Feine Verwurstwaren

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. FebruarEverything is a Remix! Coverversionen und Verbearbeitungen zwischen inspirierender Interpretation und plakativem Plagiat. Und wo ziehen wir die Grenze  – zwischen Kunnst und Aluhut? Vielleicht beim alten Goethe. “Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.” Oft hängen sich ja strebsam Musikhampelnde ein Stück größeren Namens zur eigenen Darsingung um, nur damit sie ihren Marktwert erhöhen und sich im Airplayranking ihrer Popkarriere ein paar Leitersprossen hinaufpimpern. Das ganze grausliche Formatgeschäft lebt vom Wiederholwiedern des Längstbekannten. Und bsundas schiach, weil gebührenfinanziert, tut – tut – tut das die Endloswarteschleife namens Ö3 mit ihrer hirnöden Fahrstuhlmusik für weichgespülte Durchschnitten.

introductionSchön also, dass es uns gibt. Sonst wär noch viel mehr zum Speiben als eh schon. Und damit – schwupps – zu den ernsthaften Beiträgern für unser heutiges Verformationsfest. Schon Gottfried Wilhelm Laibach (oder war es doch Slavoj Žižek?) bemerkte ja bekanntlich: “Humor schließt Ernsthaftigkeit nicht aus – und umgekehrt.” In diesem Sinne lassen wir diesmal Künstler_innen zu Wort und zu Geräusch kommen, die sich intelligent-ironisch mit der Endloswelt des Zitierens befassen. Unter einigem anderen auch das slowenische Kunstkollektiv LAIBACH, welches seit seinen Anfängen in den 80er Jahren mit allerlei Coverversionen (Queen, Beatles, Stones…) umgeht – und diesen Prozess noch dazu theoretisch reflektiert. Da ist etwa vom “Übertragen gängiger Formate in den Laibach-Kontext” die Rede. Oder sogar von deren “gewaltsamer Wiederaufbereitung” zum Zweck des “Enthüllens der unterdrückten Wünsche ihrer Kompositeure”. Und was erschließt sich uns, wenn wir diese Arbeiten wieder in einen neuen Kontext übertragen? Zwischen Secret Chiefs 3 und Collide, Eluveitie oder Blackfield ist da gewiss noch genug Hörraum für kreative Ohrrüben

“Nun wäre es zwar möglich, all dies “bloß” als einen Witz aufzufassen. Doch damit würde man die aufgezeigten Themen ignorieren – und die Dominanz der Postmodernen Spaßkultur bestärken! Laibach hingegen finden es lächerlich, die “ursprünglichen Originale” für künstlerisch bedeutsam oder politisch unbedeutend zu erachten. Wenn nämlich die Mythen, die diese Songs umgeben, eine kulturelle Kraft entfalten, dann müssen diese auch politische Macht besitzen. Bei Laibach nur auf den Humor zu achten wäre genauso ein Missverständnis, wie nur das Politische wahrzunehmen.”

(Text: Alexei Monroe – übertragen von Norbert K.Hund)

 

Selbstbildung

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Februar – Was ist Bildung? Funktioniert das im Radio? Und wenn ja – wie nicht? Darüber machte sich auch Barbara Frischmuth zum 3. Radiopreis der Erwachsenenbildung im Jahr 2000 ihre Gedanken, welche sie bei dessen Verleihung in Form einer Festrede zum Selbstmitdenken vortrug. So verstehen zumindest wir diesen Umstand, dass nämlich jedwede öffentlich gemachte Überlegung eine freundliche Einladung zum Weiterdenken, Weiterentwickeln und Selbstweiterbilden darstellt. Schon haben wir den Kern der Fragestellung erfasst – “etwas zu bilden” ist ein aktiver Vorgang in der Vorstellung des Publikums. Ganz im Gegensatz zum passiven Belehrt- und Geknetetwerden nach der Vorstellung der Sendenden, als was Informationsvermittlung doch oft missverstanden wird.

radioNehmen wir dieses Thema einmal zum Anlass einer Untersuchung, wieviel “Vorbildung” ein Mensch denn mitbringen müsste, um sich mithilfe dieser Radiosendung eine hirnreichende Befriedigung durch synaptische Neuverschaltung zu besorgen. Wenn da etwa Barbara Frischmuth in ihrer Rede feststellt:

