> Sendung: Artarium vom Sonntag, 10. Juli – Ein Bandname zum Verlieben: Flowerpornoes – die logische (und durchdachte) Weiterführung von Blümchensex zum Breitwandvideo. Und ein Albumtitel, der mich auch augenblicks in seinen poetischen Bann zieht: “Wie oft musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?” In den 80ern, als Tom Liwa (noch vor Blumfeld etc.) auf Deutsch zu texten und singen begann, hab ich das (wie so vieles in den 80ern) nur am Rand mitbekommen. Als aber 2007 nach über 10-jähriger Bandpause das Album zur tiefgründigen Wiedervereinigung der immerwährenden Kultband herauskam, da war ich bereiter für jene lyrisch verklausulierten Offenbarungen, die das Schaffen rund um diesen so rätselhaft vertraut wirkenden Tom-Liwa-Kosmos ausmachen.
Auf der Suche nach erhellendem Begleitmaterial stieß ich auf der Seite des Hamburger KNUST auf einen außergewöhnlichen Text zu Tom Liwa, der unter anderem das früher schon von Peter Gabriel eingeforderte Gleichgewicht aus Verborgenem und Hergezeigtem hervorstreicht, das jeglicher guten Kunst zugrunde liegt. Oder, wie ich das auch formulieren würde: “Liebe ist ein angewandtes Paradoxon.” Der Autor dieser sehr lesenswerten Betrachtungen dürfte der Erlanger Musiker Peter “Point” Gruner (und nicht Gruber) sein der uns mit seiner Band “Die Spielverderber” einen schönen Song über Verschwörungstheorien und Esoterikgeschwurbel dargebracht hat: “Ich hab das Licht gesehen”. – Weil der so wissend und einfühlsam über das Entstehen von Tom Liwas Texten und Liedern zu schreiben versteht, zitiere ich ihn hier ausführlich:
“Wie oft musst du vor die Wand laufen bis der Himmel sich auftut? Eine Textzeile und ein Albumtitel, der für Tom Liwa mehr sein dürfte als nur eine rhetorische Frage. Das Suchen, das Hinterfragen, die Sehnsucht nach Vollkommenheit treibt die Kunst im Allgemeinen an. Und Tom Liwa im Speziellen. Wobei man sich den Duisburger Sänger und Songschreiber, diesen vielschichtigen Spielmann, Dichter und Philosophen, diesen Traumtänzer und Traumdeuter kaum vorstellen kann, wie er sich zornig, mit blutiger Stirn, gegen unnachgiebige Widerstände wirft. Eher läuft er um die Wand herum, springt drüber oder spaziert einfach mitten durch – sind die Dinge doch selten das, was sie scheinen.
Und genau das ist es auch, was Tom Liwa, seit er Mitte der Achtziger Jahre mit den Flowerpornoes auf der Bildfläche erschienen ist, bis heute so faszinierend macht: Man kriegt ihn einfach nicht zu fassen. Es gibt kaum einen deutschen Songschreiber, der in seinen Liedern so viel von sich preisgibt und dennoch so rätselhaft bleibt. Zu offenen, schwebenden Gitarrenakkorden vermengt er Autobiografisches mit surrealen lyrischen Bildern, die oft wie eine Brücke wirken zwischen dem Bewussten und dem Unterbewussten. Wenn Tom Liwa von den Schauplätzen seiner Kindheit und Jugend singt, dann klingt das nicht nostalgisch, sondern vielmehr wie ein Eintauchen in den großen, unergründlichen Strom der Zeit, in dem es keinen Unterschied gibt zwischen Gestern, Heute und Morgen, zwischen Geburt und Tod. Singt er von der Liebe – und das tut er fast immer, auf die eine oder andere Weise – dann kann das angesprochene Gegenüber eine Frau sein, genauso gut aber auch ein höheres Selbst oder der innere Schweinehund.
Vermutlich trifft auf Liwa das Gleiche zu, was der Humorist Wiglaf Droste mal über Van Morrison geschrieben hat. Dessen Gesänge seien “Zwiegespräche mit seinem Gott, die manche Leute als Songs missverstehen”. Dass ihm dabei nicht mal halb so viele Menschen zuhören wie er verdient hätte mag ihn kränken oder ihm egal sein. Tom Liwa wird so oder so weiter bergeweise Songs schreiben, wird weiter mit Skepsis und Anteilnahme, mit Liebe und Spott auf die Welt und seine eigenen Befindlichkeiten blicken, wird seinen inneren Kosmos immer wieder neu vermessen, nur um festzustellen, dass er genauso begrenzt wie grenzenlos ist. Und wird uns einen Spalt weit die Tür öffnen zu einer Welt, die immer genau so schön ist, wie wir sie uns erträumen.”