Abseits Andacht

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 29. NovemberHerzlich willkommen beim Adventfest der Außenseiter. Nicht beim Modelabel “Rebellische Pose”, vielmehr bei den wirklichen Grenz- und Einzelgängern der Gruppendynamik, denen schon das Vorgebetetkriegen des jeweiligen Insiderschmähs die allerheftigsten allergischen Reaktionen verursacht. Egal, ob Gott gesag haben soll, die Germanisten Bescheid wissen, der Markt verlangt oder die Presse verbeurteilt – jegliche “Szene” ist tödlich, sobald sie ihre Abweichler inquisitorisch ausgrenzt. Wir feiern die Nichtanpassung und scheißen auf gesellschaftliche Übereinkunst (diese ungeheuerliche Verblödung, die jede kreative Entwicklung durch gemeines Rechthaben abwürgt und erstickt). Eine Stellungnahme in eigener Sprache – zwischen Selbstsinn und Herdentrieb.

Herde HeinOligarch
leck mich am Arsch
Separatist
hat sich verpisst
Migrant
ist völlig abgebrannt
Autochton
muss auch irgendwo wohnen

Stärker als der Regen ist die Flut
Stärker als die Angst ist nur der Mut

Patriarch
der gar nix mehr darf
Aktivist
der nur Gemüse frisst
Friedensgarant
fährt das Land an die Wand
Homophon
klingt dem Papst sein Sohn

Schon ein komischer Heini, dieser Peter Hein (Fehlfarben). Was das jetzt alles mit dem Augustin, dem ersten Advent, der Mehrheitsmeinung oder Deutschboden zu tun hat, das müsst ihr in dieser Sendung selbst herausfinden. Wir sagen nur soviel:

Platz da!

 

Viva! Roxy Music

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 15. November – Dass wir bei der Frage, was wir für gut und somit auch in ganzer Albumlänge spielenswert befinden, einen Scheiß auf irgendwelche Verkaufsrankings geben, das müssen wir eigentlich nicht mehr explizit dazu sagen. Und dass wir es nicht mit der Grundidee des freien Radios in Einklang bringen, auf mehrheitliche Musikvorlieben oder hergebrachte Hörgewohnheiten abzuzielen, weil uns der Quotenkasperl im Hinterkopf hockt, dürfte ebenfalls klar sein. Es gibt jedoch trotz alledem auch für uns bestimmte Kriterien, die wir bei der Auswahl eines Albums berücksichtigen. Im Fall von Viva! Roxy Music, einer Live-Compilation aus dem Jahr 1976, könnten wir es als “Vermittelbarkeit” bezeichnen. Oder, ob so ein Musikwerk aus längst vergangenen Zeiten eben auch heute noch – funktioniert

viva roxy musicGerade über Roxy Music ließe sich detailverliebt jede Menge obskures musikgeschichtliches Fachwissen zusammenschwadronieren, so dass einen der akademische Schwindel packt. Über Brian Eno zum Beispiel und seine stilbildenden Arbeiten mit dem VCS3 Synthesizer auf den ersten beiden Studioalben der Band. Oder überhaupt deren Einfluss auf Musiker_innen unterschiedlichster Genres, so etwa David Bowie, Kate Bush, Depeche Mode, Morrissey, Annie Lennox oder Grace Jones. Eh interessant, so wie vieles anderes auch noch, aber halt nicht wirklich emotional die Zeitbarriere überwindend. Denn um aufzeigen zu können, wie eine Band, ihre Musik und ihr Stil sich auf eine ganze Generation ausgewirkt haben, sollte man doch etwas intensiv Erlebbares anwenden. Etwas, das die Eigenart jener mit androgyner Symbolik spielenden Epoche zwischen Glamrock und Punk zu vermitteln vermag, so wie diese auch in dem Film Velvet Goldmine (1998) meisterhaft dargestellt wird. Zum Soundtrack dieses Films haben übrigens nicht nur Roxy Music als Band, sondern auch Bryan Ferry und Brian Eno als Solokünstler beigetragen. Es ist also wirklich ein Gefühlskriterium, das zur Auswahl des sehr rockigen Livemoments von Viva! geführt hat. Und vielleicht eine Gefühlserinnerung, die mit dem folgenden Song und dessen Text zu tun hat:

Inflatable doll
My role is to serve you
Disposable darling
Can’t throw you away now
Immortal and life size
My breath is inside you
I’ll dress you up daily
And keep you till death sighs
Inflatable doll
Lover ungrateful
I blew up your body
But you blew my mind

Roxy Music – In every dream home a heartache

 

Die Kleingeldprinzessin

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 11. Oktober – Politisch, kritisch, Jazz, Folk, Klezmer, Liedermacherin, geile Texte, eigenes Label, im Duett mit Max Prosa – die Zuschreibungen sind so mannigfach wie die Zwischentöne dieser sehr speziellen Künstlerin, die mal solo, mal mit Band unterwegs ist. Nach ihrem Kurznamen DOTA heißt inzwischen auch das Gesamtprojekt so – und präsentiert sich vermittels einer erfreulich aufgeräumten Homepage. Von Dota Kehr ist hier natürlich die Rede, auch bekannt als Die Kleingeldprinzessin mit oder ohne Die Stadtpiraten. Wir spielen im Rahmen unserer Reihe Das ganze Album diesmal ihre CD „Immer nur Rosinen“, die uns im Ganzen als „die Rundeste“ – und vor allem textlich wesentlich erscheint. Aber ich lass jetzt lieber mal den Fachmann fürs „Eindrücke vermitteln“ ans Werk gehn:

immer nur rosinenEndlich!, rufe ich in die Nacht hinaus, in diese regenträge Nacht, und räume das Zimmer leer um Platz zu schaffen für die tausend Dinge, die ich schreiben möchte über dieses Album, welches schon viel zu lange auf der Vielleichtbank, der Irgendwanneinmalbank sitzt und der Gespieltwerdung harrt. Ich höre Dota Kehr, der Kleingeldprinzessin und ihren Stadtpiraten schon Jahre zu, ob es In anderen Räumen Blech + Plastik oder Immer nur Rosinen gibt, die jazzigen Klanggalaxien mit Bossa Nova und Klezmer-Einflüssen, umschließen mein Hörleben und zeigen immer wieder wie lebendig, wie lebhaft Liedermachen sein kann. Und wie so oft sind es die Texte, die mich von Anfang an aufhorchen ließen; die feinfühligen Beobachtungen, die zeitkritisch ziselierten Zusammenhänge in den vielschichtigen Geschichten, die umwerfende Umwälzung alltäglicher Wahrnehmungen, die Poesie flüchtiger Augenblicke, die Worte – hinter dem Sinn.

dotaIch warte hier, und mein Schreibtisch, Zeittisch, bloß von einer Wandlampe erhellt, so dass er zu meinem Mittelpunkt wird, meinem einzigen Bezugspunkt im grenzenlosen Schwarz, und ich höre Dotas Stimme, diese freundliche, einladende Stimme, folge der Musik, wohin auch immer; nach Berlin, in die Erdumlaufbahn, hinter die Lider, durchs Schlaraffenland. Für Proviant ist gesorgt, für Gesprächsthemen und Konversationsfunken sowieso, meine Siebenmeilenstiefel tragen mich weiter als gedacht; eine Motte wirft ihre Schatten auf die Tastatur, von draußen kein Geräusch, hier drinnen nur das Klimpern meiner Finger, nur mein stetes Flattern beim Formulieren, das Annähern, Andeuten, Skizzieren einer ganz eigenen Welt, die vertrauter nicht sein könnte.

Am Ende bleibt nur zu sagen: Höret selbst und begebt euch mit uns auf eine Reise in die Zwischentöne, Zwischenzeilen und Zwischenschluchten dieser facettenreichen, phantasievollen, verbindungsstiftenden – immer unvollendeten Symphonie.

