Über artarium

Seit Herbst 07 "das etwas andere Kunnst-Biotop" in der Radiofabrik und seit Anfang 09 daselbst "im Schatten der Mozartkugel" als Artarium unterwegs. Immer auf der Suche nach neuen Gästen, Themen und Gestaltungsformen... Hochfrequenter Wortwetz- und Mundwerksmeister zwischen Live-Unmoderation und Poesie-Performance. Psychodelikate Audiocollagenkunst, stimmungsexzessive Hörweltendramaturgie, subversiver Seelenstriptease, unverzichtbares Urgewürz und... In diesem Unsinn zeig ich euch hier einen tieferen! Ab- und hintergründige Neu- und Nettigkeiten aus der wundersamen Welt des Artarium, seinen Gästinnen und Hörerichen. Kunnst mi eigntlich gern ham. So do mi - i di a! Bussal...

Grauen mit Niveau

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. Oktober – Rechtzeitig zu den allseits beliebten Allerheiligen-Vorbräuchen wie etwa Samhain oder Halloween versorgen wir euch und uns selbst mit stilbildendem Grauen aus den Konserven der Klassiker dieses Fachs. Ihr müsst euch jedoch, wie bei einem realen (?) Horrortrip, davon überraschen lassen, was da auf euch zukommt. Denn wenn man schon vorher weiß, wovor man sich fürchten wird, gruselts nicht mal mehr halb so gut. Gepflegtes Grauen verhält sich zu marktüblichem Genredreck in etwa so wie ein schöner Rotwein zu industriellem Alkopop. Apropos Massengeschmack (diese künstliche Gleichgult aus messbarer Vielzucht), unser An- und Zuspruch des Schaurigen ist so schön, dass es uns sehr gehoben grausen wird. Wir verraten aber (verdammt!) nicht um die Burg, in welche Schluchten des Seins wir uns stürzen.

der-schreiNur soviel sei vorab noch gesagt: In Zeiten wie diesen, in denen die selbsternannten Abendlandretter von der suffschwangeren Heimatfront allein die mögliche Verdrängung “unseres” Schokoladeweihnachtsmanns durch religionsneutrale Zipfelmänner als Angriff auf irgendein Christentum abwehren wollen, da werden die Psychopharmaka bald knapp und die Therapeut_innen der Reihe nach verzweifeln. Doch bevor wir alle vor Lachen aus dem Fenster fallen, lasst uns einer wirklichen Kunstgeschichte Gehör verschaffen, die nicht zwecks der Kundschaft vom Coca-Cola-Marketing erfunden ist. Konsumismus, grauslicher!

In diesem Sinn auch unser Hinweis zur sicheren Anwendung: Eine Stunde lang mit offenen Ohren gut zu hören und unbedingt der Phantasie freien Lauf lassen. So kann das Grauen seine heilsame Wirkung voll entfalten. Bei riesigen Nebenwirkungen rauchen sie die Packungsbeilage, schlagen sie ihren Abt – oder werden sie einfach selbst Apotheker!

 

Wie wir begehren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 23. Oktober – Die als “Kriegsreporterin” bekannte Carolin Emcke erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, genauer gesagt an diesem Sonntag, zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse und in der dortigen Paulskirche. Da sind wir aber top-aktuell mit unserer Themenwahl – immerhin stellen wir heute ihr 2012 bei Fischer erschienenes Buch “Wie wir begehren” vor, einen feinsinnigen Essay über die subjektive wie die soziale Wahrnehmung von gleichgeschlechtlicher Liebe. “Davon erzählt sie uns durch zahlreiche Zeitsprünge in Gestalt einer kaleidoskopische Collage aus Erlebtem und Erlesenem und verknüpft dabei kunstvoll persönliche Anekdoten mit parallelen gesellschaftlichen Ereignissen.” Dergestalt wurde es bereits für “Mein Bücherschatz” auf Radio B138 beschrieben.

