Der österreichische Mittagstisch

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. JanuarWas genau ist ein Nazi? Und warum finden wir ihn immer in der Suppe – wie das längst sprichwörtliche Haar? Was will uns Thomas Bernhard (der Dichter) damit sagen, wenn unser Hausvater entnervt in den Suppenteller drischt und dabei “Nazisuppe! Nazisuppe!” schreit? Unter dem Titel “Der deutsche Mittagstisch” versammeln sich sieben Dramolette (Kurz- und Kürzestdramen), die allesamt das unterschwellige Weiterbestehen von nationalsozialistischer Geisteshaltung in der bundesdeutschen Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Wir erlauben uns, das titelgebende Stück daraus in einer neuen Österreich-Version vorzstellen. Ganz im Sinne seines Autors, der uns bei jedem Mittagstisch auch den braunen Sumpf unserer nazikatholischen Heimat vorsetzt.

Die Nazisuppe für den MittagstischZumal die als Wiener Rindsuppe bekannte klare Brühe, welche das Grundrezept für die hier erwähnte Nudelsuppe ist, allgemein als die österreichische Nationalsuppe schlechthin bezeichnet wird. Von dieser ist es nur noch ein kleiner Schritt zur besagten Nazisuppe. Und die, im alpenkatholischen Weihnachtsgebräuch verbreitete Würstelsuppe als eine Steigerung der Nudelsuppe, in der die kleinen Wiaschtln herum schwimmen, bildet erst recht eine zutiefst Bernhard’sche Metapher für den abgründigen Brodeltopf des deutschösterreichischen Geisteszustands… Während einem da von der Oberfläche die offiziellen Fettaugen freundlich entgegen schmunzeln, wallt und wabert darunter im Trüben gefährlich der heimliche Untergrund. Suppe und Schund, Masse und Matsch, die tatsächliche Beschaffenheit ungaren Menschenteigs: mitläuferisch, obrigkeitshörig und fügsam. Genau da müssen wir das Dargestellte abstrahieren, wenn wir es in die Gegenwart übersetzen wollen, ins zeitlos Bleibende nichtausgestopften Lebens. Was also ist ein Nazi? Was macht die Geisteshaltung einer Gesellschaft aus, die gegen jegliche von der jeweiligen Norm abweichende Eigenart mit der dumpfen Absicht zu deren Ausmerzung vorgeht?

Dazu Thomas Bernhard (Die Ursache): “Meine Heimatstadt ist in Wirklichkeit eine Todeskrankheit, in welche ihre Bewohner hineingeboren und hineingezogen werden, und gehen sie nicht in dem entscheidenden Zeitpunkt weg, machen sie direkt oder indirekt früher oder später unter allen diesen entsetzlichen Umständen entweder urplötzlich Selbstmord oder gehen direkt oder indirekt langsam und elendig auf diesem im Grunde durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden zugrunde.”

 

Der erste Einidruck

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. Januar – Die flächendeckende Zerdepperung alles Menschlichen schreitet schier unaufhaltbar voran. Es ist mittlerweile egal, ob etwas sinnvoll ist – Haupsache, viele bunte Lichtlein und Tschinderassabums. Hat nicht Pier Paolo Pasolini schon in den 70ern voraus gewusst, wie ein weltumspannender Konsumismus jedwede Kultur zielstrebig zersetzt und so die Bevölkerung zum fügsamen Massengatsch fürs Marketing zurecht züchtet? Hat nicht Uwe Dick (auch schon in den 70ern) hellgesehen, wie “Massenblödien, Quasselödien und Kassenschmähdien” die einschläfernde Volksverödung nach den heimlichen Interessen der Machthaberer betreiben? “Wählen sie uns, wir werden ihnen … Trullala.” Was also macht gute Kunst aus?