 

Dicht & Doof

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 27. SeptemberIn Salzburg gab es noch nie eine deutschssprachige Punkband namens Thomas Bernhard. Und genau das ist einer der größten Fehler dieser Stadt. Denn während in Wien seit Jahrhunderten (von Nestroy bis Neuwirth) auch brutal selbstkritisches Liedgut zum guten wie zum schlechten Ton gehört, ergeht sich unser katholischer Kunstmarktflecken in der propagandistischen Beweihräucherung eigenen Schönscheins und Wichtigtums, dass einem so richtig schön schiach wird. Diese Stadt gehört schon längst nicht mehr uns. Im Musikvideo der zwei Wiener (!) Christoph & Lollo fehlen durchaus die Salzburger Örtlichkeiten im Abspann. Und das furchtbar süßliche (allerdings bitterböse) Grüß Gott Salzburg des Wieners (!) Ludwig Hirsch hat inzwischen auch schon 25 Jahre auf dem Buckel.

hombuchdandlungAuch aus Salzburg sind ja seit Thomas Bernhards „Friedhof der Wünsche und Phantasien“ kaum noch kritische Töne zu vernehmen. Stattdessen Hofberichterstattung von Festspielhelgas Fetzenspielen oder vom volksbrauchbesoffenen Trachtenanfall Rupertikirtag quer durch alle Medien – vor allem aus dem devotionalen Landesstudio des österreichischen Unfugs

Da müssen halt auch wir auf die Altwiener Tradition des gepflegten Protestsongs zurückgreifen und den Wolfgang-Ambros-Text von Hoiba Zwöfe aus dem Jahr 1976 nachträglich versalzburgern, um dem hier vorherrschenden Dultdunst aus Bier und Bratwurst (der hier alles niederquatschenden Geldkunst aus Gier und Staatswurst) etwas halbwegs Ketzerisches entgegen zu theatern. Und das hört sich dann so an:

Von ana Szene kann ma bei uns übahaupt ned sprech’n,
ollas dasauft im Stieglbier, es is zum Erbrech’n.
In dera Beziehung is‘ bei uns zum Scheiß’n
und es schaut ned so aus ois ob’s es irgendwann g’neiss’n.
Oba wozu wüst di aufreg’n, so is des hoid,
am Best’n is‘ du schaust dazua und wirst recht schnö oid.
Stöh da amoi vua, dass bei uns a Konzert is
wo’st fia de Koat’n nur sovü zoist, wos a wert is!
Des tät uns jo des ganze Image vaderb’n
weu Soizbuag is und bleibt…
de Stodt zum Sterb’n!

 

Howling Wuif Project

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 20. SeptemberZu Gast im Studio ist diesmal Wolfgang Maria Gran, und zwar als namensgebender Frontman der Bluesformation Howling Wuif Project, welche am Freitag, 25. 9. um 19:30 im Oval ihr brandneues Album “Gspusi mitn Teufl” darbieten wird, als Auftakt einer gröberen CD-Release-Tour. Wir haben es uns schon vorab angehört – und sprechen mit dem Wuif über allerlei Hintergründe, etwa die Entstehung von aufhorchenmachenden Dialektpassagen wie „Zündts mi on und rauchts mi, wonn i geh” oder “Des F konn wirklich nix dafia, dass es im Land so strachelt, und dass des F vom Faymann mit da weißen Fahne wachelt”. Letzteres Zitat stammt aus dem bereits veröffentlichten “Wenn die Effen kläffen”, einem bissigen Stück Strachsprachkritik in der Mundartblues-Tradition von Dr. Kurt Ostbahn & Co.

Howling Wuif GspusiDie allhier amtierenden Herren Blueswürdens des Howling Wuif Projects verfügen allesamt über bemerkenswerte Musikerfahrungund das hört man auch! Unter den Collaborations der Bandmitglieder finden sich so unterschiedliche Namen wie zum Beispiel: Willi Resetarits, Ray Charles, Göteborg Symphonie Orchester, Shakira, James Brown, Roger Chapman (um nur ein paar zu nennen) und – wie könnte es denn anders sein – der “Godfather des Austro-Blues“ Heli Deinboek. Der hat, wie man hört, wiederum einiges mit der Gründung des gegenwärtigen Wuifsrudels zu tun. Aber mindestens genauso interessant wie die musikalische Qualität der Mitwirkenden (vor allem für die nicht allzu eingefleischten Blues-Fans unter unseren Hörer_innen) dürfte die gesellschaftskritische Ausrichtung dieser Produktion sein. Hier wird der traditionelle Individualjammer eines an sich oft eher traditionslastig verhandelten Genres in den Spiegelwelten der uns umgebenden (familiären, medialen, politischen) Einwirkungen gebrochen, was sich speziell in der stilistischen Vielfältigkeit der Arrangements angenehm auswirkt. Schon Arno Gruen betonte ja, dass jedwede Therapie immer auch die Ursache des Leidens im sozialen Umfeld zu benennen habe. In diesem Sinne also – eine gute Katharsis!