carolin-emckeWofür die Publizistin und Autorin (unlängst ist “Gegen den Hass” erschienen) jetzt genau mit diesem renommierten Preis ausgezeichnet wird, davon quellen die Artikel und Kulturmagazine ja derzeit ohnehin über – wir wollen uns hingegen auf jene Besonderheiten ihrer Person konzentrieren, welche das diesfalls darzustellende Buch so lesens- und erlebenswert machen. “Sie verschmilzt darin sprachliche Präzision mit emotionaler Erschüttertheit zu einem literarischen Ganzen, das ans große Feuilleton der Zwischen- und Nachkriegszeitkriegszeit erinnert (und das im akuten Kommerzhäppchening und Meinungsvielflat so dermaßen “aus der Mode” wirkt, dass es schon wieder Avantgarde sein muss).” Carolin Emcke ragt aus diesem journalistischen Entertainmentsumpf heraus wie ein seltener Glücksfall, der leider längst nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme darstellt. Ein mutiger Mensch mit einer eigenen Meinung, bei dem sich Empathie und Realismus zu einer ganzheitlichen Weltsicht verbinden. Chapeau! Und vor allem – sie scheißt uns nicht zu mit Schachterln und Schubladen, in die wir uns der Reihe nach einsortieren sollten. Nein, sie regt zum eigenständigem Leben an!

Abschließend ein kurzer Textauszug: “Er fremdelte in der Schule, weil ihm nichts von der Materie, die der Unterricht vorsah, über ein Leben erzählte, wie er es sich erträumte. Ihn irritierten die Mitschüler, die schon ihre eigenen Großeltern zu sein schienen. noch bevor sie überhaupt geschlechtsreif waren. Tom hatte etwas Klaustrophobisches, weil er unter jeder Form geistiger oder sexueller Enge litt.”

 

 

Demand the Impossible

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Oktober – Das vorläufig letzte Album der schwedischen Musikerin Jenny Wilson überwindet bescheuerte Zuschreibungen wie “Elektro-Pop-Queen” durch seinen existenziellen Tiefgang. Daran hat vermutlich auch ihre Auseinandersetzung mit der Brustkrebsdiagnose erheblichen Anteil. Fragen in dem Zusammenhang pariert sie aber höchst charmant, so etwa in diesem Interview:

“Would you say you wrote this album as a way of fighting for your life and also against the cancer?” – “Maybe. But most, I guess, because it’s the most natural way to stay alive in general, for me, through creating. And, as a matter of fact, I never had such hunger for kicking ass, for do what ever I wanted in the studio. I never felt so alive and brave while recording an album. I think you can hear that. Demand The Impossible! is a nasty knock!”

demand-the-impossibleMich hat da sogleich das spezielle Artwork des Grafikkünstlers Finsta in seinen Bann gezogen. Es lohnt sich auch, seinen diversen Arbeiten eine nähere Würdigung zukommen zu lassen, die hier auf Finstafari und Finsta Graphics zu sehen sind. Da mischen sich Graffiti, StreetArt und Gebrauchsgrafik mit Einflüssen von Robert Crumb und Keith Haring zu einem unverwechselbar eigenen Stil. Inspirierend, erfrischend, bereichernd und im allerbesten Sinn eigen-artig!

“How did the artwork for the album come about? It’s very different to what you have aesthetically done before.” – “I had this artist, Finsta, in mind for many years. He has something very urban to his drawings. So I contacted him long before the album existed. The woman on the cover is this warrior, this street prophet. I love it!”  (selbes Interview)

Auf der Radiofabrik war schon Wilsons Vorgängerwerk Blazing (2011) in der Reihe Hörenswert als Album der Woche vertreten. Damals schrieb der Kollege Nikolaj Fuchs aus der Musikredaktion noch: “Mit Blazing schenkt uns Jenny Wilson ein im besten Sinne vorhersehbares und gänzlich durchhörbares Pop-Album.” Es kann also nur (noch viel) besser werden! – Denn wie heißt es inzwischen auf ihrer Homepage?

“FREEDOM AND POETRY TO THE PEOPLE!”

