Gibts da was von Radiopharm?

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. Juli – Die Festspiele sind beöffnet. Prost! Und Ilija Trojanow hat eine dermaßen dichte Rede dazu gehalten, die sich mit dem wiederkehrenden Motiv “Die Sieben, die Drei – und das Ass” in höchste Höhen der Sprach- und Vortragskunst aufschwingt. Noch nicht einmal Jean Ziegler hätte den versammelten Repräsentanzen der Geldherrschaft ihre zutiefst ausbeuterischen, gewaltvollen und lebensfeindlichen Verstricktungen mit dem globalen Mammon so unhaltbar ins Gesicht schlenzen können. Liebe An- und Verwesende, wer ist da letzten Endes eigentlich überflüssig? Trotzdem steht zu befürchten, das auch diese verdichtete Wahrheit als schicker Jedermanngrusel im schalen Salzburgsumpf untergeht. Wir von Radiopharm halten dagegen:  Gut zu hören. Gute Besserung!

Radiopharm IdiotikumEin Mittel gegen die strunzerne Dummheit haben wir zwar auch noch nicht gefunden – immerhin aber ein Sackerl voll Ideen, wie “das Theater, das wir hier nicht haben wollen” (so die flüchtende Präsidentin) der vorauseilenden Prostitution des krachledernen Gast- und Gunstgewerbes doch noch entrissen werden kann. War da nicht mal was mit Immersion? Was macht denn eigentlich der Thomas Oberender heute? Der hat inzwischen den Dramatiker und Mitbegründer des Belarus Free Theater Nikolai Khalezin bei den Berliner Festspielen in offener Interaktion mit dem Publikum präsentiert. Was der später im Gespräch mit seinem langjährigen Minsker Kulturkampfgenossen Sjarhei Mikhalok (der aus Belarus in die Ukraine emigriert ist) allein rund um den Begriff “Grenzen” ins Bewusstsein bringt, das stellen wir (nebst deutscher Übersetzung) in der Sendung vor: Ein Beitrag des Ministry of Counterculture. So etwas wäre auch eine würdige Idee für Salzburg

Gleichfalls unterhaltsam (und gedanklich überaus gewinnbringend) fänden wir eine Einladung des slowenischen Philosophen und Laibach-Spezialisten Slavoj Žižek, womöglich als verschärfter Festredner, auf jeden Fall in einer für alle Interessierten offenen Diskussion, eventuell als immersives Symposion zum Thema “Arbeit macht frei” unter Mitwirkung von Laibach, die sich seit “Kunst der Fuge” als Brückenbauer zwischen den Sphären von Hoch- und Popkultur empfehlen. Allen Teilnehmenden wird auf Wunsch ein NSK-Pass ausgestellt. Was? Die Revolution findet längst statt …

Hiermit wende ich mich direkt an die Herrschaft: Es sind verdammt nochmal nicht eure Festspiele. Es sind unsere. Es ist auch nicht eure Stadt. Es ist unsere. Nicht wer bezahlt, schafft an. Wer bezahlt, wäscht Blutgeld. Seit Generationen denken wir über eine gerechtere Verteilung des Vermögens nach. Und plötzlich begreifen wir, dass wir mehr als eine neue Besitzregelung brauchen, vielmehr eine Art Besuchsregelung für alle Menschen, die auf diesem endlichen Planeten leben. Haben, als hätten wir nicht. Die ganze Welt ist Bühne. Für jedes, jedeund jeden. Das gilt auch für diese Stadt.

Und jetzt schleichts eich!

 

Kreisler singt Kreisler

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. JuliGratulieren? Papperlapapp! Zumal wir sicher nicht “das offizielle Österreich” sind. Wir freuen uns einfach, dass dieser Georg Kreisler (vor nunmehr 100 Jahren) in unsere Welt gekommen ist und uns im Verlauf seines Lebens mit den abgründigen Kostbarkeiten seiner Lieder und Texte berührt hat. Und immer wieder auch aufgerichtet, wenn wir am eigenen leidenden Leben zu verzweifeln anfingen. Denn “du bist nicht allein” ist eine immens tröstliche Erfahrung, wenn einem die Mehrheitsnormalitäter seiner Hoppladochnichtheimat das Verurteil des Nichtdazugehörens einbläuen, wegen wasauchimmer für einem ideologischen Scheißdreck. Wir sind alle längst abgeschafft und leben gegen das Zerquetschtwerden des Lebendigen an. Trotz alledem. Auch darum lieben wir ihn.

