Ambros im Artarium

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. März – Unser hämischer Beitrag zur Ö3-Quotendiskussion. Wie der freie Kunnstfunk den hoffentlich-rechtlichen Verhunzfunk eines Eigeneren belehrt oder Die österreichische Identität besteht eben in fortwährender Verneinung ihrer selbst. “Ideologische Missgeburten aller Länder, schleichts euch!” Zum 9. Geburtstag der real existierenden Sendungsidee Artarium gedenken wir wermutsvoll einer edlen Institution, welche durch die flächendeckende Formatradiotisierung des erwähnten ORF-Senders abgewickelt, eingespart und im wahrsten Wortsinn umgebracht wurde: Der Musicbox mitsamt ihrer allwöchentlichen Albumpräsentation “Die komplette LP”, einer derart genialen Erfindung im Medium Radio, dass wir sie zumindest monatlich als “Das ganze Album” wiederbelebt haben.

ambros“Es war einmal ein Radiosender namens Ö3 (nicht zu velwechsern mit einem heutigen Hit- oder besser noch Hiadlradio) und dortselbst ereignete sich beinah täglich “Die Musicbox”. Einmal in der Woche präsentierten deren auch sonst recht kunstsinnige Eloquenzen “Die komplette LP” ohne je drein zu reden. Welch ein Hörerlebnis! – Mit der Geschichte begann die regelmäßige Artarium-Albumpräsentation, genau am 16. Mai 2010 mit Somewhere in Afrika von Manfred Mann’s Earth Band.

Dazu gab es anfangs eine rekonstruierte Version der originalen Musicbox-Signation, die immer auch inhaltlich auf das jeweilige Album abgestimmt war. Hier gibts jetzt die entsprechende MusicboxAfricaSignation – zum Anhören und als Mp3-Download.

Das Pikante am eingangs gemachten Breitseitenhieb auf den ehemals (zumindest teilweise) avantgardistischen Radiosender Ö3 ist ja, dass durch ihn jenes Genre des Austropop geradezu miterfunden wurde, dessen ausgelutschteste Hadern dort heute bestenfalls noch als Nostalgie-Devotionalien aus dem Einheitsbrei hervor blubbern. Und dass die “einheimische Musikszene”, deren Förderung und Verbreitung diesen Sender über Jahrzehnte populär gemacht hat, jetzt von seinen Verantwortlichen zur Ursache aller Folgen ihres flachbildhirnigen Formatkonsumistmus umgepudert wird. Wolfgang Ambros hingegen, mit “Da Hofa” immerhin Verursacher des allerersten kommerziell erfolgreichen Austropop-Titels, hat darüber hinaus noch so Einiges von sich gerotzt, was dann im ORF aus ganz anderen Gründen nie gehört werden durfte.

Weg mit eahna, hautsas nieda,
sperrtses ein oda bringtses um!
De hobn ka Recht, de san vaurteilt
von vuanherein, wer scheißt si drum.

Wo ma hinschaut, nix wia Scheiße
und söba is ma mittn drin.
I kennt ma in di Goschn haun,
weu ich so ein Trottl bin.

 

Snökuken

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. JanuarSchneepenis, Pflückgedicht und StreetArt. Kunnst, im öffentlichen Raum? Dem Monolog der Mächtigen das Eigene entgegnen, mit Inbrunst. Hinbrunzt! Die uns angeblich allen gehörenden Lebensräume werden zunehmend verprivatisiert, das heißt den wirtschaftlichen Interessen ihrer “Besitznehmer” zweckgewidmet. Zu abstrakt? Dann nochmal langsam zum Mitdenken: Ein gewisser “Staat” in Gestalt von Bundes-, Landes- oder Gemeindeverwaltung erhebt (auf was hinauf eigentlich?) Eigentumsanspruch auf unser aller Lebensumgebung und Umwelt. Gegen Bezahlung tritt er (der Staat) dann bestimmte Rechte (unsere!) zur Verwertung des Allgemeinguts (unseres!) an “private Investoren” (anonyme Firmen oder geldschwere Einzelpersonen) ab – und verbietet uns dann die weitere Nutzung.