“Damit ist das Dilemma auf dem Tisch. Nämlich das der Erwachsenenbildung im Radio, die immer schon Bildung voraussetzt. Natürlich kann sie auch mit der Suggestivkraft von Stimmen Hörer in ihren Bann ziehen, doch riskiert sie dabei, dass dann das Inhaltliche zur Nebensache wird. Im Grunde ist es wohl so, dass nur Erwachsene, die bereits soweit gebildet sind, dass sie mehr davon haben möchten, sich Sendungen zur Weiterbildung anhören. Wohingegen die anderen bei den Wortsendungen erst gar nicht einsteigen.”,

und wir in unserer Sendung Hip-Hop-Samples aus einem Gespräch mit Rudi Dutschke spielen, dann stellt sich die Frage, ob und inwieweit man die Person Rudi Dutschke vorab kennen muss, um “etwas davon zu haben” im Hinblick auf die eigene Bildung. Zum Hörbeispiel: “Gefängnisrevolte” aus “Echolot” von Syndikat (Albino & Nesti)

Günter Gaus: Ich behaupte nun aber, daß jede ideologisch geprägte Politik in unserer heutigen Zeit, in unseren Industriestaaten, im Grunde menschenfeindlich ist. Sie zwingt den Menschen auf eine vorgezeichnete Bahn, der er folgen muß, damit es den späteren Menschen einmal besser geht.

Rudi Dutschke: Nein, es wird nichts vorgezeichnet. Das Vorzeichnen ist ja gerade das Kennzeichen der etablierten Institutionen, die den Menschen zwingen, etwas anzunehmen. Unser Ausgangspunkt ist Selbstorganisation der eigenen Interessen und Bedürfnisse…

 

Halleluja Rainald Grebe

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Februar – Er bietet das Vielfältigste, Hintergründigste und Abgedrehteste, das derzeit im deutschen Sprachraum unter den Begriffen Musik, Theater und Kabarett zu erleben ist. Vor allem aber sprengt er die Grenzen der Definitionen – und macht aus allem, was er auf die Bühne stellt, eine noch nie dagewesene Mischform – genau das gefällt uns naturgemäß ganz besonders. Er spricht in Interviews offen über Drogen und seinen Zivildienst in der Psychiatrie, spielt in Jugendzentren, Kellertheatern – und auf der Berliner Waldbühne. Oder im Volkspark Wuhlheide, wo er vor 15.000 Zuschauern die DDR-Weltjugendspiele von 1973 “zum Nacherleben” bringt. Für ihn ist eben alles, was ihm so begegnet, immer auch “Absurdes Theater” – das merkt man seinen Auftritten sogar vollnüchtern an.

WuhlheideDer studierte Dipl. Pup. (Diplompuppenspieler) wird als Dadaist der Kleinkunstszene, als experimentell, eigenwillig und absurd komisch beschrieben. Seine Selbstdarstellung ist aber auch stets eine Fundgrube für Neugierige und Eigenartige. So prophezeit der “Verrückte bei klarem Verstand” über sein (eben auch diese Sendung prägendes) Konzert – oder besser Happening: “Spring nie zweimal in denselben Fluss, sag ich mir gleichzeitig – und werde alles dafür tun, dass Halleluja Wuhlheide kein Aufguss wird, sondern ein Unikat. Monate proben für den einen großen Abend. Mit brandneuen Songs und Klassikern, mit Gästen, Freunden, Wegbegleitern. Die einmalige Verschwendung.”

Es geht mir gut, ich kann nicht klagen,
auf du und du mit meinen Spareinlagen,
hier im Auenland lächelt die Heidi Klum
und an den Rändern fliegen die Nazguls rum.
Lampedusa, Lampedusa, ich rasier mir die Beine,
und wer Nazis nicht sucht – na, der findet auch keine.
Die Arche Noah ist ein schönes Schiff,
Tina – there is no alternative.
Mein Nachbar schläft auf dem Sofa ein
und der Vettelvettelvettel, der fährt immer im Kreis.
This world is doomed – doch ich denke oft,
solang Roland Kaiser tourt, ist doch alles soft,
im Kokon…

Komm in den Kokon!