Georg KreislerUnd darum taucht er immer wieder an entsprechender Stelle in unseren Radioarbeiten auf. So zum Beispiel am Wohlfühlfriedhof, bei Nikolaus Habjan und Franui oder überhaupt beim Erinnern an andere Episoden des angewandten Antisemitismus in Salzburg und Österreich. Einmal abgesehen vom zeitgeschichtlichen Hintergrund ist da noch eine andere Wesensverwandtschaft, die es zu würdigen gilt, nämlich die Eigenart, allen Widerlichkeiten der eigenen Lebenserfahrung auf so kreative Weise zu begegnen, dass etwa die taz zu seinem 100. Geburtstag titeln konnte: “Die Kunst hat ihn gerettet.” Und mit der ihm eigenen Feinfühligkeit landet Georg Kreisler auf seiner immerwährenden Suche nach der möglicherweise doch (für alle Beteiligten) irgendwie “besseren Welt” unausweichlich bei der radikalen Ablehnung “jedweder Herrschaft von Menschen über Menschen”, von staatlichen Besitzansprüchen, die auf der Idee von Eigentum beruhen. Das kann – angesichts der apokalyptischen Weltsituation – auf die Dauer nur frustrierend sein. Einen “verzweifelt Liebenden” nannte ihn Konstantin Wecker.

Sandra Kreisler, die wir als Wortfrontfrau kennenlernen durften, hat nach längerem Zögern 2003 einige der für sie bedeutsamen Lieder ihres Vaters neu interpretiert und ihnen so eine weitere Dimension von Zeitlosigkeit hinzugefügt. Besonders “Meine Freiheit, Deine Freiheit” ist uns als eine jener Coverversionen begegnet, die das Original an Originalität geradezu übertreffen. Exzellentes Klavierspiel von Jochem Hochstenbach verschmilzt da mit Sandras feinstem “Acting while Singing”. Mehr dazu kann man/frau in diesem wieder hervor gespülten AVIVA-Interview erfahren.

Sandra Kreisler kann ihrem Vater also nicht nur das Wasser reichen. Sie kann auch durchaus darin umrühren.

Naturgemäß

 

Mein Name ist Hase

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. JuliDer Stoff, aus dem die Nazis sind, was ist das eigentlich? Zugegeben, die real existierenden Verbrecher in der Zeit des Dritten Reichs (und ihre Millionen Follower) waren ganz besonders widerliche Menschenschinder. Eine einzigartige, historisch herausragende Verdichtung von Haltungen und Herangehensweisen, die wir allerdings jenseits ihrer Schreckenszeit auch sonst wiederfinden können, wenn wir nur genau genug schauen. Vom Ausrotten der Ungläubigen über das Rauben fremder Reichtümer bis zum gefühllosen “Über-Leichen-gehen” – es ist alles schon da gewesen und es geschieht soeben schon wieder – vor unser aller Augen: Kreuzzüge, Kolionalwaren, Klimawandel Putins Angriffskrieg Mein Name ist Hase und ich weiß bedauerlicherweise viel zu viel.

Wappen derer von HaseKarl Victor Hase wusste auch viel mehr als er zugab. Auf ihn geht das geflügelte Wort “Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.” zurück. Ein Hase, der Widerstand leistet? Das stellt aber die angeblich so gottgewollt geordnete Welt gehörig auf den Kopf! Und schauen wir einmal, was der kleine Hase alles erlebt hatte, bevor es zur legendären Fluchthilfe für einen Freund und der damit einhergehenden eleganten Antwort auf die Verhörfragen kam. Etwa die Umbrüche der “Deutschen Revolution von 1848/49” mit gerade mal 13/14 Jahren. Oder als junger Student von 19/20 Jahren, als er “während eines Osteraufenthalts bei seinem Onkel Franz Gustav Hase einem Geistlichen gegenüber eine entgegengesetzte Meinung äußerte und sich dafür in Leipzig mit einer sechstägigen Haftstrafe verantworten musste.” (Wikipedia) – Das muss man sich einmal so richtig auf der Seele zergehen lassen: Gefängnis fürs bloße Äußern der eigenen Meinung. Majestätsbeleidigung! Zugegeben, die real existierenden Nazis waren da noch viel brutaler – der geistige Stoff aber, aus dem ihre Terrorherrschaft bestand, war längst vorhanden (und ist es immer noch): Obrigkeitsglaube, Gehorsamkeit und gedankenloses Nachplappern der vorgeschriebenen Parolen (jetzt denkt mal selbst, welche das heutzutage sind).