 

Spätlese

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 14. OktoberSpätlese mit Winzer heißt ein Gedicht von Anna Breitenbach, welches speziell für die heurigen (sic) Literaturtage in Weinstadt (sicsic) entstanden ist. In der unseren Untertiteln ziemlich artverwandten TV-Sendung “Kunscht” berichtete seine unstillbare Umtriebigkeit Denis Scheck über diverse Dichterlesungen, für welche zuvor die Autor_innen beim Lesen und Keltern des Weins mitgewirkt und so ihre Eindrücke in wohlvergorenes Wortwerk verwandelt haben. Auf diesem poetischen Terroir kommt es zu allerlei Assoziationen mit Fachbegriffen wie etwa Trockenstress, Süßfäule oder Geschein. Und ich dachte, dass es bei Wein, Wort und Gesang um Stoned Poets (Dichte Dichter) geht im Sinne des trunkenen H. C. Artmann, dem man nach seinem Vortrag vom Podium helfen musste.

herbsthasenWas also können wir Herbsthasen als Spätlese aufbereiten? Vor allem, ohne allzu wortwörtlich ins Weinfass zu fallen. Es ist spät und wir lesen? Vielleicht Handverlesenes aus dem Fetzenspiel mit dem Mozartstaat? Die Essenz des Rosinenweins aus Georg Trakls Drogentopf? Eigenes oder Fremdes, Angeeignetes oder Befremdliches, Übersetztes oder Vorletztes oder längst Zerfetztes? Über Oderhaupt ins Restdeutsch des Ostens dichteren Grobschnitt?

Ein Häschen von alledem, damits ausgewogen und nährwert bleibt. Und zudem noch, was uns ein-, ab- und zufällt, damits nicht fad wird, so ganz ohne Weltrum und Kugel. Es ist ja immer ein Zwischenraum jenseits der Definitionen, den es genau deshalb zu bewohnen gilt. Nüchtern betrachtet kann auch der Rausch verhandelt werden, ohne ihn zu verteufeln – oder ihm zu verfallen. – Im Hinblick darauf Georg Trakls Briefzitat:

“Dass es Winter und kalt wird, spüre ich an der abendlichen Weinheizung. Vorgestern habe ich 10 (sage! Zehn) Viertel Roten getrunken. Um vier Uhr morgens habe ich auf meinem Balkon ein Mond und Frostbad genommen und am Morgen endlich ein herrliches Gedicht geschrieben, das vor Kälte schebbert.”

mozart-spaetleseSpätlese kann in unserem Fall aber auch Nachlese, Protestsongperlen– oder gar Torkelbärenauslese bedeuten. Der uns nicht ganz ungeläufige Herr Blumenau ergeht sich nämlich im Nachfeld der diesjährigen Kür von Sarah Leschs “Testament” in eigenwilligen Argumenten, warum er diesem Lied genau null Punkte zugestand und warum es ihn auch nicht wundert, dass es inzwischen von rechtsrechten Gruppen für deren Weltsicht vereinnahmt wird. Das läge, so der tägliche Blumenau in seinem Artikel, von vornherein an Text und Haltung des Songs. Darob mag man sich ein Bild machen.

Während wir uns wiederum einen ureigenen (und etwas anderen) Contest schneidern, in dem es um genau nichts geht, außer um unsere gemeinsame Lust an der Freud. Küren wir halt das aushängigste Kürzesthörspiel des heurigen (hic) Weinherbsts! Mit einem vollen Radio ist laut stinken.Dazu Georg Trakls Wienverkostung:

“In Wien aber “strahlt” die Sonne am “heiteren” Himmel und die “weiche Melancholie” des Wienerwaldes ist auch nicht “ohne”. Beim Heurigen freut sich das “goldene” Herz und wenn dort die “schmachtenden Weisen” erklingen, so denke o Mensch daran, dass es bei den “wackeren Älplern” schneit und grimmig kalt ist. O! wie weh ist die Welt, wie wahnig das Weh, wie weltlich der Wahn.”

 

Es war einmal die Musicbox

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. OktoberNachruf auf eine ORF-Sendung, der viele vieles verdanken. Vor genau 49 Jahren entstand die Musicbox mitsamt ihrem dazugehörigen Sender. Vor gut 22 Jahren verschwand sie aus dem Programm von Ö3. Was bleibt, ist Erinnerung. Und Bedeutung für Unzählige, die Popkultur nicht nur konsumieren, sondern erforschen, definieren und so selbst mitgestalten wollten. “Wenn um 15 Uhr, präziser: fünf Minuten nach 15 Uhr, die Signation der Musicbox ertönte, schaltete halb Österreich auf die Regionalwellen um. Die andere Hälfte aber lauschte entweder gebannt oder irritiert dem Wort- und Musikschwall, der da folgte.“ Soweit Ex-Musicbox-Redakteur Walter Gröbchen, zitiert in diesem hilfreichen Artikel des Kulturpool zur Veröffentlichung einiger Cassetten-Mitschnitte aus den 80ern.