PS. Link zur Sendung vom 10. August 2014: “Rainald Grebe – auch mit Band!”

 

Snökuken

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 31. JanuarSchneepenis, Pflückgedicht und StreetArt. Kunnst, im öffentlichen Raum? Dem Monolog der Mächtigen das Eigene entgegnen, mit Inbrunst. Hinbrunzt! Die uns angeblich allen gehörenden Lebensräume werden zunehmend verprivatisiert, das heißt den wirtschaftlichen Interessen ihrer “Besitznehmer” zweckgewidmet. Zu abstrakt? Dann nochmal langsam zum Mitdenken: Ein gewisser “Staat” in Gestalt von Bundes-, Landes- oder Gemeindeverwaltung erhebt (auf was hinauf eigentlich?) Eigentumsanspruch auf unser aller Lebensumgebung und Umwelt. Gegen Bezahlung tritt er (der Staat) dann bestimmte Rechte (unsere!) zur Verwertung des Allgemeinguts (unseres!) an “private Investoren” (anonyme Firmen oder geldschwere Einzelpersonen) ab – und verbietet uns dann die weitere Nutzung.

snökukenEin solches Geschäft kann als sittenwidrig und somit als nichtig angesehen werden, zumal es ohne Zustimmung der Miteigentümer zustande gekommen ist. “Aber das ist alles ganz legal”, werden uns die uns (das Volk) vertretenden Volksvertreter sogleich erklären, “und jede Art von Graffiti ist eine Sachbeschädigung und die Benutzung des öffentlichen Luftraums zwecks Meinungsäußerung ist eine Geschäftsstörung.” Das mag schon sein, dass seit der Erfindung der Republik Österreich und ihrer Verfassung ein paar windschiefe Juristen diesbezügliche Gesetze zu Papier geschissen haben – doch ist etwas schon deshalb wahr (und richtig), nur weil es wo geschrieben steht? Und kommen denn die Erträge aus diesen dubiosen Luftgeschäften wenigstens nachweislich “dem Volk” zugute, aus dessen Eigentum sie generiert wurden? Aber nicht doch! Statt sich im Wohlergehen des Gemeinwesens förderlich auszuwirken, verschwinden die uns listig abgeluchsten Gelder im Dickicht der internationalen Finanzwirtschaft – zur Rettung von Banken, zur Stützung von Kursen, zur Verplemperung in dysfunktionaler Repräsentation, kurz zum Sichfickenlassen von allem und jedem, was auch nur entfernt nach Investitionsklima miachtelt. Pfuigack!

barbara jesusLetztendlich wären wir gern gefragt worden, in was für einer Welt wir leben wollen – und zwar bevor man sie “zu unserem Besten” derart verunstaltet, dass wir uns in ihr kaum wiedererkennen. Letztendlich geht es dem Menschenwesen um den Dialog, um Frage und Antwort, um gemeinsames Erarbeiten von Lösungen – und nicht darum, dass uns von oben herab “Wahrheiten” übergestülpt werden, die nichts mit uns zu tun haben, aber erkennen lassen, dass sie den Interessen derer dienen, die da oben sitzen, von wo herab sie uns im Befehlston “den rechten Weg” verordnen. Gehts doch scheißen – aber bitte woanders hin! Es ist ein einziges Propagandagedröhn, das uns permanent zuquasselt, tagein, tagaus, von Schildern und Plakaten, aus Auslagen und Fernsehern, Gasthäusern, Geschäften, Nachrichten, Netzwerken, Popsongs, Radioshows, Universitäten. Die Orgel des Untergangs ist immer und überall! Und der Fleischwolf der Gedankenstopfwurst ist in unseren Köpfen, seit wir auf der Welt sind.

Sich zur erlebten Welt selbst zu äußern (in welcher Weise auch immer) ist gesund! Doch wie kann Eigenes wahrgenommen werden, solang ringsum das Fremde dröhnt? Unsere Ideen dazu: Zettelpoet Helmut Seethaler und StreetArt-Künstlerin Barbara, der Schneepenis von Göteborgoder doch der Graffiti-Krieger KIDULT, dessen brachiales Video “Visual Dictatorship” ganz neue Getreidegassen-Gefühle erzeugt?