snökukenEin solches Geschäft kann als sittenwidrig und somit als nichtig angesehen werden, zumal es ohne Zustimmung der Miteigentümer zustande gekommen ist. “Aber das ist alles ganz legal”, werden uns die uns (das Volk) vertretenden Volksvertreter sogleich erklären, “und jede Art von Graffiti ist eine Sachbeschädigung und die Benutzung des öffentlichen Luftraums zwecks Meinungsäußerung ist eine Geschäftsstörung.” Das mag schon sein, dass seit der Erfindung der Republik Österreich und ihrer Verfassung ein paar windschiefe Juristen diesbezügliche Gesetze zu Papier geschissen haben – doch ist etwas schon deshalb wahr (und richtig), nur weil es wo geschrieben steht? Und kommen denn die Erträge aus diesen dubiosen Luftgeschäften wenigstens nachweislich “dem Volk” zugute, aus dessen Eigentum sie generiert wurden? Aber nicht doch! Statt sich im Wohlergehen des Gemeinwesens förderlich auszuwirken, verschwinden die uns listig abgeluchsten Gelder im Dickicht der internationalen Finanzwirtschaft – zur Rettung von Banken, zur Stützung von Kursen, zur Verplemperung in dysfunktionaler Repräsentation, kurz zum Sichfickenlassen von allem und jedem, was auch nur entfernt nach Investitionsklima miachtelt. Pfuigack!

barbara jesusLetztendlich wären wir gern gefragt worden, in was für einer Welt wir leben wollen – und zwar bevor man sie “zu unserem Besten” derart verunstaltet, dass wir uns in ihr kaum wiedererkennen. Letztendlich geht es dem Menschenwesen um den Dialog, um Frage und Antwort, um gemeinsames Erarbeiten von Lösungen – und nicht darum, dass uns von oben herab “Wahrheiten” übergestülpt werden, die nichts mit uns zu tun haben, aber erkennen lassen, dass sie den Interessen derer dienen, die da oben sitzen, von wo herab sie uns im Befehlston “den rechten Weg” verordnen. Gehts doch scheißen – aber bitte woanders hin! Es ist ein einziges Propagandagedröhn, das uns permanent zuquasselt, tagein, tagaus, von Schildern und Plakaten, aus Auslagen und Fernsehern, Gasthäusern, Geschäften, Nachrichten, Netzwerken, Popsongs, Radioshows, Universitäten. Die Orgel des Untergangs ist immer und überall! Und der Fleischwolf der Gedankenstopfwurst ist in unseren Köpfen, seit wir auf der Welt sind.

Sich zur erlebten Welt selbst zu äußern (in welcher Weise auch immer) ist gesund! Doch wie kann Eigenes wahrgenommen werden, solang ringsum das Fremde dröhnt? Unsere Ideen dazu: Zettelpoet Helmut Seethaler und StreetArt-Künstlerin Barbara, der Schneepenis von Göteborgoder doch der Graffiti-Krieger KIDULT, dessen brachiales Video “Visual Dictatorship” ganz neue Getreidegassen-Gefühle erzeugt?

 

Crude and unplugged

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. Januar – Die Band aus Bürmoos präsentiert ihr Debutalbum “Tied at the end” live bei uns im Studio – und stellt sich als ein etwas anderes Musikprojekt vor. Zum Beispiel antworten sie auf die nicht ganz undepperte Interviewfrage “Warum macht ihr eigentlich Musik?” schon mal großartig lapidar mit: “Weils uns taugt.” Eben! Kunst ist kein Markt und Musik kein Business, auch wenn uns die gekauften Tröten des Weltmarktglaubens ständig das Gegenteil einorgeln möchten. “Ned olles, wos an Wert hot, muaß a an Preis hom” konstatierte ja schon der gar nicht so erfolglose Austropop-Mitbegründer Wolfgang Ambros 1982 in seinem Lied “A Mensch möcht i bleibn”. Demgemäß nunmehr herzlich willkommen, denn hier geht es um das echte Feeling – und, hallo – “der Mainstream is uns wurscht!”

crude“Es geht nämlich darum, ob man etwas glaubhaft vertritt, das für die Zuhörer nachvollziehbar, vor allem nachfühlbar ist – oder ob man nur imitiert, einfach nachkasperlt, damit es beim Zuhörer schnell einmal klingelt oder beim Radioredakteur irgendeine Assoziation hervorruft. Oder, ob es spürbarerweise aus dem eigenen Schaffen kommt und so klingt, wie das, was einem taugt.” Dies ein kurzer Auszug unserer Sumpfblüten-Nachtfahrt vom letzten Oktober, in der wir das vorab veröffentlichte Video von “Tied at the end” bereits vorgestellt haben (hier ab Minute 92 gut zu hören). Dem haben wir nichts hinzuzufügen – abgesehen davon natürlich, was sich bei unserer Begegnung im Studio von selbst ereignen wird…