musicboxMmmm, “Wort- und Musikschwall”, das gefällt uns eh schon mal gut! Auch wenn man mit derlei nicht mehr die Radionation in zwei Hälften spalten kann (dieses Zeitfenster ist längst wieder zu), so knüpfen wir doch gern immer wieder daran an, diese Art einer “Wall of Sound” entspricht der Gestaltung unseres zweisamen Kopftheaters

Nicht nur eine ganze Kultur des Musikjournalismus hat das längst legendäre Magazin hierzulande befruchtet, auch Kunstschaffende jedweder Richtung und Staatsnähe (oder -ferne) zur fortwährenden Verbearbeitung der Wirklichkeit zwischen allen Genres und Generationen angestiftet. Literaturen entdeckt, Musikstile hinterfragt, politische Entwicklungen verfolgt, Geschmäcker und Gewohnheiten kritisiert, Neues begeistert vorgestellt und Zeitloses wieder hervor gekramt. Was hat diese Sendung in den 27 Jahren ihres Gehörtwerdens eigentlich nicht angefasst, ausgespuckt, oder einfach gegen den Strich gebürstet? Weshalb sollten wir da versuchen, dem recht reichlichen Œvre der Herren Gröbchen (Blog), Blumenau (Blog) oder Ostermayer (Portrait) hier noch Fußnoten hinterher zu schreiben? Sie alle waren ja die Musicbox.

Wollen wir also bei unserem Leisten bleiben und euch eine schöne Andenkensendung schustern. Mit eigenen Anekdoten vom damals durchaus prägenden Hinhören und mit Beispielen dafür, wie dortselbst einst Vorgebrachtes die Zeitgrenzen zur Gegenwart überspringt und – verbearbeitet – weiter wirkt. Unter Beihilfe von Michael Köhlmeier & Reinhold Bilgeri, Bob Dylan, Patti Smith sowie naturgemäß Laibach. Allesamt einst vehement vertreten in und von jenem Höreignis, man frage bloß mal die Archivpiraten!

 

Das Lied von Buch und Serie

> Sendung: Artarium am Sonntag, 25. SeptemberHinter dem weltweiten Hype rund um die Serie Game Of Thrones steckt das intelligente Werk eines Schriftstellers. George R. R. Martin entwickelt in seiner Romanreihe “Das Lied von Eis und Feuer” eine hochkomplexe Welt, die das Genre Fantasy aus dem Verwertungskrampf der Geschwindprodukte wieder auf seine eigentlichen Ursprünge zurück bezieht – auf eine ebenso schwelgerisch ausufernde wie nachfühlbar menschliche Phantasie. Nicht umsonst singt selbst Denis Scheck, unser aller “Streiter für das Gute, Wahre und Schöne”, in der ARD-Büchersendung Druckfrisch das Hohelied auf die literarische Qualität dieses einzigartigen Opus perpetuum. Und nicht umsonst wird dessen Autor ob seines überbordenen Detailreichtums als “Tolkien der Gegenwart” bezeichnet.

thron-der-serieDoch erstmal genug der globalen Informationen, ist doch das halbe Internet voll von Klugscheißenden, die einander ihre Theorien über den möglichen weiteren Verlauf dieses Endlos-Epos um die Ohren bröseln. Wenden wir uns lieber den Aspekten unseres eigenen Erlebens zu, wie der nachhaltig süchtigmachenden Serie, der dazugehörigen Filmmusik von Ramin Djawadi, der Beziehung zwischen Romanvorlage und TV-Adaption – oder der allgemeinen Frage, weshalb auch denkende Menschen oft lieber in Phantasiewelten leben als im Realitäterbüro ihres Arbeitsallerleis. Man muss durchaus kein flachgetrottelter Nachzuckzombie sein, um hier dem Charme einer niveauvollen Fantasy anheimzufallen. Und es liegt wohl an der eminent durchdachten Geschichte, die sich der Herr Martin über die Jahre erarbeitet hat, dass sogar in der kritischen Kulturwissenschaft das Mainstream-Erfolgs-Produkt des Pay-TV-Anbieters HBO als “eine Serie von beachtlicher künstlerischer Qualität, jedenfalls für u.s.-amerikanische Privatfernseh-Verhältnisse” gilt. Zur Erörterung solcher und ähnlicher Umstände haben wir zwei ausgewiesene Expertinnen eingeladen, die sowohl mit der Materie vertraut als auch in der Welt der Phantasie heimisch sind…