 

Crude and unplugged

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 24. Januar – Die Band aus Bürmoos präsentiert ihr Debutalbum “Tied at the end” live bei uns im Studio – und stellt sich als ein etwas anderes Musikprojekt vor. Zum Beispiel antworten sie auf die nicht ganz undepperte Interviewfrage “Warum macht ihr eigentlich Musik?” schon mal großartig lapidar mit: “Weils uns taugt.” Eben! Kunst ist kein Markt und Musik kein Business, auch wenn uns die gekauften Tröten des Weltmarktglaubens ständig das Gegenteil einorgeln möchten. “Ned olles, wos an Wert hot, muaß a an Preis hom” konstatierte ja schon der gar nicht so erfolglose Austropop-Mitbegründer Wolfgang Ambros 1982 in seinem Lied “A Mensch möcht i bleibn”. Demgemäß nunmehr herzlich willkommen, denn hier geht es um das echte Feeling – und, hallo – “der Mainstream is uns wurscht!”

crude“Es geht nämlich darum, ob man etwas glaubhaft vertritt, das für die Zuhörer nachvollziehbar, vor allem nachfühlbar ist – oder ob man nur imitiert, einfach nachkasperlt, damit es beim Zuhörer schnell einmal klingelt oder beim Radioredakteur irgendeine Assoziation hervorruft. Oder, ob es spürbarerweise aus dem eigenen Schaffen kommt und so klingt, wie das, was einem taugt.” Dies ein kurzer Auszug unserer Sumpfblüten-Nachtfahrt vom letzten Oktober, in der wir das vorab veröffentlichte Video von “Tied at the end” bereits vorgestellt haben (hier ab Minute 92 gut zu hören). Dem haben wir nichts hinzuzufügen – abgesehen davon natürlich, was sich bei unserer Begegnung im Studio von selbst ereignen wird…

Manche meinen, wir featuren alles und jeden, wo einen dreiakkordigen Schas lasst und nicht bei drei am Baum sitzt, weil wir nämlich Radio machen und da gehört sich das eben so, dass man irgendwem irgendwie die geheimen Erwartungen massiert. Doch diese Ohrrüben haben den feinen Unterschied zwischen dem freien Rundfunk und einer (gern auch öffentlich-rechtlichen) Medienindustrie noch nicht verstanden. Dem, wovon wir hier begeistert berichten, könnt ihr euch jedenfalls selbst aussetzen, und zwar bei der CD Release Party (5. Februar, 20 Uhr in der Mainbar Oberndorf) oder beim Konzert mit Krautschädl (26. März um 18 Uhr im Jazzit). Zum Wohlsein!

 

David Bowie – ein Vermächtnis

Sendung: Artarium vom Sonntag, 17. Januar – Kein Trauerspiel, kein Nachruf, keine Sendung über David Bowie! Vielmehr für und mit ihm… Die Musik spricht, wir geben ihr Raum, verlieren nicht allzu viel Worte. Zumal uns ohnehin die Luft weg zu bleiben droht und die Traumbilder uns überholen. Wir laden euch also ein auf eine Fahrt in dunkelbunte Betrachtungen:

back in…da war plötzlich dieses Pochen, dieser Herzsprung, tausendfarbige Funken, die im Raum schweben blieben, während das Zwielicht des dämmernden Morgens mir Labyrinthe auf die Haut malte. Da war auch ein gewisser Rausch, eine Art Berauschung, ein Fluten und Stöhnen, schlußendlich ein Begreifen und Spüren; ein in Rot getünchter Moment.

„I’m floating in the most peculiar way“ – es traf mich zwischen den Augen. Er traf mich. Ich träumte nicht. Es regnete Perlen. Es regnete Masken. Ich kleidete mich in Klänge. Mosaike aus Spiegelscherben, eine samtene Geste, vielleicht eine Ahnung oder unendliches Weiß, der Schnitter Tag und Zigaretten zwischen den Zeilen. Es ist mehr, sagte ich, es ist mehr da, sagte ich, warf mich durch die Bildschirmwunder und schrieb taumelnd die Blässe vom Himmel.