 

Mey Wader Wecker – Das Konzert

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 13. September – Es haben ja andauernd irgendwelche Menschen oder Sendungen Geburtstag (Sieben auf einen Streich). Warum also nicht gleich auch noch ein „Happy Birthday, lieber Hannes“13 Jahre nach jenem legendären Konzert zu Hannes Waders 60. Geburtstag (gemeinsam mit Reinhard Mey, Konstantin Wecker und Jo Barnikel), das 2003 als über 2-stündiges Live-Doppelalbum erschienen ist – und einen einzigartigen Höhepunkt im Wirken der drei unverwüstlichen Veteranen darstellt. Denn in dieser Konstellation wächst nicht bloß jeder für sich über sich hinaus, sondern alle zusammen über das Gemeinsame. Da jammen an die 150 Jahre Bühnenerfahrung in einer harmonischen Vielstimmigkeit, dass es eine helle Freude ist! Wir spielen das Schlussdrittel einer Ausnahmesession:

albumcoverJetzt eine Insel finden, einen stillen Ort, mich zurückziehen können, vergessen welche Stürme mein Leben umgiften, und einfach schreiben – über dieses Album, dieses Konzert dreier Poeten, dreier so wichtiger Menschen, dreier grandioser Denker unserer Zeit. Was könnte ich sagen, was gäbe es zu berichten, wie könnte ich die Atmosphäre in Worte kleiden, was bewegte mich, was regte sich in mir beim Lauschen der handgemachten Klänge? Im Dunkel meines Zimmers schläft meine Nichte, die externe Festplatte summt, ich höre die Stimmen meiner Familie im Wohnzimmer über all das reden, diskutieren was heute binnen weniger Stunden über uns kam wie aus dem Nichts, während ich nur an die Musik denken kann, die mich so eigentümlich berührte, mich ruhig werden ließ, verträumt – und die mir manchmal eine Träne entlockte.

Ich möchte mich nicht ergehen in analytischem Gebrabbel oder unzulänglichen Beschreibungen, die niemals einfangen können worum es wirklich geht, möchte lieber über den Flügelschlag einer Libelle erzählen oder das Aufhorchen meiner Seele als der erste Akkord verklang, vielleicht sind es die Gedanken und Erinnerungen, die eruptiv in mir hervor traten, während Wader über seine Jugend sang, oder die Erkenntnis, dass es da draußen ja doch noch Menschen gibt, die Nein sagen oder authentisch über Liebe dichten, und mein Bauch vibriert, Ganzkörpergänsehaut, einmaliger Dreisang jener sprachverliebten Art, Eingesaugtwerden in einen Strom von Emotionen, eine Reise durch Schluchten der menschlichen Existenz, über Berge politischer Absurditäten, vorbei an den Häusern innerer Einkehr, hinein in die Boote, die uns tragen über stürmische Zeiten – und vielleicht singt Orpheus dann vom Frieden.

Ich weiß nicht, worüber ich schreiben möchte, doch eines ist klar: Selten hat mich ein Album so in seinen Bann gezogen, selten haben es Künstler vermocht, mich so allumfassend zu rühren, selten hat Musik in mir so bleibende Spuren hinterlassen, farbenfrohe Narben voll Poesie.

Überzeugt euch sebst! Hier gibts nun Das Konzert CD1 sowie Das Konzert CD2

 