 

Ingeborgs Flachmann

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 18. September – Wir basteln uns schnell auch noch ein Wettlesen. Und widersprechen der weit verbreiteten Vorstellung, man könne sich Sprache einfach so aufsetzen wie einen Hut. Oder sich von den Fachoberuhus der Literaturverwaltung das Gute, Wahre und Schöne vorsortieren lassen, damit man dann eine Bildung haben tut. Die Richtige natürlich. Kennst dich aus? Einbildung ist auch eine. Ätsch! Denn Sprache ist nicht bloß eine ganze Welt, auf die man sich Hals über Kopf einlassen muss, sie ist zudem noch weitgehend unerforscht und ob ihres ständigen Wandels schlechterdings nicht kartographierbar. Die Sprachwissenschaft kann nur beschreiben, was bereits entdeckt ist, jedoch nicht, was darüber hinaus neu entsteht. Die Sprachwelt erschafft sich ständig selbst – durch ihren Gebrauch.

flachmannSo lassen wir diesmal zwischen Bachmannpreis und Bücherflohmarkt ein paar auserwählte Kandidierte gegeneinander aufmarschieren – und um einen Preis wetteifern, den es genauso sicher gibt wie den finalen Schluck aus Ingeborgs Flachmann. Na, dann Prost!

Wenn jetzt noch wer daherkommt und meint, dass es bei sowas Veränderlichem wie Sprache objektive Kriterien zur sportlichen Beurteilung oder Leistungsmessung geben könnte, dann gehen wir zwei zwischenzeitlich in aller Höflichkeit laut lachen. Ob nämlich ein Text oder sein Vortrag irgendwie beliebt, erfogreich, populär ist, das hängt vom Zusammenwirken so vieler verschiedener Faktoren ab, dass es sich genausogut erwürfeln ließe.

Folgende Interpreten und ihre Beiträge wurden auf geheime Weise für das Finale nominiert (in der Reihenfolge ihres Auftretens). Es singen, spielen und ergehen sich in Collagen (wir finden, das gehört sich längst – bloß keine fade Buchstabensuppe):

Loriot (als Lothar Frohwein) – Melusine (Krawehl, Krawehl)

Josef Hader (als er selbst) – Atonales Lied

Ernst Jandl (auch als er selbst) – Kunstvaterland (aus “Die Humanisten”)

Angela Merkel (sie selbst) – Nein (Yung Hurn remixed by DJ Karl the Dog)

Loriot (als Der große Diktator) – Almduludl (Rede)

Bagher Ahmadi (als Ernst Jandl) – schtzngrrrmm

Christian Brückner (als er selbst) – Hitlers Hitlerhitler

Die musikalische Umrahmung besorgen uns im Sinne niveauvoller Textverbratung Käpt’n Peng und die Tentakel von Delphi (Signation), Catharina Boutari (covert Das Bo), Rainald Grebe (Guido Knopp) sowie PeterLicht (Fluchtstück). Und wenn wir hier schon in der Jury sitzen, dann würdigen wir gleich auch noch die Wettrapper und Lyrizisten von Battle & Hum, die edlen Gewinner des heurigen Radioschorsch, mit einer eigenen Laudatio.

Gluckglucksus, Schwuppdiwuppsus – oder einfach nur Flachmann!