Manche meinen, wir featuren alles und jeden, wo einen dreiakkordigen Schas lasst und nicht bei drei am Baum sitzt, weil wir nämlich Radio machen und da gehört sich das eben so, dass man irgendwem irgendwie die geheimen Erwartungen massiert. Doch diese Ohrrüben haben den feinen Unterschied zwischen dem freien Rundfunk und einer (gern auch öffentlich-rechtlichen) Medienindustrie noch nicht verstanden. Dem, wovon wir hier begeistert berichten, könnt ihr euch jedenfalls selbst aussetzen, und zwar bei der CD Release Party (5. Februar, 20 Uhr in der Mainbar Oberndorf) oder beim Konzert mit Krautschädl (26. März um 18 Uhr im Jazzit). Zum Wohlsein!

 

David Bowie – ein Vermächtnis

Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. Januar – Kein Trauerspiel, kein Nachruf, keine Sendung über David Bowie! Vielmehr für und mit ihm… Die Musik spricht, wir geben ihr Raum, verlieren nicht allzu viel Worte. Zumal uns ohnehin die Luft weg zu bleiben droht und die Traumbilder uns überholen. Wir laden euch also ein auf eine Fahrt in dunkelbunte Betrachtungen:

back in…da war plötzlich dieses Pochen, dieser Herzsprung, tausendfarbige Funken, die im Raum schweben blieben, während das Zwielicht des dämmernden Morgens mir Labyrinthe auf die Haut malte. Da war auch ein gewisser Rausch, eine Art Berauschung, ein Fluten und Stöhnen, schlußendlich ein Begreifen und Spüren; ein in Rot getünchter Moment.

„I’m floating in the most peculiar way“ – es traf mich zwischen den Augen. Er traf mich. Ich träumte nicht. Es regnete Perlen. Es regnete Masken. Ich kleidete mich in Klänge. Mosaike aus Spiegelscherben, eine samtene Geste, vielleicht eine Ahnung oder unendliches Weiß, der Schnitter Tag und Zigaretten zwischen den Zeilen. Es ist mehr, sagte ich, es ist mehr da, sagte ich, warf mich durch die Bildschirmwunder und schrieb taumelnd die Blässe vom Himmel.

Der Tod leuchtet matt in unsre Leben : ein schwarzer Stern.
Da waren deine Augen. Da war wieder das Pochen; feine Brüche und Disharmonien. Nichts geht mehr unter die Haut. Ich wechsle das Gesicht, die Farbe, den Schein; trete nach außen, pflücke den Mond, lege ihn dir auf die Stirn. Wir streifen die Zeit ab, wir stehlen die Zeit, wir wanken von Zeit zu Zeit. Zaghaft dein Blick, meine Hand noch zögernd; zusammen, einen Tag, für einen Tag, was für ein Tag, nur dieser eine Tag… 

 

Rapistsophie

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. DezemberRap ist Jule: Gregor Gysi interpretiert K.I.Z-Texte (Video). Zum Jahresschluss sprengen wir noch einmal alle Definitionen – und ergehen uns mit starken Frauen im Hip-Hop-Journalismus. Das deutsche Szene-Magazin “Rap Ist” onaniert nämlich nicht nur mit den Parisern des Insiderschmähs, sondern überschreitet auch absichtsvoll die Sprachgrenzen des Eingeweihten. Vor allem die weiblichen Mitglieder (sic!) konfrontieren einerseits die Deutschrapper mit Fragen nach “sexueller Gewalt gegen Frauen” in ihren Texten (ein ganz ausgezeichnetes Video!) und inszenieren andrerseits den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei als politischen Interpreten durchaus derben K.I.Z-Liedguts. Für uns eine Übersetzungsleistung, die längst überfällig war!