The Pervert’s Guide to Slavoj Žižek

> Sendung: Artarium vom Sonntsg, 23. August Ein Film über Filme für die Menschen, die dem herrschenden Konsumismus kritisch gegenüber stehen – und die den dahinter steckenden Ideologien umfassend auf die Spur kommen wollen. Das Portrait eines Philosophen, dessen provokant zugespitzte Thesen oft in der schieren Masse seiner Veröffentlichungen untergehen. Und dessen unterhaltsame Ideologiekritik gern hinter Jaques Lacans einigermaßen vertrackter Psychoanalyse verschwindet. Wir wollen euch jedoch diesen Film gerade deshalb empfehlen, weil er es auf höchst kunstvolle Weise bewerkstelligtt, etliche der Höhepunkte aus dem atemlosen Schaffen des Slavoj Žižek verständlich zu machen. Zunächst ein Auszug aus unserem Artikel zur Reisen-Nachtfahrt vom Freitag, 14. August als eine erste Inhaltsandeutung:

perverts guideBeim gegenständlichen Filmtipp der Artarium-Redaktion handelt es sich um: The Pervert’s Guide to Ideology von Sophie Fiennes. Wer sich, mit oder ohne sonstige Drogen (siehe Artwork) Slavoj Žižek, einen der letzten freifliegenden Philosophen der Popkultur, in die Pfeife stopfen will, wird und ist hiermit wunschgemäß bedient! Auf seinem Parforceritt durch die Geschichte populärer Filmwerke entlarvt er einige der uns innewohnenden Scheinwelten als das, was sie letztendlich sind – und immer schon waren – Ideologien! Von Leni Riefenstahls “Triumph des Willens” (1936) über den Salzburgschwachsinn The Sond of Music” (1965) oder Michelangelo Antonionis Zabriskie Point” (1970 & geniale Filmmusik von Pink Floyd) bis zu neueren Kinoerfolgen wie James Camerons “Titanic” (1997) sowie Christopher Nolans “The Dark Knight” (2008) zerpflückt er 25 Spielfilme – und einige Werbespots. Besonders gelungen und hier zum Appetitmachen verlinkt: John Carpenters “They Live” (1988). Und jetzt setz die Sonnenbrille auf! Aber auch die Hinterfragung der christlichen Heilslehre anhand von Martin Scorseses „The Last Temptation of Christ“ ist ein paar eigene Überlegungen wert. Hierbei möge die folgende deutsche Übertragung helfen:

„Ich denke aber, man kann die Haltung des Christentums noch viel radikaler verstehen. Genau das vermittelt uns die Kreuzigungsszene in Scorseses Film: Was da am Kreuz stirbt, ist die Sicherheit (der Existenz) eines „großen Anderen“. Hier ist die christliche Botschaft also radikal gottlos, sprich atheistisch. Sie bedeutet, der Tod Christi ist kein Freikauf oder Handel, in dem Sinn, dass er durch sein Leiden für unsere Sünden bezahlt. (Wem bezahlen? Wofür genau? Und so fort…) Sie bedeutet schlichtweg die Auflösung des Gottes, der uns den Sinn unseres Lebens sicherstellt. Das bedeutet auch der bekannte Ausspruch: „Eli, eli, lama sabachthani – Vater, warum hast du mich verlassen?“

analyze slavojIm Augenblick vor seinem Tod erfassen wir, was man in der (Lacan’schen) Psychoanalyse „subjective destitution“ oder „Entmachtung des Ich“ nennt – das vollkommene Heraustreten aus der Herrschaft der symbolischen Autorität, aus dem gesamten Bereich des „großen Anderen“. Naturgemäß kann niemand wissen, was „Gott“ von einem will – weil es keinen Gott gibt. Das ist jetzt der Jesus Christus, der unter anderem sagt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Wer nicht seinen Vater, seine Mutter,.. hasst, der kann nicht mein Jünger sein.“ Freilich heißt das nicht, man soll seine Eltern jetzt aktiv hassen oder töten. Ich denke, dass „Famile“ hier alle hierarchischen sozialen Beziehungen repräsentiert. Die Botschaft von Jesus Christus lautet also: „Ich sterbe, aber mein Tod selbst ist die gute Nachricht. Er bedeutet, dass ihr jetzt allein seid – und euch frei entscheiden könnt. Bleibt in diesem heiligen Geist, der eben die Gemeinschaft der Glaubenden ist.“