Ein EinidruckSich selbst einen Eindruck machen können – und eben nicht sich einen Einidruck machen lassen. Das wäre schon mal eine brauchbare Geisteshaltung. Doch in Zeiten zunehmender marktschreierischer Beplärrung einer jeden noch so sinnfreien Produktblähung wird es immer schwieriger, den Kurs seiner eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu halten. Sich als Künstler in etwas hinein versetzen – und das dann dergestalt darstellen können, dass es beim Publikum hypnotisch wirkt, also einen Sog erzeugt. Jedoch nicht mit den Waffen der Werbepsychologie dem Publikum argtückisch und heimlistig etwas hinein vorsetzen, das die zu diesem Zweck künstlich erregten Gefühle und Bedürfnisse befriedigt. Dieses ganze Market-Ding ist nichts weiter als äußerer Druck, der so hinterfotzig ausgeübt wird, dass die meisten Patienten ihn als inneren Sog empfinden. Einen solchen “Einidruck” bezeichneten wir früher zutreffenderweise als “einidruckerisches Verhalten” (“Wos wüst ma do leicht scho wieda einidruckn?”). Personen mit dieser Eigenschaft empfanden wir als unsympathische, schleimige Kriechwesen, vor denen zu fliehen ein guter Rat und auch nicht teuer war. Heutigen Tags aber ist genau diese zutiefst ungute, ihre eigentlichen Absichten versteckende Herangehensweise ein gesetzlich geschützter Standard in unserer Marktwirtschaft. “Jo homs eich denn olle ins Hirn gschissn?” Diese rhetorische Frage muss man mit “JA” beantworten. Dazu Goethe: “So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.”

Was aber können wir tun, um der allgemein anerkannten (“Jo des is hoid heit a so.”) globalisierten Prostitution (sich für Geld pimpern lassen) gehörig gegen den Strich und somit am Arsch zu gehen? Etwas Echtes im Sinn der guten Kunst vorbringen, Texte von Peter Gabriel zum Beispiel oder ätzende Satire auf politische Korrektheit von Lisa Eckhart: “Die heilige Kuh hat BSE.”

PS. Antithese zur normativen Kraft des Fuckigen: Kein sinnvolles Produkt braucht ständig einidruckerische Promotion, keine ordentliche Politik braucht nervtötende künstliche Beklatschung. Je mehr für etwas fortwährend die Werbetrommel gerührt wird, desto unbrauchbarer und unnötiger ist es. Schon Schön Färberei ist Betrug

 

Peter Gabriel – Deutsches Album

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. Januar – Gibt man Peter Gabriel in die Suchzeile des Artarium-Blogs ein, so erscheinen zahlreiche Artikel/Einträge, die auf diverse Aspekte seines vielseitigen Schaffens Bezug nehmen. Und offenbar ist noch immer kein Ende in Sicht: Diesmal stellen wir ein weiteres Projekt des immer umgetriebenen Slow-Workers in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen, nämlich die 1982 als “Deutsches Album” erschienene Version von Peter Gabriel IV (auch als Security bekannt). Nicht zu velwechsern mit “Ein deutsches Album” von 1980, für welches ebenfalls der deutsche Filmemacher Horst Königstein seine sehr spezielle Nachdichtung der Songtexte angefertigt hat. Über seine Herangehensweise dabei gibt er hier in diesem Gespräch mit dem Deutschen Genesis Fanclub it Auskunft.

Peter Gabriel - Deutsches AlbumLetzterer ist übrigens ein schöner Beweis dafür, dass sich in Dresden nicht bloß Volksidioten tumbeln… Vielmehr eine der inzwischen selten gewordenen Online-Quellen, aus denen sich sauberer Saft schöpfen lässt, aufmerksam, detailverliebt, sprachgenau. So erschloss sich mir etwa durch Lektüre des Interviews mit Horst Königstein, weshalb ich die deutschsprachigen Texte von Peter Gabriel seit den 80ern immer als irgendwie befremdend empfand. Doch waren es genau diese Texte samt ihrer höchst eigentümlichen Darsingung, welche die als “Ein deutsches Album” sowie als “Deutsches Album” herausgebrachten Werke erst zu wirklich eigenständigen Arbeiten gemacht haben. Zum noch besseren Verständnis sei daher hier das CD-Booklet des heutigen ganzen Albums angeboten. Und der Refrain des Songtexts von “Handauflegen” angeführt:

Die Wärme fließt noch in mir
Und ich spür, du kennst micht gut
Kein Glück, kein Los zu fassen
Alles liegt allein bei dir
Es ist wie es ist
Weil nichts Zufall ist – auch hier