Karl Victors Neffe Paul von Hase war Wehrmachtsgeneral und am 20. Juli 1944 Stadtkommandant von Berlin. Er sollte im Rahmen der Operation Walküre unter anderem Joseph Goebbels verhaften, was aber durch den ihm unterstellten Major Otto Ernst Remer vereitelt wurde und schließlich zu seiner Hinrichtung führte. Erst 1952 gelang es Staatsanwalt Fritz Bauer in einem aufsehenerregenden Prozess, ihn als legitimen Widerstandskämpfer zu rehabilitieren, doch glauben auch heute noch nicht wenige Gesinnungsnachzügler der einstigen Jasager und Mitläufer (und -innen!), dass die Mitglieder dieses Aufstands Vaterlandsverräter waren …

Womit wir bei “der verkehrten Welt” wären und der speziellen Rolle der Hasen in Dichtung und Phantasie. Lassen wir einmal die gscheitscheißerten Deutungen der christlich-abendländischen Herrschaftsmoral beiseite und betrachten wir all die Hasen, die sich gegen ihre Vernichtung wehren, als sinnvolle Gestalter innerer Vorstellungskraft, die eine aus den Fugen geratene Welt der Unterdrückung und Zerstörung wieder “vom Kopf auf die Füße stellen” und dergestalt zurechtrücken können, dass es jedes Kind in seinem Innersten versteht. Wie unentbehrlich dieses “Kunnst dir die Welt nicht auch ganz anders vorstellen?” doch für jede Zukunft ist.

Ham wir mal wieder was gelernt …

PS. In der Salzburger Altstadt (Kranzlmarkt 4) gab es ein berühmtes “Hasenhaus”, dessen Fassade großflächig mit Szenen aus der “verkehrten Welt” versehen war.

Was will uns der Dichter damit sagen?

 

Republik der Taubheit

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 19. Juni“Jetzt begreif ich erst so richtig, WAS dieser Krieg in der Ukraine ist – und WIE sich das anfühlt.” Das war einer der ersten Gedanken, die in mir hervorblitzten, als ich aus diesem komprimierten Gefühlsfilm wieder aufgetaucht war, den die “Republik der Taubheit” von Ilya Kaminsky in mir ausgelöst hatte. Dieses gerade mal 100 Seiten starke Stück Universalpoesie strotzt geradezu vor poetischer Kraft und feiert in all seiner Zärtlichkeit das unbeugsame Leben inmitten von Tod und Zerstörung. Es ist dem lyrischen Mundhandwerk von Anja Kampmann zu verdanken, dass “Deaf Republic” nun auch für deutsche Ohren erlebbar ist. Wir freuen uns sehr darauf, eine so überaus wirkmächtige Dichtung hier vorstellen zu können – und empfehlen diese auch entschieden zur eigenen Lektüre!

Republik der TaubheitZur Einstimmung in dieses Ausnahmebuch lesen wir mit freundlicher Genehmigung des Hanser Verlags einige Auszüge daraus vor, die wir mit ebenso ab- wie hintergründiger Musik von Hildur Guðnadóttir kontrastieren. Und (unserer Natur gemäß) erzählen wir von unserer Reise durch dieses Buch, das ein so anrührendes, zutiefst erschütterndes, geheimnisvolles, lustvoll kichernmachendes, lebenskluges, metaphernreiches, sprachlich souveränes, tiefgründiges, verletzliches und verletzendes und letzten Endes ein mehr als vielschichtiges Erlebnis ist, das in seiner schlichten Komplexität jedwede Genrezuordnung sprengt. Nicht einmal Selbstgeschöpftes wie “kollektivpsychedelischer Roadtrip” oder “immersivlyrisches Multifunktionsdrama” könnten den hier von uns festgestellten Auswirkungen gerecht werden. Man muss es selbst zu sich nehmen, sich auf die Erfahrung einlassen, damit man da auch nur ansatzweise mitreden kann. Alles andere wäre in etwa so sättigend wie das sprichwörtliche erzählte Abendessen. Umso erfreulicher, dass sogar der öffentlich-rechtlich diensttuende Germanist und Literaturkritiker diesen Umstand würdigt: Thomas Strässle hier in der 3sat Kulturzeit vom 9. Juni (Buchvorstellung ab 07:49 und Würdigung ab 15:03 Minuten). Chapeau!