Es ist falsch, zu meinen, die „Wiederkunft Christi“ würde in der Form stattfinden, dass der irgendwie als menschliche Gestalt in Erscheinung tritt. Christus ist längst anwesend, sobald Glaubende eine emanzipative Gemeinschaft bilden. Deshalb behaupte ich auch, dass der einzige Weg, wirklich Atheist zu sein, derjenige durch das Christentum hindurch ist. Das Christentum nämlich ist viel atheistischer als der übliche Atheismus, der zwar dafür eintreten mag, dass Gott nicht existiert, dessen ungeachtet aber immer ein gewisses Vertrauen in ein „großes Anderes“ beibehält. Dieser oder dieses „große Andere“ kann entweder natürliche Notwendigkeit heißen oder Evolution oder was auch immer. Als Menschen bleiben wir nichtsdestoweniger reduziert auf unsere Stellung innerhalb einer „zusammenstimmenden Aufforderung zur Entwicklung“ oder so etwas ähnlichem. Wirklich schwierig zu akzeptieren ist jedoch – noch einmal – dass es überhaupt nichts „großes Anderes“ gibt, und somit keinerlei Bezugspunkt, der uns Sinn und Bedeutung garantiert.“

Nicht einmal Slavoj Žižek 😉

 

Thunder and Consolation

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 16. August – Das ganze Album zum Ende der Hitzeperiode heißt also “Donner und Trost”. Wie wahr, wie wahr. Gutes Gewitter! New Model Army haben wir wohlbegründet schon wiederholt zu Gehör gebracht, etwa als Raw Melody Men oder Live …& Nobody Else. Nunmehr ein 1989 erstmals veröffentlichtes Studiowerk, welches wir genau in der Tracklisting-Reihenfolge seiner Vinyl-Erstausgabe spielen werden, nebst zweier Bonus-Tracks der 2005 erschienenen Remastered-Doppel-CD. Dies unternehmen wir aber nicht aus reiner Sentimentalität oder Vergangenheitsverklärung, sondern weil wir davon ausgehen, dass die Magie dieser Musik für den einen oder die andere von erheblichem Nutzen sein könnte, so sie nur gut aufbewahrt – und in Zeiten des Bedarfs mit Bedacht angewandt wird…

Thunder and ConsolationMeine persönliche Geschichte mit diesem Album reicht in die frühen 90er zurück, als mir eine sehr gute Freundin eins ihrer kostbaren Tapes anvertraute. Damals wohnte ich im Wald und kochte auf offenem Feuer. Und ich hatte den Trost der schwer einzuordnenden Lieder aus Wut und Ergebung in den Gewittern meiner Einsamkeit bitter nötig. Sie berührten und begleiteten mich von da an über 15 Jahre hinweg. Ich begriff den Wert unverstellter Emotionen – und fing selbst wieder mit dem Schreiben an. Mehr noch, ich konnte mich durch das Einfühlen in die emotionale Ausdruckswelt von “Thunder and Consolation” als einen Menschen erfahren, der ein Lebensrecht auf Übereinstimmung seiner inneren mit der äußeren Welt besitzt. Und ich konnte mir auf einmal auch eine ganz andere Welt vorstellen, als die der käuflichen Realitäten und erzwungenen Prostitution, die mich tagtäglich bis zum Zerbrechen umflutete und in den Abgrund ihres Widersinns hinunter zog. Ich hegte also wieder Hoffnung, dass es Hoffnung gibt. Und das hält einen Menschen bekanntlich am Leben. Gelinde gesagt verdanke ich dem Erleben dieser Musik 20 Jahre Perspektive und geistige Gesundheit, aller Verneinung zum Trotz. Daher auch meine berechtigte Hoffnung, solches Erleben möge sich – für die eine oder den anderen – ganz ähnlich auswirken…

 

Schaffnerlos

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 12. Juli – Mit dem diesmonatlichen Ganzen Album wollen wir einen wesentlichen Mitverursacher des Phänomens Austropop würdigen – und ihn speziell für die jüngere Generation den allzu schlappen Genrezuordnungen wie etwa „Musiker, Darsteller, Kabarettist“ entreißen. Denn Joesi Prokopetz schrieb nicht nur die Texte der meisten frühen Ambros-Hits (Da Hofa, Es lebe der Zentralfriedhof), sondern erschuf auch (im Produnktionskollektiv Ambros, Tauchen, Prokopetz) bis dato in Österreich einzigartige Konzeptalben respektive Hörspielwelten: „Der Watzmann ruft“, „Augustin“ – und eben das hier nun zu erlebende „Schaffnerlos“. Ein viel zu lang schon auf Kleinkunst und Blödelspaß reduzierer Textdichter, dessen hintergründige Beobachtungen inzwischen endlich auch in einer Dissertation gewürdigt wurden.