Komm zu mir – leg die Hände auf
Bin bereit – leg die Hände auf
Glaube! – leg die Hände auf

 

Im Schatten der Mozartgunkl

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 30. Dezember – Das Ende naht! Jedenfalls jenes des heurigen Kalenderjahres. Irgendwann im Verlauf des heranbrechenden (neuen) soll es dann auch eine Aufzeichnung seines denkanregenden Programms “Zwischen Ist und Soll – Menschsein halt” geben, verheißt unser Gesprächsgast Günther Paal respektive Gunkl, den wir ob seiner langjährigen Salzburgtradition hiermit vom Motzartgunkl zum Mozartgunkl befördern. Eine Ehrenbürgerschaft in Kalau wird immer wahrscheinlicher… Doch an solcherlei Assoziationen ist der gute Mann bitte auch selbst mit schuld, wenn er sich auf der Bühne als Wunderkind der Wortwahl präsentiert. (Seine fulminante Ansage zum ersten Schultag hätten wir doch alle unseren Lehrer_innen nur allzu gern umgehängt. Oder etwa doch nicht?)

MozartgunklUngeachtet jeder zukünftigen Erscheinung (des obgenannten Programms auf DVD zum Beispiel) empfehlen wir dringend, sich die gegenständliche Hirnmassierung in livehaftiger Form anzutun. Auch wenn alles ein Ende hat, so ist ein lang anhaltender Abgang nicht zu verachten, ganz zu schweigen vom noch viel längereren Nachklang. Denn die Denkfrequenzdichtung des (nicht nur) Mozartgunkl ist wie “ein Sackerl Nussen”, das einen im Kopf begleitet und immer wieder Anregendes zum Nachsinnen hervorbringt. Erbauung in der Zerkauung – oder denk nur ich so? Der kürzeste Schüttelreim ist jedenfalls “Du bist – Buddhist”. Und eins der längsten Schüttelreimwerke ist “Die große Menschenfresserballade 1938” von Franz Mittler, hier vorgetragen von Helmut Qualtinger. Dass Günther Paal (Gunkl) ein spezielles Verhältnis zur Schüttlung hat, das wissen immerhin die Besucher seiner Homepage. Aber dass er sogar das Vorwort zu Harald Weinkums geschüttelter Übertragung des Struwwelpeter verfasst hat, das wussten bislang nur die wenigsten. Darin etwa: “Wo einst der Kaspar war gesund, liegt nun er sich im Sarge wund.” Oder auch: “Nun kann der Hund, der Läusehaufen, samt Peitsch’ in sein Gehäuse laufen.”

Wir jedenfalls schieden uns verab von diesem enden wollenden Jahr, geschüttelt wie auch gerührt, und wünschen unserem Publikum darob ein herzerfrischendes Sssippe Sssappe!

 

Jesus H. Christ

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. Dezember – Unsere Adventcollage für alle mit eigenem Gedankengut Begnadeten: Wir spielen das im Jahre des Hirrn 1992 NIE (offiziell) ERSCHIENENE Album nämlichen Namens des anarchoiden Kunnst- und Musikkollektivs Chumbawamba. Abgesehen vom vorweihnachtliche Assoziationen weckenden Albumtitel tun wir dies im Bewusstsein um die gemeinsamen Wurzeln, aus denen sowohl Radiopirat_innen wie viele andere sich herrschaftskritisch jeder Bevormundung widersetzende Gestaltungsformen entsprungen sind. Wir erinnern immer wieder einmal daran, so in diversen Aktionen und Radiostatements wie etwa unserer COPY RIOT “Verformance” von 2015. Das Urheberrecht. Eine Andeutung. Doch erzählen wir dem Jesus schlicht und begreifend eine kleine Adventgeschichte:

Jesus H. Christ - Vinyl CoverNext we’ll be hearing the true story of an American housewife who claims to have taken mid-air photographs of Jesus Christ in the skies of Indiana:

High above the streets and houses Misses Meta Battle
With one hand on the Valium and one hand on the bottle
Somewhere over Indiana, eight miles high
Meta Battle sees the good Lord wandering cross the sky