Doch der Mann ist immerhin auch Musiker, das könnte seinen Zugang zu Kaminskys eigenwilliger Singsprache befördert haben: “We lived happily during the war”. Anja Kampmann, die selbst mit Komponist*innen zusammen arbeitet, hat darüber hinaus wohl noch andere Berührungspunkte: dnipro. “Stille ist eine Erfindung der Hörenden. Stille existiert nicht für Menschen, die nicht hören können. Sie haben keine Vorstellung davon.”, sagt Kaminsky, der 12 Jahre seines Lebens als fast vollständig Gehörloser verbrachte. Was mag dann der legendäre “Sound Of Silence” bedeuten?

Unsere Sendung soll jedenfalls auch diesmal nicht ohne Verbundenheitsgruß an die ukrainischen Kulturschaffenden enden: Die Coverband Grandma’s Smuzi hat den Cranberries-Hit Zombie in ukrainischer Übersetzung neu aufgenommen – und mit einem kongenialen Video ausgestattet. Das Prophetische tritt zunehmend aus den Randbereichen der Wahrnehmung ins Rampenlicht des Weltgeschehens. Oder, um es als ein Fazit in die Republik der Taubheit zu schreiben: “Das Leben lebt – ungeachtet des Untergangs.”

PS. Eine sehr nuancenreiche Lesung von Johannes Wördemann (der vierminütige Ausschnitt mutet fast wie ein Hörspiel an) findet sich hier im SWR-Literatur-Podcast.

 

Ein Sackerl Gemischtes

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. Mai – Es gibt sehr viele sehr verschiedene Menschen auf der Welt. Und die haben oft sehr unterschiedliche Gefühlslagen und Bedürfnisse, zudem auch sehr unterschiedliche Möglichkeiten, ihr Leben auf dieser Welt zu gestalten. Ein Sackerl Gemischtes wie diese Sendung, die sich den schönen Seiten des Lebens widmet – inmitten all der Vergeblichkeit ringsumher. Für einige sind bereits Nachrichten eine Bedrohung, Werbejingles ein Luftangriff und tägliche Einkäufe eine Flucht mitten durch Feindesland. Ein Brief vom Finanzamt kann da schon den Weltuntergang bedeuten. “Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heut noch – einen Freund umarmen.” Apfelbäumchen geht sich für mich nicht mehr aus. Umarmungen sind zur Zeit sowieso die stabilere Währung.

Ein Sackerl GemischtesImmer mehr Menschen auf der ganzen Welt haben Depressionen und das wundert mich jetzt nicht allzu sehr (auch wenn die genauen Ursachen noch weithin unerforscht sind), denn das geistige Klima des uns umrasenden Leistungsterrors kann für niemanden gesund sein. In Österreich ist eine Partei an der Macht, deren Politikdarsteller von den Wünschen “der Wirtschaft” daher raunzen, die funktionstüchtig abgerichtetes Menschenmaterial (ohne Sinn und Verstand) verlangt. Die Arbeitgeberverbände befürworten Benimmunterricht. Doch auch der Mensch besteht aus Natur – und ist genau wie diese ein endlicher Rohstoff. Wir leben alle in einem fragilen Gleichgewicht, das durch “die Wirtschaft” längst aus demselben gekippt ist. Die ganze Welt ist außer sich. Wie sollten wir da “bei uns” bleiben? “Das Volk” (wer auch immer das jeweils ist) hat sich irrlichternde Durchschwurbler als “Regierung” gewählt. Jetzt schauts mehrheitlich dumm drein.

Aber Obst ist gesund, otto holt obst heißt es, ich erinnere mich: In den 70er Jahren besuchte ich eine fundamental deprimierende Erziehungsanstalt, in der Nazis und Katholiken als Lehrer ihre Bernhard’schen Urzuständ an uns auslebten. Einer der raren Lichtblicke war eine wohlwollende Obstfrau (die Tante eines Mitschülers) am benachbarten Grünmarkt. Zu ihr gingen wir in der großen Pause obst zu schlingen aus dem legendären “Sackerl Gemischtes um 5 Schilling”. Liebevoll wie ein Sack Äpfel beglückte sie uns jedes Mal mit ihren schönsten Öbstern. Fruchtgeschmack!

Depressionen? Umarmungen? Ein Sackerl Gemischtes in finsterer Zeit? Torsten Sträter und Kurt Krömer haben dazu ein paar Anregungen aus der grauen Praxis.

Shalom, ihr Volkskoffer!