rapistjule1Ist es nicht ein Kennzeichen der etablierten Hoch- und Geldkultur, dass sie nur von Eingeweihten, die den vorherrschenden Code auch verstehen, konsumiert werden kann? Wo verläuft in der Hip-Hop-Szene die Grenze zwischen Selbstironie und Anpassung ans Geschäft mit der sehr elitärenrapistjule2 “Ich kann etwas, was du nicht kannst”- Kunst? Und, tut es bei solch Überlegung nicht unendlich gut, zu wissen, dass da draußen noch jemand ist, der/die immerhin eine Möglichkeit zum Erkennenkönnen eröffnet – auch für Außenstehende, auf dass sich die Welt wieder reime? Zum Glück haben wir hier in Salzburg ebenfalls rapkundiges Fachpersonal am Start, und so können wir euch einige Ausschnitte aus ein paar legendären Rap-Ist-Interviews zu Gehirn bringen, naturgemäß remixed und in den Kontext der jeweiligen Musik gesetzet. Damit nicht genug, wollen wir über diese herzliche Empfehlung hinaus noch auf einige vernachlässigte Aspekte des Rap-Genres, des Hip-Hop und Rock Crossovers und des unverständlich Fremdssprachigen verweisen, was uns gröbere Freude bereitet:

NoizeMC - Rap aus RusslandIn Deutschland sowie auch in Österreich ist ganz leicht blöd daherreden und sich dann im selbstgelassenen Darmwind des bildungsbürgerlichen Skandälchens interviewgebend zu sonnen. Hierzulande wird einfach niemand bloß wegen seiner/ihrer Texte verfolgt! Anders in Russland oder im Iran – also wo finde ich die Gespräche mit Shahin Najafi (der ja in Deutschland lebt) oder die Übersetzungen von Noize MC (der wegen seiner Aussagen bedroht wird)? Die üblichen Verdächtigen sind noch längst nicht “die Szene”, auch wenn sie Crack Ignaz dissen und “klaut Rap” so buchstabieren. Folgerichtig erweitern wir unsere Sendung um eine Koproduktion von Noize MC und Lyapis Trubetskoy “Bolt” – doch MÜSST ihr euch den Track als Video von Alexey Terehoff anschauen – erst dann werdet ihr auch unsere Visionen haben.

Käptn Peng: “Das O ist durchsichtig” (Artarium-Interview)

 

Happy Birthday, Lemmy

> Sendung: Artarium Weihnachtsspecial 24. Dezember – Ist uns heute der Heiland geboren? Damit es nicht allzu heilig (und zu still und zu leise) wird an diesem Abend, bescheren wir uns eine Geburtstagsfeier der etwas spezielleren Art: Lemmy Kilmister, Bassist und Sänger (sowie Erfinder und überhaupt Mastermind) der einigermaßen sehr harten Rockgruppe Motörhead, wird haargenau heute 70 Jahre alt. Oder auch jung, je nachdem. Wir gratulieren jedenfalls schon mal heftiglich – und bedröhnen euch mit Auszügen aus seiner Autobiographie “White Line Fever” nebst insgesamt 6 (in Worten Sex) launigen Musikstückerln aus Lemmys frohem Schaffen sowie seinem lauthalsen Umfeld. Es darf also gekracht und gescheppert werden, liebe Heiligabendgemeinde der aufmüpfigen Kinder und junggebliebenen Großeltern. Lassen wir die Sau raus!

lemmy christLemmy Christ by Carny-Kapturek. Die Zeichnung ist nebenbei das einzig wahre Bild für den heutigen Anlass, nämlich den zufällig auch am 24. Dezember geborenen Religionsverweigerer namens Ian Fraser Kilmister hochleben zu lassen, der für nicht wenige Hardrock- und Metal-Afficionados selbst so etwas wie Heilandsstatus besitzt. Und ein guter Hirte seiner Schäfchen ist er allemal, wie die Anekdoten aus seinem bewegten und kaum jemals nüchternen Leben uns beweisen. Zudem gibts die Fortsetzung (den Schluss) der Artarium-Weihnachtsgeschichte vom “barmherzigen Rumänen” zu hören, was also will das bescherungsschwangere Herz zur Feier des christlich-alpenländischen Eilighabens mehr? Vielleicht einen kleinen Vorgeschmack auf die heiligabends zu hörenden Musikalien? Also gut, dann will ich mal nicht so sein – und ergehe mich knietief im Kryptischen. Auf 3 von 6 (Sex!) Liedern singt Lemmy selbst, aber nur 2 gemeinsam mit Motörhead, eins davon ist noch dazu ein Cover. Hähähä, weiter mit der Verwirrung! Apropos, 3 von 6 (you know) Musiktiteln heißen aus Anlass des Abends “Sympathy for the Devil”, doch keinen davon spielen die Rolling Stones. Einen jedoch (sowieso das genialste Cover) Daniel Kahn, Psoy Korolenko & Oy Division (aus ihrem Album The Unternationale). Hähähähähä! Den könnt ihr euch gleich reinziehen. Und Lemmy singt wieder einmal (no, na!) vom Ende der Welt. Dann passt doch alles wunderbar zum Thema, oder?