Have your fun whilst your alive
You won’t get nothing when you die
Have a good time all the time
Because you won’t get nothing when you die

Look! No strings! Just paper, glue, and card
Hark! The angels sing “Paste the Lord”

Meta Battle shot her Lord and watched Him tumble down
And now there’s people out with Polaroids all around town
And who knows, that Jesus on the church near your house
Could well be the original, kiss it as you pass

Hey, you, get off my cloud
Hey, you, get off my cloud
Hey, you, get off my cloud

Don’t hang around cause two is a crowd

Susej em kcuf ho
Susej em kcuf ho
Susej em kcuf ho

Was immer das bedeuten mag…

Jesus H. Christ - All SamplesWegen erheblicher Klagsdrohungen auf Verletzung des Urheberrechts (Hureber rächts?) durfte das Album damals nicht veröffentlicht werden. Es wurde daraufhin in wesentlichen Teilen umgearbeitet – und erschien kurze Zeit später unter dem Titel “Shhh” als ein Statement gegen Zensur. Irgendwer (danke!) hat es dann doch noch gepresst, und so findet es allen Verhinderungsversuchen zum Trotz seinen Weg in eure Radiohren.

Getreu dem fast schon Motto der Band “Pass it along”

Oder eben auch zensurkritisch “Pass it along”

Frohe Ostern, ihr Christbäume!

 

Chumbawamba – Anarchy

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 9. Dezember – Nun ist das Freie Radio eben auch eine Einrichtung, um das eine oder andere Vermächtnis des Freien Lebens vor dem Vergessen der Vielflatterer zu bewahren. Vor allem, wenn es sich dabei um die Nachlässe derer handelt, die “im großen Geschäft”, sprich im Scheißhaufen dieser um Geldzweck und Kaufzwang kreiselnden Aufmerksamkeitsindustrie nicht genug “einbringen”, um sie zur gefälligen Untenhaltung des Publikums zu verbrauchern. Oder um jene seltenen Exemplare der Gattung Mensch, die trotz heftiger Nötigung lebenslang zwischen den Kategorien wohnen blieben – und sich so jeder Einteilung ins allgemein Übliche entzogen. Ein Schaffenserbe des vielgestaltigen Kunst- und Musik-Kollektivs Chumbawamba möge uns hierfür zum guten Beispiel gereichen:

Chumbawamba - Anarchy 2002Denn die ursprünglich der Punk- sowie Hausbesetzerbewegung im Norden von England entstammende kreativ-anarchistische Truppe mit dem durchaus eigenwilligen Namen Chumbawamba, die nunmehr nach 30 produktiven Jahren leider den Bühnenbetrieb eingestellt hat, war speziell in den 90ern regelmäßig in Salzburg zu Gast – und inspirierte dadurch viele Nichtangepasste auf geradezu osmotische Weise, indem sich ihre lustvoll dargelebte Wesensart mit den Seinsweisen der an diesen Auftritten Teilnehmenden verband. Im Musikarchiv der Radiofabrik schlummern sogar noch Live-Mitschnitte solch elementarer Ereignisse. Was Chumbawamba vor allem auszeichnet, ist ihre hemmungslose Gestaltungsfreude beim Plündern der Popkultur. Nie waren sie Teil jener folklorisierten Zombieparties, die als Immerwiederauferstehung des Punk dessen ewigwährende Selbstverwurstung zelebrierten. Ganz im Gegentum, schon in den 80ern “reclaimten” sie Melodien und Klangzitate, wodurch sie sich zu den Pionieren des Sampling gesellten. In weiterer Folge eigneten sie sich auch noch mannigfache musikalische Stilrichtungen an, die sie stets erfrischend unbotmäßig zu immer neuen Soundcollagen und Selbstaussagen verbearbeiteten…

Chumbawamba verstanden es, die Gesetzmäßigkeiten des Musikbusiness (die sie zutiefst verabscheuten) für die Verbreitung ihrer Inhalte zu nutzen, ohne selbst darin aufzugehen. Ein Höllenritt auf des Rasiermessers Schneide. Das soll uns doch ein ganzes Album wert sein. Eigentlich nicht nur eins!

“In a world full of no-ones – I am someone!”