 

Alles in allem ein Arschloch

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. MaiWut ist gut und Scheiße schrein im Quetschkontext der Beherrschkultur: Jede Regierung in Form von Herrschen und Beherrschtwerden ist fortwährende Grenzverletzung. Arschloch! Wir untersuchen seine Funktion und Bedeutung für das menschliche Dasein vom Stoffwechsel über den Lustgewinn bis zur Wienerischen Mund(un)art. Sind wir im Oasch daham oder geht uns das alles am Oasch vorbei? “Schleich di, du Oaschloch!” hätte man sagen sollen, und das schon viel früher, viel öfter. Arschloch – jeder hat eins, nur niemand will eins sein. Heißt es. Doch warum sind dann so viele genau das – und verhalten sich so, dass man meint, es habe einem jemand “auf den Kopf geschissen”? Für was soll der ganze Scheißhaufen gut sein? Und wie nicht zum Arschloch werden heutigentags?

Alles in allem ein ArschlochWut ist gut, wenn sie als Emotion anerkanntund dort ausgedrückt werden kann, wo sie entsteht. Das jedenfalls zeigt uns die Autorin und Gerichtsgutachterin Heidi Kastner in einigen Interviews und Büchern. Ein großartiges Beispiel solcherart gelungenen Wutausdrucks ist die Szene aus Franz Antels Film “Der Bockerer”, in der sich der grantige Fleischhauer dem Verursacher all seiner Wut gegenüber in diese für seinen Berufsstand unüberbietbare Kulmination hineinsteigert: Adolf Hitler, der ihm im Fieber erscheint, wird von ihm ultimativ mit “Du Vegetarier!” abqualifiziert. Nun werden – und das völlig zu Recht – die Pflanzenfresser unter den Mitlebewesen einwenden, dass “Vegetarier” doch keineswegs als Schimpfwort aufgefasst werden kann, wie zum Vergleich etwa “Arschloch”. Hierbei wird allerdings deutlich, dass einzelne Ausdrücke immer nur in ihrem Kontext (ihrem szenischen Zusammenhang) verstanden werden können. Sie aus demselben herauszulösen und für sich allein stehend zu be- oder gar verurteilen zeugt von mangelnder Intelligenz. Erst recht dann, wenn sie als diese vielgepriesene “künstliche Intelligenz” daherkommt, die in den “Hidden Layers” der Algorithmen irgendwem seine “Gemeinschaftsstandards” schützen soll in der tumben Tradition der bigotten Dirty-Words-Listen. Der Metastasenstaat feiert fröhliche Prohibition.

Moment, ich erhalte gerade eine Anweisung von oben. Wobei – “von oben herab” mag ich eigentlich nicht behandelt werden. “Can’t hear you – Mouthful of Shit“ Und lehrt uns die Herrschaftskritik nicht auch, dass in jeder Hierarchie immer das größte Arschloch ganz oben sitzt? Quasi das Oberarschloch. Quasi im eigenen Gehirn? Wer kann uns bloß mit dem postmodernen Arschloch in uns selbst versöhnen?

Ich vergebe mich mir.

 

Es lebe die Republik!

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. AprilDer Krieg in der Ukraine bringt vieles ans Tageslicht, was in den letzten Jahrzehnten erfolgreich verdrängt wurde. Was allzu oft als vereinzelte Auswüchse weltweiten Wahnsinns mit dem Vermerk “leider nicht zu ändern, daher einfach aushalten” zu den inneren Akten gelegt wurde. Und was die Kulturpessimisten unter uns in ihrer düsteren Sicht auf die Zivilisation als einer längst aus dem Ruder gelaufenen Zuvielisation immer wieder bestätigt hat. Wir sind zerrissen zwischen Abscheu und Empörung angesichts all der Schrecken, die wir tagtäglich mitbekommen, wir wollen uns wehren gegen den Mahlstrom aus Information und Desinformation, der uns andauernd beplappert und umdröhnt und uns mitzureißen droht in die organisierte Ohnmacht. – Was war mit der Republik?

Die Republik ist in diesem Fall ein Freies Medium aus der Schweiz, genauer ein Online-Magazin, das ausschließlich leserfinanziert ist und ohne die sattsam bekannten Interessenskonflikte von Medien mit Werbung und kommerziellen Verlagen funktioniert. Und in dem ein Artikel namens “Russisches Kriegsschiff, fick dich!” unlängst für einige Aufmerksamkeit sorgte, und das nicht nur bei Sammlern ukrainischer Briefmarken. Yeah! Na endlich kommt inmitten all der Verstört- und Gelähmtheit auch wieder dieses Fußball-Underdog-Wirgefühl auf, das angespürs der tödlichen Bedrohung den schon verglommen geglaubten Funken des Widerstands zu ungeahnter Lebendigkeit anfeuert: “Ziagts den Bayern die Lederhosen aus!” Ich hasse jedwede erfolgsverkrampft überhebliche Siegermentalität, ganz egal wie und von wo sie daherkommt. Ich hasse die hochglanzgeklonte Message-Control der marketinggedopten Heißluftdaherplapperer – egal von welcher Firma oder Partei. Ich hasse alle “rechtgläubigen” Ideologien, die sich durch die Ausmerzung von Andersdenkenden zu irgendeinem ewigen Heil empormorden. Gehts scheißen!