 

Quando sono assente mi manco

Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Dezember – Allein schon der Titel des Albums von Giacomo Sferlazzo ist eine philosophische Herausforderung. “Wenn ich abwesend bin, vermisse ich mich”, lautet die Übersetzung. Doch abwesend wovon? Von einem Menschen, einer Gegend, geistesabwesend? Vom eigenen Selbst entfernt, entfremdet? Und vermissen? Da fehlt was, geht einem was ab, das tut weh – mir mangelt” ist nicht nur dem Klang nach mit “manco” verwandt, sondern geht tatsächlich aufs lateinische “mancus” für “gebrechlich, verkrüppelt, verstümmelt” zurück. “Wenn ich nicht da bin, fehlt mir ein Fuß“, könnte man also auch sagen. Gäbe es ein besseres Motto für einen Mann, der als Aktivist und als Künstler seine Heimat Lampedusa aufmischt, diesen bizarren EU-Außenposten im längst stattfindenden Krieg Arm gegen Reich?

Giacomo Sferlazzo“Liedermacher Giacomo Sferlazzo aus Lampedusa besingt nicht nur die Tragödien, die sich im Mittelmeer mit Flüchtlingen abspielen. Er hat auf seiner Heimatinsel auch ein Museum eröffnet, das den Besuchern den Atem stocken lässt. Denn die Exponate sind die bescheidenen Habseligkeiten von Flüchtlingen. Nicht nur Wasserflaschen oder Rettungswesten von Überlebenden, sondern auch vom Meer an Land gespülte letzte Erinnerungen an verlorene Seelen, denen das Meer zur Grabstätte geworden ist.” – So beginnt ein feines Portrait dieses mitfühlenden Widerspenstigen, das Wolfgang Maria Gran und Joachim Bergauer unter dem Titel “Der Herr der Dinge” auf ihrer etwas anderen Nachrichten-Agentur BQ-Media veröffentlicht haben. Ihnen verdanken wir nicht nur das obige Foto von seinem Ausstellungsraum aus den Schwemmholzplanken versunkener Flüchtlingsboote (hier ein schon etwas älterer ttt-Beitrag zum Projekt des “Museo delle Migrazioni”), sondern überhaupt das Kennenlernen seiner musikalischen Arbeit – und die hat es ebenfalls abgrundtief in sich! Denn der umtriebige 35-jährige Cantautore (und das ist beileibe mehr als bloß “Liedermacher”) verarbeitet die vielfältigsten Einflüsse

Dazu ließe sich jetzt noch eine ganze Menge daherschreiben, doch wir wollen uns ja nicht überanstrengen (und eine musikwissenschaftliche Arbeit soll das hier auch nicht werden). Ihr könnt als Vorgeschmack auf die Aushängigkeit von Giacomo Sferlazzo, seiner Weltsicht und seiner Musik schon mal dieses Video von Tu e Io aus seinem aktuellen Album würdigen, welchas wir ja in dieser Sendung ausführlich vorstellen…

Oder auch die Ankündigung der Ausstellung ‚HUMAN RIGHTS?‘ #MIGRANTES von 2013 in Rovereto. Dann versteht ihr schnell, warum sich bei ihm auf das Wort Tortura (Folter) der Satz “Io non ho paura” (Ich habe keine Angst) reimt. Und warum ich mir in dieser Kulturstadt Salzburg” am liebsten die Bratpfanne auf den Kopf hauen möcht!