 

Dying Surfer meets His Maker

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. November – Wir stellen euch diesmal das nämliche Album der genre-auflösenden Band All Them Witches vor. Sie kommen zwar aus Nashville, ihr Sound hat jedoch kaum etwas mit jener Musikwelt gemein, für die das Country-Mekka in Tennessee sonst so berühmt ist. Und auch die Einsortierer des zwangsviereckigen Schachterluniversums stoßen bei All Them Witches heftig an ihre Grenzen. Noch nie habe ich so viele verschiedene Bezeichnungen für ein spezielles Musikgenre gelesen, die allesamt nicht wirklich oder nur teilweise zutreffen. Anstatt den ganzen Schas von Klappersdorf hier abermals anzuführen, sei lediglich auf die Selbstbeschreibung der eigenwilligen Musikkapelle verwiesen: “Psychedelta”. Folgerichtig hat auch der Hase “Dying Surfer meets His Maker” eigenwillig erlebt:

Dying Surfer meets His Maker (Ausschnitt)Sterbender Wellengänger erfährt seine Schöpfung

all diese Hexen in ihren Baracken, den Schlössern der Obdachsuchenden, mit ihren versteckten Käfigherzen, ihren Leidtrögen, liegen gebettet auf Herbstlaub und zerlumpter Seide, geprüft und gefoltert vom Leben, vom Leben der Anderen, gestillt ihren Hunger mit Erde und Rausch, und beten allsamt zur Mutter der Berge, zum Vater der Flut, zum Kind der endlosen Leere, zum Getier in der Wirrnis der Wüste : dort suche ich tanzende Zeichen im Himmel, die mir das Auge versprach, das ich sah, als sich Rinde und Blattwerk erkannten : gekrönt sind wir nächtens von Licht : heiße mich Stern, heiße mich Schwärze, ich beiße nicht, ich bin leiser Verzicht, heiseres Eingestehen, unstetes Branden : du wartest in weißer Gewandung vor dem Schlund der sandenen Ödnis im Zwielicht deiner Erwartung, während der Sturm sich entfächert : wir im Zentrum, im innersten Gefecht, Gesicht, das wir zu sehen bereit sind, wenn wir uns hingeben den heilenden Wogen des Winds, die uns trügen zu unseren Schatten, die warten geduldig, un.fassbar : Asche zu Asche zu Asche zu Staub zu Wind zu Atem zu Haut zu Feuer zu Asche zu Staub der Sterne, im Sande der Wüste gespiegelt, in den Tränen der Dornen, der Gräser, Kakteen, dem Blut der Schamanen, dem Glänzen der fallenden Hülsen : wir schweigen uns aus : wir setzen den Stein : wir legen die Sicht : wir fürchten mutig nur uns : es bleibt stets anders, verformt, neugeflochten, immer wieder : langsam ernüchtern : vorbei am langen Schlaf, den Schlangen der Träume, den Rissen im Traum : scheinbar endlose Gänge durch welche wir ziehen; sich öffnende Tore : Atem wird seicht; keine Stimme zu rufen, zu plärren, zu donnern : Liebe zerstückelt, zerkaut : wir schlucken : uns sehen die Sterne : träge die sönnlichen Vorboten am Horizont : noch dunkel, noch Zeit, noch zweisam, noch weit die Ankunft des Tages : Ausströmen, Einströmen : spürst du es auch? spürst du die Wellen, die fingernden Wellen des Lichts? die sich graben in alles, die Sinne überwallen, die Grenzen entheben, die uns tragen, die uns töten, für eine Sekunde, eine Ewigkeit : wir sollten sie reiten, sollten gleiten : viel.leicht

 

Dieses seltsame Krimigenre

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 28. Oktober – Eine Annäherung ans Unendliche durch Weglassen von Vielem und Hervorheben von Einigem. Beispielsweise. Schon das Krimigenre (sei es im Film oder in der Literatur) lässt sich in all seinen Subgenres und Verzweigungen kaum akademisch erfassen, geschweige denn präzise abgrenzen. Muss Blut fließen? Geht es um Mord? Whodunit? Und warum ist jedwede Darstellung von “Crime” beim Publikum offenbar so beliebt? Die Psychologin unseres Vertrauens empfiehlt diesfalls, den Autor von “Schuld”, Ferdinand von Schirach, zu befragen. Und sie verweist dabei auch auf die Ambivalenz des Menschen, die sich speziell in der Spannung zwischen Leben und Tod widerspiegelt. Womit sich das Wesen der Dramaturgie im gesamten Krimigenre erklären lässt. Wir haben eine heiße Spur