Verstehen wir uns nicht falsch dieser unabhängige Artikel ergreift Partei (was allein schon aus seinem Titel hervorgeht). Und er versucht über die gesamte Länge, die Psychopathologie des Putinismus zu ergründen. Dass man ihm dabei folgen mag, liegt wohl auch an der literarischen Vorgeschichte seines Autors: Constantin Seibt (wie er leibt und schreibt) hat sich als Jugendlicher “Stile kopierend durch die Weltliteratur gefälscht”. Das bemerkt man definitiv, etwa an solchen Sprachbildern:

“Es war, als wäre man in einen Albtraum hinein erwacht”.

Doch abgesehen von derartigen, im Journalismus leider selten gewordenen Perlen der Formulierkunst, gelingt seinem Artikel zudem auch inhaltlich Schmackhaftes: Nämlich den so fassungslos machenden Angriffskrieg auf die Ukraine weltpolitisch einzuordnen und dabei eine Unmenge von Querverweisen zum Selbstweiterdenken bereit zu stellen. Zum Beispiel die (vielleicht gar nicht so) erstaunliche Verwandtschaft der großrussischen Propaganda zu Steven Bannons “Flood the zone with shit!”

Das Schrecklichste ist das Gefühl der eigenen Ohnmacht und Ausgeliefertheit beim Versinken in diesem uns gefickt eingeschädelten Informationstreibsand. “Dem Leben eigeninitiativ gegenüber zu treten” ist wiederum ein Aspekt psychischer Gesundheit. In diesem Sinn stiftet uns die Republik wie gewünscht zum Denken an. Was könnte “zone“ (einmal abgesehen vom medialen Kampfplatz) noch bedeuten? Die Agora der klassischen Demokratie vielleicht, der eigentliche Debattenraum, das Dialogforum?

Probiotisch antiviral könnte man also jetzt sagen: “Flood the shit with zone!”

PS. Zum Zweck weltanschaulicher Balance hier noch ein “linkes” Interview mit dem russischen Soziologen Greg Yudin über das “faschistische Regime in Russland”.

 

Opium für das Volk

Es ist Krieg in der Ukraine und wir wollen die Menschen jenseits von Kriegsrhetorik und Propaganda wahrnehmen. Denn was uns auf fast allen Kanälen täglich erreicht, das enthält Szenen, die unser sittliches Empfinden verletzen. Mindestens. Deshalb haben wir uns von Anfang dieses Irrsinns an auf den Weg gemacht (innerlich, denn äußerlich ist es uns schlicht nicht möglich), den Menschen zu begegnen, die nicht der jeweiligen Staatsmacht blindwütig hinterher applaudieren. Satiriker, Künstler aus dem Untergrund, Dissidenten. “Wenn du wirklich etwas über die Menschen in einem Land erfahren willst, das du nicht kennst, dann frag die Leidenden und die Verfolgten.” Oder versuch, das Widerständige und das Nichtangepasste im Leben jener zu entdecken, die sich durch verordnetes “Opium für alle” nicht vom Lebendigsein abhalten lassen.

Opium für das Volk“Die Ukraine,” erklärt ein gewisser Herr Putin, “war immer schon ein Teil Russlands.” Und er meint auch: “Der Zerfall der Sowjetunion ist die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.” Echt jetzt? Dafür haben wir damals Löcher in den “eisernen Vorhang” gemacht, dass jetzt mit einem “neuen kalten Krieg” wieder die alten Geschäfte betrieben werden können? Dafür haben wir von der Stasi verfolgte Jugendliche, die einfach nur frei denken und reden wollten, unter Lebensgefahr bei ihrer Flucht unterstützt, dass jetzt irgend so ein abgehalfterter Geheimagent aus dem Misthaufen der Geschichte hervor quillt und in die Ukraine einmarschiert – so wie einst Lenin mit seinen roten Garden? Hab ich was nicht mitgekriegt – oder stehen auf einmal die Grenzverschiebungen des Ersten Weltkriegs wieder zur Disposition? Na, dann auf nach Duino und Triest, die Adria war eh schon immer die Krim Österreichs. Oida! Lernens Geschichte, Herr Putin. Wir tun das ja schließlich auch hier …

