend, noch dazu machte er andauernd seichtschlüpfrige Sadomasowitzerl, die mir im Kontext dieser Veranstaltung schlichtweg scheißpeinlich erschienen. “Bad Fucking” halt, neurolinguistisch portioniert. Nichtsdestotrotz waren die beiden eine Zeit lang ein kongeniales Produzentenpaar, das uns mehr als nur eine Inspiration für ein Dauerthema bescherte. So wie eben den Titel der Show vom 17. Juni 1995, des Buchs von Klaus Kamolz sowie dieser Sendung. Oder, wie es Judith Holofernes in The Geek (Shall Inherit) ausdrückt: “Die Verletzten sollen die Ärzte sein…”

 

Fröhlichtraurige Wortspielmusik

> Sendung: Perlentaucher-Nachtfahrt am Freitag, 8. April – Wir haben uns diesmal ein derart vielschichtiges Themenkonglomerat vorgenommen, dass diesem bestenfalls querassoziativ zwischen den Zeilen (und ihren Bedeutungsebenen) beizukommen ist. Wenn überhaupt. Also ACHTUNG, das Beiwohnen dieser Sendung kann Schwindel erregen! Unser selbstgezupfter Strudel enthält süße Paradoxinen und knusprige Hasennüsse zur besseren Verdauung aller Übel dieser Welt. Was auch immer euch gerade anficht – wir stellen einen Ausweg aus dem Trilemma des Daseins zur Verfügung. Die etwas andere Zusammenschau der Gleichzeitigkeit von hier und dort, damals und dann. Kommet zu Hauf und folget den weisen Hasen, denn wie sagte schon Jiddu Krishnamurti? Wer etwas beobachtet, ohne es zu bewerten, ist wirklich weise.

diakoniezweiDieses Zitat gebrauchte unlängst ein Gast in einer deutschen Talkrunde, um die gewaltfreie Kommunikation zu veranschaulichen. Die Worte auf dem Foto hingegen werden einem gewissen Jesus zugeschrieben, der sich dadurch mit allen Bedürftigen identifizierte. Dass es immer noch (gar nicht so wenige) Menschen gibt, die sich in die Notlagen anderer einfühlen können, und die bereit sind, spontan zu helfen, das macht mich fröhlich. Zugleich macht es mich traurig, wenn bei manchen (zumeist mächtigen) Oberhupfkasperln der Gedanke von der Brüder- und Schwesterlichkeit gar nicht erst aufkommt, und sie statt dessen im Namen irgendeiner Religwution oder Ideolügie einem Teil der Menschheit die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse verunmöglichen. Das ist nämlich nichts anderes als eine perfide Selektion zur Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen.

x-beliebigIst euch übrigens schon aufgefallen, wie sehr unsere gegenwärtige Gesellschaftsordnung auf Selektion und Vernichtung aufgebaut ist? Wir erregen uns darüber, wie die Nazis früher nach ethnischen, kulturellen und sozialen Kriterien Millionen von Menschen aussortierten und ausrotteten, nur damit der “Volkskörper” ihrem heillos blödsinnigen Gesundheitsideal entsprechen würde. Und heute? Ist es eben ein “Wirtschaftskörper”, aus dem all das entfernt werden muss, was die Leistung und das Funktionieren vielleicht beeinträchtigt. Deshalb wird bei den Bedürftigen gespart, während Großkonzernen Subventionen und Steuergeschenke in unvorstellbarer Höhe nachgeworfen werden. Noch schlimmer, die meisten von uns haben von klein auf gelernt, die auf dem Arbeitsmarkt erwünschten von den unerwünschten Gefühlsäußerungen und Verhaltensweisen zu trennen (also selbst zu selektieren) und letztere in vorauseilendem Gehorsam zu unterdrücken (also im Verlauf ihres Lebens selbst zu vernichten), aus lauter Angst vor der Armut. Die Volksgesundheit wurde also erfolgreich privatisiert. Arbeit macht frei!

diakoniedrei“I spring eich außi ausm Tretradl! Wia? Indem i fost nix brauch, wofia i ruachln miaßt. Und wei mi koa Besitz ned bsitzt – hob i Zeit. Zeit zum lebn, Zeit zum denga. Do is nämlich koa Untaschied zwischn Lebn und Denga.”  Uwe Dick

Auch dieses Zitat eines wahren Querdenkers könnte als Motto unserer Sendung gelten. Wir lieben Sprache, lieben Musik, und überhaupt Collagen, die ihren Sinn zugleich enthüllen und verbergen. So wie schon unser Titeltrilemma: Ist es ein Wortspiel mit Musik oder ein Wort zur Spielmusik? Ist es ein Spiel mit Wortmusik? Man weiß es nicht. Und dennoch füllen wir das Zwischensein der möglichen Formen mit Klängen und Gesängen – und formen so Möglichkeiten zwischen Sein und Unsein, dass auch euch Zeit und Raum und Spannung genug bleibt, um das Ungeschaffene zu erleben, zu ergründen, zu…

 