Neues im Krimigenre

Quellenangabe: obs/ZDF/Thomas Jahn

…und eine ziemlich interessante These: Im sonst eher nicht so für künstlerische Höchstleistungen berüchtigten Fernsehprogramm (zumindest in dessen öffentlich-rechtlicher Gestalt) tauchen seit einiger Zeit ansprechende, vor allem aber nicht-amerikanische Produktionen auf, wie etwa die neue ZDF-Serie “Professor T.”, welche wir bereits in der letzten Perlentaucher-Nachtfahrt warm empfohlen haben. Des weiteren überrascht uns die Fernseh-Kriminalfilm-Reihe “Tatort” (die es seit 1970 gibt) auch immer öfter mit kunstvollen Eskapaden, was ehedem (ich erinnere mich dunkel) gar nicht in ihrer Art lag. Womöglich lockt ja das kommerziell erfolgreiche Krimigenre künstlerisch ambitionierte Filmemacher und Autor_innen geradezu an, wenn diese sich kreativ austoben – und dabei auch noch Geld verdienen wollen. Zuletzt hat der bekannte Regisseur Dani Levy zum Beispiel den Tatort “Die Musik stirbt zuletzt” im One-Shot-Verfahren gedreht, also ohne Schnitt und in einer einzigen Kamerafahrt. Mit ähnlichen Methoden hat der Großmeister des Suspense, Alfred Hitchcock, in “Cocktail für eine Leiche” (Originaltitel “Rope”) schon 1948 herum experimentiert…

Womit wir beim Literaturhaus und dem dort vom 8. bis 10. November stattfindenden 10. Krimifest angelangt wären. Selbiges wird passenderweise von einer Ausstellung namens “Hitchcock. Vom Buch zum Film“ umrahmt, an deren Gestaltung auch der Studiogast unseres Vertrauens, Emanuel Gauß, mitgewirkt hat. Dazu servieren wir, dem kriminellen Anlass entsprechend, Musik von Element Of Crime – aber nicht nur!

 

Eine Gesellschaft, die fällt…

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 21. Oktober“Dies ist die Geschichte einer Gesellschaft, die fällt. Während sie fällt sagt sie, um sich zu beruhigen, immer wieder: Bis hierher lief’s noch ganz gut. Bis hierher lief’s noch ganz gut. Bis hierher lief’s noch ganz gut. Aber wichtig ist nicht der Fall, sondern die Landung.” So heißt es am Ende des legendären Spielfilms “Hass – La Haine” von Mathieu Kassovitz. Genauso gut kann dieses Zitat als Motto unserer (der ganzen Welt) Gesellschaft dienen: Während wir längst im freien Fall auf unser Ende zu rasen, ignorieren wir diesen Umstand, und reden uns stattdessen lieber ein, dass bis jetzt eh noch nichts Schlimmes passiert ist. In diesem Szenario sind wir über den beliebten “Point of No Return“ schon hinaus, und da ist Selbstbeschwichtigung bis nach dem Aufprall ja durchaus naheliegend.

Das Ende der menschlichen GesellschaftDoch halt, Moment, wiewohl jede/r von uns individuell endlich, sprich sterblich ist, sind die Möglichkeiten zur Gestaltung des Gemeinwesens Gesellschaft sehr ungleich verteilt. Während uns fortwährend die große Freiheit der eigenen Entscheidung und Verantwortung eingesäuselt wird, scheißt man uns gleichzeitig mit vorgefertigten Umständen zu, an denen wir (als die Betroffenen) genau gar nichts ändern können. Und wir fallen immer weiter – aber bis hierher lief’s noch ganz gut… Irgendwie schon ziemlich verrückt. Geistesgestört, möchte man meinen. Womöglich sind wir alle zusammen psychisch krank? Wer bin ich – und wenn ja, warum nicht? Da trifft es sich doch, dass wieder mal ein Sachbuch zum Thema “Depression und ihre möglichen Ursachen” heraus gekommen ist. Nämlich “Lost Connections” von Johann Hari, worin der Autor eine nicht ganz neue These vertritt (die wir etwa aus der Antipsychiatriebewegung oder den Büchern von Arno Gruen kennen), nämlich, dass Depression in der Mehrzahl der Fälle nicht aus einem gestörten Gleichgewicht von Chemikalien im Gehirn heraus entsteht, sondern vielmehr aus einem gestörten Gleichgewicht von Gegebenheiten in der Gesellschaft. Das inflationäre Verschreiben von Antidepressiva ist somit nur in wenigen Fällen wirksam – und dient wohl eher den Interessen der Industrie.