Der Tod leuchtet matt in unsre Leben : ein schwarzer Stern.
Da waren deine Augen. Da war wieder das Pochen; feine Brüche und Disharmonien. Nichts geht mehr unter die Haut. Ich wechsle das Gesicht, die Farbe, den Schein; trete nach außen, pflücke den Mond, lege ihn dir auf die Stirn. Wir streifen die Zeit ab, wir stehlen die Zeit, wir wanken von Zeit zu Zeit. Zaghaft dein Blick, meine Hand noch zögernd; zusammen, einen Tag, für einen Tag, was für ein Tag, nur dieser eine Tag… 

 

Rapistsophie

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. DezemberRap ist Jule: Gregor Gysi interpretiert K.I.Z-Texte (Video). Zum Jahresschluss sprengen wir noch einmal alle Definitionen – und ergehen uns mit starken Frauen im Hip-Hop-Journalismus. Das deutsche Szene-Magazin “Rap Ist” onaniert nämlich nicht nur mit den Parisern des Insiderschmähs, sondern überschreitet auch absichtsvoll die Sprachgrenzen des Eingeweihten. Vor allem die weiblichen Mitglieder (sic!) konfrontieren einerseits die Deutschrapper mit Fragen nach “sexueller Gewalt gegen Frauen” in ihren Texten (ein ganz ausgezeichnetes Video!) und inszenieren andrerseits den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei als politischen Interpreten durchaus derben K.I.Z-Liedguts. Für uns eine Übersetzungsleistung, die längst überfällig war!

rapistjule1Ist es nicht ein Kennzeichen der etablierten Hoch- und Geldkultur, dass sie nur von Eingeweihten, die den vorherrschenden Code auch verstehen, konsumiert werden kann? Wo verläuft in der Hip-Hop-Szene die Grenze zwischen Selbstironie und Anpassung ans Geschäft mit der sehr elitärenrapistjule2 “Ich kann etwas, was du nicht kannst”- Kunst? Und, tut es bei solch Überlegung nicht unendlich gut, zu wissen, dass da draußen noch jemand ist, der/die immerhin eine Möglichkeit zum Erkennenkönnen eröffnet – auch für Außenstehende, auf dass sich die Welt wieder reime? Zum Glück haben wir hier in Salzburg ebenfalls rapkundiges Fachpersonal am Start, und so können wir euch einige Ausschnitte aus ein paar legendären Rap-Ist-Interviews zu Gehirn bringen, naturgemäß remixed und in den Kontext der jeweiligen Musik gesetzet. Damit nicht genug, wollen wir über diese herzliche Empfehlung hinaus noch auf einige vernachlässigte Aspekte des Rap-Genres, des Hip-Hop und Rock Crossovers und des unverständlich Fremdssprachigen verweisen, was uns gröbere Freude bereitet:

NoizeMC - Rap aus RusslandIn Deutschland sowie auch in Österreich ist ganz leicht blöd daherreden und sich dann im selbstgelassenen Darmwind des bildungsbürgerlichen Skandälchens interviewgebend zu sonnen. Hierzulande wird einfach niemand bloß wegen seiner/ihrer Texte verfolgt! Anders in Russland oder im Iran – also wo finde ich die Gespräche mit Shahin Najafi (der ja in Deutschland lebt) oder die Übersetzungen von Noize MC (der wegen seiner Aussagen bedroht wird)? Die üblichen Verdächtigen sind noch längst nicht “die Szene”, auch wenn sie Crack Ignaz dissen und “klaut Rap” so buchstabieren. Folgerichtig erweitern wir unsere Sendung um eine Koproduktion von Noize MC und Lyapis Trubetskoy “Bolt” – doch MÜSST ihr euch den Track als Video von Alexey Terehoff anschauen – erst dann werdet ihr auch unsere Visionen haben.