Philip Glass – Etudes for Piano

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. April – Der inzwischen fast 80-jährige Musiker und Komponist Philip Glass hat wie kaum ein anderer unsere Hörgewohnheiten mit seinem eigenwilligen Stil durchdrungen: Tabus – also Dinge, die eigentlich verboten sein sollten – sind oft am interessantesten. In meinem Fall sind das musikalische Materialien, die im Alltäglichen zu finden sind.” Neben vielen Opern und Symphonien haben speziell seine Filmsoundtracks eine ganze Generation von Zuschauer_innen beeindruckt – und ihn weit über den Liebhaberkreis moderner Musik hinaus bekannt gemacht. So etwa Koyaanisqatsi (1983), Kundun (1997), The Fog of War (2003), Tagebuch eines Skandals (2006) oder Leviathan (2014). Am dichtesten spiegelt sich seine Erfahrung, die Essenz seiner schöpferischen Phantasie, allerdings in den Etuden für Klavier:

etudes booklet

Da fängt es an, fließt und strömt; ein mäandernder Tonfluss im Hörbett seiner Wahl. So streift mich Aprilwind, erdbeerblond, Erinnerungen an Amsterdam und die Zugfahrt dorthin, Bilder von einem Mann ziehen durch mich, ein einsamer Mann auf einem lichten Balkon, welcher das Meer überblickt, während er versucht sein Fühlen in Worte zu kleiden. Was da so aus meinem Kopf hervorkommt, an diesem kühlfeuchten Morgen, diesem wolkengefächerten Tag, was da so herumspukt zwischen dem Pianodonnern. Seifenblasenberührung, Rauchfäden als Ufer oder aufgeblasene Kondomzeppeline in der weltenschwangeren Luft, auch zeigt sich das Glitzern zwischen den Fingerkuppen, vielleicht entzieht es mich der äußeren Wahrnehmbarkeit, ein wankendes Verlangen, doch noch in Decken geschlungen und hungrig, verwehrt sich mir zu Teilen das Eintauchen in die Zerrissenheit, die Ambivalenz, und dennoch erahne ich dieses Splitterland, ein Universum universeller Gleichzeitigkeit.

etudes cover

Oft zeigt sie sich eigenwillig, verwegen, dann eruptiv, gewaltig, heimlich oder hereinbrechend, verträumt, traurig, überlebendig, todessehnsüchtig. Unzulänglich all die Beschreibungen, unzufrieden ob der Grenzen der Sprache; Musik spricht einfacher und bedarf keiner Übersetzung. So frage ich mich, wie könnte man über Musik schreiben ohne zu be-schreiben? Ich erspähe die imaginierte Weite hinter den Mondblüten, stelle mir vor, was Bäume sich zuflüstern wenn sich ihre Wurzeln berühren oder frage mich, ob das Meer die brechenden Wellen beweint. Vielleicht nimmt mich der Sturm als Segel und trägt mich über das unergründliche Blau an die Grenzen der Welt oder ich werde der Blick meines Fensters; ein flammender Handknospenkuss.

Es sind wohl nicht die Etüden selbst, sondern deren innere Zusammenhänge und Verästelungen miteinander; sie erzählen Geschichten, die man nicht aufschreiben kann. Man muss schon hinspüren und –hören, um Philip Glass’ Poesie zu erkennen, sein Worte zu verstehen, seine Bilder zu schauen. Es ist eine Reise, eine Fahrt durch wundersam surreale Traumlandschaften.

Ein Hörbericht von Christopher Schmall

 

Das Kabarett ist tot

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. MärzDas Kabarett ist nicht tot. Und auch nicht totzukriegen. So formulierte es Georg Kreisler schon in den 70er Jahren: “Der moderne Kabarettist hat eins erfasst: Bleibe sympathisch, dann bist du demokratisch.” Denn wie Schauspieler auf den Bretterstrich gehen, der ihnen die Welt bedeutet, und mit ihrer Kunst um die Gunst des Publikums buhlen, so wetteifern auch Kabarettisten (und -innen!) um Sympathien und Sendeplätze, was wohl ein Grund dafür ist, warum wirklich kritisches politisches Kabarett gerade hierzulande Seltenheitswert besitzt. Während in Deutschland Satireformate wie Die Anstalt oder heute-show prominent platziert im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (ZDF) stattfinden, beschränkt sich die satirische Systemkritik in Österreich auf Gags bei Stermann und Grissemann

Marksalzburg

MARK 2007 (Foto: Angela Armstorfer)

Für uns beinah “so sexy wie ein Quickie am Dixiklo” (danke Volker Strübing). Darüber hinaus hat man sich bereits reichlichst überlegt, wieso das politische Kabarett in Deutschland noch immer lebendig wirkt, während es in Österreich fast schon verschämt als Mumie seiner selbst in den Nischen des Untergrunds umzugehen scheint. Belassen wir es halt einmal dabei – und hören, sehen, spüren wir uns stattdessen dortselbst um, wo eine besondere sprachliche Eleganz des Vortrags uns Lust auf Erkenntnisgewinn erwecket (Jochen Malmsheimer) oder die Geübtheit des Gedankengehens uns neu kombinierte Einsichten ins Erbe humanistischer Bildung beschert (Georg Schramm). Zwei solche Vorträge haben wir bei der Veranstaltung “Große Kleinkunst” – 50 Jahre Unterhaus (in Mainz) entdeckt. Zudem gibts den früheren Weltklasse-Bariton Thomas Quasthoff, den wir als humorigen Helene-Fischer-Interpreten kennen, und der in seinem ersten 3-Personen-Programm “Keine Kunst” einen furiosen “Faust 1 und 2 in 3 Minuten” abfeuert, dass einem die Breitseiten weh tun. Worum könnte es beim Kabarett also noch gehen, wenn das Private politisch oder das Kulturelle kritisch betrachtet wird?