Zur textmusikalischen Illustration unseres Unmuts über das Unrecht empfehlen sich die feinen Beobachtungen von Früchte des Zorns oder der Kleingeldprinzessin und ihren Stadtpiraten. Es ist doch immer irgendeine Industrie beteiligt, wenn man uns auf den Kopf scheißt.

 

Der Watzmann ruft

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. September – Jetzt ist schon wieder was passiert. Der Bua ist tot. Weil der Berg, der hot koa Einsehn nit. Und schuld an dem ganzen ist die Gailtalerin, das weiß doch jeder, die tragt auch feuerrote Unterröck. Seit den frühen 70ern begleitet uns “Der Watzmann ruft” nun schon durch das eher spezielle Verhältnis des allgemeinen Österreichers zu seiner ländlichen Volkskultur. Ein vielschichtiges Stück Musiktheater, an dem jede Genrezuordnung zerplatzt, wie sich mit erheblichem Lustgewinn feststellen lässt, wenn man diverse Doktorarbeiten zum Thema besucht. Von einem “Definitionsmoloch” ist da die Rede, und nicht ein Wissensgschaftler kann endgültig sagen, worum es sich dabei genau handelt. Ist es ein Hörspiel, ein Konzeptalbum, ein Popmusical oder eher eine Dialekt-Rockoper?

Der Watzmann ruftDa verrenken sich die lieben Kolleg_innen aber den Hirnarsch beim Schachterlscheißen. Lassen wir doch einen der Hervorbringer dieses über Generationen hinfort wirkenden Kunst-Stücks zu Wort kommen! Herr Ambros, was genau ist denn “Der Watzmann ruft”? “Ein ganz ein eigenes Format. Man kann ja net amoi sogn a Musical, sondern es is a Musiktheater oder ein Theaterstück mit erklärendem Bänkelgesang oder wos a immer. Auf jeden Foi ka richtigs Musical. Es gibt nix Vergleichbares. Und i denk, des hod natürlich a sein Grund.” Aha. Und wie ist das alles zustande gekommen? “Wir haben ein Jahr lang so gredt (“Wie schallts von der Höh? Hollorödulliöö!”), sind dann sogar Bergsteigen gangen und sind total auf den Karl-Heinrich Waggerl und den Luis Trenker abgfahren. Wir haben schon an echten Huscher ghabt. “Der Watzmann ruft”, das ist von einem winzigen Kern ausgangen, von einem Hund namens Watzmann, und dieses Ur-Gerippe hat sich weiter entwickelt zur Plattenversion und zur Bühnenfassung.” Das klingt doch einigermaßen lustig! “Die Geschichte unserer eingrauchten Nächte seit 1972.” (Sämtliche Zitate aus Worte, Bilder, Dokumente von 1987). Was uns die 3 Herren Ambros, Tauchen, Prokopetz hier hinterlassen haben, ist mehr als einfach nur ein “Rustical”. Wir spielen daher die aufgefrischte Original-Version dieses hypnotischen Hörweltspiels.

PS. Einen wohl noch schicksalsträchtigeren Gipfelsturm gibts demnächst in Salzburg zu besichtigen, wenn sich die EU-Staatsoberhäuptlinge zum Thema Migration treffen. Das Thomas Bernhard Institut setzt schon am Mittwoch, 19. September eine Nacht der Künste dagegen. Näheres dazu erfahrt ihr auch in diesem Nachtfahrtblogartikel.