Käptn Peng: “Das O ist durchsichtig” (Artarium-Interview)

 

Es darf gezupft werden

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Dezember – Liebe Weihnachtsochs- und Eselinnen, an diesem 4. Adventsonntag packen wir noch einmal unseren Bastelsack aus und dübeln uns ein Synoptikum zusammen für eine behelfsbessere Welt. Denn nichts hilft gründlicher gegen die vorweihnachtliche Feuchtfröhlichkeit als eine gute Portion selbstkritischen Humors. Von den alsbald dräuenden Bescherungsbrimborien und Familienfestorgien einmal ganz zu schweigen – die übersteht ohnehin nur, wer sich rechtzeitig dagegen immunisiert, unterm Grüßgottbaum zum Christgsindl zu werden. “Schrille Nacht, eilige Nacht”, der Zwerg ruft, schon bald schauen wir alle drein wie Luis Trinker im Schnee. Oder wie Karl Heinrich, der nach Hause waggerlt. “Event, das ist die billigste Zeit im Jahr.” Und wir basteln uns eine Schutzimpfung!

painted structuresStill, still, still,
weil’s Kindlein schlafen will.
Maria tut es niedersingen,
ihre keusche Brust darbringen.
Still, still, still,
weil’s Kindlein schlafen will.
Schlaf, schlaf, schlaf,
mein liebes Kindlein, schlaf!
Die Englein tun schön musizieren,
vor dem Kripplein jubilieren.

Schon dieses “alte Salzburger Volkslied” offenbart erheblich Widersprüchliches, geradezu himmelschreiend Ungereimtes. Oder wie soll das arme Kindlein endlich einschlafen können, wenn es ringsumher alles andere als still zugeht? “Niedersingen” ist ja an und für sich schon eine Ausdrucksweise, die Helmpflicht für Neugeborene nahelegt. Aber dann die “Englein”, und man weiß doch, dass das Chöre waren, ganze Heerscharen sogar, wie um Himmels willen oder in drei Teufels Namen soll man bei dem ganzen Gedröhn auch nur im entferntesten an Schlaf denken? Hä? Und so sind viele der Bilder und Vorstellungen (und Weihnachtslieder, verdammt!), mit denen wir aufgewachsen wurden, voll von doppelten Böden und hintersinnigen Botschaften. (Siehe das Bild oben). Doch wie können wir nun diese Scheinwelt wieder entzaubern?

Indem wir die Wirklichkeit, die wir vorfinden, bis zu ihrer Kenntlichkeit enstellen. Oder lassen. Zerlegen wir also Weihnachtslieder, Volksmusik, Waldorfkindergärten und die Unkultur des Fernsehens. Und lassen wir uns dabei untermalen von Die Roten Rosen, Jazzkantine, Potentia Animi und vor allem Jochen Malmsheimer, der dem Format im Fernsehen eine Bußpredigt hält, dass es die postmodernen Spritzbeutel verstopft.

“Vorgang, der die Ventilation sexueller Überdruckgefühle in Eigenarbeit zum Inhalt hat.”

Schpritzmajim!

 

Quando sono assente mi manco

Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Dezember – Allein schon der Titel des Albums von Giacomo Sferlazzo ist eine philosophische Herausforderung. “Wenn ich abwesend bin, vermisse ich mich”, lautet die Übersetzung. Doch abwesend wovon? Von einem Menschen, einer Gegend, geistesabwesend? Vom eigenen Selbst entfernt, entfremdet? Und vermissen? Da fehlt was, geht einem was ab, das tut weh – mir mangelt” ist nicht nur dem Klang nach mit “manco” verwandt, sondern geht tatsächlich aufs lateinische “mancus” für “gebrechlich, verkrüppelt, verstümmelt” zurück. “Wenn ich nicht da bin, fehlt mir ein Fuß“, könnte man also auch sagen. Gäbe es ein besseres Motto für einen Mann, der als Aktivist und als Künstler seine Heimat Lampedusa aufmischt, diesen bizarren EU-Außenposten im längst stattfindenden Krieg Arm gegen Reich?