 

Let Yourself Be Huge

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. SeptemberGewaltig endet der Sommer, gewaltig geistern die Arme des Herbstes, komm zu mir liebes Kätzchen, ich nehm‘ dir die Furcht, die alte, die gräßliche; fühle mich manchmal als Teschek, indes singen Blätter und Zweige von Tausch und Täuschung, wer pflückt dereinst die Gaben? Wir glätten die Wellen, nein, lass es uns lassen, was mir halt so ein- und zufällt, zufällig auf Zufälle vertrauend, und ihre verwegene Braue, das Herz der Harpyie frisch gebraten, ein Baby im Schlaf, es schmelzen Gesichter unscheinbar, grau melierte Kinder in Armani-Anzügen die hektisch ihre Smartphones betouchen; darf ich mich aufsprengen?

cloudkickerWelch viskoser Fall, mir scheint alles träge und dämmrig, es zirkuliert = heil(ig)e Welt! Schwalbentanz, ein Blick in die Wolken, weit fort zu gehen, oh Lady of Shalott, dein Leib, dein Lied, stets Schatten im Spiegel / Gemütsaquarelle, schleichende Färbung, der gesichelte Mond gleitet aus Baumkronentrichtern, scheue Laternen, das Finster ruft mit wächsernen Stimmen, so seidene Stimmchen : gekrauste Sturm= orchidee. Theodizee zwischen Tür und Engel, oder der Blutakt weicher Uhren, indes nachmittägliche Ausflüchte, umgeben von einem Rauschen unbekannter Art, mehr Holundersaft aus der Bierflasche … Collagenleben und Splitterkunst, unzähmbarer Sanftmut; ich werde gewaltig.

Wie aus alldem unschwer zu erkennen ist, präsentieren wir diesmal das ganze Album “Let Yourself Be Huge” von Cloudkicker, einem One-Man-Projekt von Ben Sharp, der seine mittlerweile 8 Alben und 4 EPs nach wie vor im Eigenvertrieb anbietet. Auf diesem speziellen Album gewährt der sonst im Progressive-Metal beheimatete Musiker allerdings durch diverse Themenskizzen einen geradezu intimen Einblick in das Entstehen seiner komplex geschichteten Klangwelt, was zudem vom Artwork (oben die vergriffene Pink-Vinyl-Version) kongenial begleitet wird. Auch der längste uns bekannte Songtitel vom Album Subsume stammt aus seiner Denkstatt. Es ist ein Zitat aus dem Roman 1Q84 von Haruki Murakami. Dazu fällt mir ja sofort DIE Löffler ein…

„He would be riding on the subway or writing formulas on the blackboard or having a meal or (as now) sitting and talking to someone across a table, and it would envelop him like a soundless tsunami.“

 

Reflecting Autumns

> Sendung: Perlentaucher Nachtfahrt vom Freitag, 9. SeptemberDer Sommer ging heuer ja schon vor seinem Beginn zu Ende – und danach versuchte er noch den ganzen Sommer hindurch, einer zu werden. Doch jetzt, wo die Schulferien unweigerlich zu Ende gehen und auch die “vorlesungsfreie Zeit” bald keine mehr sein wird, da schieben sich endlich die ersten stabileren Schönwetterperioden in den allenthalben anhebenden Herbst. Wieviel Werden steckt da im Vergehen? Oder wars immer schon genau umgekehrt? Jedenfalls wollen wir diese auffallende Ambivalenz des Herbstsommers zum Anlass nehmen, unser aller Jahreszeitreisen zu würdigen sowie uns dementsprechend in der Schönheit des Vergänglichen zu ergehen. Denn jedem Sterben wohnt ein Herbstlaub inne, und das ist nochmal so richtig farbenfroh!

VollmondVom Charme des Morbiden, vom Innehalten auf der schiefen Bahn und vom Aufleuchten des Lebens im Totgeglaubten handeln unsere Buchzitate und Filmempfehlungen, unsere musikalischen Fundstücke und Spoken-Word-Fragmentarien. Wir basteln uns eine Welt aus dem Sammelsurium unseres unterwegs Aufgelesenen, nur um sie mit euch gemeinsam wieder zu verzehren:

unzählbare Lichtkaskaden auf den Wellen des Mittelmeeres, mehr als grell, kosmische Gaben, ein Hauch anderen Lebens, und hier auf dem Fels, du malst mir Salzzeichen auf den Rücken, es tropft der Schopf, wir paddeln nicht, wir haben die steinerne Wand umbrochen, vulkanisch fast, Gräben und Schluchten und Armeen von schwarz glitzernden Muscheln; gen Himmel ein Zeichen des Abschieds, wir lieben dich Sonnenkönigin! Auf ewig Kinder des Meeres! Wie kommt man zu Namen oder zu Orten, wie laufen die Bahnen von trunkener Zeugung zu Mord, von Nägellackieren zu Inkontinenz, wie winden sich Wege durch Menschen und Tiere, durch die Natur und das All? Ach, vielleicht ja alles nur zum Amusement anderer Weltraumrassen – welch glorreicher Zoo!