Ihr könnt uns aber auch in unserem Café Unstet besuchen…

ein so ein riesen haufen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. November – Über die Fremdbeeinflussung zur Selbstbestimmung oder die Macht der Worte zu Christophers Geburtstag. Ein Überraschungspaket. Vervollständige die Gedichtzeile aus folgenden Vorschlägen: Ein so ein riesen Haufen – Knabbergebäck, Scheißdreck, Volltrotteln, Gedanken, Ideen – ist mir noch nie untergekommen, muss erst einmal geschissen sein, verlangt nach guter Bearbeitung, hat seine ganz eigene Dynamik, geht sich jedenfalls nicht auf einmal aus! Der Titel ist immerhin Programm, und so stellen wir wieder einmal experimentelle Texte in einen entsprechenden Zusammenhang, auf dass sich ein Riesenhaufen Inspiration zusammenbraue. Dazu verhelfen uns diesmal die Industrie-Kapelle Laibach sowie die Electronic-Poesie-Pioniere des DJ-Kollektivs Scheiterhaufen aus dem Pinzgau…

riesen haufenUnd naturgemäß Ernst Jandl, der Großmeister der Wortbildgedichte und Klangraumpoeme hinterlistiger Sinnstiftung – sowie Elfriede Gerstl, deren wunderbare Werkausgabe von Christa Gürtler und Helga Mitterbauer zum Wiederentdecken der elegant formulierten Aufmüpfigkeit einlädt. Außen dran, als ein schönes Motto:

„nur wer die unattraktivität des fragmentarischen wählt scheint mir noch glaubwürdig – man muss alles tun um sich die marktchancen zu vermasseln“

Und innen Kulturkritisches von der Hellsicht und Zuspitzung eines Pier Paolo Pasolini:

„Das Potential an Phantasie, Ärger, Widerspruchsgeist der Auftretenden wurde nicht zensiert und beschnitten, doch mussten sie sich an einen vom Subventionsgeber gewählten Ort begeben, zu einer von ihm bestimmten Zeit, das heißt, man hatte sie samt Konsulenten und Klientel unter Kontrolle. ….. Für ein kleines Honorar und ausgestattet mit dem Privileg der Darstellung ihres Abweichens betreiben sie, sich herausgehoben fühlend, ein merkwürdiges Geschäft: die Zähmung Widerspenstiger durch Verlautbarung von Widerspenstigkeit.“

 

Viva! Roxy Music

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. November – Dass wir bei der Frage, was wir für gut und somit auch in ganzer Albumlänge spielenswert befinden, einen Scheiß auf irgendwelche Verkaufsrankings geben, das müssen wir eigentlich nicht mehr explizit dazu sagen. Und dass wir es nicht mit der Grundidee des freien Radios in Einklang bringen, auf mehrheitliche Musikvorlieben oder hergebrachte Hörgewohnheiten abzuzielen, weil uns der Quotenkasperl im Hinterkopf hockt, dürfte ebenfalls klar sein. Es gibt jedoch trotz alledem auch für uns bestimmte Kriterien, die wir bei der Auswahl eines Albums berücksichtigen. Im Fall von Viva! Roxy Music, einer Live-Compilation aus dem Jahr 1976, könnten wir es als “Vermittelbarkeit” bezeichnen. Oder, ob so ein Musikwerk aus längst vergangenen Zeiten eben auch heute noch – funktioniert

viva roxy musicGerade über Roxy Music ließe sich detailverliebt jede Menge obskures musikgeschichtliches Fachwissen zusammenschwadronieren, so dass einen der akademische Schwindel packt. Über Brian Eno zum Beispiel und seine stilbildenden Arbeiten mit dem VCS3 Synthesizer auf den ersten beiden Studioalben der Band. Oder überhaupt deren Einfluss auf Musiker_innen unterschiedlichster Genres, so etwa David Bowie, Kate Bush, Depeche Mode, Morrissey, Annie Lennox oder Grace Jones. Eh interessant, so wie vieles anderes auch noch, aber halt nicht wirklich emotional die Zeitbarriere überwindend. Denn um aufzeigen zu können, wie eine Band, ihre Musik und ihr Stil sich auf eine ganze Generation ausgewirkt haben, sollte man doch etwas intensiv Erlebbares anwenden. Etwas, das die Eigenart jener mit androgyner Symbolik spielenden Epoche zwischen Glamrock und Punk zu vermitteln vermag, so wie diese auch in dem Film Velvet Goldmine (1998) meisterhaft dargestellt wird. Zum Soundtrack dieses Films haben übrigens nicht nur Roxy Music als Band, sondern auch Bryan Ferry und Brian Eno als Solokünstler beigetragen. Es ist also wirklich ein Gefühlskriterium, das zur Auswahl des sehr rockigen Livemoments von Viva! geführt hat. Und vielleicht eine Gefühlserinnerung, die mit dem folgenden Song und dessen Text zu tun hat:

Inflatable doll
My role is to serve you
Disposable darling
Can’t throw you away now
Immortal and life size
My breath is inside you
I’ll dress you up daily
And keep you till death sighs
Inflatable doll
Lover ungrateful
I blew up your body
But you blew my mind

Roxy Music – In every dream home a heartache

 

Frische Texte! Frische Texte!