Apropos Lenin, dessen Rückkehr nach Russland (aus der Schweiz) während des Ersten Weltkriegs war vom Deutschen Kaiserreich betrieben worden und führte nach der Oktoberrevolution genannten Machtergreifung der Bolschewiki zum “Frieden von Brest-Litowsk”, in welchem das inzwischen sowjetisch gewordene Russland auch die Eigenstaatlichkeit der Ukraine anerkannte. Dort war die anarchistisch geprägte “Machnowschtschina” mit der Selbstverwaltung der befreiten Gebiete beschäftigt, die allerdings schon bald von der Roten Armee unter Trotzki vollends zerstört wurden.

Ein Zentrum der Bewegung um Nestor Machno war die Stadt Mariupol. Hab ich grad ein völlig aus der Zeit gefallenes Déjà-vu? Ein bizarr psychotisches Flashback aus einer Zeit vor meiner Zeit? Herr Putin ist entweder ein Hasskasper oder er leidet an einer neuen Form der schleichenden Schizophrenie. Holt Hilfe! Wo steckt eigentlich diese Gretel, wenn man sie schon einmal so dringend braucht? KGB bleibt KGB und das Volksvermögen mit Hilfe von alten (und neuen) Seilschaften an sich bringen ist ein uralter Taschenspielertrick aller Kommunisten, Kapitalisten und Orthodoxen.

Und die Kunst? Unsere Sendungen? Die sprichwörtlich gewordenen Perlen, nach denen wir alldieweil tauchen? Nun, der Historiker Rainer Mausfeld verrät etwa, wie “Demokratie” von den Herrschenden immer nur in dem Ausmaß “gewährt” wird, in dem die Kosten der Repression nicht mehr bezahlbar sind. So ist die Frage “Was kostet das Opium für das Volk?” an jeden Betreiber von “Putimkinschen Dörfern” (oder anderen Fassaden) zu richten. Und der Name des Geschichtslehrers, den der jetzige ukrainische Präsident in “Diener des Volkes” verkörpert, ist ein vielsagender:

Wassyl Holoborodko ist tatsächlich ein ukrainischer Dichter, der zu Sowjetzeiten verboten war, weil er sich weigerte, mit dem KGB “zusammen zu arbeiten” – also seine Kolleg*innen zu bespitzeln und zu verraten. Dieser Code funktioniert nicht nur in der Ukraine – er würde auch in Russland funktionieren. Genau davor fürchtet sich dieser … Wer Gedichte verbietet, ist uns zutiefst zuwider! Zumindest aber ist er ein Soziopath und, um es mit Gunkl auszudrücken: “Den dürfts ned einsperren, den müssts wegsperren! Weil den darf man nimmer unter die Leut lassen …”

Dann ist noch Hoffnung.

 

Da Stascheißa Koarl

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. Februar – Die fast schon legendäre Antwort auf die zu vermeidende Frage “Wer?” aus Josef Haders Soloprogramm “Privat” führt uns in die entlegeneren Gegenden angewandter Dialektologie. Mundartwischensaft sozusagen. Ich verwende hier die wienerische Fassung, wie man sie etwa auf der CD (Live im Audimax Wien) findet. Weit verbreitet ist auch der “Stoascheißer Koarl”, eine allgemeinbajuwarische Variante, die weder Dirk Stermann noch Peter.W. richtigrum aussprechen können, ganz ähnlich wie “Oachkatzlschwoaf”. Daher soll Josef Hader in Teilen Deutschlands auch vom “Steinscheißer Karli” erzählt haben. Wie all dem sei (mit den Feinheiten der phonetischen Schreibweise wollen wir gar nicht erst anfangen), dem Hervorbringer desselben sei jedenfalls herzlich zum 60. Geburtstag gratuliert.

Da Stascheißa KoarlDas ist uns ein Bedürfnis und so spielen wir einige Ausschnitte aus seinem wegweisenden Programm “Privat”, mit dem vor nunmehr über 25 Jahren das Kabarettgenre einer regelrechten Revolution ausgesetzt wurde. Es ist bestimmt kein Zufall, dass genau dieses Programm das meistgesehenste der heimischen Satireszene wurde. Ich kann mich auch noch erinnern, wie es in jeder gut sortierten Wohngemeinschaft der 90er Jahre anzutreffen war und für viele meiner Bekannten ein inspirierendes Vademecum durch die Irrungen und Wirrungen der damals um sich greifenden Globalisierung darstellte. Erlösendes Lachen inmitten erodierender Weltbilder drang tröstlich vergnügt durch ein österreichisches Seelenvakuum, das sich seiner eigentlichen Bodenständigkeit im Dreck des Menschlichen weitgehend entfremdet hatte. Eine Anstiftung zum Heimischwerden in sich selbst – trotz alledem.