FeuerlichtYou touch me with your light
so different as they say
you touch me with your light
and make me want to stay
you touch me with your light
its running down my skin
you touch me with your light
you touch me from within
you touch me with your light
and bring my soul to ease
you touch me with your light

Wir lassen unsere zwei Welten ineinander fließen wie zwei Feuer aus Wasser und Licht, mögen sie sich mondkühl oder kerzenwarm anfühlen, mögen sie zäh oder zart oder zwirbelig beschaffen sein, sich klopfend, klingelnd oder klagend anhören, just emotional erstarrt oder stimmungseruptiv daher kommen, wie dem auch immer sei, es entsteht wiederum eine neue, ganz eigene Sphäre voller Stimmung und Klang. Und die verschmilzt dann mit eurem Jetztgradesosein, indem ihr uns zuhört und euch auf diesen sanften Urknall aus Gärung und Gebräu einlasst. Es kommt zu einer Art Energieübertragung, wie sie etwa von Musikern und ihrem Publikum beschrieben wird. Doch wir müssen euch nicht einmal sehen, um zu wissen, dass ihr da seid. Darum machen wir auch Livesendungen. Weil dabei so etwas Geheimnisvolles geschieht…

 

Mädchen Überfluss

> Sendung: Artarium am Sonntag, 28. August – Hinter den Kulissen der Radiofabrik werken zahlreiche Weiblichkeiten an ihrem gedeihlichen Stattfinden. Hätten wir hier eine Frauenquote, dann wäre dieselbe längst übererfüllt. Wobei es bei der Myzelpflege eines so vielschichtigen Organismus wie des Radiofabrik-Teams ohnehin nie um willkürlich festgelegte Quoten gehen kann, sondern vielmehr um ein ausgewogenes Funktionieren im Sinne von Vielfalt, Vielseitig- und Vielstimmigkeit. Oder eben auch Vielsprachigkeit, womit wir fast schon beim Kern (nein, nicht beim Bundeskanzler) der heutigen Sendung anglangt wären. Wir wollen euch nämlich unsere neue EU-Freiwillige Kawtar El Moutawakil aus Italien vorstellen, welche nicht nur (wie sich ja denken lässt) Italienisch spricht, sondern darüber hinaus noch Französisch, Englisch und Arabisch.

Laura und KawtarMa forse ancora non è cominciata
aldilà e di qua della barricata
ci sono mari che non si possono toccare
ci sono lingue che non si possono capire
Tu non conosci il mondo
tu non conosci me
c’è un bene più profondo
nascosto dentro me dentro te
Sia benedetto questo mondo
sia benedetto questo incontro
sia benedetta questa vita
che molti pensano sia infinita

Antonello Venditti (Video)

Endlich können wir wohl auch diesem kryptisch-philosophischen Songtext seine surrealen Geheimnisse entlocken – vielleicht nur, um sie dann erst recht so sein zu lassen, wie sie ursächlich gemeint waren – geheimnisvoll nämlich. Denn genau darum dreht und angelt es sich auch springenden Punkts in unserem “Incontro culturale”, in dem wir dem Geheimnis des Verschiedenen im Gemeinsamen (oder umgekehrt) nachspüren. Unter tatfreudiger Mithilfe der bald schon nicht mehr Auszubildenden Laura Leitner (danke für das geile Foto!), deren engagierte Betreuung uns inzwischen so vertraut geworden ist, dass es ziemlich schräg anmutet, ihrem Lehrabschluss auch nur entgegen zu denken. Und mein Mädchen darf weiterhin Norbi zu mir sagen, es dreht sich hier sowieso mehr um Girlism als um Gender. Oder den Generation-Gap.

Eine Sendung der Herren Hasenhund und Hundehas, gemacht für die Gemeinschaft, der sie stets selig entsprießt.