Giacomo Sferlazzo“Liedermacher Giacomo Sferlazzo aus Lampedusa besingt nicht nur die Tragödien, die sich im Mittelmeer mit Flüchtlingen abspielen. Er hat auf seiner Heimatinsel auch ein Museum eröffnet, das den Besuchern den Atem stocken lässt. Denn die Exponate sind die bescheidenen Habseligkeiten von Flüchtlingen. Nicht nur Wasserflaschen oder Rettungswesten von Überlebenden, sondern auch vom Meer an Land gespülte letzte Erinnerungen an verlorene Seelen, denen das Meer zur Grabstätte geworden ist.” – So beginnt ein feines Portrait dieses mitfühlenden Widerspenstigen, das Wolfgang Maria Gran und Joachim Bergauer unter dem Titel “Der Herr der Dinge” auf ihrer etwas anderen Nachrichten-Agentur BQ-Media veröffentlicht haben. Ihnen verdanken wir nicht nur das obige Foto von seinem Ausstellungsraum aus den Schwemmholzplanken versunkener Flüchtlingsboote (hier ein schon etwas älterer ttt-Beitrag zum Projekt des “Museo delle Migrazioni”), sondern überhaupt das Kennenlernen seiner musikalischen Arbeit – und die hat es ebenfalls abgrundtief in sich! Denn der umtriebige 35-jährige Cantautore (und das ist beileibe mehr als bloß “Liedermacher”) verarbeitet die vielfältigsten Einflüsse

Dazu ließe sich jetzt noch eine ganze Menge daherschreiben, doch wir wollen uns ja nicht überanstrengen (und eine musikwissenschaftliche Arbeit soll das hier auch nicht werden). Ihr könnt als Vorgeschmack auf die Aushängigkeit von Giacomo Sferlazzo, seiner Weltsicht und seiner Musik schon mal dieses Video von Tu e Io aus seinem aktuellen Album würdigen, welchas wir ja in dieser Sendung ausführlich vorstellen…

Oder auch die Ankündigung der Ausstellung ‚HUMAN RIGHTS?‘ #MIGRANTES von 2013 in Rovereto. Dann versteht ihr schnell, warum sich bei ihm auf das Wort Tortura (Folter) der Satz “Io non ho paura” (Ich habe keine Angst) reimt. Und warum ich mir in dieser Kulturstadt Salzburg” am liebsten die Bratpfanne auf den Kopf hauen möcht!

Ihr könnt uns aber auch in unserem Café Unstet besuchen…

ein so ein riesen haufen

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 22. November – Über die Fremdbeeinflussung zur Selbstbestimmung oder die Macht der Worte zu Christophers Geburtstag. Ein Überraschungspaket. Vervollständige die Gedichtzeile aus folgenden Vorschlägen: Ein so ein riesen Haufen – Knabbergebäck, Scheißdreck, Volltrotteln, Gedanken, Ideen – ist mir noch nie untergekommen, muss erst einmal geschissen sein, verlangt nach guter Bearbeitung, hat seine ganz eigene Dynamik, geht sich jedenfalls nicht auf einmal aus! Der Titel ist immerhin Programm, und so stellen wir wieder einmal experimentelle Texte in einen entsprechenden Zusammenhang, auf dass sich ein Riesenhaufen Inspiration zusammenbraue. Dazu verhelfen uns diesmal die Industrie-Kapelle Laibach sowie die Electronic-Poesie-Pioniere des DJ-Kollektivs Scheiterhaufen aus dem Pinzgau…

riesen haufenUnd naturgemäß Ernst Jandl, der Großmeister der Wortbildgedichte und Klangraumpoeme hinterlistiger Sinnstiftung – sowie Elfriede Gerstl, deren wunderbare Werkausgabe von Christa Gürtler und Helga Mitterbauer zum Wiederentdecken der elegant formulierten Aufmüpfigkeit einlädt. Außen dran, als ein schönes Motto:

„nur wer die unattraktivität des fragmentarischen wählt scheint mir noch glaubwürdig – man muss alles tun um sich die marktchancen zu vermasseln“

Und innen Kulturkritisches von der Hellsicht und Zuspitzung eines Pier Paolo Pasolini:

„Das Potential an Phantasie, Ärger, Widerspruchsgeist der Auftretenden wurde nicht zensiert und beschnitten, doch mussten sie sich an einen vom Subventionsgeber gewählten Ort begeben, zu einer von ihm bestimmten Zeit, das heißt, man hatte sie samt Konsulenten und Klientel unter Kontrolle. ….. Für ein kleines Honorar und ausgestattet mit dem Privileg der Darstellung ihres Abweichens betreiben sie, sich herausgehoben fühlend, ein merkwürdiges Geschäft: die Zähmung Widerspenstiger durch Verlautbarung von Widerspenstigkeit.“