“Verantwortungslose Verwaltungsfachangestellte mit Kontrollzwang, also das, was wir in Verkennung der Wahrheit Regierungen nennen, versuchen uns einzureden, die Voraussetzungen für ein anständiges Duell seien inzwischen weggefallen. Aber das stimmt nicht. Im Gegentum, sie werden ständig mehr! Die staatlichen Organe aber sind nur desinteressiert, willenlos, kenntnisfrei oder zu stumpf, um empfindliche Menschen zu schützen oder diesen im Schadensfalle Genugtuung zu verschaffen. Nehmen wir es darum wieder selbst in die Hand, und streiten für das Gute, Schöne und Wahre! Ziehen wir die Klinge blank gegen rhetorische Gedankenarmut und geschmackliche Totgeburten, gegen sinnliche Verwahrlosung, gegen die Vertalkung des Gesprächs, gegen die Kompostierung des Kompliments, gegen die Verrohung der Verehrung, gegen die Veröffentlichung alles Privaten, gegen die Verachtung des Fremden, gegen Dumpfbichelei und Herzverholzung, gegen die Lawinen von Scheiße, die sich durch die wirkliche wie die virtuelle Welt wälzen und unser aller Leben bis in das letzte Filament hinein durchseuchen, gegen den ganzen verdammten Rotz, der da draußen jeden Tag unwidersprochen in unser Leben geschissen wird. Forden wir sie heraus!

Jochen Malmsheimer

 

Ambros im Artarium

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. März – Unser hämischer Beitrag zur Ö3-Quotendiskussion. Wie der freie Kunnstfunk den hoffentlich-rechtlichen Verhunzfunk eines Eigeneren belehrt oder Die österreichische Identität besteht eben in fortwährender Verneinung ihrer selbst. “Ideologische Missgeburten aller Länder, schleichts euch!” Zum 9. Geburtstag der real existierenden Sendungsidee Artarium gedenken wir wermutsvoll einer edlen Institution, welche durch die flächendeckende Formatradiotisierung des erwähnten ORF-Senders abgewickelt, eingespart und im wahrsten Wortsinn umgebracht wurde: Der Musicbox mitsamt ihrer allwöchentlichen Albumpräsentation “Die komplette LP”, einer derart genialen Erfindung im Medium Radio, dass wir sie zumindest monatlich als “Das ganze Album” wiederbelebt haben.

ambros“Es war einmal ein Radiosender namens Ö3 (nicht zu velwechsern mit einem heutigen Hit- oder besser noch Hiadlradio) und dortselbst ereignete sich beinah täglich “Die Musicbox”. Einmal in der Woche präsentierten deren auch sonst recht kunstsinnige Eloquenzen “Die komplette LP” ohne je drein zu reden. Welch ein Hörerlebnis! – Mit der Geschichte begann die regelmäßige Artarium-Albumpräsentation, genau am 16. Mai 2010 mit Somewhere in Afrika von Manfred Mann’s Earth Band.

Dazu gab es anfangs eine rekonstruierte Version der originalen Musicbox-Signation, die immer auch inhaltlich auf das jeweilige Album abgestimmt war. Hier gibts jetzt die entsprechende MusicboxAfricaSignation – zum Anhören und als Mp3-Download.

Das Pikante am eingangs gemachten Breitseitenhieb auf den ehemals (zumindest teilweise) avantgardistischen Radiosender Ö3 ist ja, dass durch ihn jenes Genre des Austropop geradezu miterfunden wurde, dessen ausgelutschteste Hadern dort heute bestenfalls noch als Nostalgie-Devotionalien aus dem Einheitsbrei hervor blubbern. Und dass die “einheimische Musikszene”, deren Förderung und Verbreitung diesen Sender über Jahrzehnte populär gemacht hat, jetzt von seinen Verantwortlichen zur Ursache aller Folgen ihres flachbildhirnigen Formatkonsumistmus umgepudert wird. Wolfgang Ambros hingegen, mit “Da Hofa” immerhin Verursacher des allerersten kommerziell erfolgreichen Austropop-Titels, hat darüber hinaus noch so Einiges von sich gerotzt, was dann im ORF aus ganz anderen Gründen nie gehört werden durfte.

Weg mit eahna, hautsas nieda,
sperrtses ein oda bringtses um!
De hobn ka Recht, de san vaurteilt
von vuanherein, wer scheißt si drum.

Wo ma hinschaut, nix wia Scheiße
und söba is ma mittn drin.
I kennt ma in di Goschn haun,
weu ich so ein Trottl bin.