> Sendung: Artarium am Sonntag, 25. Oktober – Frische Texte aus dem Salzburger Untergrund, dass es Mozart schwindlig und Gott seltsam warm ums Herz wird. Gibt es noch Gefühlsmenschen, die mit der Macht ihrer Worte gegen die widerlichen Umstände antrotzen? Die mit Sprachkunst ihr eigenes Selbst verteidigen – und nicht einem immer gefälliger werdenden Literaturmarkt hinterher hoppeln? Aber ja doch, auch und gerade in diesem zur Kunsthochburg aufgeblasenen Provinzflecken, wo sich Jedermann bereitwillig bückt, wenn der jährliche Umsatz zum Pudern kommt. Aber hier gibts jetzt die allerfrischesten Texte gegen altväterliche Zeremonialhierarchie, eventorientiertes Tourismusmarketing und nationalsozialistisch-katholische Jugenddepression. Die Wurzel allen Übens ist also die Lust an der eigenen Aussage. Im Namen des Lebens…

sophieSo sind wir denn auch besonders beglückt, mit Sophie Lustig eine der drei Autorinnen von Women at Work (Dienstag, 27. 10. um 19:30 Uhr im Literaturhaus Salzburg) bei uns zu Gästin zu haben. Zumal sie ihre eigens für diese Veranstaltung in Vorbereitung befindliche Textcollage “Jugend ohne Gott” vorstellen wird, was soviel heißt wie live performen! Kleiner Vorgeschmack gefällig?

Im Anfang war nicht das Wort, sondern der Lebenslauf. Gott hat sich zwischen den Zeilen zu verstecken – als codiertes Zeichen. Er ist nicht mehr da, und schon gar nicht, wenn man ihn gerade braucht. Er ist nicht mehr da. Er ist nicht mehr. Er ist nicht. Er ist.

Er ist in den Regentropfen, er ist in den Blättern, in den Bäumen. Er ist du und er ist ich. Und egal, ob wir ihn oder sie oder es Gott, Allah oder Hans-Peter nenen, will er nicht, dass wir unser Leben nach vorgegebenen Büchern oder Gesetzen leben, sondern erzählt uns über alles und nichts gleichzeitig.

unsere herzenMit nebenstehendem Denk-Satz aus “Jugend ohne Gott” möchte ich nun zu einem weiteren Projekt überleiten, welches unsere friedensbewegte Textschau nachhaltig befruchtet: Peer de Beer von Stoned Poets – Dichte Dichter hat einen Beitrag der Radiofabrik zu Aufgeblättert – Literatur aus der Gegend gestaltet, der am Nationalfeiertagsmontag, 26. Oktober österreichweit um 17 Uhr ausgestrahlt wird. Und darin kommen neben Lisa-Viktoria Niederberger, Marko Dinic und Peter.W. auch Chriss sowie ich selbst zu Wort – und somit eben zur Geltung – das ist für sich sprachlich ausdrückende Menschen eine soziale Grundnahrung. Um aber unserem Anspruch auf das Hörbarmachen von Schaffensprozessen in der Wortwerkstatt ebenfalls gerecht zu werden, wollen wir einen weiteren „Text in Produktion“ zu Gehör bringen, und zwar einen bislang noch nirgendwo vorgetragenen aus der Verbearbeitung von Christopher Schmalls Frohnleitner Schreibklausur-Aufzeichnungen mit dem Arbeitstitel “Dort”

Wie aber jetzt den Sack zubinden, allein die hier angerissenen Themen und Verweise zusammenführen, vielleicht unter einem Überbegriff wie Texte gegen das Monopol? Dann grab ich halt auch noch einen aus, der heißt Neues von Gott” und ist zum Lachen böse – schon beißt sich der Hund (endlich) in den Schwanz. Bitte. Danke!