Meiner Meinung nach lebt dieses Programm (das in Wirklichkeit ein “Stück” ist) von den zahllosen Begegnungen und Interaktionen seines Autors mit einem Publikum, das er in den 80ern immer wieder spontan auf der Straße “bespielte”. Die immense Tiefe und Weite von “Privat” (die mir gerade beim Wiederhören auffällt) schöpft aus einem so breiten Spektrum von verschiedenen Gestalten, wie sie einem eben nur “auf der Straße” widerfahren können. Diese alle in den Stimmungen, Handlungen und Personen seines Kopftheaters zu verdichten ist seine wahre Meisterleistung.

Oder wie Uwe Dick über sein Einpersonenstück “Der Öd” sagte: “Es gibt kein Ich und in jedem von uns streiten sich mehrere Stimmen. Ein Psychodrama. Die Summe vieler, die ich täglich aushalten muss.” Wir sehen, die Idee ist nicht neu – doch die Umsetzung ist einzigartig – und “Privat” ist nach wie vor hoch wirksam. Daher empfehlen wir die Einnahme dieses Gewaltheilmittels wiederholt durchzuführen, am besten ohral (also über die Ohren), weil beim bloßen Hören (ohne begleitendes Bild) unsere Vorstellung dazu angeregt wird, sich die phantastischen Szenarien in aller Dichtheit auszumalen.

Und wie erscheint Josef Hader selbst die heutige politische Großwetterlage?

“Einerseits wissen wir genug, um uns zu fragen, was das Ganze soll. Andererseits sind wir zu deppert, um eine Antwort darauf zu finden. Das ist eigentlich eine Gemeinheit.”

Auf dem Weg in die Altersweisheit hier im profil-Artikel. Wie gesagt, wir gratulieren.

 

Heidelbeeren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Februar – Eine Sendung für den Frieden. Was das mit Heidelbeeren zu tun hat, wird sich noch zeigen. Homo sapiens soll ja eigentlich “gescheiter Mensch” heißen – doch wenn man sich so umschaut auf der Welt, wären Homo rapiens, Homo destruktivus oder auch Homo Bscheißerle die viel trefflichere Beschreibung. Vor allem, wenn wir das Phänomen Krieg betrachten: “Seit Beginn unserer Zeitrechnung gab es weltweit zusammengerechnet nur etwa 18 Monate Frieden. Frieden? Abwesenheit definitiv kriegerischer Auseinandersetzungen, möchten wir ergänzend hinzufügen. Ausbeutung und Unterdrückung der Schwächeren durch die Stärkeren gab es ja wohl trotzdem. Also, wie verhält sich Krieg zu Nichtkrieg – und was wäre wirklich Frieden – womöglich?” Aus “Krieg und Frieden” von 2014.

HeidelbeerenDie meisten Menschenleute würden sich wohl lieber in die Heidelbeeren setzen und mit ihren Zehen spielen, als mitsamt ihrer jeweiligen “kleinen Welt” in einem Krieg verwüstet und zerstört zu werden. Und das betrifft jede Art von Krieg, nicht nur den der einen gegen die anderen, sondern auch den des Menschen gegen das biologische Gleichgewicht der Erde. Krieg ist immer gegen die Natur.

Und Frieden? Was wäre das, wenn nicht die bloße Abwesenheit von dem, was wir als Krieg zu verstehen gelernt – wurden? Müssen wir den Krieg bekämpfen? Müssen wir uns organisieren, um Krieg zu führen – gegen den Krieg? Oder genügte es nicht schon, wenn wir uns alle dem Krieg verweigern und uns stattdessen in eine friedliche Metapher setzen, “in Ruhe gelassen sein” wollen von jederlei fanatischem Geplärr – und mit all dem betrügerischen Vorherrschaftsgeschwurbel nichts zu tun haben? Wollen wir uns das titelgebende Bild von Arik Brauer einmal etwas näher anschauen:

I hea im Woid den Auerhohn und setz mi hinta an Buschn
Da siech i zwa Fanatika voi Zuan ins Dickicht huschn
Und wia sa se donn rafn, die Messan einestechn
Do friss i a boa Heidlbeern und spü mi mit die Zechn

Oho – o, halalali