schaffnerlos 1978Es ereignen sich so wunderliche Szenen wie zum Beispiel diese: „Passns auf, do kennt jo jeda kumma und ma wos vo seim Sackl vuawanan und donn zwa Stationen umasunst foan! Bei mir lösen sie sich einen Fahrschein und donn kemma weida redn.“ – „Aso, so woin sie des drahn? Sie woin mi bezichtign, vo mia aus bleibns stehn mit ihnan Kibl!“ – „Sogns ned nu amoi Kibl zu meim Beiwogn!“ – „Kibl sog i.“ – „Sogns es ned nu amoi!“ – „Kibl sog i, jawoi, Kibl! Kibl! Kibl! Kibl!“ – „Ka anzichs Moi mea!“ – „Kibl! I hob jo gseng, doss eas gseng hot. Ea hots jo duat hin gstöd, ned.“ – „Jo ich bitt sie, so gehns doch weiter, wie kommt man denn dazu, der Herr Schaffner ist doch auch nur ein Mensch.“ – „Wos is a? A Mensch is a? A Sackldiab is a!“ – „Schauns, dass aussikumman, jo, jetzt is genug!“ – „So gehns doch weiter, sie Rüpel!“ – „Mischns ihna ned dauernd ein, sie Funzn, sie oide. Mundraub is des, jawoi, Mundraub. Mundraub!“ Wen wunderts, dass derlei atemberaubender Disput letztendlich in einem anarchischen Ausbruch der lebenslang unterdrückten Emotion kulminiert: „Von mia aus kennan mi olle umasunst am Oasch leckn!“ Das einfühlsam gezeichnete Psychogramm des echten Wieners zwischen Anpassung und Aufbegehren, oder, wie es Uwe Dick in der Vorrede zum Öd formulierte: „Die Summe derer, die ich täglich aushalten muss.“

Wir wünschen viel Vergnügen!

 

Αγγελική Ιονάτου

> Sendung: Artarium vom Sonntag, 14. Juni – Wir spielen das ganze Album O Erotas der griechisch-französischen “Compositrice et Chanteuse” Angélique Ionatos, das der gute Christopher unlängst im H.C. (Artmann) Café des Literaturhauses zu Salzburg entdeckt hat. Die bei uns weithin unbekannte Künstlerin verbindet in ihrem musikalischen Werk verschiedenste Einflüsse mediterraner Kulturtradition zu einer ganz eigenen, berührend faszinierenden Klangwelt. Wir fühlen uns da in einen lyrischen Kosmos entführt, in dem „das Bittere stets mit dem Süßen vermengt ist“, wie es bereits in einem altgriechischen Sprichwort heißt. Das titelgebende Lied des Albums O Erotas ist übrigens ein von ihr vertontes Gedicht des griechischen Literaturnobelpreisträgers Odysseas Elytis. „Kunst und Liebe sind stets auch politisch“, so empfinden es wir…

o erotas cover„Die Schwarzweiß-Photographie einer herzhaft lachenden Frau mit lockigem Haar und Lederjacke. Darunter blassblaue Zeichen, die einen Namen formen: Angélique Ionatos. Die Engelhafte.

Und daneben in kleiner weißer Schrift: O Erotas. Die Liebe. Ich stöberte im Regal mit den CDs, die über die Jahre von verschiedenen Menschen zusammengetragen worden sind und entdeckte dabei dieses sommernachtstraumhafte Album.

Spätestens als Ionatos den ersten Ton freigab, war ich verzaubert, wurde verwandelt, fiel in ihren Bann. Es liegt auf der Hand: Mischt man eine dunkelwarme Stimme, welche griechische Poesie wie Beschwörungen singt, mit einer eigensinnlichen Musik, die manches Mal auch in den Hintergrund tritt, wie um die Worte zu stärken, so kann daraus eigentlich nur ein außergewöhnlicher Genuss entstehen.

Also, lasst uns ein Stück Hörwelt teilen und gemeinsam Klangwege beschreiten. Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik!